XII

So kam er zum Meere, das ihm nicht unbekannt war. Oft hatte er an seinem Strande gesessen und mit den Kieseln gespielt oder den Wellen gelauscht, die kamen und gingen wie ein unterwürfiges Heer, die Hand des Königs zu küssen. Jetzt sollte er sich diesem Heere anvertrauen. Zagend betrat er die Planke des Schiffes und sah sich bald von brutalem Schiffsvolk umgeben, das prahlend die Klugen verachtet und nur den Schwimmer schätzt.

Die Reise war zunächst von günstigen Winden begleitet. Dann aber kamen stürmische Tage, an denen der Dichter unter der Seekrankheit litt. Gleichzeitig verfolgte ihn die Angst vor Piraten, und auch die Schiffsleute flößten ihm Mißtrauen ein. Trotz alledem aber brachten ihm die Tage auf dem Meere Augenblicke der höchsten dichterischen Offenbarungen. Ob der Sturm ihn umbrauste oder der Sternenhimmel der Mitternacht in die spiegelnden Fluten sank, seine Augen waren weit geöffnet, aus dem Brunnen der ewigen Erhabenheiten zu trinken. Er hat die Natur des Weltmeeres ausgeschöpft, wie sie sich nur ausschöpfen läßt. Die Woge sprach zu ihm, aber was sie sprach, war wieder nur und konnte nur eines sein: – Gott.

Das Schiff war seinem Ziele nahe. Da brach – es war im September des Jahres 1141 – eines Tages ein stürmischer Ostwind los, der das Schiff nicht vorwärts ließ, vielmehr es zwang, rückwärts segelnd im Hafen Alexandrias vor Anker zu gehen. Bitterer Unmut erfaßte Jehuda Halevi. Aber es half ihm nichts, er mußte an Land. Doch nahm er sich vor, sobald als die Stürme nachließen, wieder in See zu gehen.

Kaum jedoch hatte sich unter den Juden Alexandrias die Kunde verbreitet, daß der gefeierte Dichter des Abendlandes in der Stadt sei, als sie herbeiströmten, ihn zu sehen und mit den ausgesuchtesten Ehren zu überhäufen. Der reichste Jude der Stadt, der Arzt und Rabbi Aaron ben Zion ibn Alamânî, zog ihn in seinen Palast. Dieser Palast allein schon wirkte auf den überraschten Dichter überwältigend. Da ging man über goldbedeckte Quadern, stieg in die Gärten hinab und wandelte zwischen blühenden Narden und Cyprusblumen an duftenden Springbrunnen vorüber zu den Myrtenlauben, in deren Zweigen die Nachtigallen sangen, während gurrende Tauben die Wege bedeckten. Alamânî veranstaltete für den Dichter rauschende Festlichkeiten, auf denen ihm die Edelsten Alexandrias in ausgelassenem Jubel huldigten, trinkend und singend und ihm selbst zum Singen begeisternd. Jehuda Halevi war bezwungen. So viel Liebe hatte er sich nicht träumen lassen. Er konnte nicht anders: er mußte diese Stunde genießen und blieb. So hatte ihn das Erdentum wieder umfangen, da er sich ihm längst enthoben wähnte. Ein später Liebesfrühling wird dem fast Sechzigjährigen beschert. Mit anakreontischer Freude singt er von reizenden Abenteuern unter den Fenstern der Schönen.

Dann aber kommt wieder die Wirrnis über ihn, und die Sehnsucht nach Zion erwacht von neuem. Die Sabbathe verhüllen ihm ihre Weihe, er kann nicht wahrhaft froh werden, er fühlt, daß er sich selber untreu geworden ist. So sehnt er sich, aus Alexandria fortzukommen. Eines Tages trifft aus Damiette ein Bote des Abû Sa’îd Chalfon Halevi ein, der ihm einen Brief von dem Fürsten der ägyptischen Juden, dem Nagid Abû Mansûr Samuel ibn Chananjah, überbringt. Jehuda Halevi wird eingeladen, nach Kairo zu kommen, um sich im Palaste des Fürsten seiner Gastfreundschaft zu erfreuen. Sofort sagt er zu und meldet gleichzeitig seinen Besuch in Damiette für später an. Er hofft, der Fürst wird ihm helfen, bald zum Ziele seiner Sehnsucht zu gelangen. Nachdem er in Alexandria noch einige Einkäufe erledigt hat, fährt er nach Kairo. Der Eindruck, den der glänzende Hofstaat des Nagid auf ihn macht, ist noch größer als der, den er in Alexandria gehabt hat, und übertrifft alle seine Erwartungen. Wenn er den Fürsten in seiner Staatskarosse unter den Klängen rauschender Musik und von Soldaten begleitet ausfahren sieht, muß er an Josef in Aegypten denken. Solche Macht eines Juden hatte er in Spanien nie gesehen. Samuel spielte in der Tat am Hofe des fatimidischen Sultans Al Hafis eine bedeutsame Rolle und konnte dadurch seinen jüdischen Brüdern eine starke Stütze sein.

Er empfängt unseren Dichter mit den höchsten Ehren, und als Jehuda seinen Palast betritt, fühlt er, daß er in ein Haus der Liebe und Freude getreten ist. Hier wird das ruhebedürftige Herz zur Ruhe kommen. Ein Fest folgt nun wieder dem anderen. Es ist, als wenn Aegypten ihn entschädigen will für die vielen Jahre der Entbehrung und Verkennung. Aber wieder kommen die Gedanken an das letzte Ziel und trüben die Freude. Wieder ergreift ihn die Unrast und treibt ihn weiter. Wenige Tage vor dem Chanukafest verläßt er plötzlich Kairo, um nach der Hafenstadt Damiette zu fahren, von wo aus er mit Hilfe des bereits genannten Abû Sa’îd Chalfon Halevi endlich ans Ziel zu gelangen hofft. In Damiette verweilt er genau vierzehn Tage bis zum elften des Monats Tebet. Hier wird er tief von der paradiesischen Natur Aegyptens ergriffen, die dem Dichter ihre ganze Blütenpracht enthüllt. Noch einmal tritt die Jugend vor seine Augen, alte Träume steigen empor, Träume der Liebe und Freundschaft. Abû Sa’îd versucht ihn zurückzuhalten, wie es jeder in Aegypten versucht hat. Man hatte ihn durch rauschende Feste von dem Ziele seiner Sehnsucht ablenken wollen, das so schön war und doch mit Enttäuschung enden mußte. Schließlich aber muß der Freund doch nachgeben, und am Tage nach dem Fasten des Tebet besteigt Abul Hasan Jehuda Halevi die Barke auf dem Nil, um weiter zu fahren: stromaufwärts oder stromabwärts? Wir wissen es nicht. Mit diesem Tage schließt für uns das Leben Jehuda Halevis. Schließt mit einer Frage: Hat er das Ziel seiner Sehnsucht erreicht? Ist er, wie die Sage erzählt, im Tore Jerusalems von dem Rosse eines daherjagenden Sarazenen zerstampft worden? Oder hat man ihn irgendwo im ägyptischen Sande verscharrt? –

Wir wissen nichts von seinem Ende. Wissen nur, daß er mitten im Jubel der ägyptischen Tage vom Tode redete, vom Grabe, das vor ihm liege, und vom Greisentum, das nun nicht mehr zu verheimlichen sei. Und wenn es wahr ist, daß Todesahnen des Sterbens Anfang ist, so trug er den Keim des Todes schon damals in sich, da er mit zitternder Hand dem Fürsten Samuel die flehenden, von geheimer Angst erfüllten Worte schrieb, mit denen wir sein Leben beschließen wollen:

Wollt ihr Liebes mir vergelten,

Sendet meinem Herrn mich zu:

Eh’ ich unter seinem Zelte

Glücklich nicht das meine stellte,

Find’ ich keine Ruh’.

Haltet mich nicht auf zu eilen,

Da mich schon die Angst erfaßt:

Unter seinem Flügel weilen

Und der Väter Ruhe teilen

Bleibt doch meine einz’ge Rast.

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