10. Eugenie.

Als ich am andern Morgen erwachte, traf mein erster Blick Tante Ulriken, welche vor meinem Bette stand und die Langschläferin wohl schon eine geraume Weile angeschaut hatte, denn sie nickte mir freundlich zu und sagte: »Wie schön du geschlafen hast, kleine Grete, ich mochte dich wahrlich nicht stören, obwohl es schon spät ist. Du schienst sehr angenehm zu träumen, denn du lachtest so eben wie ein Kind im Schlafe.«

»Mir träumte von unserer neuen Hausgenossin, Tantchen,« sagte ich, mich im Bett empor setzend. »Sie machte eben einen recht lustigen Streich: denn unserm guten alten Pudel hatte sie ihren feinen Spitzenkragen umgebunden, und die hellblauen Pantöffelchen an die Füße gezogen. Eben wollte sie ihm noch einen Schleier überwerfen, dann sei das Fräulein fertig, wie sie sagte, da erwachte ich. Wie kann man nur so dummes Zeug träumen!«

»Nun unsere übermüthige Eugenie wäre solcher Streiche wohl fähig,« lachte die Tante.

»Jetzt will ich aber aufstehen, denn sonst überrascht sie mich gar noch im Bett, sie ist vielleicht an frühes Aufstehen gewöhnt,« sagte ich eifrig und griff nach meinen Kleidern, um mich geschwind fertig zu machen.

»O,« sagte die Tante, indem sie sich auf mein Bett setzte, »da brauchst du dich nicht sehr zu beeilen, Eugenie liegt wie du noch in den Federn, ich war eben in ihrem Zimmer. Sie schlief zwar nicht mehr, sondern lag mit offenen Augen im Bett und schien gelesen zu haben, zum Aufstehen aber hatte sie noch keine Lust. Sie ist eben ein verwöhntes Kind, das thut was ihm beliebt. Für's erste muß ich sie schon ruhig bei ihren Launen lassen, so schwer es mir wird, ich rechne auf ihren richtigen Verstand und ihr gutes Herz, welche sie mit der Zeit wohl auf bessern Weg bringen werden. Dein Beispiel, mein Gretchen, soll mich in der Erziehung Eugeniens unterstützen; denn im Umgange mit dir, mein gutes Kind, wird sie bald einsehen, wer von euch Beiden auf dem richtigsten Wege ist, ein brauchbarer Mensch zu werden.«

»Mein Beispiel, Tantchen?« rief ich verwundert. »Wie kann ich armes, ungeschicktes Bauermädchen ein Beispiel für die elegante, feingebildete Eugenie sein? Das sagst du wohl nicht im Ernste!«

»Doch, mein liebes Kind,« entgegnete die Tante liebevoll, »du bist ein natürlich einfaches Mädchen, das zwar noch wenig feine gesellschaftliche Bildung besitzt und gar mancherlei Dinge noch lernen muß, ehe ihre Erziehung vollendet ist; aber dein bescheidener Sinn und dein einfach sittiges Wesen können der hochfahrenden Eugenie trotz all' ihrer feinen Bildung und ihrer äußeren Eleganz gar wohl zeigen, was ihr fehlt, und wer von euch Beiden einen größeren inneren Werth besitzt. Eugenien fehlt bei all' ihrer äußeren Vollendung doch die recht eigentliche Bildung, ich meine die Bildung des Herzens, und diese, hoffe ich, wird sie hier bei uns mit der Zeit erhalten. Das arme Kind hatte bis jetzt leider wenig Gelegenheit, sich hierin zu vervollkommnen, möchte es noch nicht zu spät sein, und möchten wir diesem reichbegabten Wesen geben können, was ihm noch so sehr fehlt.«

Die Tante zog mich liebevoll an ihr Herz, während ich stumm und demüthig mein erglühendes Gesicht an ihrer Schulter barg. Ach ich war unsäglich glücklich über die Worte der geliebten Tante! Wohl oft schon hatte sie mir durch einige zufriedene Aeußerungen oder Blicke gezeigt, daß sie nicht unzufrieden mit mir war, und daß ich trotz meiner vielen Thorheiten dennoch ihre Liebe und ihr Vertrauen besaß, aber so viel Lob war mir noch nie von ihr zu Theil geworden. Fast hätte ich stolz und eitel davon werden können, aber die Tante kannte mich genug, um zu wissen, daß ihre Worte bei mir diese Folgen nicht haben würden; denn ich fühlte gar wohl, wie sie mich durch ihr Lob nur etwas sicherer und selbstbewußter Eugenien gegenüber machen wollte, bei welcher meine ängstliche Bescheidenheit durchaus nicht angebracht war. Offenherzig gestand ich der Tante diesen Gedanken, und ihr feines Lächeln bestätigte meine Vermuthung.

»Du bist ein kleiner Schalk, Gretchen,« sagte sie heiter. »So ganz fehlgeschossen hast du freilich nicht; denn ich kann nicht leugnen, daß ich allerdings herzlich wünsche, du möchtest dich recht fest in den Sattel setzen, um im Laufe mit Eugenien von ihr nicht herausgeworfen zu werden, was ihren Uebermuth sehr vermehren würde. Aber ich hoffe, es wird schon gehen, wenigstens that Eugenie gestern schon einige Aeußerungen über dich, welche mir zeigten, du habest ihren Capricen tapfer die Stirn geboten. Damit hast du dir schon ein gutes Theil Terrain bei ihr erobert, und das ist mir lieb zu hören.«

Ich erzählte der Tante lachend mein gestriges Gespräch mit Eugenien, das sie sehr ergötzte.

»Ja ja, auf seiner Hut muß man bei dem Blitzmädchen sein,« sagte sie, »denn vergiebt man sich bei ihr erst einmal etwas, so hat man das Spiel verloren. Nun halte dich tapfer; für dich wird aus dem Umgange mit ihr auch gar vielerlei Gutes erwachsen, wenn du es wohl zu nützen verstehst. Aber jetzt eile dich mit deiner Toilette, sonst überrascht dich Eugenie am Ende wirklich noch im tiefsten Negligée.«

Ich kleidete mich mit Tantchens Hülfe schnell an und hatte die Freude, von ihr abermals ein Lob zu erhalten, wie nett und richtig ich jetzt alles machte, was zur Toilette gehört. »Entsinnst du dich noch des ersten Morgens, Gretchen?« fragte sie neckend. »Weißt du noch, wie ich da nicht aufhören konnte zu verbessern und zu reden? Weißt du, wie du mit den nackten Füßen zum Bett heraus fuhrest, und als Hemdenmätzchen an der Erde hocktest? Wie du dich ohne Wasser wuschest und endlich eine ganze Sündfluth um dich her verbreitest?«

»O still, still, Tantchen! Wie sollte ich das vergessen haben?« rief ich, der Tante den Mund zuhaltend. »Damals dachte ich nicht, daß ich es dir je würde recht machen können, das kann ich dir jetzt ehrlich gestehen. Nachgerade aber ist mir nun doch einige Hoffnung gekommen, daß dein dummes Backfischchen noch ein vernünftiger Mensch werden könnte.«

»Die Zeit wird es ja lehren,« sagte die Tante mir zunickend. »Jetzt geh und sieh, ob Eugenie nicht bald kommt, sonst müssen wir ohne sie frühstücken, mein Magen hat wegen meiner kleinen Faulpelze jetzt lange genug gefastet.«

Ich eilte in Eugeniens Zimmer, um die Cousine zum Frühstück abzuholen. Aber wie erstaunte ich, als ich die junge Dame noch im Bett und eben im Begriff fand, ihre Chocolade zu schlürfen, welche Lisette ihr präsentirte.

»Guten Morgen, Gänseblümchen!« rief sie mir fröhlich entgegen und gebot ihrer Jungfer, das Frühstück neben ihr Bett zu stellen. »Was habt ihr für gräuliches Zeug von Chocolade hier im Hause!« fuhr sie, den Mund verziehend, fort. »Das ist ja süßer Mehlbrei für Wickelkinder, pfui! Mama soll mir augenblicklich von unserer Vanillechocolade schicken, hörst du Lisette! Schreib es gleich auf den Bestellzettel. Aber du mein Himmel! Heilige Margarethe, schon fix und fertig in den Kleidern?« rief sie dann, mich verwundert vom Kopf bis zu den Füßen anblickend. »Was hast du denn vor, willst du verreisen, daß du dich so früh schon anziehst?«

»Nein, das thue ich stets, Eugenie!« sagte ich gleichmüthig. »Die Tante sieht es nicht gern, wenn junge Mädchen im Morgenrock umher gehen, weil sie es für Verwöhnung hält.«

»Nun da wird sie sich bei mir wohl daran gewöhnen müssen,« entgegnete Eugenie schnippisch und strich die feine Stickerei ihres Nachtjäckchens am Handgelenk glatt. »Ich bin kein Bürgermädchen, das gleich aus dem Bette auf die Straße muß, meine Bequemlichkeit lasse ich mir nicht stören.«

»Jeder nach seinem Gefallen, liebe Cousine,« erwiederte ich achselzuckend. »Ich habe es mir zur Pflicht gemacht, allen Wünschen der Tante nachzukommen, und so thue ich auch dies, obwohl auch ich an Morgenrock und Häubchen gewöhnt war. Jetzt finde ich es selbst sehr angenehm, gleich früh fertig zu sein, man gewinnt sehr viel Zeit dabei.«

»Bah, Zeit! Was habe ich davon!« rief Eugenie spöttisch. »Der Tag ist ohnehin lang genug.«

»Ich möchte ihn stets noch einmal so lang haben, die Zeit vergeht mir immer viel zu schnell,« erwiderte ich.

»Du bist eine Närrin, Gänseblümchen,« rief Eugenie ärgerlich. »Aber was willst du eigentlich bei mir, kommst du etwa nur, um mir wieder eine Predigt zu halten? Den Anlauf dazu nimmst du schon wieder.«

»Ich habe das Gespräch nicht angefangen, Eugenie!« sagte ich kurz. »Ich kam nur, dich zum Frühstück zu rufen; da du dasselbe aber für dich allein einzunehmen für gut findest, so habe ich weiter nichts hier zu suchen.«

Dabei wandte ich mich nach der Thür und wollte gehen. Ein schallendes Gelächter Eugeniens traf mein Ohr, und unwillkürlich blickte ich nach ihr zurück.

»Du bist eine kostbare kleine Kratzbürste!« rief sie lustig. »Nun gehst du schnurstracks zu unserer wohllöblichen Tante und berichtest ihr brühwarm, was sich allhier so eben zugetragen, und wie ich der heiligen Margarethe höchsten Zorn erregte. Und dann setzt ihr beiden Tugendexempel euch einander gegenüber und weint heiße Thränen über das räudige Schaf, das unter eure fromme Heerde gekommen.«

»Rede doch nicht solchen Unsinn, Eugenie!« entgegnete ich, indem ich gegen meinen Willen lachen mußte. Da die Tante mich jedoch erwartete, eilte ich zur Thür hinaus, hinter mir drein aber flog einer der seidenen Pantoffeln, welche das lose Mädchen mir nachsandte.

Die Tante schüttelte den Kopf, als ich ihr von diesem Morgenbesuche erzählte, und wir tranken ziemlich still und ernst unsern Kaffee. Aber noch waren wir nicht damit fertig, so öffnete sich die Thür, und Eugeniens rosiges Gesichtchen schaute zu uns herein.

»Da ist sie doch!« rief ich freudig überrascht und eilte ihr entgegen. Auch die Tante stand auf, der Ankommenden die Hand zu reichen, Eugenie aber schritt feierlich zu uns heran und sagte salbungsvoll:

»Wo zwei oder drei beisammen sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen!«

Ich erschrak über diesen Frevel, als hätte ich selbst die Sünde begangen, die Tante aber blickte rasch auf, dunkle Gluth färbte ihre Stirn, und finster, wie ich sie noch nie gesehen, schaute sie Eugenien an.

»Unbesonnenes Mädchen!« sprach sie streng, »laß mich nie wieder dergleichen frevelhafte Worte hören! Leichtsinn und Unarten will ich dir verzeihen, aber wer Spott mit dem Heiligsten treiben kann, von dem will ich nichts mehr wissen, für den habe ich nur noch die tiefste Verachtung. Ich hoffe, du siehst ein, wie unverantwortlich du gehandelt und bereust es von Herzen!«

Eugenie stand erschrocken vor der zürnenden Tante und hatte ihre kecke Haltung ganz verloren. Sie faßte sich zwar endlich wieder und wandte sich etwas verlegen zur Seite, aber der tiefe Ernst der Tante ließ jegliche Erwiderung auf ihrer Lippe ersterben, und schweigend setzten wir unser Frühstück weiter fort. Eugenie fühlte sich augenscheinlich dabei höchst unbehaglich, denn bald stand sie auf und machte sich im Zimmer zu schaffen. Endlich öffnete sie den Flügel und ließ die Finger über die Tasten gleiten, ohne rechten Zusammenhang zwar, aber so kunstvoll und meisterhaft, daß ich erstaunt aufhorchte.

»Spiele uns doch etwas, liebes Kind,« sagte Tante Ulrike sanft, und herzlich erfreut, daß sie aus dem Dilemma durch Tante's gütige Anrede erlöst worden, ließ Eugenie nun ihre Finger im raschen Spiele über die Tasten rollen. Es war ein wirklicher Genuß, ihr zuzuhören, denn Anschlag, Geläufigkeit und Vortrag, alles war so vortrefflich, wie ich es selten gehört hatte. Dem Spiel folgte bald auch Gesang, und die reine hohe Sopranstimme sowie der ungemein ansprechende Vortrag Eugeniens entzückten mich von Neuem, und auch der Tante ernstes Gesicht hellte sich mehr und mehr auf. Musik ist der beste Vermittler, Tröster und Helfer in so manch trüber Lage des Lebens, und auch hier halfen uns die Töne über den unangenehmen Zustand hinweg, in den Eugeniens Thorheit uns versetzt hatte; denn als sie vom Klavier aufstand, reichte ihr die Tante freundlich die Hand und lobte ihre treffliche musikalische Ausbildung.

»Du mußt meine Lehrer loben, nicht mich, Tantchen!« rief Eugenie, sich nachlässig auf das Sopha werfend. »Sie haben mich genug damit gequält, mehr als all' die Lappalie werth ist.«

»Nun du solltest es ihnen danken, denn du bist durch diese Mühe in den Besitz schöner Talente gelangt,« entgegnete die Tante. Eugenie beantwortete diese Ermahnung aber in ihrer bekannten liebenswürdigen Weise, indem sie den Mund zum Gähnen öffnete, und leise seufzend ging die Tante an ihr vorüber.

Einige Zeit nachher kehrte ich mit dem Ausgabebuche der Köchin aus der Küche in das Wohnzimmer zurück und trug vorsichtig eine Menge kleiner Münzen, welche ich eingewechselt, auf dem Umschlage des Buches. Eugenie ging trällernd an mir vorüber, und ehe ich wußte, wie mir geschah, schlug sie mir Geld und Buch aus den Händen, daß die Münzen rings im Zimmer umher flogen. Wie ein tolles Kind lachte sie dann über ihren muthwilligen Streich, während ich bestürzt niederkniete, die vielen kleinen Geldstücke mühsam aufzulesen.

Aber da trat die Tante, welche alles aus ihrem Cabinet mit angesehen, zu uns heran, gebot mir aufzustehen, Eugenien aber, selbst aufzusuchen, was sie hingeworfen. Eugenie blickte betroffen auf, dann warf sie den Kopf in den Nacken, öffnete die Thür und rief ihre Kammerjungfer herbei.

»Lies die Münzen auf, Lisette!« befahl sie dem eintretenden Mädchen, und schon kniete dieses am Boden, da sagte Tante Ulrike:

»Lisette, geh nur, es ist schon gut.«

Dann aber, als das Mädchen das Zimmer verlassen, gebot sie Eugenien ruhig aber sehr ernst, selbst ihren stolzen Rücken zu beugen und wieder zu verbessern, was sie Thörichtes gethan.

Eugenie wußte nicht, ob sie ihren Ohren trauen sollte; aber der stille Ernst der Tante imponirte ihr doch gewaltig, und ohne eine Erwiderung begann sie das mühsame Werk. Unter Stöhnen und Schelten kroch sie am Boden umher, kaum aber hatte sie eine Hand voll Münzen aufgesammelt, so warf sie mir dieselben voll Ingrimm wieder an den Kopf, und so würde sie nimmermehr zu Ende gekommen sein, hätte ich mich ihrer nicht endlich dennoch erbarmt und ihr beigestanden.

»Ach meine Füße, meine Glieder!« rief sie nun, als wir fertig waren. »Ich bin wie gerädert, es ist mein Tod!« Ich ließ sie ruhig klagen und ging meinen häuslichen Geschäften nach. Als ich wieder zurück kehrte, fand ich sie nicht mehr, und da ich glaubte, sie werde wohl Toilette machen, ging ich nach ihrem Zimmer, ihr zu helfen. Aber wie erschrak ich, sie hier im Bett zu finden. Als sie mich sah, überhäufte sie mich mit Scheltworten und Klagen, sagte, sie werde hier behandelt wie ein Sträfling, und es werde sicher ihr Tod sein, sie fühle sich jetzt schon völlig krank und elend.

Bestürzt eilte ich zu Tante Ulrike, dieser den Zustand Eugeniens mitzutheilen, die Tante aber lächelte über meine Sorgen und sagte ruhig: »Laß nur Kind, Eugenie wird schon wieder gesund werden, aber geh nicht zu ihr, wir müssen sie sich selbst überlassen.« Dann ergriff sie ein Buch und begann unsere tägliche Lektüre, und Lessings geistvolle Worte, die sie mir vorlas, führten meine Gedanken bald in andere schönere Regionen.

Meine Freundin Marie unterbrach nach einiger Zeit unsere Beschäftigung, um sich nach dem neuen Ankömmling zu erkundigen. Da Eugenie aber noch immer nicht sichtbar war, so hatten wir Zeit genug, lange allein mit einander zu schwatzen.

Schon nahte die Mittagstunde, und Marie wollte wieder gehen, da erschien plötzlich Eugenie in der Thür, höchst zierlich angekleidet und stolz und vornehm in Miene und Haltung. Ich stellte ihr meine Freundin vor und fragte nach ihrem Befinden, sie aber lehnte sich matt in den Sessel, nickte Marien kalt einen Gruß zu und schien uns dann nicht weiter zu beachten. Marie entfernte sich bald und war außer sich über Eugeniens Art und Weise, ich suchte sie indeß zu entschuldigen; aber meine Versicherung, daß sie unendlich liebenswürdig sein könne, fand bei meiner feinfühlenden kleinen Freundin durchaus keinen Glauben.

Ich setzte mich still an meine Arbeit, während meine Cousine wieder nachlässig auf dem Sopha ruhte. Ihr helles Lachen überraschte mich aber bald darauf, so daß ich verwundert aufblickte.

»Ist sie immer so blau und so blond?« rief Eugenie lustig.

»Wen meinst du denn?«

»Nun deinen Castor, mein Pollux!«

»Ja, blond ist sie immer, wie ich immer schwarz bin. Und blau trägt sie viel, ich liebe das gerade an ihr. Wie gefällt sie dir denn, Eugenie!«

»Wie einem solch' Butterschäfchen gefallen kann! Es fehlt nur Todtenkopf und Bibel, und die büßende Magdalena ist fertig.«

Ich war empört. Meine Marie, meine vergötterte, herrliche Freundin so zu schmähen, es war abscheulich! Ich wollte eben einige rechte bitterböse Worte erwidern, da fühlte ich mich plötzlich von hinten umschlungen, und Eugeniens schönes Gesicht blickte voll Schelmerei in meine feuchten Augen.

»Richtig, das Wetter wird gleich losbrechen!« rief sie, und küßte mich. »Schleudere deine Blitze nur herab auf mein reuig Haupt, o Kronion, ich verdiene es nicht besser!«

Nun mußte ich wieder lachen, wo ich böse sein wollte, es war nicht auszuhalten mit diesem Mädchen!

»Was machst du denn eigentlich da?« fragte Eugenie und nahm mir meine Arbeit aus der Hand.

»Etwas sehr Häusliches und Prosaisches, wie du siehst, ich stopfe Strümpfe.«

»Du stopfst sie? Um's Himmels willen, warum thust du denn das, das macht doch kein anständiges Menschenkind selbst!«

»Ich wüßte nicht, was bei solcher Arbeit Entehrendes wäre? Die Tante sagt, je weniger Hülfe wir von Anderen brauchten, je besser wären wir daran, denn um so unabhängiger machte man sich von anderen Menschen.«

»Hm, das ist nicht dumm. Machst du dir noch mehr selbst, auch etwa die Kleider und das Weißzeug?«

»Die Wäsche und Kragen natürlich. Und die Tante hat mir versprochen, ich solle auch das Schneidern erlernen, damit ich später auch meiner Mutter und den Schwestern die Kleider machen kann, denn auf dem Lande ist das doppelt angenehm.«

»Aber wo in aller Welt nimmst du denn die Zeit her zu all' den Arbeiten? Das brächte ich ja nun und nimmermehr zu Stande, und wenn der Tag Millionen Stunden hätte!«

»Ja siehst du nun wohl, wozu es gut ist, zeitig aufzustehen und sich gleich anzuziehen? Auf dem Sopha kann ich freilich auch nicht immer liegen, wenn etwas fertig werden soll.«

»Hexe, die du bist!« schmollte Eugenie, und spielte Ball mit meinen aufgerollten Strümpfen.

»Wie geht es dir denn eigentlich, Eugenie,« fragte ich nun theilnehmend, »bist du denn wieder ganz wohl!«

»Das kann dir ganz einerlei sein, da du nicht früher danach gefragt hast,« sagte sie trotzig. »Ich glaube, ich könnte sterben und verderben, ehe sich jemand von euch um mich bekümmerte.«

Ich mußte still vor mich hin lächeln und sah wohl ein, das beste Mittel sie zu kuriren sei, wie Tante meinte, ihre Krankheit gar nicht zu beachten, wer weiß, wie lange sie noch stöhnend im Bette geblieben wäre, hätten wir uns ängstlich und sorgenvoll um sie bemüht.

Am Nachmittag machte die Tante einige Besuche mit uns, um ihren Freunden ihr zweites Pflegekind vorzustellen. Ach welch' ein Unterschied war in Eugeniens Erscheinen bei ihrem ersten Besuche im Vergleiche mit dem meinigen damals! Unwillkürlich sah ich mich armes, hölzernes Mädel, dem Angst und Ungeschick die Röthe der Scham und Verlegenheit auf die Wangen jagte, neben der feinen, eleganten, anmuthigen Eugenie. Wie unendlich liebenswürdig konnte dies Mädchen sein, wenn sie wollte! Und den Fremden gegenüber wollte sie fast immer, deshalb gewann sie bald Aller Herzen, und niemand ahnte, wie schwere Stunden dieses verzogene, launische Kind den Ihren zu Hause bereiten konnte. Auch Marie söhnte sich etwas mit Eugenien aus, da sie am Nachmittage ganz ausgetauscht schien, und freundlich und gesprächig war, wie gewöhnlich.

Sehr ergötzlich fiel der Besuch bei Geh. Rath Delius aus. Amanda schwebte wieder in ihrer bekannten affectirten Weise durch das Zimmer und machte es sich im Lehnstuhle bequem, indem sie bald das Flacon, bald den Fächer oder das Taschentuch handhabte; mich ignorirte sie natürlich gänzlich, aber auch Eugenien behandelte sie so von oben herab, daß mir ganz bange wurde.

Zu meiner Verwunderung schien dies Betragen Eugenien gar nicht zu verletzen. Sie beobachtete Amanda ziemlich still eine Weile, und ich sah es um ihre Lippen zucken wie lauter Lust und Muthwillen. Leise lehnte auch sie sich in ihren Lehnstuhl zurück, noch viel bequemer als Amanda, zog rasch einen Fußschemel herbei, nach dem jene so eben greifen wollte, setzte ebenfalls Riechfläschchen und Taschentuch in Bewegung und sprach noch viel matter und blasirter als ihre Gegnerin. Und das alles war so wenig gemacht, schien so ganz eigene Natur zu sein, daß ich staunend die sonst so frische Eugenie betrachtete.

Amanda wußte augenscheinlich auch nicht, was sie dazu sagen sollte, unwillkürlich erhob sie sich etwas aus ihrer bequemen Lage, suchte ein ordentliches Gespräch anzuknüpfen und zierte sich weniger. Eugenie aber ließ sich nicht stören, gab zwar Antworten, aber ganz in Amanda's bisheriger Art und Weise, und wandte sich viel mehr zu mir armen Dinge, als zu der eleganten Tochter des Hauses. Als jedoch die Geheimräthin selbst mit Eugenien ein Gespräch begann, betrug sie sich wieder so liebenswürdig und fein, wie es stets ihre Art war. Wirklich setzte es Eugenie in dieser Weise mit der Zeit durch, daß Amanda ihr abgeschmacktes Wesen ihr gegenüber aufgab und natürlicher sprach und sich bewegte, und wie sie, so stimmte auch Eugenie ihren natürlicheren Ton wieder an, so daß diese beiden eigenthümlichen Mädchen recht gut mit einander fertig wurden.

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