Neunter Abschnitt Klerus und Sittlichkeit

Gegen den ersten Band dieses Buches ist von ultramontanen Blättern der Vorwurf erhoben worden – natürlich ohne auch nur den Gegenbeweis, der völlig aussichtslos gewesen wäre, zu versuchen –, daß ich die im mittelalterlichen Klerus herrschende Unsittlichkeit stark übertrieben hätte. Nun liegt mir nichts ferner, als zu bestreiten, daß es zu allen Zeiten und überall sittenstrenge und edle Menschen gegeben habe und daß auch die katholische Geistlichkeit solche stets in ihren Reihen zählte. Wohl aber ist es grundfalsch, ihnen eine höhere Moral zu imputieren. Im Gegenteil waren im Mittelalter und besonders vor der Reformation dort häufig Zustände zu finden, die man kaum irgendwo in einer Gesellschaft, die nur einigermaßen auf gute Sitten Anspruch erheben möchte, antreffen dürfte.

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Der ultramontane Historiker Janssen hielt die Unsittlichkeit des Klerus vor der Reformation für kaum der Erwähnung wert und führt die Verwilderung in tendenziöser und die Tatsachen auf den Kopf stellender Weise auf die Reformation zurück. Mag diese große Geistesbewegung auch viele Schattenseiten im Gefolge gehabt haben, so wird die Gerechtigkeit ihr doch zum mindesten eine Besserung der öffentlichen Sittlichkeit zubilligen müssen.

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Ein anderer Gesinnungsgenosse Janssens, H. Finke, im übrigen ein vortrefflicher Historiker, hat zum mindesten Schleswig-Holstein und Westfalen für die Länder erklärt, die von der sittlichen Verwilderung der Zeit verschont geblieben seien[187], eine Behauptung, die Pastor nicht nur übernimmt, sondern in seiner Bearbeitung des Janssenschen Werkes noch erweitert.[188] Unter diesen Umständen ist es besonders amüsant, die Zustände Westfalens, also des vorgeblichen sittlichen Musterlandes, kennen zu lernen.

Es handelt sich um einen offiziellen Bericht des Fiskalprokurators Friedrich Turken, also eines Geistlichen, am Kölnischen Offizialgericht in Werl an den Siegler des Offizialgerichts in Köln vom Jahre 1458.[189]

Das Dokument ist mithin völlig einwandfrei und nicht, wie man glauben möchte, die gehässige Streitschrift eines Satirikers.

Zunächst werden Verstöße gegen die äußere kirchliche Ordnung festgestellt, widerrechtliche Abhaltung des Gottesdienstes, Ausfall der Messe bis zu 14 Tagen, Simonie, gehässige Verweigerung des Beichtstuhls, Spendung des Abendmahls an Exkommunizierte, und zwar bewußt und aus Dreistigkeit. In Rüthen werden zwei Vikariate gegründet, nur damit der Pfarrer als Vagabund leben kann.

Ferner wird konstatiert, daß die Geistlichkeit sich nicht nur an Wein- und Getreidehandel beteiligt – und zwar trotz Wohlstandes aus purer Gewinnsucht –, sondern daß der Klerus allgemein Zins- und Wuchergeschäfte macht. Der Pfarrer in Rüthen erhält von einem Sterbenden um der Absolution und der Exsequien willen alle Güter vermacht, hat ihn dann aber weder absolviert, noch kirchlich bestattet. Die fünfjährige Tochter des Verstorbenen ist dadurch gezwungen, sich von Almosen zu nähren.

Der Gewinnsucht ebenbürtig ist die Schimpfwut und Gewalttätigkeit. Das Dokument führt die Schimpfworte genau an. Uns interessiert mehr die Tatsache, daß ein Pfarrer den Schulmeister vor dem Altar »im Angesicht des ewigen Gottes« verprügelt, oder daß der von Flierich seine eigene Mutter mißhandelt, oder daß ein anderer in Schwerte mit Bürgern ein Messerstechen veranstaltet. Bei demselben wird für die Fastnacht die Teilnahme an einem Turnier getadelt.

Harmloser ist das wilde Jagen der Geistlichkeit bis zu reinem Vagabundenleben, nicht schön der Wirtshausbesuch mit Betrunkenheit, Erbrechen und Übernachten auf der Straße. Am wenigsten erfreulich die geschlechtliche Unsittlichkeit. Das Protokoll enthält fünf Fälle von Konkubinaten der Pfarrer mit verheirateten Frauen, deren Männer noch leben. Einmal wird die Frau gegen die ausdrückliche Reklamation des Mannes vom Pfarrer zurückbehalten, ein Mandat des Erzbischofs bleibt gänzlich wirkungslos. Daneben erscheinen Prostituierte im Umgang mit Pfarrern, so scheint das Leben des Kaplans Heinrich Jummen in Werl sich – und zwar ganz öffentlich – überhaupt vornehmlich in diesen Kreisen zu bewegen. Das Benehmen dieses Seelenhirten wird im Dokument bis herab zu den Wechselreden im Frauenhause mit einer Laszivität geschildert, die nur mit der Faszetienliteratur verglichen werden kann. Der Pfarrer in Altenrüthen hat eine Ehefrau und zwei Ledige mißbraucht, im Nachbardorfe Rüthen aber gar drei Ehefrauen und eine Ledige, in Elsey zwei Ledige. Förmliche Schlägereien zwischen Konkubinen um einen Pfarrer kommen vor. Der Aplerbecker veranstaltet eine große Gasterei zur Hochzeit seiner Tochter. Dieselbe Konkubine dient gleichzeitig und auch nacheinander verschiedenen Geistlichen. Übrigens muß sich auch die Breslauer Diözesansynode von 1440 gegen das Konkubinat mit Ehefrauen wenden. Die Eichstädter Diözesansynode von 1453 aber sieht sich ausdrücklich zur Festsetzung veranlaßt, daß auch simplex fornicatio eine Sünde sei. Man war also bisher zumeist anderer Ansicht.

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Papst Gregor XII. erließ im Jahre 1308 eine Bulle, in welcher die Zustände in einer großen Anzahl von Benediktinerinnenklöstern der nordwestdeutschen Diözesen Bremen, Münster und Utrecht dargestellt werden.

Nachdem der Papst festgestellt hat, daß fast jegliche Religion und Beachtung der Ordensregel abhanden gekommen sind, dafür aber Fleischeslust und Laster regierten, fährt er fort:

»Sie selbst, aus weltlichem Stande und Leben hervorgegangen, nehmen bisweilen ihre Konkubinen oder Kebsweiber, die sie, wie vorausgeschickt, im weltlichen Stande gehalten hatten, sogar mitsamt den Kindern, die sie mit den Kebsweibern gezeugt hatten, mit sich in die vorgenannten Klöster, in die sie aufgenommen wurden, und halten und begünstigen sie in ihnen ganz öffentlich, wie sie es früher getan hatten, als sie noch selbst in weltlichem Stande gelebt hatten, und scheuen sich nicht, die Messe und andere heilige Ämter zu feiern, ohne von solchen Verbrechen absolviert zu sein. Es huren auch viele Nonnen mit ihren Prälaten, Mönchen und Geistlichen herum und gebären in denselben Klöstern viele Söhne und Töchter, die sie von den gleichen Prälaten, Mönchen und Geistlichen durch Hurerei oder blutschänderischen Beischlaf empfangen haben.

Die Söhne aber machen sie zu Mönchen, die auf dieselbe Weise empfangenen Töchter aber häufig zu Nonnen in den genannten Klöstern. Und was bemitleidenswert ist: viele dieser Nonnen vergessen ihre mütterliche Liebe und treiben, indem sie Böses durch Böses noch vermehren, ihre Frucht ab und töten die zutage geförderten Kinder....«[190]

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Im Jahre 1423 berief Erzbischof Otto von Ziegenhain eine Provinzialsynode, auf der die Sittenzustände im Klerus der Trierer Kirchenprovinz folgendermaßen geschildert werden:

»Wiewohl aber gegen jene bereits geweihten Kleriker, die notorisch Konkubinen bei sich halten oder andere verdächtige Weiber viele neue und alte Gesetze erlassen sind und mehrere bestraft wurden, haben doch viele heutige Kleriker keine Achtung vor den genannten Strafen, sondern sie entehren sich, indem sie diese verruchte Sünde begehen. Daraus entsteht viel Ärgernis, und aller Wahrscheinlichkeit nach würde es noch mehr sein, wenn nicht Vorkehrungen getroffen würden.«

Daraufhin erließ die Provinzialsynode den Befehl, daß kein Presbyter oder Kleriker eine Konkubine oder eine verdächtige Weibsperson in seinem Hause habe. Habe er aber eine solche bei sich, so müsse er sie binnen zwölf Tagen »tatsächlich und mit Erfolg entfernen und entlassen«.

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An solchen Schilderungen von authentischer Seite ist kein Mangel. Bemerkenswert ist noch das 17. Kapitel der Kölner Diözesansynode vom Jahre 1307, das über Vorfälle in Nonnenklöstern berichtet:

»... viele Nonnen unserer Stadt und geheiligten Diözese werden geschändet, und wenn sie so geschändet sind, von diesen (Verführern) aus ihren Klöstern entführt und zur großen Gefahr ihrer Seelen und vielem Ärgernis öffentlich abspenstig gemacht. Die so Ferngehaltenen werden durch die nämlichen bisweilen durch Listen, häufig durch Drohungen und Gewalt, ihren Klöstern wieder zurückerstattet.

Die Nonnen selbst aber, die so gehalten sind, werden, um nicht durch ihre Straflosigkeit zu Ähnlichem zu verführen, durch die Äbtissinnen, Lehrerinnen oder Priorinnen und die Konvente ihrer Klöster nicht anders wieder aufgenommen, als auf Grund einer Karzerstrafe,... bis sie durch uns... der Wiederaufnahme.. würdig erachtet werden.«

Im Jahre 1371 mußte in Köln ein gleicher Befehl erlassen werden.[191]

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Die gleiche Kölner Synode sah sich auch veranlaßt, in ihrem 15. Kapitel ausdrücklich den Klerikern zu verbieten, in ihren Testamenten über die Einkünfte des sogenannten Gnadenjahres, das ist des ersten Jahres nach ihrem Tode, dessen Einkünfte ihnen noch zukamen, zugunsten ihrer Konkubinen und ihrer unehelichen Kinder zu verfügen.

Zu Beginn des 14. Jahrhunderts kam es soundso oft vor, daß Mönche und Nonnen aus ihren Klöstern aussprangen und dann nach Aufgabe der Ordenskleidung und Ordenszucht als Weltleute lebten. Daß relativ nicht viel urkundliches Material uns erhalten ist, hat seinen Grund darin, daß nur solche Fälle zu unserer Kenntnis gelangen, in denen diese Ordenspersonen später ihre Flucht aus dem Kloster bereuten und die Wiederaufnahme begehrten. Nur wenn sie die Hilfe des Papstes dazu in Anspruch nahmen, besitzen wir die einschlägigen Dokumente. Wie häufig jedoch tatsächlich diese Fahnenflucht war, erhellte daraus, daß Papst Benedikt XII. sich veranlaßt sah, eine besondere Konstitution zu erlassen.[192]

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Die sogenannten Strafakten des Marienburger Ordenshauses enthalten mehrere Fälle, wo die Deutschen Herren unter dem Deckmantel der Beichte und Buße systematisch Verführung von Frauen und Jungfrauen, ja sogar gewaltsame Schändung von neun- und zwölfjährigen Mädchen verübt hatten. Der Ordensmeister Jungingen sah sich veranlaßt, Verbote zu erlassen, daß kein weibliches Tier, weder Stute, noch Eselin, noch Hündin, im Ordenshause gehalten werden dürfe. Ähnliche Verbote bestanden auch für die Klöster auf dem Berge Athos. In Rom mußten sie gar noch in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts erneuert werden!!!

Wiewohl nun die Ordensritter in Marienburg ein wohleingerichtetes Frauenhaus unterhielten, liefen doch häufig Beschwerden von Bürgern ein, daß ihre Frauen und Töchter mit Gewalt aufs Schloß geschleppt und dort bis zur Mißhandlung gemißbraucht wurden.[193]

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Klemens VI. hat im ersten Jahre seines Pontifikats 1342 sieben Trierer und dreizehn Kölner, die unehelich von Priestern erzeugt worden waren, dispensiert, so daß sie Priester werden konnten. In den Jahren 1335–1342 war dieser Dispens 9 Priestersöhnen der Diözese Metz, 17 ebensolchen der Diözese Trier, 20 der Diözese Köln und 36 der Diözese Lüttich erteilt worden. Im ganzen absolvierte Klemens im gleichen Jahre 484 Priestersöhne nach Ablegung eines Examens. Bedenkt man nun, daß selbstverständlich nicht jede Bitte um Dispens erfüllt wurde, daß doch nicht jedes Kind eines Priesters ein Sohn ist, nur ein Bruchteil das entsprechende Alter erreicht und doch gewiß nicht die Mehrheit gerade den Priesterberuf wählte, der eines besonderen päpstlichen Dispenses bedarf, also der einzige ist, den zu ergreifen diese Herkunft de jure ausschließt, so wirft das alles auf die Art, in welcher das Zölibat gehalten wurde, ein grelleres Licht, als die noch so drastischen Exklamationen der Sittenprediger und Chronisten.

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Von unbedingt kompetenten Beurteilern liegt für die nordischen Länder ein Bericht des päpstlichen Notars und Abbreviators Dietrich von Nieheim (»Nemus Unionis«) vom Jahre 1408 (abgedruckt bei Sauerland S. 298 f.) und für Spanien und Süditalien des päpstlichen Pönitentiars Alvar Pelajo vom Jahre 1332 in seiner Schrift »De planctu ecclesiae« (abgedruckt eb. S. 297 f.) vor. Das von beiden unverdächtigen Zeugen gefällte Urteil entspricht völlig den aus der Statistik gezogenen Schlüssen. Nieheim stellt z. B. ausdrücklich fest, daß es den norwegischen Presbytern und Bischöfen nach heimischer Sitte freistand, öffentliche Konkubinen zu halten. Dabei waren diese weiblichen Personen ganz und gar nicht gering geschätzt, sondern nahmen geradezu am Range ihres Freundes teil. Daß Priester niederen Ranges, die das Zölibat hielten, ja, die ohne Konkubine lebten, nicht die Regel, sondern die Ausnahme bildeten, verstände sich von selbst, auch wenn es nicht ausdrücklich berichtet würde.[194]

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Als der päpstliche Vikar unter Sixtus IV. den Geistlichen und Kurialen verbot, sich Konkubinen zu halten, tadelte der Papst ihn deshalb heftig und hob das Verbot wieder auf. Er motivierte es damit, daß man kaum einen Priester ohne Konkubine fände. »Und aus diesem Grunde wurden die Prostituierten gezählt, die damals in Rom öffentlich waren, um ein wahrheitsgetreues Bild zu gewinnen und die Zahl der Prostituierten auf 6800 festgestellt, abgesehen von jenen, die im Konkubinat leben und die nicht öffentlich, sondern im geheimen zu fünft oder sechst ihre Künste ausüben, desgleichen jener, die einen einzigen oder mehrere Kuppler haben. Daran kann man erkennen – schreibt Infessura –, wie in Rom gelebt wird, wo das Haupt des Glaubens wohnt, und wie der heilige Staat regiert wird.«[195]

Berücksichtigt man, daß Rom damals kaum 70000 Einwohner hatte, so läßt sich der Prozentsatz der Prostituierten etwa folgendermaßen berechnen: Ziehen wir ein Drittel der Einwohner – sehr mäßig gerechnet – als Kinder und Greise ab, so bleiben etwa 45000, nehmen wir an, die Hälfte davon sei weiblich gewesen, dann war jede vierte weibliche Person eine Prostituierte, ohne Rücksicht auf die im Konkubinat lebenden![196]

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Wir besitzen aus den Jahren 1519–1521 für ein kleines Gebiet der Mainzer Erzdiözese Taxlisten, in denen die Höhe der Strafe für die einzelnen Delikte von Priestern festgesetzt ist.

Der Bordellbesuch von Priestern wird von allen Vergehen am niedrigsten eingeschätzt, nämlich im Durchschnitt auf 16 sol. Ehebruch kostet schon 30, Inzest 88 sol. Gegenüber dieser niedrigen Bestrafung von Fleischessünden, die ein vernichtendes Urteil über die kirchliche Moral nicht nur gestattet, sondern fordert, werden Verstöße gegen die kirchliche Ordnung überaus hoch bestraft.

Unkanonische Amtsführung kostet 29 sol., Nichtbeachtung der Residenzpflicht 44, Begräbnis eines Exkommunizierten aber 240 sol. Also war in den Augen der mittelalterlichen Kirche die Sünde, einen Exkommunizierten ehrlich zu bestatten und damit praktisches Christentum zu üben, fast dreimal so schwer wie die der Blutschande, während man um dasselbe Geld sich als Priester acht Ehebrüche leisten konnte.

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Diese kulturhistorisch außerordentlich wertvolle Strafliste erstreckt sich auch auf Laien. So kostet eine Übertretung des Fastenverbotes gerade doppelt so viel als ein Ehebruch.

Die Jahresrechnungen des Kölner Offizialatgerichtes in Werl aus den Jahren 1495–1515 ergeben ein ähnliches Bild. Denn die höchste der hier vorkommenden Strafen, nämlich 31 fl. 2 ß ist auf Celebratio in suspensio gelegt, während zwei schwere Inzestfälle nur mit 19 fl. 5 ß oder 20 fl. 8 ß geahndet werden, ein anderer gar nur mit 14 fl. Ein doppelter Unzuchtfall erhält die Strafe von 3 fl. 5 ß. Sehr billige, geradezu Tietzpreise, erzielten einfache Unzuchtfälle. Sie bleiben massenhaft überhaupt unter dem Satze von 1 fl. Ehebruch war kostspieliger, denn die Strafe von 3 fl. 9 ß wird mit der Armut des Inkulpaten motiviert.

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Teuer waren dagegen Verstöße gegen die Kirchenordnung: der Laie, der seinen Priester hintergeht und trotz seiner Exkommunikation das Abendmahl nimmt, erhält eine Strafe von 2 fl. 6 ß, der Priester aber, der ihm ahnungslos das Abendmahl reicht, 6 fl. 5 ß.

Während ein Laie, der, ohne es zu wissen, eine Verwandte vierten Grades geheiratet hat, einer Buße von 3 fl. 9 ß unterworfen wird, kommt ein Priester, der mit einem Schulmädchen in seinem Hause Unzucht treibt, schon mit 1 fl. durch.

Auch in dem 1517 in Rom gedruckten Taxenbuch wird Zulassung eines Exkommunizierten zum Gottesdienst schwerer bestraft, wie Inzest. Ganz ähnlich übrigens schon die berühmten Dekretalien des Bischofs Burchhard von Worms († 1025). Man vergleiche das 19. Buch dieses Werkes (Pariser Ausgabe von 1549, S. 262 ff.).

Zweifelt noch jemand, daß es der Kirche vor der mit so viel Fanatismus und Borniertheit bekämpften Reformation keineswegs so sehr um Hebung der Sittlichkeit, als um Erzwingung äußerlicher disziplinärer Unterordnung zu tun war? Denn diese Taxen, die jeder Moral ins Gesicht schlagen, sind nicht etwa von irgendwelchen lokalen Gewalten, sondern von der offiziellen Kirche festgesetzt worden.

Dazu gibt es noch eine ganze Reihe von Beispielen, daß diese milden Strafen gegen Geistliche nicht verhängt wurden. Daher existierte ein Sprichwort: Wer ohne Strafe leben will, der werde Kleriker.

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Als die Camminer Synode von 1454 die Vertreibung der Konkubinen binnen zwölf Tagen bei einer Strafe von 10 Mark Silbers gebietet, vergißt sie nicht den Zusatz: »es sei denn, sie würden aus gerechten und vernünftigen Gründen von uns geduldet«!!!

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Nach Aussagen Kölner Pfarrer von 1484 über die Behandlung homosexueller Vergehen ergibt sich, daß die Geistlichen es bisweilen überhaupt unterließen, kirchliche Strafmittel anzuwenden. Die kirchlichen Behörden hatten es eben vielfach aufgegeben, sich dem Sittenverfall entgegenzustemmen. Das war eine natürliche Folge der aszetischen Grundtendenz der Kirche, die im unüberbrückbaren Widerspruch zum Leben stand. Die Kirche war einfach ratlos gegenüber der allgemeinen sittlichen Auflösung, die eintreten muß, wenn Unmögliches gefordert wird.

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Da die Kirche trotz zahlloser, im 15. Jahrhundert zur Schärfung des Gewissens der Geistlichkeit abgehaltener Provinzial- und Diözesansynoden, trotz Klostervisitationen und glühenden Volkspredigern kein nennenswertes Resultat erzielte, sahen sich vielfach die weltlichen Fürsten genötigt, die Reinigung des geistlichen Standes vorzunehmen. So ordnet Herzog Wilhelm von Jülich am 2. August 1478 die Vertreibung der »pfaffenmede« an.[197]

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Die Freunde Zwinglis verfaßten 1522 einen »Kommentar«, in dem sie gegen den Bischof Hugo von Hohenladenberg, der von 1496–1529 den Krummstab über Konstanz führte, die schwersten Vorwürfe erhoben. So, daß er früher 4, jetzt 5 Gulden Strafe für jedes illegitime Priesterkind erhebe. Das war auch der Grund, weshalb er gegen die Eheforderung der Priester war, denn er wollte auf eine so reiche Einnahmequelle nicht verzichten. Sollen doch in einem einzigen Jahre in seiner Diözese nicht weniger als 1500 Priesterkinder geboren worden sein, von denen er also nach dem alten Satz 6000, nach dem erhöhten aber 7500 Gulden Strafgeld bezog! Habe einer eine Konkubine oder nicht, so sage man ihm: »Was geht dies meinem gnädigen Herren an, daß du keine hast? Warum nimmst du nicht eine?« Das Geld mußte auf alle Fälle erlegt werden.

Selbst wenn in dieser Schrift eine Übertreibung untergelaufen sein sollte, so ist es doch bezeichnend, daß die Zeitgenossen das von ihrem Seelenhirten für glaubhaft hielten, und der Rat der Stadt Zürich amtlich in einem Aktenstück festgestellt, »daß die Bischöfe Geld nehmen und den Pfarrkindern ihre Metzen lassen«.[198]

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Der Erfolg der landesherrlichen Eingriffe, die besonders seit dem Trientiner Konzil sich mehrten, war aber sogar noch im 17. Jahrhundert keineswegs groß, selbst nicht in Bayern, das sich heute mit gerechtem Stolz rühmen darf, Deutschlands größte Dunkelkammer zu besitzen. Das Konkubinat der Priester war noch keineswegs ausgerottet und die Zahl der Priesterkinder groß. Der durchaus klerikale Schriftsteller Albertinus schreibt sehr vielsagend über die Sittlichkeit unter Maximilian I. von Bayern (gest. 1650), daß durch die Menge der Sünder die Sünde nicht geringer werde. Damals wurde im Rendamt Landshut, das aber sittlich höher stand als Burghausen, eine ganze Reihe von Geistlichen aufgeführt, denen Verführung von Dienstboten, Mißbrauch des Beichtstuhls, Notzuchtsversuche, Körperverletzungen etc. zur Last fielen. Von den Konventualen zu Osterhofen heißt es, daß sie nächtlicherweile viel auslaufen und sich an leichtfertige Weibspersonen hängen.[199]

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Die »Newe Zeitunge von der Römischen Kayserlichen Mayestet Legation gen Rom zum new erwehlten Papst, im jetzigen Jar, nach weihnachten 1560. in 4o« bringt folgenden erbaulichen Stimmungsbericht aus der Hauptstadt der Christenheit.

»Ich glaube nicht, daß unter der Sonne ein ärger Leben verbracht werde, als in Rom. Das geht umher den ganzen Tag auf Gassen und Straßen, alles durcheinander, und der feilen Mädchen und Weiber gar viele, so daß deren daselbst leben 30000, wie ein Register sagt, deren die geringste jede dem Papste jährlich 2 Kronen zahlt, die stattlichste aber 20 Kronen. Sie sind fast hoch privilegiert, daß man keine darf krumm ansehen; denn wenn sie einen verklagen, der wird ohne alle Gnade gestraft.

Und da haben sich Männer und Weiber verlarvt, wie die Narren in Teutschland, in der Fastnacht. Unter solchen Mummereien reiten auch die Pfaffen einher. Und haben wir gesehen, daß der Kardinal Farnese alle Gassen durchrannte, mit und um ihn dreizehn Curtisaninnen.

So findet man auch viele Weiber ins Mannskleidern einher gehen, mit zerhackten und zerschnittenen Hosen, und haben ihre Rapiere an den Seiten, als wären sie Landsknechte. Dieselbe müssen Briefe (d. h. Erlaubnisscheine) haben, welche sie aber theuer kaufen von päpstlicher Heiligkeit. Also nimmt man hier Geld von Rom und läßt alles gottlose Wesen zu. Es schadet alles garnichts. Hilf, lieber Gott! wie ist das Volk so verkehrt.

Ich habe mit des Papstes Kämmerlingen einem oft und vielmals geredet, und des bösen Lebens gedacht, das in Rom geführt wird. Darauf er mir geantwortet: Auf das Leben dürfe ich nicht sehen, darauf käme nichts an, sondern ich sollte tun, als sähe ich nicht, was ich nicht sehen möchte. Aber ich danke Gott, daß meine Zeit kömmt, hinweg zu ziehen aus Rom, und gedenke, so Gott will, nimmermehr wieder dahin zu kommen.«[200]

Dieser Bericht eines augenscheinlich ehrlichen Mannes aus dem Jahre 1560 lehrt im Verein mit zahllosen andern, daß der Klerus es immer vortrefflich verstanden hat, Wasser zu predigen und Wein zu trinken und daß, wie in jeder anderen, so auch in sittlicher Beziehung Priesterherrschaft von allen möglichen die schlechteste ist.

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Begreiflicherweise war es sogar noch in späterer Zeit jenseits der Alpen nicht besser.

Die Sittlichkeit im schwarzen, urreaktionären Neapel stand um 1730 nach Keyßlers Beschreibung nicht sehr leuchtend da: »Was die itzigen Zeiten anlangt, so muß man gestehen, daß die Freyheit und freche Lebensart der lüderlichen Weibspersonen in dieser Hauptstadt auf den höchsten Grad gestiegen, und die Stadt hierinn alle andere übertreffe. Es wohnen in einer einzigen Gegend über zweytausend Curtisanen beysammen, und schämen sich geistliche Personen nicht, in diesen Gassen sich gleichfalls einzuquartieren. In allen rechnet man hier über achtzehntausend solcher Donne libere. Die Jugend wird dadurch gänzlich verdorben, und die Geistlichkeit selbst kann wenig im Zaume gehalten werden, weil die weltliche Obrigkeit nichts über sie zu befehlen hat, und die Clerisey, aus Respect vor das Amt und den heiligen Stand, einander durch die Finger sieht, ja es wohl übel nimmt, wenn man ihnen ihren freyen Willen nicht lassen will.«

Wie der gelehrte Reisende weiter berichtet, wurde der Auditor des päpstlichen Nuntius in flagranti erwischt, aber nicht bestraft, da sich selbst der Vizekönig nicht getraute. Der Geistliche aber hatte die Dreistigkeit, die Bestrafung der Anzeiger zu fordern, womit er durchdrang. »Um aber doch einigermaßen allen diesen Herren wiederum einen Possen zu spielen, so ließ er zwar die Häscher mit einer Beschimpfung durch die Stadt führen, es war aber auf der Tafel, welche sie gewöhnlicher Weise auf der Brust tragen mußten, um die Verbrechen der Missethäter anzudeuten, geschrieben, daß solche Strafe ihnen angetan würde, weil sie sich unterstanden, den Auditor des päpstlichen Nuntius in seinen Plaisirs zu verunruhigen.«[201]

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Was sich selbst noch am Ende des 18. Jahrhunderts, und zwar in Bayern ein anmaßender und sittenloser Klerus herausnehmen durfte, möge aus folgender mehr tragischen als komischen Geschichte erhellen, die sich im Jahre 1786 zu Neuberg im Gericht Pfädter zutrug.

Ein junger Bauer heiratete und wohnte weiter mit der bald neunzigjährigen Großmutter zusammen. Nach einiger Zeit gab die Kuh des jungen Paares keine Milch mehr, während der Quell bei der der Alten weiter sprudelte. Eine Magd, die wegen einer Untreue getadelt worden war, haßte die Greisin und sprengte deshalb das Gerücht aus, sie sei eine Hexe und habe die Kuh verzaubert. Zugleich wußte sie die junge Bäuerin gegen sie mißtrauisch zu machen, so daß ihr schließlich verboten wurde, die eigene Kuh zu melken. Die Folge waren auch Streitigkeiten in der jungen Ehe.

Daß das Vieh krank sein könne – es gab Blut – und die ungeeignete Fütterung das Ausbleiben der Milch, das sich auch sofort bei der Kuh der Greisin einstellte, als sie mit der andern von der Magd auf die Weide getrieben wurde, verursacht habe, kam niemand in den Sinn. Zauberei stand fest, und die Franziskaner mußten helfen.

Nach vergeblichen Experimenten ging die junge Frau wieder ins Kloster, wo sie nach dem »Hexenpater«, den es damals noch in jedem Kloster gab, verlangte. In ein Separatzimmer geführt und mit Bier bewirtet, schüttete die junge Frau ihr Herz aus und es entspann sich folgendes Gespräch:

»Pater: Bäuerin! Bäuerin! Da muß was anders als die Alte schuld sein – wie meint Ihr?

Bäuerin: Ich? Ja mein Gott! wo soll’s dann fehlen?

P.: Habt Ihr Euern Mann treulieb?

B.: O ja, von Herzen gern.

P.: Seid Ihr mit ihm zufrieden?

B.: Ja.

P.: Versteht mich wohl! Ich mein’s so, ob er bei der Nacht im Bette tut, wie Ihr es verlanget, so lang und so viel?

B.: Aber ei! – (voll Scham) Ihr Hochw–

P.: Nur heraus mit der Sprache, denn da kommt viel darauf an – also?

B.: Ja! Ihr Hochwürden.

P.: Hm. Hm. (Ergreift ihre Hand.) Weib! Weib! Beinahe komme ich auf andere Gedanken!

B.: Aber, Ihr Hochwürden, ich bitt’ enk um Gottes willen – werds ja mich für kai Hex halten?

P.: Das nicht, Weible, aber – wie! Macht ’nmal Euer Mieder auf!

B.: Ihr Hochwürden! Was denken S’? Ist ja ä Schand’!

P.: Ich kann Euch nicht helfen. – Ich komm’ sonst nicht auf die Spur. – Nun.

B.: In Gottes Namen! Aber Herr!

P.: So! – Schon wieder nähere Spuren (indem er die volle Brust streicht – drückt – und zuletzt saugt).

B.: Aber, Ihr Hochwürden! Was ist denn das? O jeges! wenn’ ai Mensch sehe –

P.: Halt’ dich, Närrin! (Saugt immer fort.)

B.: Nun, was zeigt sich denn?

P. (voll Feuer): Ja, Mütterchen! ich spüre zwar, daß eine Hexerei in Eurem Leibe ist – aber noch weiß ich nit, kömmt’s von Eurer Alten oder gar von Eurem Manne her – und um das zu finden, müßt Ihr Euch schon da niederlegen.

B.: Ja, was woll’es dän thai mit mir?

P.: Das werdet Ihr schon sehen. – Gelt, Ihr seid schwanger?

B.: Ja, Ihr Hochwürden!

P.: Nun schaut! Das Kind ist verhext, und da wird Euch ein schöner Bankert Freud’ machen und einmal auf dem Scheiterhaufen brinnen (brennen), wenn ich Euch nicht helfe – und es geben Euch die Kühe keine Milch, bis da geholfen ist – gebt Euch also willig und legt Euch nieder.

B.: Nu, wann’s Ihr Hochwürden befehlen.« etc.

Der Schluß war nicht nur, daß der Pater sich viehisch an der Frau verging, er gab ihr auch noch den Rat, mit einem Prügel versehen in den Stall zu gehen, wo sie die Hexe treffen werde. So lange bis Blut fließe, solle sie auf sie einschlagen und mit dem Blut die Euter der Kühe bestreichen.

Die Bäuerin handelte nach Befehl, ging in den Stall, traf dort die Großmutter und schlug sie tot. Nur durch die Gerichtsverhandlung kam auch der schändliche Streich des Geistlichen auf.

Aber niemand dachte daran, den schurkischen Pater Benno zu verfolgen. Endlich gelang es dem energischen Eingreifen eines einzigen Richters, gegen den Geistlichen Strafverfolgung zu erwirken. Er wurde auf zehn Jahre vom Messelesen suspendiert und ebensolange in klösterlichem Arrest auf Wasser und Brot gesetzt, d. h. begnadigt, denn daß die Mönche ihrem Kollegen nichts Böses taten, ist klar. Die Regierung fürchtete aber ein energisches Eingreifen. Statt mit dem Schwert hingerichtet zu werden – was das Los der Bäuerin gewesen wäre, wenn der Schurkenstreich nicht aufgekommen wäre – wurde sie auf freien Fuß gesetzt.

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Solche Zustände scheinen heute unmöglich zu sein. Scheinen! Das Zölibat ist eine der Natur zu sehr ins Gesicht schlagende Vergewaltigung, als daß auch beim besten Willen seine Durchführung streng gehandhabt werden könnte. Man mag vorsichtiger sein, Delikte mögen auch seltener werden, aufhören werden sie nie. Aber ein Unterschied ist zwischen der zwar kirchlich verdammten, aber moralisch einwandfreien normalen Befriedigung der Sinnlichkeit und viehischen Vergewaltigung und Versuchung anvertrauter Seelen.

Am 8. April 1910 wurde vor der Strafkammer I des kgl. Landgerichts in Stuttgart gegen den Simplizissimus bzw. dessen verantwortlichen Redakteur Gulbransson in einer Beleidigungsklage des Bischofs Keppler von Rottenburg verhandelt und Gulbransson zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Dieser Vorgang wäre für uns ohne jedes Interesse, wenn nicht während der Verhandlung Dinge zur Sprache gekommen wären, die eigentümliche Blitzlichter auf die sittliche Führung der katholischen Geistlichkeit wenigstens der Diözese Rottenburg geworfen hätten.

Der Stadtpfarrer Bauer von Schramberg war wegen Sittlichkeitsverbrechen zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt worden. Da Bischof Keppler am Vorabend des Schuldspruches eine zu Mißverständnissen Anlaß gebende Rede über die Möglichkeit eines gerichtlichen Falschspruches gehalten hatte, glaubte der Simplizissimus – und mit ihm noch viele andere Organe – daß Bischof Keppler gegen sittliche Verfehlungen seiner Geistlichen, wofern sie nur politisch brauchbar wären, zu milde vorgehe. Deshalb erschien in dem satirischen Blatt eine Zeichnung, den Bischof als Hirten einer Schweineherde darstellend. Die Schweine aber trugen priesterliche Gewandung. Die Überschrift des Bildes lautete: »Alles fürs Zentrum«, die Unterschrift aber: »Durch sein Eintreten für den Pfarrer Bauer hat der Bischof Keppler von Rottenburg gezeigt, daß er nicht nur über Schafe, sondern auch über Schweine ein guter Hirte ist.«

In der Gerichtsverhandlung, in der festgestellt wurde, daß Pfarrer Bauer sich in schamlosester Weise an Kindern usw. vergangen hatte, stellte der Verteidiger Rechtsanwalt Heusel den Antrag, den Wahrheitsbeweis für folgende in der Diözese vorgekommene Fälle zu erbringen. Wir zitieren seine Ausführungen wörtlich:

»1. Der Fall des Pfarrers Gehr von Zuffenhausen.

Ich beantrage hier die Akten der Kgl. Staatsanwaltschaft Stuttgart betreffend die Anzeige gegen den katholischen Pfarrer Gehr von Zuffenhausen vom Jahre 1908 beizuziehen. Pfarrer Gehr hat von zahlreichen Schulmädchen, welche in die 6. und 7. Klasse der Volksschule gingen, also vermutlich im 13. oder 14. Lebensjahr und vor der Kommunion stehenden Mädchen verlangt, sie sollen ihre Röcke in die Höhe heben; er hat einzelnen dieser Mädchen selbst den Rock in die Höhe gehoben, hat Mädchen auch rücklings auf seine Knie gesetzt, sie wie etwa kleine Kinder auf seinen Knien reiten lassen und sie dann rücklings mit dem Kopf zum Boden hinunterschnappen lassen, daß die Mädchen selbst auf den Gedanken kamen, er wolle ihnen unter die Röcke sehen.

Pfarrer Gehr hat weiter, was das Schwerwiegendere ist, um die Entdeckung seiner Verfehlungen zu verhindern, die Mädchen so bearbeitet, daß es schwer, wenn nicht unmöglich war, von ihnen den wahren Sachverhalt erfahren zu können. Es ist durch mehrfache Landjägermeldungen bestätigt, daß Pfarrer Gehr sich direkt bemüht hat, die Mädchen zu falschen Aussagen zu verleiten, und daß den mißbrauchten Kindern mit der Hölle und mit Gotteszell gedroht worden ist, falls sie etwas gegen den Pfarrer aussagen.

Es ist nicht meine Aufgabe als Verteidiger, ein derartiges Verhalten entsprechend zu charakterisieren. Tatsache ist, daß hochstehende Richter ihrem Erstaunen darüber Ausdruck verliehen haben, daß gegen Pfarrer Gehr gerichtlich nicht vorgegangen worden ist. Tatsache ist weiter, daß die einzige Maßregel, welche seitens des bischöflichen Ordinariats gegen ihn verfügt worden ist, die war, daß er auf die beliebte, in schönster Lage am Bodensee gelegene Pfarrei Eriskirch versetzt worden ist.

2. Der Fall des Pfarrers und Schulinspektors Adis von Dotternhausen, O.-A. Rottweil.

Hier wird die beantragte Beiziehung der Akten des bischöflichen Ordinariats das Nähere ergeben. Für den Fall, daß die Vorlage dieser Akten verweigert werden sollte, werde ich eingehenden Beweis erbringen. Pfarrer Adis hat Verbrechen im Sinne des § 176 Z. 3 StGB. begangen und in der Gemeinde Dotternhausen hiedurch und durch sonstige sittliche Verfehlungen das größte Ärgernis erregt. Die einzige Strafe, die gegen ihn verfügt worden ist, bestand in einer nur auf die Dauer eines halben Jahres verfügten Suspension vom Amt, welche Zeit Pfarrer Adis nicht im Disziplinarhaus der Diözese Rottenburg für katholische Geistliche, sondern vermutlich in einem Kloster verbrachte.

3. Der Fall des katholischen Pfarrers Kolb von Ennabeuren, O.-A. Münsingen.

Pfarrer Kolb hat durch fortgesetzten Verkehr mit übel beleumundeten Frauenzimmern in der Gemeinde Ennabeuren derartiges sittliches Ärgernis erregt, daß sich ein Bürger von Ennabeuren, namens Johannes Reyhinger, Frohnmeister daselbst, den ich für sämtliches hier Vorgetragene als Zeugen benenne und zur Hauptverhandlung vorzuladen beantrage, persönlich nach Rottenburg an das bischöfliche Ordinariat wandte. Fronmeister Johannes Reyhinger schilderte dort einem Domkapitular das sittlich verwerfliche Verhalten Kolbs, insbesondere auch die Tatsache, daß, wie ortsbekannt geworden war, ein Frauenzimmer von Ennabeuren häufig bei Kolb in seiner Wohnung genächtigt und dort im Pfarrhof eine besondere Bettstelle zur Verfügung gehabt habe, ohne daß seitens des Ordinariats gegen Kolb eingeschritten worden wäre.

4. Der Fall betreffend Kaplan Hag in Scheer, O.-A. Saulgau.

Kaplan Hag hatte zwei Knaben, welche bei kirchlichen Anlässen als Ministranten fungierten und von denen einer jetzt Schutzmann ist, in der Kirche zur Päderastie angeleitet und mißbraucht. Er ist jetzt in Argentinien Pfarrer.

5. Der Fall des Pfarrers und Kammerers Höflinger von Altheim, O.-A. Riedlingen.

Der genannte Pfarrer war außerehelicher Vater von fünf Kindern, deren Mütter zwei ledige Frauenspersonen seiner Gemeinde waren. Diese Tatsache ist in der Gemeinde bekannt geworden und hat dort berechtigtes Aufsehen erregt. Er verpflichtete sich, den jüngsten zwei seiner Kinder das Geld zur Übersiedelung nach Amerika zu geben, worüber ein Vertrag gefertigt worden ist. Kirchlich wurde nicht weiter gegen ihn eingeschritten; er hat jedenfalls auch in Zukunft seines Amtes als Pfarrer gewaltet.

6. Der Fall betreffend den Kaplan Azger in Heufelden, O.-A. Ehningen.

Dieser Kaplan hatte in den Jahren 1906 und 1907 ein im ganzen Dorfe bekanntes Verhältnis mit einer Industrielehrerin, ohne daß gegen ihn seitens des Ordinariats eingeschritten worden wäre.

7. Ich beantrage weiter die Beiziehung der Akten der Kgl. Staatsanwaltschaft und des Kgl. Landgerichts Rottweil, betreffend den Fall des Pfarrers Knittel von Wachendorf, O.-A. Horb.

Dieser Fall hat seinerzeit auch im Württembergischen Landtag eine eingehende Besprechung gefunden.

8. Ebenso beantrage ich die Beiziehung der Gerichtsakten, betreffend den Pfarrer Nuber in Buchau am Federsee, O.-A. Riedlingen, welcher seinerzeit wegen Schändung von Knaben in der Kirche angeklagt war und der sich in der Folge im Amtsgerichtsgefängnisse zu Riedlingen erhängte.«

Ob der sittliche Tiefstand in der Rottenburger Diözese besonders groß ist, wagen wir nicht anzunehmen, noch viel weniger können wir es feststellen. Ist das aber nicht der Fall, dann bleibt nur ein eben nicht rühmlicher Schluß auf die übrigen Diözesen zu ziehen übrig.

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Wie der Corriere de la sera mitteilte, hatte das Erdbeben vom 28. Dezember 1908, das Messina und mehrere Küstenorte zerstörte, wobei nach der offiziellen Verlustliste über 98000 Menschen ums Leben kamen, eine ungeahnte Nebenwirkung. Die Mönche von San Procopio (Kalabrien) verlangten nämlich in Messina Unterstützung für sich und ihre Familien. In Palmi lebten mehrere Mönche in wilder Ehe. Einer davon hatte sechs Kinder, für die er um Brot bat.

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Mag sich also auch das sittliche Niveau der Geistlichkeit seit dem Mittelalter nicht wesentlich gehoben haben, wenn auch keineswegs geleugnet werden soll, daß die Konkurrenz der Kirchen und das gute Beispiel der bürgerlichen Welt veredelnd wirkte, so ist dafür die Nuditätenschnüffelei desto mehr gewachsen. Unter diesen Umständen bietet es erhöhtes Interesse, zu sehen, was die Kirche zuließ, als sie unumschränkt herrschte. Der Schluß, daß auch die äußerliche Versittlichung nicht ihr, sondern andern Mächten ihren Ursprung dankt, sie aber, wie überall, so auch hier ein kultur- und kunsthemmendes Extrem aufstellte, liegt nicht fern.

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An den Gesimsen des Straßburger Münsters im Innern der Kirche waren satirische Bildwerke auf die Mönche angebracht, so Affen, Esel, Schweine im Mönchshabit Messe lesend. Und zwar, wie feststeht, nicht etwa unter protestantischem Einfluß, da schon im Jahre 1449 der Bau vollendet war. Die pièce de résistance bildete an der Treppe, die auf die große Kanzel führte, ein am Boden liegender Mönch, der »sich bei einer liegenden Nonne gar ungeziemender Freyheiten gebrauchet«. Wenige Jahre vor 1729 erst wurden diese nicht gerade für prüde Augen bestimmten Plastiken entfernt, nach Fiorillo erst nach 1764. Geiler von Kaysersberg hatte augenscheinlich an dieser Darstellung keinen Anstoß genommen. Nach Fiorillo wurde sie sogar erst unter seinen Augen 1486 angebracht.[202]

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Nach demselben Gewährsmann befand sich noch damals im Erfurter Dom »an der Ecke rechter Hand ... unter den Zierathen eines Gesimses ein Concubitus Monachi cum Monacha gar deutlich in Stein gehauen, daß man also nicht nur aus dem straßburgischen, sondern auch hiesigen Domgebäude zeigen kann, wie die Clerisey vor der Reformation es so grob und plump in ihrem Leben und Wandel getrieben, daß auch die Handwerksleute nicht unterlassen können, in öffentlichen Gebäuden ihren Spott darüber zu treiben, wo nicht gar die jalousie zwischen den Mönchen und der übrigen Clerisey zu solchen ärgerlichen Vorstellungen Anlaß gegeben und den Layen dergleichen Arbeit anbefohlen hat«.[203]

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An einem Kapitell der Kirche des Egerer Schlosses in Böhmen ist Adam und Eva dargestellt, beide natürlich völlig nackt. Adam manipuliert dabei in höchst merkwürdiger Weise an seinem intimsten Körperteile.[204]

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In der Hauptkirche von Nördlingen befindet sich ein angeblich von Jesse Herlin 1503 gemaltes, 1601 restauriertes jüngstes Gericht, das einen Papst mit Kardinälen und Mönchen in der Hölle zeigt und ein Weib, das von einem Teufel vergewaltigt wird.

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Die Kirche zu Weilheim in Württemberg besitzt ein ähnliches Fresko-Bild aus dem 15. Jahrhundert. Es stellt ein Jüngstes Gericht dar und scheint allerdings mehr satirisch als unsittlich zu sein.[205]

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Am Dom zu Freiburg i. Br. befindet sich ein Wasserspeier in menschlicher Gestalt, der die Abflußröhre aus dem Gesäß herausragen hat. Die Person macht das vergnügteste Gesicht von der Welt. Nicht ohne Grund, denn nicht jedem ist es vergönnt, seinen Gefühlen der Hochschätzung für die lieben Zeitgenossen in so deutlicher Weise Ausdruck zu verleihen.[206]

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Die Unsittlichkeit der genannten Darstellungen war nicht etwa, wie man annehmen könnte, ein deutsches Privilegium, sondern in der ganzen Christenheit nahm man daran keinen Anstoß. Fiorillo schreibt z. B.: »Unter dem Chorgestühl in der Capelle Heinrichs VII. in der Westminster Abtei wird man einiger Basreliefs gewahr, die äußerst schlüpfrige und unzüchtige Bilder enthalten, so daß es unbegreiflich ist, wie die frommen Benediktinermönche dieselben haben dulden können. Jedoch findet man auch ähnliche obscöne Dinge zu Canterbury, an Chalk Church in Kent...« Da Fiorillo zu Beginn des 19. Jahrhunderts schrieb, hatte bis dahin die Kirche keinen Anstoß genommen. Auch hier also, auf so kleinem Gebiet selbst, zeigt es sich, daß Besserungen nicht durch, sondern ohne, oft trotz und gegen die Kirche sich durchsetzen.[207]

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