11. Noch einmal Eugenie.

Ich ging am andern Morgen zeitig wieder nach Eugeniens Zimmer, um zu hören, ob sie wieder ganz wohl sei, und heute empfing sie mich zwar eben so muthwillig wie gewöhnlich, aber doch herzlich und freundlich.

»Willst du meinem Lever beiwohnen, Gänseblümchen?« sagte sie, die Glocke ihres Nachttisches bewegend. »Du sollst auch die Ehre haben, mir höchst eigenhändig das reine Hemdchen über meinen jungfräulichen Nacken zu streifen, und niemand soll dir dein Amt streitig machen. Du kennst doch die schöne Geschichte von Ludwig XIV., der eine halbe Stunde ohne jegliche Hülle im Naturkostüme verharren mußte, nur weil jedesmal in dem Augenblicke, als der Vornehmste seiner Umgebung ihm besagtes Kleidungsstück überwerfen wollte, ein noch Vornehmerer in das Zimmer trat, dem dann dies höchste aller Aemter im großen Staate Frankreich übergeben werden mußte?«

Ich kannte die Geschichte wohl, ließ Eugenien jedoch ruhig erzählen und betrachtete mir indeß die schöne Stickerei ihrer Wäsche.

»Wie schön das alles ist!« sagte ich voll Bewunderung.

»Gefällt es dir?« entgegnete Eugenie gleichgültig. »Suche dir aus, was du willst, das Zeug ist mir alles egal.«

»Aber das kostet ja alles so viel Geld, Eugenie, egal kann es dir doch unmöglich sein!« wagte ich einzuwerfen.

»Bah, Geld!« rief sie achselzuckend. »Was kümmert mich das! Mama sagt, das sei Nebensache, Papa habe genug davon.«

»Aber du könntest es doch besser anwenden, als es so wegzuschleudern, liebe Cousine. Wie viel Freude könntest du Andern machen mit einem kleinen Theil dessen, was du so verschwendest.«

»Besser anwenden? Was meinst du damit, Kleine?«

»Nun wie gesagt, du könntest Andere damit glücklich machen, die weniger haben.«

»Wen meinst du denn? Lisetten gebe ich alles, was sie haben will, und wer mich sonst anbettelt, der bekommt auch immer etwas.«

»Laß gut sein, du verstehst nicht, wie ich das meine, liebe Eugenie,« schloß ich endlich. »Komm lieber und stehe auf, ich habe keine Zeit mehr zu warten.«

Eugenie rief Lisetten an das Bett und streckte derselben einen Fuß nach dem andern entgegen, woran die Zofe erst die feinen Strümpfe und dann die blauseidenen Pantoffeln streifte. Dann löste sie alle Knöpfe und Bänder an dem Nachtkleide der jungen Dame, und diese ließ alles geschehen ohne selbst auch nur einen Finger zu rühren. Ich schaute dem Dinge voll Verwunderung zu, sagte aber kein Wort; doch als sie fertig war, und Lisette ihr alle Knöpfe, Bänder und Haken wieder geschlossen und ihr den feinen weichen Morgenrock übergeworfen hatte, der durchweg mit weißer Seide gefüttert war, bat ich sie scherzend, sie möge nun auch einmal meinem Lever beiwohnen, um sich zu revanchiren. Das ergötzte sie sehr und sie versprach es. Natürlich glaubte ich nicht, daß sie es thun würde und war deshalb höchst erstaunt, sie wirklich am andern Morgen schon neben meinem Bette zu sehen, als ich erwachte.

»Nein solch' ein Faulpelz!« rief sie triumphirend, als ich sie voll Staunen anblickte. »Da nimm dir ein Beispiel an Eugenie, dem braven Mädchen, die hat schon seit drei Stunden Strümpfe gestopft!« Wirklich sah ich einen ganzen Berg Wäsche neben ihr aufgehäuft, und einen Strumpf über ihren Arm gezogen, focht sie mit langer Nadel und Faden heftig in demselben auf und nieder. Bald sah ich wohl, daß sie nur Scherz trieb und keine Idee von der Arbeit hatte, die sie vorgab, ich ignorirte es aber und blickte staunend auf sie hin. Ihr fröhliches Lachen fand dann natürlich sogleich Erwiederung, und ich fand nicht Worte genug, ihren Heroismus zu bewundern, bis sie endlich den ganzen Haufen Wäsche auf die Seite warf und sich im Lehnstuhle behaglich streckte.

»Aber nun rasch aus den Federn!« rief ich und griff nach meiner Wäsche und den übrigen Sachen.

»Machst du das denn selbst, Gänseblümchen?« sagte Eugenie erstaunt und sah auf meine Finger, welche schnell Bänder und Haken lösten und schlossen.

»Natürlich, das macht mir niemand anderes schnell und gut genug!« entgegnete ich. »Es wäre mir unerträglich, solch' Kammermädchen an mir herum zupfen und zerren zu lassen, und zu warten, bis es ihr gefällig wäre, mich zu bedienen. Selbst ist der Mann! Du glaubst nicht, wie angenehm es ist, alles selbst zu machen.«

»Ja diese Lisette ist ein gräulicher Tölpel!« sagte Eugenie nachdenklich. »Du glaubst gar nicht, wie sie mich quält und peinigt durch ihr Ungeschick! Und gerade wenn ich sie brauche, kann sie niemals kommen. Du bist zehnmal besser daran als ich, ich beneide dich wirklich!«

»Aber so versuche doch, dich einmal allein zu bedienen, liebes Herz, dann bist du allen Aerger los,« rief ich lachend und fuhr mit dem Kamme durch mein dichtes Haar.

»Ich kann es ja nicht! Mama sagt immer, es sei unschicklich, sich selbst zu bedienen.«

»Nun weißt du was? Ich werde dir helfen, bis du es kannst, willst du das, Eugenie?«

»Hm, ja, nein, wie du willst! Ich weiß selbst nicht!« stotterte Eugenie und drehte mein Haar um ihre Finger. »Du würdest doch davon laufen, denn ich quälte dich natürlich so lange, bis du es thätest,« setzte sie dann in ihrer lustigen Weise hinzu.

»Nun, darauf wollen wir es ankommen lassen! Soll ich morgen früh kommen?«

»Nein, ich mag nicht, es ist doch unbequem, und du bist mir ohnehin weise genug!« rief sie und warf sich wieder nachlässig auf den Lehnstuhl, ich aber ließ sie in Ruhe, denn hier stürmen oder drängen zu wollen, wäre sehr unklug gewesen. Aber siehe da, am folgenden Morgen saß Eugenie schon am Frühstückstisch, als die Tante und ich in das Zimmer traten, und auf unsere verwunderten Ausrufungen sagte sie leichthin:

»Ich ennuyire mich todt bei meiner einsamen Chocolade, ich will mit euch zusammen frühstücken. Und Gänseblümchen soll nur ihre Dienste Anderen anbieten, ich brauche sie nicht. Ich habe mir heute alles selbst gemacht, da seht her, ob's nicht ordentlich ist!«

Natürlich überhäuften wir sie mit Lobeserhebungen, aber die waren bei ihr nie angebracht, und in komischem Verdruß hielt sie sich die Ohren zu.

Dergleichen kleine Scenen wiederholten sich fast täglich, und so böse wir nur gar zu oft über das unverständige Mädchen sein mußten, eben so sehr söhnte uns bald darauf ihr gutes, herzvolles Betragen wieder mit ihr aus. Es lag ein Schatz von großem Werthe in diesem wunderlichen Geschöpfe, und wer nur die Geduld nicht verlor, der konnte in ihr noch viel Gutes erwecken. Tante Ulrike war ganz die Person dazu, das fühlte auch die leichtsinnige Eugenie gar wohl, und hing in ihrer Weise bald eben so innig an diesem trefflichen Wesen, als ich es in der meinen that. Daß auch ich mich bald der Gunst Eugeniens mehr zu erfreuen hatte, als ich je gehofft, erleichterte mir das Herz unbeschreiblich, liebte ich doch das reizende, wunderliche Mädchen trotz allem, was sie mir anthat, bald aus ganzer Seele.

Aber wie manches hatten wir im Anfange noch zu überwinden, ehe Eugenie etwas vernünftiger wurde! Ich besonders war stets die Zielscheibe ihrer losen Streiche, und doch wußte sie es immer wieder gut zu machen, wenn sie mich gekränkt oder geärgert hatte.

Eines Tages trat ich an meinen Arbeitstisch am Fenster und ordnete die rankenden Schlingpflanzen, welche sich an demselben hinzogen. Dabei wollte ich, wie ich täglich that, das Bild meiner lieben Marie begrüßen und hob die Blätter des Epheu empor, um es besser zu sehen.

Aber erschrocken fuhr ich zusammen, und mit bebender Hand griff ich nach dem geliebten Schatze, um mich zu überzeugen, ob ich mich täuschte. Nein es war kein Irrthum! Eine böse, frevelnde Hand hatte mir verdorben, woran mein ganzes Herz hing. Ein dicker, schwarzer Schnurbart deckte die feinen Lippen des netten Bildes und entstellte das zarte Gesicht der rosig frischen Blondine. Es war zu abscheulich, zu boshaft, und doch konnte man sich des Lachens über den sonderbaren Anblick nicht enthalten.

Daß Eugenie mir diesen Streich gespielt lag außer Frage, denn oft schon hatte sie dies kleine Oelbild verhöhnt, das ich allerliebst fand, sie aber meinte, es sähe aus wie ein Ritterfräulein auf dem Pfeifenkopfe eines Handwerksburschen.

Ich nahm das arme Bild still von der Wand und legte es in den Kasten, schelten konnte ich das lose Mädchen nicht, dazu war mir zu weh um das Herz; aber meine roth geweinten Augen und die leere Stelle über meinem Nähtisch, welche ich durch kein anderes Bild verdeckte, sagten Eugenien wohl, wie sehr ich mich grämte. Bald erfuhr ich auch, daß die Tante sehr ernst über diesen herzlosen Streich mit ihr geredet hatte, und dies war mir lieber, als mich selbst mit ihr darüber zu streiten.

Wie sehr staunte ich nun eines Morgens, als ich den leeren Platz durch ein neues Bild ausgefüllt sah, und zwar ein Bild von meiner lieben Marie, ganz zart und duftig in Wasserfarben gemalt und unendlich viel schöner als das verdorbene! Die frischen Farben und die anmuthigen Züge waren so treu wieder gegeben, daß ich voll jubelnden Entzückens das liebe Bild an die Lippen drückte und außer mir war vor Freude. Wer hatte das gethan! Konnte Eugenie? – aber nein, das war ja ein kleines Kunstwerk, und verstand sie das, wann hätte sie es gearbeitet? Und doch, es sähe ihr so ähnlich! Aber sie selbst würde es nie eingestehen, mich höchstens noch verspotten.

Da kam das Urbild meiner Freude selbst, meine liebe gute Marie! Jubelnd flog ich ihr entgegen und fragte, wer das Bild gemalt.

»Nun Eugenie, wie kannst du daran zweifeln?« sagte Marie. »Sie war ja einige Mal heimlich bei mir, um es zu malen. »Das alte ist ein Monstrum,« sagte Eugenie, »und ich habe es absichtlich verdorben, um ihr ein anderes dafür malen zu können, sonst nähme sie es doch nie von der Wand, und ich hätte mich ewig darüber zu ärgern.«

Das sah ihr ähnlich, aber danken durfte ich nicht dafür, sonst war sie im Stande, dem lieben Gesichtchen abermals einen schwarzen Bart anzumalen. Jetzt erst fiel mir ein, daß sie einige Vormittage allein ausgegangen war, um, wie sie sagte, allerlei zu besorgen. Da war dies Bildchen entstanden. Welch' Talent lag in dem Mädchen! Musik, Malerei, alles konnte sie trefflich, nur davon sprechen, sie loben, das durfte niemand, sie rechnete all' ihr Können der Mühe ihrer Lehrer zu und legte scheinbar gar keinen Werth auf ihre Talente.

Eugeniens Lieblingsthema für ihre Neckereien, deren sie ewig im Sinn hatte, war besonders meine einfach ländliche Garderobe, die freilich gegen die üppig elegante Toilette der verwöhnten Cousine gewaltig abstach. »Nett und sauber!« das war meiner guten Mutter Princip bei Anschaffung neuer Kleidungsstücke; aber freilich drang die neueste Mode nur langsam hinaus auf unser fern gelegenes Landgut, und so mochte ich wohl etwas altfränkisch ausgesehen haben, als ich zu der Tante kam, denn diese hatte schon allerlei Aenderungen an meiner Toilette vorgenommen, so daß ich erstaunlich modisch und zierlich gekleidet zu sein meinte, bis die elegante Eugenie mich durch ihre Garderobe völlig in den Schatten stellte. Aber dieser Abstand in der Erscheinung drückte mich nicht, es paßte eben so ganz zu unser Beider Persönlichkeit, und in Eugeniens köstlichen Kleidern wäre ich gewiß noch viel steifer und ängstlicher gewesen aus Furcht, sie zu verderben.

Ein etwas buntes, schwerfällig gemachtes Kleid war es besonders, das vor Eugeniens Augen durchaus keine Gnade fand und fortwährend Grund zu neuen Neckereien abgab. Aber der Stoff des Kleides war gut und fein, das Kleid noch neu und sauber, und so trug ich es trotz alledem ruhig weiter.

»Es riecht nach Butter und Käse!« sagte Eugenie, wenn sie mich darin erblickte. »Um Gottes Willen geh nicht vor die Stadt, die Kühe halten dich für eine bunte Wiese und wollen auf dir grasen.« Oder auch: »Großmutter, in welchem Winkel deines Strickbeutels stak einmal der kostbare Stoff deines Bratenrockes? Heißt dein Schatz Bauer Michel oder Peter, mit dem du in diesem Staate Hochzeit machen willst?« und was der losen Reden mehr waren. Aber ich kehrte mich, wie gesagt, wenig daran und trug mein geschmähtes Kleid weiter.

Eines Tages jedoch konnte ich es durchaus nicht finden, ich durchsuchte alle Schränke, aber vergebens. Da kam Eugenie an mir vorüber und sagte leichthin: »Ach Gänseblümchen, wenn du etwa dein Großmutterkleid suchst, so bemühe dich nicht länger, das hat jetzt die arme Zeitungskäthe an. Das alte Wesen bat mich um einen warmen Rock für die Kälte, aber du weißt, meine Kleider sind alle so dünn und wärmen nicht. Aber das Butter- und Käsekleid von dir ist so warm und weich, ich dachte, das müßte dem armen Weibe gut thun und gab es ihr. Du bist doch nicht böse darüber?«

Und ohne weiter eine Antwort abzuwarten tanzte sie trällernd davon, ich aber schaute verblüfft drein und wußte nicht, war das Scherz oder Ernst. Wäre es nicht Eugenie gewesen, so hätte ich es für einen Spaß gehalten; aber sie war fähig das zu thun, was sie erzählte, und der leere Schrank sprach nur zu deutlich von der Wahrheit ihrer Geschichte. Das war denn doch etwas zu stark, dieses feine, gute Kleid an solch' armes Weib zu geben, der mit etwas Geringerem viel besser gedient war, und nun gar über das Eigenthum Anderer so willkürlich zu verfügen! Ich ging fast weinend vor Verdruß in mein Schlafzimmer, um mich fertig anzukleiden und der Tante dann mein Leid zu klagen. Aber siehe da, als ich an mein Bett trat, sah ich auf diesem ein wunderschönes violettfarbenes Kleid liegen von einem so köstlich feinen Wollenstoff, daß ich voll Bewunderung stehen blieb und es anschaute.

»Nun ich hoffe, es paßt dir, kleine Gänseblume!« rief Eugenie und schaute zur Thür herein. »Die Schneiderin behauptet dein Maß zu haben.«

»Soll das denn für mich sein?« fragte ich verwundert und hob das reiche Gewand in die Höhe, das mit Sammet und Spitzen wunderschön ausgeputzt war.

»Mama hatte den Stoff zu einem Winterkleide für mich bestimmt,« sagte Eugenie achselzuckend, »doch es gefiel mir nicht. Da es aber immerhin hübscher ist als dein Bratenkleid, so habe ich es dir machen lassen und verschenkte deinen Hochzeitrock, nur damit ich mich nicht vollends todt darüber ärgern muß. Zu bedanken brauchst du dich nicht, denn ich konnte die Farbe für mich nicht leiden. Veilchen sind mir nun einmal schrecklich langweilig, darum mag ich auch ihre Farbe nicht tragen.«

So wußte das sonderbare Mädchen stets die Sachen zu wenden und zu drehen, daß man schließlich weder schelten noch danken konnte, aber das wollte sie eben. Sie hatte ihren Willen, das war die Hauptsache, und alles Andere mußte schweigen. Noch nie im Leben hatte ich ein so schönes Kleid besessen, und freudestrahlend eilte ich damit zur Tante. Diese begrüßte mich lächelnd und sagte, es möge jetzt gut sein, ihre Strafpredigt hätte Eugenie erhalten, denn unrecht sei ihre Handlung bei alledem; aber den Tausch könne ich mir wohl gefallen lassen. Das fand ich auch, denn mit Vergnügen sah ich in Tante's großem Spiegel, daß ich ordentlich hübsch in dem stattlichen Kleide aussah.

»Thust du den Armen gern Gutes, Eugenie?« fragte ich in Folge der Kleidergeschichte, denn lange schon hatte es mir am Herzen gelegen, meine reiche Cousine mit meinen Armen bekannt zu machen, die ich regelmäßig jede Woche besuchte.

»Thu' doch nicht solche Alt-Jungferfragen, Gänseblümchen!« erwiderte Eugenie. »Die Armen sind schrecklich unbequemes Volk, ich kann sie nicht leiden, darum schenke ich ihnen immer schnell etwas, wenn sie an mich heran kommen, dann bin ich sie los.«

»Aber das ist nicht recht, Eugenie, deshalb mußt du es doch nicht thun! Denke doch, wie schrecklich schlimm diese armen Geschöpfe daran sind, denen oft das Nöthigste zum Leben fehlt. Wenn wir ... Aber was machst du denn, was soll denn das heißen?« fuhr ich endlich fort und sah Eugenien zu, welche mir eine schwarze Schürze als Mantel umband und eine Art Thron von Stühlen erbaute.

»Wenn's gefällig wäre, Herr Pastor, die Kanzel ist fertig, predigen Sie dort weiter,« sagte sie mit einer feierlichen Verbeugung gegen mich und setzte sich mit andächtiger Miene mir gegenüber. Natürlich war ich nun mit meinen weisen Reden zu Ende, und das hatte sie nur gewollt. »Du bist so weise, wie du reizend bist!« war sonst ihre gewöhnliche Redensart, wenn ich bei ihrem leichten Geschwätz meine solideren Ansichten nicht unterdrücken konnte, und diese Rede Titania's, mit der sie im Sommernachtstraum den zum Esel verwandelten Weber Zettel begrüßt, war auch für mich eine eben so zweideutige Phrase, da ich von meinen eigenen Reizen gar schwache Begriffe hatte.

Wie Eugenie von meiner Predigt über die Armuth nichts hören wollte, so war sie auch taub gegen meine Bitte, mich zu einigen armen Familien zu begleiten, denen ich in jeder Woche etwas zu bringen pflegte, bald Geld, bald Kleider, bald Essen, was ihnen gerade am nöthigsten that.

»Es riecht so gräßlich bei solchen Leuten, man bekommt es nicht wieder aus den Kleidern heraus. Mein Lehrer nannte diesen Geruch Buttersäure,« sagte sie und gab mir Geld, das ich dem »armen Volke« schenken sollte, nur sie selbst solle man in Ruhe lassen. Natürlich drang ich nicht weiter in sie, aber als ich eines Tages von einem dieser Besuche zurückkehrte, konnte ich nicht unterlassen zu erzählen, wie sehr mich die Noth und das Elend in einer jener Familien ergriffen hätte, in welcher die Mutter krank, der Vater auf Arbeit, und die kleinen Kinder sich selbst überlassen waren.

Eugenie schien kaum auf meine Erzählung zu achten, wie überrascht war ich deshalb, als ich einige Tage darauf wieder zu der armen Familie kam, zu hören, daß eine junge Dame dort gewesen und sie mit Geld und Sachen reich beschenkt, ja den kleinsten Knaben lange auf dem Schooße gehabt und ihm endlich eine kleine goldene Kette um den Hals geschlungen hatte, weil er gar so hübsch sei. Die Kette war von Eugenien, ich kannte sie wohl, und die ganze Beschreibung paßte auch auf sie. Aber erwähnen durfte ich gegen sie nicht, daß ich von ihrem Besuche wußte; schon bei meiner leisen Andeutung zuckten ihre Augenbrauen, das Zeichen ihres Verdrusses, und so schwieg ich, Freude und Bewunderung nur gegen die Tante aussprechend, welcher bei meiner Erzählung die Thränen in die Augen traten. »Wunderbares liebes Kind!« sagte Tante Ulrike, und ihr Herz erwärmte sich mehr und mehr für ihr zweites Pflegekind, in welchem täglich neue treffliche Eigenschaften erwachten.

Und dieser Besuch bei der armen Familie blieb nicht der einzige, den Eugenie machte. Nach und nach hatten sich eine ganze Anzahl armer Leute ihrer Gunst und Fürsorge zu erfreuen; aber durch wen sie diese Armen kennen gelernt, danach durften wir nicht fragen, wie es ihr denn überhaupt unerträglich war, sich beobachtet oder controlirt zu sehen. Tante Ulrike und ich fürchteten freilich nicht ohne Grund, daß Eugenie in ihrer Unerfahrenheit und Güte sicher so manchen thörichten Streich bei Beschenkung ihrer Armen begehen würde, und einzelne werthvolle Gegenstände, welche ich bald bei ihr vermißte, bestätigten unsere Vermuthung. Aber es war da nicht viel zu thun, wollte man Eugenien nicht den ganzen neu erwachten Wohlthätigkeitssinn wieder verleiden. Eines Tages aber gab sie selbst Anlaß zu einem Gespräche über derartige Dinge.

»Ich begreife nicht, Gänseblümchen, wo du das Geld hernimmst, um deine Armen zu versorgen,« sagte sie nachdenklich, als sie von einem ihrer Besuche heimkehrte. »Ich bin nun bald selbst so arm wie eine Kirchenmaus; aber hätte ich noch zehnmal mehr, es reichte doch nicht für all' das, was diesen Leuten fehlt.«

»Ich glaube, du beurtheilst die Bedürfnisse dieser Armen falsch, liebes Kind,« sagte die Tante, welche freundlich zu uns trat. »Von allem, was dir und uns zum täglichen Leben unbedingt nöthig scheint, bedürfen diese Leute nur einen geringen Theil. Wir sind verwöhnter, als wir es selbst glauben, und wären wir in solch' armen Familien aufgewachsen, wir brauchten nur den hundertsten Theil von all' dem, was wir jetzt für nöthig halten. Darum können wir auch mit kleinen Gaben in armen Häusern viel Gutes thun, denn die Bedürfnisse dort sind leicht zu befriedigen.«

»Aber Tante, das finde ich gar nicht!« rief Eugenie lebhaft. »Ich gebe und gebe, daß ich selbst nichts mehr habe, das ist aber alles wie ein Tropfen auf einen heißen Stein, immer brauchen die Leute noch etwas. Vor einigen Tagen komme ich z. B. zur Familie des Maurergesellen Franke. Ich fand sie gerade beim Mittagsbrod, sie saßen rings um den hölzernen Tisch herum, und aßen alle aus ein und derselben Schüssel. Das war mir schon ein schrecklicher Gedanke, nun aber sah ich die Löffel, mit denen sie aßen, und ich schrak ordentlich zusammen, denn es waren ganz alte, schwarze, halb zerbrochene Blechlöffel! Ich fragte, warum sie denn kein Tafeltuch auflegten, und jeder seinen Teller für sich habe, aber da sahen sie sich verlegen an, denn denkt nur, die armen Menschen hatten nicht ein einzig Tischtuch, keine Serviette, nur zwei Teller, und die waren aus braunem Thon, und nur diese abscheulich schwarzen Blechlöffel zum Essen. Ich ging denn sogleich mit Lisetten nach der Stadt, und kaufte eine Menge Teller und Schüsseln, drei Tischtücher mit Servietten, und ein halbes Dutzend silberne Eßlöffel, was ich alles den armen Leuten so eben hinschickte. Aber so geht es mir fast überall, die armen Menschen entbehren ja oft das Allernöthigste, doch wie wenig kann ich ihnen darin beistehen! Beim armen Schlosserhans fand ich die Frau neulich im Bette liegen, aber statt der Nachtjacke hatte sie ein altes Tuch umgeschlungen, Nachtzeug besaß die Aermste nicht. Statt der Matratze hatte sie nur einen Strohsack als Lager, und ihre drei Kinder lagen alle in ein und demselben Bette. Ich besorgte nun gleich allerlei Matratzen und Bettzeug und der Frau einen netten Anzug für die Nacht; aber solche Ausgaben haben mich ganz ausgebeutelt, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.«

»Mein gutes Kind, erlaube mir, daß ich mich deiner Verlegenheit annehme,« sagte die Tante sanft und streichelte Eugeniens Wange. »Was du mir da erzählt, spricht für dein liebes Herz, aber ich kann dir nicht verhehlen, daß du auf einem falschen Wege bist, den Leuten Gutes zu thun. Was ich vorher schon sagte, finde ich bei dir bestätigt: du hältst Dinge für nöthig, welche dem Geringeren durchaus nicht als Bedürfniß erscheinen. Ich bin fest überzeugt, die Schlosserfrau trägt das feine Nachtzeug in eine Leinenhandlung, und läßt sich Geld oder derbes Leinen dafür geben, das ihr nöthiger ist, und das Tischzeug und Tafelservice bei Frankes liegt entweder unbenutzt im Kasten, oder geht denselben Weg, den die silbernen Löffel ohne Frage gehen, nämlich den, zu Geld eingewechselt zu werden.«

»Aber Tante, warum denn? Denke doch, wie nöthig die Leute diese Sachen brauchten und wie froh sie nun sein werden, endlich von einem Tischtuche und von weißen Tellern zu essen, sowie vor allen statt der abscheulichen schwarzen Löffel nun Silber in den Mund stecken zu können!« sagte Eugenie verwundert.

»Nein Kind, darin besteht eben dein Irrthum,« entgegnete die Tante lächelnd. »Du meinst, die Leute hätten diese Sachen bitter entbehrt, weil du sie entbehren würdest, wärest du an ihrer Stelle. Aber sie kennen es ja gar nicht anders, haben nie in ihrem Leben anders gegessen, und werden gar nicht wissen, was sie mit all' den Tellern und gar mit Servietten und Tischtuch anfangen sollen. Das Silber aber bedürfen sie nöthiger, als es in Löffelgestalt in den Mund zu stecken. Dazu dienen ihre alten Blechlöffel vortrefflich, und du darfst ihnen nicht zürnen, wenn sie jenes Silber in Geld verwandelt haben, damit sie dafür etwas anschaffen, was sie mit den schwarzen Blechlöffeln verzehren können.«

Eugenie war ganz gedankenvoll geworden, denn die Rede der Tante erschloß ihr eine ganz neue Ansicht dieser Dinge. Halb verlegen, aber doch endlich in ihrer gewöhnlichen neckischen Laune fing sie an über sich selbst zu spotten und sich lustig zu machen, und in liebenswürdig kindlicher Weise bat sie Tante Ulrike, ihr bei der Sorge für die Armen mit gutem Rathe beizustehen, damit sie den Frauen nicht zuletzt noch Blondenhauben und Tüllschleier und den Männern goldene Schnupftabaksdosen anschaffte als nothwendige Lebensbedürfnisse. Mit tausend Freuden versprach die gute Tante ihren Rath und Beistand, und so konnten wir in der Sorge für unsere Armen jetzt alle gemeinsam wirken. Eugenie entschloß sich mit der Zeit sogar, Röckchen und Schürzen für die Kinder selbst mit nähen zu helfen, und mit stillem Jubel erblickten wir eines Tages gar einen groben grauwollenen Strumpf in ihren feinen Händen, den sie für einen armen Tagelöhner eifrig zu stricken unternommen, nachdem Lisette ihr ihn eingerichtet.

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