XIII

Es bleibt noch übrig, ein kurzes Wort über die Dichtungen Jehuda Halevis zu sagen. Wer sie genießen will, muß es lernen, sich auf die kurze Zeit seines Genießens aller abendländischen Traditionen zu entschlagen. Dieser Dichter ist ein Orientale. Der Orientale dichtet nicht wie der Abendländer. Er weiß nicht, was das heißt: Kunstwerk. Er fängt an zu singen, sorglos, wie er enden wird. Die orientalische Dichtung hat etwas Sprudelndes, geheimnisvoll Bewegliches. Hier fehlt alle Konzeption und Komposition. Nirgends spürt man die bauende Hand, nirgends die Energie zügelhaltenden Künstlertums. Das singt und musiziert wie die Vögel im Walde, endlos jubilierend. Daher die erstaunliche Fruchtbarkeit dieser Poeten aus dem Lande der Morgensonne. Ihre Lieder zählen immer nach Tausenden.

Es ist der tiefe Unterschied zwischen Morgen- und Abendland, der sich hier kundtut. Der Abendländer ist induktiver, der Morgenländer intuitiver veranlagt. Dieser schaut, jener sinnt. Hier Prophet, dort Denker. Der Orientale hängt am Einzelnen, springt über zum Anderen, flüchtet zum Dritten, eines aber bleibt ihm ewig verhüllt: Das Ganze. Die Dinge sind beieinander, nicht ineinander. Das ist kein Vorteil, aber auch nicht immer ein Nachteil. Wo es so liegt, wird die Historie zwar leicht anekdotisch, die Dichtung geistreich. Aber es bleibt dafür alles ursprünglich, nichts erstarrt in der Form, nichts erfriert in der Methode.

Man kann den orientalischen Geist am besten an der Sprache studieren. Im Semitischen wird koordiniert, nicht subordiniert. Es gibt kaum eine Syntax. Die feinen Nüancen unserer Rede sind unmöglich, oder besser gesagt: sie sind teils verborgener, teils umständlicher als bei uns. Woraus die unendliche Schwierigkeit für den Uebersetzer entspringt. Der Uebersetzer muß in den Geist der semitischen Sprachen soweit eingedrungen sein, daß er die verborgenen Nüancen des Beieinander zu spüren vermag. Denn seine Aufgabe ist es, das Koordinierte zu subordinieren, ohne die zartesten Töne zu verwischen. Ist dies gelungen, so wird der Okzidentale den Orientalen begreifen. –

Jehuda Halevi ist ein Kind zweier Kulturen, der arabisch-andalusischen und der jüdischen. Obgleich all seine Dichtungen in klassischem Hebräisch geschrieben sind, ist er doch in seinen profanen Gesängen der echte arabische Rhapsode. So sehr, daß er als Repräsentant der arabischen Dichtung gelten kann: Dieselbe Glut der Farben, derselbe Strom wechselnder Bilder, dieselbe Ungebundenheit der Sprache, dieselbe Gewagtheit sinnlichen Schauens und dieselbe Grazie hinfließender, ewig wandelbarer Stimmungen. Man spürt das Pathos und die Deklamation. Die Lieder der Liebe und die Episteln der Freundschaft sind es vor allem, die Form und Inhalt nach bei Jehuda Halevi echt arabisch sind. Das Kommen und Gehen im Traume, das geheime Wandeln der Seele auf den Pfaden der Liebe, das Suchen nach den verwehten Spuren auf der Freundschaft Trümmern, die Klage um Scheiden und Meiden, die in tausend Tränen zerrinnt, der Ueberschwang der Sehnsucht, die Uebertreibung des Lobes, alles so leicht, so bunt, so redselig ausfließend bis auf den letzten Tropfen, so echt – arabisch.

Am größten aber ist Jehuda Halevi zweifellos in seiner religiösen Dichtung. Dort treffen sich die beiden Welten in ihm. Die Ungebundenheit des Arabers findet hier einen Zügel: Den jüdischen Geist. Dieser Geist, obgleich ebenfalls orientalisch, hat es doch zu einer Aesthetik gebracht. Palästina war der einzige Punkt im Morgenlande, wo echtes Künstlertum wuchs: ein Künstlertum des Lebens. Die Harmonie des Einheitsgedankens im All, die Akkorde der Völker in der Weltgeschichte, die Zentralität Israels, des Kleinods, das waren mächtig ordnende und bauende Gedanken. Und vor allem: Für Jehuda Halevi war es lebendiges Leben. Darum offenbart sich nirgends so wie in seiner religiösen Poesie sein Künstlertum. Hier ist er auch der Moderne am verwandtesten: Ueberall geschlossene Reihen, abgetönte Stimmungen, harmonische Steigerungen und Lösungen. Die Poesie der Andeutung, die ohne höchste Einheit des künstlerischen Bewußtseins nicht zu erreichen ist, finden wir hier in wunderbar zarter Vollendung. Die geheimsten Wirkungen moderner Stimmungen werden hier ausgelöst. Bedenken wir, daß der Dichter dem Zeitalter der deutschen Minnesänger angehört, so müssen wir geradezu erstaunen über die Differenziertheit seiner Empfindungen. Sie wird verständlich, wenn wir erwägen, daß er in seinem Lande das Kind einer blühenden Hochkultur gewesen ist.

So bewundern und verehren wir in ihm zweierlei zu gleicher Zeit: Die ursprünglichste Natur einer verschwendenden Dichterseele und die höchste Geisteszucht eines zwei Kulturen in sich vereinenden Genies. Damit hat die Dichtergröße Jehuda Halevis ihren Namen erhalten.

Nun aber möge er selbst zu euch sprechen, in all seiner Schwere und all seiner Grazie. Vielleicht daß er Seelen findet, die mit seiner Seele klingen. Dem, der ihn übersetzt hat, ist er Offenbarung geworden. Wer ihn aber immer lesen mag, er stehe still vor ihm. Hier ist heiliger Boden: Ecce poeta.

[1] Eine Art von Derwischen, die ein Leben in Kontemplation führen.

[2] Dajan ist der jüdische Gemeinderichter.

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