Erläuterungen.

Zu Vers 1. Die Bezeichnung ‘Tatarin’ für den Sultan, ‘sunce od istoka’ (Sonne des Ostens), ‘den Nachkommen des Heiligen’, d. h. des Propheten (svečevo kolino) ist eine arge Unrichtigkeit. Sonst wird in den Guslarenliedern der Christen genauer, in den Liedern der Moslimen immer genau unterschieden zwischen dem Sultan und dem Tatar—chan (oder Tataran). Der Sultan wird immer Car (Kaiser), der Kaiser von Österreich meist ćesar, seltener car genannt. Auffällig ist Car für den Herrscher Russlands. Gewöhnlich heisst er in Guslarenliedern kralj moskovski (Moskauer König), kralj od Rusije (Kaiser von Russland), rusinski kralj (russischer Kaiser). Dass zwischen kralj und car ein Rangunterschied bestehe, dessen ist sich der Guslar nicht bewusst.

Zu Vers 10 ff. Ich halte mich an den Text und übersetze: Marchfeld. In Wirklichkeit lagerten aber die Türken 200 000 Mann an der Zahl auf dem welligen Hochplateau von Währing (wo noch eine Örtlichkeit den Namen ‘Türkenschanze’ trägt) angefangen in langer Linie bis zu den Wieden. Die Mechitaristenkirche im VII. Bezirk, Neustiftgasse 4, ist gerade an der Stelle erbaut, wo Kara Mustaphas Befehlhaber-Zelt im Jahre 1683 gestanden.

Zu Vers 19. ‘Bis zum Apfel und der goldenen Hand.’ Gemeint ist die innere Stadt Wien, jetzt der erste Bezirk. Apfel ist der eiserne Buckel am Tore, Hand bedeutet die Torklinke.

Vers 21. Despot, in Erinnerung an den serbischen Despoten Branković. Wenn dieser und der darauffolgende Vers, in welchem einer Rosenkirche (Rosalienkirche) gedacht wird, nicht blosse stereotype Zeilen der Guslarenlieder wären, könnte man an die Burgkapelle denken. Dass die Türken keine Zeit gehabt haben, um Wien herum Moscheen zu erbauen und Minarete zu errichten, braucht nicht erst bewiesen zu werden.

Vers 28. Nach der Auffassung des Südslaven, gleichwie des Griechen in der Entstehungzeit der Homerischen Lieder ist das laute Weinen für den Helden keineswegs schimpflich. Überdies ist der Südslave ein wehleidiger Geselle, der sowohl für körperliche als geistige Schmerzen eine geringe Widerstandkraft besitzt. Die grössten Helden, Prinzlein Marko, Mustapha Hasenscharte, fangen oft bei geringfügigen Anlässen zu plärren an, und gerät einer vollends in eines Feindes Kerker hinein, so jammert er so laut, dass es selbst das Burgfräulein im obersten Stock der Warte nicht mehr aushält und nervös wird, wie ein Wiener Schriftsteller, unter dessen Fenster ein Werkelmann ausdauernd leiert. Kaiser Leopold hat beim Ansturm der Türken nicht geweint, vielmehr als ein abendländischer Held trockenen Auges alle Anstalten getroffen, um den Feind zu vernichten.

Vers 31. Der Guslar überträgt die Art und Weise des Orientalen beim Schreiben auf den Deutschen. Über Briefe und Briefschreiben bei dem Südslaven vgl. Krauss im ‘Smailagić Meho Ragusa’ 1885. S. 86 zu Vers 129 und S. 142 zu Vers 1584.

Vers 35. Kleta R., ‘verflucht’ nennt Petrenija Russland, weil sein Herrscher die Not der bedrängten Christen nicht beachtet.

Vers 50 ff. Der Guslar mutet dem Kaiser die Gesinnung eines serbischen Bauern zu, der seine Tochter am liebsten in eine reiche Sippe hinein verkauft, um durch eine solche Verschwägerung sich selber zu sichern. Vgl. Krauss in ‘Sitte und Brauch der Südslaven’, Wien 1885, S. 373.

Vers 72 ff. Ehrfurcht vor dem Alter ist bei den Südslaven ein allgemeines sittliches Gebot, s. ‘Krauss, Sitte und Brauch’ S. 603. Über Blutschande vgl. a. a. O. S. 221 ff. Unter den südslavischen Sippen ist die Exogamie seit uralten Zeiten vorherrschend. Als schrecklichste aller Sünden wird Buhlschaft unter Paten betrachtet, vrgl. a. a. O. S. 616 ff.

Vers 105. ‘In hundert guten Augenblicken.’ Vrgl. Krauss: Sreća. Glück und Schicksal im Volkglauben der Südslaven, Wien 1886, S. 144 ff.

Vers 106. čokan vom italienischen ciocco, Klotz, Keule, Stock, Feldherrnstab, Szepter.

Vers 107. Unser Guslar hält Kijevo (Kiew) für den Namen der russischen Kaiserburg, der Guslar des Liedes vom König Bonaparte für den Namen einer Ebene. Die Kenntnisse des südslavischen Bauern über Russland sind eben sehr gering und immer verworren, märchenhaft.

Vers 110. čarkadžija der Plänkler, wie in Vers 117 slavisch rtnik; vom türkischen čarka; nach Daničić’s Vermutung stammt das türkische Wort aus dem italienischen schermugio, französisch escarmouche, das Scharmützel.

Vers 146. Als ‘schwarze Königin’ werden in serbischen Sagen serbische und bosnische Königinnen-Witwen (Jerina) bezeichnet, die das Volk durch Härte und Grausamkeit zur Verzweiflung trieben. Mijat, der Hajduk, erzählt, die Verbrechen der schwarzen Königin hätten ihn von Haus und Hof vertrieben. Auch die nordslavischen Volksagen kennen die blutgetränkte Gestalt einer wunderholden, männersüchtigen, schwarzen Königin. Sacher-Masoch hat die bekannte slavische Sage den Deutschen in Novellenform mitgeteilt.

Vers 152. Španjur, sonst španjug für ‘Spanier’. Spanier kämpften um das Jahr 1570 im dalmatischen Küstenlande gegen die Türken. Nicht viel mehr als der blosse Name erhielt sich im Volke bis in die Gegenwart. Vrgl. das Guslarenlied bei Krauss in: ‘Das Mundschaftrecht des Mannes über die Ehefrau bei den Südslaven’, Wien 1886.

Vers 156. Kuriši, vom türkischen kurmak, einrichten, aufstellen.

Vers 179. Mostov für mostove, doch ist gerade bei most die Mehrzahl mosti die üblichere.

Vers 187. Der Engel statt der Vila, die in Wolken fährt. Vrgl. Krauss in: Die vereinigten Königreiche Kroatien und Slavonien, Wien 1889, S. 123 ff. Denselben Guslar, der sonst in solchen Fällen immer Vilen auftreten lässt, an die er ja glaubt, leitet unbewusst das richtige Gefühl, es sei unstatthaft, eine südslavische Vila einem Ausländer aus weiter Fremde und noch dazu im Auslande erscheinen zu lassen.

Vers 188. Der gläubige Christ soll durch einen blutigen Kampf den Sonntag nicht entheiligen.

Vers 209. Eine Pfeife Tabak verehrt man selbst dem erstbesten Unbekannten auf dem Wege, wenn er einen darum anspricht. Tabak gedeiht in Bosnien in Überfülle und war vor Einführung des staatlichen Monopols spottwohlfeil zu haben. In Bosnien gedeihen aber auch Zwetschken überreichlich, und daher hatte ein Reuter voll dieses Obstes vor den Zeiten des Eisenbahnverkehrs und ehe sich jüdische Händler einfanden, einen sehr geringen Wert beim Bauer auf dem Gehöfte. Der Guslar will also sagen: Man bekam Sklaven so gut wie geschenkt zu kaufen.

Vers 211 f. Seit Jahren ist die letzte Spur der Türkenschanzen weggeräumt worden. Jetzt entstand dort eine der herrlichsten Parkanlagen Wiens. Nur der Name ‘Türkenschanze’ ist der Anlage geblieben.

1 La fin du roi Bonaparte. Chanson des Guslars orthodoxes de la Bosnie et Hercegovine. Par le Dr. Friedrich S. Krauss. Extrait de la Revue des Traditions populaires t. IV. No. 1 et 3. Paris. Maisonneuve et Ch. Leclerc, 1889. 8o.

2 Die Belege dazu werden als besonderer Abschnitt in einem anderen meiner Bücher erscheinen.

3 Meine bosnische Fassung der Schnurre erschien im Jahrbuch der Gesellschaft für Folklore in Paris.

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