Siebenzig oder fünfundsiebzig Jahre vor mir zeichnete Vuk St. Karadžić das Liede in einer Variante in Chrowotien auf. (In der offiz. Ausg. Nr. 48. S. 310 B. 12). Bei ihm zählt das Stück 85 Verse und führt den Titel: Der Tod der Mutter Jugović. Es ist merkwürdig, doch nicht auffällig für Volkforscher, dass diesmal die von mir um so viel Jahrzehnte später aufgezeichnete Fassung ursprünglicher und vollendeter ist als die ältere Niederschrift. Das Lied ist unzweifelhaft durch einen serbischen Auswanderer nach Chrowotien gebracht worden. Die Zusätze verraten den Stümper. Die ersten vier Verse, die für einen serbischen Bauer von Überfluss sind, setzte er vor zur Einführung für den chrowotischen Hörer. Sie lauten: Du lieber Gott, welch mächtig grosses Wunder! — Als sich auf Leiten tät das Heer versammeln, — befanden sich im Heer neun Jugović — als zehnter noch der greise Jug Bogdan. Nach V. 5 hat Vuk: Als zehnten noch den greisen Jug Bogdan. (Ich halte die Zählung unserer Fassung bei.) V. 9. Bei Vuk: ona leti (sie fliegt). Nach V. 10: und als zehnten usw. V. 12, 13: na kopljima — oko koplja — a porednji. V. 16 zaklikta. V. 23 (bei Vuk V. 30) pak se vrati svome. V. 25 (32): malo bliže. Nach V. 27 (34) bei Vuk wiederholt V. 15–17. V. 31: al zavr. V. 32: pita m. Nach V. 43 (53): pak on žali svoga gospodara — što ga nije na sebi donijo (und nun er klagt um seinen Herrn Gebieter — weil er ihn nicht auf sich nach heim gebracht). Darauf wieder V. 18–19. V. 44. — danak osvanuo. V. 45 fehlt. V. 52 (65): Jugovića majka. Nach 52 (V. 66): okretala, prevrtala s njome (sie drehte sie her und drehte sie hin). V. 56 (70): progovara. Nach 61 (75) wieder der V. 66 der Fassung Vuks: okretala usw. Der Schluss V. 82–85 ist eine dem Liede aufgepfropfte Geschmacklosigkeit, die ihresgleichen sucht: Es blähte sich auf die Mutter der Jugović, — sie blähte sich auf und zerplatzte — [aus Gram] nach ihren neun Jugović und dem zehnten den greisen Jug Bogdan.
V. 2–5 und 6–8 stereotype Einleitungformeln bei Verwandlungen eines Menschen in einen Vogel. Auch der neugriechischen Volkpoesie nicht fremd. V. 14: Der Guslar hat keine Ahnung, wie Löwen ausschauen. Er vermutet, dass sie eine Unterart von Jagdfalken wären. V. 46: Raben als Unglückboten. V. 48: Der weisse Schaum vor Anstrengung, die ihm das Fortschaffen der schweren Hand verursacht. V. 50: Ein vergoldeter Silberring, wie ihn Bäuerinnen tragen. Ein glatter Trauring. V. 63: Der grüne Apfel, nicht ausgereifte Frucht, getäuschte Hoffnung; eine beliebte Wendung im Sprachschatz der Guslaren.
Die Neunzahl von Brüdern und die zehnte, die Schwester, spuken öfters in den Sagen der Südslaven. So erzählt z. B. ein Guslarenlied vom Prinzen Marko, der als Held auch ein Don Juan gewesen, er habe sich gerühmt, dass er auch die einzige Schwester der neun Brüder zu Fall bringen werde. Die Brüder erbauen einen festen Turm für die Schwester. Sie erkrankt und Marko schwindelt in der Verkleidung eines Arztes der alten Mutter den Turmschlüssel ab. Darauf hatte das Fräulein nur gepasst. Nach vollbrachter Arbeit zieht Marko seine Heldentat besingend durchs Land. (Das Stück im Vienac uzdarja narodnoga O. A. Kačić-Miošiću. Zara 1861. S. 9.) In der serbischen Fassung der Lenorensage macht das Frauenzimmer den unheimlichen Ritt zu ihren neun Brüdern (siehe oben S. 120–122). Neun spielt eine Rolle beim Abzählen nach rückwärts; zu Zauber braucht man neunerlei Kräuter und soviel verschiedene Quellwässer. Zu vergleichen ist A. Kaegi: Die Neunzahl bei den Ostariern, Zürich 1891. (Vergl. E. Monseur im Bulletin de Folk-Lore 1892, S. 259 f.).
1 Bei Vuk Stef. Karadžić: Srpske narodne pjesme. Offiz. Ausg. Belgrad 1887. S. 316 (im Fragment).
2 Bei V. Bogišić: Narodne pjesme iz starijih najviše primorskih zapisa. Belgrad 1878. S. 6. V. 100 f.
3 Bei Vuk St. Karadžić a. a. O. S. 314.