Zweiter Abschnitt Wissenschaft

Die Wissenschaft ist bekanntlich um ihrer selbst willen da. Das rechtfertigt es, wenn Dinge, deren Wert der Laie mit dem besten Willen nicht verstehen kann, mit heiligem Eifer untersucht werden. Es macht es geradezu zur Pflicht. Nicht nur heute, sondern seit je. Dem Gelehrten aber, der sich am meisten plagt, als wolle er ein Thema zu einer Dissertation oder Habilitationsschrift aufstöbern, dem gebührt die Palme der Unsterblichkeit, die wir ihm hiermit überreichen. Daneben mögen in diesem Kapitel einige Meinungen Platz finden, die wir nicht für klug oder richtig halten.

Doch beginnen wir mit einer Ehrenrettung!

Wer wird es wagen, der Kirche noch fernerhin den Vorwurf zu machen, sie sei eine Feindin der Wissenschaft, wenn man tief gerührt liest, was für köstliche Blüten ihrem Schoße entsproßten?

Was will das Forschen unserer Physiker und Chemiker bedeuten gegenüber Fragen, wie sie der große Scholastiker Petrus Lombardus († 1164) aufwirft? Ob ein Vorhersehen und Vorherbestimmen Gottes möglich gewesen wäre, wenn es keine Geschöpfe gegeben hätte? So lautet eine dieser Fragen, aus seinen vier Libri sententiarum, dem Hauptlehrbuch, nach dem die Theologie in den gelehrten Schulen vorgetragen wurde.

Zweifellos ist das Interesse daran brennend. Aber was bedeutet sie gegenüber der andern: Wo war Gott vor der Schöpfung?

Daß Seelenheil und kultureller Fortschritt unlöslich von der Beantwortung abhängig sind, fühlen wir, auch ohne daß es uns jemand sagte.

Doch der Wissensdrang, nicht etwa der nach nichtigen Dingen, sondern nach solchen von ewiger Bedeutung, war bei Petrus Lombardus unersättlich. So fragte er denn weiter:

Ob Gott mehr wissen kann, als er weiß?

Ob ein Prädestinierter verdammt oder ein Verworfener selig werden könne?

Ob Gott etwas Besseres oder etwas auf bessere Weise machen könne, als er es macht?

Ob Gott allezeit alles könne, was er gekonnt hat?

Doch nicht auf Gott beschränkt sich die Fragefreudigkeit des großen Kirchenlehrers. Beschäftigt er sich auch natürlich am liebsten mit ihm, so ist er doch viel zu leutselig, um sein Interesse nicht bisweilen minder Vornehmen zuzuwenden. So wirft er die Frage auf: Wo die Engel nach ihrer Schöpfung gewesen sind?

Ob die guten Engel sündigen, die bösen rechtschaffen leben können?

Ob alle Engel körperlich sind? (kleiner Schäker!)

Ob die Rangordnung der Engel seit dem Anfang der Schöpfung bestimmt worden sei?

Sogar auf den Menschen dehnt sich der scholastische Frageeifer aus. Probleme von größter Bedeutung beschäftigen die Denker und zeigen uns aufs neue, wie unrecht wir der Kirche tun mit dem Vorwurf, sie habe auf Kosten einer brauchbaren irdischen eine verschrobene überirdische Afterwissenschaft kultiviert.

Wen interessiert es nicht zu wissen, in welchem Alter der Mensch geschaffen worden ist? Warum wurde Eva nun gerade aus der Rippe und nicht aus einem andern Teil des Mannes geschaffen? Und warum schlief Adam dabei? Die Wichtigkeit der Sache hätte schon gerechtfertigt, daß er wach gewesen wäre. Das findet wenigstens Petrus Lombardus.

Interessanter noch ist die Frage, ob der Mensch ewig hätte leben können, wenn er auch nicht vom Baume der Erkenntnis genossen hätte?

Etwas indiskreter lautet: Warum sich die Menschen im Paradies nicht begattet hätten? Jetzt verstehen wir auch des Petrus Lombardus Neugier nach dem Alter, in dem sie geschaffen wurden!

Wie hätten die ersten Menschen sich fortgepflanzt, wenn sie nicht gesündigt hätten? Eine Frage von hochaktuellem Interesse. Gibt es doch heute noch genug Frömmler, die im Geschlechtsverkehr eine Sünde erblicken und damit tatsächlich der Sünde das größte aller Wunder und aller Güter zuschreiben: das Leben.

Petrus muß auch so etwas ahnen, wenn er fragt, ob – ohne den Sündenfall – die Kinder mit vollkommen ausgewachsenen Gliedern und mit dem vollen Gebrauch der Sinne würden geboren worden sein?

Von höchster Neugier zeugt die Frage, warum der Sohn und nicht der Hl. Geist oder der Vater Mensch geworden seien? Mit großem Ernst wurde natürlich alles behandelt, was mit der sogenannten Erlösung zusammenhing. So die Frage, ob Gott das durch Christus dargebrachte Opfer auch hätte annehmen können, wenn dieser ein Weib gewesen wäre.

Mit Rücksicht auf die außerordentliche Wichtigkeit und Vordringlichkeit gerade dieser Frage wurde in der Schule des Petrus Lombardus nicht minder, wie in der seines Schülers Petrus von Poitiers das Thema emsig diskutiert. Man war sich einig, daß nur ein ganz verruchtes Scheusal, dem das schamlose Maul (os impudicum) in gehöriger Weise gestopft werden muß, in dem Sinne hätte antworten können, daß Christus auch als Weib den an einen Erlöser zu stellenden Anforderungen hätte genügen können.[15]

Occam hat in seinem Centilogium folgende Thesen: C. 8–11: »Zulässig sind die Sätze: Gott der Vater ist der Sohn der hl. Jungfrau; der Hl. Geist ist der Mensch, welcher der Sohn der hl. Jungfrau ist; der Vater, der niemals starb, kann gestorben sein, der Sohn, der starb, kann auch niemals gestorben sein.«... C. 29: »Der Leib Christi kann sich zu gleicher Zeit in entgegengesetzter Richtung bewegen und wird faktisch so bewegt, wenn z. B. ein Priester ihn emporhebt und der andere ihn in demselben Moment niederlegt.«[16]

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Unter dem Titel: »Disputatio nova contra mulieres qua probatur eas homines non esse« erschien 1595 ein Büchlein ohne Verfassernamen und Druckort.

Der gelehrte Autor rühmt sich in diesem Elaborat durch 50 unwiderlegliche Stellen der Heiligen Schrift den Beweis geführt zu haben, daß Weiber weder Menschen seien, noch von Christus erlöst wurden.

Er beginnt mit der These, Christus habe nicht für die Frauen gelitten und sie deshalb auch nicht erlöst. Sehr merkwürdig und bezeichnend für den scholastischen Geist und die ganze Rabulistik des Mittelalters ist seine Beweisführung. So heißt es im vierten Absatz: Da die Hl. Schrift alle verflucht, die etwas Gottes Wort hinzufügen, so sind auch alle jene verflucht, die hinzufügen, die Weiber seien Menschen und es glauben. Denn weder im Alten noch im Neuen Testament werde ein Weib Mensch genannt. Wären sie Menschen, dann hätte aber der Hl. Geist sie auch zweifellos so genannt. Wer trotzdem behauptet, sie seien Menschen, der maßt sich an, mehr zu wissen als Gott.

Im achten Absatz heißt es: Eva war kein Mensch, denn sie wurde nicht etwa geschaffen, damit Adam nicht allein sei, sondern damit Adam durch sie Menschen zeugen sollte, deren Dasein ihn von der Einsamkeit befreite.

Im zwölften Absatz sagt der Autor: Da Gott allwissend ist, so wußte er auch bei der Schöpfung Adams, daß er Eva erschaffen würde. Hätte er gewollt, daß sie auch ein Mensch sei wie Adam, dann hätte er nicht im Singularis gesprochen: »ich will einen Menschen schaffen«, sondern er hätte gesagt: »ich will Menschen schaffen«. Weil er aber so sprach, besitzen wir den sichersten Beweis aus Gottes eigenem Munde, daß Gott nicht gewollt habe, daß das Weib ein Mensch sei, und daß er nur einen Menschen geschaffen hat und nicht etwa zwei.

Auch aus dem Sündenfall folgt im 14. Absatz die weibliche Unebenbürtigkeit: Wäre das Weib dem Adam gleich gewesen, dann hätten im Paradiese zwei Menschen gesündigt. Denn Eva beging denselben Fehltritt wie Adam. Der Apostel sagt aber ausdrücklich: durch einen Menschen sei die Sünde in die Welt gekommen. In diesem Stile wird der »Beweis« weiter geführt, um mit der gewiß vielen Damen schmerzlichen Konstatierung zu schließen, daß das Alte Testament so gut wie das Neue den Weibern nicht nur ihr Menschentum abspreche, sondern daß Christus auch nicht für sie gestorben sei.

Doch der Anonymus hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Diese Einmischung in ihre Domäne konnten sich die Erbpächter der Unsterblichkeit nicht bieten lassen. Noch im gleichen Jahre 1595 erschien die Schrift: »Admonitio Theologicae Facultatis in Academia VVittebergensi ad scholasticam Juventutem, de libello famoso & blasphemo recens sparso, cuius titulus est: Disputatio Nova contra mulieres, qua ostenditur, eas homines non esse«. Wiewohl die theologische Fakultät in der Einleitung ausdrücklich sagt, daß es möglich sei, daß impurus iste canis (»jener unreine Hund«), wie die milden Streiter Gottes sich so geschmackvoll ausdrücken, nur im Spaß seinen Angriff gemeint habe, sieht sie sich doch genötigt, nicht nur durch Worte der heiligen Schrift zu beweisen, daß das Weib doch ein Mensch sei, sondern sich hochoffiziell zu unterschreiben: »12. Januar 1595 Decanus, Senior et Professores Theologicae Facultatis in Academia VVittebergensi.« Man hielt es also offenbar für sehr notwendig, mit schwerem Geschütz den Angreifer der Weiber niederzukämpfen. Sei es, daß man ein schlechtes Gewissen hatte, sei es, daß er begeisterten Beifall gefunden hatte.

Trotz dieser Kathedralentscheidung scheinen die Verächter der holden Weiblichkeit noch lange nicht Ruhe gegeben zu haben. Wenigstens liegt mir noch aus dem Jahre 1690, also nach einem vollen Jahrhundert, unter dem Titel »Mulier homo« ohne Erscheinungsort und Verfassernamen ein Neudruck vor. Hier ist auch der feierliche Schluß fortgelassen. Sollten etwa trostbedürftige Ehemänner die Abnehmer gewesen sein?

Noch im Jahre 1767 erschien unter dem Titel »Beantwortung der Frage, ob das Frauenzimmer ein notwendiges Uebel sey« zu Frankfurt und Leipzig ein Büchlein, das allerdings das Thema mehr humoristisch behandelt, auch keinen Verfassernamen trägt.

Ja, noch aus dem Jahre 1791 liegt mit eine Broschüre über das Thema vor. Sie trägt den Titel »Apologie des schönen Geschlechts oder Beweis, daß die Frauenzimmer Menschen sind«, wurde von Heinrich Nudow aus dem Lateinischen übersetzt und erschien in Königsberg.

Interessant ist die Bemerkung der Vorrede, »daß einige neuere spekulative Naturforscher des schönen Geschlechts« zu der »sehr wahrscheinlichen« Annahme gelangt seien, daß »der Sitz der Seele bei den Frauenzimmern nicht wie bei den Männern im Gehirn, sondern in der Gebärmutter seyn soll; – daß da sich alles Leben und Seyn, – alles Dichten und Trachten beim andern Geschlecht von einem gewissen inneren Triebe ableiten, und wieder darauf zurückführen läßt, dem die Natur jenes Eingeweide zu einem Hauptwerkzeug bestimmte, auch wohl das andere Geschlecht großenteils (und vielleicht gänzlich) nur durch die Gebärmutter denken dürfe.« Der Verfasser konstatiert und beweist übrigens die Menschheit des schönen Geschlechts.

Lassen wir dahingestellt, was in diesen Schriften, die wir keineswegs vollzählig aufführten, Ernst, was Witz ist, so viel steht unwiderleglich fest, daß eine ganze theologische Fakultät es für notwendig hielt, feierlich dagegen Stellung zu nehmen, daß das Weib kein Mensch sei. Wäre es ihnen nicht möglich gewesen, durch Bibelworte den Gegenbeweis zu führen, so hätte selbstverständlich die fromme Herde noch etliche Jahrhunderte lang das Weib für ein Tier gehalten.

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Ein gewisser Georgius Fridericus Gublingius schrieb im Jahre 1725 eine Dissertation in Wittenberg mit dem Titel: De barba Deorum ex priscarum Graeciae et Latii maxime Religionum monumentis. Behandelte er in dieser gelehrten Schrift die Frage, ob die Götter bärtig waren, so in einer andern im gleichen Jahre ebenfalls in Wittenberg erschienenen unter dem Titel: »De causis barbae Deorum«, die ebenso wichtige nach den Gründen dieser Bärtigkeit.

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Eine außerordentliche gelehrte Arbeit erschien 1705 zu Leipzig mit folgendem Titel: »Cogitationes admodum probabiles de vestimentis Israelitarum in deserto an per miraculum duraverint aut creverint in dissertatione academica indultu Philosophici Ordinis Lipsiae ad II. Aprilis A. MDCCV habenda eruditorum examini exhibitae a Gottfrido Zeibigio & Johann Andrea Beckero.« Die philosophische Fakultät promovierte also zwei Doktoranden, die Herren Zeibig und Becker, weil sie Betrachtungen darüber anstellten, ob die Kleider der Juden in der Wüste durch ein Wunder alle Strapazen ausgehalten haben oder gar nachwuchsen!

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Ein gewisser Paul Christian Hilscher prüft in Dresden 1703 in einer seinem Schwiegervater, dem Dr. der Theologie und Superintendenten zu Freiberg, Christian Lehmann gewidmeten Gratulationsschrift zum 60. Geburtstage die hochwichtige Frage nach der Bibliothek Adams. (De bibliotheca Adami.) Das Heftchen ist mit wundervollen Schriftzeichen geschmückt und natürlich grundgelehrt. So eine Art Seitenstück also zu Beringers Würzburger Petrefaktenbuch, das wir bald kennen lernen werden.

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Christian Tobias Ephraim Reinhard, ein sonst ganz ernster Schriftsteller, der auch über die in der Bibel vorkommenden Krankheiten geschrieben hat, veröffentlichte im Jahre 1752 zu Hamburg eine Schrift: »Untersuchung der Frage, ob unsere ersten Urältern Adam und Eva einen Nabel gehabt.« Er kommt im § 17 dieser Abhandlung, die wohl ernst gemeint sein dürfte, zu folgendem Resultat: »Genug, Adam und Eva sind nicht gebohren, sondern gemacht, nicht gezeuget, sondern geschaffen worden, und wer hieran zweifelt, der ist kein würdiges Glied der Kirche, sondern wird kraft meines Amts dem Teufel übergeben. Von dieser Wahrheit gibt der heilige Geschichtschreiber Moses in seinem Buche von der Erzeugung das allerbewährteste Zeugnis. Da es nun eine unumstößliche Wahrheit bleibet: daß unsere ersten Stammväter nicht gebohren worden sind, so muß es auch wahr sein, daß sie keinen Nabel nöthig gehabt haben. Denn da dieselben niemals im Mutterleibe verborgen gewesen sind, so hat ihnen fraglich keine Nabelschnur zu statten kommen dürfen. Haben sie nun keine Nabelschnur nöthig gehabt, so haben sie auch keinen Nabel, als dessen Überrest derselbe ist, besitzen können.«

Reinhard war »Der Arzneygelahrtheit Doktor und Heilarzt zu Camenz«, wie er auf dem Titelblatt des Schriftchen vermerkt.

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Das erleichtert uns den Übergang zu den Naturwissenschaften.

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Jahrhunderte nahm man an, die Meergänse sollten aus einer Muschel, der Entenmuschel, hervorgehen. Diese Theorie ist weniger verwunderlich, als die Tatsache, daß bedeutende Gelehrte sich durch Augenschein davon überzeugt haben wollten. So schrieb der Leibarzt Rudolfs II., Michael Mayer, er habe in den Muschelschalen den wie in seinem Ei liegenden Fötus des Vogels selbst gesehen und sich überzeugt, daß er Schnabel, Augen, Füße, Flügel und selbst angehende Federn besaß. Der gleichfalls im 17. Jahrhundert lebende Sir Robert Moray, dessen Bericht in den Schriften der Londoner königlichen Gesellschaft 1677–78 veröffentlicht ist, behauptete, in jeder Entenmuschel, die er öffnete, ein vollkommen ausgebildetes Vögelchen gefunden zu haben.[17]

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Daß auch die Universitäten ähnliche Fabeln verbreiteten, zumal dort, wo die Jesuiten für das Fortbestehen des Autoritätsglaubens wirkten, kann nicht verwundern.

Unter dem Titel: »Positiones ex universa philosophia Aristotelis tum contemplativa tum politica, quas in Alma ac Celeberrima Herbipolensium Universitate pro suprema Doctoratus philosophici laurea praeside R. P. Ignatio Zinck e Soc. Jesu AA. LL. & Philos. Magistro e jusdemque in praedicta Universitate Professore publice defendendas suscepit D. Joannes Bernardus Dill Herbipolensis etc. etc.« erschien im Jahre 1700 eine philosophisch-naturwissenschaftliche Dissertation zu Würzburg. Das hochgelahrte Werk, das den Joh. Bernh. Dill zum Verteidiger, den Jesuiten Prof. P. Ignaz Zinck zum Verfasser hatte, läßt schon ahnen, welch außerordentlichen Ruhm diese christ-katholische Universität noch erringen sollte.

Da wird erzählt, wie der Blick eines Vogels heile, verschiedene Steine auf den Menschen wirkten, z. B. Jaspis die Lebensgeister wecke, der Amethyst, auf den Nabel des Berauschten gelegt, die Dünste aus dem Kopf zieht und die Trunkenheit verscheucht oder der im Magen des Haushahns sich bildende lapis alectorius denjenigen, der ihn im Munde trägt, mutig und tapfer macht. Als Belege für die Möglichkeit ewigen Feuers wird erzählt, daß im Jahre 1041 im Grabe des von Turnus getöteten Pallas eine Lampe gefunden wurde, die bereits 1611 Jahre brannte und vielleicht noch brennen würde, wenn sie damals nicht zerbrochen und das künstlich präparierte Öl verschüttet worden wäre. Ferner brannte die unter Paul III. gefundene Grablampe von Ciceros Tochter Tulliola ebenfalls noch.

Mit dem gleichen Ernst gibt diese Dissertation den Bericht des Jesuiten Schott wieder, daß in Schottland, auf den Hebriden und in einigen Gegenden Indiens an den Bäumen Enten und andere Vogelarten wachsen, die wie Blätter hervorsprossen, dann wie Obst sich runden, endlich Vogelgestalt bekommen und an dem Schnabel gleich dem Stiele herabhängen, bis sie ganz ausgereift abfallen und davonfliegen.

Auf die Autorität des »Apostels« hin wird endlich gelehrt: im künftigen Leben werden »wir Auserwählten alle« eine Größe von 4 Ellen = 6 Fuß haben, nicht mehr und nicht weniger, denn dies sei, wie die Geschichtschreiber und Väter allenthalben berichten, die Größe Christi gewesen. Den Größeren werden – so fügt der englische Lehrer bei – der Überschuß über die Normalgröße genommen und damit die Kleinen aufgebessert werden.[18]

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Im Jahre 1726 erschien zu Würzburg ein Buch, das für uns unschätzbaren Wert besitzt. Es trug nach dem Gebrauche der Zeit folgenden etwas langatmigen Titel: LITHOGRAPHIAE WIRCEBURGENSIS, DUCENTIS LAPIDUM FIGURATORUM, A POTIORI INSECTIFORMIUM, PRODIGIOSIS IMAGINIBUS EXORNATAE SPECIMEN PRIMUM, Quod IN DISSERTATIONE INAUGURALI PHYSICO-HISTORICA, CUM ANNEXIS COROLLARIIS MEDICIS, AUTHORITATE ET CONSENSU INCLYTAE FACULTATIS MEDICAE, IN ALMA EOO-FRANCICA WIRCEBURGENSIUM UNIVERSITATE, PRAESIDE Praenobili, Clarissimo Expertissimo Viro ac Domino, D. JOANNE BARTHOLOMAEO ADAMO BERINGER, Philosophiae & Medicinae Doctore, Ejusdémque Professore Publ:Ordin:Facult:Medicae h. t. Decano & Seniore, Reverendissimi & Celsissimi PINCIPIS (sic!) Wirceburgensis Consiliario, & Archiatro, Aulae, nec non Principalis Seminarii DD. Nobilium & Clericorum, ac Magni Hospitalis Julianaei Primo loco Medico, Exantlatis de more rigidis Examinibus, PRO SUPREMA DOCTORATUS MEDICI LAUREA, annexisque Privilegiis ritè consequendis, PUBLICAE LITTERATORUM DISQUISITIONI SUBMITTIT GEORGIUS LUDOVICUS HUEBER Herbipolensis, AA. LL. & Philosophiae Baccalaureus, Medicinae Candidatus. IN CONSUETO AUDITORIO MEDICO.

Dieser schöne Titel, auch typographisch bedeutend reicher, als es hier zum Ausdruck kommt, dazu ein schöner Titelkupferstich stehen zu Beginn eines Buches, das auf Erden nicht viele Rivalen haben dürfte.

Georg Ludwig Hueber heißt also der Verfasser, dessen medicinische Habilitationsschrift vor uns liegt, sein Lehrer aber Johann Bartholomäus Adam Beringer, ein Mann schwer an Weisheit, Würden und Titeln, Professor, Leibarzt des Fürstbischofs und anderes mehr. Da es damals Sitte war, daß die Promotionsschrift vom Professor abgefaßt wurde, so war Beringer der eigentliche Autor.[19]

Es handelt sich um eine großartige Entdeckung, die er gemacht hatte oder doch gemacht haben wollte. In der Nähe von Würzburg waren Petrefakte gefunden worden, die er auf schönen Kupfertafeln gewissenhaft abbildete. Da gab es Blumen und Frösche, Fische und anderes Getier. Auch eine Spinne mit Netz war versteinert (Taf. X), ferner eine Spinne im Begriff eine Fliege zu fangen, zusammen mit ihrem Opfer, ein reizendes Tierstückchen! Aber auch Stilleben fehlten unter den Versteinerungen nicht, so ein Schmetterling, der an einer Blume saugt (Taf. VI). Noch viel abenteuerlichere Dinge waren vom hochgelahrten Herren zutage gefördert worden: ein versteinerter Stern, ein Halbmond, ein Stern mit Halbmond, ja Figuren so ähnlich aussehend, wie die primitive Kunst Kometen zeichnet (Taf. III). Das und noch vieles andere war auf den schönen Kupfertafeln zu sehen. Besonderes Interesse verdienten Versteinerungen, auf denen in hebräischen Lettern Jehova und ähnliches stand (Taf. VII).

Natürlich war auch für begleitenden Text gesorgt. War doch die Entdeckung so verblüffend, so über alle Maßen großartig, daß ein ausgiebiger Kommentar sich von selbst verstand. So bewies Beringer vor allem, daß es sich hier nicht etwa um Überreste aus heidnischer Zeit handle, auch nicht um Kunstgegenstände jüdischer Herkunft. O nein, es war alles Natur. Es waren Versteinerungen von Tieren und Pflanzen, die vor unvordenklichen Zeiten das Meer ausgespült hatte (vgl. Kap. 4 und 13). Daran ließen sich natürlich die weitgehendsten Schlüsse knüpfen sowie Ausfälle auf Zweifler. Und das tat auch der gelehrte Verfasser.

Aber leider blieb seine große wissenschaftliche Tat nicht vom Neide der Götter verschont. Es stellte sich heraus, daß Schüler und Gegner des Professors aus Ulk Pseudopetrefakte künstlich hergestellt hatten und in dem Steinbruch finden ließen, den der Professor häufig besuchte.

Es dürfte sich hier um eine der größten akademischen Dummheiten handeln, von der die Geschichte der Wissenschaften weiß. Das fühlte auch Beringer, denn er ließ alle erreichbaren Exemplare des Werkes vernichten, so daß es zur großen Seltenheit wurde. Die kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München ist im Besitze eines tadellos erhaltenen Exemplars.[20]

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Auf moralischem Gebiete hat aber Beringer einen Konkurrenten in der Person des nicht unbedeutenden Kulturhistorikers Friedrich von Hellwald. Wenn er die Ursache unserer heutigen Milde und unseres Entsetzens über die früheren Gräuel der Hexenprozesse nicht darin findet, daß wir so viel bessere Menschen als unsere Vorfahren sind, sondern einfach, weil wir wissen, daß es keine schädlichen Hexen gibt, so hat er recht. Wahrscheinlich würden wir uns nicht viel anders als das Mittelalter benehmen, wenn wir noch heute unter dem verdummenden Einfluß der Kirche ständen. Grotesk aber ist die Art, wie Hellwald zu beweisen versucht, daß die Inquisition gar nicht so schlimm war. Er ähnelt darin einem gewissen Hoeniger, dessen Methode die Harmlosigkeit des Dreißigjährigen Krieges zu beweisen, wir im I. Bande (S. 126) kennen lernten.

Hellwald schreibt (mit Kürzungen): »Nach Llorente, Histoire critique de L’Inquisition d’Espagne, 1815–1817, sollen von 1481–1808 in Spanien 31912 Menschen verbrannt worden sein. Nach glaubwürdigen Quellen betrug die Bevölkerung Spaniens um 1500 n. Chr. 9320691, welche Ziffer 2½ Jahrhunderte, bis 1768 (Jahr der ersten verläßlicheren Volkszählung) stationär blieb.

Gesetzt nun, die Ketzerverbrennungen wären über diese Periode gleichmäßig verteilt gewesen, so hätten dieselben alljährlich 97,6 oder rund 100 Menschen, d. h. 1 : 90000, das Leben gekostet. Nun soll aber Torquemada in den 15 Jahren von 1483–1498 allein 8300, d. h. durchschnittlich 586 Menschen jährlich, nach den glaubwürdigen Angaben Marianas, dem Maurenbrecher folgt, 1481–1498 nur 2000 Opfer zum Scheiterhaufen gesandt haben; diese Ziffern wären also von den obigen abzuziehen, d. h. auf 312 Jahre entfallen 23112 Opfer = 74 im Jahre = 1 : 121756. Diese Zahlen sind nicht so furchtbar groß, wie nachstehendes, der Gegenwart entnommenes Beispiel illustriert. Nach dem »American Railroad Journal« fanden im Jahre 1873 im ganzen 576 Menschen den Tod durch Unglücksfälle auf Eisenbahnen im Gebiete der Vereinigten Staaten, 1112 wurden verletzt. Diese Ziffern findet das genannte Blatt ziemlich unbedeutend und in der Tat fällt es niemandem bei, über dieselben ein Klagegeschrei zu erheben. Wenn nun diese Ziffern immer so ›unbedeutend‹ blieben, so würden in dem gleichen Zeitraume von 327 Jahren nicht weniger als 188352 Tote und 363624 Verwundete diesem Fortschritte der Zivilisation zum Opfer fallen.«

Daß der relative Menschenverlust nicht allzu groß war, wenn auch die Opfer der Inquisition bedeutend unterschätzt sind und tatsächlich einzelne Ortschaften und Landstriche entvölkert wurden, sei zugegeben. Aber ist deshalb der Wahn weniger gräßlich?

Köstlich ist auch folgende Meditation: »Endlich, so banal es klingt, so wahr ist doch, daß alle die beklagenswerten Opfer menschlicher Torheit eines anderen Todes einmal hätten sterben müssen. Ihr Leben ist wohl verkürzt worden, doch käme es noch sehr darauf an zu wissen, wie groß der durch diese Verkürzung verursachte Schaden war. Dazu müßte man genau kennen: Lebensalter und Lebensverhältnisse, leibliche Konstitution und geistige Gaben dieser vorzeitig Gestorbenen; wie viele dem Greisenalter gehörten und schon zeugungsunfähig waren, wie vielen eine kränkliche Organisation nur mehr eine kurze Lebensfrist gegönnt hätte; man müßte veranschlagen, wie viele durch anderweitige Zufälle oder in Ausübung ihres Berufes ohnedies ein vorzeitiges Ende gefunden hätten, wie viele von akuten Krankheiten dahingerafft worden wären u. dgl. Erst die Eliminierung aller dieser komplexen Faktoren würden gestatten, den erlittenen Verlust auf ein annähernd richtiges Maß zurückzuführen.«[21]

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Bekanntlich behaupten die bayerischen Lyzeen, den Universitäten im Range gleichstehende Hochschulen zu sein, und die schwarze Gesellschaft wird zu betonen nicht müde, daß die wissenschaftlichen Leistungen diesem Range auch völlig entsprechen.

Wir können ohne Zaudern weiter gehen: sie übertreffen ihn! Sie lassen alle weltlichen Bildungsstätten weit hinter sich.

Ihr fordert Beweise? Nichts einfacher als das. Wo hätte uns je eine Universität eine Topographie der Hölle geschenkt, wenn nicht Münster, das glorreiche Wirkungsfeld des großen Bautz? (Vgl. 1. Bd. S. 225 ff.)

Wären wir etwa über Satan informiert, wenn nicht David Leiste, Professor der Moraltheologie, Patrologie und Pädagogik am k. Lyzeum in Dillingen unter dem Titel »Die Besessenheit« ein Programm im Jahre 1886/87 darüber veröffentlicht hätte. Ein grundgelehrtes Werk noch dazu. Wir schlagen auf gut Glück S. 24 ff. auf.

»Die Wirklichkeit dämonischer Erscheinungen in einem objektiv wirklichen, materiellen Körper, nicht etwa in einem bloß eingebildeten imaginären, bezeugt die Heil. Schrift. Nach ihrem Bericht hat Satan die Eva in sichtbarer Schlangengestalt versucht; daß auch die Versuchung Christi eine rein äußerliche war, ist zweifellos; es ist gewöhnliche, wenn auch nicht ausdrücklich durch die Heil. Schrift verbürgte Annahme, daß Satan hiebei sich mit einem materiellen Leibe umkleidet habe, der ihn als Geist der Hölle verbergen solle. Wieder wird Satan in die Erscheinung treten am Ende der Menschengeschichte in den großen Kämpfen des Reiches Gottes mit dem Antichrist.

Es bestätigen uns dann auch die hl. Väter und Theologen die Tatsache, daß Satan zum Zwecke der Menschenverführung und Menschenplage auf Erden sich zeige in der angenommenen Gestalt von Verstorbenen, von wilden Tieren, von Vögeln. Unter den verschiedensten Tiergestalten ist Satan schon erschienen, nur die der Taube und des Lammes, sagt Majolus, glaubt man, sei ihm verboten. Die Form der Ziege und des Bockes kommt gar häufig in den Versuchungen vor. »Weil im großen Drama des Weltgerichts dem Bock als Symbol des Sklaven der Sünde seine Rolle zugewiesen ist, so steht der Annahme, der Dämon habe je bisweilen unter dieser oder einer entsprechenden Gestalt seine Besuche gemacht, nichts im Wege.« (Rütjes, Der Teufel, Essen 1878, S. 60.) Majolus sagt, diese Erscheinungsgestalt komme ihm zu, weil dies geile und hochmütige Tiere seien. Satan ist ferner schon erschienen als Löwe, Wolf, Bär, Stier, Schwein, Fuchs, als schwarzer Kater oder Hund. So z. B. erblickten der hl. Stanislaus und der ehrwürdige Pfarrer von Ars den Teufel in Hundegestalt, mit feurigen Augen, also in der Gestalt eines Tieres, das als Sinnbild der Schamlosigkeit bekannt ist; letzterer sah ihn auch in der Gestalt eines Kopfkissens, oder die bösen Geister belästigten ihn auch in der Gestalt von Fledermäusen. Ferner zeigte sich Satan als Hahn, Eule, Geier, Drache, Schlange, Kröte, Eidechse, Skorpion, Spinne, Fliege, Mücke, Wespe. Auch die Menschengestalt gebraucht er als Hülle und erscheint als Bauer, Schiffer, Geistlicher, als geputztes, verführerisches Weib, als Mädchen. Der ehrwürdigen Maria Crescentia von Kaufbeuren zeigte sich der Teufel in Gestalt einer Nonne, eines Negers, eines Jägers oder auch in verschiedenen Tiergestalten« etc.

Trotzdem brauchen wir keine allzu große Furcht zu haben. Denn – und daß er das zu unserer Beruhigung sagt, spricht für das gute Herz des Herrn Verfassers – »Seinem Erscheinungsleibe das Bild eines vollkommenen Leibes aufzudrücken, ist Satan nicht allweg gestattet; er ist genötigt, ihm teilweise eine tierische Bildung oder eine andere verzerrte und fratzenhafte Form zu geben. Und während der gute Engel seinen Leib aus edlen, ätherischen Stoffen bildet, ist der Teufel für diesen Zweck auf unreine, schmutzige Materien angewiesen.« (S. 28.)

Die historische Tatsächlichkeit wenn auch nicht aller, so doch vieler Teufelserscheinungen steht fest. »... sicherlich (ist) ein bedeutender Teil der von der Geschichte aufbewahrten Vorgänge dieser Art als historisch glaubwürdig anzunehmen und haben wir es nicht mit lauter ›Teufeleien der Mönchsphantasie‹ zu tun.« (S. 30.)

Das ist ja entschieden unheimlich. Und doch braucht es uns nicht ins Bockshorn zu jagen. Denn wie der gelehrte Autor auf S. 139 ff. ausführt, hat der Satan gegenwärtig die Taktik geändert und die offenkundige leibliche Besessenheit hat – hurra! – abgenommen. Und doch ist die Sache nicht ganz geheuer. »Sollte es vielleicht eine furchtbare Strafe der so weit verbreiteten Apostasie sein, daß Gott dem Teufel die Taktik erlaubt hat, inkognito sein Geschäft zu treiben und so die blinden Seelen um so sicherer in den Abgrund zu jagen?« (S. 145 f., zitiert nach dem Kirchenlexikon, 2. Aufl., II, S. 517 ff., Art. Besessene.) Daß die spiritistischen, somnambulistischen und verwandten Phänomene auf den Teufel zurückgehen, steht fest.

Verlassen wir dies unheimliche Thema, um uns heiterern Gesichtern zuzuwenden.

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Papst Alexander VI. schenkte durch die Bulle Inter cetera vom 4. Mai 1493 den Spaniern alle entdeckten und noch zu entdeckenden Länder nicht nur westlich, sondern auch südlich eines bestimmten Längengrades! Und zwar tat das der damals noch fehlbare Nachfolger Petri »ex certa scientia«. Er wußte es also ganz genau![22]

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Da lobe ich mir doch die deutsche Gründlichkeit. Bekanntlich entdeckte ein Gelehrter bereits die Wichtigkeit von Goethes Wäschezettel für die deutsche Literatur. Er wird aber noch übertroffen vom »Altmeister der chemischen Geschichtsforschung H. Kopp«, der die Worte Encheiresin naturae aus der Schülerszene des Faust zum Gegenstand jahrzehntelanger Nachforschungen machte.[23]

Zu diesem Kapitel gehört auch folgendes: In der Berliner Wochenschrift »Die Standarte« schreibt ein Germanist, er habe in einem Goetheseminar der Berliner Universität tagelang an der Frage gearbeitet, ob in einem Heft Goethes die Ausstreichungen mit schwarzer oder roter Tinte oder mit Bleistift gemacht worden sind. Das tiefe Problem, ob der vorgoethische Faust mit Vornamen Heinrich oder Johann geheißen habe, läßt die Forscher nicht zur Ruhe kommen. Und von höchster Bedeutung ist, ob Goethe Lieschen oder Liesgen geschrieben hat, wie der Wasserstempel im Konzept zu den »Wahlverwandtschaften« aussieht, ob eine Notiz am 21. oder 22. oder gar – wie Pniower behauptet – am 24. Oktober eingetragen ist. Das ist Goetheforschung! Wer aber etwa gar denkt, es sei gleichgültig, ob das »Kophtische Lied« 1789 oder 1791 geschrieben sei, wird erbarmungslos aus diesem geweihten Kreise verbannt.[24]

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Auf diesen Ton ist auch die Gründlichkeit wissenschaftlicher Kritiken und Kontroversen gestimmt. In der Historischen Vierteljahrsschrift, einem angesehenen Fachorgane, finde ich – um ein Beispiel für unzählige zu nennen – folgende schöne Stelle: »Eine ›mißverständliche‹ Äußerung ist nach meinem Sprachgebrauch keine solche, die von Mißverständnis zeugt, sondern die Mißverständnis erzeugen könnte. ›Mißverständlich› in diesem Sinne erschienen mir die Worte: ›B. setzt die Urkunde nach 1162‹. Setzen ist ein örtlicher Ausdruck; man kann also richtig sagen: ›B. setzt die Urkunde vor 1162‹, weil wir die Präposition vor ebensowohl örtlich als zeitlich gebrauchen. Der richtige Gegensatz zu dem örtlichen vor ist aber nicht nach, sondern hinter (hinter 1162), während nach in örtlichem Gebrauche uns zunächst die Richtung bedeutet, aber damit zugleich häufig die Vorstellung des ›hinein in‹ verbindet; man vergleiche: ›er ist nach Frankfurt gesetzt‹ und ›das Regiment ist nach Krefeld verlegt‹. Ein Leser von korrektem Sprachgefühl, der B.s eigene Darstellung noch nicht kennt, muß hier also geradezu verstehen: ›B. setzt die Urkunde in das Jahr 1162‹, wiewohl die S.sche Ausdrucksweise häufiger vorkommen mag. Müßig war meine Bemerkung also nicht.«[25]

Im engen Kreis verengert sich der Sinn.

Mir selbst ist eine ähnliche Geschichte, die mich königlich amüsierte, mit einem Geheimrat Harry Breßlau passiert. In meiner »Frühmittelalterlichen Porträtplastik in Deutschland« hatte ich auch die Siegelkunde gestreift und zum Belege dafür, daß mir der Beweis, bereits die frühmittelalterliche Kunst habe eine gewisse Porträtfähigkeit besessen – was bisher unbekannt war und von einem großen Teil der gelehrten Zunft heute noch bestritten wird – u. a. auf folgendes hingewiesen: Im Allgemeinen Reichsarchiv in München befindet sich – auch unter der Abgußsammlung echter Kaisersiegel – ein Siegel, das bisher den Namen Heinrichs II. trug. Ich sah sofort, daß hier ein Irrtum vorliege und es eine Porträtdarstellung Heinrichs III. sei. Daraufhin wurde dann der Irrtum richtiggestellt.

Das muß nun den Herrn Geheimrat tief empört haben, denn er schreibt im 35. Bde. des Neuen Archivs der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde S. 297: »Wenn die Kenntnisse und die Sorgfalt des Herrn ebenso groß wären, wie sein Selbstbewußtsein, würde er vielleicht einen Blick in den dritten Band unserer Diplomata-Ausgabe geworfen und sich überzeugt haben, daß die Tatsache bereits in der Note p. zu DH. H. 332 b auf S. 421 festgestellt war

Tant de bruit!!!

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