Zarathustra vor dem Könige.

»Es ist nicht mehr die Zeit für Könige: die Völker sind es nicht mehr wert, Könige zu haben.

Du hast es gesagt, König: das Bild, das vor dem Volke hergeht, das Bild, an dem sie alle zu Bildnern werden: das Bild soll dem Volke der König sein.

Vernichten, vernichten sollst du, o König, die Menschen, vor denen kein Bild herläuft: das sind aller Menschheit schlimmste Feinde!

Und sind die Könige selber solche, so vernichte, o König, die Könige, so du es vermagst!«

»Meine Richter und Fürsprecher des Rechts sind übereingekommen, einen schädlichen Menschen zu vernichten; sie fragen mich, ob ich dem Rechte seinen Lauf lassen wolle oder die Gnade vor dem Rechte.«

»Was ist das Schwerere zu wählen für einen König, die Gnade oder das Recht?«

»Das Recht,« antwortete der König; denn er war milden Sinnes.

»So wähle das Recht und laß die Gnade den Gewaltmenschen als ihre eigne Überwältigung.«

»Ich erkenne Zarathustra, sagte der König mit Lächeln: wer verstünde wohl gleich Zarathustra auf eine stolze Weise sich zu erniedrigen? Aber das, was du aufhobst war ein Todesurteil.«

Und er las langsam daraus und mit halber Stimme, wie als ob er mit sich allein sei: »Des Todes schuldig – Zarathustra, des Volkes Verführer.«

»Töte ihn, wenn du die Macht dazu hast« – rief Zarathustra auf eine furchtbare Weise abermals; und seine Blicke durchbohrten die Gedanken des Königs.

Und der König trat nachsinnend einige Schritte zurück, bis hinein in die Nische des Fensters; er sprach[164] kein Wort und sah auch Zarathustra nicht an. Endlich wandte er sich zum Fenster.

Als er aber zum Fenster hinausblickte, da sah er etwas, darob die Farbe seines Angesichtes sich verwandelte.

»Zarathustra,« sagte er mit der Höflichkeit eines Königs, »vergib, daß ich dir nicht gleich antwortete. Du gabst mir einen Rat: und wahrhaftig, ich hörte gerne schon auf ihn! – Aber er kommt zu spät!«

Mit diesen Worten zerriß er das Pergament und warf es auf den Boden. Schweigend gingen sie voneinander.

Was der König aber von seinem Fenster aus gesehen hatte, das war das Volk: das Volk wartete auf Zarathustra.

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