6. Verschiedenes.

An jedem Montage erhielt die Tante Besuch von einigen Freunden, welche Abends den Thee bei ihr tranken und sich mit Gesprächen, Vorlesen oder auch wohl Kartenspiel unterhielten. Mir wurde an diesen Abenden das Amt, den Thee zu bereiten und den kleinen Kreis zu bedienen, da die Tante ungern Dienstleute im Zimmer sah. Das war mir, als ich die ersten Schwierigkeiten überwunden hatte, die mir aus diesem Geschäft entsprangen, recht sehr angenehm; denn häusliche Arbeiten machten mir stets viel Vergnügen, und ich entging dadurch am besten der Verlegenheit, unter diesen älteren Herren und Damen anständig still zu sitzen oder gar an Gesprächen Antheil zu nehmen, für die ich noch zu wenig allgemeine Bildung besaß. Zuhören konnte ich ja dabei ganz nach Behagen und war doch in meinem Wirkungskreise gut untergebracht. Aber Anfangs gab es freilich wieder mancherlei Dinge, welche ich erst lernen mußte.

So füllte ich die Tassen stets bis hoch hinauf an den Rand, was die Tante mir zwar gleich am ersten Morgen verboten, ich mir aber gar nicht merken konnte. Mir schien es immer, als würden die Leute meinen, ich gäbe es ihnen nicht gern, wenn ich so wenig in die Tassen goß. Die Folge davon war denn, daß der Thee über den Rand hinaus gedrängt wurde, sobald man Zucker und Sahne hinzu that, und daß von jeder Tasse ein Regen herab träufelte, sobald man sie an den Mund führte. Ferner lief ich mit der Theekanne rings im Zimmer umher, um gleich an Ort und Stelle die Tassen der Gäste wieder zu füllen, bis Tantchen mich leise zurück zog und mir die Tassen an das Buffet brachte, um dort einzugießen.

Dankte dann eins oder das andere der Gäste und wollte nichts mehr genießen, so hielt ich es für meine Pflicht, sie mit Bitten so lange zu bestürmen, bis ich meinen Thee oder Kuchen wieder angebracht hatte, was mir oft schwer genug wurde, bis die Tante mich endlich von diesem Amte erlöste. »Denn,« sagte sie, »in guter Gesellschaft dankt man, wenn man genug hat, ohne auf Nöthigung zu warten. Dies Bitten und Bestürmen ist gut kleinstädtisch und in manchen Kreisen vielleicht wohl gebräuchlich, zum guten Tone aber gehört es nicht, obwohl es eben auch kein Unrecht ist.«

Die Art und Weise, wie man jemandem etwas darbietet, will auch gelernt werden, und so erfuhr ich, daß man dem Gaste von der linken Seite etwas präsentirt, nicht aber von der rechten, denn sonst hat derselbe die rechte Hand nicht frei zum Zulangen.

Vor Allem hielt die Tante darauf, daß ich alle meine Geschäfte hübsch still und geräuschlos that, damit die Gäste nicht das Knarren der Räder, welche die Hausordnung trieben, unangenehm bemerkten.

»Mir wird immer ganz unbehaglich zu Muth, wenn ich jemanden besuche und sehe, welche Störung meine Gegenwart hervorruft,« sagte die Tante. »Da wird gerannt und gerufen, Thüren und Schränke auf und zu geworfen, heraus und herein geschossen, geklappert und gepoltert, und das Alles, um mir vielleicht ein Stückchen Kuchen auf einem Teller darzubieten, oder den Theetisch zurecht zu machen. Nur ja niemals viel Lärm um nichts, liebe Tochter, weder in leiblicher noch in geistiger Hinsicht.«

Da an diesen Montagen nur ältere Herren und Damen bei der Tante erschienen, so konnte ich ganz meiner Neigung folgen, welche mich antrieb, so zuvorkommend und aufmerksam, so dienstfertig und gefällig zu sein, als möglich. Jüngeren Personen, besonders jungen Herren gegenüber, hielt mich die Tante oft in meiner Dienstbeflissenheit zurück, da dieselbe, wie sie sagte, häufig zu weit ging. Daß man auch übertrieben gefällig sein könnte, kam mir freilich sonderbar vor, aber die Tante verstand das besser. Gegen alte Damen jedoch ließ sie mich ruhig gewähren, und da mein Herz mich ganz besonders zu einigen derselben hinzog, kannte meine Dienstfertigkeit keine Grenzen. Ihnen den Sitz behaglich zu machen, Fußbänkchen unter die Füße und Kissen in den Rücken zu schieben, nach Tuch und Mantel zu springen, ihnen die Maschen ihres Gestrickes zu zählen, oder herunterstürzenden Maschen zu Hülfe zu kommen, Nadeln einzufädeln, Garn oder Seide zu wickeln, Obst zu schälen, nach Riechfläschchen oder frischem Wasser zu springen, – alles das waren Dinge, die ich mit Entzücken besorgte, sobald mein spähendes Auge nur den leisesten Wunsch danach zu entdecken meinte, und freundlicher Dank wurde mir dann immer zu Theil.

Gegen die alten Herren war ich natürlich zaghafter, doch beeilte ich mich ebenfalls, wo es wünschenswerth schien, bequeme Sitze herzurichten, alles was zur Erde fiel aufzuheben, fein gedruckte Schrift heraus zu buchstabiren, Brillengläser abzuwischen, oder auch ruhig und gefällig zuzuhören, wenn irgend eine langweilige Erzählung keine aufmerksamen Zuhörer finden wollte.

Häufig, wenn diese gemüthlichen Abende nicht durch Kartenspiel ausgefüllt wurden, griff man zu der Lectüre irgend eines guten Buches, aus welchem ein oder das andere Glied der Gesellschaft vorlas. Am liebsten hörte ich Tante Ulrike vorlesen, deren weiches, klangvolles Organ wie Musik tönte und mir jetzt erst einen Begriff davon gab, welch' schöne Sache es um gutes Vorlesen sei.

Uebrigens wurde mir die Freude, Tante Ulrike lesen zu hören, öfter zu Theil; denn damit auch ich in dieser Kunst etwas lernte, nahm sie sich die Mühe, häufig auch mit mir etwas zu lesen. Ich armer kleiner Stümper wagte anfangs kaum, neben dieser fertigen Vorleserin die Lippen zu öffnen; aber in ihrer freundlichen Weise ermunterte sie mich dabei, ohne müde zu werden, ließ mich oft Zeile für Zeile nachsprechen, Sätze drei bis vier Mal lesen, bis ich den Ton und Ausdruck gefunden, den sie selbst hinein legte, und so bildete sich nach und nach auch mein Vortrag.

Mit diesen Vorlesungen verband die Tante übrigens noch einen andern Zweck, meine Erziehung betreffend. Um mich zu gewöhnen, auch mit müßigen Händen anständig und still dazusitzen, was mir sehr schwer wurde, wie vielen andern Leuten auch, duldete die Tante nicht, daß ich mich während des Lesens mit einer Handarbeit beschäftigte.

»Junge Mädchen wissen immer nicht, was sie mit ihren Gliedern anfangen sollen, wenn sie nicht mit den Händen arbeiten oder mit den Füßen tanzen können,« sagte die Tante, und wie sehr sie darin Recht hatte, fühlte ich an mir selbst nur zu wohl. Auch meine Haltung ließ viel zu wünschen übrig, und mein Rücken suchte sich immer kräftigen Beistand an der Stuhllehne; ich glaube, mein Kreuz bedurfte der Stütze, da ich eine so lang aufgeschossene Hopfenstange war.

»Sieh, ich bin alt, und halte mich viel besser, als du junges Mädel!« sagte die Tante, und darin hatte sie nur zu wahr gesprochen, denn sie hielt sich in der That so musterhaft gerade und stattlich, ohne dabei steif oder altmodisch auszusehen, daß ich es mit ihren silbergrauen Löckchen gar nicht vereinen konnte, welche doch die Schwäche des herannahenden Alters verkündeten.

»Das ist alles nur Gewohnheit, Kind,« pflegte sie zu sagen, wenn ich diese meine Verwunderung gegen sie aussprach. »Wer krumm sitzt, wächst krumm. Das Bäumchen, das als schwacher Stamm gerade gezogen wird, giebt einen stolzen, stattlichen Baum im Alter. Jung gewohnt, alt gethan! Wer z. B., wie meine liebe Grete so eben thut, schon mit 16 Jahren seine Füße so weit von sich fort streckt und mit den Händen ungeheuerliche Fechtübungen macht, während der Mund redet, der wird auch mit 60 Jahren nicht, wie es der Anstand erfordert, geschlossene Glieder und ruhige Bewegungen erlangt haben.«

Dabei schob die Tante eine Fußbank unter meine baumelnden, zappelnden Füße, leider aber gab es für meine zehn Finger keinen derartigen Ruhepunkt, und dieselben einfach und ruhig im Schooße liegen zu lassen, wie es schicklich, war eine schwere Aufgabe.

»Die du aber lernen mußt,« sagte die Tante, »denn ein junges Mädchen, das während des Gespräches die Finger still hält, und nicht irgend etwas darin dreht oder sonstige Verlegenheitsmaneuvres macht, ist eine seltene Erscheinung. Wenn ihr nur wüßtet, ihr jungen Mädchen, wie unbehaglich ihr durch diese Unruhe des Körpers für Andere werdet, ihr dächtet mehr daran, es zu vermeiden.«

»Ja, Tantchen, da muß man aber immerfort nur an sich denken, und an alles das, was anständig ist,« klagte ich kleinlaut.

»Das lernt sich schon, und dann kann man später gar nicht anders,« entgegnete die Tante. »Auch du wirst es früher lernen, als du jetzt denkst, mein kleiner Backfisch; denn ich sehe, du giebst dir Mühe, und ich bin ganz gut mit dir zufrieden, wenn ich auch immerfort tadle. Nur Geduld, es wird schon werden, mein Töchterchen!«

Das war das erste Lob, welches die Tante mir in Betreff dieses Punktes ertheilte. Wie glücklich machte es mich, und wie hob es meine muthlos sinkenden Flügel! Damit ich mir aber nichts auf meine riesigen Fortschritte einbilden möchte, stand schon wieder ein kleiner Dämpfer in der Nähe.

So eben nämlich lasen wir in Goethe's Tasso die schönen Worte:

»Willst du genau erfahren, was sich ziemt,

»So frage nur bei edlen Frauen an,

»Denn ihnen ist am meisten dran gelegen,

»Daß Alles wohl sich zieme, was geschieht.«

»O, Tantchen, das klingt gerade, als hätte Goethe dich mit diesen edlen Frauen gemeint!« rief ich mit jugendlicher Wärme.

Die Tante blickte lächelnd vom Buche auf, und indem sie mich ansah, spielte plötzlich ein lustiger Gedanke auf ihren Lippen.

»Du bist eine kleine Schmeichelkatze,« sagte sie. »Mir fällt da aber gerade ein anderer Vers ein, der auf dich vortrefflich paßt.«

»Auf mich, Tantchen? Ein Vers? Was denn für einer?« fragte ich verwundert.

»O er ist nur kurz, aber desto treffender,« lachte die Tante, und nun sprach sie in singendem Tone:

»Kätzchen ist gestorben heut,

»Giebt's ein schönes Grabgeläut,

»Unsre liebe Kleine

»Baumelt mit dem Beine,

»Stühlchen setzt sich auch in Trab,

»Wackelt munter auf und ab!«

Also das war's! In Gedanken verloren hatte ich mich in meinen Stuhl zurück gelegt, und mit demselben auf und nieder wippend, schlug ich mit meinen Füßen munter den Takt dazu, indem ich sie hin und her schlenkerte.

Mit fröhlichem Gelächter fiel ich der Tante um den Hals und küßte sie wegen ihrer köstlichen Einfälle so stürmisch ab, daß sie mich nur mit Gewalt von sich abwehren konnte und mich ein tolles, wildes Ding nannte, dem sie zur Strafe nun heute kein klassisches Wort weiter vorlesen werde. »Hier ist andere Speise für das kleine Bauermädel,« sagte sie dabei und griff nach einem Buche, das sie mir für mein einsames Stündchen nach Tische, während sie selbst ihre Mittagsruhe hielt, zum Durchlesen anempfahl.

Es war Uli der Knecht, und dessen zweiter Band, Uli der Pächter, von Jeremias Gotthelf. Ach ja, das gefiel mir allerdings unbeschreiblich; aber an diesem wundervollen Werke mußte ja wohl jeder Gefallen finden, der Sinn und Herz besaß für einfache, tief gefühlvolle, brave Menschen. Welch einen Schatz an Gemüth barg dieses liebe Buch in sich, welche derben, biederen Naturen waren darin gezeichnet, und welche feine Beobachtung des rein Menschlichen!

Ich vertiefte mich bald völlig in diese schöne Welt, in welche der Dichter mich einführte, in das Leben unter schlichten Bauern draußen auf dem Dorfe, eine Welt, die mir selbst ja so lieb und vertraut war, und erwachte erst wieder für meine gegenwärtige Umgebung, als die Tante zum Kaffee rief. O weh, o weh, den hatte ich ganz über meinem Buche vergessen! »Erst die Pflicht, dann das Vergnügen!« lautete der Wahlspruch der Tante, wer den aber nicht beherzigte, war die nachlässige Jungfer Grete, sonst hätte sie erst den Kaffee gekocht und dann gelesen.

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