Rückkehrende Seelen.

Den Teufel (vrag, sotona, gjavo), seine Grossmutter (vražja baba) und seine höllische Sippschaft (vražji, paklenski duhovi) als Poltergeister oder als Quälgeister der Menschen muss ich in dieser Darstellung übergehen, weil sie ein fremdes, verhältnismässig sehr junges, den Südslaven von auswärts mit dem Christentum beigebrachtes Glaubengut sind. Meine Aufgabe ist es, über den Volkglauben an die Geister verstorbener Menschen zu sprechen, die in unsichtbarer oder sichtbarer Gestalt unter lebenden Menschen zuweilen erscheinen. Letztere Vorstellungen mag man auch bei den Südslaven als ursprünglich ansehen; denn sie reichen im allgemeinen in die urältesten Zeiten der geschichtlichen und unzweifelhaft auch der vorgeschichtlichen Menschheit zurück und sind als solche keineswegs ausschliessliches Eigentum eines Volkes. Die vielfach vorgetragene und sehr verbreitete Ansicht, dass die katholische Kirche mit ihren Dogmen den Geisterglauben erst geschaffen habe, hält vor einer unbefangenen wissenschaftlichen Forschung nicht im geringsten stand.1

Das Volk unterscheidet zwischen sichtbaren, jedoch unschädlichen, harmlosen Geistererscheinungen, Schreckgespenstern, die es Einbildungwesen (utvora, sablast) nennt, und wirklichen Geistern, den wiederkehrenden Verstorbenen. Diese erscheinen z. B. als bösartige Poltergeister, um eine vermeintliche Sühne von den Lebenden zu heischen, oder um sich an Übeltätern zu rächen, oder um selber bei Lebzeiten begangene Schuld abzubüssen, oder aus Liebe zu den lebenden Angehörigen, oder als äusserst schlimme Plagegeister, um sich mit frischem Menschenblut zu nähren, oder um anderweitig noch ärgeres Unheil zu stiften.

»Träume und Visionen mögen den Glauben an ein derartiges Wiederkehren der Toten zuerst veranlasst haben; Seuchen, durch welche die Angehörigen eines unlängst verstorbenen diesem rasch nachfolgen, mochten ihn steigern, und als er zuletzt herrschend geworden war, blendete er die Sinne der Menschen in solchem Grade, dass sie Dinge wahrzunehmen glaubten, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden waren«, bemerkt C. Meyer. Seine Erklärung trifft vollkommen auch auf den einschlägigen südslavischen Volkglauben zu. Im Traumleben wurzeln hauptsächlich alle Vorstellungen von der Rückkehr der Verstorbenen. Unter den Serben in der Gegend von Kikinda genügt es z. B., dass einer aussagt, er habe diesen oder jenen Toten als einen Vampir im Traume gesehen, und schon beeilt man sich, dem Verstorbenen einen Weissdornpfahl in den Bauch zu rammen. Eine der erschütterndsten serbischen Dorfgeschichten Milutin Trbićs behandelt das schreckliche Ende der »Baba Toda«, die aus Entsetzen vor der Traumerscheinung, einem Vampir, qualvoll stirbt. Die Furcht vor Traumerscheinungen dieser Art ist sehr gross im Volke. Bei den slavischen Moslimen pflegen die Leute, die den Leichnam gewaschen, sich und die Verwandten des Toten mit dem übriggebliebenen Leichenwasser zu waschen, damit ihnen der Tote im Traum nicht erscheinen soll (Bosnien).

Allgemein ist der Glaube, dass die Seele eines Verstorbenen die erste Zeit nach erfolgtem Begräbnis aus Anhänglichkeit an die alte Wohnstätte heimkomme. Daher der Brauch, für die heimkehrenden Toten besondere Trank- und Speiseopfer gewöhnlich auf die Fenster nächtlich hinzustellen.

Die Moslimen glauben, dass ein jeder Tote am Abend seines Begräbnistages in sein altes Haus auf Besuch heimkehre. Zu seiner Bewirtung giesst man in ein Glas frisches Wasser, deckt es mit einem reinen Handtüchlein zu und stellt es auf denselben Platz hin, auf dem der Verstorbene ausgeatmet hatte. Dazu gibt man noch ein Näpfchen mit Mehl und steckt mehrere Unschlittkerzen ins Zimmergebälke. Ist der Tote durstig, so trinkt er von dem Wasser. Oft soll es sich ereignet haben, dass in der Frühe in dem Glase viel weniger Wasser gewesen, als man hineingegossen. Das sei als ein Beweis für die erfolgte Rückkehr des Toten und seinen Durst anzusehen. Am nächsten Tage wird das Wasser aus dem Glase aufs freie Feld geschüttet, das Näpfchen mit Mehl schenkt man irgend einem Armen, die Kerzen aber zündet man an, damit das Haus die ganze Nacht beleuchtet sei.

Überdies glauben die Moslimen, dass die Toten jeden siebenten Tag, einmal vor dem Ramazân und zweimal während des Ramazâns zur Nachtzeit, wenn auf den Minareten die Lichter angezündet werden, und an jeden Freitagabend in ihr Haus heimkommen, um zu sehen, ob ihre Verwandten in Frieden und im Wohlstande leben. Am selben Abend müssen die Häuser ganz ausnehmend rein sein. Man zündet entweder im Hause drei Kerzen an oder schickt welche in die Moschee. Zur Feier des Empfanges bewirtet man einander mit süssen Kuchen: baklava, gurabija, pita mit Sahne, muhalebija, sutlija, halva, in Fett geschmorter pita, mit Honig und Zwetschken-Leckware; sind die Leute aber sehr arm, so lösen sie in Genügsamkeit ein Stückchen weissen Zuckers in Wasser auf und erquicken sich an Zuckerwasser. Das Hausgesinde muss aussergewöhnlichen Frohsinn zur Schau tragen; das Haus ist die ganze Nacht hindurch hell beleuchtet und von Weile zu Weile wird es mit Weihrauch ausgeräuchert. Kommen nun die Toten heim, und finden Freude und Zufriedenheit im Hause vor, so kehren sie singend und jubelnd ins Grab zurück, sind aber die Hausleute niedergeschlagen und traurig, so verlassen auch die Toten traurig und weinend das Haus. Am selben Abend wird weder der Mann sein Weib, noch das Weib den Mann, noch der Hausvorstand irgend ein Mitglied des Hauses schief ansehen und anrempeln (nabreknuti), damit die heimgekehrten Toten nicht unwillig werden. An den betreffenden Tagen teilt man milde Gaben »auf das Seelenheil der Toten« (mrtvim na dušu) an Arme aus und schenkt Kerzen für die Moschee.

In solchem Totenkultus zeigt sich am deutlichsten die enge Zusammengehörigkeit der slavischen Moslimen mit ihren offiziell andersgläubigen südslavischen Volkgenossen. Es ist nur ein scheinbarer Widerspruch, wenn im Kriege die moslimischen Helden die Bestattung ihrer Gefallenen völlig vernachlässigen. Doch abgesehn von den Ausnahmzuständen während eines Feldzuges, kommen auch sonst bei den Südslaven einzelne eigentümliche Abweichungen von der Regel vor. Darauf einzugehen, wäre verfrüht wegen des Mangels an vielseitigen, gründlichen Erhebungen in allen Gegenden des Südens.

Gegen unerwünschte Rückkehr der Toten wendet man mancherlei Massnahmen an. Der Grundgedanke der meisten besteht darin, dass man dem Toten die Rückkehr verleide, indem man z. B. gewisse, dem Lebenden einst werte Gegenstände beseitigt oder umstellt, oder ihm durch sympathetische Mittel den Anlass zur Rückkehr benimmt. Wo ein Toter liegt, müssen die Spiegel verhüllt werden; denn wenn jemand den Toten im Spiegel erblickte, würde der Tote an allen Neumonden (na mlade dane) heimkommen, um zu poltern, und dies so lange treiben, bis man nicht sieben Messen für ihn abhielte (slovenisch, chrowotisch). Lässt man den Toten mit den Stiefeln oder Schuhen, die er als lebender Mensch, in den letzten Zügen liegend, anhatte, so wird er dreimal aus dem Grabe heimkehren (Chrowotien). Im chrowotischen Gebirglande stürzt man den Tisch, auf dem die Leiche aufgebahrt gewesen, gleich um, sobald der Tote hinausgeschafft ist; denn sonst kommt, glaubt man, die Seele des Verstorbenen alle Nacht wieder heim, um zu rumoren und den Leuten den Schlaf zu stören. Einer meiner Freunde erzählte mir: »Ich vertrat im Dorfe Boka unweit Sissek den Messner beim Leichenbegängnisse eines alten Weibes. Eben setzten wir uns in Bewegung, um das Gehöft zu verlassen, als die Leute plötzlich hurtig auf die Seite sprangen. Einer von den Hausleuten stand auf der Türschwelle und schleuderte uns einen grossen Stein nach, der im Krautfass als Beschwerer gelegen. Der Mann glaubte nämlich, die Verstorbene, die er für eine Zauberin hielt, werde nun nicht mehr zurückkehren und niemandem im Hause einen Schaden zufügen können.« Im chrowotischen Gebirglande, doch auch sonst im Süden glaubt man, dass ein Toter häufig zu Besuch heimkommen werde, wenn einer seiner Verwandten, der als Letzter im Leichenzuge mitgeht, heftig weint und so weinend öfters nach rückwärts schaut. Allgemein ist der Glaube, dass die Seele eines vielbeweinten Toten keinen Einlass ins Paradies findet, sondern die längste Zeit in nassem Totenkleide umherirren muss. In Chrowotien und Slavonien ist unter den Katholiken der Glaube allgemein, dass Tote allnächtlich zu ihren Verwandten heimkehren und sich durch Rumoren im Hause oder eigenartiges Tischklopfen bemerkbar machen, häufig aber könne man sich von solchen Heimsuchungen durch den Haushund befreien, wenn man ihn nachts im Zimmer behält. Hunde und Katzen sind nämlich gleich gewissen, besonders veranlagten Menschen geistersichtig (vidovit) und hören bald das Herannahen des Toten. Der Hund stürzt aufs oder zum Fenster und bellt so sehr, dass der Tote verschüchtert abziehen muss. Nachts dürfe man, glauben die Slovenen und die Chrowoten im Zagorje, auf niemand einen Hund hetzen, denn es erscheine ein Toter vor dem Hetzer in Gestalt eines guten Genossen, rufe ihn zu sich und sage ihm: »Trage mich ins Grab!« (nosi me u grob!), und der Aufgeforderte müsse den Toten tragen. Desgleichen ist es verpönt, nächtlicherweile zu pfeifen, als ob man einen Hund lockte, denn sonst kommt ein Toter und trägt einen fort. Gegen Grabschänder, die sich Totenfetische besorgen, um Böses zu stiften, sind die Toten unerbittlich rachsüchtig. Nimmt z. B. einer auf dem Friedhofe einen Sargnagel an sich, so sucht allnächtlich den Räuber jene Seele heim, von deren Sarg er den Nagel entwendet hat, und raubt ihm so lange den Schlaf, bis der Nagel zurückgestellt wird.

Man darf es nicht übersehen, dass auch die christliche Kirche dem alteinheimischen Geisterglauben Vorschub geleistet, ohne es unmittelbar zu beabsichtigen. Belege dafür lassen sich schon aus der südslavischen Literatur der jüngsten drei Jahrhunderte beibringen. Sehr häufig sind uralte Vorstellungen mit neuen derart verwachsen, dass wir mit unsern geringen Mitteln ausser stande sind, Altes vom Neuen zu scheiden. Bezeichnend ist in solchen Geschichten gewöhnlich als Schuld der Rückkehr oder der ewigen Verdammnis auf Erden herumzuirren, die Schändung oder Entweihung einer zu kirchlichen Zwecken bestimmten Sache. Die Erlösung erfolgt meist durch Seelenmessen, während sonst Geister durch Verfluchungen und Verwünschungen in ihr Grab zurückgebannt werden können. Es gibt Leute im Volke, die sich berufmässig mit Geisterbannen beschäftigen. Dem hochbetagten Geisterbanner Imro Koprivčević in Pleternica genügte dieser Erwerb für seinen und seiner Familie Unterhalt. Sein Handwerk, die Opankenflickerei, hatte er schon vor vielen Jahren aufgegeben, weil sich ihm das Geisterbannen allein genug lohnte. Er erzählte mir gar oft von seinen Leistungen auf diesem Gebiete, und als mir seine Erzählungen nach Jahren von Wichtigkeit für die Volkkunde zu sein schienen, liess ich ihrer eine grosse Anzahl wörtlich nach seinem Vortrag niederschreiben, und zwar unter Aufsicht meiner seither verewigten Mutter, damit keine Irrtümer mit unterlaufen sollen.

Die Seelen der Grenzmarksteinverrücker müssen allnächtlich mit einer Kerze in der Hand an den verschobenen Grenzen irrwandeln, bis jemand die Grenzsteine richtig auf den alten Platz zurückstellt. Solche Geister nennt man Steinträger. So büssen auch gewisse Bienenzüchter. Es gibt nämlich Bienenzüchter, die am Allerheiligentage das heilige Brot, das sie beim heiligen Abendmahle empfangen, im Munde behalten und es zu Hause ins Bienenhaus legen, damit die Bienen nicht absterben oder auswandern, sondern vielmehr besser schwärmen mögen. Zur Strafe für diesen Frevel müssen solche Leute nach ihrem Ableben ohne Kopf, mit einer brennenden Kerze in der Hand nächtlicherweile umgehen. Diese Geister heisst man Kerzenträger.2

Die entweihte Hostie hat zu vielen Spukgeschichten Anlass gegeben, nur zu einer bei den Südslaven nicht, zur Judenverfolgung wie in Deutschland im Mittelalter schmachvollen Andenkens. Koprivčević erzählt: Im Dorfe Bilač (bei Ruševo) verstarb ein Mann, der einer Stute die heilige Hostie (svetu pričest) zu essen gegeben. Nach seinem Ableben kehrte er häufig nachts wieder und striegelte die Stute. Es war im Herbste. Die Hausleute rüppelten im Hofe Kukuruzkolben und liessen über Nacht den Kukuruz im Freien. Nachts trug der zurückgekehrte Tote alle abgerüppelten Kolben in die Stube hinein und gab der Hausvorsteherin einen solchen Hieb aufs Bein, dass ihr ganzer Fuss blau ward. Auch kletterte er auf den Boden hinauf und löste alle Rauchfangziegel los. Als wir uns in der Stube versammelt hatten, setzten wir uns alle obenan zum Tisch, vor uns aber standen vier Wiegen mit Kindern. Im Ofenwinkel lagen sechs Spindeln. Der Mond schien so schön hell in die Stube hinein. Als der Geist erschien, schleuderte er vorerst alle Sachen hinter die Türe, bewarf uns der Reihe nach mit Erde, gab einem einen Hieb auf den Kopf, dem andern auf die Füsse und warf die Spindeln auf die Wiegen. Wir dachten nicht anders, als er werde die Kinder töten. Als wir aber Licht machten, lagen die Spindeln zwischen den Wiegen, keine auf einer Wiege. Wer eine Mütze aufhatte, dem riss er sie vom Kopf herab und warf sie weg. Als ich ihn zu beschwören anfing (kad sam ga počeo zaklinjat), flog er hinaus und kehrte nimmer wieder. — Die ausschliesslich kirchlichen Sagen, die »Küsterlegenden« von der Rückkehr Verstorbener sind verhältnismässig selten und noch seltener an einen bestimmten Ort gebunden. Eine Erzählung aus dem Volkmunde mag hier als Beispiel folgen:

An einer kleinen katholischen Pfarrkirche bei Samobor wirkte viele Jahre hindurch ein alter Exekutor (crkovnjak), der jedesmal beim Nachfüllen der ewigen Lampe auch für seinen eigenen Gebrauch vom heiligen Öl zu nehmen pflegte, um es daheim zu brennen. Als er verstarb, begrub man ihn im nahen Kirchenfriedhof. Sein Amtnachfolger machte die Wahrnehmung, dass jedesmal bis zum Morgen das Öl aus der lux aeterna bis auf den letzten Tropfen verschwand. Da auch der Pfarrer keine Lösung dieses Rätsels wusste, beschloss der Kirchendiener, einmal dem Diebe aufzulauern. Er setzte sich aufs Chor, nahm das Glockenseil in die Hand und schaute bald auf das Lämpchen, bald durchs Fenster auf den Friedhof hinaus. Um 11½ Uhr nachts öffnete sich das Grab des alten Sünders, des Kirchendieners, und husch, ist er aus dem Grabe draussen. Der Alte hüllte sich in sein Leichentuch ein, zog die Socken aus und klomm durchs Kirchenfenster in die Kirche hinein, sprang auf die Lampe zu und fing an, daraus das Öl wegzutrinken. Da schlich sich leise der Kirchendiener von der Wacht vom Chor weg aufs Grab und stahl eine Socke. Kaum, dass er zurück auf seinen Platz gelangt war und das Seil wieder erfasst hatte, war der Verstorbene wieder zum Grabe zurück. Just schlug es Mitternacht. Schnell zog er die eine Socke an, fand aber die zweite nicht, und so zog er rasch die eine aus und zog sie auf den andern Fuss an, dann zog er sie wieder aus und auf den andern an. Der Lauscher auf dem Chor fand dieses Tun gar possierlich und schlug darüber eine gellende Lache auf. Im Nu war der Geist zurück, der Mann erschrak und fiel vom Chor herab. Da er sich am Seil festhielt, fing die Glocke an zu läuten, der Geist aber rumpelte nieder und sprach schwer aufächzend: »Hab Dank, dass du mich von der Pein und Qual erlöst.« In der Früh fand man den Kirchendiener auf dem Chor, zwar am Leben, doch waren ihm alle Kopfhaare ausgefallen. Seit jener Nacht blieb das Öl in der Lampe unangetastet. (Chrowotien).

Unschuldig ums Leben gebrachte Menschen rächen sich als Geister an ihren Mördern. Es ist nicht notwendig, dass ein wirklicher Totschlag erfolgt sei, auch ein Tod, den man durch Zaubermittel verursacht, schreit nach Rache. Koprivčević erzählte z. B. folgendes Erlebnis: Im Dorfe Orjevci (bei Pleternica) lebte ein Weib, das konnte ihren Mann nicht ausstehen und sie sann und sann, um ihn zu verderben. Während der heiligen Mitternachtmesse zu Weihnachten (o ponoćki) mass sie ihn mit einem Faden der Länge nach aus. Ein Ausgemessener lebt aber das Jahr nicht aus, gerade so wie einer, der sich abwägen lässt. Bis zu den nächsten Weihnachten war der Mann gestorben. Darauf kehrte er allnächtlich zu seinem Weibe zurück, setzte sich aufs Bett zu ihr und halste sie mit seinen kalten Händen ab. Sie jammerte (jaukala) und lief jedesmal aus dem Hause fort. Einmal kamen zwei fremde Wanderer zu ihr und baten sie um eine Nachtherberge. Im Hofe stand ein Wagen voll Heu. Sie sagte: »Dort habt ihr ein Geläger. Legt euch nieder!« Ihr verstorbener Mann kehrte aber wie sonst zurück und fuhr die Leute die ganze Nacht hindurch im Hofe auf und ab. Der Wagen raste mit solcher Schnelligkeit dahin, dass die beiden Männer garnicht herabspringen konnten. Der eine von ihnen ist vor Schrecken ganz ausser sich geraten, der andere verfiel aber in ein Fieber und starb drei Wochen nachher. Erst als ich späterhin den zurückkehrenden Toten beschworen (zaklinjo), ist er nimmer wieder heimgekommen.

Ein tatsächlich Ermordeter benimmt sich noch ungleich boshafter. Er straft den Mörder und das ganze Dorf.

Zu Bjeleševci bei Pleternica hat es sich vor einigen Jahren zugetragen, dass Savo und Andrija miteinander in Streit gerieten und Andrija den Savo totschlug (na mrtvo ubije). Als man Andrija in den Arrest abführte, bestattete man eben Savo. Nach Ablauf von acht Tagen sah man Savo nächtlicherweile umgehen (po noći di oda) und hörte ihn wehklagen (jauče a joj! a joj!). Als Andrija in der gerichtlichen Untersuchung war, pflegte ihn Savo allnächtlich zu würgen. Andrija hatte einen Schwager, einen Müller. Zu diesem kam Savo gerade am Charfreitag nachts in die Mühle und walkte den Schwager so arg durch (izgnjeo), dass ihn die Leute, die in der Frühe die Mühle betraten, kaum noch lebend antrafen. Nach und nach erholte sich der Müller wieder und erzählte, was sich nachts zugetragen. In der Nacht auf den Tag, wo man Andrija in den Kerker forttrieb, erschien der Geist wieder beim Müller und knetete ihn fürchterlich durch und marterte ihn halb tot. Sodann stellte er sich regelmässig jede Nacht unters Fenster und wehklagte, worauf in kurzer Zeit das ganze Dorf bis auf zwei Häuser ausstarb. Eines Nachts kehrte er in den Stall eines Nachbars ein, und begann sich mit dem Vieh herumzustechen (začeo se s njegovom marvom bosti). Als nach zweijähriger Kerkerhaft Andrija heimkam, musste er Haus und Grundstücke an einen Čechen (pemca) verkaufen, weil er vor dem Geist keine Ruhe fand. Und auch der Käufer hatte im Hause keinen Frieden. Aus Verzweiflung gingen die Leute auf den Boden hinauf schlafen, doch der Geist suchte sie auch auf dem Boden heim. Darauf ging der Čeche zwei, drei Nächte hindurch auf den Friedhof, um das Grab des Ermordeten zu beobachten. Siehe da, es kroch aus jenem Grabe ein Wesen gleich einem Tiger3 heraus (ko tigar nešto izlazi). Am nächsten Morgen ging man nachsehen und fand ein grosses Loch, das jener als Ausgang benützte. Hierauf hat sich jener Kerkersträfling in Koprivnica Haus und Grund gekauft, und seitdem hat der Spuk im Dorfe aufgehört (onda se je smirilo u selu). »Das alles hat mir wörtlich so sein Weib erzählt«, bemerkte meine Mutter am Schlusse dieser Aufzeichnung (Slavonien).

Geistern im Freien zu begegnen, ist nicht ratsam, denn man kann sich ihnen unversehens vermessen. Es genügt ihnen, dass einer zufällig ihre Wege kreuzt, und schon hat er ihren Zorn auf sich geladen. Mitunter ist ein Geist nicht fassbar, und der angegriffene Mensch ist schutzlos Misshandlungen preisgegeben; zuweilen ist aber der Geist so körperlich, dass man mit ihm ringen und ihn auch durchbläuen kann. Dann kehrt der Geist gewitzigt ins Grab zurück. Eine ausführliche Geschichte dieser Art, die sich vor 30 Jahren in Pleternica zugetragen haben soll, erzählt Koprivčević. Der angefallene Bauer rang den zurückgekehrten Toten im Graben nieder, strich ihm drei saftige Hiebe mit dem Pfeifenröhrl über den Kopf, worauf der Tote ein Wutgeheul ausstiess, sich vom Bauer losmachte und wieder ins Grab zurückkehrte. Der Bauer aber lag die längste Zeit krank darnieder und kam nie wieder recht zu sich. »Es ist keine Lüge, sondern lautere Wahrheit« (laž nije, već prava istina), bemerkte K. zum Schlusse seines Berichtes.

In der Regel sterben von Geistern angefallene Leute sehr bald nach und kommen selber spuken.

Im Dorfe Malin bei Pleternica lebte ein alter Mann, der ging einmal nachts ins Dorf Orjovac. Da trat vor ihn ein Knabe und fragte ihn, wohin er gehe? Der Bauer mochte keine Antwort geben, worauf ihn der Knabe zu zerren anfing (stane ga grabusat). Der Bauer schrie und schrie und fluchte, der Knabe trieb es aber um so schlimmer. Nun verlegte sich der Bauer aufs Bitten und der Knabe fragte wiederum: »Wohin des Weges?« Der Bauer wollte es nicht sagen, und der Knabe setzte ihm wieder arg zu. Endlich wurde es dem Bauer lästig und er sagte, wohin er gehe. Kaum hatte er es gesagt, so erwiderte der Knabe: »Das also hast du mir nicht gleich sagen können? Hättest du es, ich hätte dich in Frieden gelassen.« Darauf verschwand er. Als der Bauer heim kam, lag er zwei Tage krank darnieder, am dritten aber starb er. Fünf Nächte hindurch kehrte er wieder aus dem Grabe heim, fragte sein Weib: »Wie ist es dir auf dem Herzen?« und ass alles auf, was sein Weib zu Nacht übrig gelassen, und so wie er die fünfte Nacht fort ging, kehrte er nimmer wieder zurück.

Im Dorfe Mačkovac bei Pleternica ging ein Hirte nachts nach Hause und pfiff (fićuko), worauf ihn Hunde anfielen; er begann aber zu fluchen. Als er jedoch auf den Kreuzweg (krstopuće) kam, fiel ihn ein kleiner Hund (mali ćuko) an, der Bursche aber fing wieder zu fluchen an und je mehr er fluchte, desto heftiger griff ihn der Hund an und geleitete ihn bis nach Haus. Dieser Hund bellte jedoch nicht, sondern murrte (mrko) bloss und zerrte den Burschen. Dieser stieg auf den Stallboden hinauf, um zu schlafen, der Hund aber klomm ihm nach. Der Bursche fluchte wiederum, zuletzt aber starb er vor grossem Grauen und Entsetzen. In der Früh kam der Hausherr auf den Stallboden hinauf und weckte den Burschen, doch dieser erhob sich nicht mehr. Darauf begrub ihn der Hausherr. In der vierten Nacht kehrte der Diener zurück, warf in der Stube Staub herum und fluchte dem Hausvorstand, dessen Gesinde und der Frist, wo er zu diesen Leuten in Dienst getreten. Der Hausvorstand aber verfluchte (prokune) ihn, und so kehrte der Tote nimmer wieder zurück.

Häufig beschränken sich die Geister darauf, den Leuten die Köpfe einzuschlagen oder gar nur Schrecken einzujagen. Diese Kunststücke sind in neuerer Zeit durch die Spiritisten oder Medien auch bei uns salonfähig geworden. Es ist immer der alte Schwindel.

Mato Nikolčić in Pleternica erzählte meiner Mutter am 27. Dezember 1886 folgende Geschichte, die er miterlebt haben will. »Im Herbste des Jahres 1873 starb in Suljkovac (bei Pleternica) ein altes Weib, das am zweiten Abend nach ihrer Bestattung heimkehrte und Unfug (neprilika) trieb. Sie warf Steine gegen die Tür, schleuderte Staub herum, tobte und schreckte heillos die Leute. Der arme Hausvorstand war mit seinem Weibe und seinen Kindern so entsetzt darüber, dass er sich mit ihnen allein nicht mehr in der Stube zu schlafen getraute und so musste der Ärmste jede Nacht acht bis zehn Männer zu sich bitten, dass sie bei ihm nächtigten. Was hat er nur für Beleuchtung während der Zeit ausgeben müssen! Genützt hat es aber gar nichts. Das Gespenst warf mit Steinen herum, schlug dem einen Manne den Schädel ein, dem andern verletzte es arg die Hand, und so dauerte der Spuk beiläufig zehn Nächte lang. Jetzt ist nichts mehr davon zu hören« (Slavonien).

Koprivčević erzählte: »Im Dorfe Suljkovci (bei Pleternica) verstarb ein altes Weib. Schon am nächsten Tage kehrte sie zurück, obwohl die Sonne noch glänzend schien. Sofort warf die Tote mit Steinen. Darauf kletterte sie auf den Boden hinauf und bewarf durch die Dachbodenbretter die Hausleute mit Kukuruz und Bohnen. Sie hatte einen Eidam und eine Tochter. Die Leute überredeten ihre Tochter, sie möge ihre Mutter fragen, was sie suche. Als dann die Tochter die Frage stellte, zitterte sie am ganzen Leibe und wurde von der Mutter arg beworfen. Nur den Eidam liess die Tote vollständig in Ruhe. Einer von den Leuten schimpfte ihr unflätig Gott (jebem ti boga!). Da riss die Tote einen Stein aus der Mauer heraus und schlug dem Schmäher den Schädel ein und gleich begann ihm Blut aus dem Kopfe zu rinnen. Obwohl die Küchentür verriegelt war, warf die Tote lauter heisse Ziegel in die Stube hinein. Als ich anfing, sie zu beschwören (zaklinjat), schleuderte sie noch einen Stein gegen die Tür und kehrte nimmer wieder zurück.«

Derselbe erzählt: »Im Dorfe Komorica starb ein alter Mann, der kehrte allnächtlich wieder heim, und so oft er kam, warf er mit Bohnen und Erdäpfeln im Zimmer herum und schreckte die Leute und haute besonders den, der darüber zu fluchen anfing. Der Hausvorstand liess Messen lesen, berief den Pfarrer und den Kaplan, damit sie den Geist beschwören, doch blieb alles vergeblich, erst als ich den Geist beschwor (zaklinjo), ist er verschwunden und nimmer wiedergekommen.« Im Dorfe Suljkovci starb der Binder, kehrte aber nach der dritten Nacht wieder zurück und warf von da ab allnächtlich in der Küche alles durcheinander. Das gab jedesmal ein grosses Gepolter. In der Früh war trotzdem alles auf seiner Stelle und unversehrt. Erst als ich dort war und zu Gott betete, ist der Spuk verschwunden. In Pleternica ging einmal nachts ein Mann über den Bach, da plötzlich platzte und würgte »Es« ihn, folgte ihm nach Haus, »Es« kletterte auf den Boden hinauf und verursachte ein furchtbares Gepolter. Dann fiel es in die Stube wie ein Fässchen hinab, klomm auf den Tisch hinauf und zerschlug alle Gläser und Teller. Als man ein Licht anzündete, waren alle Gefässe auf dem Tische unversehrt. So ging es Nacht für Nacht. Als ich den Geist beschwor (zaklinjo), sprang er durchs Fenster, klopfte dreimal mit dem Schnällchen und ein schwarzer Kater (crni mačak) wimmerte (drečo), und nie erschien der Geist wieder.

Namenlose Sehnsucht Lebender nach geliebten Verstorbenen vermag auch die letzteren aus ihrer ewigen Ruhe für eine kurze Frist heraufzubeschwören, doch genügt die Sehnsucht ohne Zaubereien kaum oder gar nicht. Man formt das Bild oder die Gestalt des Toten aus Wachs oder einem andern Stoffe, bekleidet und benamt sie und setzt ihr unter Koseworten Speise und Trank vor. Solchem Rufe muss der Tote Folge leisten. Hierher gehört die auch unter den Südslaven allbekannte Leonorensage, von welcher ich hier eine noch nicht veröffentlichte Fassung, die wahrscheinlich aus einem ursprünglicheren Liede in ungebundene Rede aufgelöst wurde, mitteilen will. Im übrigen ist just diese Sage oft genug besprochen worden.4

Ein Bursche führte mit einem Mädchen eine Liebschaft und sie gedachten einander zu heiraten. Da starb plötzlich der Jüngling und wurde zum Werwolf (povukodlači se). Eines Nachts kam er zum Mädchen und sprach: »Komm mit mir, ich werde dich heiraten.« Und sie folgte ihm, eingedenk ihrer Abmachung mit ihm. Er schwang sich aufs Pferd und pflanzte sie hinter sich auf. Als er im Gebirge war, hub er an zu singen: »Der Mondschein scheint, ein Toter reitet ein Ross, o Mädchen, hast du eine Furcht?« (mjesečina sja, mrtvac konja jaha, jà djevojko, je li tebe strah?). So gelangten sie zum Grabe. Der Tote stieg vom Pferde ab und sagte zum Mädchen: »Tritt ein ins Haus!« Darauf das Mädchen: »Geh du voraus, dann folge ich, bis ich das eine und das andre geordnet habe.« Er legte sich ins Grab, sie aber hatte mehrere Knäuel Zwirn bei sich und reichte ihm ein Ende zum Abwickeln hinab. Er zog und zog, und so hielt sie ihn bis zum Morgengrauen hin und blieb am Leben (Bosnien, Drinagebiet).

Es lässt sich trotz der Monographie Šišmanovs nicht entscheiden, ob diese Sage nicht etwa eine Wandersage sei und vielleicht dem slavischen Boden gar nicht entstamme. War sie ursprünglich fremd, so fand sie doch unter den Südslaven einen gut vorbereiteten Boden vor, d. h. einen eng verwandten Glauben- und Sagenkreis, in den sie vollkommen hineinpasste. Man glaubt z. B., dass man im stande sei, nicht bloss einen Toten zurückzurufen, sondern auch einen Geist in eine Puppe hineinzubannen, und auf diese Weise aus der Puppe einen Menschen zu schaffen. So ist der Heilige Pantelija (Panteleimon) von zwei Schwestern, die keinen Bruder besassen, ins Dasein gezaubert worden. Der Heilige ist in die äusserst merkwürdige Lage zweifellos durch eine jüngere Umdichtung hineingeraten. Eines endgültigen Urteils muss ich mich hierin vorläufig enthalten. Nahe berührt sich mit dieser Sage jene von der einzigen Schwester, die, in weiter Fremde weilend, ihren Bruder zu sich auf Besuch herbeizaubert. Um Mariechens Hand warben Freier aus allen vier Weltgegenden. Die alte Mutter möchte ihr Kind an Elias aus dem Künstenlande vergeben, doch ihre neun Brüder und ihre neun Geschwisterkinder sind damit nicht einverstanden, sie reden dem Mädchen ab, um sie irgendwo hin in die weite Welt hinaus zu verschachern. Sie umschmeicheln sie und versprechen ihr ewige treue Freundschaft:

Und wenn du gehst nach unserm Belieben,

so werden wir gar häufig dich besuchen,

so oft als ab im Jahr die Monde wechseln,

in jedem Monat jede liebe Woche;

5doch wenn du gehst nach deiner Mutter Willen,

wird nie von uns dich einer je besuchen.

Mariechen überlegte es sich, wem sie folgen solle, und weil sie sich sagte, das Mütterchen sei schon hochbetagt und werde zu ihr nie auf Besuch kommen können, so gab sie dem Drängen ihrer neun Geschwisterkinder und der Brüder nach. Es verstrich ein Jahr in der Fremde, keine Seele kam zu Mariechen auf Besuch:

Da sprach ein rügend Wort die alte Schwieger:

Dich töte Gott, o Söhnerin, du Liebste!

Wie, stehst du so in Lieb’ bei deiner Sippe,

dass kein Verwandter zum Besuch sich einstellt?

Mariechen perlen Tränen aus den Augen.

Als auch im zweiten Jahre niemand zu Besuch erschien, erhob den gleichen Vorwurf der Schwiegervater, doch

Mariechen schweigt, sie spricht kein Sterbenswörtchen,

von ihren Wangen nur die Tränen perlen.

Im dritten Jahre fangen die Schwäger, im vierten die Schwägerinnen (die Frauen der Schwäger) und im fünften Jahre gar die jungen Schwestern der Schwäger über Mariechen loszuziehen an:

O Söhnerin, dich beisse eine Natter!

Was kommt nicht einer von den neun Gebrüdern?

Da wimmert sie wie eine wilde Natter:

— O wehe bis zum lieben Gott im Himmel!

5ich mag mich gegen Gott versündigt haben,

dass niemand lebend oder tot mich heimsucht!

Drauf ging sie in die warme Kemenate

hinab, verfertigte der Puppen neun

und gab den Puppen ihrer Brüder Namen;

10und wieder fertigte sie neun Gebilde,

benannte sie nach den Geschwisterkindern

und stellte vor sie hin die Speisetafel

und auf die Tafel Speisen und Getränke

und reichte Wein der Reihe nach den Puppen.

15Doch Gott empfand darob ein gross’ Erbarmen,

(die Brüder waren ja schon lang verstorben),

zur Erde sandt’ hinab er seinen Engel

hinab aufs Grab des ältern Bruders Jovo.

Der Engel schlug aufs Grab mit seinem Stabe,

20von selber schloss sich auf das Hügelgrab,

Der Engel baut ein Ross aus Sarg und Brettern

und schneidet aus dem Leichentuche Kleidung,

und weckt dann wieder auf den toten Jovo:

— Auf, Jovo, geh dein Schwesterlein besuchen!

25Bis Samstag magst beim Schwesterlein verweilen,

am Sonntag kehr zurück hier untern Rasen!

Und Jovo ging, um Gottes Wort zu leisten.

Von weiter Fern’ erschaute ihn die Schwester,

frohlockend rief sie allen zu im Hause:

30— Juchhei! da naht mein allerältster Bruder!

Sobald die Hausleut’ dieses Wort vernommen,

so liefen sie ihm weit voraus entgegen

und führten gastlich ihn in ihr Gehöfte

und boten an ihm jeder Art Erlabung

35und neunerlei verschiedner Arten Weine.

Der tote Leib verschmäht Getränk’ und Speisen;

der Tote spricht, er fühle sich zu leidend.

Als letzt der Samstagmorgen angebrochen,

so rüstete sich Jovo wohl zur Heimkehr.

40Es wollten alle ihn zurückbehalten,

doch Jovo lässt von niemand sich beirren,

am Sonntag muss er wieder untern Rasen.

Ihm gab das Schwesterlein das Weggeleite.

Doch leise sprach zum Schwesterlein der Bruder:

45— O Schwester, das ist eine grosse Schande,

dass du mich ohne Schwager hier geleitest!

Doch ist darob die Schwester unbekümmert,

sie geht in einem fort mit ihrem Bruder.

Als sie durchs grüne Hochgebirge zogen,

50erhoben einen Sang die Amselvögel:

»O, lieber Gott, gedankt sei jede Gabe,

da wandelt auf der Erde hin ein Toter.«

Bemerkte Schmuck-Mariechen zu dem Bruder:

— O horch, mein Bruder, was die Vögel zwitschern!

55— Du bist ein Närrchen, meine liebe Schwester,

sie zwitschern halt, wie’s ihnen Gott befohlen!

Als sie in Sicht des Hausgehöftes kamen,

da war mit Moos das weiss’ Gehöft bewachsen.

Erschrocken spricht das Schwesterlein zum Bruder:

60— Was sind da unsre Höfe so verdüstert?

Dem Schwesterlein das Brüderlein entgegnet:

— Bist du ein Närrchen, meine liebste Schwester!

Als wir, die ältsten Brüder uns beweibten,

sind vom verfluchten Blei und Pulverrauche

65verschwärzt geworden unsre weissen Höfe.

Als sie zum grünen Friedhof hingelangten,

sprach Jovo: »Wart, ich habe Durst bekommen,

ich geh’, o Schwesterlein, zum kühlen Bronnen.«

Kaum sagte er’s, schon fing er an zu laufen

70und lief behende hin zu seinem Grabe,

und flog hinein in seine tiefe Grube.

Es schloss sich über ihm das Hügelgrab.

Mariechen sah, o wehe ihrer Mutter;

Mariechen sah die Gräber frisch geschaufelt,

75wohl achtzehn Gräber, eines an dem andern.

Sie rannte jammerklagend hin zum Hofe

und klopfte mit dem Pfortenring ans Tor an.

Von innen ruft die Mutter aus dem Hofraum:

— O troll dich fort von hinnen, Pest und Krankheit,

80du hast mir meinen Nachwuchs hingemordet,

hast mich allein im Leid zurückgelassen!

Am Tore ruft Mariechen ihr zur Antwort:

— Ich bin ja nicht die Pestfrau, nicht die Krankheit,

ich bin dein Kind Mariechen, grambeladen!

85Kaum hat die Mutter dieses Wort vernommen,

so sprang sie auf und öffnete das Pförtlein.

So wie sie sich in Leid und Weh umarmten,

so sanken beide tot zur Erde nieder.

1 Es sei hier auf die grundlegende Studie Alfred Wiedemanns hingewiesen: Die Toten und ihre Reiche im Glauben der alten Ägypter. Leipzig 1900. Die neuere Literatur über die Seele, Totengebräuche und die Wiederkehr Verstorbener, verzeichnet Krauss: Die Volkkunde in den Jahren 1897–1902. S.-A. aus den Romanischen Forschungen, hrsg. v. Karl Vollmöller. Erlangen 1903. S. 108–113.

2 Über kopflose Geister vrgl. die Umfrage H. F. Feilbergs im Am Urquell IV. (1893) S. 8. V. (1894) S. 78 ff.

3 Tiger hat die Erzählerin nur in der Schule auf Wandtafeln abgebildet gesehen und wahrscheinlich im Schulbuche eine Schilderung der Grausamkeit eines Tigers gelesen. Von der Schulbildung hat sie nicht viel mehr als ein wenig Schreiben und Lesen und einige Namen mit ins Leben hinübergenommen.

4 Ausgezeichnet gut und endlos ausführlich von Iv. D. Šišmanov, Pèsenta na mrtvija brat v poezijata na balkanskite narodi. Sofia 1896. 432 Seiten.

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