Erläuterungen.

Das Lied sang mir am 24. Oktober 1885 mein Diener und Reisebegleiter Milovan Ilija Crljić Martinović aus Gornji Rgovi in Bosnien vor. Von wem er das Lied »übernommen«, war ihm nicht mehr im Gedächtnisse. Er hatte es schon als Sauhirtlein gekannt, also ums Jahr 1850. In seinem Repertoir führt das Lied die Bezeichnung: Od Janoka ban u Bugarskoj i svat mu starina Novak (Der Ban von Janina in Bulgarien und dessen Brautbegleiter Novak der Heldengreis). Milovan war ums Jahr 1860 Leibpferdewächter Osman Pašas als dieser die Montenegrer bekriegte. Als dem Paša die Pferde »gestohlen« wurden, entzog sich Milovan samt Genossen durch Flucht einer Untersuchung des Falles. Er hielt sich bis zum Ableben Osman Pašas im Gebirge auf. Damals habe er, erzählte er mir, mehrmals in der Romanija planina in Novaks Höhle vor den Zaptijen (Schergen) Schutz gefunden. Er wollte auch mich hinführen, aber ich mochte nicht hin, weil mein vagabundenmässiges Gewand und Schuhwerk diese Tour durchs Walddickicht über Stock und Stein kaum bestanden hätten. Eine Novak-Höhle zeigte mir der greise Archimandrit von Banja an der Drina im Gebirge jenseits des Klosters in einem Grabsteinbruche. Das ist aber keine alte Räuberhöhle, vielmehr ein ganz gemeines, unhistorisches Loch im Sandstein, das die Steinmetzen ausgehöhlt hatten, um sich darin bei Regen und Unwetter zu bergen.

Greise Haudegen, gleichgültig ob in der Epik oder in der Wirklichkeit, von Nestor an bis zum alten Flöhefeind Stipurile, waren keine Dauerredner. Wer die frische, verwegene Tat zu vollbringen liebt, pflegt vielen Worten abhold zu sein. Berühmtheit ist jedoch mitunter im Leben, und öfter nach dem Tode ein Unsegen für den, der sie einmal erlangt hat und ihrer nicht mehr ledig werden kann. Wer sollte es für möglich halten, dass sich ein Serbe finden wird, der unterm Deckmantel des nationalen Patriotismus unseren Novak, den Heldengreis zum furchtbarsten, langweiligsten Schwätzer und Lügenbold, zu einem umgestülpten Gargantua umdichtern werde? Das Buch hat den Titel: Starine od starine Novaka ili Tolkovanje Narodnjeg Pjevanja i Pripovjedanja. Napisao Joksim Nović Otočanin. Izdala »Matica Srpska«. Neusatz 1867. S. 356. 8o. (Denkwürdigkeiten vom Heldengreis Novak [erzählt] oder Verdolmetschung der Volklieder und Volkerzählungen. Geschrieben von Joksim Nović aus Otočac [in der Lika, Chrowotien]. Das Buch erklärt man für ein klassisches Erzeugnis serbischer Erzählungkunst. Es ist gut möglich, dass sich Nović consueto more solcher serbischer und chrowotischer Literätlein selber die Reklame besorgt hat. Von einer Verdolmetschung oder Erläuterung der Volktradition ist in dem Buche nicht einmal eine Spur, Nović lässt den alten Novak bei Gelegenheit eines Taufschmauses und einer Verlobung im Hause eines Freundes bei Visoko in Bosnien seine Memorabilien aus dem Leben selig entschlafener Helden auskramen. Planlos und ziellos reiht Novak aus Guslarenliedern dürftige prosaische Berichte aneinander, entkleidet sie jeder poetischen Zutat und dichtet den Helden ungeheuerliche Schandtaten und himmelschreienden Frevel an, kurzum, nach der Darstellung Nović-Novaks müsse man die Serben für den Ausbund aller irdischen Niedertracht und Schlechtigkeit erachten. Eine blutrünstige Phantasie hat Nović gewiss, aber sie hat das eine mit den meisten Dampfluftschiffen gemein, dass sie sich über die Gipfel einer glatten Ebene nicht erheben kann. Seine Diktion ist zerhackt und gibt wohl ein Bild der bäuerlichen Ausdruckweise des Bosniers unserer Zeit. Von den sozialen und kulturellen Zuständen der Südslaven des XIV. Jahrhunderts besitzt Nović keinen blauen Dunst. Und das Bad muss Novak, der Heldengreis ausgiessen!

Zu V. 5. gji mundartlich für gdi (gdje). Zu V. 6 mere für može, V. 99 sitru f. sitnu eine Spracheigentümlichkeit der Dorfbewohner vor Gornji Rgovi. Im V. 55 sagt Milovan sopru für sofru; denn ihm fällt die Aussprache von f. schwer.

Zu V. 51. ich habe sie geboren, dir hab ich sie geschenkt. Kraft seines väterlichen Mundschaftrechtes steht ihm unumschränkte Verfügung über die Tochter frei. Mein seliger Landsmann der Heilige Hieronymus Sophronius Eusebius (aus dem vierten Jahrhunderte) erzählt treuherzig in griechischer Sprache, er persönlich habe zu Alexandrien einen Pathicum gekannt, der schwanger geworden und einen unförmlichen Klumpen statt eines Kindes geboren. Das glaubt ihm kein serbischer Bauer, obgleich er, wie uns auch der V. 51 lehrt, ohne weiters einen Vater sagen lässt, dass er sein Kind geboren. Er will damit natürlich den gewöhnlichen Hergang des Geborenwerdens von einer Mutter nicht abläugnen, sondern lediglich das Vaterrecht hervorheben, demzufolge der Vater alles, die Mutter nichts gilt. Unsere Helden töten zum Schluss die beiden Söhne des Fürsten Michaël, um dessen Geschlecht mit Stumpf und Stil auszurotten, aber es fällt ihnen nicht im Traume ein, dass aus der Ehe des Bans von Janok mit der geraubten Fürstentochter dem geschundenen Fürsten Enkel entspriessen könnten. Die Prinzessin scheidet mit dem Eintritt in des Bans Stamm gänzlich aus dem väterlichen Geschlechterverbande und ihre Kinder gebiert der Ban, ihr Herr und Gebieter über Leben und Tod. Das Recht des Stärkeren hat eine zwingende Logik, es tut auch der Sprache Gewalt an. Ich durfte hier der Spur des Serben nicht folgen, weil man meine Verdeutschung ohne Kommentar nicht verstanden haben würde; darum erlaube ich mir etwas anderes einzusetzen, um den Leser nicht aufzuhalten.

Zu V. 60 irrtümlich bane für kneže und im V. 70 banova statt kneževa. Sprechversehen sind nicht selten in Guslarenliedern. Quandoque et bonus dormitat Guslarus. Ich ändere selbst Derartiges nicht in meinen Texten. Die interpolierten 2 Zeilen Gedankenstriche im Texte nach V. 60 und die Einschaltung in der Verdeutschung sind von mir. Ohne die gedachte raubritterliche Pantomime wäre die Szene kaum verständlich.

Zu V. 63. Die Frage ist am Platze; denn der Bräutigam kann von vornherein nicht wissen, wie viel Leute der Fürst in der Lage sei, gastlich frei zu halten. Der Fürst wünscht sich Städter, friedliebende Leute, zu Gästen, die auch bei Geld sind und sich selber etwas kaufen, anstatt den Gastgeber auszusacken und arm zu fressen. Die Braut freilich gibt dem Wunsche eine davon verschiedene Deutung.

Zu V. 62. in der zweiten Woche, d. h. nach 15 (14 + 1) Tagen. Trifft der Bräutigam bis dahin um die Braut nicht ein, wird der Handel, die Verlobung von selbst rückgängig.

Zu V. 71. Halblaut sprechen ist nach osmanischen Anstandbegriffen die Art feingebildeter Leute. Das Fräulein redet hier aber auch aus Vorsicht leise.

Zu V. 78. Bŏje, d. i. Stockwerke der Häuser. Holzbauten kann man auseinanderlegen und an einem anderen passenden Orte aufstellen. Der Unterbau aus Stein ist unverkäuflich.

Zu V. 94. In serbischen Guslarenliedern öfters: bugari su stare varalice, d. h. Bulgaren haben es faustdick hinter den Ohren. Statt Bugari sonst Latini Lateiner (Venezianer). Solche Schmeicheleien sagen einander Nachbarvölker gern nach. Man lese darüber das treffliche Werk: Blason populaire de la France par H. Gaidoz et Paul Sébillot. Paris 1884. XV, 382 und dazu Sébillots Nachtrag: Blason populaire de la Haute-Bretagne 38 S. Tragisch sind solche Aussprüche nicht zu nehmen.

Zu V. 100. Die Besorgnis ist unbegründet, dass uns der Guslar etwa tausendmal denselben Brief zum Besten gegeben hätte, wenn der Ban 1000 Gäste eingeladen. Selbst bei grossartigen Einladungen nennt der Sänger nur die ersten Würdenträger und Führer namentlich, doch meist um deren Aufzug späterhin beschreiben zu können.

Zu V. 100 ff. Über den Prinzen Marko gibt es sowohl in der serbischen als der deutschen und russischen Sprache schon eine stattliche Literatur. Heil dem Manne, der sie nicht zu lesen braucht. Hübsche Charakteristiken der bulgarischen Überlieferung gab G. Popov im Sbornik za narodni umotvorenija, Sofija 1890. (Blgarskite junaški pesni) Bd. III1, S. 247 ff.

Zu V. 139. Das Lob bezieht sich ausschliesslich auf den Alten. Er zieht als »stari svat« als der Oberordner des Hochzeitzuges und Proviantmeister mit, seinen Weisungen muss jedermann gehorchen, selbst Braut und Bräutigam und deren Eltern.

Zu V. 145. Kojo für koje je ovo (welches ist allda, hier), kojvo.

Zu V. 171. Zaodivo, Gang für einen anderen. Das Wort noch in keinem Wörterbuch.

Zu V. 218 šăfku in der Verdeutschung nicht wiedergegeben. Bei Milovan öfters, kommt noch in den Wtb. nicht vor. Ich vermute ein ursprüngliches türk. čapkun, ein Pferd, dessen Gangart der Galopp ist. Das bosnische Bauernpferd ist an den langsamen Passgang gewöhnt. Milovan kannte die Bedeutung des Wortes nicht. E tako sam primio (ja, so hab ich’s überkommen), pflegt er in solchen Fällen zu sagen.

Zu V. 235 ff. Solche riesige Aufschneidereien sind in Guslarenliedern nicht spärlich. Man denke sich die kolossale Länge zu einem neun Spannen breiten Schwerte! Grujo meint, der Säbel dürfte dem alten Vater doch etwas schwer fallen und darum bietet er ihm seine leichte Klinge an. Die ist bloss vier Spannen breit und wahrscheinlich nur zwanzig Ellen lang. Solche Einschaltungen gehören zum dichterischen Aufputz der Guslarenlieder.

Zu V. 242. Der Alte wollte die Nagelkeule nicht beschmutzen. Es verlohnt sich ihm gar nicht, gegen einen so geringen Gegner mit einer so wuchtigen Waffe auszuholen. Nach einem Guslarenliede wog der Apfel von Novaks Schlachtkeule 120 Litren Eisen.

Zu V. 261. Unter oguliti (schinden) ist hier lediglich die Amputation der Ohren, der Nase, der Finger, Zehen und des Zumptes zu verstehen. Über altsüdslavische Strafen vrgl. meinen Kommentar zu König Mathias und Peter Géréb in den Ethnolog. Mitl. aus Ungarn, Bd. III. In unserem Sonderfalle nahmen die Helden, wie nach Kriegbrauch, wohl die abgeschnittenen Leibteile als Siegzeichen mit, um sie daheim vorzuzeigen.

Zu V. 272. Die Hochzeitfestlichkeiten dauern sonst nur zwei Wochen, diesmal vergönnten sich die Herrschaften noch eine dritte gute Woche. In Slavonien darf nach behördlicher Verfügung kein Hochzeitschmaus länger als 2 Tage währen; denn das Bauernvolk richtete sich durch den üblichen Aufwand bei Hochzeiten wirtschaftlich zu Grunde.

1 Ich veröffentlichte es in T. R. Gjorgjevićs Monatschrift Karadžić. Aleksinac 1902.

2 Das prächtige Guslarenlied ward am Folklore-Kongress zu Chicago 1893 verlesen und ist im Sammelbande des Kongresses erschienen.

3 In einer Wählerversammlung in Brod a. d. Save, hörte ich im Sommer des Jahres 1885 den Landtagkandidaten Pfarrer Š. sagen: die Steuern sind eine Erfindung der Magyaren. Mit unserem Gelde erbauen sie für sich in Budapest Paläste. Auf die Anzeige des Polizeikommissärs hin, bekam der Redner drei Monate Klosterarrest gerichtlich zugesprochen.

4 Orlović, Der Burggraf von Raab. Ein mohammedanisch-slavisches Guslarenlied aus der Hercegovina. Freiburg i. Br. 1889. S. 32–35 und dazu in den Erläuterungen S. 96 f.

5 Gruzinskij izvod skazanija o Sv. Georgij. Moskva 1892. 50 S. In den Vorlesungen der Kaiserl. Gesellschaft für Geschichte und russische Altertümer an der Moskauer Universität. — Die wissenschaftlich gründliche Arbeit lieferte aber Edwin Sidney Hartland, The Legend of Perseus. A study of tradition in story custom and belief. Vol. I, 1894, S. 228; II, 1895, S. 445; III, 1896, S. 225. London, Alfred Nutt.

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