15. Allerlei Neues.

»Eine Vorstellung zu wohlthätigem Zwecke«,

so waren die Eintrittskarten beschrieben, welche wir für den Abend, an dem unsere Vorstellung stattfinden sollte, austheilten. Alle Plätze im Saale wurden bald vergeben, und eine reiche Einnahme lohnte unsere Mühen. Aber mit welchem Herzklopfen sah ich den verhängnißvollen Abend herankommen, ein Ball war ja dagegen ein Kinderspiel und wahre Bagatelle! Doch was half alles Zagen; der Abend war endlich da, die Glocke ertönte, und langsam hob sich der Vorhang, der Bühne und Saal von einander trennte. Dumpfes Gemurmel drang aus dem Zuschauerraume bis hinter die Coulissen, in denen wir Spielenden lauschten, bald aber ward es still, und man vernahm die helle Stimme meiner lieben Marie, welche einen kurzen Prolog zu sprechen hatte. Sie bat darin, den Zweck unserer Darstellungen als Entschuldigung für unsere schwachen Leistungen gelten zu lassen und der Kritik, welche heute keine Einlaßkarte erhalten, ja nirgends den Zutritt zu gestatten.

Rauschender Beifall lohnte die heitere Rede, und so sehr ich meine Freundin anfangs bedauert hatte, daß ihr die schwere Aufgabe zu Theil geworden, zuerst und so allein aufzutreten, so sehr beneidete ich sie jetzt; denn sie war nun fertig und konnte ihre phantastische Kleidung, die ihr allerliebst gestanden, abstreifen und in Ruhe unserem Treiben zuschauen.

Nachdem Marie ihren Prolog beendet, erklangen die ersten Töne des Beethoven'schen Trio's, und lautlose Stille herrschte unter der Versammlung. Hohe Pflanzen und Blumen, welche Eugenie voll feiner Rücksicht auf die Schüchternheit ihres Cellospielers hatte aufstellen lassen, verdeckten zum Theil die Musiker, und hinter dieser duftenden Blumenwand führte das kunstfertige Kleeblatt nun das Musikstück zu Ende und erregte einen abermaligen Beifallssturm. Jetzt sang Eugenie ein schönes Lied, und des Baron's Augen strahlten, als er bei uns hinter den Coulissen erschien; all seine Sinne schienen sich in dem einen des Gehörs zu concentriren, mit dem er Eugeniens Gesang lauschte. Er kam erst wieder zu sich, als das Lied zu Ende war, und Amanda dem Gesange ein prächtiges Concertstück folgen ließ. Dann schloß ein Duett, von Eugenien und Dr. Hausmann gesungen, den musikalischen Theil der Unterhaltung.

Nun aber kam der schreckliche Moment: unsere Aufführung mußte beginnen! Wir gaben das heitere Lustspiel Kotzebue's: »Der gerade Weg ist der beste.« Ich hatte die Rolle der jungen Predigerwittwe, welche mit der erledigten Pfarre zusammen vergeben werden soll, und ein sehr heiteres, nicht mehr ganz junges Mädchen übernahm die Rolle der Haushälterin, welche zur Prüfung der Bewerber als diejenige Dame vorgeführt wird, die mit der Pfarre in den Kauf genommen werden soll. Ein alter Major, von Dr. Hausmann mit Perücke, langer Pfeife und angemalten Runzeln prächtig dargestellt, ist Patronatsherr und hat die Stelle zu vergeben, und bei ihm melden sich nun zwei Bewerber. Der eine hat viel Fürsprache und steckt sich hinter alle möglichen Personen, die zu seinen Gunsten sprechen sollen; auf die Bedingung, die Alte zu heirathen, geht er augenblicklich ein, besonders da er hört, sie habe Geld. Der andere Bewerber ist ohne Fürsprache und wendet sich direct an den Major, die Bedingung aber, gleich die Pfarrerin mit in den Kauf zu nehmen, bestimmt ihn, ohne noch dieselbe gesehen zu haben, von der Bewerbung zurück zu treten, bis er denn endlich erfährt, daß die ihm Bestimmte seine frühere Liebe ist, um derenwillen er nie heirathen wollte. Daß er Pfarre und Frau nun bekommt, ist keine Frage, und alles endet vortrefflich.

Leichter als meine ehrbare Rolle der jungen Wittwe war die der alten Haushälterin, deren Auftreten großen Jubel erregte; denn eine ungeheure Haube mit faltenreichen Strichen, sowie eine köstlich altmodische, blumige Contusche gaben ihrer gezierten, selbstgefälligen Erscheinung etwas unbeschreiblich Komisches. Ueberdies spielte sie ausgezeichnet gut.

Trotz meiner Angst und Sorge ging unser Spiel trefflich von statten, keins blieb stecken, der Souffleur that löblich das Seine, und alles fügte sich nach Wunsch in einander. Mir wurde zwar anfangs ganz heiß und drehend, als ich meine Blicke von der Bühne fort nach dem zahlreichen Publikum wendete, aber auch das verging, und der Muth wuchs beim Spiel. Daß auch wir reichen Beifall und Hervorruf ernteten, freute uns sehr, und selbst Eugenie gab mir das Lob, ich sei »ganz passabel« gewesen, ganz die »ehrpußliche kleine Gänseblume, die diese Pastorfrau sein müsse.«

Diesem unserem Lustspiel folgte nun noch ein anderes, das dem Ganzen die Krone aufsetzte, obwohl nur zwei Personen darin auftraten. Es war das reizende Genrebild von Schneider: »Der Kurmärker und die Picarde,« und Eugenie als graziöse Französin, sowie Eduard in der Rolle des braven Soldaten übertrafen alle Erwartungen. Der zierlichen Gestalt Eugeniens schmiegte sich das kleidsame, französische Kostüm trefflich an, und die hohe Mütze der Picarde stand dem schönen Mädchen zum Verlieben hübsch. Der Inhalt des Stückes ist unbedeutend: die niedliche Französin weiß durch Anmuth, Tanz und Schmeichelei den gros lourdand prussien sich günstig zu stimmen, und dieser wieder gewinnt durch treuherzige Gutmüthigkeit die Gunst der Feindin, so daß die Beiden als die besten Freunde von einander gehen. Das bekannte ergötzliche Lied: »O Tanneboom, o Tanneboom, wie grün sind deine Blätter!« sang Eduard so voller Humor, und ließ dabei doch den einfachen ergreifenden Ernst so hindurch fühlen, daß er uns alle tief rührte, und uns selbst die Thränen im Auge standen, als der Gesang des braven Soldaten, vom Schmerz des Heimweh's erstickt, mit Schluchzen endete. Eugeniens zierlicher Tanz im Gegensatz zu den plumpen Sprüngen des guten Deutschen war allerliebst, sie erntete grenzenlosen Beifall und »mon brave« mit ihr.

So war denn alles gut und ohne erhebliche Störung abgelaufen; unsere Aufführungen hatten ungetheilten Beifall gefunden, wir selbst trotz vieler Mühe auch viel Vergnügen dabei gehabt, und, was die Hauptsache, unser Zweck, eine Unterstützung für die Abgebrannten zu erlangen, war glänzend erreicht, denn voll Freude konnten wir den Händen des Barons eine hübsche kleine Summe zur Vertheilung übergeben.

Die Unruhe und Aufregung, in welcher dieser Abend uns Alle eine Zeitlang versetzt hatte, wich nun wieder dem ruhig gleichmäßigen Gange des täglichen Lebens. Der Winter mit seinen langen Abenden versammelte uns meist in Tantes behaglichem Wohnzimmer, dessen »himmlisch altmodische Meubles« jetzt auch der leichtfertigen Eugenie lieb wurden, wie überhaupt unser ganzes behaglich ruhiges Leben. Ein solches kannte sie eigentlich gar nicht, denn ihrer Mutter erschienen die Tage, an denen sie kein Vergnügen vorhatte, völlig verloren, eine trauliche Häuslichkeit war ihr zuwider. Zum Glück lag in unserer Eugenie eine völlig andere Natur, und die tiefe Innerlichkeit ihres Gemüthes gewann mehr und mehr die Herrschaft über ihre bisherigen leichtsinnig weltlichen Neigungen. Uebermüthig und wunderlich blieb sie dabei freilich noch immer, und das verwöhnte Kind schaute noch überall hindurch, aber man mußte doch seine Freude an ihr haben, sie war trotz allem ein gar liebes Geschöpf.

Ihre große musikalische Begabung verschaffte uns in den langen Winterabenden gar manchen Genuß, und in Folge ihrer steten Ermuthigung versuchte auch ich nach und nach, meine kleinen Talente im Klavierspiel und Gesang unter ihrer Leitung zu vervollkommnen. Marie leistete uns häufig Gesellschaft, und auch ihr Bruder Eduard, sowie Dr. Hausmann gehörten zu der frohen traulichen Gesellschaft, die Tantes Wohnzimmer gar häufig belebte. Bald gewannen wir noch ein Mitglied zu unserem kleinen Kreise, und das war unser neuer Freund: der Baron Senft. In großer Gesellschaft sahen wir ihn nie, und auch unser kleiner Kreis schien ihn anfangs zu beängstigen, die Musik aber half ihm bald über alle Bangigkeit fort. Eugenie hatte eine so feine, angenehme Weise, sein linkisches Benehmen zu ignoriren und ihn dreister und unbefangener zu machen, und Tante Ulrike war so herzlich und zutraulich gegen ihn, daß die starre Rinde bald schmolz, und man ihm mehr und mehr Behagen und Wohlsein anmerkte. Dr. Hausmann, der große Reisen gemacht hatte, verstand sehr hübsch von denselben zu erzählen, auch Eduard unterhielt gut, und bald zeigte es sich, wie gebildet und unterrichtet auch der Baron war, dessen Kenntnisse bisher unter Schloß und Riegel gelegen hatten; denn Niemand vermuthete sie bei dem scheuen, stillen Landedelmanne, der jetzt oft ganz lebhaft und gesprächig wurde.

Marie theilte mit mir die feste Ueberzeugung, daß der Baron in Eugenien bis über die Ohren verliebt war, denn man hätte blind sein müssen, um das nicht zu sehen. Wie aber Eugenie dachte, konnte man freilich nicht so deutlich wissen; ihr neckisches Wesen machte sie unberechenbar, und sie entschlüpfte flink und gewandt, wollte man sie etwas fester und schärfer fassen.

Aber doch sprach gar Vieles dafür, daß auch sie den Baron gern hatte. Es war unbegreiflich, aber es war so: der wunderliche, steife, scheue Menschenfeind gefiel unserer schönen, eleganten, in jeder Weise verwöhnten Eugenie besser, als irgend ein anderer Mann unserer Bekanntschaft. Sie vertheidigte ihn stets, hob stets alles hervor, was zu seinen Gunsten sprach, und vor allem: sie spottete und lachte nie über ihn, so viel Stoff er ihr auch dazu liefern mochte; und jetzt erst fühlte ich so recht die Wahrheit jener Worte, die Tante Ulrike einst sagte: Spott ist schlimmer als Tadel. Ein Mädchen wird leichter einen Mann heirathen, an dem sie allerlei zu tadeln fand, als einen, über den sie sich lustig gemacht und den sie verspottet hat.

Auch ich lachte jetzt nicht mehr über unseres guten Barons linkisches Wesen, denn mehr und mehr lernte ich ihn wegen seines trefflichen Charakters achten und seinen inneren Werth anerkennen. Aber freilich muß ich gestehen, daß mir anfangs ihm gegenüber nicht sehr behaglich zu Muthe war, und ich gewiß in linkischen Manieren mit ihm wetteiferte; denn es ist ein sehr peinliches Gefühl, dem Manne gegenüber zu stehen, dem man – einen Korb gegeben. Zu meiner Freude schien der Baron viel leichter darüber fort zu kommen, denn er ignorirte mich bald vollständig, wenn sich Eugenie neben mir befand; sie war die Sonne, nach der er schaute, sie liebte und verehrte er mit aller Innigkeit seines Herzens, – mich hatte er ja nur heirathen wollen, weil er glaubte, ich liebte ihn; das war ein Irrthum, und somit war er seiner Verpflichtungen gegen mich entbunden.

Aber der arme schüchterne Baron war sehr schlimm daran! Woche um Woche verging, schon wich der Winter dem warmen Hauche des kommenden Frühlings, aber immer noch standen die Sachen auf demselben Flecke; denn die Furcht, auch von Eugenien abgewiesen zu werden, band des armen Barons Zunge. Er wagte nicht dem schönen, bedeutenden Mädchen zu gestehen, wie sehr er sie liebe. Hätte er sich abermals geirrt, wäre er auch ihr gleichgültig, wie er mir war, so stürzte sein Wünschen und Hoffen in bodenlosen Abgrund und nahm alles mit, was ihm jetzt Freude und neues Leben brachte.

Diese Gedanken standen so deutlich auf seiner Stirn, daß ich mir von Neuem die bittersten Vorwürfe über meine Thorheiten machte, die noch jetzt solche Früchte trugen. Ein Gespräch mit Eduard zeigte mir aber erst ganz, wie begründet solche Gedanken waren.

»Fräulein Gretchen, Sie könnten sich ein rechtes Verdienst erwerben,« sagte Eduard eines Tages zu mir, als ich bei seiner Schwester Maria war.

»Ein Verdienst, um wen denn?« fragte ich verwundert.

»Nun, um wen sonst, als um Ihren einstigen Verehrer, den Baron Senft,« entgegnete Eduard.

»Er ist nie mein Verehrer gewesen und hat jetzt ganz andere Gottheiten, denen er huldigt!« sagte ich lachend.

»Aber Sie haben ihn doch einmal bitter enttäuscht und gekränkt, dafür sollten Sie ihm wirklich Gutes erzeigen.«

»Herzlich gern, aber wie kann ich das?«

»O die Damen verstehen sich ja so trefflich darauf, Verborgenes zu enträthseln. Wollen Sie nicht einmal das Herz Ihrer schönen Cousine sondiren, damit Sie erfahren, wer der Glückliche ist, dem sie ihre Gunst zuwendet?«

»Das ist eine furchtbar schwere Aufgabe, lieber Freund! Eugenie schimmert wie ein Kolibri stets in anderen Farben, und durchschaut meine Absichten zehn Mal, wenn ich den Versuch machen wollte, sie zu durchschauen.«

»Sie thäten aber ein gutes Werk, Gretchen,« sagte Eduard, jetzt ernst werdend. »Unser armer Baron stirbt fast vor Liebe zu Eugenien; aber die bittere Erfahrung mit Ihnen hat ihm allen Muth geraubt, je wieder einem Mädchen seine Hand anzutragen. Ich bot ihm meine Hülfe dazu aus freien Stücken an, aber angstvoll bat er mich, keine Schritte für ihn zu thun, denn Eugeniens Weigerung würde ihn auf ewig unglücklich machen. Aber was soll daraus werden, wenn er sich nie erklärt?«

»Nun ich will das Meine thun, Eugenien zu erforschen, ich verspreche es Ihnen!« sagte ich seufzend. »Ich glaube zwar bestimmt, daß sie des Barons Neigung erwiedert, aber in wie weit, das weiß ich freilich nicht, sie ist ein gar zu wunderliches Mädchen.«

Aber wie schwer war diese Aufgabe, die ich übernommen! Ich suchte oft das Gespräch auf den Baron zu bringen, doch was half mir das, ich kam keinen Schritt weiter.

»Findest du nicht, Eugenie,« sagte ich z. B. einmal, »daß der Baron eigentlich ein recht interessantes Gesicht hat, besonders wenn die Musik ihn belebt?«

»Ich finde ihn sehr häßlich, er mag musiciren oder nicht!« entgegnete Eugenie trocken.

»Ja, seine Manieren sind nicht schön, das muß ich auch gestehen,« warf ich ein.

»Was thut das!« sagte sie rasch. »Meinetwegen mag er so steif sein, als er Lust hat, ich will ja nicht mit ihm tanzen! In der Unterhaltung ist er nicht steif, das ist besser als umgekehrt.«

So machte sie es immer: tadelte ich, so lobte sie ihn, sagte ich aber etwas Günstiges, so war ihr das auch nie recht.

»Der Baron muß doch sehr reich sein!« begann ich dann wieder einmal mein Manöver. »Aber wie schade, daß er so allein in dem schönen alten Schlosse wohnt.«

»Nun warum hast du es denn abgeschlagen, ihm dort Gesellschaft zu leisten, wenn dir seine Einsamkeit so leid thut?« lachte Eugenie. Ich wurde dunkelroth, überwand aber meine Verlegenheit und sagte muthig: »Es giebt genug andere Mädchen, die recht gern seine Frau würden; glaubst du nicht auch?«

»Das kann wohl sein!« entgegnete Eugenie ihre Locken über den Finger drehend. »Nur gerade du solltest ein Gericht nicht anderen preisen, von dem du selbst nicht essen mochtest. O du unmenschlich kluges Gänseblümchen, denkst du, ich werde in deine Falle gehen?«

Mir ein Schnippchen schlagend tanzte sie singend davon, und ich war ärgerlich über meine Dummheit, die so plump mehr verdarb als gut machte.

Endlich eines Tages, als der Baron lange bei uns gewesen, faßte ich mir ein Herz und sagte ernst: »Eugenie, ich glaube, der Baron liebt dich über alle Maßen; aber er ist zu schüchtern, es dir zu sagen; du solltest es ihm deutlicher zeigen, wenn du seine Neigung begünstigst, damit der arme Mann weiß, woran er ist.«

Eugenie sah mich einen Augenblick ganz verwundert an, dann lachte sie laut auf und sagte: »Hat er dich etwa damit beauftragt, du mitfühlende Seele? Ich glaube beinahe. Aber Schätzchen, ich will es dir nur gestehen, die Wahl seiner Gesandtin war nicht viel glücklicher, als die des schlauen Klosterbruders im Nathan; es fehlt nur, daß du dessen Rede: »so sagt der Patriarch« in: »so sagt der Herr Baron!« verwandelst. Uebrigens, mein Gänseblümchen,« fuhr sie schmeichelnd fort, als sie sah, daß ich mich verletzt fortwandte, »übrigens werde ich deine weisen Lehren beherzigen! Schade nur, daß wir nicht im Lande der Amazonen leben, da hätte der schüchterne Herr Baron es bequemer. Wenn wir nur wenigstens Cotillon zusammen tanzten,« sagte sie neckend, »da könnte ich ihm doch noch einen Orden bringen, und ihm zeigen, daß er mir der liebste von allen Herren der Schöpfung wäre! Nicht wahr, Gänseblümchen? Ach wem brachtest du doch neulich auf dem ersten Balle den Cotillonorden, war es nicht Eduard? Ach nein, wer war es doch?« –

»Geh, laß mich in Ruhe, du abscheuliches Mädchen!« rief ich ärgerlich und doch lachend. »Mit dir binde der Kuckuk an, ich habe es satt!«

»Nun das ist prächtig, da habe ich doch endlich Ruhe vor dir und deinen Verschwornen,« lachte Eugenie. »Doch,« fuhr sie munter fort, »damit dein armes Herzchen vor Jammer und Mitleid nicht breche, will ich es dir nur gestehen, daß ich den Baron wirklich sehr gern habe. Nun aber geschwind, mach' daß die Andern es erfahren und durch sie der arme Baron, sonst hat er am Ende vorher noch den Heldenmuth, mich selbst danach zu fragen, und euer Triumph, die Sache vermittelt zu haben, fällt über den Haufen. Das wäre doch jammerschade! Nun, hörst du nicht, Schätzchen? Lauf und mach', daß er es erfährt! Glaubst du es denn noch nicht, wenn ich es dir in trockenen Worten sage: ich liebe ihn? Oder warum machst du wieder deine verwunderten Wickelkindaugen?«

Ja, verwundert stand ich allerdings da; denn was ich auf Umwegen nicht herauslocken konnte, das sagte das wunderliche Mädchen mir in wenig trockenen Worten, als ich es am wenigsten erwartet hatte. Jubelnd fiel ich ihr um den Hals, aber das konnte sie ein für allemal nicht leiden und lief scheltend davon, ich aber stürzte mit meiner Neuigkeit zu Marie, und mit dieser zu Eduard. Sobald er irgend konnte, wollte Eduard selbst zu dem Baron hinaus eilen, ihm die frohe Kunde zu bringen, um dann den Brautwerber für den Freund zu machen. Auch Tante Ulrike wurde nun in das Geheimniß gezogen; sie hatte alles längst geahnt, und freute sich der nun hoffentlich bald stattfindenden Vereinigung, welche sie sehr wünschte.

»Aber liebe Tante,« sagte ich kopfschüttelnd, als ich erfuhr, daß dieser Wunsch lange schon ihr Herz bewege, »glaubst du denn wirklich, daß Eugenie den Sonderling so liebt, um für das Leben glücklich zu werden? Sie sind doch zu verschieden!«

»Das schadet nichts, mein Kind,« entgegnete die Tante lächelnd. »Wie ich Eugenie nach und nach kennen gelernt habe, weiß ich, daß ihr tiefes Gemüth den hohen Werth dieses Mannes all seinen Wunderlichkeiten vorziehen, diese aber in ihrer leichten, graziösen Weise übersehen, ja anderen gegenüber verdecken wird. Bei seiner Verehrung für alle Eigenschaften Eugeniens, sie mögen heißen wie sie wollen, wird sie freilich ihr Lebenlang das verwöhnte Kind bleiben, das sie ist; aber da ihr in der äußeren behaglichen, ja glänzenden Lage, in die sie des Barons Reichthum versetzt, die Mittel nicht fehlen werden, alle Launen zu befriedigen, so mag sie immer bleiben, wie sie ist, wenn sie dabei nur ferner so gut und liebenswürdig sein wird, als sie jetzt geworden.«

Eugeniens Geständniß hatte ich in den Morgenstunden von ihr erhalten, den Tag über sprachen wir Beide kein Wort weiter darüber, Eugenie blieb viel in ihrem Zimmer, und mir war das sehr angenehm. Aber in der Dämmerstunde sah ich sie zu Tante Ulrike gehen, und endlich kam sie zu mir in die Wohnstube und sagte: »Gänseblümchen, da du doch hier auf der Hochschule bist und alles lernen sollst, so kannst du nun auch Studien machen, wie man sich als Braut in der Welt zu benehmen hat.«

Ich wußte nicht, was ihre Rede bedeuten sollte, und da ich wieder eine Neckerei dahinter vermuthete, sagte ich abwehrend: »Laß doch nur solche Späße, Eugenie, sie passen so wenig für mich!«

»Das ist mir ganz einerlei, ob es dir paßt, Kleine, wenn's mir nur paßt!« lachte sie. »Und Spaß mache ich ja gar nicht, es ist mein bitterer Ernst!«

»Meinetwegen, mir aber liegen solche Gedanken fern!« sagte ich ärgerlich.

»Nein, ich behaupte aber, sie liegen sehr nahe!« erwiederte Eugenie lustig. »Du meinst von mir so manches lernen zu können. Nun, jetzt kommt zu meinen übrigen Tugenden noch eine hinzu, und das ist die, mit Anstand Braut zu sein!«

»Eugenie, wie? du bist Braut?« fuhr ich überrascht empor. »So hat der Baron doch von selbst den Muth gehabt, sich dir zu erklären?«

»Der Baron! Nein, wer sagt das?« entgegnete Eugenie lachend.

»Nun eins mußte sich doch zuerst erklären, du hast doch nicht etwa....« stotterte ich blutroth.

»Ich? Ich habe nichts weiter gethan, als die Rathschläge meiner trefflichen Cousine befolgt,« sagte Eugenie knixend. »Sie hat mir gezeigt, wie man Orden vertheilt, um die Sprache seines Herzens zu verkünden. Auch ich habe heut Vormittag einen Orden verschenkt und dafür, wie es sich für einen galanten Kavalier schickt, ein Sträußchen erhalten, denn das ist ja wohl Cotillonsregel, nicht so, Gänseblümchen? Da, sieh einmal, da du die Blumensprache verstehst! Du weißt, ich bin sehr freigebig mit meinen Mittheilungen.« Dabei enthüllte sie ein prachtvolles Bouquet, das sie unter dem Taschentuche verborgen und hielt es mir neckend unter die Nase. Ein kleines Briefchen schaute aus den bunten Blumen heraus, und hastig griff ich danach. Es enthielt nur die kurzen Worte: »Dank, ewigen Dank für diesen Lichtstrahl in dunkler Nacht! Jetzt bist Du mein, mein auf ewig! A. S.«

Ich war wie im Traume. Also alles lag schon fix und fertig da, unsere Vermittelung war ganz unnöthig geworden; Eugenie hatte uns in kühnster Weise ein Schnippchen geschlagen und ihre Angelegenheiten selbst keck in die Hand genommen. Nur ein solcher Muth, ein so sicheres Selbstgefühl, als es Eugenie besaß, konnte dergleichen fertig bringen; sie war in der That ein Stückchen Amazone! Aber konnte man sie deshalb tadeln? War ein solcher Schritt nicht durch des Barons unüberwindliche Schüchternheit entschuldigt, ja sogar gerechtfertigt? Das Lebensglück zweier Menschen beruhte auf einem einzigen Worte, und da er dieses Wort nicht auszusprechen wagte, warum sollte sie es nicht thun, und dadurch die Pforten ihres Glückes öffnen?

Solche Gedanken gewannen auch in mir nach und nach die Oberhand, wie sie Eugenien schon lange mochten beschäftigt haben. Doch im ersten Augenblicke war ich allerdings etwas bestürzt über diese neue Art der Verlobung, denn meine schüchterne Natur hätte diesen Schritt nie gethan, und wenn mein ganzes Lebensglück davon abgehangen hätte. Aber man konnte freilich auch nicht verschiedener sein, als Eugenie und ich, und das gestanden wir uns Beide sehr offenherzig.

Eine halbe Stunde nach Eugeniens Eröffnungen stürmte es die Treppe herauf, und in meinem Leben habe ich nicht solche Verwandlung eines Menschen gesehen, als die unseres lieben Barons. Strahlend vor Glück und Liebe, rasch und lebendig wie ein feuriger Jüngling, schwamm er in einem Meere von Glückseligkeit, und Eugenie war so hold, so sittig, und doch wieder so schelmisch, neckisch und zärtlich, daß man allerdings seine Studien an ihr machen konnte; sie erschien mir als das Ideal einer schönen, glücklichen Braut! –

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