II. Hexen (Vještice) und Waldfrauen (Vile.)10

Je tiefere Wurzeln ein geläutertes Christentum und abendländische Kultur unter den Südslaven schlagen, desto mehr wird der alte Volksglaube verdrängt, er gerät allmählich in Vergessenheit; die alten Glaubenvorstellungen verblassen oder es tritt eine Verwirrung ein, die es dem Forscher zuweilen recht erschwert, die ursprüngliche Fassung herauszufinden. In unserem Falle ist dies indessen noch nicht eingetreten. Wir können noch ganz deutlich den Weg verfolgen, auf dem der alte Glaube an die »Vile«, die südslavischen Waldfrauen, zu bösen Dämonen umgewandelt wurde. Die Vilen stellt man sich vor, wie es aus den älteren Volksliedern ersichtlich ist, als den Inbegriff aller Frauenschönheit und Vollendung. Sie sind die segenspendenden Huldinnen der Fluren und Berge, sie sind die Genien der Helden, denen sie mit Rat und Tat jederzeit beistehen, sie lehren die Kleinen Gottesfurcht und fromme Sitte und sind frei von jeder Arglist und Tücke.11 Sie sind aber unversöhnlich, wenn man ein Gelübde, das man ihnen gelobt hat, nicht erfüllt12 und wissen diejenigen hart zu bestrafen, die frech ihren Reigen, den sie in hellen Sommernächten im Mondenschein aufführen, zu stören wagen, oder die sie belauschen. So entstand die Redensart:

»Naišo je na vilinsko kolo« Er traf auf einen Vilenreigen,

wodurch man sich die plötzliche Erkrankung eines gesunden Menschen zu erklären sucht. Gewöhnlich wird solch sträflicher Vorwitz durch dauernde Brachlegung der Verstandkräfte bestraft, mitunter begnügen sich aber die Vilen, den Betroffenen gehörig durchzubläuen. Von dieser Auffassung ist nur ein kleiner Schritt zu der Umwandlung der Vilen in Plagegeister. Ein Hirte war so unglücklich, eine Vila zur Unzeit zu überraschen und musste für das unglückselige Ungefähr jahrelang büssen.

Es war einmal ein Hirte, der verstand so ausgezeichnet auf der einfachen und doppelten Hirtenflöte zu spielen, wie kein Zweiter nah und fern. Eines Abends, als es zu dämmern anfing, ging er seiner Herde voran nach Haus. Er flötete so süss und mild, so hoch und so tief auf seiner kleinen Flöte, wie ein Schwälblein in der Lenzsonne nur singen kann. Eben tönte aus dem Dorfe der Glocke Ava Maria-Geläute zu ihm herüber, doch Stanko betete nicht mit, sondern blies auf seiner Flöte das Ave Maria-Gebet her. Gerade als er damit fertig geworden, erreichte er auch den Zaunsteg vor dem Dorfe, und siehe da! Auf dem Zaune sitzt da ein Frauenzimmer, ganz in Weiss gehüllt, eine Vila. Stanko nähert sich dem Zaunstege, die Vila stösst einen feinen, markdurchdringenden Schrei aus, ganz nach Vilenart, und fährt auf in die Höhe. Ein heisser Windhauch umweht Stanko, er sinkt auf die Erde nieder, das Trittbrett auf dem Stege springt entzwei. Er rafft sich auf, eilt nach Hause, die Vila immer hinterdrein, er setzt sich zum Tische, um zu nachtmahlen, die Vila setzt sich an seine Seite neben seinem Knie nieder, er ins Bett, die Vila zu ihm ins Bett, er aus dem Bett, sie gleichfalls, er zur Arbeit, sie folgt ihm auf Schritt und Tritt.

Als nun Stanko merkte, dass die Vila durchaus von ihm nicht weichen will, beklagte er sich bei seinen Hausleuten und der ganzen Sippe. Man berief Zauberer und Zaubererinnen, Beschwörerinnen und Wahrsagerinnen — alle Mühe verloren, die Vila liess von Stanko nicht ab; der war überdies kein Recke, sondern ein schwächliches Männchen. So währte dies volle drei Jahre und während dieser Zeit trübte sich allmählich Stankos Geist, Stanko wurde verrückt. Oft brach er in ein Geschrei und Gejammer, in ein wüstes Lärmen und Toben aus, als ob ihm jemand die Haut zu einem Weinschlauche abzöge; er warf sich auf die Erde, als schleuderte ihn jemand zu Boden, und gleich darauf zeigten sich auf seinem Körper blaue Striemen, als hätte ihn einer mit einem Stock durchgebläut. Fragte man ihn: »Was fehlt dir, Stanko?«, so antwortete er, dass ihn Vilen deshalb prügeln, weil er sich weigere, mit ihnen durch die Welt zu ziehen. Oft fand man ihn in der Früh gefesselt, kreuzweis mit Bastwinden gebunden, und wieder erzählte er, dass es die Vilen getan, weil er sich ihnen nicht füge und ihre Worte nicht beachten mag. Eines Morgens erblickte man Stanko auf dem Wipfel einer Weisspappel in der Nähe seines Meierhofes. Keine lebende Seele vermochte ohne ausserordentliche Zu- und Ausrüstungen auf den hohen Stamm der Pappel hinaufgelangen. »Wer hat dich, Stanko, auf die Pappel hinaufgeschafft?« fragte man ihn, und er rief hinab: »Die Vilen«. Die Leute sahen sich genötigt, lange Nägel in den Stamm einzuschlagen, und so klommen sie zu Stanko hinauf, der oben an der Spitze im Geäste mit Lindenbast angebunden war. Mit Müh und Not hat man ihn losgelöst, denn so fest war er angebunden; dann liess man ihn mittels eines Seiles hinab.

Mehr als fünfzehn Jahre lang ertrug Stanko derartige Qualen durch die Vilen, bis man ihn schlieslich eines Morgens in der Nähe der Hütte in einer Grube fand, in der er im Kote erstickt war.13

Nun begreift man leicht den Übergang der Vilen zu vještice oder copernice.

Die übliche, ziemlich junge Dreiteilung der Vilenarten wird fast ganz auf die Hexen übertragen.

Es gibt drei Arten von Hexen. Zur ersten Art gehören die Lufthexen (sonst »zračne vile«).14 Diese sind von sehr böser Gemütart; sie sind den Menschen feindlich gesinnt, jagen ihnen Schreck und Entsetzen ein und stellen ihnen auf Weg und Steg überall nach. Nächtlicher Weile pflegen sie dem Menschen aufzupassen, und ihn so zu verwirren, dass er das klare Bewusstsein vollständig verlieren muss. Zur zweiten Art gehören die Erdhexen (sonst »pozemne vile«). Diese sind von einschmeichelndem, edlem und zugänglichem Wesen und pflegen dem Menschen weise Ratschläge zu erteilen, damit er dieses tun und jenes lassen möge. Am liebsten weiden sie Herden. Die dritte Art bilden die Wasserhexen (sonst »povodne vile«), die höchst bösartig sind, doch, wenn sie frei auf dem Lande herumgehen, mit den ihnen begegnenden Menschen sogar gut verfahren, Wehe und Ach aber demjenigen, den sie im Wasser oder in der Nähe erreichen; denn sie ziehen und wirbeln ihn so lange im Wasser herum, oder reiten ihn der Reihe nach so lange, bis er jämmerlich ertrinken muss. (Aus Vidovec, Chrowotien.)

Nun ist uns auch die Entstehung folgender Redensarten verständlich geworden, durch die man böse Weiber kurz und treffend zu bezeichnen sucht: »To je vila« (das ist eine Vila), oder: »To je vila ljutica« (das ist eine ingrimmige, eine bissige Vila, d. h. ein böses, heimtückisches und rachsüchtiges Weibsstück), oder man sagt zu einem Frauenzimmer, das man nicht gerne um sich sieht: »Idi vilo!« (Troll’ dich, Vila) ganz in der Bedeutung von: arge Hexe.

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