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Prachtvoll war die Morgenluft. Er atmete sie aus tiefen Lungen, als er den Berg hinaufschritt. Die Mütze saß im Nacken. Das Band lag fest um die Brust. Und in ihm sangen und klangen die alten Studentenweisen. Weit, ganz weit dehnte er die Arme …

Er trat ins Haus und dämpfte den Schritt. Vor der weißlackierten Tür blieb er stehen. War das nicht ein Kichern? Er klopfte.

»Willst du wohl!« tönte eine Stimme.

»Nur guten Morgen wünschen. Auf Wiedersehen, Traud.« Und elastisch ging er die Treppe weiter hinauf.

Da öffnete sich hinter ihm die Tür, und die Hausfrau stand im hellen Morgenkleid und lachte hinter ihm drein.

»Guten Morgen, Klaus. Gut bekommen – das Stelldichein mit dem Klaus von ehedem?«

»Warte, ich habe dir eine Probe mitgebracht.«

»Pirat,« lachte sie und war in ihrem Zimmer.

Klaus Kreuzer aber schlief einen festen Jugendschlaf, und als er um die elfte Morgenstunde erwachte, stand der Sohn an seinem Lager.

»Was, du bist vor mir auf?«

»Frühschoppen, Papa.«

»Ich denke, du wolltest sofort ins Kolleg?«

»Ach, Papa, auf den einen Tag wird's wohl nicht ankommen.«

Ein Lächeln huschte um des Professors Mund. »Nein, nein, auf den einen Tag wird's wohl nicht ankommen. Aber damit du nicht weiter in Anfechtungen fällst, werde ich – ja, ja, das werde ich – an Mama depeschieren, daß ich erst morgen komme.«

»Papa! Famos, Papa!«

»Und nun laß mir eine halbe Stunde zur Toilette. Wir gehen dann zusammen.«

»Du – Papa …«

»Was denn, mein Junge?«

»Ich war gestern abend rasend stolz auf dich. Und ich habe es auch Tante Werder schon gesagt.« Und nun war der Junge draußen. Und der Vater sann hinter ihm her. – –

Eine halbe Stunde später betrat er frisch und hoch gestreckt das Frühstückszimmer.

»Guten Morgen, verehrte Cousine. Bin ich nicht ein Frühaufsteher?«

Sie legte den Kopf auf die Seite und betrachtete ihn.

»Alle Achtung, Klaus. Dafür, daß du schon um sechs Uhr früh auf den Beinen warst, bist du noch immer recht rüstig.«

»Spötterin. Dürfte ich wirklich noch um eine Tasse Kaffee bitten? Wo steckt der Walter?«

»Das ist ein Junge, Klaus. Nachdem er mir mit strahlenden Augen von ihm, dem herrlichsten von allen – das solltest du nämlich sein, Klaus – erzählt hatte, bekam er plötzlich das zweite Gesicht und mußte eiligst noch ein Kolleg belegen. Sehr beschämend für den väterlichen Leichtsinn.« Und sie schenkte ihm das Frühstück ein.

»Leichtsinnig? Ich –? Ach, Traud, ich wollte, ich könnte es noch einmal von Herzen sein.«

»Ja, ja, ich glaub's. Was ihr so darunter versteht. Von Zeit zu Zeit mal über die Stränge schlagen und sich heimlich freuen, daß es keiner gemerkt hat. Lieber Klaus, das ist ein billiger Leichtsinn für kleine Leute und würde gar nicht zu dir passen. Schlag's dir aus dem Kopf.«

»Kennst du zwei Arten von Leichtsinn? Eine passende und eine unpassende?«

»Ja,« sagte sie und hob die Stirn. »Wenn du schon bei dem Wort bleiben willst, so kenne ich zwei Arten.«

Er sah ruhig auf zu ihr, die neben ihm stand. »Nenn sie, Traud.«

»Nein, ich fürchte mich nicht. Es wär' ja eine Lüge, wenn ich anders sprechen wollte. Es gibt einen leichten Sinn, der sich heimlich aufmacht und durch die Niederungen schleicht, einerlei, ob es durch Sumpf- und Brackwasser geht, wenn nur die Spur nicht gefunden wird, und es gibt einen leichten Sinn, der sich über alle Miseren in lichte, frohe Höhen zu schwingen versteht, bis die Augen der Nachstaunenden ihn nicht mehr zu fassen vermögen, bis er selber die Sonne verspürt und er Gott anders begreift und seine Welt und erkennen lernt, daß es über jede Misere hinaus einen lachenden, blauen Himmel gibt für den, der zu fliegen versteht.«

»Weiter,« sagte Klaus Kreuzer nach einer Weile, »ich höre dir zu.«

»Weiter?« wiederholte sie. »Lern fliegen, und du brauchst meine Weisheit nicht.«

Und wieder sagte Klaus Kreuzer nach einer Weile: »Ich habe es einmal gekonnt – oder wohl nur zu können geglaubt, denn ich schlage nur noch zur Schau mit den Flügeln.«

»Weshalb?«

»Gott, liebe Traud, es gibt eben Menschen, die sich lieber einen Pfauhahn halten, der der allgemeinen Bewunderung zugängig gemacht werden kann, als einen Adler, der sich den Blicken der Leute entzieht.«

»Ich glaube gar, Klaus, du hast deinen ganzen Geheimratsfrack voll Orden.«

Eine Röte glitt über seine Stirn. Dann sah er scharf auf.

»Keine Sorge, du wirst keinen zu sehen bekommen.« Und er erhob sich mit verschlossenem, hochmütigem Gesicht.

Sie erwiderte nichts, stand auf und sah ihn lächelnd an. Bis es ihn unruhig machte.

»Weshalb lächelst du denn nur, Traud?«

»Weil ich dich gerade im Schmucke deiner Orden sehe … Adieu, Klaus, und recht viel Vergnügen.« Und sie nahm das Tablett vom Tisch, winkte ihm zu und ging aus dem Zimmer.

Einen erregten Schritt tat er ihr nach, besann sich, daß er Gastfreundschaft in diesem Hause genoß, und meisterte seine Erregung. Auf dem Tisch lag die Studentenmütze. Er griff nach ihr und zog sie in den Nacken. Da kam Walter die Treppe hinauf. Straff ging er ihm entgegen. »Junge, der Frühschoppen wartet, und wir wollen uns – über die Erdenschwere in die Lüfte schwingen.«

»Bist du nicht aufgeräumt, Papa?«

»Ich bin es sogar sehr, und zum Zeichen dessen machen wir jetzt den Umweg übers Telegraphenamt.« – – –

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