DIE MENSCHEN

Ein Zustand, wo jeder tun könnte, was er will, ist schwerlich zu ersehnen. Wenn das vorübergehende Ich völlig sich ausleben dürfte, ginge das ewige Ich darüber zugrunde. Der Einzelne muß darum gebändigt werden. Die Freiheit als etwas Absolutes wünschen kann nur ein Schwärmer oder ein Tor. Der Einzelne, der sich inmitten der Gesellschaft schrankenlos ausleben will, ist immer ein Verbrecher. Die verschlafenen Juristen von der Universität sondern das gemeine Verbrechen vom politischen. Die Ketzerrichter urteilen klarer, wenn sie auch das politische ein gemeines nennen. Vom Staate aus gesehen verschwindet nämlich der Unterschied. Und wer den Einzelnen wie die Gesamtheit mit demselben gelassenen Blick anschaut, der findet, daß alle Verbrechen [pg 66] politische sind. Die Gesetze sind ja bloß die Form — die zeitweilige, besserungsfähige, aber deutliche —, in welcher die große Persönlichkeit eines Volkes die Bedürfnisse und Bedingungen ihres Daseins ausspricht.

( Palais Bourbon. )

Die Menge ist bekanntlich großmütig und boshaft, intelligent und albern, tollkühn und feig — alles in demselben Augenblick — sie weicht einem Milchkarren vorsichtig aus und geht in die Bajonette hinein, sie lacht über einen Witz und versteht keinen Spaß, wird durch eine sentimental aufgedonnerte Phrase gerührt und jubelt einer Grausamkeit zu.

( Philosophische Erzählungen. )

Die Menschen nähern sich einander nicht, wenn es keinen Notstand gibt, und vielleicht haben darin alle recht. Das Gemeingefühl, die Gemeinbürgschaft erwachen nur in den Katastrophen.

( Feuilletons )

Die Rechtlosigkeit des Einzelnen ist dem Kollektivismus und der unbeschränkten Monarchie gemeinsam. Nur läßt der Kollektivismus etwas Unkörperliches, Ungreifbares über dem Staate schweben, und darum wird er als etwas Dauerndes spät oder nie in Erfüllung gehen. Die Massen denken niemals in Ideen und immer in Personen. Es ist aber eine der reizendsten Antinomien, daß gerade die gestaltlosen Tyrannen verhaßt sind. Kommt einmal der unbestimmte Despot, so ist das Volk froh, ihn durch einen bestimmten zu ersetzen. Er müßte sonst sich selbst [pg 67] zürnen, sich selbst hassen, sich selbst den Untergang wünschen wegen der Härten, die vom Herrschen untrennbar sind. Die richtige naive Republik will einen Großherzog an der Spitze haben.

( Feuill. )

Versammlungen werden wie andere nervöse Wesen durch die Farbe einer Stimme gereizt und beschwichtigt, aufgerührt und bezaubert.

( P. B. )

Das Moralische fängt erst später an: nämlich beim Bewußtsein! Beim Ueberwinden des Instinktiven.

( Das neue Ghetto. )

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