XI

Das Werk Jehuda Halevis näherte sich seinem Ende. Der Dichter fühlte, daß er seine Seele ausgeblutet hatte in dieses Werk. Es war die Predigt seines Lebens, die er der Mitwelt bot. Der Adelsmantel, den er Israel umhängt, trägt das Wappen seines eigenen Adels, des eigenen Wertes Bewußtsein ließ ihn das Kleinodentum Jakobs künden. Und das Gefühl des eigenen Prophetentums war es, was ihn als höchste Stufe die Stufe der Prophetie predigen ließ. Er wußte, was Offenbarung war. So konnte er von Offenbarung sprechen und sprach vom eigenen Leben. Und doch, obgleich er sich so für einen von Gott mit der tiefsten Schau Begnadigten hielt, doch wuchs sein Werk über ihn hinaus. Er hatte seinem Geschlecht den Weg zu Gott zeigen wollen. Am Ende fühlte er, wie fern er selbst noch von ihm war, wie unvollkommen sein Tun. Ein kleines Geschlecht war es, dem seine Rede gegolten hatte, aber er selbst war dieses Geschlechtes Knecht gewesen ein Leben lang. Um ihre Gnade hatte er geworben, ihr Lob war ihm Lebensbedürfnis gewesen, wie süß war der sauer erkämpfte Ruhm. So erwuchs ihm die erschütternde Gewißheit, daß seine Lehre mit seinem Leben nicht stimmte. Und die Unruhe, die sein ganzes Leben erfüllt hatte, kam wieder über ihn. Ein Suchen entzündete sich in seiner Seele. Eine Zeit schwerer Kämpfe folgte, aus denen heraus sich ein Entschluß läuterte, der alle seine Freunde in Schrecken setzte und sie fast an seinem Verstande zweifeln ließ: Jehuda Halevi wollte Spanien für immer verlassen und nach Palästina wandern. Er wollte sterben für seine Welt, sterben für seine Familie, sterben für seine Freunde, um das wahre Leben zu gewinnen. Der Gedanke, daß nur die vollkommene Tat zu Gott führe, brannte ihm die Seele. Er mußte dorthin, wo allein die Taten vollkommen werden konnten, ins heilige Land der Väter. Dort allein war die letzte Erfüllung des göttlichen Wortes möglich. Dort war das Tor, „das von der Erde in den Himmel führt“, dort die Jakobsleiter zur höchsten Schar. Dort würde er Gott schauen Auge in Auge, dessen war er sicher.

Vergebens waren die Warnungen der Freunde, die eine schwere Enttäuschung für den Dichter voraussahen. Oft gelang es ihnen fast, ihn wankend zu machen. Es kamen Augenblicke der Angst und des Zweifels für ihn. Immer aber gewann der eine süße Gedanke in ihm die Uebermacht: „Zion, Zion, du Krone der Zeit!“ Lächelnd sah er das Ziel vor Augen. Es war ihm unentrinnbare Selbstverständlichkeit geworden.

Der Entschluß war gefaßt. Der Tag der Abreise kam. Da sammelten sich die wenigen Freunde in Cordova zum letzten Male. Es bildete sich eine kleine Gefolgschaft um ihn, die bereit war, mit ihm zu ziehen. Josef ibn Zadîk sandte ihm eine reiche Abschiedsgabe, die er mit folgenden, die Größe und den Charakter Jehuda Halevis tief kennzeichnenden Worten begleitete:

Armut schließt uns unsre Rechte;

Darum, was die Seele möchte,

Reicht sie leider dir nicht dar:

Wie belohnen wir dein Künden,

Juda, der uns armen Blinden

Ein so großer Künder war?

Liedesvater, sag’ mir, zeugte

Dich der Dichterkönig? Säugte

Selig einst Deborah dich?

Seelen jagst du, nicht mit Schlingen,

Nein, in deiner Liebe fingen

All die frohen Herzen sich.

Deine Lippen sind so süße,

Deine Reden Heldengrüße,

Klar dein Wort und mannazart;

Löwe und Gazelle scheinen

Herrlich sich in dir zu einen:

Kraft und Schwäche hold gepaart.

Dankerfüllt sang Jehuda Halevi noch einmal den Ruhm des Freundes. Dann umarmte er zum letzten Male die geliebten Schüler, die Tochter, den kleinen Jehuda, um sich plötzlich loszureißen und die Tore Cordovas durchschreitend dem Süden zuzueilen, wo das Schiff ihn erwartete, das ihn zu den Bergen der Heimat tragen sollte. Schon zu lange hatte er gezaudert. Deshalb konnte es ihm jetzt nicht schnell genug gehen. Wohl wußte er, daß in Granada ihn Freunde erwarteten, die ihn das letzte Mal sehen wollten. Aber die Angst, aufgehalten zu werden, veranlaßte ihn, die schöne Granatenstadt gar nicht zu berühren.

Es steht der Libanon vor mir,

Da darf ich nicht „Granaten“ pflücken:

So will es meiner Sünden Zahl,

Die Frevel so, die allzumal

Auf meine Seele drücken.

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