Der Dichter

Wer weiß, ob nicht auch der Mensch wieder nur ein Wurf nach einem höheren Ziele ist.

Goethe.

Hüte dich Nietzsches tiefstes und persönlichstes Werk »Also sprach Zarathustra« mit dem bloßen Verstande erkennen zu wollen! Diese Mahnung sollte man jedem Leser zurufen. Denn in diesem Werke spricht und singt ein Dichter. Wer mit den Augen zudringlich ist als Erkennender, wie sollte der von allen Gründen mehr als ihre vorderen Gründe sehen, gemahnt uns Nietzsche. »Manche Seele wird man nie entdecken, es sei denn, daß man sie zuvor erfinde.« Das gilt nicht nur von der Seele eines Menschen, sondern auch von der Seele einer Dichtung. In jeder Mahnung, daß ein Kunstwerk erschaut, erfühlt, erlebt werden müsse, liegt die Forderung, daß es in uns zeugen soll, damit die nachschaffende Phantasie zu einem Gebilde von symbolischer Bedeutung gelange.

Wenn man der Dichtung des »Zarathustra«, wie es meist geschieht, nur poetisch umkleidete Lehrsätze entnimmt, so gelangt man nur zu den Vordergründen, nicht aber zu der Seele. Läßt man dagegen Zarathustra selbst und alle Gestaltungen des Werkes lebendig vor den Augen der Phantasie erstehen, so erfaßt man gefühlsmäßig den mythischen Sinn. Wir bedürfen keiner schulmeisterlichen Kommentare, wie Naumann und Weichelt sie lieferten, um in den Geist des Werkes einzudringen. »Also sprach Zarathustra« ist kein Lehrgebäude für Dogmatiker. Es ist auch kein Roman, der unsymbolisch genossen werden kann. »Mich ekelt davor, daß Zarathustra als Unterhaltungsbuch in die Welt tritt; wer ist ernst genug dafür?« schrieb Nietzsche an Gast. Aber das Buch will auch nicht als das Evangelium einer neuen geoffenbarten Religion verstanden werden. »Hier redet kein[143] Prophet, keiner jener schauerlichen Zwitter von Krankheit und Willen zur Macht, die man Religionsstifter nennt.« Es ist auch keine Predigt. »Hier redet kein Fanatiker, hier wird nicht gepredigt.«

Was aber ist »Also sprach Zarathustra«? Nietzsche hat uns auf diese Frage eine Antwort gegeben, der mehr als bildliche Bedeutung zukommt. Er hat gesagt: »Man darf vielleicht den ganzen Zarathustra unter die Musik rechnen; – sicherlich war, eine Wiedergeburt zu hören, eine Vorausbedingung dazu.« Und schon früher, bald nach der Entstehung des ersten Teils hatte er an Gast geschrieben: »Unter welche Rubrik gehört eigentlich dieser Zarathustra? Ich glaube beinahe unter die Symphonien.« Nach der Fertigstellung des dritten Teiles fragte er den treuen Mithelfer: »Sind Sie zufrieden auch mit dem Finale meiner Symphonie?« Und ein Jahr danach bezeichnete er mit den gleichen Worten den vierten Teil in einem Briefe an Paul Heinrich Widemann. Aber auch viel später, nämlich in seiner autobiographischen Skizze »Ecce homo« heißt es: »Man muß vor allem den Ton, der aus diesem Munde kommt, diesen halkyonischen Ton richtig hören, um dem Sinn seiner Weisheit nicht erbarmungswürdig Unrecht zu tun«, und weiterhin: »Es ist ein Vorrecht ohnegleichen, hier Hörer zu sein.« Fast könnte man von »Zarathustra« sagen, was Nietzsche einmal vom Buch eines Musikers sagte: es sei nur zufällig nicht mit Noten, sondern mit Worten geschrieben. Der Phönix Musik war mit »leichterem und leuchtenderem Gefieder« an ihm vorübergeflogen, ehe er den »Zarathustra« dichtete.

»Die Musik ist die Melodie, zu der die Welt der Text ist«, sagt Schopenhauer. Gehen wir unsererseits von der Welt, der dichterisch erschauten Welt Zarathustras aus, so gilt es also, die Melodie zu finden, zu der sie der Text ist. Da es uns nicht gegeben ist, sie ertönen zu lassen – eine solche Musik würde die erschöpfendste[144] Interpretation des »Zarathustra« sein –, so müssen wir versuchen, durch das Wort wenigstens den wesenhaften Charakter der Melodie zu erschließen.

Ich bin mir der Schwierigkeiten bewußt, die eine solche Betrachtung bietet, aber ich wage sie trotzdem; denn Nietzsche selbst hat uns den Weg gewiesen. In seinem frühesten Plane des Werkes stehen als Disposition des ersten Buches die bedeutungsvollen Worte: »Im Stile des ersten Satzes der Neunten Symphonie. Chaos sive natura: Von der Entmenschlichung der Natur.« Entmenschlichung der Natur will in diesem Falle sagen: Rückkehr zu Dionysos, dem schöpferischen Willen der Natur, der sich aus dem Chaos entwickelt.

Rufen wir uns nochmals das Bekenntnis Schillers in das Gedächtnis: »Die Empfindung ist bei mir anfangs ohne bestimmten und klaren Gegenstand; dieser bildet sich erst später. Eine gewisse musikalische Gemütsstimmung geht vorher, und auf diese folgt bei mir erst die poetische Idee.« Diese Worte hat Nietzsche in der »Geburt der Tragödie« zittert, um aus der ursprünglichen Identität des Lyrikers mit dem Musiker die Entstehung der griechischen Tragödie zu erklären, in der die Musik gleichsam sichtbar wurde. Die dionysisch-musikalische Verzauberung sprühte, von Apollo berührt, Bilderfunken um sich, lyrische Gedichte, die in ihrer höchsten Entfaltung Tragödien und dramatische Dithyramben heißen. So auch haben wir uns die Entstehung des »Zarathustra« zu erklären.

Welche Sprache war einer solchen Dichtung gemäß? Man gefällt sich noch immer darin, eine stilistische Verwandtschaft mit der Bibel zu behaupten. Aber so zahlreich die Anklänge an einzelne Bibelworte sein mögen, meist als Umkehrungen, es lag Nietzsche ebenso fern, stilistisch von der Bibel auszugehen, als von ihrem Geist. Zarathustra ist nichts weniger als eine Parallelerscheinung zu Jesus, wie Weichelt doziert, sondern er ist aus[145] dem Geiste der Antike entstanden. Welche Sprache war also einer solchen Dichtung gemäß? Nietzsche selbst hat uns die Antwort gegeben: »Die Sprache des Dithyrambus. Der Dithyrambus ist ein Hoch- und Festgesang zu Ehren des Schöpferwillens der Natur, ein Preisgesang zu Lob und Verherrlichung des Dionysos. Im dionysischen Dithyrambus wird der Mensch zur höchsten Steigerung aller seiner symbolischen Fähigkeiten gereizt.«

Wie haben wir »Also sprach Zarathustra« zu verstehen? Antwort: symbolisch. »Alles was geschieht ist Symbol, und indem es vollkommen sich selbst darstellt, deutet es auf das übrige,« sagt Goethe, der uns immer wieder am sichersten in Nietzsches Geisteswelt einführt, wenn es gilt, aus den Mysterienpfaden innerer Erlebnisse und Umkehrungen des einsamen Philosophen mit ihm zu sonniger Höhe zu gelangen. Symbolisch also und nicht dogmatisch haben wir »Zarathustra« zu verstehen. Es bedeutet daher einen entschiedenen Fehlgriff, wenn Richard M. Meyer ihn ein »dramatisch-didaktisches Epos« nennt.

Symbolisch verstanden, verkündet uns Zarathustra als notwendige Voraussetzung für die Steigerung des Lebens: die Zusammengehörigkeit von Lust und Leid und die Heiligsprechung dieses Bundes durch die Liebe zur Ewigkeit. »Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises …!« Mit diesem Satz, sind die drei ersten Teile des »Zarathustra« gekennzeichnet, aus denen ursprünglich das Werk bestand und auf die wir uns zunächst beschränken.

Als Fürsprecher des Lebens, des zur Höhe des Übermenschen aufstrebenden Lebens lernen wir Zarathustra im ersten Teile kennen. Als Fürsprecher des Leidens, das im Schaffenden sich selbst überwindet, kehrt er im zweiten Teil zu seinen Jüngern zurück. »Schaffen, das ist die große Erlösung vom Leiden und des Lebens[146] Leichtwerden. Aber daß der Schaffende sei, dazu selber tut Leid not und viel Verwandlung.« Und als Fürsprecher des Kreises bejaht er im dritten Teil Leid und Lust. »Alles geht, alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, alles blüht wieder auf; ewig läuft das Jahr des Seins.«

Öffnen wir weit die Augen, um die Vision der Zarathustra-Symphonie als Dichtung zu schauen! Wir sehen Zarathustra, den rüstigen Mann von vierzig Jahren, als Wanderer vom Gebirge herabsteigen. Dorthin in Vergessenheit trug er einstmals die Asche der fremden metaphysischen Gedanken seiner Jugend. In der Bergeinsamkeit erstand ihm seine Lehre vom schöpferischen Willen. Ihr Feuer bringt er nunmehr in die Täler. Nicht zu den Gottesfürchtigen, für die der alte Gott noch lebt, denn sie bedürfen seiner nicht, wohl aber zum Volke, das den alten Glauben verloren hat. Ihm verkündet er: alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus. Auch der Mensch, der heutige Mensch ist etwas, das überwunden werden muß. Seht ein Ideal über euch! Ich lehre euch den Übermenschen! Aber das Volk verlangt nach Glück im Behagen, das nur im klugen Verzicht auf jedes höhere Wachstum erreicht werden kann.

Da erkennt Zarathustra: nicht zum Volke darf ich reden, um verstanden zu werden, sondern nur zu einzelnen berufenen Gefährten. Ihnen verkündigt er, daß der in Ehrfurcht tragsame Geist sich mit Löwenmut zunächst sein »ich will!« erobern muß, dann aber noch einer weiteren Verwandlung bedarf, damit eine neue erste Bewegung, ein heiliges Ja-Sagen erstehe. Das Motiv der Entmenschlichung der Natur, chaos sive natura, ertönt in geheimnisvollen Akkorden. Es erheischt: Rückkehr zur Unschuld des Kindes! Wie das Kind in Unschuld spielt, so muß das Schaffen des Menschen, der neue Werte setzt, ein Spiel der Unschuld sein. »Das schaffende Selbst schuf sich Achten und Verachten,[147] es schuf sich Lust und Weh. Der schaffende Leib schuf sich den Geist als eine Hand seines Willens.«

Zarathustras Reden verweisen die Freunde auf die Gefahren, die dem schöpferischen Willen drohen: durch Genügsamkeit, Verlästerung der Natur und des Leibes, Verebbung der Tugend, Verflachung der Bildung und auch durch Wachstum des Gutseins ohne gleichzeitige Kräftigung der Triebe. Je mehr ein Baum hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker müssen seine Wurzeln erdwärts streben, abwärts ins Dunkle, Tiefe – ins Böse. Das gleiche Motiv, das sich zu Anfang verheißungsvoll aus dem Schöpfungsmotiv entwickelte, beschließt auch den ersten Teil: »Tot sind alle Götter: nun wollen wir, daß der Übermensch lebe.«

Also belehrt Zarathustra seine Jünger und läßt sie dann allein, damit der ausgestreute Samen, unbeeinflußt durch ihn selbst, aufgehen möge. Er wandert zurück in das Gebirge und in die Einsamkeit seiner Höhle.

Monde und Jahre vergehen. Eines Morgens aber kommt die Kunde zu ihm, daß seiner Lehre Bildnis entstellt wurde und ihm der Verlust seiner Freunde droht. Wiederum sehen wir ihn in die Täler hinabsteigen und über weite Meere zu den glückseligen Inseln fahren, wo seine Freunde wohnen.

»– und erst, wenn ihr mich alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren. Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde ich dann meine Verlorenen suchen; mit einer andern Liebe werde ich euch dann lieben.« Nietzsche hat diese Worte des ersten Teils als Motto des zweiten verwendet; aber aus diesem Motto »ergeben sich, was dem Musiker zu sagen fast unschicklich ist, andere Harmonien und Modulationen als im ersten Teile«, heißt es in einem Briefe an Gast. Andre Harmonien und Modulationen! Aber das Leitmotiv des schöpferischen Willens beherrscht auch diesen zweiten Teil der Zarathustra-Symphonie. Zu ihm gesellt sich das Thema des Leidens.

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Bewußte seelische Leidensfähigkeit ist ein Maßstab der kulturellen Höhe eines Menschen. Der niedere Mensch leidet stumpf und dumpf. Die bewußte Leidensfähigkeit erstreckt sich auch auf das Mitleiden am Schicksal anderer. Wer Nietzsches Philosophie kennt, weiß bereits, welche Gefahren Nietzsche für die Höherentwicklung im Mitleiden sah. Auch hierin, wie sonst, kommt durch Zarathustra die eigene Gesinnung und Lebensanschauung des Dichters zum Ausdruck. Er verkündet den »höheren« Menschen, die allein er nunmehr als seine Jünger ansieht: »Wehe allen Liebenden, die nicht noch eine Höhe haben, welche über ihrem Mitleiden ist.« Denn erst diese große Liebe opfert sich und den Nächsten dem Aufstieg zum Ideal. Darin müssen alle Schaffenden hart sein. Hart vor allem gegen sich selbst, streng gegen sich auch gegenüber der Hingebung an metaphysische Trosthintergründe. Denn, lehrt Zarathustra anti-metaphysisch im zweiten Teile des Werkes den höheren Menschen: »Gott ist eine Mutmaßung: aber ich will, daß euere Mutmaßung begrenzt sei von der Denkbarkeit.«

Überall, wo diese Grenzen überschritten werden, sieht Nietzsche Gefahren für den Aufstieg. Das gilt vom religiösen Glauben an Rache, Strafe, Lohn, Vergeltung. Das gilt aber auch von der Erkenntnis, die Selbstzweck bleibt, von der Moralität, die nicht die Bedingtheit aller Wertungen einsieht, von der Erhabenheit, der die Schönheit mangelt, von der atavistisch überladenen Bildung, von der untätigen Beschaulichkeit und Menschenverachtung, wenn sie in unproduktiver Resignation auf Illusionen verzichtet, die für das schöpferische Leben unentbehrlich sind. »Damit das Leben gut anzuschauen sei, muß sein Spiel gut gespielt werden: dazu aber bedarf es guter Schauspieler.«

In Illusionen wiegen sich vor allen die Eitlen. Ihr Spiel gilt Nietzsche als eine Arznei gegen die Schwermut. Und darum schont er die Eitelkeit. Im Spiel des Lebens müssen wir die Furchtsamkeit überwinden, die[149] vor dem Gedanken erschrickt, daß die Verknüpfung von Lust und Leid sich niemals löst, sondern ewig währt, wo immer Leben waltet. »Großes vollführen ist schwer: aber das Schwerere ist, Großes befehlen.« Nicht bedarf es des Pathos hierzu; denn »die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt«. Noch wagt Zarathustra nicht den abgründigsten dieser Gedanken auszusprechen, und so sehen wir ihn nochmals in die Einsamkeit zurückkehren.

Errichtete der erste »Zarathustra« den Menschen ein Ideal als Ziel ihres Strebens über sich selbst hinaus: den Übermenschen, lehrte der zweite »Zarathustra«, was auch am Guten noch unzulänglich, noch feige, also schlecht ist, so enthüllt der dritte »Zarathustra«, was am Bösen schöpferisch und stark, also gut ist: Wollust als Gartenglück der Erde, als aller Zukunft Dankesüberschwang an das Jetzt, Herrschsucht als Machtlust des Hohen, Selbstsucht, die das Ich heil und heilig spricht in gesunder Liebe. Der Wille zur Vernichtung wird verherrlicht; denn wer radikal denkt und fühlt und das Starke will, muß das Schwache verwerfen. Soll der Weizen blühen, müssen wir das Unkraut ausjäten. Und darum zerbricht Zarathustra die alten Tafeln, die Weichherzige beschrieben haben, und stellt neue Tafeln auf, die bestimmen: »Das Beste soll herrschen, das Beste will auch herrschen! Und wo die Lehre anders lautet, da – fehlt es am Besten.« Zu diesem Besten aber ist dem Menschen auch sein Bösestes nötig.

Zarathustra ist reif für seine Früchte geworden. Nun erst ist ihm die Kraft des Befehlenden gegeben, nun erst vermag er den Freunden seine höchste Wahrheit zu verkünden, die da besagt: dieses Leben ist zugleich dein ewiges Leben. Nicht Beifall und Zustimmung der Erkenntnis genügen, sondern es bedarf der entschlossenen Tatkraft, um das ungeheuere, unbegrenzte Ja- und Amensagen zum Leben in Wirksamkeit treten zu lassen. Nicht[150] der Geist allein, sondern der Mut zum eigenen Selbst muß sprechen: »War das das Leben? Wohlan! Noch einmal!« Auch der Überwindung des Ekels bedarf es, damit der ewige Lebenswille bewußt seinen Sieg feiere. Nun verkündet Zarathustra die Lehre der Ewigen Wiederkunft des Gleichen. »Alles bricht, alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet, alles grüßt sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins.«

Man achte darauf, wie oft in aller Beredsamkeit Zarathustras sich nun die Sehnsucht des Dichters ankündigt, mit der Macht der Musik zu sprechen und wie seine Sprache sich auf das innigste dem Klang unmittelbar vermählt. »Mit Tönen tanzt unsere Liebe auf bunten Regenbögen.« Er will den Singe-Vögeln das Singen ablernen und verkündet seinen Tieren: »Daß ich wieder singen müsse – den Trost erfand ich mir und diese Genesung.« Seine Tiere antworten ihm: »Sprich nicht weiter, mache dir zuerst eine Leier zurecht, eine neue Leier.« Und er spricht zu seiner Seele: »Aber willst du nicht weinen, nicht ausweinen deine purpurne Schwermut, so wirst du singen müssen, o meine Seele! – singen, mit brausendem Gesange, bis alle Meere still werden, daß sie deiner Sehnsucht zuhorchen …« Und nun folgt jener wunderbare »Das andere Tanzlied« überschriebene Dithyrambus der in den unsterblichen Tönen ausklingt:

O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
»Ich schlief, ich schlief –,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht:
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh –,
Lust – tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit –,
– will tiefe, tiefe Ewigkeit!«

[151]

Nietzsche hat uns später diese Worte dahin erläutert: so reich ist Lust, daß sie nach Wehe durstet; weil sie sich selber will, darum will sie auch Herzeleid! »Schmerz ist auch eine Lust, Fluch ist auch ein Segen, Nacht ist auch eine Sonne!«

Aber selbst nach diesen Klängen fand Nietzsche noch eine Steigerung in dem »Ja- und Amenlied: Die sieben Siegel« mit dem siebenmal wiederkehrenden Refrain: »Denn ich liebe dich, o Ewigkeit!«

So wurde im dritten Satz der Zarathustra-Symphonie der Ewigkeitsgedanke zum herrschenden Leitmotiv.

Man behauptete immer wieder, zwischen der Lehre des Übermenschen und der Lehre der Ewigen Wiederkunft klaffe ein Widerspruch. Aber dieser schließt sich von selbst, wenn wir beides im Sinne Nietzsches in symbolischer Bedeutung verstehen.

»Der Übermensch ist unsere nächste Stufe.« In diesen Worten Nietzsches ist gesagt, daß wir den Übermenschen nicht etwa nur als Maximum im Menschen latenter Fähigkeiten zu betrachten haben, sondern recht wohl als ein Ideal, das organisch und sozial zur Entfaltung kommen soll, ohne daß durch seine Realisierung das ideale Streben sein Ende erreicht. »Um die Mitte der Bahn entsteht der Übermensch.« Er bedeutet diejenige Stufe, auf welcher der Mensch sich selbst und dem Leben in dem Maße gut wird, daß er Lust wie Leid bejaht; denn alle Dinge sind verkettet. Diese unbedingte Lebensbejahung findet ihr Symbol in der Lehre der Ewigen Wiederkunft.

Nicht das also entscheidet, daß diese Lehre als Dogma geglaubt, sondern daß der Gedanke als eine Möglichkeit nicht nur ertragen wird, sondern gewollt wird, um so den Ewigkeitswert alles Tun und Lassens zu besiegeln. Wir haben es bereits ausgesprochen, daß diese wesenhafte Bedeutung auch dann gewahrt bleibt, wenn wir[152] nicht an eine gleichmäßige Wiederholung, sondern an Wandlungen der andauernden Schöpfung denken.

Ob wir uns diese Ewigkeitsbewertung als Kreis oder als Spirale vorstellen, in beiden Fällen sind wir nicht etwa an die Lehre der Metamorphose (der Seelenwanderung), wohl aber an die der Palingenesie gebunden. Vortrefflich hat Schopenhauer beide definiert. »Sehr wohl könnte man unterscheiden Metamorphose als Übergang der gesamten sogenannten Seele in einen anderen Leib – und Palingenesie als Zersetzung und Neubildung des Individui, indem allein sein Wille beharrt und die Gestalt eines neuen Wesens annehmend, einen neuen Intellekt erhält.«

Sehr richtig sagt Oskar Ewald: »Der vulgäre Mensch sieht Phänomene kommen und gehen, der höhere Mensch sieht seine Kontinuität hinter den Phänomenen.« Dieser Glaube an eine Kontinuität wird durch Nietzsches Lehre der Ewigen Wiederkunft symbolisiert.

Fragen wir uns zum Schlusse, welches ist also die Idee, die in der Dichtung des »Zarathustra« als Wiederspiegelung einer dionysisch-musikalisch empfundenen Willenskundgebung zum Ausdruck kommt, so können wir sie imperativistisch in die Worte fassen: Fühle, denke, wolle, handle so, daß unter der Oligarchie höherer Menschen eine Kultur möglich wird, in der sich der harmonische Vollmensch, gesund an Körper und Geist, der zum Gesetzgeber berufene Übermensch wurzelhaft zu entwickeln vermag, der nicht des Ausblicks auf ein anderes Leben bedarf, sondern dieses Leben als sein ewiges Leben lebt und seine höchste Bejahung in dem Verlangen findet: Ist dies das Leben? Wohlan noch einmal! Denn ich liebe dich, o Ewigkeit!

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