21. Wieder im Vaterhause.

Mit welchen Gefühlen flog ich meinem geliebten Vater nach so langer Trennung an die Brust, als er kam, mich von Berlin abzuholen und mit welchen Gefühlen wandte ich mich nun der Heimath wieder zu, nachdem der Abschied von meiner so unsäglich verehrten Tante hinter mir lag!

Wie jubelte mein Herz, als ich der Gegend immer näher kam, in der das Gut meiner Eltern lag, wo mich alles so vertraulich und bekannt anblickte! O das war doch die schönste Gegend auf der ganzen Welt, schöner als alles, was ich auf der Reise soeben noch voll Wonne und Entzücken bewundert hatte.

Bald lagen die bekannten Orte vor mir, die unser Dorf umgaben; jetzt verließen wir das Wäldchen, das mir bei der Abreise den lieben Anblick meiner Heimath zuerst entzogen. Da schaute der spitze Kirchthurm noch wie ehedem zum Himmel empor, sein grünes Kupferdach blitzte in der Sonne, und auf der goldenen Kugel dort oben drehte sich nach wie vor die glänzende Wetterfahne.

Nun kamen wir in den sandigen Hohlweg, der nach dem Dorfe führte, in welchen sich die Wagenräder so tief einwühlten, daß es immer so langsam vorwärts ging. Zu beiden Seiten des Abhanges wuchsen wie sonst gelbe Immortellen und fette Wolfsmilch; die Schmetterlinge und Bienen umflatterten die kleinen gelben Blüthen, und über uns am blauen Himmel zog eine Schaar blendend weißer Tauben hinweg. Ihr lieben freundlichen Thiere, kommt ihr mir als Boten vom Elternhause entgegen?

Am Ausgange des Hohlweges warteten wie ehedem eine Schaar Bauerkinder auf den herankommenden Wagen; die größeren Jungen knallten mit langen Peitschen, die Mädchen blickten mit ihren hellblauen Augen verlegen nach uns hin, kicherten dann und nahmen die Schürzenzipfel in den Mund, und die kleinen Kinder versteckten ihre blonden Flachsköpfe schüchtern in den Röcken der Mädchen. Auf dem Anger trieb noch immer der alte Hirte seine Schafe; der braune Regenmantel hing trotz des warmen Wetters um seine Schultern, und der blaue Strumpf, an dem er strickte, baumelte wie sonst vor ihm hin und her. Sein Hund spitzte die Ohren und sprang herbei, die Pferde anzubellen, wie es einmal alle Hunde zu thun pflegen, bis Friedrich, unser alter Kutscher, ihn mit der Peitsche fortjagte, und der Schäfer rückte grüßend an dem breitkrämpigen Hute.

Nun endlich kamen wir zu den ersten Häusern unseres Dorfes; es war Bauer Fechners Grundstück, ich kannte es wohl, kannte auch die weißbaumwollene Quaste, die da zum Fenster heraus nickte; sie saß auf einer eben solchen Mütze, und das alte gute Gesicht darunter glänzte vor lauter Vergnügen, als ich ihm meinen fröhlichen Gruß zurief.

Jetzt reihte sich Haus an Haus, überrall war ich bekannt, überall blickten gute Freunde zu den kleinen Fenstern heraus, saßen alte Bekannte auf der Bank vor der Hausthür. Hier die alte Armgard, bei der wir so oft Honig gegessen, dort Bauer Niklas, der zur Obstzeit im Garten half, da der gutherzige kleine Schuster, der uns Kindern die Schuhe flickte; dann wieder junge Mädchen, mit denen ich eingesegnet worden, Kinder, die mit meinen Geschwistern gespielt, o es war gar kein Aufhören mit Grüßen, Anrufen und Händeschütteln; ich wäre am liebsten aus dem Wagen gesprungen, doch das litt Papa nicht. Und nun kamen wir an unser Gehöft, unser liebes prächtiges Wohnhaus mit den grünen Fensterladen und dem hohen Giebel, auf dem das Storchnest saß, in dem wirklich die Störche wieder Junge hatten, gerade wie sonst, als ich zu Hause war. Die alten Linden beschatteten wieder den Platz vor dem Hause, und da, richtig da kamen die kleinen Brüder in ihrer Eselequipage, Lieschen mitten drin sitzend wie eine Dame.

»Halt still, Kutscher, ich muß hinaus, ich kann es nicht länger im Wagen aushalten!«

Fast erdrückt haben mich die Jungen, als sie sahen, ich war es, die ihnen entgegen kam. Und nun ging's im Jubel nach dem Hause! Meine Mama wollte ich gar nicht wieder los lassen; ich lachte und weinte durch einander, und dann fiel ich immer wieder Allen der Reihe nach um den Hals. Und dann kamen die Dienstleute im Hause heran, deren Augen glänzten in alter Anhänglichkeit, und nun ging es von einer Stube zur andern, von einem Winkel in den andern; alles mußte ich wiedersehen, mußte allem zeigen, daß ich noch lebte und nun wieder zu Haus sei! In Hof und Garten, in Ställen und Remisen, überall schleppten mich die Jungen umher; ich mußte alles ansehen, überall hatten sie mir etwas Neues zu zeigen, bald hier junge Tauben und Hühner, bald dort das kleine Kalb der schwarzen Bleß, oder die neue Schaukel im Schuppen und das hübsche Taubenhaus im Hühnerhofe. Und wie waren die Kinder alle gewachsen! Hannchen zählte drei Jahre weniger als ich und war der kleinen Mama fast schon über den Kopf gewachsen! Eduard, der ein Jahr jünger war als ich, verlebte gerade seine Ferien zu Hause. Er sah etwas blaß aus, der gute Junge, es war gewiß vom Wachsen, denn er überragte mich ein gutes Theil, und ich war auch nicht gerade ein Liliput. Und Anton, der stramme Bursche, und die Kleinen, Max und Ulrich und Lieschen, wie frisch und prächtig sahen sie Alle aus; ich mußte sie immer wieder küssen trotz ihrer nicht sehr saubern Gesichtchen, die mit allerlei Dorfstraßenresten verziert waren.

»Was du für ein stattlich Mädchen geworden bist, Gretchen!« sagte die Mutter, mich mit frohen Blicken musternd. »Die Stadtluft scheint dir gut zu bekommen.«

»Sie sieht wie eine Dame aus, höllisch fein!« bemerkte der Gymnasiast und zupfte an den sehr zweifelhaften Bartsprossen auf seiner Oberlippe.

»Hast du mir was mitebracht, Gretsen?« sagte die kleine Liese, und zog an den Schnüren meiner Reisetasche.

»Ja auspacken, Gretchen, auspacken!« riefen auch die anderen Kinder, und nun ging's an ein Wühlen und Kramen in meinen Sachen, daß ich die kleinen Quälgeister ernstlich abwehren mußte. Am besten geschah dies, indem ich ihnen die Geschenke an Näschereien gab, die ich ihnen »mitebracht«, wie Lieschen sagte. Dann machte ich mich selbst über das Auspacken meiner Sachen, und mit innigem Behagen räumte und kramte ich in dem niedlichen Stübchen, das Mama mir jetzt als Eigenthum anwies. Ein eben solch zierliches Himmelbett, wie ich bei Tante Ulrike besessen, schmückte auch hier mein Zimmer; die gute liebe Mama hatte mich damit gar freudig überrascht, und über meiner Kommode hing, von einem grünen Kranze umschlungen, Tante Ulrike's Bild! O das war doch gar zu schön und zart! Mit Thränen des Dankes und der Liebe küßte ich die beste der Mütter, und unter dem Bilde der Tante fanden augenblicklich meine beiden lieben Freundinnen Marie und Eugenie ihren Platz. Nun hatte ich sie alle beisammen, und jeden Abend und jeden Morgen nickte ich ihnen zu und schickte den Lieben in der Ferne die innigsten Grüße.

Neben meiner Stube schlief Hannchen, deren besondere Erziehung und Aufsicht meine gute Mutter mir nun anvertraute. »Ich denke, du wirst eine gelehrige Schülerin in dem Kinde haben,« sagte Mama dabei. »Es ist das beste Mittel für dich, deine eigene Erziehung nicht wieder zu vernachlässigen, wenn du der Schwester als gutes Vorbild dienen willst. Nun kannst du zeigen, ob du bei der Tante etwas lerntest.«

Ich freute mich unbeschreiblich über das Vertrauen, das Mama in mich setzte, indem sie mir Hannchens Erziehung übergab. Schon während meines Aufenthaltes bei Tante Ulrike war dieser Wunsch oft in mir rege geworden; denn meine sanfte Schwester, welche viel zierlicher und anmuthiger war, als ich selbst je im Leben gewesen, wuchs gleich mir in ländlichen Sitten und Manieren empor, wie wir sie zu Haus eben nicht anders kannten. Was Tante Ulrike nun an mir Gutes und Liebes gethan, das sollte jetzt meinem hübschen Schwesterchen zu Gute kommen, das war mein innigster Herzenswunsch, und die Liebe und Fügsamkeit, mit welcher das sanfte Kind mir entgegentrat, erneuerte mein Verlangen. Außerdem hoffte ich jetzt, meiner zarten Mama die Sorgen des Hauswesens durch treue Hülfe zu erleichtern und die kleinen Geschwister, besonders Lieschen, unter meine besondere Aufsicht zu nehmen. Papa hatte seit Kurzem einen Hauslehrer engagirt, welcher die Knaben in Zucht hielt und unterrichtete, und bei ihm nahm auch Hannchen ihre Stunden. Nun sollte auch ich noch seine Schülerin werden, da er sich erbot, mir in Sprachen und Musik einige Nachhülfe zu ertheilen. Natürlich nahm ich dies mit Dank an, und so lag denn ein stilles, schönes, glückliches Leben vor mir, voll Thätigkeit und Freude im Kreise meiner Lieben, und die Erinnerung an die vergangenen Tage in Berlin schmückte dieses Stillleben mit freundlichem Glanze. Ein eifriger Briefwechsel verband mich außerdem mit den fernen Freunden; denn sowohl die Tante als Marie schrieben mir lange, ausführliche Briefe, welche mich von allem unterrichteten, was sich in ihrem Kreise zutrug. Eugenie schrieb seltener, denn Briefschreiben war nicht ihre Sache, das wußte ich wohl; um so dankbarer nahm ich deshalb aber ihre heiteren, neckischen Briefchen auf, welche, wie die anderen Lebenszeichen meiner Lieben, immer großen Jubel erregten. Mit welcher Ungeduld erwartete ich stets den Boten, der drei Mal wöchentlich unsere Postmappe mit Zeitungen und Briefen aus der nächsten Stadt brachte! Stundenweit lief ich ihm oft entgegen, wenn ich auf Nachricht von Tante Ulrike oder Marie hoffte, und die Erfüllung dieser Erwartungen war der größte Festtag für mich.

Eines Tages aber kam eine sehr traurige Nachricht, welche mich tief bewegte. Tante Ulrike hatte mir schon einige Male mitgetheilt, daß Eugeniens Mutter sehr leidend zu sein scheine. Ihren versprochenen Besuch auf Schloß Senftenburg hatte sie aufgeben müssen, und Eugenie war deshalb mit dem Baron zu ihr gereist, um ihr den geliebten Gatten vorzustellen. Sie hatte die lebenslustige Frau sehr verändert gefunden, zwar immer noch voll Interesse für alle Eitelkeiten des Lebens, aber doch viel theilnahmloser und matter als früher, und von einer Weichheit des Gemüthes und einer Sehnsucht nach theilnehmender Umgebung, daß Eugenie in ihrer Herzensgüte sich kaum von ihr trennen konnte. In Folge ihrer Mittheilung kehrte Herr von Jagow augenblicklich zu seiner Gattin zurück, kam aber nur eben zur rechten Zeit, um der schwer Erkrankten ihre letzten Lebenstage zu verschönen. Ein schleichendes Fieber, das jetzt mit aller Macht ausgebrochen, setzte ihrem Leben ein Ziel; aber was die gesunde, lebensfrische Frau nie erkannt hatte, das empfand jetzt die Sterbende voll bitterster Reue. Ihr letztes Wort an ihren Gatten war eine Bitte um Vergebung des Leides, das sie ihm angethan, ihr letzter Blick ein Dank für seine treue, unverdiente Liebe.

So hatte denn der Tod dieses Leben geendet, das so wenig im Stande gewesen, Glück und Segen um sich zu verbreiten! Eugenie betrauerte die Mutter aufrichtig, denn ihr gutes Herz hing an derselben trotz aller Fehler und Schwächen, welche sie besessen. Sie wußte ihren tief gebeugten Vater zu bestimmen, die erste Trauerzeit in ihrem Hause zu verleben, und die Liebe seiner Kinder war der schönste Ersatz für alle Leiden und Entbehrungen, welche diesen edlen Mann so schwer getroffen. Ueber seine fernere Zukunft war er für den Augenblick noch unentschlossen; doch durch einen Brief Eugeniens erfuhr ich, daß ihres Vaters innigster Wunsch dahin gehe, Tante Ulrike zu bestimmen, mit ihm zusammen zu ziehen, wodurch sein einsames Leben wieder Reiz erhalten, und das so lange entbehrte Glück einer stillen Häuslichkeit ihm sein Alter versüßen würde. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß Tante Ulrike, welche von jeher mit besonderer Liebe an dem einzigen Bruder ihres Gatten gehangen, den Wunsch desselben erfüllen werde; auch ihr Leben erhielt dadurch neue Bedeutung, ihre Thätigkeit einen so passenden Wirkungskreis. Freilich mußte sie alsdann Berlin verlassen, wo sie so lange Jahre gelebt, denn Herr von Jagow kehrte jetzt wieder in seine Stellung nach Braunschweig zurück; aber diese edle, allgemein verehrte Frau verstand ohne Zweifel, sich überall eine schöne Heimath zu schaffen; an ihr mußten sich die Worte Schillers bewähren, welche er in der Huldigung der Künste seinem Genius auf die Lippen gelegt, als die junge Erbprinzessin von Weimar aus ihrer russischen Heimath in deutsche Erde verpflanzt wurde, gleich jenem fremden, blühenden Baum, den die Landleute pflanzten:

Ein schönes Herz hat bald sich heim gefunden,

Es schafft sich selbst, still wirkend, seine Welt.

Und, wie der Baum sich in die Erde schlingt

Mit seiner Wurzeln Kraft, und fest sich kettet,

So rankt das Edle sich, das Treffliche,

Mit seinen Thaten an das Leben an.

Schnell knüpfen sich der Liebe zarte Bande,

Wo man beglückt, ist man im Vaterlande.

Und sie beglückte immer und überall, die beste der Frauen; ihr ganzes Leben war eine Kette steter Opfer und Liebesbeweise, welche sie ihren Mitmenschen darbrachte, wie sollte sie da nicht auch jetzt Segen in das Haus bringen, das sie zur Heimath erwählte! Eugenie war glücklich in diesen Plänen und Hoffnungen und ich mit ihr, denn wie sehr all' meine Interessen mit denen meiner Lieben in Berlin verknüpft waren, das sah ich erst ganz, nachdem ich von ihnen geschieden.

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