Zehnter Abschnitt Ehe

Noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts herrschte bei den Bauern in fast allen Teilen Deutschlands die Sitte, dem Bräutigam alle ehelichen Rechte gradatim zu gestatten.

»Sehr oft verweigern die Mädchen ihrem Liebhaber die Gewährung seiner letzten Wünsche solang, bis er Gewalt braucht. Das geschiht allezeit, wenn ihnen wegen seiner Leibesstärke einige Zweifel zurück sind, welche sie sich freilich auf keine so heikle Weise, als die Witwe Wadmann, aufzulösen wissen. Es kömmt daher ein solcher Kampf dem Kerl oft sehr teuer zu stehen, weil es nicht wenig Mühe kostet, ein Baurenmensch zu bezwingen, das jene wollüstige Reizbarkeit nicht besitzt, die Frauenzimmer von Stande so plötzlich entwafnet.«[208]

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Während man die Nächte, in denen alles gewährt wurde, Probenächte nannte, hießen die andern, bei denen der Bauernbursch auf möglichst halsbrecherischem Wege ins Schlafzimmer des Bauernmädchens eindrang, um zu plaudern, wobei natürlich auch Intimitäten nicht unterblieben, Kommnächte. »Die Landleute finden ihre Gewohnheit so unschuldig, daß es nicht selten geschiht, wenn der Geistliche im Orte einen Bauren nach dem Wohlsein seiner Töchter frägt, diser ihm zum Beweise, daß sie gut heranwüchsen, mit aller Offenherzigkeit und mit einem väterlichen Wohlgefallen erzehlt, wie sie schon anfiengen, ihre Kommnächte zu halten.«[209]

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Keyßler erzählt im Jahre 1729 folgendes: »In den Dörfern des benachbarten Bregenzerwaldes hat bisher die wunderliche Gewohnheit regieret, daß die unverheiratheten Baurensöhne und Knechte ohne Scheu so lange bei einem ledigen Mädchen haben schlafen können, bis dieselbe ein Kind von ihnen bekommen, da dann jene erst, und zwar bei den höchsten Strafen, verbunden waren, sie zu heirathen. Diese Art von Galanterie heißen sie fuegen, und finden sie daran so wenig auszusetzen, daß, da man seit etlichen Jahren, kraft obrigkeitlichen Amtes, diese schändliche Weise abschaffen wollen, es zu einer Art von Aufruhr gediehen, und die Sache noch in einem Proceß, zu dessen Führung sie einen Advocaten aus Lindau angenommen haben, verwickelt ist.«[210]

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Nicht viel früher herrschte auch in den Bürgerhäusern noch die schöne Sitte des »Beischlafens auf Glauben«, die wir im vorigen Bande kennen gelernt haben. Der Prädikant Wilhelm Ambach (Quellen zur Frankfurter Gesch. II, 34) erzählt von Frankfurt a. M. darüber (zitiert nach Schultz): »Das weibliche geschlecht ist ja fast blöd und schwach, aber man sahe hie bei vielen, daß in hurei, ehebruch und aller leichtfertigkeit stark und frech waren, dann auch 50jährige witfrauen, die jetzt Kindeskinder haben, aller ehren und freundschaft vergessen; jungfrauen sind ihren herrn und eltern entlaufen, sich in schändliche hurei begeben; jedoch haben etliche aus ihnen öffentlich geehlichet, viel blieben ungeehlichet, schlufen bei uf Gelderischen glauben, gewöhnlich aber lebten sie frech und gut kriegerisch...«

Daß der biedere Prädikant, wie bei einem Geistlichen selbstverständlich, furchtbar übertreibt und nach den zu hoch hängenden Trauben schielt, ist eine Sache für sich. An der Sitte des »Gelderischen Glaubens« auch in Bürgerkreisen wird sich kaum zweifeln lassen.[211]

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Ja, die gastliche Prostitution, bei barbarischen und halbbarbarischen Völkern sehr häufig und darin bestehend, daß der Wirt seinem Gast das Eheweib oder die Tochter für die Nacht leiht, läßt sich in Deutschland noch sehr spät nachweisen. Ältere Zeugnisse, an denen in Skandinavien und für Island kein Mangel herrscht, fehlen bei uns, dafür berichtet aber Thomas Murner in der Gäuchmatt (Geschwor. Art. 9): »es ist in dem Niderlande auch der Brauch, so der Wirt ein lieben gast hat, daß er im sin frouw zulegt auf guten glouben.« Ja, in einem Briefe an J. G. Forster vom 20. Juni 1788 erzählt der in Bern wohnende, aus Biel gebürtige Höpfner, daß es im Berner Oberlande verbürgter Brauch sei, daß ein Vater seine Tochter, ein Bruder seine Schwester, ein Mann seine Frau dem fremden Gast in aller Höflichkeit zur Nacht anbiete und sich eine große Ehre daraus mache, wenn man es annehme.[212]

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Im alten Skandinavien scheint es Sitte gewesen zu sein, daß der Beischlaf vor der Hochzeit ausgeübt wurde. Sehr sonderbar ist, daß Fritjof die Prinzessin Ingeborg gleich nach der Verlobung im Tempel zu Baldershagen genießt, und nicht minder erstaunlich, daß König Harald in Norwegen, der die schöne Asa mit Gewalt gewinnen will, dem für ihn eintretenden Ritter gestatten muß, mit ihr die Probenacht zu halten, bevor er zu den Waffen greift![213]

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Ein sonderbarer Brauch, der sich sonst nur bei barbarischen oder halbbarbarischen Völkern findet, herrschte noch vor zwei Jahrhunderten in Island. In der Relation d’Islande dans le Recueil des Voyages au Nord. Amsterdam 1715. T. I, p. 35 heißt es: »Les filles, qui sont fort belles dans cette Isle, mais fort mal vetues vont voir ces Allemans et ofrent à ceux, qui n’ont pas des femmes de coucher avec eux pour du pain, pour du biscuit et pour quelqu’autre chose de peu de valeur. Les pères mêmes, dit-on, présentent leurs filles aux Etrangers. Et si leurs filles déviennent grosses, ce leur est un grand honneur. Car elles sont plus considerées et plus recherchées par les Islandois, que les autres. Il y a même de la presse de les avoir.«

Übrigens sollen, wie ich von glaubwürdiger Seite erfahre, noch heute im Schwarzwald und auch in Mecklenburg, vielleicht auch anderwärts, ähnliche Sitten herrschen. Und zwar nicht nur »Probenächte«, sondern auch die Anschauung, daß das schwangere Bauernmädchen höher geschätzt wird, als eines, das seine Fruchtbarkeit erst noch beweisen muß. Allerdings heiratet fast ausnahmslos der Bauernbursch das von ihm geschwängerte Mädchen.

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Noch im späteren Mittelalter war unter dem hohen Adel, also nicht etwa nur im Volke, der Brauch verbreitet, daß die Braut vor der Hochzeit sich ihrem Bräutigam ganz hingab. So hielt im Jahre 1378 nach einer Urkunde Graf Johann IV. von Habsburg ein ganzes halbes Jahr lang mit der Herzland von Rappoltstein Probenächte ab, um dann wegen seiner Untüchtigkeit einen Korb zu erhalten. Allerdings hatte die Dame nicht so ganz unrecht. Köstlich aber ist die Kur, die ein Straßburger »Meister Heinrich von Sachsen, der der beste Meister ist, den man finden kan« anwandte: »undt hiengent ime an in eine Bad an sin Ding ettwie viel Bliges (Blei) wol fünfzig Pfunf schwer undt pflasterten ine, als menlich seitt, undt verfieng alles nüt, daß sü imme ut gemachen konnten, daß er verfengklich were zu Frowen.« Wiewohl diese Kur lange fortgesetzt wurde, hatte sie so wenig Erfolg, wie die entschieden angenehmere, ihm hundert Frauen vorzustellen, um diejenige auszusuchen, die voraussichtlich die gewünschte Wirkung erzielen würde.[214]

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Höchst bezeichnend für Sitte und Schamgefühl unserer Ahnen ist folgende Geschichte, die Vitus Arnpek erzählt: Herzog Ludwig I. von Bayern hielt eine Probenacht mit der schönen verwitweten Gräfin Ludmilla von Bogen, einer geborenen böhmischen Prinzessin. Da die Gräfin wohl nicht ohne Grund fürchtete, der Herzog wolle zwar die Freuden der Liebe bei ihr genießen, sie dann aber sitzen lassen, ersann sie eine List. Als der Herzog wieder einmal sie besuchte, fand er auf dem vor ihrem Bette hängenden Vorhang vor ihr drei schön gemalte Ritter. Sie legten sich zu Bett und huldigten der Liebe Freuden. Die Gräfin aber bewog den Herzog, ihr zu schwören, daß er sie zu seiner Gemahlin machen wolle, was er auch angesichts der gemalten Ritter tat. Kaum war es geschehen, als die Gräfin den Vorhang zurückzog, so daß drei Ritter, die sie vorher dahinter versteckt hatte, und die also Zeugen des nicht alltäglichen Schauspiels gewesen waren, sichtbar wurden. Sie bestätigten sofort, daß sie des Herzogs Schwur gehört hatten. Ludwig aber war sehr überrascht, da er wohl gehofft hatte, ohne Zeugen den Schwur ableugnen zu können. Er führte nach einem Jahr mit großen Festlichkeiten die Gräfin heim. Übrigens hat diese Geschichte im Volksliede ihre Verewigung gefunden.[215]

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Noch im 16. Jahrhundert war es Sitte, daß die Jungvermählte sich in der Brautnacht nackt zu Bett begab, woher das französische Sprichwort stammt: »Ses promesses ressemblent à celle d’une mariée qui antreroit au lit en chemise.« Im weiteren Verlaufe des Jahrhunderts erst bürgerte sich der heutige Brauch, im Hemd zu schlafen, wenigstens im Winter, allgemein ein. Aber das 1618 erschienene Buch »La Bienséance de la conversation entre les hommes« hielt es noch für nötig, vom Schlafen ohne Hemd abzuraten. Ja in »La civilté nouvelle« vom Jahre 1667 erscheint noch die gleiche Mahnung. Allerdings handelt es sich jetzt nicht mehr um die erste Gesellschaft.[216]

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Das kanonische Recht scheidet die Ehe bekanntlich nur dann, wenn durch männliches oder weibliches Unvermögen der Zweck, Kinder zu erzeugen, nicht erfüllt werden kann. Der berühmte französische Jurist François Hotman (1524–1590) prüft nun sehr eingehend die Frage, wie die männliche Impotenz festgestellt werden könne und liefert in seiner langen und grundgelehrten Abhandlung auch folgenden Passus: »An Stelle der beiden Feststellungsmethoden hat man, ich weiß nicht durch welches Unglück unseres Jahrhunderts, eine weitere eingeführt, die die brutalste ist, die man sich ausdenken kann und von der wir hoffen, daß sie von ebenso kurzer Dauer ist, wie sie wenig Vernunft und juristisches Aussehen (apparence) besitzt: Es ist dies der sogenannte Kongreß. Abgesehen davon, daß er gegen die öffentliche Ehrbarkeit verstößt, ist er überdies unzweifelhaft auch unnütz.... Erst seit kurzer Zeit ist dieses Verfahren in Übung: sein Ursprung mag darin zu suchen sein, daß ein scham- und ehrloser Mann, der von seiner Frau der Impotenz geziehen war, sich rühmte, den Beweis seiner Tüchtigkeit zu erbringen in Gegenwart von Leuten, die sich darauf verstünden. Und wenn die Richter diesen Beweis zuließen, so geschah es sowohl aus Überraschung und weil sie darüber nicht reiflich nachgedacht hatten, als auch weil einige Weise im Anfange dieses Verfahren nicht für schlecht hielten, in der Erwägung, die Frauen durch diese Schande und Schamlosigkeit von der allzu großen und häufigen Klage, die sie gegen ihre Ehemänner erhoben, abzuschrecken. Denn das Gesetz gestattet bisweilen ein Übel, um ein größeres zu heilen. Ein Beispiel dafür bietet die Geschichte, die Aulus Gelius lib. 15, kap. 10 von einigen jungen Mädchen aus Milet erzählt, die aus Verrücktheit freiwillig aus dem Leben schieden. Und man konnte dieser Krankheit, die sich stark vermehrte, keinen Einhalt tun, außer durch eine entehrende Strafe, die man über sie verhängte: die Männer bestimmten, daß alle diejenigen, die sich auf diese Weise umgebracht hatten, splitternackt überall herumgetragen und dem Volk gezeigt würden. Die übrigen jungen Mädchen wurden durch die Schande eines so wenig ehrenvollen Leichenbegängnisses derart ins Herz getroffen, daß sie ihren Verstand wiedergewannen und nicht mehr in diese Krankheit verfielen.

So dachte man wohl auch, daß ein so unehrenvoller Kongreß die Klagen der Frauen mäßigen würde. Aber im Gegenteil (wie das Jahrhundert ja unglücklich ist), sie fühlten sich durch dieses Mittel gestärkt, und von Beginn ihres Scheidungsprozesses an fordern sie selbst den Kongreß, da sie alle wissen, daß sie damit ein unzweifelhaftes Mittel besitzen, den Prozeß zu gewinnen. Denn welche Sicherheit jeder Mann sich auch zutrauen mag (wenn er nicht ebenso brutal und schamlos ist wie ein Hund), er wird einräumen, wenn er für sich und ohne Leidenschaft es gut betrachtet, daß es nicht in seiner Gewalt liegt, den Beweis für seine Fähigkeit, die Ehe zu vollziehen, zu erbringen in Gegenwart des Gerichtshofes, den man verehrt, angesichts der Ärzte, Chirurgen und Matronen, die man fürchtet und mit einer Frau, die man für seine Feindin hält, da eingestandenermaßen solche Akte Selbstsicherheit, Heimlichkeit und Freundschaft erfordern.«[217]

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Nach einem handschriftlichen Amtsbericht vom 8. März 1666 ging es den Pantoffelhelden in der Gegend von Mainz recht schlecht. »Es ist ein alter Gebrauch hierumb in der Nachbarschaft, falß etwan ein Frauw ihren Mann schlagen sollte, daß alle des Fleckens oder Dorffs, worin das Factum geschehen, angrenzende Gemärker sichs annehmen; doch würdt die sach vff den letzten Faßnachttag oder Eschermittwoch als ein recht Faßnachtspiehl versparet, da denn alle Gemärker, nachdem sie sich 8 oder 14 Tag zuvor angemeldet, Jung und Alt, so Lust dazu haben, sich versammeln, mit Trommen, Pfeiff und fliegenten Fahnen zu Pferd und zu Fuß dem Orth zuziehen, wo das Factum geschehen, vor dem Flecken sich anmelden, und etliche aus ihren mittlen zu dem schulthesen schicken, welche ihre Anklag wieder den geschlagenen Mann thun, auch zugleich ihre Zeugen, so sie deswegen haben, vorstellen, nachdem nuhn selbige abgehöret, und ausfündig gemacht worden, daß die Frau den Mann geschlagen, würdt ihnen der Einzug in den Flecken gegönnt, da sie dann also baldt sich alle sambdt vor des geschlagenen mans Hauß versammeln, das Hauß umbringen, undt fallß der Mann sich mit ihnen nicht vergleichet undt abfindet, schlagen sie Leitern ahn, steigen auf das Dach, hauwen ihme die Fürst ein undt reißen das Dach bis vff die vierte Latt von oben ahn ab, vergleicht er sich aber, so ziehen sie wieder ohne Verletzung des Hauses ab, falß aber der Beweiß nicht kann geführt werden, müssen sie unverrichteter sach wieder abziehen.«

Im ehemaligen Fürstentum Fulda war es ebenso. Wenn ein Mann überwiesen wird, von seiner Frau Schläge bekommen zu haben, so hat das Hofmarschallamt das Recht, die Sache zu untersuchen. Ist die Anklage begründet, dann wird dem Geschlagenen durch Diener in fürstlicher Livree das Dach seines Wohnhauses abgedeckt. Noch im Jahre 1768 oder 1769 ist eine solche Exekution vollzogen worden (Journal von und für Teutschland. 1784. 1. Th., S. 136), ja, noch 1795 soll dieser Brauch geübt worden sein.[218]

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Höchst sonderbar war die Gerechtsame der Familie von Frankenstein bei Darmstadt, die von dieser Stadt jährlich 12 Malter Korn erhielt, um dafür, wenn die Darmstädter es verlangten, durch einen besonderen Boten einen Esel zu schicken, auf dem die schlagfertige Frau durch die Stadt reiten mußte. Der letzte derartige Fall wird vom Jahre 1536 erwähnt.

Eine ähnliche Sitte bestand in Frankreich. Dort mußte der Mann, der sich von seiner besseren Hälfte schlagen ließ, zur Schande auf einem Esel reiten, und zwar rittlings, den Schwanz in den Händen haltend. Wenn der Pantoffelheld sich durch die Flucht dieser Strafe entzog, dann mußte der nächste Nachbar für ihn herhalten.

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In den Statuten des schwarzburgischen Städtchens Blankenburg vom Jahre 1594 heißt es § 14: »Welch Weib ihren Ehemann rauft oder schlägt, die soll nach Befinden und Umständen der Sachen mit Geld oder Gefängnis bestraft werden, oder da sie des Vermögens, soll sie der Rathsdiener zum Kleide wüllen Gewandt geben.« § 15 lautet: »Da aber ein Exempel vorgefunden werden sollte, daß ein Mann so weibisch, daß er sich von seinem Weibe raufen, schlagen und schelten ließe, und solches gebührlicher Weise nicht eifert oder klagt, der soll des Raths beide Stadtknechte mit Wüllengewandt kleiden, oder da ers nicht vermag, mit Gefängnis oder sonst willkürlich gestraft, und ihme hierüber das Dach auf seinem Hauße aufgehoben werden

Eine ähnliche, später außer Kraft gesetzte Verordnung stand auch in den rudolstädtischen Statuten.

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Eine sehr verständige, nur etwas gewalttätige Sitte herrschte im Fürstentum Hechingen, um die eheliche Harmonie zu sichern. Die gesetztesten Bauern einiger zu Balingen gehöriger Ortschaften wählten einen ehrlichen, untadelhaften Mann in aller Stille. Dieser wurde Datte genannt, im Schwäbischen soviel wie Vater. Der Datte wählte sich zwei Assistenten. Erfuhr er nun, daß ein Ehepaar im Zwist lebe und sich gegeneinander unanständig betrage, dann erkundigte er sich genau, ob das Gerücht auch begründet sei. War es der Fall, dann ging er nachts mit seinen beiden Assistenten vor das Haus des Ehepaares, klopfte an und antwortete auf die Frage: Wer da? weiter nichts als: »Der Datte kommt.«

Hat diese wohlmeinende Mahnung zum Frieden keinen Erfolg, dann kommt er ein zweites Mal in finsterer Nacht, klopft stärker an und sagt nochmals: »Der Datte kommt.« Blieb auch diese Warnung fruchtlos, dann kam er ein drittes Mal nachts, jetzt aber mit seinen vermummten Assistenten. Mit Knütteln machen sie sich über den schuldigen Teil, der gewissenhaft ermittelt ist, her und verprügeln ihn exemplarisch. Die Wirkung dieser Sitte war glänzend, denn lange Zeit kamen keine Ehehändel in den betreffenden Orten vor. Als aber der Datte seines Amtes einmal zu energisch gewaltet hatte, untersagte die Landesregierung den Brauch.

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Eine befremdende, aber der da und dort in unserem Recht auftretenden Romantik ein ehrendes Zeugnis ausstellende Sitte bestand darin, Verbrecher dann frei zu lassen, wenn Jungfrauen sie zur Ehe begehrten.

Im Jahre 1505 erschien zu Lyon ein Buch mit dem Titel: »Le Masuer en françois selon la coutume du hault et du bas pays d’Auvergne«. Hier heißt es Blatt 119: »In mehreren Orten und Ländern herrscht die Gewohnheit, wenn eine heiratsfähige Frau, namentlich, sofern sie noch Jungfrau ist, einen zum Tode verurteilten und zum Galgen abgeführten Mann zum Gatten verlangt, man ihn der genannten Frau überliefert; sie wird ihm das Leben retten. Aber, setzt der Autor hinzu, es geschieht dies entgegen dem gemeinen Recht.«

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Im Kirchenstaat scheint dieser Brauch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestanden zu haben. Der 1812 hingerichtete Räuber Stefano Spadolino wurde nämlich von der Galeerenstrafe befreit durch eine Türkin, die das Christentum annahm und ihn zur Ehe begehrte.

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Uns braucht es nicht zu kümmern, ob es kodifiziertes oder Gewohnheitsrecht war, ob der König um seine Einwilligung zur Begnadigung angegangen werden mußte und er sie dann verweigern durfte oder nicht. Uns genügt die Tatsache, daß so und so oft der gewiß schöne Brauch gehandhabt wurde. Im Jahre 1579 wurde Martin Hugert vom Kurfürsten August von Sachsen begnadigt, weil »auff demütiges Suppliciren Ursulen, Mich. Langen Tochter, gnädigst bewilligt, dem heiligen Ehestand zu ehren, ime Gnade wiederfahren lassen..., doch daß ime gemeldete Supplicantin ehelich getrauet werde, ehe sie das Land verlassen.« In einem andern Falle unter Kurfürst Johann Georg I. (1606) gaben die Richter, nicht der Landesfürst, das Urteil ab, daß der zum Tode verurteilte Peter Mebuß des Gefängnisses ledig sei, da sich eine Magd erbot, ihn zu heiraten.

Noch im Jahre 1725 ereignete sich ein solcher Fall, und zwar umgekehrt, indem der Mann die Frau durch Ehe befreite. Ein Gerbergeselle Weber von Mölig in Schwaben trat vor das Gericht mit der Erklärung, wenn der zum Tode verurteilten Anna Maria Inderbitzi (Schwyz) das Leben geschenkt und sie von Henkershand verschont werde, wolle er sie ehelichen. Er habe sie zwar weder gesehen noch gesprochen, sein Entschluß rühre lediglich aus christlichem Mitleid her, auch habe sein Großvater eine solche Weibsperson durch Heirat am Leben erhalten und Glück und Segen gehabt. Das Gericht erkannte nach reiflicher Überlegung: »Es sollen beide Personen vorgeführt werden und für den Fall der Einwilligung soll der Anna Maria die Strafe erlassen werden.« Die Verlobung fand statt in Gegenwart des Pfarrers und zweier Kapuziner, nach vierzehn Tagen die Hochzeit. (E. Osenbrüggen, »Neue kulturhistorische Bilder aus der Schweiz«, 1864, S. 51.)

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Der leitende Gedanke war natürlich der, daß ein Mensch nicht völlig verdorben sein könne, wenn er noch jemanden findet, der mit ihm die Ehe wagt. Und schließlich war das Risiko des Heiratenden ja viel größer als das des begnadigenden Staates.

Das Andenken an dieses Jungfrauenrecht ist heute noch im Volke nicht ganz erloschen. Als im Jahre 1834 zu Schönfeld bei Dresden zwei Raubmörder hingerichtet werden sollten, fragte eine Frauensperson beim Pfarrer an, ob wohl ein Unverheirateter unter diesen Verbrechern dadurch zu befreien sei, daß sie ihn zur Ehe begehre.[219]

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Eine sehr merkwürdige Sitte wird uns aus dem 18. Jahrhundert aus Litauen berichtet: »Die Litthauer sind überaus ängstlich und vorsichtig, daß ihr Ehestand nicht unfruchtbar und ohne Segen seyn möge; daher sie lieber eine Hure mit zwei und mehr unehrlichen Kindern heyraten, als eine Jungfer.« Das ist ja nicht so sonderbar, da ja unsere Bauern, für die Kinder Lebensbedingung sind und die unfehlbar auf die Gant kommen, wenn sie statt der Söhne bezahlte Arbeiter haben müssen, genau so verfahren. Allerdings meist so, daß sie diejenige Dirn heiraten, mit der sie selbst Kinder haben. Um so befremdender ist die Fortsetzung des Berichtes: »Die Weiber sollen mit gutem Willen der Männer Coadjutores Connubii oder Neben-Beyschläffer halten; denen Männern aber wird es für eine Unehre gehalten, wenn sie Concubinen haben.« Vielleicht trat nur dann die Freiheit, einen Liebhaber zu nehmen, in Kraft, wenn Verdacht bestand, daß die Kinderlosigkeit auf Verschulden des Mannes zurückzuführen sei.[220]

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