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Er hatte seinen Stuhl neben Trauds Klavierbank gerückt und sah zu, wie das Morgenlicht über die Tasten rieselte und sich unter dem leisen Anschlag ihrer Finger streicheln ließ. Und wenn sie seinen Blick fühlte, wandte sie den Kopf nach ihm, sah ihn lange an und nickte ihm zu.

»In einer Stunde, Traud, kommt der Mittagsschnellzug und holt mich nach Berlin. Wirst du mit zum Bahnhof gehen?«

»Nein, Klaus. Wir trennen uns ja gar nicht.«

»Ich hätte gern als Letztes einen Blick von dir mit mir genommen. Aber du hast recht, und es muß auch ohne das Symbol gehen!«

Und sie sah ihn lange an und ließ die Finger im leisen Anschlag durch die Sonne gleiten und nickte ihm zu.

»Ich lass' dir den Walter, Traud. Laß ihn zuweilen zuhören, wenn du spielst, und zusehen, wenn soviel Sonne im Zimmer ist.«

»Ja, Klaus.«

»Marianne hat ihm nicht viel Heiterkeit mitgegeben, und ich saß wie ein rechter Streber zwischen den Büchern und wurde abends von Marianne in den Gesellschaften – vorgezeigt. Da blieb nicht viel übrig für den Jungen. Und doch ist soviel Ungehobenes in ihm und soviel Quellenreichtum, der übersprudeln möchte, wie in jedem jungen Menschen.«

»Er ist ja dein Sohn, Klaus.«

»Er ist es wohl noch nicht, aber ich möchte, daß er es wird. Mein Sohn.«

»Ich werde ihm häufig aus der Zeit erzählen, in der sein Vater jung war und« – sie lächelte – »in der er es wieder wurde.«

Er beugte sich über sie und küßte sie aufs Haar.

»Da ich es doch durch dich wurde, so mußt du schon seine Mutter sein.«

»Ja, Klaus, das will ich.« Und es wurde still und feierlich in ihnen und um sie her.

Klaus Kreuzer saß und hielt die Hände zwischen den Knien. Und begann noch einmal, leise und beschämt: »Es war ja nicht recht von uns, so einfach den Zufall, daß du deiner Mutter Haus geerbt hattest, wahrzunehmen und den Jungen bei dir einzuquartieren. Aber Marianne meinte, pekuniär machte es dir nichts aus, und du ergriffst auf diese Weise gewiß gern die Gelegenheit, den verlorenen Anschluß an die Familie zurückzugewinnen. Ich sagte Ja und Amen. Traud, ich kannte dich ja gar nicht.«

Sie war blaß geworden und ließ die Hände in den Schoß sinken.

»Den verlorenen Anschluß an die Familie …« murmelte sie. Und plötzlich erhob sie sich mit einer jähen Bewegung und warf ihm die Arme um den Hals. »Mir gehörst du, mir, und dein Junge gehört mir auch. Schon als Kind habe ich dich lieb gehabt, dich und deine Freude, und die andere hat dich mir genommen, und dir hat sie deine Freude genommen.«

»Nicht so, Traud –«

»Nein, nicht so. Und nun wollen wir nie wieder davon sprechen. Aber geben wollen wir uns aus vollem Herzen alles das, was die anderen nicht wollen und was uns so nötig ist wie das Atmen: unsere Freude, Klaus.«

Er hielt sie ganz fest, und in ihre Augen hinein sagte er: »Daß wir noch so jung sind, Traud.«

»Daß wir noch eine so lange, lange Wegstrecke vor uns haben, Klaus.«

»Leb wohl, Traud. Das ist kein Abschied. Das ist ein Dank aufs Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen, du – –«

Ein paar Schritte tat er und kehrte um, nahm ihr Gesicht in seine Hände und blickte tief in ihre Augen.

»Ich mußte noch einen Blick in meinen Garten werfen.«

Dann ging er.

Sie hörte seinen Schritt die Treppe hinaufgehen und wieder herabkommen. Band um, Mütze auf, sah sie ihn elastischen Schrittes über die Straße schreiten, den Sohn neben sich, der seine Farben trug. Und Klaus Kreuzer schritt zum Bahnhof und fand die Couleur vollzählig versammelt und die alten Herren, die vom Feste noch übriggeblieben waren, und er ging von einem zum anderen und schüttelte allen die Hand.

»Wiederkommen! Wiederkommen!«

»Ihr könnt euch darauf verlassen.«

Und der Zug lief ein, der Abschied vom Jungen war vorbei, und er stand am offenen Gangfenster und hielt die Mütze vor der Brust.

»Abfahren!« Und der Zug zog an.

»Stoßt an! Marburg soll leben! hurra hoch!
Die Philister sind uns gewogen meist,
Sie ahnen im Burschen, was Freiheit heißt.
Frei ist der Bursch – frei ist der Bursch!«

Das klang wie Schwerterklang und Bechersang aus einem halben Hundert Jungmännerkehlen zu ihm auf und schwang sich hinter dem Zuge her und rief zu Lebenskämpfen und Lebensfesten, daß ihm das Wasser in die Kehle treten wollte. Noch immer lehnte er im Fenster und hielt die Mütze zum Gruß fest vor der Brust. Dann war der Bahnhof zu Ende, und er tat einen Ruck und stand hochaufgerichtet und starrte geradeaus.

Da stand am Ende des Bahnsteigs eine Frau und sah ihn an mit weitgeöffneten, hellen Augen.

Da grüßte ihn seine Jugend, die wiedergeborene. –

Ernst legte er Mütze und Band ab … Und auf der ganzen langen Fahrt dachte er an ihre Augen, diese Augen, die ihn wieder sehend gemacht hatten. – –

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