XXII

Einer von den neuen Bibelübersetzern hat herausgefunden, daß Luther den Spruch, es werde eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, als daß ein Reicher in das Reich Gottes eingehen werde, falsch übersetzt habe, indem das betreffende Wort nicht Nadelöhr, sondern eine besondere Tür, ich glaube eine niedrige Stalltür heiße, durch welche ein Kamel allenfalls, wenn auch mit Mühe, sich zwängen könne. Dies erzählte jemand in einer Gesellschaft nicht ohne Genugtuung und mit einer gewissen Schadenfreude, daß seinesgleichen durchaus nicht vom Himmel ausgeschlossen sei, wenn er etwa hinein wolle. Ich finde, man könnte immerhin beim Nadelöhr bleiben, das am anschaulichsten ausdrückt, was die Meinung der Heiligen Schrift und Luthers war, daß es nicht unmöglich, aber doch einem Wunder gleichzuachten sei, wenn ein Reicher in das Reich Gottes eingehe. Man muß nur bedenken, daß das Reich Gottes das Reich des Geistes, das innere Reich ist, das zum Reiche der Welt, dem äußeren Reiche, im Gegensatz steht, ebenso wie Äußeres und Inneres einander entgegengesetzt sind. Im Gelde ist die Welt verdichtet, insofern man für Geld die äußeren Güter haben kann, und Geld ist also schon ein Ausdruck dafür, daß jemand in der Welt heimisch ist; Reichtum ist ein Ergebnis, ein Aushängeschild der Welt, das beweist und nicht erst noch bewiesen zu werden braucht. Es beweist, daß, wenn nicht der Reiche selbst, so doch seine Eltern oder entferntere Vorfahren Weltmenschen waren, und daß seine eigene Neigung zum Geistes- oder Herzensleben nicht so stark ist, daß seine weltliche Erbschaft dadurch beeinträchtigt würde. Letzteres ist auch aus folgendem Grunde schwierig: Reichtum wird auf einem Höhepunkte der Kraft erworben, die bei den Erben schon nachzulassen anfängt; es kann demnach in der Regel nur ein geringes Maß von Kraft auf die Erwerbung der geistigen Güter verwendet werden. Auch vererbt sich die weltliche Begabung, welche den Vorfahren zu Erfolgen in der Welt verhalf, wenn auch nur in dem negativen Sinne, daß die Flügel, deren der Geistesmensch bedarf, durch langen Nichtgebrauch lahm geworden sind.

„Niemand wickelt sich in weltliche Geschäfte, der göttlicher Ritterschaft warten will“, sagte Paulus. Es ist unmöglich, daß jemand, der stark im Geiste lebt, im Kampfe um äußere Güter siegreich sein, überhaupt sich in ihn ernstlich einlassen wird. Und „wo Christus ist, da ist auch Armut“, sagt Luther. Verdient ein Auserwählter etwa auch Geld, so wird er es doch nicht festhalten können, da er zum Geben, Mitteilen und Verschwenden überhaupt geneigt sein wird. „Wer liebt, verschwendet allezeit.“ Es wird aber auch schwerlich ein Genie viel verdienen; denn die Welt bezahlt nur, was ihr nützt, die Wahrheit nützt ihr aber durchaus nicht, steht eher im Gegensatz zu ihr oder geht sie nichts an. Erst wenn das Göttliche verweltlicht ist, wenn die Idee irgendwie für weltliche Zwecke ausgebeutet werden kann, wird es bezahlt; dann aber pflegt derjenige nicht mehr zu leben, durch den es offenbart wurde. Erschiene Christus jetzt ohne Ausweis, der seine Identität feststellte, so würde er wieder gekreuzigt in irgendeiner Form, obwohl die Welt sich nach seinem Namen nennt.

Luther sagte nun allerdings, es könne wohl auch ein Reicher ins Himmelreich kommen, wenn er nämlich geistig arm sei, das soll heißen, wenn er seinen Reichtum so habe, als habe er ihn nicht, als könne er ihn jeden Augenblick verlieren, ohne in seinem Inneren dadurch beeinträchtigt zu werden. In den Händen solle das Gut sein, nicht im Herzen, sagte er an anderer Stelle. Ist es aber nicht im Herzen, so wird es auch leicht aus den Händen fließen. Und wie sollte jemand, der die Möglichkeit hat, die Welt zu genießen, nicht dazu verlockt werden, es zu tun? Das würde auf einen Mangel an Kraft und Genußfähigkeit oder an ein Überwiegen der Moral, also auch wieder auf eine geistige Hemmung deuten. Genießt einer aber die Welt, so wird er dadurch allzu leicht vom Reiche des Geistes abgezogen. Ganz besonders wird einem göttlichen Herzen durch die Hilfsbedürftigkeit derer, die kein Geld haben, überflüssige Gelegenheit gegeben, das seinige loszuwerden.

Es empört mich, wenn man mit einer gewissen hochmütigen Nachsicht über die Unordnung urteilt, die in den Finanzen des alternden Rembrandt herrschte. Es geht gegen die göttliche Logik, daß ein Genie ein guter Haushalter ist; ist es doch einer, so gehört das zu den Freiheiten, die Gott sich seinen Gesetzen gegenüber herausnimmt. Goethe wird deswegen von allen Weltmenschen auf den Schild gehoben, weil er zu beweisen scheint, daß man Weltmann und Genie zugleich sein könne; und es ist gewiß, daß er einer von den „hochgeistlichen“ Menschen war, wie Luther es ausdrückte, die sich tief in die Welt verwickeln können, ohne ihren göttlichen Geist dabei einzubüßen. Andererseits beruht dies Phänomen wie Goethes Langlebigkeit doch auf einer Selbstbeschränkung, auf einem Sparen mit Herzkraft; das ermöglichte die Erscheinung eines vollständig abgerollten, auf allen seinen Stufen mustergültigen Lebens, das bewundernswert ist, aber nicht bewundernswerter als ein kürzer zusammengedrängtes und schneller verschwendetes wie das von Shakespeare, Beethoven oder Luther. Es ist wahr, daß man auch in weltlichen Dingen, ich meine in weltlich fördernden Dingen, von Goethe lernen kann; aber braucht man ein Genie dazu? Wenn nur das Göttliche mit ihm erscheint, das niemand lernen kann, das aber überspringt und zündet wie der Funke von der Flamme.

Luther hätte sehr reich werden können, mir scheint, einer der reichsten Deutschen in damaliger Zeit; denn es gibt doch keinen Schriftsteller, der so gelesen worden wäre. Er hielt aber daran fest, kein Geld für seine Bücher zu nehmen, und lebte von einem dürftigen Professorengehalte. Einmal hatte er sogar, wie die Theologen nicht ohne Grauen bekennen, Schulden. Er nahm alle Zufluchtsuchenden bei sich auf, beschenkte alle Armen und Bettler, wenn er sonst nichts hatte, gab er die silbernen Becher weg, die ihm zuweilen verehrt wurden. Denke aber nicht, er sei ja ein Bauer gewesen und habe keine Bedürfnisse gehabt. Jeder geniale Mensch hat eine starke Sinnlichkeit, sieht gern Schönes, liebt Wohllaut, süße Gerüche und Wohlschmeckendes. Die Frömmler, die nur von Gott dem Geist etwas wissen wollten, machten es Luther zum Vorwurf, daß er die Laute spiele, Hemden mit bunten Bändern trage, Bilder in seinem Zimmer hängen habe und gern guten Wein trinke. Er hatte sogar zur Leipziger Disputation einen Blumenstrauß mitgenommen und zuweilen daran gerochen. Dennoch war er für seine Person anspruchslos und konnte mit dem Apostel Paulus sagen: „Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; ich bin in allen Dingen und bei allen geschickt, beides, satt sein und hungern, beides, übrig haben und Mangel leiden.“

Mir scheint, es wäre nicht so durchaus zu beklagen, wenn der Krieg zu einer Verarmung Europas führte; vielmehr ist vielleicht gerade das mit der Zweck des Krieges, aber nicht nur eine Verarmung, sondern auf der anderen Seite eine Bereicherung. Man hat viel von der Verarmung Deutschlands durch den Dreißigjährigen, den verheerendsten aller Kriege, gesprochen; in Wirklichkeit hat er nur die Armen ganz arm, die Reichen hat er reicher gemacht. Auf dem Lande namentlich und auch in den Städten war Dürftigkeit, an den Höfen war Überfluß sondergleichen; Reichtum und Armut waren also sehr scharf voneinander geschieden und bildeten einen starken Gegensatz. Auf der einen Seite war äußerste Selbstsucht und Genußfähigkeit, auf der anderen Seite Kampf und Not; aber aus den furchtlosen Herzen der Gequälten wuchs die Musik Bachs, ein Baum des Lebens, tropfend in allen Zweigen von Unsterblichkeit. Gott ist consumens et abbrevians: es wird unendlich viel Stoff verzehrt, aber er wird vertreten durch die Schönheit und Wahrheit, in die er sich verwandelt. Anstatt des Genusses hatten die Armen den Glauben. Wie mochte jenen evangelischen Pfarrern zumute sein, die, um ihre Gemeinde zu schützen, sich den Soldatenhorden entgegenwarfen und niedergestochen wurden und mitten im Sterben beteten: Ich werde nicht sterben, sondern leben! Die Ungläubigen verlachten das, da sie von dem Leben, das jene empfanden, nichts wußten. Armut ist nur unerträglich für Gottlose und in gottlosen Zeiten. Dementsprechend entstehen in gottlosen Zeiten die Wohltätigkeitsbestrebungen der Heuchler und Gleisner, die die Armen nicht wahrhaft beglücken können, was auch gar nicht ihr eigentlicher Zweck ist; sondern der ist, das eigene Gewissen zu befriedigen und die eigenen Genüsse dadurch von jeder Einschränkung zu befreien. Die wohleingerichteten Arbeiterheime und dergleichen muten an wie Friedhöfe, wo das Lebendige vermodert; ausgepumpte, luftleere Räume, wo die Menschen zu Mumien werden. Wenn ganz Europa so aussieht, ist wohl kein anderer Ausweg, als daß der Krieg es wieder zum Chaos stampft.

Ich brauche, denke ich, nicht zu erwähnen, daß Luther weit entfernt war, den Müßiggang zu loben. Seine eigene Tätigkeit schildert er in einem Briefe einmal so: „Ich brauche beinah zwei Schreiber oder Kanzler und tue fast nichts den Tag über als Briefe schreiben; ich bin Klosterprediger, ich bin Prediger bei Tisch, man begehrt mich täglich zum Predigen in der Pfarrkirche; ich bin Leiter des Klosterstudiums, ich bin Ordensvikar, das ist soviel wie ein elffacher Prior, ich bin gesetzt über den Leitzkauer Fischteich, ich bin Sachwalter der Herzberger Mönche zu Torgau, ich lese über Paulus, ich trage die Psaltervorlesung zusammen; dazu kommt das Briefschreiben; selten habe ich die Zeit, meine Gebetsstunden ordentlich zu feiern, neben den mir eigenen Anfechtungen durch Fleisch, Welt und Teufel; sieh, was ich für ein müßiger Mensch bin.“

Wovon er abmahnte und was er als Merkmal des ärgsten Unglaubens bezeichnete, ist das Sorgen und Geizen, allerdings ein Beweis des Mißtrauens in Gottes Kraft oder Milde. Das Erwerben des Geldes ist eine Form, in der die Sucht der Menschen nach Macht sich ausspricht; im Sparen und Geizen äußert sich mehr die Sucht nach Ruhe, die Angst vor Widerständen und dem Kampfe dagegen. Überwiegende Sehnsucht nach Ruhe ist aber Instinkt zum Tode, wenigstens zum geistigen Tode: wer sich gänzlich dem Kampf entzieht, entzieht sich dem Leben; alle solche Fälle pflegte Luther mit den Worten abzutun: lasset die Toten ihre Toten begraben. Armut ist eine äußere Hemmung, die nicht weggenommen werden kann, ohne daß innere, viel gefährlichere Hemmungen eintreten, deren letzte der Tod ist.

Es liegt tiefe Weisheit und Liebe in dem Gebote Gottes, daß der Mensch im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen soll. Mit Hinblick auf dies Gebot bekämpfte Luther unter anderem das Mönchsleben, wo der einzelne zwar Armut gelobt, aber nur, um sich ihr im ganzen zu entziehen. In den Tischreden sagt er: „Am sichersten ists, daß einer in einem gemeinen Stande sei und lebe, wie auch Christus unter dem Volk, wie sonst ein anderer gemeiner Mann, gelebt und kein sonderliches Leben geführt hat. Nicht in Winkeln und Kammern.“ Das wiederholt er an anderer Stelle und gebraucht dabei den Ausdruck, Christus habe nicht wie ein Unhold gelebt.

Wie Unholde in Winkeln leben viele, die sich jetzt für Auserwählte halten, vom Leben in eine künstliche Feierlichkeit zurückgezogen. Sie heiraten nicht, wenn sie arm sind, um nicht von den kleinen Widerwärtigkeiten des Lebens, Kindergeschrei, Geldmangel, Lärm und Enge, angegriffen zu werden, sie sehnen sich nach der Pracht oder kühlen Stille von Schlössern und Klöstern. Ein Herz muß sehr eng und schwach sein, das solche Schädlichkeiten nicht verzehren kann, nicht vielmehr durch sie angeregt wird.

Im Grunde kann sich jeder glücklich schätzen, dem im Mangel eine äußere Hemmung gesetzt ist, die leichter zu überwinden ist als diejenige, die der Überfluß ins Innere treibt. Vielleicht überwindet man sie noch am ehesten, wenn man sie ganz wegwirft, wie Franz von Assisi tat; das wäre aber nicht eigentlich Luthers Ideal, der sich die höhere Aufgabe stellte, die Welt ganz zu erleben und dennoch zu bändigen.

Es ist natürlich ebenso wie mit den einzelnen mit den Völkern: sie haben ihre geniale Zeit, wenn sie arm sind, sowie sie reich werden, werden sie auch weltlich. Beides ist berechtigt; nur muß man nicht glauben, daß man beides zugleich sein könne.

Dein Brief berührte mich wehmütig, in dem du schriebst, es sei gewiß wahr, daß das Leben nicht im Denken oder Träumen, sondern im Wirken sei, und es sei sonderbar, daß die Menschen sich trotzdem stets nach Ruhe sehnten, unter der sie doch litten, und daß sie etwas Gutes zu tun glaubten, wenn sie ihren Kindern so viel Geld hinterließen, daß sie dadurch des Kampfes ums Dasein überhoben wären.

Ja, als die verhängnisvolle Sehnsucht nach Ruhe, die Todessehnsucht, sich der Menschen bemächtigte, organisierten sie den Maschinenstaat und die Geldwirtschaft. Wenn die aus dem Herzen kommenden Worte von der Lippe abgelöst werden, sind sie nicht mehr Fleisch und Blut, sondern werden sie Schatten, Begriffe, etwas Unendliches und Unfruchtbares. Ebenso geht es mit dem Gelde, wenn es von dem Gegenstande, dessen Wert es vertritt, abgelöst wird. Mit dem wissenschaftlichen Denken zugleich entstand die Geldwirtschaft. Beides war der Ausdruck der Auflösung des kraftvollen, arbeitenden und Werte schaffenden Menschen und hat die Auflösung mehr und mehr befördert, hat die Toten begraben und haspelt über ihrem Grabe weiter. Nicht der Sozialismus kann uns vom Kapitalismus erretten, er führt nur die materielle Weltanschauung und die Geldwirtschaft ad absurdum; ein verjüngtes Leben, dessen Wesen schöpferische Arbeit ist, muß irgendwie auf Naturalwirtschaft begründet sein.

Als wir alt und lahm wurden, machten wir uns goldene Flügel; aber sie tragen nicht, sie ziehen nur in den Staub. Erst wenn wir sie abgeworfen haben, werden wir wieder fliegen können.

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