VI. Von der Verbindung des Gefühls der Lust mit dem Begriffe der Zweckmäßigkeit der Natur.

Die gedachte Übereinstimmung der Natur in der Mannigfaltigkeit 25 ihrer besonderen Gesetze zu unserem Bedürfnisse, Allgemeinheit der Principien für sie aufzufinden, muß nach aller unserer Einsicht als zufällig beurtheilt werden, gleichwohl aber doch für unser Verstandesbedürfniß als unentbehrlich, mithin als Zweckmäßigkeit, wodurch die Natur mit unserer, aber nur auf Erkenntniß gerichteten Absicht übereinstimmt. — 30 Die allgemeinen Gesetze des Verstandes, welche zugleich Gesetze der Natur sind, sind derselben eben so nothwendig (obgleich aus Spontaneität entsprungen), als die Bewegungsgesetze der Materie; und ihre Erzeugung setzt keine Absicht mit unseren Erkenntnißvermögen voraus, weil wir nur durch dieselben von dem, was Erkenntniß der Dinge (der Natur) sei, zuerst 35 XXXIX einen Begriff erhalten, und sie der Natur als Object unserer Erkenntniß überhaupt nothwendig zukommen. Allein, daß die Ordnung der Natur nach ihren besonderen Gesetzen bei aller unsere Fassungskraft übersteigenden wenigstens möglichen Mannigfaltigkeit und Ungleichartigkeit doch dieser wirklich angemessen sei, ist, so viel wir einsehen können, 5 zufällig; und die Auffindung derselben ist ein Geschäft des Verstandes, welches mit Absicht zu einem nothwendigen Zwecke desselben, nämlich Einheit der Principien in sie hineinzubringen, geführt wird: welchen Zweck dann die Urtheilskraft der Natur beilegen muß, weil der Verstand ihr hierüber kein Gesetz vorschreiben kann. 10

Die Erreichung jeder Absicht ist mit dem Gefühle der Lust verbunden; und ist die Bedingung der erstern eine Vorstellung a priori, wie hier ein Princip für die reflectirende Urtheilskraft überhaupt, so ist das Gefühl der Lust auch durch einen Grund a priori und für jedermann gültig bestimmt: und zwar bloß durch die Beziehung des Objects auf 15 das Erkenntnißvermögen, ohne daß der Begriff der Zweckmäßigkeit hier im Mindesten auf das Begehrungsvermögen Rücksicht nimmt und sich also von aller praktischen Zweckmäßigkeit der Natur gänzlich unterscheidet.

In der That, da wir von dem Zusammentreffen der Wahrnehmungen mit den Gesetzen nach allgemeinen Naturbegriffen (den Kategorieen) 20 nicht die mindeste Wirkung auf das Gefühl der Lust in uns antreffen, XL auch nicht antreffen können, weil der Verstand damit unabsichtlich nach seiner Natur nothwendig verfährt: so ist andrerseits die entdeckte Vereinbarkeit zweier oder mehrerer empirischen heterogenen Naturgesetze unter einem sie beide befassenden Princip der Grund einer sehr merklichen Lust, 25 oft sogar einer Bewunderung, selbst einer solchen, die nicht aufhört, ob man schon mit dem Gegenstande derselben genug bekannt ist. Zwar spüren wir an der Faßlichkeit der Natur und ihrer Einheit der Abtheilung in Gattungen und Arten, wodurch allein empirische Begriffe möglich sind, durch welche wir sie nach ihren besonderen Gesetzen erkennen, 30 keine merkliche Lust mehr: aber sie ist gewiß zu ihrer Zeit gewesen, und nur weil die gemeinste Erfahrung ohne sie nicht möglich sein würde, ist sie allmählig mit dem bloßen Erkenntnisse vermischt und nicht mehr besonders bemerkt worden. — Es gehört also etwas, das in der Beurtheilung der Natur auf die Zweckmäßigkeit derselben für unsern Verstand 35 aufmerksam macht, ein Studium ungleichartige Gesetze derselben wo möglich unter höhere, obwohl immer noch empirische, zu bringen, dazu, um, wenn es gelingt, an dieser Einstimmung derselben für unser Erkenntnißvermögen, die wir als bloß zufällig ansehen, Lust zu empfinden. Dagegen würde uns eine Vorstellung der Natur durchaus mißfallen, durch welche man uns voraus sagte, daß bei der mindesten Nachforschung XLI über die gemeinste Erfahrung hinaus wir auf eine Heterogeneität ihrer 5 Gesetze stoßen würden, welche die Vereinigung ihrer besonderen Gesetze unter allgemeinen empirischen für unseren Verstand unmöglich machte: weil dies dem Princip der subjectiv-zweckmäßigen Specification der Natur in ihren Gattungen und unserer reflectirenden Urtheilskraft in der Absicht der letzteren widerstreitet. 10

Diese Voraussetzung der Urtheilskraft ist gleichwohl darüber so unbestimmt, wie weit jene idealische Zweckmäßigkeit der Natur für unser Erkenntnißvermögen ausgedehnt werden solle, daß, wenn man uns sagt, eine tiefere oder ausgebreitetere Kenntniß der Natur durch Beobachtung müsse zuletzt auf eine Mannigfaltigkeit von Gesetzen stoßen, die kein 15 menschlicher Verstand auf ein Princip zurückführen kann, wir es auch zufrieden sind, ob wir es gleich lieber hören, wenn andere uns Hoffnung geben: daß, je mehr wir die Natur im Inneren kennen würden, oder mit äußeren uns für jetzt unbekannten Gliedern vergleichen könnten, wir sie in ihren Principien um desto einfacher und bei der scheinbaren Heterogeneität 20 ihrer empirischen Gesetze einhelliger finden würden, je weiter unsere Erfahrung fortschritte. Denn es ist ein Geheiß unserer Urtheilskraft, nach dem Princip der Angemessenheit der Natur zu unserem Erkenntnißvermögen zu verfahren, so weit es reicht, ohne (weil es keine bestimmende Urtheilskraft ist, die uns diese Regel giebt) auszumachen, 25 XLII ob es irgendwo seine Gränzen habe, oder nicht: weil wir zwar in Ansehung des rationalen Gebrauchs unserer Erkenntnißvermögen Gränzen bestimmen können, im empirischen Felde aber keine Gränzbestimmung möglich ist.

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