22. Nachtrag.

Ein ganzes Jahr war vergangen seit dem Tage meiner Heimkehr in das Vaterhaus, da schaute die Sonne eines Morgens mit ganz besonderem Glanze in das Fenster meines Stübchens im Giebel. Es war noch sehr früh, der kühle Herbstmorgen braute weißlich graue Nebel über den Wiesen; auf dem bunten Laube der Bäume, das die Wege im Garten schon reichlich deckte, blitzte der feuchte Thau, und einzelne Blätter trug der Wind bis zu meinem Fenster empor, aus dem ich still sinnend meine Blicke in die Ferne hinaus schweifen ließ. Auf dem Dorfe lag noch Ruhe und Schlaf, nur über mir im Storchnest wurde es lebendig; die Alten klapperten ihrer kleinen Gesellschaft den Morgengruß zu, und bald begannen sie die Jungen im Fliegen zu unterrichten, denn die Zeit ihrer Abreise war nahe, und wehe dem Storche, der dann den langen Flug über das weite Weltmeer nicht aushalten kann: unbarmherzig wird er von seinen Gefährten getödtet, da er ihnen auf der Reise nur hinderlich ist. Weit über die Häuser des Dorfes schwebten sie hinweg und ihr weißes Gefieder glänzte im Sonnenschein. Jetzt tönte auch das Morgenlied der Lerche an mein Ohr; hoch in den blauen Aether schwirrte sie hinauf, und aus den gelben Stoppelfeldern, aus denen sie aufstieg, flatterte zu gleicher Zeit ein Volk Rebhühner kreischend empor.

Ruhe und Frieden, welche über der ganzen schönen Gotteswelt lagen, erfüllten auch meine Seele, und mit dankbar frohem Herzen blickte ich auf zu dem Vater dort oben und bat um Seinen ferneren Schutz und Segen, dessen ich in der vor mir liegenden Zeit doppelt bedurfte. Da legten sich zwei Arme um meinen Hals und zwei hellblaue sanfte Augen blickten mir liebevoll in das Gesicht.

»Guten Morgen, meine Grete! Gott segne dich!« sagte eine sanfte Stimme, und weiche Lippen drückten sich auf die meinen.

»Wie, du schon wach, Marie?« rief ich erstaunt, und blickte der Freundin in das rosig frische Gesicht; denn sie war es, die mich begrüßte, meine liebe theure Marie.

»Ich hatte auch keine Ruhe mehr in den Federn!« entgegnete sie heiter. »Die Freude raubt den Schlaf gerade wie der Schmerz. Uebrigens ist es auch gut, daß ich zeitig aufstehe, wir haben heute noch gar viel zu besorgen. Ich werde mir Hannchen wecken und mit ihr den Garten plündern. Viel Blumen giebt es freilich nicht mehr, aber etwas wird der Herbst uns schon noch liefern. Im Nothfall nehmen wir buntes Laub statt der Blumen, für Guirlanden ist alles zu gebrauchen.«

Bald sah ich die beiden hübschen Blondinen, Marie und Schwester Hannchen, in ihren hellen Morgenkleidern durch den Garten schlüpfen, und wie Bienen von Blume zu Blume schwebend zwischen den Bäumen verschwinden. Ueberall wurde es nun lebendig. Von allen Seiten ertönte der gleichmäßige Schlag der Drescher rings im Dorfe, Hunde bellten, kleine Kinder trippelten halb angekleidet aus den Thüren, Fenster wurden geöffnet, feiner Rauch wirbelte aus den Schornsteinen empor, Stimmen erklangen nah und fern, und die Frühglocke läutete. Nun duldete es auch mich nicht länger im Zimmer; eben wollte ich den jungen Mädchen in den Garten nacheilen, da öffnete sich unter mir ein Fenster, und eine fröhliche Kinderstimme krähte in die Morgenluft hinein. Wie ein Pfeil schoß ich die Treppe hinab, dem Stimmchen nach. An dem offenen Fenster stand eine schöne stattliche Amme in fremdartiger Tracht, und aus ihrem Arme tanzte ein prachtvoller dicker Knabe von nur wenig Monaten, und streckte mir krähend seine runden Arme aus den fein gestickten weißen Hemdchen entgegen. Ich kletterte außen an dem Fenster hinauf, küßte den Engelsjungen und ließ meine Blicke durch das Fenster schweifen. Im Hintergrunde desselben lag eine bildschöne junge Frau im Bette und nickte mir freundlich zu. »Guten Morgen, Eugenie, du kleiner Faulpelz!« rief ich grüßend. »Dein Sohn artet nicht nach dir, der ist schon frühzeitig munter!«

»Das weiß der liebe Himmel!« sagte die junge Frau, sich dehnend. »Der kleine Quälgeist wacht mit der Sonne auf wie ein echter Bauerjunge.«

»Das macht, weil er bei deinem Gänseblümchen, der Bauerdirne, in Kost und Wohnung ist,« lachte ich neckend. »Schöne Anlagen das zu einem jungen Baron!«

»Ein abscheulicher Bengel, ein wahrer Backfisch in Jungengestalt!« rief Eugenie. »Und auf den ist der Herr Papa so stolz, wie ich mein Lebtag noch keinen Menschen gesehen habe. Mich wundert nur, daß er sich für acht Tage von ihm trennen konnte. Ob ich fortging, das hatte gar keine Bedeutung, da hieß es: »Du bist es Gretchen schuldig, hast es ihr längst schon versprochen; ich werde auch kommen, sobald die nöthigsten Arbeiten besorgt sind, es soll ja nur eine kurze Trennung sein u. s. w.« Aber der Junge, daß er den ein paar Tage entbehren sollte, war das ein Unglück! O es ist zum Davonlaufen mit solchem Bären von einem Manne!«

»Nun du bist ihm ja auch davon gelaufen,« rief ich voll Ergötzen und schwang mich auf das Fensterbret, um mit dem Kleinen zu tändeln. Eugenie war indessen aufgestanden und trat nun zu uns, und die stolze Mutterliebe, mit dem sie ihren Knaben auf den Arm nahm, konnte unmöglich von der Zärtlichkeit des Papa's übertroffen werden, so sehr die junge Frau auch über dessen Vaterstolz schalt. Es war ein reizendes Bild, die schöne Mutter mit dem blühenden Knaben im Arm, Beide in feine weiße Morgenkleider gehüllt; neben ihnen die stattliche Amme in ihrer fremden Tracht, und zur Seite die grünen Zweige eines Akazienbaumes, durch welche einzelne Sonnenstrahlen hindurch fielen.

Aber lange blieben wir nicht allein. Bald ging die Hausthür auf, und meine jüngeren Geschwister, »die Rotte Korah«, wie Eugenie sie nannte, stürmten heraus. Ich sprang von meinem Fenstersitz herab, und das war gut, sonst hätten mich die kleinen Feuergeister herunter gerissen, so fuhren sie alle auf mich los.

»Frischen Kuchen, Gretel! Frischen Kuchen, komm geschwind!« riefen sie durcheinander.

»Sechs große Napfkuchen, zehn Zuckerkuchen mit Rosinen, drei Streußelkuchen, acht Pflaumenkuchen, und noch viel mehr, komm doch nur, im Backhause kannst du alles sehen!«

»Und der Gärtner schneidet die letzten Weintrauben vom Spalier, und wir sollen die Birnbäume schütteln und die Pflaumenbäume, – und Kathrine schlachtet die fettsten Truthähne, – und Herr Candidat Reier macht mit dem Kutscher im Garten das Feuerwerk zurecht, und wir sollen die bunten Ballons an die Bäume hängen!« so rief und jubelte es durch einander, daß man kaum ein Wort deutlich verstehen konnte. Es half nichts, ich mußte mit ihnen kommen und alles mit ansehen, wovon sie erzählten. Bald zogen sie mich unter die Obstbäume im Grasgarten, bald zu den Hühnern und Tauben auf dem Hofe; hier mußte ich die süßen Trauben kosten, die der Gärtner mir reichte, dort wieder den köstlichen Duft des frischen Kuchens einathmen, der in großer Menge aufgehäuft lag. Ueberall war Leben und Geschäftigkeit, und überall schwirrten die lebhaften Kinder umher, die natürlich Jedermann im Wege waren und von Einem zum Andern liefen, um zu fragen, ob sie etwas helfen könnten.

»Kommt, wir wollen mit Marie und Hannchen Kränze winden!« rief ich endlich, um Mama von der lästigen kleinen Bande zu befreien. Im Jubel zogen wir denn Alle nach der Weinlaube im Blumengarten, wo wir die beiden jungen Mädchen mitten unter bunten Guirlanden und Blumen geschäftig fanden. Sobald sie mich erblickten, kamen sie freudig auf mich zu, und Marie setzte mir einen wunderschönen Kranz von kleinen rothen Astern auf den Kopf, so sehr ich mich auch dagegen sträubte. »Rosen giebt's nicht mehr genug, so müssen wir Hülfstruppen suchen, um dich zu krönen,« sagte sie, indem sie mich küßte. »Du bist heute die Königin des Festes und mußt eine Krone tragen, damit alle Welt dich kennt und dir huldigt.«

»Morgen ist ja erst der Hauptfesttag, heute darf ich doch noch keinen Kranz tragen!« rief ich freudig erröthend.

»Nein, nein, morgen thun es keine solch gewöhnlichen Blumen, da muß das uns Jungfrauen geheiligte grüne Reis dieses schwarze Haar zieren,« sagte Marie pathetisch und umarmte mich von Neuem. »O meine Grete,« fuhr sie weich und zärtlich fort, »wie freue ich mich, daß ich diesen Tag mit dir erleben kann!«

Mir schossen die Thränen in die Augen, und ich hielt die Freundin meines Herzens umschlungen.

»Guten Morgen, meine Damen!« ertönte jetzt eine klangvolle Männerstimme neben uns, und aufsehend erblickten wir unseren lieben Freund und Nachbar, den jungen Pfarrer Baumhard, an unserer Seite. Herzlich erfreut reichte ich ihm die Hand zum Gruß, und plaudernd gingen wir drei eine Weile im Garten umher. Doch bald wurde ich abgerufen und ließ Marie bei unserem Gast allein zurück, meine Wiederkehr erwartend. Ich wurde länger aufgehalten, als ich gedacht und meinte den Pfarrer nicht mehr zu treffen; aber als ich einen der dunkeln Lindengänge hinauf schritt, fand ich die Beiden neben einander auf einer Bank sitzend, Mariens liebes Gesicht von dunkler Gluth überzogen, und den Pfarrer mit freudig strahlenden Augen. Ein einziges Wort unseres Freundes sagte mir alles. Lange schon hatte ich die keimende Liebe dieser Beiden bemerkt; heute am Vorabende meines eigenen Hochzeittages hatte Marie sich dem braven Manne verlobt.

»Aber bitte, Fräulein Gretchen, schweigen Sie noch bis morgen,« bat der Prediger. »Ich hätte selbst meine Erklärung gegen meine geliebte Marie verzögern sollen, bis der morgende Tag vorüber war; aber ich konnte es nicht länger ertragen, über mein Geschick in Ungewißheit zu sein, morgen besonders, wo ich den Liebesbund von Marie's treuester Freundin einsegnen soll. Aber da ich nun Gewißheit habe, daß auch ich glücklich werden soll, ist alles klar und gut in mir, und ich habe Ruhe und Sammlung im Gemüth. Morgen, nachdem ich Sie eingesegnet, theure Freundin, mag die Welt auch von unserem Bunde erfahren!«

Der stille, innigste Wunsch meines Herzens war erfüllt, Marie sollte die Gattin des Mannes werden, den wir Alle so unbeschreiblich verehrten, seit er vor zwei Jahren unser Pfarrer geworden. Marie liebte ihn vom ersten Tage an, das wußte ich, und jede Stunde ihres Aufenthaltes bei uns gab ihrer Liebe neue Nahrung, denn Pastor Baumhard war unser täglicher Gast, unser vertrautester Hausfreund. Aber Woche um Woche verging, Marie war schon fast zwei Monate bei uns, und immer noch erfolgte keine Verlobung, obwohl der Pfarrer Marien entschieden auszeichnete. Doch Marie war das blödeste, schüchternste Mädchen ihm gegenüber, ich begriff sie nicht, und so war es auch ihrem Verehrer gegangen, bis dieser endlich gewaltsam die Pforte ihres Herzens erbrach, die ihm Einsicht gab in das Paradies seiner Zukunft. Nun war alles gut, nun konnte auch ich den kommenden Festtag ruhig erwarten.

Ja, meine lieben Freundinnen, es war wirklich mein Hochzeittag, zu dem diese Vorbereitungen alle getroffen wurden. Schon fast ein Jahr lang war das einstige Backfischchen eine glückliche Braut, und stand nun am Ziele aller Wünsche und Hoffnungen. Und wer war der Bräutigam? Solltet ihr das nicht längst errathen haben? Ihr dachtet vielleicht sogar früher als ich selbst daran, während ihr die vorhergehenden Blätter gelesen. Ach mein junges Herz barg freilich wohl lange schon Gefühle in sich, welche diesem Ziele zustrebten, aber ich war über dieselben so völlig im Unklaren, daß ich durchaus gar nicht wußte, was mir nur fehle, seit ich wieder in das Elternhaus zurückgekehrt war. Diese unaussprechliche Sehnsucht nach allem, was mit Berlin in Zusammenhang stand, dieses krankhafte Verlangen nach Nachricht von dorther, dieses ewige Unbehagen bei allem, was ich dachte und arbeitete, quälte mich unbeschreiblich. War ich nicht grenzenlos undankbar für all' das Gute und Schöne, das mich jetzt im Vaterhause wieder umgab, und das mich so wenig befriedigen konnte? Ich machte mir unaufhörlich die bittersten Vorwürfe darüber, vergrub mich mit leidenschaftlicher Heftigkeit in alle möglichen Arbeiten, um meine Gedanken zu zwingen, trieb mit Hannchen Französisch und Englisch, musicirte mit Herrn Reier, half Mama in Küche und Wirthschaft, spielte mit den kleinen Geschwistern selbst wie ein Kind, – es war alles umsonst! Immer wieder ertappte ich mich beim trüben, unklaren Dahinbrüten, und alle Lust und Freudigkeit schien mir entfliehen zu wollen.

So waren die ersten beiden Monate verstrichen, seit ich wieder in die Heimath zurückkehrte. Da kam eines Tages ein Brief an mich – ein Brief von einem Freunde aus Berlin – und wenige Tage darauf der Schreiber selbst. O nun wurde mit einem Male alles anders! Wie Schuppen fiel es von meinen Augen; jetzt wußte ich, was mir gefehlt, was meine leidenschaftliche Sehnsucht bedeutete. Wie helles Morgenroth leuchtete es empor an dem trüben Himmel, der mich umgeben, die Sonne des Glückes und ungeahnter Freude ging meinem jungen Leben auf! Ich war Braut, Braut des Mannes, der mir der Herrlichste schien von allen Männern, die ich je gesehen, der mir nun sagte, daß er mich liebe, seit jenem Augenblicke liebe, wo ich ihm so unbefangen kindlich entgegen getreten, und der seitdem keinen anderen Wunsch mehr gehabt, als mich zu erwerben. O welch' namenloses Glück kann doch ein kleines Menschenherz umfassen! Welch' namenloses Glück barg jetzt mein liebes trautes Vaterhaus!

Und nun war der Tag erschienen, der mich ganz glücklich machen, mich ganz mit dem vereinen sollte, außer welchem es für mich keine Freude mehr auf der Welt gab. Alle meine Freunde hatten mir versprochen, zu dem Feste zu kommen. Marie war schon wochenlang bei uns, ihre Eltern und Eduard wurden erwartet, Eugenie hatte sich mit ihrem Prachtsöhnchen aufgemacht, mir ihren Antheil zu beweisen, ihren Gatten, ihren Vater und vor allem Tante Ulrike erwarteten wir heute, und wer fehlte nun noch?

Die Wagen rollten durch das Dorf, die Hunde bellten, die Dorfjugend jubelte, und die Kutscher verkündeten mit der Peitsche knallend ihre Ankunft. War das ein Leben unter den Linden vor unserem Hause! Papa und Mama flogen Tante Ulrike an das Herz, Marie wanderte aus einem Arm in den andern, Eugenie versank vollständig bald in dem weiten Reisemantel ihres Vaters, bald in des Barons Armen, der Frau, Kind und Amme zu gleicher Zeit umschlang und sich umherspringend geberdete wie ein toller Junge, trotz seines noch immer etwas steifen Fußes. Und ich? Ja ich habe das alles eigentlich nur vom Hörensagen, denn ich sah nichts über mir als zwei blaue Augen, darin der ganze Himmel wohnte, und wurde von zwei Armen so fest umschlungen, daß ich von der ganzen übrigen Welt nichts sehen und hören konnte. – Wie? Waren denn wieder Zigeuner in der Nähe, daß ich mich so stürmisch an diese Brust flüchtete?

»Onkel Hausmann, Lieschen will auch guten Tag sagen,« rief es jetzt neben uns, und mein kleines Schwesterchen drückte ihren braunen Lockenkopf an die Knie dessen, der mich gar nicht wieder los zu lassen Miene machte.

»Guten Morgen, meine liebe kleine Schwägerin!« rief der Angeredete nun fröhlich, indem er mich frei gab und Lieschen zu sich emporhob. Jetzt drängten sich auch die Knaben herbei, den Schwager zu begrüßen, auf den die kleinen Burschen sehr stolz waren; Vater und Mutter hießen den geliebten Schwiegersohn willkommen, aber ich fand kaum Blicke und Worte genug zur Begrüßung der vielen lieben Gäste, welche mir alle so warme Glückwünsche entgegen brachten.

Unser liebes altes Wohnhaus war gewiß sehr verwundert über die vielen Fremden, die es in seinen Mauern aufnehmen mußte; aber es blickte so stolz und stattlich durch die alten Lindenbäume hernieder, als wisse es die Ehre zu würdigen, die ihm wurde, und die Störche auf dem Giebel klapperten lustig ein lautes Willkommen. Von allen Seiten fuhren jetzt noch liebe Freunde, Verwandte und Nachbarn herbei, welche das Fest mit uns begehen wollten, und in den schattigen Gängen des Parkes, wie in Haus und Hof schwirrte es lustig durcheinander. Ein herrlich warmer Herbsttag gestattete uns den Aufenthalt im Freien, und so ließ Papa auf dem Platze unter den Linden die Mittags- und Abendtafeln für alle die aufschlagen, welche drinnen im Hause keinen Raum mehr fanden. Es war ein fröhliches Treiben, und Lust und Freude belebte alle Gemüther; ich aber war die Glücklichste von allen, und wenn auch meine Lippen nicht aussprechen konnten, was mein Herz so unnennbar beseeligte, in meinen Augen stand es sicher deutlich geschrieben, denn diese Augen sahen nur eins, und das war der Geliebte meiner Seele, Theodor Hausmann.

Den Abend dieses freundlichen Festes beschloß ein prächtiges Feuerwerk, das Herr Reier im Garten abbrannte. Den Schluß desselben bildete ein höchst ergötzliches Transparent, das sich auf meinen Aufenthalt in Berlin bezog, und dessen Urheber die gottlose Eugenie gewesen. Rings um das Mittelbild gruppirten sich kleinere Scenen. Da war denn z. B. Backfischchens erste Reise dargestellt, aus nichts bestehend als aus einem Haufen Schachteln, Packeten und Kisten, über denen hoch oben ein Mädchenkopf schwebte. Ferner Backfischchen in großer Bedrängniß, die Scene bei Geh. Rath Delius, wo ich hoch aufgeschürzt mit triefendem Schirm und zerrissenen Handschuhen Amanda gegenüber auf der Stuhlecke schwebe, und dicke Schweißtropfen von Stirn und Regenschirm auf den Fußboden rollen. Dann die Straßenscene, in der ich Marie um den Hals fliege, indeß ein daneben stehender Stutzer seine Arme verlangend nach uns ausstreckt. Dann vor allem Backfischchens erstes Rencontre mit dem Freunde: unser trauliches Gespräch in jener Gesellschaft, belauscht von umstehenden Gästen, in der Ferne Tante Ulrike, die sich verzweiflungsvoll das Haar rauft. Natürlich auch Backfischchen im Ballfieber, wie sie eben im Begriff ist, Tante Ulrike in die Kleidertasche zu kriechen, später dann die Ueberreichung des Cotillonordens an »den Freund«, alles war dargestellt. So ging es fort. Unzählige kleine peinliche Momente, die ich während meines Aufenthaltes in Berlin zu bestehen hatte, gab die lose Eugenie in posirlicher Darstellung zur Schau, und Eduard, als würdiger Bänkelsänger, erklärte in köstlichen Reimen dem Publikum die Bilder zu dieser wunderbaren Geschichte. Die Hauptsache aber war das Mittelbild, betitelt: »Beelzebubs Meisterstück, eine schreckliche Mordgeschichte, zur Warnung für alle Backfischchen.« Ein Trupp wilder Teufelchen, als Zigeuner gekleidet, stürzt, Keulen, Knüttel und andere Waffen schwingend, aus dem Gebüsch hervor, gerade auf ein junges Mädchen los. Dieses aber fliegt mit ausgebreiteten Armen einer Gestalt entgegen, welche soeben auf einer Wolke zu ihr hernieder schwebt, und die zwar mit Flügeln und einem Strahlenkranze versehen ist, wie man die Engel darstellt, deren Pferdefuß aber und kleine Bockshörnchen nichts weniger als einen Engel vermuthen lassen. Er trägt die Züge Th. Hausmanns, und streckt der Flehenden die Arme entgegen, um sie in sein Reich zu entführen, das hinter ihm als höllisches Feuer lodert. Der Schluß dieses Wunderwerks lautete dazu:

Drum, lieben Mädchen, habt wohl Acht,

Nun wißt ihr, wie's Herr Satan macht!

Mit siebzehn Jahren komme ja

Dem Eibsee Keine je zu nah,

Sonst geht's wie jenem Backfisch ihr,

Verloren ist sie für und für.

Daß diese lustige Geschichte unerschöpfliche Heiterkeit erregte, war sehr begreiflich, und auch ich konnte der schelmischen Eugenie keinen Moment zürnen, so sehr sie mich auch mitgenommen hatte. Verwundert war ich nur, woher sie so manche kleinen Züge kannte, die sie selbst doch nicht mit erlebt hatte, besonders diese Schlußscene; aber sie war ja ein pfiffiger kleiner Schalk gewesen, so lange ich sie kannte, und der blieb sie ihr Lebenlang, obwohl sie jetzt eine ganz vortreffliche Gattin und Mutter geworden. Und das beste Herz schaute immer hinter dem Schelmgesicht hervor, das sollte ich auch an diesem unvergeßlichen Tage erfahren. Ihre Schalkhaftigkeit hatte sogar die würdige Tante Ulrike bewogen, mir gemeinsam mit ihr ein ebenso kostbares als neckisches Hochzeitgeschenk zu machen, welches Eugenie mir mit einem höchst launigen Gedichte überreichte. Das Geschenk der Tante bestand in einem »Backfischchen«, wie sie sagte, einem wunderschönen elastischen Armband in Gestalt eines goldenen Fisches, der sich in den Schwanz beißt und dessen Augen von zwei köstlichen Diamanten gebildet wurden. Eugenie brachte mir ebenfalls mein Ebenbild, wie sie behauptete, nämlich ein »Gänseblümchen«. Es war dies eine kostbare Broche, allerdings in Gestalt einer großen Gänseblume, deren Blumenkrone jedoch von lauter kleinen Brillanten gebildet wurde, welche auf goldenen Blättern ruhte.

Diesem ebenso geschmackvollen als kostbaren Geschenk fügte der kleine Schelm noch eine zierliche Handarbeit hinzu und zwar – ein Paar eben solch hellblauseidener Pantöffelchen, als sie selbst einst bei ihrer Ankunft in Tante's Hause an die Füße gezogen, und welche mir so vielerlei Stoff zur Verwunderung und Aerger gegeben hatten. Außer diesen und zahllosen anderen Geschenken, mit denen wir von allen Seiten erfreut wurden, erwähne ich nur noch eines geschmackvollen Kissens, auf welches meine sanfte Marie einen Strauß blauer Vergißmeinnicht gestickt hatte, und das als Unterlage diente zu dem blühenden Myrthenkranze, den sie mir überreichte.

Wie schön die Stunden waren, an denen dieses grüne Reis am folgenden Tage meine Stirn schmückte, das zu beschreiben bin ich nicht im Stande. Mein Herz war so voll Dank und Rührung über all' das namenlose Glück, das Gott mir bereitet, über all die Liebe, die mein Leben verschönte, daß ich für die Außendinge und die äußeren Festlichkeiten dieses Tages wenig Sinn und Gedanken übrig hatte. Es war, das könnt ihr glauben, eine rechte, echte, große Landhochzeit, und was das heißen will, welche Verschwendung an Blumenkränzen und Lichtern in Haus und Kirche, welche zahllosen beputzten Dorfbewohner, welch' Glockengeläut und welcher Jubel, welche Fülle von Kuchen und Getränken und Festessen, und endlich welch' fröhlicher Tanz unter unseren Linden von Alt und Jung aus dem ganzen Dorfe; – daß dies alles zu einer echten Landhochzeit gehört, das weiß nur derjenige ganz zu würdigen, der es einmal selbst mit erlebt hat.

Die frohe Kunde, daß unserem Hochzeitsfeste bald ein zweites folgen werde, und zwar vom Pastor Baumhard und meiner besten Marie, erregte endlosen Jubel; denn Bräutigam sowohl als Braut wurden von Allen, die sie kannten, so allgemein verehrt und geliebt, wie wenig Menschen. Dieser schöne Bund verherrlichte unser Fest noch um vieles, und nur schöne, harmonische Klänge waren es, die in den Herzen aller derer nachtönten, welche demselben beigewohnt.

Unter den Segenswünschen all' meiner Lieben schied ich, das Herz voll von Wehmuth und Freude, noch an demselben Tage an der Seite meines Gatten von dem geliebten Vaterhause, um einer anderen Heimath entgegen zu gehen. In Braunschweig, wo Eugeniens Vater Minister geworden, hatte Theodor die Stelle eines Regierungsrathes erhalten, und hier nun, in der Nähe meiner verehrten Tante Ulrike, welche jetzt im Hause des Schwagers lebte, erblühte mir das schönste Lebensglück, das einer Frau werden kann.

Und so nehme ich denn von euch Abschied, meine lieben Freundinnen, die ihr mir freundlich folgtet durch die ernsten und frohen Tage meiner Jugend. Möchte doch einer jeden von euch ein Glück werden, wie der gütige Gott es mir schenkte; möchtet auch ihr einst froh und dankbar wie ich zurückblicken können auf jene Zeit eurer Jugend, als auch ihr noch zu den Backfischchen zähltet.

Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.

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