XVII

Als einem geborenen Antisemiten ist es dir peinlich, daß Christus ein Jude war, und du verargst es Gott ein wenig, daß er gerade die Juden auserwählte, um unter ihnen Fleisch zu werden. Gott wußte indessen wohl, was er tat, was du glauben wirst, wenn du überhaupt an Gott glaubst: die Juden waren das Volk, das ihm am meisten glich, insofern es die stärksten Gegensätze umfaßte. Sie umfaßten in sich das Göttliche und das Teuflische, die höchste Liebesfähigkeit, den unbedingtesten Glauben, hingebende Opferwilligkeit und teuflische Grausamkeit, Tücke, Hochmut und Unglauben. Ihrer Habsucht und Geldgier stand großartigste Uneigennützigkeit gegenüber, glühender Sinnlichkeit engelgleiche Reinheit. Diese Gegensätze wurden zusammengefaßt durch Persönlichkeiten von noch nie dagewesener Verdichtung und Bindekraft, die die ungeheure Idee des einen Weltgottes erst fassen konnten. Ihre gigantische Phantasie stellte die Gestalt Luzifers, des Rebellen, neben Gott und weissagte den Hölle und Tod überwindenden Erlöser.

Die tiefe Spaltung in den durchgehenden Gegensatz von Selbstbewußtsein und Gottbewußtsein mußte der bewußten Zusammenfassung dieser Gegensätze vorangehen; jeder Monismus ist auf einen Dualismus gegründet, der das natürliche Gefühl abstößt, sowie die zusammenfassende Kraft fehlt. Bei keinem Volke der Erde war die Spaltung so tief gegangen; darum konnte aus den Herzen, die sie überwanden, zuerst das Wort von Gott fließen, so stark und rein, daß es seitdem alle leidenden Herzen überzeugt, erhoben, getröstet und begeistert hat. Dies erst, daß das menschliche Selbst sagte: Ich bin! bewog Gott, das Dunkel zu durchbrechen und zu sagen: Ich bin der Herr, dein Gott. Daß die Juden das erste monotheistische Volk waren, daß alle Völker ihnen insofern viel verdanken, steht in allen Geschichtsbüchern zu lesen. Daß Christus Jude war, gesteht man schon weniger gern zu. Luther nahm es als Tatsache an, und es war Grund für ihn, mit den Juden zu sympathisieren, obwohl sie doch Christus auch gekreuzigt haben. Aber welches Volk hätte das tun können außer dem, in dem er erschienen war? Aus dem Volke der größten Gegensätze sind die Mutter und die Mörder des Erlösers hervorgegangen. Übrigens hat die Unbelehrbarkeit der Juden, mit denen er sich anfangs gern in Dispute einließ, ihn mehr und mehr gegen sie erkältet und schließlich erbittert.

Denn das sah er ja ein, daß den Juden nichts anderes übrigbliebe, als an Christus zu glauben und in anderen Völkern aufzugehen. Sie sind in der Lage der Nachkommen eines großen Mannes: sie können nur in ihm und durch ihn etwas sein; wollen sie neben ihm oder sogar gegen ihn etwas sein, so müssen sie zugrunde gehen. Das Schicksal der Zerstreuung mußte sie betreffen, und sie werden sich ihm nicht durch Begründung eines eigenen Vaterlandes entziehen können, weil ihnen dazu die Kraft, der Glaube an sich selbst fehlt. Sich zu überpersönlichen, das heißt zu sterben, in anderen, noch lebensvolleren Einheiten aufzugehen, ist die letzte Bestimmung der Völker wie der einzelnen.

Was eine jüdische Partei vor Jahrhunderten veranlaßte, Christus zu kreuzigen, war ihre Sinnlichkeit, ihre Herrschsucht, ihre Eitelkeit und Ungläubigkeit, der Teufel in allen drei Gestalten. Sie wollten einen Messias, der ihnen weltliche Herrschaft und weltliche Genüsse verschaffte; sie wollten weder die Überlegenheit seiner Person noch die Wahrheit seiner Lehre anerkennen. Dieselben Eigenschaften sind es jetzt noch, die uns die Juden entfremden: Sinnlichkeit und Geist, die nicht mehr durch starke Persönlichkeiten zusammengefaßt werden. Was wir als jüdisch empfinden, ohne daß alle Juden es haben müssen, ist etwas Immerwaches, Neugieriges, Lüsternes, kurz ein Selbstbewußtsein, mit dem uns nur eine starke positive Kraft versöhnen würde, die nun aber erschöpft ist. Wir nennen jüdisch ferner das korrekte Pharisäertum, das aus eigener Kraft vollkommen sein zu können glaubt, und durch das Gebundensein, nicht an das lebendige Gesetz des Herzens, sondern an das starre der Moral, der inneren Freiheit und Unschuld entbehrt.

Das Umherirren des Ewigen Juden ist jedenfalls der Wille Gottes, das heißt notwendig, und zwar wird es deswegen gewesen sein, damit die Juden Tropfen ihres Blutes den anderen Völkern der Erde mitteilen. Es ist eben dennoch Götterblut, wenn auch die Neige; so wie Gifte zugleich tödlich und heilsam, auflösend und ganzmachend. Man hat längst beobachtet, daß die Vermischung mit jüdischem Blut die Familien interessanter, bedeutender macht, gleichsam farbiger und ausdrucksvoller. Es wirkt zersetzend, Gegensätze hervorrufend oder verschärfend und insofern zur Reife bringend; die Farbigkeit ist die des Herbstes, der zugleich Früchte bringt und dem Winter annähert.

Die aus dem Herzen kommende göttliche Liebe findet sich bei den Deutschen unserer Zeit selten; wo sie erscheint, ist sie häufig auf jüdisches Blut zurückzuführen. Auch der kritische Verstand kann Gutes wirken in Familien, wo er noch nicht entwickelt war; anderen müßte der Zuschuß verderblich werden. Mit Giften muß man eben sehr vorsichtig sein, und sie dürfen nur in kleinsten Dosen gegeben werden. Die Völker werden im allgemeinen wohl den richtigen Instinkt haben, wieviel Beimischung jüdischen Blutes sie bedürfen und ertragen können.

Zunächst würde man denken, primitive Völker oder Schichten müßten Neigung zur Vermischung mit Juden haben; aber dies ist nicht der Fall; Bauern lehnen das Jüdische ab. Ich habe diese Rassefragen nicht studiert, denke mir aber, daß eine zu große Gegensätzlichkeit ungünstig ist, und daß erst bei einer gewissen Verwandtschaft Liebe von Völkern und Individuen fruchtbar werden kann. Nicht das Volk heischt Juden, viel eher der Adel, was nicht durch die äußeren Gründe allein zu erklären ist. Und nun denke an die merkwürdige Tatsache, die beobachtet worden ist, daß altadlige Familien oft den jüdischen Typus bekommen; nicht solche, in denen jüdisches Blut fließt, sondern gerade die mit reinem Stammbaum. Diese Tatsache scheint mir anzuzeigen, daß das Judentum ein Alters- und Entwickelungsgrad ist, den auch Völker und Familien ganz anderen Stammes durchmachen können. So betrachtet wäre das Judentum das Stadium der Selbstanbetung, in das ein Volk eintritt, wenn es sich seiner durch Inzucht ausgebildeten Eigenart und erreichten Höhe bewußt geworden ist und sich infolgedessen von allen anderen absondert.

Es fällt mir dabei ein, daß mir jemand erzählte, er wußte selbst nicht, ob es Wahrheit oder Anekdote war, eine von den alten Baseler Familien sei jüdischen Ursprungs, und durch diese sei ganz Basel mit jüdischem Blute durchsetzt. Es liegt darin jedenfalls ausgedrückt, daß ein lange von fremdem Zufluß abgesondertes, auf sich selbst beschränktes Gemeinwesen jüdisch wird, Ähnlichkeit mit dem Volke der Selbstanbetung und Dekadenz κατ ὲξοχην bekommt. Es hat sein Wort gesprochen, seinen Typus zu höchster Schönheit verdichtet und enthält sich, um ihn rein zu bewahren, jeder Vermischung mit anderen, wobei es sich endlich selbst verlieren muß. Man kann diesem tragischen Typus, der auch im Christustypus anklingt, immer begegnen, wo eine Familie oder ein Volk sich eben von der Spitze abwärts neigt. Es wird oft beklagt, daß Menschen und Völker sich überleben, daß Gott seine Kreatur nicht auf ihrem Höhepunkte zerstört; aber man hat unrecht, denn nicht Gott tut das. Er ist der schaffende Künstler, der den Stoff, sowie er ihn ganz mit Form durchdrungen hat, wegwirft, gleichgültig gegen das Vollendete. Das Formlose hat Zukunft, das Schöne, das Vollendete ist dem Tode geweiht, Gott wirkt nicht mehr darin und überläßt es sich selbst. Nicht Gott, sondern der Teufel ist jener Goldschmied Cardillac, der das eben abgelieferte Geschmeide dem Käufer hinterrücks entreißt, um es heimlich im Winkel, mit bösem Gewissen, blitzen zu lassen.

Ich glaube, es besteht eine Wesensverwandtschaft zwischen den vorchristlichen Juden und den Germanen, und werde versuchen, dir zu erklären, wie ich das meine.

Ich unterschied, wie du weißt, zwischen göttlicher und menschlicher Kraft, und schlug vor, jene die geniale, unwillkürliche, schaffende, diese die selbstbewußte, willkürliche, ordnende Kraft zu nennen. Dementsprechend kann man auch zwischen göttlichen und menschlichen oder gottbewußten und selbstbewußten oder genialen, schaffenden und ordnenden Völkern unterscheiden. Die genialen herrschen im Reiche Gottes, die selbstbewußten in der Welt. Sie haben auch ihre Genialität, das ist die Kraft des Organisierens, vermittelst welcher sie die göttlichen Ideen verweltlichen, in die Welt einordnen. Obwohl sie insofern von den genialen Völkern abhängen, weil sie selbst keine göttlichen Ideen hervorbringen, so herrschen sie doch in der Welt, welche das Reich der selbstbewußten Kraft ist. Wie das einzelne Genie, so wird auch das geniale Volk „gekreuzigt und verbrannt“; es ist in der Welt vorzugsweise leidend, denn es könnte nicht genial sein, das heißt nicht Gott empfangen, wenn es nicht passiv sein könnte.

Die genialen Völker des Altertums waren die Juden und die Griechen, das herrschende, das politische Volk des Altertums waren die Römer; ihnen entsprechen in der nachchristlichen Zeit einerseits die Deutschen und Italiener, andererseits die Engländer. Die Juden, Griechen, Italiener und Deutschen hatten und haben das Gemeinsame, daß sie von den weltlichen, politischen Völkern teils gehaßt, teils verachtet wurden; verachtet, solange sie in der Welt schlechtweg die Unterliegenden waren, gehaßt, wenn sie auch in der Welt eine Rolle spielen wollten. Die politischen Völker spüren in den genialen Völkern eine Überlegenheit, die sie doch in der Welt nicht zur Geltung bringen können, und die deshalb in ihnen, den politischen, keine Furcht erregt.

Was wäre die Welt ohne die Bibel und ohne die Geisteswerke der Griechen? Und wir dürfen wohl hinzusetzen, was wäre sie ohne die Kunst, Dichtung, Musik und Religion der Italiener und der Deutschen? Die herrschenden Völker beziehen ihr geistiges Leben zum großen Teil von den genialen; aber da sie sie nicht zu fürchten brauchen, gestehen sie es nicht zu und sind nicht dankbar dafür, sondern verleugnen sie und beschimpfen sie noch dazu. Die genialen Völker haben im Kampfe mit politischen Völkern nur Gott; verlassen sie aber Gott, um sich auf sich selbst zu stützen, so geraten sie in die größte Gefahr, da sie auf diesem Gebiete den politischen Völkern doch nicht gewachsen sind. In der Bibel hören wir nur von Gottvertrauen, niemals ein Wort von Selbstvertrauen; dieses Sichstarkwissen in Gott rauscht wie Adlerflug durch die Seiten der Schrift. Mit diesem Gottvertrauen waren die Juden unbesiegbar; nachdem sie Gott gekreuzigt hatten, wurden sie zertreten.

Man sollte nun denken, daß zwischen den genialen Völkern Einigkeit herrsche; aber zwischen ihnen besteht ein Unterschied, der sie ebenso voneinander trennt, wie sie von den politischen Völkern getrennt sind, nämlich der Unterschied von Natur und Geist.

Gott offenbart sich dreifach, nacheinander und nebeneinander auf drei Stufen. Er offenbart sich als Form schaffend in der Natur, als Taten schaffend im Leben oder in der Geschichte, als Ideen schaffend im menschlichen Geiste; diesen Stufen entsprechend ist der geniale Mensch vorzugsweise Künstler, Dichter, Held oder Weiser.

Danach sind unter den genialen Völkern die gestaltenden und die dichtenden zu unterscheiden: jene gehen von der Erscheinung aus, die etwas Begrenztes und Vielfaches ist, diese vom Inneren, vom Geist, der einfach und unendlich ist. Der dichterische Genius, der im Nacheinander eine höhere Stufe bezeichnet, versteht und liebt die zurückliegende Stufe; der bildende, der die höhere Stufe noch nicht erreicht hat, steht ihr mißtrauisch gegenüber. Im Altertum waren die Griechen das vorzugsweise, auch in der Dichtkunst, gestaltende Volk, wie es in der nachchristlichen Zeit die Italiener sind. Die Deutschen unterscheiden sich dadurch von den Juden, daß sie auch Gestaltungskraft haben, die jenen ganz abging; aber als geniales Geistesvolk haben sie auch als bildende Künstler immer eine dichterische Phantasie, wodurch ihre Kunst sich wesentlich von der der Griechen und Italiener unterscheidet. In ihren höchsten Spitzen berührt sich zwar die griechische und italienische Kunst mit der deutschen; aber für jene bedeutet Überreife und Beginn der Abwärtsentwickelung, was die Blüte, das Natürliche der deutschen Kunst ist. Die griechische und italienische Kunst hat vorzugsweise die göttliche Einzelerscheinung zum Gegenstande, die deutsche das körperlich erscheinende Unendliche. Aus diesem Grunde kann die italienische Kunst leer werden, aber niemals so abstrus wie die deutsche.

Ich weiß nun deinen Einwand schon, daß doch nicht jedes Phänomen in diese Einteilung hineinpaßt; aber das ist ja selbstverständlich, und das ganz gemeine Sprichwort sagt schon, daß keine Regel ohne Ausnahme ist, zugleich aber auch, daß die Ausnahme die Regel bestätigt. Die Einteilungen macht ja der Mensch, nicht Gott, Gott erlaubt sich vielmehr, sie zu durchbrechen; aber uns dienen sie doch zur Übersicht und zum Begreifen. Es gibt nicht nur ein Nacheinander, sondern auch ein Nebeneinander, und wie Gott selbst zugleich Künstler, Held, Dichter ist und selbst dem Teufel die Kraft gibt, so sind auch im Menschen alle diese Einzelkräfte zugleich tätig; nur pflegt ihm, da er nicht Gott ist, eine wesentlich zu sein. Je mehr ein Mensch sich Gott nähert, desto stärker umfaßt er alle Kräfte. Auch die politischen Völker bringen große Dichter und Künstler hervor; aber das ist nicht ihr Wesentliches, und sie werden den genialen Völkern bedeutungsvoller als ihnen selbst. Religionsstifter, also die allerumfassendsten Dichter, haben nur die Juden und die Deutschen hervorgebracht – ich spreche von den europäischen Völkern, zu denen die Juden jetzt auch zu zählen sind.

Im Grunde gibt es jetzt keine Juden mehr, so wenig wie es Griechen mehr gibt: was an ihnen lebendig war, ist in anderen Völkern aufgegangen.

Wie das Herz einer Frau durch eine Geburt geschwächt werden kann, so ist das Herz des jüdischen Volkes erschöpft, als Christus daraus hervorgegangen war.

Ein geniales Volk kann niemals ein Volk von hoher Kultur sein, wenn man Kultur ein Ausgeglichensein der Gegensätze nennt. Jedes geniale Volk wird namentlich den Gegensatz einer zum Gehorsam geneigten, weiblich passiven, unselbständigen Masse und einer herrschsüchtigen, hochmütigen Oberklasse aufweisen; eine göttlich-teuflische Kraft und einen formlosen Stoff, in dem sie sich offenbart. Diese formlose, gläubige Masse, diese chaotische, die immer zum Verwildern neigt, läßt die Deutschen als ein im ganzen unschönes, unkultiviertes, knechtisches, unklar gärendes Volk erscheinen, aus dem sich im schroffen und geschmacklosen Gegensatz eine hochmütig beschränkte, herrschende Klasse erhebt; aber zwischen diesen entgegengesetzten Polen flammt der Feuerfunke des Genies auf. Eine verhältnismäßig sehr große Anzahl genialer Persönlichkeiten pflegte im Deutschen Reiche zwischen den Herren und den Sklaven zu stehen und ein Gleichmachen zu verhindern, das das Ziel despotischer Herren gegenüber einer sklavischen Menge zu sein pflegt. Die Zentralisierung ist ein Zeichen entwickelten Menschentums, Abbild des Zentralnervensystems im Gehirn. Einheit in der Mannigfaltigkeit ist das schöne, farbige, verschwenderische Gesetz des göttlichen Lebens, das aus dem Herzen kommt; die Einheit, die der Mensch aus seiner Willkür schafft, ertötet Leben und Schaffenskraft. Deutschland und Italien umfassen die Mannigfaltigkeit sehr verschieden gearteter Einzelstaaten und den großen Dualismus eines geistigeren Nordens und eines sinnlicheren Südens, die in einer besonders produktiven geographischen Mitte zusammenstoßen. Auch Griechenland und Israel zerfielen in eine Menge nie ganz vereinbarter Stämme.

Zu Luthers Zeit war die Unausgeglichenheit und das starke Einzelleben im Deutschen Reiche noch außerordentlich groß. Luther selbst spricht von den Deutschen stets als von einem wilden, rohen, rauflustigen Volke, das bei jedermann die deutsche Bestie heißen müsse, mit Recht. In allen Ständen fand er zügellose Sinnlichkeit, Eigenwilligkeit und Übermut. Er liebte und haßte dieses Volk zugleich, ein kochendes Chaos, aus dem göttliche Gestalten, Taten und Worte stiegen.

Deutschland und Italien, das ist nicht zu leugnen, haben sich seit Luthers Zeit sehr verändert. Die musterhafte Organisation Englands und Frankreichs wurde ihr Ideal, dem sie auf anderen Wegen als den bisherigen nachstrebten: sie wollen aus genialen politische Völker werden. Der Krieg wird vermutlich darüber entscheiden, ob das möglich ist. Die Unzerstörbarkeit des persönlichen Charakters, dessen Wurzel ja aus Gott kommt, scheint dagegen zu sprechen; andererseits geht jede Nation, als Person, durch verschiedene Entwickelungsstadien hindurch und löst sich schließlich auf, wenn auch nicht so, daß es eine Leiche gibt, sondern indem sie sich mit anderen Nationen mischt und dadurch verändert. Seit Jahrhunderten sind in Deutschland die mehr weltlichen als genialen Preußen aufgekommen und mehr und mehr tonangebend geworden; sie konnten das, weil das alte Deutschland, das lange schaffenskräftig gewesen war, zu erschlaffen begann. Wird das alte Deutschland ganz in Preußen aufgehen, oder wird das alte, das geniale Deutschland auferstehen? Rußland ist jetzt das am meisten passive und gottvertrauende und zugleich das am meisten teuflische Volk, also das am meisten jüdische Volk; aber an Erscheinungen wie Tolstoi und Dostojewski sieht man auch die zunehmende Kraft des Herzens und des Wortes, die die Gegensätze bindet. Wer will weissagen, ob Rußland jemals oder gar schon bald die Rolle des alten Deutschlands übernehmen wird? Gott hat lange zürnend geschwiegen: er wird sich das Herz irgendeines Volkes erwählen, um durch dasselbe wieder zur Menschheit zu reden. Das ist aber gewiß, daß dieses Volk nicht zugleich ein politisch herrschendes sein kann; es wird leiden und entbehren müssen; dafür wird es in die Wohnungen des himmlischen Vaters einziehen, die ihm von Anfang bereitet sind. Aber, so würde Luther warnen, man muß auch das Göttliche nicht erstreben ohne Gottes Willen: jedes Volk muß kämpfen, um zu siegen, und schließlich Sieg oder Niederlage aus Gottes Hand hinnehmen.

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