Der Anti-Nihilist

Es gibt nur ein Heldentum auf der Welt: die Welt zu sehen, wie sie ist, und sie zu lieben.

Romain Rolland.

Nietzsche hat den Weltkrieg vorausgesagt. Über den Gegensätzen der Nationen will sich Europa zu einer großen Einheit gestalten. Napoleon, »der erste und vorangehendste Mensch neuerer Zeit«, war der Vertreter und Vorkämpfer dieses Gedankens. Aber indem er ihn gewaltsam verwirklichen wollte, rief er die mächtige Gegenwirkung des neunzehnten Jahrhunderts hervor. Der Prozeß des werdenden Europäers bedurfte der Anpassungskunst. Diese wurde gestört. Dank der krankhaften Entfremdung, welche der Nationalitätswahnsinn zwischen die Völker Europas legte, traten wir in »das klassische Zeitalter des Krieges« ein. Freilich nicht nur des Krieges der Waffen, sondern auch des Krieges »der Mittel, der Begabungen, der Disziplin«. So mußte die Krisis zum Ausbruch kommen, die Europa nunmehr zur Überwindung der früheren Ideale und zu neuen Zielsetzungen führen kann.

Auch die demokratische Bewegung, welche die Anähnlichung der verschiedenen Nationen fördert, beschleunigt die Erschütterung und Zersetzung der seitherigen kulturellen Werte. Und auch die moralische Entwicklung hat diesen Auflösungsprozeß genährt. Sie hat durch eine seit Jahrtausenden anerzogene Wahrhaftigkeit bewirkt, daß sich diese Wahrhaftigkeit gegen die Moral selbst wendet und sie skeptisch prüft.

Aber nicht nur den Weltkrieg hat Nietzsche vorausgesagt, sondern auch das Anwachsen jener Bewegung, die wir heute erleben. Auf die selbst gestellte Frage, was die nächste Folge sei der krisenhaften Vernichtung dessen, was seither am höchsten geschätzt wurde, lautet seine[186] bedeutsame Antwort: die Heraufkunft des Nihilismus.

Wenn von Nihilisten die Rede ist, denken wir an Zerstörungswütige, an Vernichter der zivilisatorischen Errungenschaften. Das tut auch Nietzsche. Aber nicht diese »ungesundeste Art Mensch in Europa« allein hat er im Auge. Er faßt den Begriff viel weiter und damit kultureller. Nicht aus sozialen Mißständen ist der Nihilismus erstanden, sondern seine Wurzeln gründen tiefer. Sowohl der aktive Nihilismus der Zerstörung als auch der passive Nihilismus der Ziellosigkeit entspringen der gleichen Ursache. Diese Ursache sieht Nietzsche in der Entwertung der alten Ideale.

Da ergibt sich nun eine überraschende Selbsterkenntnis. Insofern wir freieren Menschen – voran Nietzsche selbst – diese Entwertung in uns erleben, sind auch wir Nihilisten. Daran läßt sich nichts deuteln. Wir bleiben es, sofern wir das Nein-Sagen nicht überwinden. Das aber vermögen wir nur, indem wir uns neue Ziele setzen. Unser passiver Nihilismus – das sei den Allzufriedfertigen zwei- und dreimal gesagt – ist ein Zeichen von Schwäche. Mag er ein Heilmittel im Buddhismus und der Mystik suchen oder in heilloser Zwiespaltigkeit auf jede Art Sinngebung verzichten: er entstammt dem Mangel an Instinktsicherheit.

Diese Schwäche lehrt uns Nietzsche bekämpfen. Ihr tritt er schöpferisch als Anti-Nihilist, als neue Werte setzender Philosoph, als Gesetzgeber der Zukunft, als Verherrlicher alles dessen, was stark macht, entgegen in einer selbstherrlichen Mächtigkeit, wie sie die Menschheit nur selten erlebte. Die Entwertung der alten Ideale erfaßte er als seine negative Aufgabe, die Umwertung in neue Ideale bedeutet sein positives Ziel. Auch er mußte verneinen und zerstören, aber nur um neu zu bejahen, neu aufzubauen.

[187]

Als »eine Umwertung aller Werte« bezeichnete Nietzsche daher das große, unvollendet gebliebene Werk »Der Wille zur Macht«, das er hauptsächlich in den Jahren 1884–88 niederschrieb.

Sein erstes Buch zeigt uns nach Nietzsches Plan den europäischen Nihilismus als die Gefahr der Gefahren. Ungeheuere Gewalten sind entfesselt, die sich widersprechen und sich gegenseitig vernichten, weil die positive Richtung nach einem zweckbestimmenden Ziele fehlt. Das zweite Buch des »Willens zur Macht« zeigt uns in seiner Kritik der bisherigen höchsten Werte die überall zutage tretende Disharmonie zwischen den Idealen und den Bedingungen ihrer Verwirklichung. Im dritten Buche wird uns alsdann das Problem des Gesetzgebers aufgedeckt und das Prinzip einer neuen Wertsetzung gezeigt und im letzten Buch, »Zucht und Züchtung«, gesagt, wie diejenigen Menschen beschaffen sein müssen, die alle Eigenschaften der modernen Seele haben, aber stark genug sind, sie in lauter Gesundheit umzuwandeln.

Nach diesem vorgefundenen Plan wurden die in vielen Heften erhaltenen Einträge Nietzsches nachträglich geordnet. Wir dürfen sie nur zum Teil als Aphorismen bezeichnen, da sie noch nicht ihre endgültige Form erhielten. Aber der mit den früheren Werken vertraute Leser findet in dieser Unvollendetheit eine Anregung mehr, wenn er erratend und mitschaffend veranlagt ist. Er versteht, daß hier eine Gegenbewegung zum Ausdruck kommt, bestimmt, in irgendeiner Zukunft den Nihilismus abzulösen.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst nochmals das eine: Nietzsche will nicht dem Volke, noch allen, die mit diesem zu glauben vermögen, Religion und Moral nehmen, sondern er wendet sich ausschließlich an jene, die diesen Glauben verloren haben und einer neuen Sinngebung bedürfen.

[188]

Der Pessimismus ist die Vorstufe des Nihilismus. In seinem moralischen Verurteilen liegt bereits die Abkehr vom Willen zum Dasein. Jede rein moralische Wertsetzung endet mit Nihilismus, sobald ihr Glaube an eine überweltliche Autorität erschüttert wird. Mag diese Autorität als Gott, Gewissen oder Vernunft bezeichnet werden, immer bleibt ihr Zweck, um das Wollen eines eigenen Zieles herumzukommen und die Verantwortung von sich selbst abzuwälzen. Damit, daß die Moral die Natürlichkeit, die mächtigsten und zukunftvollsten Triebe des Lebens verleumdete, führte sie notgedrungen zu einer Schwächung aller lebenerhaltenden und lebensteigernder Kräfte. Sie hat es getan und tut es noch heute. Und darum lehrt Nietzsche als ihr grundsätzlicher Gegner: das Nein zu Allem, was schwach macht, was erschlafft, das Ja zu Allem, was stärkt, was Kraft aufspeichert, was das Gefühl rechtfertigt. Das aber heißt den Willen zur Macht als segensreich anerkennen. »Das Leben ist nicht Anpassung innerer Bedingungen an äußere, sondern Willen zur Macht, der von innen her immer mehr ›Äußeres‹ sich unterwirft und einverleibt.« Diese Definition gilt es festzuhalten. Der Nihilismus bedeutet im Gegensatz hierzu: Wille ins Nichts.

Als Stärkste erweisen sich heute jene, die keine extremen Glaubenssätze nötig haben, die, welche einen guten Teil Zufall, auch Unsinn nicht nur zugestehen, sondern lieben, die, welche vom Menschen mit einer bedeutenden Ermäßigung seines Wertes denken können. Denn das sind Menschen, die ihrer Macht sicher sind und die erreichte Kraft des Menschen mit bewußtem Stolze repräsentieren.

Die äußere Beweglichkeit des modernen Menschen ist trotz ihrem Prestissimo im Tempo kein Zeichen der Stärke. Sie entspringt allzusehr der Reaktivität und gibt ihre Kräfte teils in zweckloser Aneignung, teils in zielloser Abwehr aus. Dadurch erfolgt eine tiefe Schwächung[189] der Spontaneität. Auch die extreme Bewußtheit des modernen Menschen, die Selbstdurchschauung, Selbstzergliederung sind Zeichen einer ungeheueren Dekadence; denn starke Rassen, starke Naturen sind nicht auf das unbegrenzte Begreifen, noch auf die bloße Spiegelung eingestellt, ihre Kraft liegt im Unbewußten. Die moderne Toleranz ist Unfähigkeit zu Ja und Nein, die moderne Objektivität Mangel an Person, Mangel an Wille, Unfähigkeit zur Liebe. Nicht die Verderbnis des Menschen, sondern seine Verzärtelung und Vermoralisierung sind der Fluch, wie uns die allgemeine Verdüsterung beweist.

Und doch gelangt Nietzsche bereits im ersten Buch des »Willens zur Macht« – vorausgesetzt, daß die Anordnung seinen letzten Absichten entspricht – dazu, hoffnungsvoll auf Anzeichen der Erstarkung auszublicken. Die Gesundheit nimmt zu, die wirklichen Bedingungen des starken Leibes werden heute besser erkannt und allmählich geschaffen, die frühere Rangordnung wird umgekehrt, nicht mehr die Priester, sondern die Immoralisten als Fürsprecher des Lebens bestimmen die Wegrichtung, eine freudigere wohlwollendere Goethischere Stellung zur Sinnlichkeit wurde erreicht, unser Verhältnis zur Erkenntnis, zur Moral, zur Politik, zur Kunst, zur Natur selbst ist natürlicher geworden. Es gibt Anzeichen dafür, daß man sich weniger als früher seiner Instinkte schämt und diese »Verböserung« als etwas Höheres empfindet. Die Zivilisation als Tierzähmung des Menschen verliert an Einfluß zugunsten der Kultur, die eine Entwicklung der Willenskraft für ihr Wachstum voraussetzt.

Das zweite Buch des »Willens zur Macht« beginnt mit einer Kritik der Religion. Außer Stirner hat kein Philosoph mit solchem Radikalismus alle mit großen Worten gepriesenen Idealvorstellungen, all die Schönheit und Erhabenheit, die wir den wirklichen und eingebildeten Dingen geliehen haben, als Eigentum und Erzeugnisse der Menschen zurückgefordert.

[190]

Wenn wir heute jemanden fragen, wie kommt es, daß wir dies oder jenes vermögen, und er erwidert: kraft eines Vermögens, so erscheint uns diese Antwort lächerlich. Aber wenn wir auf die Frage, was die Ursache sei, daß wir denken und fühlen, die Antwort hören: der Geist, die Seele, so ist diese Erklärung, weil sie uns mit einem Wort anderen Stammes dient, deshalb nicht weniger naiv. Nach dieser Methode aber verfährt der Christ, wenn er die Hoffnung, die Ruhe, das Gefühl der Erlösung usf. auf ein Inspirieren Gottes zurückführt. Er wagt es nicht, sich selbst als Ursache starker Affekte, noch des Gefühles der Macht zu setzen; er setzt dafür eine stärkere Person, eine Gottheit ein. Diese psychologische Logik haben Moralisten und Philosophen eben so ausgenutzt wie die Priester. Immer handelt es sich dabei um eine nihilistische Verminderung des Lebens.

Fragen wir uns ohne alle Voreingenommenheit: inwiefern nützt die aus dem Christentum erstandene Moral dem Leben, inwiefern schadet sie ihm? Ohne Zweifel hält sie den maßlosen Menschen, der der Selbstbeherrschung unfähig ist, in Zaum. Das ist ihr Segen. Aber was tut sie andererseits? Sie untergräbt den Genuß des Lebens, die Dankbarkeit gegen das Leben; sie wirkt seiner Verschönerung, seiner Veredelung auch seiner ehrlichen Erkenntnis entgegen. In eins zusammengefaßt: die Moral hemmt die Entfaltung des Lebens. Und da das Leben Willen zur Macht ist, da es – wohl uns, daß es so ist! – die höchste Erscheinung zu verwirklichen strebt im höheren Menschen der eigenen Wertsetzung, tritt Nietzsche immer wieder der Gemeingültigkeit der christlichen Moral entgegen. Sie selbst verfährt geradeso unmoralisch wie jedwedes Ding auf Erden. Der höhere Mensch darf sich nicht verleiten lassen, ihr das rangbestimmende Gesetz seines Wesens unterzuordnen. Er begeht ein psychologisches Verbrechen, wenn er Unlust und Unglück in Unrecht und Schuld umfälscht, starke[191] Lustgefühle als sündhaft verlästert, sich entpersönlichen läßt; denn sein Höchstes ist: der Mut zu sich selbst, die Liebe zur unidealisierten Natur und Wirklichkeit.

Die Herkunft der Moral wurde von Nietzsche bereits in der »Genealogie der Moral« in genialer Weise neu erkannt, die Prüfung ihrer Wertschätzungen unternahm er, bis ins einzelnste vordringend, im »Willen zur Macht«. Das Wort »Ideal« wird von Nietzsche in zweierlei Bedeutung angewandt, die wir streng auseinanderhalten müssen. Wo es Sinn und Ziel bezeichnet, die der Einzelne auf Grund seines Wesens sich setzt, wo es auf das Bild hinweist, das seinem Selbst vorschwebt, bekennt sich Nietzsche nach wie vor zu ihm; aber insofern es nur ein Produkt der »Wünschbarkeiten« ist, die Religion und Moral heilig gesprochen haben, wird es von ihm seines Zaubers entkleidet. Jenes Ideal bestimmt den Weg zum Wachstum, zu einem höheren Typus Mensch, dieses bedeutet die Wahnvorstellung einer abstrakten Vollkommenheit. Jenes führt zur Selbstbejahung, dieses zur Selbstverneinung. Mit jenem lebt man in positiven, mit diesem in negativen Gefühlen. Nie soll man sein Ideal als das Ideal wahllos verallgemeinern wollen. So bestimmte es Goethes hohe Selbsteinschätzung, so auch Nietzsches aristokratischer Radikalismus. Denn damit hebt man die natürliche Rangordnung der Geister auf.

Der Starke anerkennt, daß Gut und Böse sich gegenseitig bedingen, genau so wie Lust und Schmerz sich komplimentär ergänzen; sein Ideal der Tüchtigkeit umschließt den ganzen Menschen. Der Schwache dagegen will nur das Gute gelten lassen, wie er das Glücksgefühl auch ohne die notwendige Voraussetzung eines Gegensatzes für möglich hält; sein Ideal der Tugendhaftigkeit begnügt sich mit dem halben Menschen. Tugendhaftigkeit in seinem Sinne entmannt den Menschen.

Wir Immoralisten, so lernen wir mit Nietzsche verkünden, wollen nicht die Macht der Moral vernichten,[192] aber wir wollen Herr über sie werden; denn der wirkliche Mensch stellt einen viel höheren Wert in unseren Augen dar, als der »wünschbare« irgendeines seitherigen Ideals.

Vielleicht gelangen wir durch Nietzsche dazu, den Willen zur Macht auf eine Lust am Schaffen als seinen Ursprung zurückzuführen, obwohl sich diese immer nur an dem Quantum gesteigerter und organischer Macht mißt, also an der Erhöhung des Lebensgefühls. Vielleicht, denn »erst die Unschuld des Werdens gibt uns den größten Mut und die größte Freiheit« und lehrt uns »die Welt als ein sich selbst gebärendes Kunstwerk« betrachten.

Versuchen wir Nietzsches Philosophie unter dieser Optik zu schauen. Der Egoismus des Künstlers ist der Trieb nach seinem Material. Der Künstlerwille, der am Typus Mensch arbeitet, sieht die niedere Art als Unterbau an, auf der eine höhere erst stehen kann. Damit jedoch Wesen von höchstem Werte wirklich erstehen, müssen günstige Zufälle zu Hilfe kommen. Was der künstlerische Erzieher von sich aus zu steigern vermag, das ist: Mut, Einsicht, Härte, Unabhängigkeit, Gefühl der Verantwortlichkeit. Auch ein göttliches Jasagen zu sich aus animaler Fülle und Vollkommenheit. Und ferner, nein zu allererst: die Achtung vor sich selbst. Dann wird er die Wehr- und Waffentüchtigkeit auch im Geistigen zu wahren wissen. Der Künstler am Menschen verlangt die Herrschaft über die Leidenschaften, nicht deren Schwächung oder Ausrottung. Denn der große Mensch ist groß durch den Freiheits-Spielraum seiner Begierden. Höher als: Du sollst! steht: Ich will! Höher als ich will, steht: Ich bin!

Es ist ein großer Irrtum, in diesem Ideal eine Steigerung dessen zu sehen, was man bisher einen freien Geist nannte, denn diese Freiheit strebte in die Breite; der heroische Künstler-Tyrann aber will den Menschen ins Hohe statt ins Bequeme und Mittlere züchten, er[193] ist im Verkehr mit Menschen immer darauf aus, etwas aus ihnen zu machen. Aus Liebe? Ja! Aber nicht aus sklavischer Liebe, sondern aus jener göttlichen Liebe, welche zugleich verachtet und liebt und das Geliebte umschafft, hinaufträgt.

Der wahre »königliche Philosoph« ist ein solcher Künstler am Menschen, ein Gesetzgeber solcher Wertbestimmungen, ein Befehlender, ein Schaffender; denn alles Wissen ist ihm nur ein Mittel zum Schaffen. Dazu aber taugt keine Schwäche-Moral, sondern nur eine leiblich-geistige Disziplin, welche stark macht. Ein solcher Philosoph ist einsam, nicht weil er allein sein will, sondern weil er nicht seinesgleichen findet. »Les aigles ne volent point en compagnie«, sagte Galiani. Er hat es schwer, sich oben zu erhalten inmitten der niederziehenden gefährlichen Stromschnellen der Zeit. Er darf mit weit größerem Rechte von sich sagen, als es Christian Morgenstern so witzig bemerkte: »Ich möchte nicht leben, wenn Ich nicht lebte«; denn er hat nur sich und seinen Schaffenswillen, verbunden mit der Hoffnung, daß es an der Zeit ist: im großen Stil die widersinnliche Moral des latenten Christentums zu überwinden, diesen Todfeind der Höhensteigerung des Menschen. »Macht ist an sich böse.« Dieses Wort Schlossers sollte die Macht verurteilen. »Macht ist an sich böse.« So klingt es auch aus Nietzsche uns entgegen, aber als Rechtfertigung des Bösen. »Der mächtigste Mensch, der Schaffende müßte der böseste sein, insofern er sein Ideal an allen Menschen durchsetzt gegen ihre Ideale und sie zu seinem Bilde umschafft. Böse heißt hier: hart, schmerzhaft, aufgezwungen.« Die theoretische Philosophie gelangt zu der Erkenntnis: »es ist alles nur subjektiv«. Auch Nietzsche urteilt nach dieser Erkenntnis, aber sie gewinnt bei ihm einen helleren Klang, eine freudigere Farbe, sie lautet bei ihm: »es ist auch unser Werk! – seien wir stolz darauf«!

[194]

Der »Wille zur Macht« zeigt uns im Entwurf, wie sich Nietzsche seine Philosophie der Zukunft dachte. Nur der eigene Wunsch, die eigene Unentschiedenheit ist der Vater des Gedankens bei jenen, die da glauben, Nietzsche wäre bei längerem Leben und Schaffen am Ende doch wieder zum Christentum zurückgekehrt. Nichts, aber auch rein gar nichts weist auf diese Möglichkeit hin. Er fühlte und dachte hellenisch und ist diesem Gefühl treu geblieben. Will man seine Philosophie auf eine konzentrierte Formel bringen, so darf man sagen: Der Sinn der Welt liegt im Werden, der Sinn des Lebens liegt im Werten. Wir kennen keine »wahre Welt« des Seins als Gegensatz einer Welt des Scheins. Jene würde eine Welt ohne Aktion und Reaktion bedeuten, aber die Welt, die wir lebend erfühlen und erkennen, ist fortdauernd das Ergebnis von Betätigung und Widerstand im Lichte unseres Schätzens und Wertens. Und wahrlich mit dieser Erkenntnis läßt sich tapfer leben, mit ihr kann man »allen Gewalten zum Trotz, sich erhalten«. Und nicht nur sich erhalten, sondern wachsen und sich entfalten.

[195]

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