Die Sonne.

Es lief das Herz dir über schier

Und war voll Sonne nur.

Da stieg sie bis ins Auge dir

Und ließ die goldne Spur.

Ein Weilchen standst du wie gebannt,

Als ob's dich blenden wollt' …

Und wie du senktest scheu die Hand,

Da lag die Welt in Gold.

Da lag die Welt in Sonnenschein,

Die gestern alt und kalt,

In Flammen stand der Blumenrain,

In Flammen stand der Wald.

Ich kam des Wegs, du sahst mich an,

Dein Blick rief mich zurück.

War nur ein friedeloser Mann

Und ward ein Mann im Glück.

Und ward ein Ritter hoch zu Roß

und ward des Lachens kund.

Das tat dein Herz, das überfloß,

Das tat dein Aug' und Mund.

Und wenn im Feld die Raben schrein,

Im Zorn der Donner grollt:

Ich schau' mit deinen Augen drein –

Da liegt die Welt in Gold.

Traud las das Blatt, faltete es zusammen und ging durch das Haus. Überall öffnete sie die Fensterläden und ließ an Licht und Luft in die Räume, was hineinwollte, und im Gärtchen schnitt sie einen Fliederstrauß und stellte ihn auf den Tisch in Walters Zimmer. In froher Geschäftigkeit verbrachte sie den Tag, und als am Nachmittag die Hausarbeit geschehen war, kleidete sie sich hübsch und festlich an und setzte sich vor ihr Klavier. »Jetzt mach' ich meinen Ausflug,« sagte sie, und die Töne zogen wie eine Schar Wandervögel zum Fenster hinaus, und ihre Seele war mitten darunter und schwang sich an die Spitze und zeigte den Weg. Und es wurde Abend und Nacht. Und sie erwachte in ihrem Stübchen, dachte, noch halb im Traume, angestrengt hin und her, ermunterte sich und machte Licht. Auf bloßen Füßen huschte sie zu ihren Kleidern, suchte ein zusammengefaltetes Blatt hervor und huschte in ihre Kissen zurück. Das Licht blieb brennen, bis es tagte, und sie hatte alle die Zeit offenen Auges hineingeblickt. Und doch war sie frischer und gesunder denn je, als sie sich zum neuen Tagewerk erhob und schnell ein Frühstück für Walter rüstete, der in die Fechtstunde mußte.

»Heraus, Langschläfer, das Leben läuft dir weg!«

»Ach, Tante Werder – es ist so mollig im Bett.«

»Draußen steht ein bildhübsch Mädchen und schaut sich nach deinem Fenster die Augen aus.« Sie horchte und lachte: »Wie er plötzlich herauskann und sich sputet. Man muß nur an die Stelle der Gewohnheit die Erwartung setzen.«

»Guten Morgen, Walter. Jetzt ist das Mädel weg. Dafür hast du aber den ganzen Gottesmorgen gewonnen.«

»Ach – Tante!«

»Tröste dich, Walter, es gibt mehr hübsche Mädel als schöne Morgen.«

»Danke, Tante. Aber ich sammle mir doch gern meine eigenen Erfahrungen.« Und fort war er.

»So hab' ich's gemeint,« lachte sie vor sich hin, streckte die gesunden Glieder und ging an ihr Tagewerk. – –

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