II. Die Pest in der Sage.

In Serbien spricht man in Zeiten, wo die Pest wütet, nur selten und mit Scheu ihren Namen »Kuga« aus, sondern nennt sie, gewissermassen um sie zu besänftigen und ihren Sinn milder zu stimmen »Kuma«, d. h. Godin oder Gevatterin. Ein anderer Name für die Pest ist ‘morija’,3 die Mordung, die Mörderin. In Pestzeiten verbietet der Volkglaube, dass man über Nacht das Geschirr ungewaschen stehen lasse; denn die Pest kommt nachts ins Haus und sieht nach, ob alles rein sei; findet sie’s aber nicht rein, so zerkratzt sie die Löffel und Schüsseln und vergiftet sie. Personifiziert und in einem Druckwerk tritt uns, meines Wissens, die Pest bei den Südslaven zum erstenmal in einem Sendschreiben des dalmatischen Dichters Krunoslav Ivičević an seinen Freund P. G. Vinko Cima entgegen. Ich gebe hier die Stelle im Urtext und füge eine ziemlich getreue Übersetzung in Versen hinzu.

Gospodnjimi dojde mačonoša, Und es naht der Engel mit dem Schwerte,
A šnjim žena.... u njoj sreća loša; Und ein Unglückweib ist sein Gefährte.
Crna kosa holo zarugjena; Schwarz das Haar, in wirr zerzausten Zoten
Mutno čelo, tisno i lakomo; Finster, schmal die Stirn, sie starrt von Habgier,
5 Mačije oči, razbludna pogleda; Katzenäugig, Lüsternheit im Blicke,
Oštar nosić, pun zmijinja jeda. Spitz die Nase, voll von Schlangentücke.
Široka joj proždorita usta; Aufgesperrt der nimmersatte Rachen,
Žuto lice, nenavidno, suho; Gelb das Antlitz, voll von Neid und trocken,
Od ljenosti podavite ruke, Träge hängen ihr die Hände nieder
10 Zagalila suvokustne šljuke. Ganz entblösst sind ihre dürren Glieder.
Razgledav ju, velim sam u sebi: Sie betrachtend, sprach zu mir ich leise:
»Nu ti žene sedam smrtnih grjeha...!« »Welch ein Weib! Wie sieben Todessünden!«
Znatiželjan ja pitam joj druga: Neubegierig fragt’ ich den Geleiter:
»Ko je ova?« Odgovara: »Kuga!«... »Wer ist dies?« — »Die Pest.« — Ich forscht’ nicht weiter.

Das Gesicht der Pest ist vom Krebs ganz zerfressen, drum sucht sie es auch immer mit einem weissen oder schwarzen Schleier zu verhüllen. Ihre Gestalt wird stets als übermenschlich gross und mager geschildert. Ihre Brüste sind ganz schwarz und so lang, dass sie sich beide über die Schultern wirft, um nicht im Gehen durch sie behindert zu werden.4 Grosse lange Brüste gelten dem Serben als Inbegriff aller Hässlichkeit bei einem Weibe. In Bezug auf das Aussehen ihrer Füsse gehen die Überlieferungen auseinander. Die einen melden, sie habe einen Kuhfuss, die andern einen Pferdefuss, in anderen dagegen heisst es, dass beide Füsse Pferdefüsse seien, wieder andere Zeugen aber wollen ganz deutlich Bockbeine bei ihr gesehen haben. Die Bockfüsse, welche die christliche Kirche dem Teufel beigibt, sind wie bekannt, der altgriechischen Vorstellung von den Satyren entlehnt. Am Graben in Wien steht eine Pestsäule, auf der der Engel Gabriel mit flammendem Schwerte auf einem Teufel steht. Ich betrachtete oft die Gestalt des unterliegenden Satans und es schien mir nicht anders, als ob die Südslaven so ein Bild vor Augen gehabt hätten, als sie sich die Pest ausmalten. Und wirklich sah ich in vielen Dorfkirchen im Süden Darstellungen, die der gedachten Gruppe an der Pestsäule in Wien vollkommmen entsprechen.

Wenn die Pest ins Land kommt, so kann sie nicht ohne weiteres über die Menschen herfallen, sondern muss so lange umherirren, bis sie jemand trifft, der zwanzig Jahre lang eine Todsünde im Herzen verborgen mit sich herumträgt und es noch immer verschmäht hat, durch Beichte Absolution zu erlangen. Gelingt es ihr nun, auf einen solchen verstockten Sünder zu stossen, so reisst sie ihm das Herz heraus verwandelt es zu Staub, der sofort nach allen Richtungen in die Luft zerstiebt. Jedermann der von diesem Staube einatmet, wird auf der Stelle krank und stirbt elendiglich in kürzester Frist. Die Pest nährt sich von den Herzen ihrer Opfer. Hat sie einmal ihren Hunger gesättigt, so zieht sie den Rest des Staubes, der sich noch in der Luft befindet, in sich ein. Infolgedessen muss sie platzen. Aus ihrem Magen tritt ein Knabe heraus, ganz in Schwarz gehüllt. Dieser Knabe hält in der Rechten ein blutiges Schwert. Hierauf schliesst sich die Öffnung im Körper der Pest und sie wandert (aus Furcht vor dem Knaben mit dem Schwerte?) in eine ganz andere Gegend aus.5

Nach einer chrowotischen Sage macht die Pest jedes siebente Jahr eine Rundreise durch die Welt. Hier ist, sowie in einer später folgenden Sage das Auftreten der Zahl Sieben bemerkenswert, die ja nicht nur bei den Südslaven, sondern bei vielen Völkern eine grosse Rolle spielt.

Es gibt nicht bloss eine Pest, sondern mehrere, entweder sind es ihrer zwei oder drei, oder gar sieben Schwestern, wie mir ein Bauer vor Jahren erzählte. Dagegen nimmt man in Serbien an, ihre Zahl sei gar nicht zu bestimmen, denn sonst wären sie schon längst von den Hunden, ihren Erbfeinden, gänzlich vertilgt worden. Die Pest kommt nämlich alljährlich ins Land, nach Angabe eines meiner Freunde in Slavonien, doch, den Hunden sei es gedankt, muss sie sich schleunig wieder aus dem Staube machen oder sie wird von den Hunden zerrissen. Ja es gibt auch Menschen, die durch böse Beschwörungen die Pest herbeirufen können. Man kann sie aber auch gewissermassen sowohl für Menschen als für Tiere erzeugen. Das Rezept dazu lautet:

»Wer die Pest erzeugen will, muss sich die Milch von zweien Schwestern zu verschaffen suchen und sich damit in der Johannisnacht um die zwölfte Stunde auf den Friedhof begeben, die Milch in ein Grab schütten und dann zuhorchen; da wird ein Jammergeschrei von vielen Menschenstimmen an sein Ohr dringen. So erzeugt man die Pest für Menschen; wer aber eine Pest über Kühe, Pferde und andere Haustiere heraufbeschwören will, nehme Milch von zweien Kühen, die von einer Mutter stammen, oder von zweien Stuten von einer Mutter, mache es ebenso wie zuvor gesagt, und er wird ein furchtbares Rindergebrülle vernehmen.« — (Die Sage stammt aus der Gegend von Warasdin.)

Wie tief dieser Glaube im Volke wurzelt, beweist folgende Erzählung:

Es geht die Sage, dass in der Kapelle des heiligen Rochus in Warasdin ein Pfarrer namens Vojskec begraben sei, der bei Nacht umgeht und die Leute in Schrecken versetzt, die an der Kapelle vorbeigehen. Vojskec war bei Lebzeiten ein hartherziger Mann, der mit ganzer Seele am Mammon hing. Die Pest war zur Zeit nur schwach. Er betete aber fortwährend um die Pest, ohne zu bedenken, sie könnte ihn gleichfalls dahinraffen. Während er einmal wieder darüber nachsann, kam zu ihm ein Weib, das erst aus dem Wochenbett aufgestanden, und bat ihn um seinen Segen, damit sie wiederum die Kirche besuchen dürfe. Der Pfarrer, der sich in seinen Gedanken nur mit der Pest beschäftigte, ersuchte sie, sie möge ihm von ihrer Milch geben. Das Weib wollte es nicht tun, denn sie schämte sich und befürchtete, der Pfarrer könnte Gott weiss was für Ungebührlichkeit damit anfangen, sagte ihm aber zu, sobald sie nach Hause käme, ihm die Milch zu schicken. Sobald sie nach Hause kam, schickte sie ihm statt Milch aus ihren Brüsten, Kuhmilch. Vojskec war höchst vergnügt, dass er im Besitze der Milch war, und befahl seinem Knechte, der sich von der Art seines Herrn, für ein Gläschen Wein oder auch um einige Gröschlein jedem Dienste unterzog, er solle sich um Mitternacht auf den Gottesacker begeben, ein Kreuz von einem Grabe herausnehmen, in die kleine Öffnung die Milch hineingiessen, das Kreuz wieder an seinen Ort stecken und eine kleine Weile zuhorchen.6 Der Knecht befolgte pünktlichst die Weisung des Pfarrers und horchte zu, doch statt Gewimmers und Klagen drang ein furchtbares Rindergebrüll an sein Ohr. Darüber ergriff ihn Entsetzen, und ganz ausser sich geraten stürzte er nach Hause und erzählte dem Pfarrer, was er gehört. Der Pfarrer wusste sogleich, das Weib habe ihn hinters Licht geführt und es werde ein grosses Unheil daraus entstehen. So traf es auch wirklich ein. In kurzer Zeit brach in der ganzen Stadt eine so verheerende Seuche aus, dass nicht ein einziges Stück Hornvieh übrig blieb. — Hingegen gibt es Leute, die da behaupten, auf der Trift draussen seien dennoch einige Stücke übriggeblieben; sie wollen nämlich ein schneeweisses Tier, in der Grösse eines kleines Kalbes, zur Nachtzeit herumlaufen gesehen haben, das war die Pest. Wer nun so vorsichtig war, auf eine Schaufel Salz zu geben und sie unter die Stallschwelle zu legen, dem verendete nicht ein einziges Stück Rind. Doch man erfuhr viel zu spät von diesem Gegenmittel. — Nicht lange darauf starb der Pfarrer und man bestattete ihn in der Rochus-Kapelle. Wanderer, die zur Nachtzeit dort vorübergingen, sahen den Pfarrer um die Kirche herumlaufen und mit einer Peitsche knallen. — Es traf sich, dass ein Mann aus Warasdin zur Nachtzeit in das nahe Dorf Biškupec ging. Vor der Kapelle des heiligen Rochus sah er eine Kutsche, vor der vier Pferde vorgespannt waren. Der Kutscher rief dem Manne zu, er möge einsteigen, er wolle ihn ein Stück Weges fahren. Der Mann nahm diesen schönen Antrag von Herzen gern an und stieg ein. Auf dem Wege sprachen sie kein Wort miteinander; auf dem Kreuzweg aber, wo der Weg nach Biškupec führt, hielt der Kutscher an, hiess den Mann aussteigen und fragte ihn, ob er die Pferde kenne. Der Mann entgegnete ihm, er kenne sie nicht und der Kutscher gab ihm die Namen der Pferde an und nannte unter ihnen auch den Pfarrer Vojskec. Darüber entsetzte sich der Mann, blickte dem forteilenden Wagen nach und sah Kutsche und Pferde im Feuer. Jetzt erst erkannte er, er sei auf einem Teufelgespann gefahren. Als er nach Hause kam, war er vor Schreck ganz gelähmt und mehr tot als lebendig.

So reich und gesegnet von Mutter Natur der slavische Süden auch ist, geschah es dennoch in früheren Zeiten, als der Anbau der Kartoffeln und des Maises noch nicht allgemein war, dass wütende Hungernot das Land von seinen Bewohnern lichtete. Die natürliche Folge davon war, dass sich die Pest einstellte. So einen Fall bezeugt folgende Sage:

In Warasdin wütete einst eine so grosse Hungernot, dass sich arme Leute gezwungen sahen, Grummet zu kochen und es zu essen. In folgedessen entstand eine furchtbar verheerende Pest in der ganzen Gegend und in Agram selbst und schon waren mehr als tausend Menschen gestorben. Der Gottesacker erwies sich zu klein für die Menge Leichen und man begrub die Toten um die Kirchen herum und unter anderen auch bei der Kapelle des heiligen Fabianus, wo man hundert Menschen bestattete. Lange Zeit nach dieser Pest zeigte sich den Leuten, wenn sie an der Kapelle des heiligen Fabianus vorübergingen, an Charfreitagen und Charsamstagen, sowie an allen grösseren Feiertagen, auf dem Turmfenster ein Kind, das hin und wieder ein Wort ausstiess, das aber für niemand verständlich war. In später Nachtzeit sahen es auch die alten Leute, die in der Nähe der Kapelle ihre Rinder weideten. — Kurze Zeit darauf brach eine schreckliche Rinderpest in Warasdin aus. Zur Zeit der Seuche schwirrte nächtlicher Weile ein Vogel durch die Lüfte und liess einen wunderbaren Gesang vernehmen. Diesen Gesang verstand ein alter Mann und teilte den Leuten mit, der Vogel verkünde, auf welche Art und Weise man sich von der Heimsuchung befreien könne. Man müsse nämlich als Gegenmittel jungen Zwiebel (poriluk) und Pigmentkraut (travu pigmant) in Anwendung bringen. Gewöhnlich sucht man die Pest durch brennende Wacholderzweige zu bannen.7

Die folgende Sage über die Abstammung der Pest trägt einen christlich legendenhaften Charakter an sich. Das Geburtland der Pestschwestern hat das Meer verschlungen und unstät irren die Schwestern gleich drei Furien von Erdteil zu Erdteil, bis sich ihr Schicksal erfüllt.8

Es war einmal ein ausserordentlich reicher König, nur hatte er gar keine Kinder. Siebenmal verheiratete er sich und mit jeder Frau lebte er sieben Jahre, doch keine dieser Ehen war mit Nachkommenschaft gesegnet. Sobald sieben Jahre in der Ehe mit einer Frau verstrichen, ohne dass sie ein Kind gebar, liess er sie ohne weiteres hinrichten. Zuletzt gab er jeden Gedanken an eine neue Ehe auf, denn kein Frauenzimmer mehr mochte ihn zum Manne haben. Nun geschah es, dass er sich einmal auf der Jagd im Walde verirrte und bei dieser Gelegenheit ein Frauenzimmer fand. Mit ihr lebte er drei Jahre und zeugte mit ihr drei Töchter, doch alle drei Töchter kamen mit Bockfüssen zur Welt. Als die Mädchen erwachsen waren, gestand ihre Mutter dem König, sie sei der Teufel selbst, gestand’s und verschwand. Als dies der König nun erfuhr, sperrte er alle seine drei Töchter ins Gefängnis ein, wo sie die längste Zeit eingesperrt sassen. Da traf es sich, dass sich ein vorwitziger Mensch (ein Hofmann bei Ilić), im Glauben, die Mädchen seien wer weiss wie schön, auf irgend eine Art die Schlüssel zum Gefängnis verschaffte und die Mädchen freiliess. Sie ergriffen sogleich die Flucht und fingen an, überall die Menschen hinzuraffen. Es währte nicht lange und es gelangte die Kunde zu des Kaisers Ohren, die Pest wüte in seinem ganzen Reiche. Er liess sogleich alle Ärzte, die grössten Gelehrten kommen, damit sie sein Volk von der Plage befreiten, doch alle Mühe war vergebens, denn die Leute starben ununterbrochen Tag für Tag hin, so dass zuletzt der König allein am Leben blieb, und um das Strafgericht vollends über ihn hereinbrechen zu lassen, versank sein ganzes Reich in die Erde, und wo sich sein Reich befand, dehnt sich jetzt ein weites Meer aus. Seine drei Töchter aber begaben sich in drei verschiedene Weltteile, um dort zu morden. Weil es aber fünf Weltteile gibt, deshalb wechseln die Schwestern im Besuch der anderen zwei Weltteile ab. Doch sollte es sich durch einen Zufall fügen, dass diese drei Schwestern zusammenkommen, so wird sich unter ihnen ein Kampf entspinnen, in dem alle drei umkommen werden.

Dieselbe Sage kehrt in einem Volkliede wieder, das zwar in einem slavonischen Dörfchen, in Migalovci bei Požega aufgezeichnet wurde,9 wie aber aus seinem Inhalte erhellt, aus Bosnien stammt.

»Sarajevo, o du Horst der Falken!

Sarajevo, deine Spur verschwinde!

In dir starben mir drei Herzensgüter.

Erstes Gut: die alte, teure Mutter,

5Die mich Jungen zärtlich auferzogen,

Auferzogen, an der Brust gesogen.

Zweites Gut: der waffentücht’ge Bruder,

Mit dem ich das Waffenhandwerk lernte,

Und das dritte: Liebchen Angelika,

10Die mir schön zurecht die Kissen legte.

Möge Gott und auch die heilge Sonntag,

Und Sankt Petrus und Johann der Täufer,

Über dich ein böses Unheil schicken,

Dass in dir kein Liebchen je heirate,

15Je heirate und kein Bursche freie!

In dir soll kein Kind geboren werden,

Noch in Mutterarmen Tränen weinen.

In dir haust ein Drachentier dreiköpfig,

Mit drei Köpfen und mit Ziegenfüssen.«

20Doch erwidern ihm die Bulen Saraj’s10

Sie erwidern ihm, dem fremden Kämpen:

»Steh ein Gott dir bei, o fremder Kämpe!

Was verfluchst du ’s eb’ne Sarajevo,

Dass in ihm kein Liebchen je heirate,

25Je heirate und kein Bursche freie,

Und darin kein Kind geboren werde,

Noch in Mutterarmen Tränen weine,

Weil da haust ein Drachentier dreiköpfig,

Wohl dreiköpfig und mit Ziegenfüssen?

30Dies ist wohl kein Drachentier dreiköpfig,

Mit drei Köpfen und mit Ziegenfüssen,

Wohl kein Drache ist’s, o fremder Kämpe!

Doch die Pest ist’s; ihre Spur verschwinde,

Und auch Jenes, der sie freigelassen

35Aus des mächt’gen Kaisers Burgverliesse,

Dass sie Dorf und Stadt uns arg verwüste,

Und vom Liebchen trenne den Geliebten!«

Wie aus einem anderen Volkliede erhellt, wird die Pest von Gott selbst ausgesandt. Sie wandert in Frauengestalt von Ort zu Ort und mordet die Menschen hin. Vor ihr nützt auch die Flucht nichts. Das Volklied stammt aus dem Herzogtum11 und lautet:

Als die Pest12 ganz Mostar hingemordet,

Ganz gemordet, kam sie auch nach Travnik.

Aus den Städten flohen alle Menschen.

Mit der Mutter flüchtete Mariechen,

5Flüchtete sich auf die Vlašić-Alpe.

Oft ergeht sich Mara auf dem Vlašić,

Schaut nach Travnik in das grause Elend,

Wo man fort und fort die Toten austrägt,

Wo an Fahnen Fahnen traurig wehen,

10Lauter Helden unter Heeresfahne,

Junge Frauen mit dem Witwenschleier,

Lauter Mädchen unter Perlenzweigen.

Als die Pest nun zu der Alp’ gelangte,

Traf sie Mara an der kühlen Quelle.

15»Steh dir Gott, Mariechen, bei, du Mädchen!«

— »Gott gesegn’s meine liebe Muhme!«

Gab die Pest, von Gott gesandt, zur Antwort:

»Wohl bin ich dir keine liebe Muhme,

Sondern bin die Pest, von Gott entsendet;

20Morde hin, so Jugend wie das Alter,

Und vom Liebchen trenn ich den Geliebten.«

Da nun hub Mariechen an zu flehen:

— »Tu mich junges Blut doch nicht ermorden,

Schon auch meinen Liebsten in der Ferne!«

25Gab die Pest, von Gott gesandt, zur Antwort:

»Hab den Liebsten dir schon längst gemordet,

Längst gemordet, d’ran schon fast vergessen.«

Als Mariechen dies vernahm, das Mädchen,

Sank sie leblos hin ins kühle Wasser.

Dagegen erfahren wir aus einer anderen Sage, die Pestschwestern müssten auf das Geheiss ihres Königs die Menschen heimsuchen; es ist ein unabänderlicher Schicksalbeschluss, dem sie sich fügen. In diesem Falle erinnern sie lebhaft an die griechischen Erynnien, die unter Umständen als Eumeniden, sowohl für einzelne, als für einen ganzen Stamm auftreten. Erfüllt man ihren Wunsch, so schonen sie den, der sich ihnen fügt, und suchen ihn und die Seinigen vom Verderben zu bewahren. Nur selten bricht die Pest ihr gegebenes Wort, doch nicht ungestraft, denn die Strafe folgt ihr auf dem Fusse. Von ihrer grossen Dankbarkeit erzählt eine Sage. Einst verfolgten Hunde die Pest und sie verwandelte sich schnell in ein Wiedengebünde, sonst hätten sie die Hunde zerrissen. Es war aber ein harter Winter und die Wieden froren fest ein. Nun kam ein Bauer des Weges, der benötigte eben Wieden und trug den Bund nach Hause. In der warmen Stube am Ofen taute die Pest auf, nahm ihre ursprüngliche Gestalt an, dankte dem Menschen für seine Barmherzigkeit, und seit jener Zeit, heisst es, schone sie gewöhnlich die Menschen und überfalle nur die Haustiere und selbst diese nicht mehr so häufig, wie ehedem.13 Nach einer anderen Sage sind die Pest und die Todgöttin leibliche Schwestern, die einander ablösen, wenn die eine müde wird.14

Auf einer folkloristischen Wanderung im Sommer 1907 erzählte meinem Schüler Otto Goldstein der Bauer Lazo Tadić zu Gradski Vrhovci in Slavonien: ‘Bei der Besiedelung von Gradski Vrhovci zogen sich Bruder und Schwester nackt aus und sie spannten zu stockdunkler Nachtzeit zwei von einer und derselben Mutterkuh herstammende schwarze Ochsen vor den Pflug und umackerten das Dorf, damit darin die Pestfrau keine Gewalt erlangen könne.’15 Das war eine Vorbeugungmassnahme für die Zukunft.

Warum besorgen splitternackte Leute die Umackerung? Es ist zu erinnern, dass noch in Bulgarien die Erzeugung des reinen Feuers durch Holzreibung nackten Leuten obliegt und dass alle die schweren Zaubereien zur Abwehr tückischer Waldgeister ganz nackt zu vollziehen sind. Was die Nacktheit zu bedeuten hat, lehren die erotischen Zauberbannsprüche in den Anthropophyteia IV. und Dr. Iwan Blochs treffliche Darlegungen im Sexualleben unserer Zeit (1908). Es ist nicht angebracht, hier auf Anschauungen einzugehen, deren nähere Besprechung nur unter strengstem Ausschluss der Öffentlichkeit kaum noch geduldet wird, aber ich muss bemerken, dass der Kleidermangel beim Umackern und der Feuererzeugung nicht allein auf die religiöse Vorstellung hinweist, sondern auch auf eine Zeit, wo das Volk, klar und klipp herausgesagt, nur bei festlichen Gelegenheiten Kleider als einen Schmuck und im Winter zum Schutz gegen Kälte anzulegen pflegte. Sonst wandelte man sonder Scheu und Scham ohne Gewandung einher und ward sich seiner Nacktheit nicht bewusst. Weil man in längst vergangenen Tagen nur im natürlichen Kleide der Unschuld den Brauch vollzog, meinen die späten Nachfahren, die was anzuziehen haben, die Nacktheit gehöre mit zur Weihe des Umzuges und der Feuererzeugung. Darin bestärkt sie die Anschauung, den Bösen dürfe man nicht einen Faden von seinem Leibe überlassen, damit sie keine Gewalt über einen gewinnen mögen. Beim Umzug aber tritt man in unmittelbare Berührung mit den Geistern, und da ist es am rätlichsten, man habe nichts am Leibe, wessen sich die Namenlosen bemächtigen könnten. Darum eben bewahrt man tiefstes Schweigen, denn auch ein unbedachtes Wort, das einem über die Lippen glitte, könnte zu einem Haken werden, an dem einen der tückische Waldgeist an sich zöge.

Weitere Angaben über die Pest bieten folgende Sagen.

Ein Mann ging spät abends vom Felde nach Hause. In der Nähe des Dorfes begegnete er zweien merkwürdigen Weibsbildern. Die Weiber waren von etwas kleiner Gestalt, ohne Nasen und Ohren und hatten kleine Schlangenaugen, die tief im Spitzkopf drin sassen, die Hände glichen Katzenpfoten und die ganze Gestalt trugen Bockfüsse. Der Mann entsetzte sich bei diesem Anblick, ermannte sich aber schnell und fragte sie, wer sie sind und wohin sie gehen.

Die furchtbaren Weiber gaben ihm zur Antwort: »Wir sind die Pest, zwei leibliche Schwestern. Eine von uns wird die Leute in diesem Dorfe hinraffen, während die andere weiterzieht. Wir kommen geradenwegs aus Sarajevo und stammen aus dem Pestlande. In Sarajevo erhielten wir von unserem Pestkönig den Befehl, auf eine Zeitlang hieher zu ziehen.«

Bei diesen Worten vermeinte der Mann, er müsse sich auf der Stelle vor Grauen in einen Baum oder Felsen verwandeln. Doch die Pestschwestern sprachen ihm Mut zu und suchten ihn zu beruhigen. »Sei ganz getrost,« munterten sie ihn auf, »Dir und Deinem Gesinde soll kein Haar gekrümmt werden, wenn Du uns Folge leistest und bereit bist, uns eine kleine Gefälligkeit zu erweisen.«

Der Mann wäre bereit, mit blossen Händen glühende Kohlen zu scharren, damit ihn die Pest nur verschone, er fleht sie an und beschwört das Schwesterpaar bei allem, was ihnen hoch und heilig ist, Gnade zu üben.

»Es soll Dir nicht das Geringste widerfahren,« beruhigten ihn die Pestschwestern, »nur musst Du uns auf deinen Rücken nehmen und in Euer Dorf hineintragen, damit uns die Hunde nicht zusetzen; dann wirst Du uns dein Haus bezeichnen, damit wir es umgehen können, sobald wir von Haus zu Haus zu wandern und die Menschen hinzuraffen beginnen.«

»Warum mordet Ihr denn die Menschen hin, die sich ja nie auch das Geringste gegen Euch zu Schulden kommen liessen?« fragte der Mann.

»Wir gehorchen nur dem Befehle,« entgegneten die Schwestern.

Wiederum hub der Mann an: »Gibt es nicht irgend ein Mittel, durch das sich der Mensch vor Euch Pestschwestern irgendwie schützen könnte?«

»Freilich,« erwiderten die Pestschwestern, »es gibt gar so manches, da hast gleich eines: Es müssten zwölf Burschen und zwölf makellose Jungfrauen von tadelloser Lebensweise am Vorabende des Sonntags nach dem Neumond in der Geisterstunde einen Pflug nehmen, sich damit hinaus vor das Dorf begeben, sich splitternackt ausziehen, so wie sie die Mutter geboren, sich dann ins Joch spannen und das Dorf ringsherum umackern.«16

»Noch eins. Während des Umackerns müssten sie wie ein Marmorstein das tiefste Schweigen beobachten, keiner dürfte begierig und lüstern den Blick erheben, geschweige denn den anderen berühren. So müssten sie siebenmal immer in derselben Furche ackernd ums Dorf ziehen, bis die Furche zu einem kleinen Graben erweitert ist.«

Während die Pestschwestern, bald die eine, bald die andere, erzählten, musste sie der Mann fortwährend tragen. Die Augen traten ihm aus den Höhlen vor der grossen Bürde — so schwer waren sie —, doch er durfte ja mit keinem Worte Einspruch erheben. Sobald sie in die nächste Nähe des Dorfes gelangten, erhoben alle Hunde ein Gebell, als wenn sie jemand loshetzte. Da fragte der Mann die Pestschwestern, wie sie sich denn, wenn sie allein gehen, der Hunde erwehren. Die Pestschwestern antworteten: »Trifft es sich, dass uns ein wilder Hund anfällt, so verwandeln wir uns schnell in eine Wetzkiste oder einen Korb oder eine Fledermaus.« — »Wie rafft Ihr aber die Menschen hin?« fragte der Mensch und sie gaben ihm zur Antwort: »Entweder vergiften wir die Luft und die Brunnen, oder wir gehen von Haus zu Haus, wenn die Leute beim Nachtmahl sitzen, und jeder, den wir ins Auge fassen, bekommt eine schwarze Beule, an der er sterben muss. Ein andermal fangen wir mit Gedärmereissen, Erbrechen, Durchfall und Krämpfen an.«

Der Mann begab sich in sein Haus, indessen die Pestschwestern von Haus zu Haus im Dorfe ihren Besuch machten. O, welch ein Morgen! Im ganzen Dorfe gab es Wehklagen und Jammer ohne Ende, die Menschen sanken wie Halme hin und hätte man nicht Essig, Wacholder, Kampfer und Branntwein gebraucht, und hätten Burschen und Mädchen das Dorf in der Runde nicht umgeackert, alles wäre ausgestorben.17

Diese Sage tritt in ihren Grundzügen in mannigfachen Versionen auf, z. B. in folgender: (Valjavec, Narodne pripoviedke, p. 243 f.)

Ein Bauer kehrte aus der Stadt, wohin er einen Wagen Steine geführt, abends nach Haus, als er plötzlich ein ganz weiss gekleidetes Frauenzimmer herannahen sah, das sich ohne Umstände zu ihm auf den Wagen setzte. Er erschrak darüber gewaltig, denn er dachte, Gott weiss was dies zu bedeuten habe. Doch das Weib beruhigte ihn: »Du brauchst nicht die geringste Furcht zu haben, fahre Du mich nur getrost bis zu Deinem Hauswesen.« — Als sie im Dorf anlangten, war schon vollends Dunkelheit angebrochen. Da sprach das Weib zu dem Bauer: »Nun gut, Du hast mich hiehergebracht, doch ich habe kein Geld, um Dich dafür zu bezahlen, aber ich will Dich ein Bild sehen lassen, komm näher und tritt mir auf die grosse Zehe.« — Er näherte sich ihr, trat ihr auf die Zehe und er schaute ein grausiges Bild, ganze Ströme von Blut, abgeschlagene Köpfe und tote Menschen. Hierauf versetzte das Weib: »Siehst Du dieses Schauspiel? — So wie es Dir jetzt vorgeführt wird, so wird es in kürzester Zeit hier aussehen, drum trachte Du mit allen Deinen Angehörigen aus diesem Dorfe fort auf mindestens drei Tagereisen weit Dich zu entfernen.« — Und so geschah es. Er wanderte mit den Seinen aus und die Pest stellte sich nach seinem Abzug ein, raffte die Menschen hinweg, stachelte sie gegeneinander auf, so dass sie einander selber hinmordeten. So kam es, dass Blut in Strömen floss, und es überall abgeschlagener Köpfe und toter Menschen gab.

Etwas vollständiger ist folgende Sage:

Als uns letztesmal die Pest aufsuchte, wohnte sie bei einem alten Weibe, das weder einen Hund noch eine Katze hatte; vor diesen Tieren hat nämlich die Pest eine besondere Furcht, ausgenommen, sie wären von jemand mit einem Besen, einem brennenden Holzscheit oder einem Schürhaken geschlagen worden. Nach geraumer Zeit liess sich die Pest durch jemand in ein anderes Dorf tragen, und diese Geschichte trug sich folgendermassen zu:

Es kam einmal an einem Abend ein Wanderer zu derselben alten Frau, um bei ihr über Nacht eine Herberge zu nehmen. Die Pest, die schon im ganzen Dorfe gehörig aufgeräumt hatte, beschloss ihre Reise fortzusetzen, doch da ihr kein Wagen zur Verfügung stand, um darauf zu fahren, befahl sie dem Manne, er müsse sie tragen. Er lud sie sich auf den Rücken und machte sich mit ihr auf den Weg. Nachdem er eine Weile gegangen, fragte ihn die Pest, ob sie ihm schwer scheine. Er verneinte es. Doch, sowie er das Wort aussprach, in demselben Augenblicke machte sie sich schwerer. So richtete sie mehrmals an ihn dieselbe Frage und machte sich jedesmal schwerer, so dass der Ärmste jeden Augenblick umsinken zu müssen glaubte. Die Pest merkte, der Mann könne unter ihrer schweren Last kaum mehr von der Stelle — sie spielte ihm nur deshalb so arg mit, weil er fortwährend sagte, sie falle ihm nicht schwer, er getraute sich eben aus Furcht nicht die Wahrheit zu gestehen — und so forderte sie ihn auf, ein Weilchen Rast zu halten. Kaum war er wiederum ein wenig zu Atem gekommen, so warf sie sich schon wieder auf ihn, damit er sie weiter schleppe. Und wieder fragte sie ihn fast jeden Augenblick, ob sie ihm schwer erscheine. Er verneinte es neuerdings, worauf sie sich allmählich so leicht machte, dass er schon vermeinte, er trage sie überhaupt nicht mehr. So kamen sie endlich in das Dorf, wo ihm die Pest zum Lohn dafür, dass er sie getragen, die Zusicherung gab, sie werde niemand aus seinem Hause hinraffen. Kurze Zeit darauf gelang es den Leuten, die Pest aus dem Dorfe zu vertreiben, sie flüchtete an die Save. Das Wasser war ausgetreten und hatte weit und breit alles überschwemmt, die Pest aber konnte nicht hinüber. Und sie bat einen Fährmann, der die Leute auf seinem Kahne über die Save setzte, er möge sie hinüberfahren, doch wusste sie zu ihrem Leide nicht, dass der Mann unter seinem Pelze einen Hund habe. Der Mann nahm sie ohne weiteres in seinen Kahn auf und fing zu rudern an. Als sie sich nun in der Mitte des Flusses befanden, erwachte der Hund, erblickte die Pest und griff sie unbarmherzig an. Die Pest flehte den Mann an, er möge sie schützen, doch alles umsonst; der Hund setzte ihr so lange zu und zerbiss sie so jämmerlich, bis sie ins Wasser fiel. Mit grosser Müh und Not gewann sie das jenseitige Ufer und drohte ihre Wunden zu rächen, bis alle Hunde verenden. Doch, Gott sei Lob und Dank, das wird nicht so bald geschehen, denn das Hundegeschlecht vermehrt sich von Tag zu Tag immer mehr.

Verwandt mit dieser ist folgende Sage aus Dalmatien18:

Einst verhandelte die Pest mit einem Fährmann, der die Überfuhr zwischen dem Küstenland und einer Insel vermittelte, er möge sie allein auf die nahe Insel hinüberfahren, sie werde ihm nicht das Geringste anhaben, falls er aber kein Vertrauen in ihr Wort setze, so könne er ja in die Mitte des Schiffleins Dornen und Wacholdergesträuch legen. Um das Unheil von seinem eigenen Heimwesen abzuwehren, musste der arme Fährmann notgedrungen auf ihren Vorschlag eingehen, legte aber zur Vorsorge in die Mitte des Schiffleins Dornen, Judenstrauch und eine Wacholderstaude. Am Vorderteil liess er die Pest sich setzen, am Hinterteil sass er selber und fing zu rudern an. Als sie sich nun auf hoher See befanden, wollte die treulose Pest den Vertrag brechen, indem sie den Versuch machte, über die Judendornen hinüberzusetzen und den Schiffer anzustecken. Doch sie stach sich gewaltig und schrie aus: »Tukadar bukadar, u Primorje nikadar«19 und das sollte bedeuten: »Überall einmal, ins Küstenland niemals!«

Von ihrer grossen Erkenntlichkeit meldet eine andere Sage:20

Es war einmal ein Bauer, der fuhr einen Juden aus einem Orte in einen anderen und bedang sich von ihm als Fuhrlohn fünf Gulden aus. Der Jude gab ihm drei Rheinische Drangeld und der Bauer liess ihn auf den Wagen steigen. So kamen sie vor die Maut und mussten ein Weilchen dort anhalten. Der Jude erlegte das Mautgeld. Der Abend war schon angebrochen und dem Juden kam plötzlich ein Gedanke. Er forderte nämlich den Bauer auf, ins Mauthaus hineinzugehen und dort um einige Zündhölzchen zu bitten. Arglos stieg der Bauer vom Wagen herab und begab sich zu dem Mautner, um einige Zündhölzchen zu holen. In der Zwischenzeit trieb der Jude die Pferde an und machte sich so mit Pferden und Wagen aus dem Staube. Zwar rief ihm der Bauer nach, er soll nicht davongehen, doch der Jude kehrte sich nicht daran und warf des Bauern Sachen aus dem Wagen heraus. Dieser Bauer war aber mit einer Pest bekannt. Das traf sich nämlich so: Einst fuhr er die Pest von einer Brücke bis zu seinem Hause. Als sie dort anlangten, fragte sie ihn, was er dafür verlange. Nun wusste er nicht, dass dieses Frauenzimmer die Pest sei, und sagte, er verlange gar nichts. Hierauf entgegnete die Pest, er möge sich, wenn er irgendwie in eine Notlage geraten sollte, drei Haare aus dem Kopfe reissen und sie werde gleich zur Stelle sein und ihm Hilfe leisten. Da dachte der Bauer in seiner jetzigen Notlage an die Pest und befolgte ihre Weisung. Sogleich stellte sich die Pest ein, fing den Juden und stellte dem Bauern seine Pferde und seinen Wagen zurück. Den Juden aber, sowie alle übrigen Juden, die in dem Dorfe wohnten, wo des Bauers Häuschen stand, raffte sie schmählich hin.

Man braucht der Pest nicht einmal einen Dienst zu erweisen, um sie gnädig zu stimmen, es genügt mitunter, wenn man ihrer Einladung Folge leistet.

In der Nähe von Pavlovac im Walde hauste einst die Pest. Ein Bauer fuhr auf seinem Wagen allein durch den Wald, da brach die Pest hinter dem Gesträuch hervor, schlachtete den Mann und die Pferde ab, und warf den Wagen in den Graben hinab, so dass der Wagen in Stücke zerfiel. Dann nahm sie die Halfter und die Holzstücke, trug sie zu einem nahen Baume und machte dort ein grosses Feuer an. Als sie einen Mann des Weges kommen sah, rief sie ihm zu: »Gevatter, kommen Sie doch her Fleisch essen. Ich habe eben Mann und Pferde abgeschlachtet, den Wagen zerschlagen und mit den Holzstücken ein Feuer angemacht. Die Halfter habe ich mir aufgehoben.« Hierauf trat der Mann zu ihr hin und sie gab ihm die Halfter. Er wärmte sich nun an ihrer Seite am Feuer, ass mit ihr von dem Fleische des Menschen, den sie abgeschlachtet und kehrte dann heim. Nun würgte die Pest im ganzen Pavlovac alles hin, nur im Hause des letzteren gab es keinen Toten, nicht einmal einen toten Hund oder eine tote Katze.

Am liebsten hält sich die Pest auf Friedhöfen auf, und Wehe dem, der sie plötzlich aufscheucht. Sie rafft ihn ohne Erbarmen hin, ja sie verscharrt ihn sogar sorgfältig, damit sie ihn nicht mehr vor Augen habe. Darauf bezieht sich eine zweite Sage:

Es traf sich einst, dass zu gleicher Zeit, wo die Pest auf dem Friedhofe herumging, ein Mann dort etwas zu tun hatte. Die Pest überfiel den Mann, schlachtete ihn ab und legte ihn ins Grab zu seinen übrigen Anverwandten. Am anderen Tag ging man ihn suchen, doch alles Nachforschen war vergebens. Sein Weib war vor Schmerz ganz aufgelöst und begab sich zuletzt auch auf den Gottesacker ihn suchen. Grab für Grab öffnete sie unter Beihilfe des Oheims und endlich fanden sie den Gesuchten in einem Grabe. Ihr Erstaunen war sehr gross: »Was mag ihn denn hierher geschafft haben?« — Schliesslich sagten sie, es könne nicht anders sein, als die Pest habe ihn erwürgt und hier verscharrt.

Es ist nicht unmöglich, dass ein Meuchelmord die Veranlassung zur Entstehung dieser Sage gebildet. Wie denn überhaupt ruchlose Subjekte zur Zeit einer Pest die Gelegenheit benützen, um zu stehlen und zu plündern. Niemand wagt es abends die Stube zu verlassen, aus Furcht, der Gevatterin zu begegnen. Das ist dann die Wonnezeit der Diebe und Verbrecher. So entstand das Sprichwort: »Er stiehlt wie die Pest.«21 Zu Epidemiezeiten öffnen galizische Juden nachts die Türe nur, wenn der draussen stehende dreimal geklopft hat. Türen und Fenster hält man nachts geschlossen, öffnet sie aber auch tagsüber wenig. B. W. Schiffer, Am Urquell IV (1893) S. 272.

Mitunter gefällt es der »Gevatterin«, ihren Besuch anzukündigen. Doch es hält schwer, oder es ist gar unmöglich, sie um ihre Beute zu betrügen; davon erzählen folgende zwei Sagen:22

Es war einmal ein Messner, der läutete einst am späten Abend »Ave Maria« und gewahrte ein scheussliches Gespenst, das auf dem Berge auf einem Karren gegen ihn zufuhr. Das Gespenst hatte einen Totenkopf auf und ein Kreuz, und ging schnurstracks auf den Mann los. Da ergriff ihn panischer Schrecken und er rannte wie blind dem Dorfe zu, doch das Gespenst holte ihn ein, trat vor ihn und sprach: »Steh still! Sei ausser jeder Furcht, ich bin die Pest, und tu Dir gar nichts an, nur sollst Du Morgen kund machen, dass Du beim »Ave Maria-Läuten« die Pest gesehen, und dass ich erklärt habe, innerhalb fünf Wochen zurückzukehren und dreihundert Seelen dahinzuraffen.« — Mit diesen Worten liess sie ihn stehen. Am nächstfolgenden Tage erzählte der Messner alles haarklein, was er gesehen und gehört. Auf das hin wanderten die Leute aus dem Dorfe aus und kehrten nach Ablauf von fünf Wochen wieder zurück, die Pest aber stellte sich drei Tage später in der sechsten Woche im Dorfe ein. Da kamen die Leute der Reihe nach elendiglich um und im ganzen Dorfe blieben etwa fünf oder sechs Seelen am Leben.

In einem Dorfe trat eine so verheerende Rinderpest auf, dass kaum einem oder keinem ein Rind am Leben blieb. Ein Weib aber hatte zwei Kühe und dachte bei sich: »Am Gescheidtesten ist’s, wenn ich meine Kühe da verkaufe und den Gelderlös aufhebe. Hört die Seuche auf, so kauf ich mir andere Kühe. Warum sollt ich durch meine Kühe solchen Schaden leiden?« Gedacht, getan. Da besuchte sie die Rinderpest in Gestalt einer Frau und sagte: »Gevatterin, wie ich gehört habe, hast Du Deine Kühe verkauft.« — »So ist es, ich hab mich vor der Pest gefürchtet.« Hierauf bemerkte hinterlistigerweise die Pest: »Freilich hast Du die Kühe verkauft, aber der Mann, dem Du sie verkauft, hat Dich betrogen.« — »Das ist doch nicht möglich, er kann mich nicht betrogen haben.« — Doch die Pest behauptete Stein und Bein: »Er hat Dich ganz gewiss betrogen, wenn Du es nicht glaubst, lass uns das Geld nachzählen.« — So liess sich das Weib bereden, das Geld aus dem Kasten herauszunehmen, die Pest überzählte es, verschlang den Erlös von der einen Kuh und sagte zu dem Weibe: »Die eine Kuh hätte ich Dir ohnehin fortgerafft, Du hast sie aber verkauft, dafür habe ich Dir den Erlös verschluckt. Hilf Dir wo du kannst, suche aber nie, Gottes Willen zu durchkreuzen!«

Charakteristisch ist die Auffassung von der Rinderpest. Schon oben aus der Sage vom Pfarrer Vojskec und seinem getreuen Knechte geht hervor, auf welche Weise sie heraufbeschworen werden könne. Zumeist aber sind es alte Bettler (bogci), die aus Rache, dass man sie abgewiesen, die Pest herbeirufen. Die Rinderpest erscheint gewöhnlich in der Gestalt eines Tieres. Tritt die Pest aber z. B. als Schwein oder Ziege auf, so kommen die Schweine und Ziegen um. Das sicherste Merkmal, woran man sie erkennt, ist: 1. dass sie ganz buntgefleckt ist, 2. dass sie nur drei Füsse hat.23 Ich fand nur zwei Sagen, die davon erzählen. Sie lauten:

In einem Dorfe wütete einmal furchtbar eine Rinderpest. Der Viehstand ging zusehends zu Grunde, denn es gab kein Haus, wo nicht über Nacht ein Stück verendete. Einigen Leuten im Dorfe glückte es, die Pest zu sehen, und zwar gaben sie an, sie hätte die Gestalt eines Hundes. Vorzugweise suchte sie Misthaufen auf, ging daselbst herum und muhte wie eine Kuh. Kam sie in einen Stall, sie suchte eben nur das liebe Vieh heim, so küsste sie dieses oder jenes Stück Rind, und wenn eines von ihr geküsst worden, so war es in der Früh gewiss schon verendet. Die Leute sannen fortwährend nach, wie sie dieses entsetzlichen Ungemachs los und ledig werden könnten, und so stellten sie der Pest auf den Düngerhaufen Milch hin, in der Hoffnung, es könnte dies möglicherweise von Nutzen sein. Und wirklich war das sehr nützlich und vorteilhaft, denn wo sie Milch fand, in dem Hause richtete sie keinen Schaden an.24

Diese Pest ging regelmässig zu einem Bauer auf die Herberge. Sie schlief immer auf der Bank am Ofen und sobald ihre Stunde schlug, entfernte sie sich, ohne den geringsten Schaden in diesem Hause angerichtet zu haben.

Einst erblickte jemand die Pest, als sie sich in Gestalt eines Schweines am Ufer eines Flusses gelagert und dort Krebse fing. Sie starrte den Mann gross an, er entsetzte sich gewaltig, und ergriff schleunigst die Flucht, indem er alles, was er mit sich trug, gleich dort von sich wegwarf. Als er nach Haus kam, erzählte er was ihm begegnet, und alle erklärten einstimmig, das sei die Pest gewesen, und zwar die Schweinepest, denn sie hatte ganz das Aussehen eines Schweines. Und wirklich, kurze Zeit darauf gingen plötzlich scharenweise die Schweine in jener Gegend zu Grunde.25

Mehr Mährchen als Sage und wieder mehr Fabel im Stile Äsops und Babrios ist das merkwürdige Geschichtchen, das der um die südslavische Volkliteratur unendlich verdiente Vuk Vrčević aus dem Herzogtum aufgezeichnet hat.26 Es ist nicht sonderbar, dass in dieser Erzählung der gewöhnliche Name der Pest »Kuga« nur einmal vorkommt und dafür fünfmal der fremde »Kolera« eingesetzt ist, denn es ist eine in Asien und Europa allgemein bekannte und in Pestzeiten immer neu aufgefrischte Geschichte. Es scheint aber das Fremdwort doch nicht ganz einheimisch geworden zu sein; denn, wenn die Bauern in der folgenden Erzählung die Pest ansprechen, so bedienen sie sich doch des slavischen Wortes.

In irgend einer Stadt erfuhr man, dass sich die Pest zu ihnen auf den Weg gemacht, um die Bevölkerung der Stadt hinzuwürgen. Da rüsteten sich alle waffenfähigen Männer in der Stadt und erwarteten die Pest in einem engen Passe, durch den sie, die Pest notwendigerweise durch musste. Da naht ein hühnengrosses Weib, ganz in Schwarz gekleidet; in der rechten Hand trägt sie einen Speer, in der linken eine Sense. Das Volk stellte an sie die Frage: »Was bist Du so zeitlich aufgebrochen, wohin lenkst Du deine Schritte und was gedenkst Du zu tun?« — »Ich will«, entgegnete die Pest, »in Euerer Stadt einige ihrer Bewohner hinwürgen!« — »Zurück!« donnerten sie alle wie aus einer Kehle, spannten die Gewehre und legten auf sie an. Kaltblütig versetzte die Pest: »Wenn ihr mich tötet, so ist’s um Euch und Euere Stadt getan. Ich mach Euch allen den Garaus. Lasst ihr mich aber in Frieden meinen Einzug halten, so schwöre ich Euch bei Gottes Treu, dass ich nicht mehr als fünf von hundert hinraffe.« Das Volk überlegte sich diesen Vorschlag und sagte nach erfolgter Verabredung zur Pest: »Wenn dem so ist, zieh denn ein, doch hüte Dich anders zu tun!« Innerhalb zehn Tagen starben aber schon von je hundert Einwohnern zehn, worauf das Volk die Pest einfing, um sie zu töten. Man sprach zu ihr: »Was hast Du aus uns gemacht? Du verfluchte Menschenpest! Wie mochtest du dein bei Gott gegebenes Treuwort mit Füssen treten! Gott und sein Treuwort mögen deinen Sinn verwirren!« Hierauf erwiderte ihnen die Pest: »Ich habe mein Wort gehalten und ich kann Euch jeden namentlich anführen, den ich bisher hingewürgt!« »Wie denn das? Du ehrloses Geschöpf!« rief das Volk aus, »nach unserer Abmachung hättest Du im schlimmsten Falle ihrer hundert hinmähen dürfen, es sind aber ihrer mehr als zweihundert gestorben!« Da lachte die Pest und entgegnete: »Ich habe wohl auch nicht mehr als ihrer hundert hingewürgt, das andere hundert Menschen, die vor Schrecken gestorben sind, habe ich doch nicht zu verantworten, denn wisst, es sterben mehr an der Furcht vor mir, als an mir.«

Schlusswort: Überblicken wir zum Schlusse noch einmal die hier mitgeteilten Pestsagen, so fallen uns zwei Hauptmomente vorzüglich in die Augen. Einerseits begegnen wir, wie einem roten Faden, der sich durch alle Sagen hindurchzieht, der Vorstellung von der Krankheit als einer Person, als einem Krankheitdämon, der dem Baum oder Wald entstammt, andererseits finden wir in den verschiedenen Arten und Weisen, wie man diesen Dämon abzuwehren sucht, mannigfache Erinnerungen sowohl an uralte heidnische Agrarkulte, als auch an Geisterbeschwörungen, in genau erkennbarer Gestalt erhalten. Durch das Ganze wieder machen sich überall rein christliche Vorstellungen von bösen Geistern, dem Teufel und seiner Sippe bemerkbar. Ferner konnten wir die Erscheinung beobachten, wie fremde Namen für einheimische allmählich in Gebrauch kommen, ohne dass dadurch die ursprünglichen Volkvorstellungen eine auffällige Schwächung erlitten. Hieraus lernen wir zugleich, dass religiöse Vorstellungen auf viel festerer Grundlage als die Sprache im Volkgemüte fussen, die viel leichter als jene fremden Einflüssen weicht. Die eigentliche geistige Anschauung eines ganzen Volkes geht nur sehr langsam unter. Um einen vollständigen Umschwung hervorzubringen, dazu bedarf es eines jahrtausendelangen Zersetzungvorganges.

1 Vrgl. Vuk Karadžićs Srpski rječnik, Wien 1852, S. 311 a. Vrgl. auch dessen »Život i običaji naroda srpskoga«, S. 220.

In Chrowotien nennt man häufig die Pest Kratelj. Wenn der Kratelj die Menschen heimsucht, so empfiehlt man als Schutzmittel Bähungen aus jenen feinen und durchsichtigen Blättchen, die zwischen den einzelnen Lagen eines Zwiebelhauptes vorkommen. Solche Umschläge vertreiben den Kratelj. Vuk bemerkt im Wörterbuche zu dem Worte Kratelj: »Nach der Tradition eine Krankheit ärger als die Pest, eine Krankheit, die in einer Nacht tötet. Der Tote hat einen Fuss kürzer als den anderen. Daher der Name von kratak, kurz. In neuerer Zeit wird die Pest auch in Serbien, seitdem sie häufiger auftritt, Krátelj genannt.« Der Ausdruck hat nun in der Sprache Bürgerrecht erhalten. Im Herzogtum nennt man die Menschenpest einfach kratelj. So heisst es z. B. im Bosiljak Hercegovački, 1883. N. 2. S. 22: »Kratelj. Po najnovijih vjestih dolazećih sa istoka, kratelj u Egyptu sada je manji.« (Die Pest. Nach den neuesten aus dem Oriente kommenden Nachrichten nimmt jetzt in Egypten die Pest ab.) Dass Vuks Ableitung des Namens Krátelj von kratak auf einer verfehlten Volketymologie fusst, leuchtet gleich ein. Wäre wirklich kratak = kurz, das Etymon, das zur Bezeichnung der Krankheiterscheinung verwandt werden sollte, so müsste das Wort Kratáč, bezw. Kratéč lauten. Über die pathologische Erscheinung dieser Art handelt scharfsinnig und lehrreich, wie immer, Dr. P. Näcke in seiner mediko-historischen und folkloristischen Studie: Das Vorkommen von Wadenkrämpfen im orientalischen Gebiete in alter und neuer Zeit (Neurologisches Centralblatt. Leipzig 1907. Nr. 17). Auf Grund seiner Ermittlungen folgert er: ‘Krämpfe, Krampfformen aller Art lassen sich wohl überall in alten und neuen Zeiten, in schriftlichen oder mündlichen Aufzeichnungen nachweisen und mussten fast selbstverständlicherweise auf die Einwirkung von Dämonen irgendwelcher Art zurückgeführt werden, und zwar böser Geister, die plötzlich einbrachen, und so Schrecken, Schmerz, Bewegunglosigkeit usw. erzeugten. Wo dies nicht deutlich mehr nachzuweisen ist, lässt es sich aus der Therapie direkt oder indirekt erschliessen.’ Da Kratelj nicht der ursprüngliche Name der Pest ist, vielmehr sich der Name erst in neuerer Zeit eingebürgert hat, so liegt es auf der Hand, dass er aus der Fremde eingeführt worden. Aus Slovenisch Görz in Steiermark rührt folgende Nachricht her. »Škratec oder Škratel ist ein Kobold (duh, eigentlich Geist), der einem Geld bringt. Es fällt gar nicht schwer, ihn mittels gewisser Beschwörungformeln herbeizurufen. Man muss ihm nur etwas zusichern, sei es den ganzen Körper, oder auch nur einen Teil, sei es die Hand oder den Fuss, verschreiben, und zwar muss man den Vertrag, den man mit ihm abmacht, mit eigenem Blute unterschreiben. (Christliche Vorstellung vom Pakt mit dem Teufel.) Der Škratel nimmt alle möglichen Gestalten an, einmal zeigt er sich als kleiner Knabe, ein andermal verwandelt er sich in ein altes Weib, in das letztere am gewöhnlichsten. Bringt er einem Geld, so saust er als glühender Besen (übertragen aus dem deutschen Hexenglauben) durch die Lüfte. Hat einmal einer mit ihm einen Vertrag abgeschlossen, so kann er alles, was sein Herz nur begehrt, von ihm bekommen, nur muss er abends vor dem Schlafengehen dem Škratel ein Merkmal aufs Fenster hinlegen (wie dem hl. Nikolaus am 6. Dezember nach südslavischem Volkbrauch), damit der Škratel weiss, was man von ihm haben will. Zugleich muss man ihm aber auf das Fensterbrett Hirsebrei (ein Opfer dem Waldgeiste) hinlegen, denn dies ist seine Lieblingspeise.« Die Schrate oder Schretel oder Schretlein, der Schrat, ist ein bei den germanischen Völkerstämmen weithin bekannter Hausgeist. In Niederbayern bezeichnet Schratl den Wirbelwind. (Panzer in den Beiträgen zur dtsch. Myth. II. S. 209.) Über das Schrätlein vrgl. Adolf Wuttke, Der deutsche Volkaberglaube d. Gegenwart. 3. Bearbeitung von Elard Hugo Meyer, Berlin 1900, S. 43 f., 159 u. 273. Bei den Inselschweden ist der Skrat und ebenso durch Entlehnung in der Form Krat bei den Esthen ein Hausgeist oder Kobold, der auch mit dem fliegenden Drachen identifiziert wird, welcher seinem Besitzer Getreide und andere Dinge durch die Luft zuträgt. (Russwurm, Eibofolke § 373 ff. bei Mannhardt, Baumkultus, § 115, im Auszuge. Bei den Südslaven nahm der Škratelj, oder wie er in der verkürzten Form Krátelj heisst, mit der Zeit ganz die Bedeutung eines verderbenbringenden Geistes an. Der Übergang erklärt sich von selbst, wenn man die Schilderung seines Wesens sorgfältig prüft. Darnach unterliegt es keinem Zweifel mehr, dass sowohl der Name als die Vorstellung vom Škratelj den Südslaven durch die Deutschen bekannt geworden. Wir besitzen aber auch ein unmittelbares Zeugnis dafür. In der Danica zagrebačka za prestupno lěto 1850. S. 117 findet sich folgendes Geschichtchen:

»Lěto 1531. je bila nekakva pošast, koja se imenuje Škrapec (dialektische Nebenform von Škratelj) ili šumski vrag, pod ladanjem (?) Kardinala i Eršeka vu Salcburgu, Matheja Lang vu Haunsbergu vu lovu vlovljena. Ona je bila žute boje, zevsema divja, niti nikak ni hotela vu ljudi gledati, nego se vse zmir je skrivala po kutih; na glavi je imala kokotovu rožu, človečanski obličaj z bradum, orlovske noge, lěpe oroslanske tace i pesji rep, i je poginula od glada, akoprem se njoj ljudi jesu milili, nju nudili i takaj silili, da bi jela i pila.« Im Jahre 1531 wurde ein Ungetüm [pošast wird auch für das deutsche Wort »Seuche« gebraucht], das man Škrapec oder Waldteufel nennt, unter der Herrschaft [wahrscheinlich dürfte vladanjem zu lesen sein] des Kardinals und Herzogs von Salzburg Mathias Lang in Haunsberg in der Jagd eingefangen. Sie war [es war also eine Waldfrau] von gelber Farbe, vollends wild, und wollte um keinen Preis den Leuten ins Gesicht schauen, sondern verbarg sich fortwährend in den Winkeln; auf dem Kopf hatte sie einen Hahnenkamm [eigentlich: Hahnenrose], sie hatte ein männliches Gesicht mit einem Barte, Adlerfüsse, schöne Löwentatzen und einen Hundschwanz. [Und] sie ist vor Hunger umgekommen, wenngleich ihr die Leute schön taten, ihr [Speisen] antrugen und sie so zu zwingen suchten, dass sie Speise und Trank zu sich nehme.

Ganz gewiss ist dieses Geschichtchen aus einer alten deutschen Chronik übersetzt worden. Ähnliche Sagen mögen auf demselben Wege unter dem südslavischen Bauernvolke Verbreitung gefunden haben. Die eigentlichen Sagen hat das Volk vergessen, den Namen aber auf Vorstellungen übertragen, die ihm viel geläufiger waren. Auf den Viljenak, den Gefährten der Vile (der südslavischen Waldfrauen) konnte der Name Škratelj keine Anwendung finden, weil sich das Volk unter einem Viljenak kein so bösartiges Wesen vorstellt; das Nächstliegende war, dass man an die Pest dachte, wozu zugleich die vom Volke angenommene Etymologie des Wortes eine scheinbare Berechtigung gab.

2 Vrgl. »Sbirka hrvatskih narodnih poslovicah i riečih sabrao Mijat Stojanović, u Zagrebu 1866. S. 255 f.

3 Von der Wurzel mar, zermalmen, davon lat. mors, slav. smrt. = der Tod. Mrviti = zerbröckeln, sowie malmen, in zermalmen gehen auf denselben Stamm zurück.

4 Vrgl. »Arkiv za povjestnicu jugoslavensku«. Agram 1859. B. V. S. 334.

5 Arkiv. Jahrg. 1863. S. 251–3. Vrgl. dazu die bosnische Erzählung von der Pestfrau, die Kaiser Konstantin nach Konstantinopel gebracht und in eine Wand eingemauert hat. Anthropophyteia I. S. 47 f.

6 Das ist ein Opfer und ein Opfer ist auch die in Russland unter Juden übliche Friedhofhochzeit gegen die Cholera. In Skiernewice, dem kleinen Städtchen in Russisch-Polen, wurde am 28. Juni 1894 auf dem jüdischen Friedhofe eine Hochzeit gefeiert, was laut einem alten Glauben ein wirksames Mittel gegen die Cholera sein soll. An diesem Tage wurde nämlich der ärmste junge Mensch des Ortes mit einem eben so armen Mädchen verheiratet. Sie erhielten eine Aussteuer, die ihre Zukunft sicherte und zu welcher Juden und Christen beitrugen. Fast die ganze Einwohnerschaft, mit Branntweinflaschen in der Hand, bewegte sich von Musik begleitet nach dem Friedhofe, tanzend und singend und über die Spässe der buntgekleideten Possenreisser lachend. Ähnliche Aufzüge wurden auch in Paris abgehalten, als die schwarze Pest dort so furchtbar wütete.

7 Vrgl. Ilić »narodni slav. običaji«. S. 301. Der deutsche Volkglaube bevorzugt Bibernell und Pimpernell gegen die Pest. Darüber veröffentlichte A. Treichel eine kleine, gediegene Abhandlung, die ohne Jahrzahl und Druckortangabe wohl um 1888 erschien.

8 Bei M. Valjavec, Narodne pripovjedke, skupio u i oko Varaždina. 1858. S. 242. Dieselbe Sage fast wörtlich wie bei Valjavec bei L. Ilić in den Narodni slavonski običaji. Zagreb. 1846. S. 299 f.

9 Von Ilić a. a. O. S. 302 f.

10 Bulen = Mosliminnen; Saraj, Serail = Königburg.

11 Hrvatske narodne pjesme i pripoviedke iz Bosne skupio N. Tordinac. Vukovar 1883. S. 30 f.

12 Im Text morija. Kad morija Mostar pomorila, Sve pomori.

13 Arkiv, Jahrg. 1863.

14 Arkiv, B. VII, p. 242.

15 Kad su se Gradski Vrhovci nastanili, svukli su se brat i sestra goli i zapregli su u gluvo doba noći dva crna od jedne matere vola i oborali su selo, da ne može kuga u njem vladati. — Ein bosnisches Guslarenlied meiner Sammlung vermeldet von der Burg, ihrem Besitzer, der ein kühner Kämpe war, und dem Dörfchen. Diese Handlung spielte sich in der ersten Hälfte des XVII., der von Tadić aber berichtete Vorgang am Anfang des XIX. Jahrhunderts ab. Nach dem Abzug der Türken oder Moslimen erhob man das verwüstete Städtchen Požega zu einer königlichen Freistadt und teilte ihr die verödeten Dörfer und Ländereien weit in der Runde als Besitz zu. Wie mir um das Jahr 1870 Bauern aus Vrhovci erzählten, kamen ihre Grosseltern, bosnische Serben, als Ansiedler dahin. Auch Tadić hat davon Kunde, was er ja mit nastanili andeutet. Man darf ruhig annehmen, dass die Bauern, bräche eine Pestilenz aus, wieder eher zehnmal das Dorf auf gleiche Weise umackern liessen, bevor sie einmal geschulte Ärzte zu Hilfe und zur Abwehr der Krankheit beriefen.

16 Dass diese Anweisung wirklich von den Bauern befolgt wurde, und zwar in Syrmien, bezeugt auch Vuk im Wörterbuche unter oborati, S. 432, b. Über die Entblössung als Mittel zur Geisterbannung vrgl. Anthropophyteia I. S. 1 f. und IV. S. 171 ff. Spuren dieses Brauches finden sich bei allen verwandten Völkergruppen. (Vrgl. Mannhardt, Der Baumkultus der Germanen und ihrer Nachbarstämme. Berlin, 1875. S. 553–565.) — Besonders wichtig ist für uns die Tatsache, dass der im Texte beschriebene Brauch auch in jüngster Zeit in Russland als in voller Geltung bestehend beobachtet wurde. Noch im Jahre 1871 suchten die Landleute im Dorfe Davydkovo bei Moskau beim Herannahen der Cholera die Krankheit gleichsam zu konsignieren. Zwölf Jungfrauen spannten sich um Mitternacht an einen Pflug und zogen ihn rund um das Weichbild des Dorfes. In diesen Zauberkreis sollte die Cholera nicht mehr eintreten können. Einige Tage darauf entschloss sich die Geistlichkeit des Ortes, mit allen heiligen Geräten eine Prozession um die ausgezogenen Pflugscharfurchen zu machen, um dem Zauberkreise auch noch ihre ganz christliche Weihe zu geben. Die Mordwinen im Gouvernement Simbirsk umziehen, sobald sich in den umliegenden Orten eine Viehseuche zeigt, nachts ihr Dorf mit einer Furche. Der Ortvorstand ladet behufs dessen ehrwürdige Greise und unschuldige Jünglinge und Mädchen zu sich ein. Einer der Greise schreitet mit dem Heiligenbilde voran und hinter ihm ziehen Jünglinge den Hakenpflug, den eine keusche Jungfrau lenkt. Ohne Geräusch und Rede, in lautloser Stille umfurchen sie die Ortschaft. Bisweilen tragen die Ackerer, gleichsam als Opfer, ein schwarzes Kätzchen im Kober mit sich. Aus anderen russischen Ortschaften teilen Orest Miller und Tereščenko andere Einzelheiten über den Brauch des Pflugziehens mit. (Opaktiovanie.) Bei einer Hornseuche des Viehs versammeln sich die Weiber im blossen weissen Hemde, mit Besen und Schaufeln oder mit Sensen und Sicheln bewaffnet. Die älteste unter ihnen wird vor einen Pflug gespannt und muss ihn dreimal rund um das Dorf ziehen; die übrigen folgen unter Absingung gewisser für diese Gelegenheit traditioneller Lieder. Nach Tereščenko schreitet eine Jungfrau mit dem Bilde des hl. Blasius (Vlas) voran, hinterher die Dorfweiber mit Besen und Strohbündeln, andere auf Besenstielen reitend und Bratpfannen schlagend, lärmend und tanzend; den Schluss machen einige alte Frauen, welche angezündete Kienspäne in den Händen halten und im Kreise die vor den Pflug gespannte Greisin, sowie eine Witwe umschliessen, die mit nichts anderem als einem Pferdekummet am Halse bekleidet ist. Vor jedem Hofe macht die Prozession Halt und führt hier mit Töpfen und Pfannen eine Katzenmusik auf, indem man ausruft: »Da ist der Kuhtod! Da geht er!« Läuft zufällig ein Hund oder eine Katze vorbei, so wird das Tier als der leibhaftige Kuhtod (der Krankheitgeist) ergriffen und getötet. Dieser Brauch gilt als vorzügliche Vorkehrung gegen die Viehseuche. (Dass dieselbe Anschauung bei den Südslaven vorherrscht, ersieht man aus den Sagen, die den Schluss dieses Aufsatzes bilden.) Ein anderer wird als wirksam gegen verschiedene epidemische Krankheiten betrachtet. Die Weiber richten um Mittag auf jedem Ende des Dorfes einen Haufen von Wirtschaftabgängen auf und stecken beide um Mitternacht in Brand. Zu einem Feuer ziehen die jungen Mädchen in weissen Hemden und mit lose fliegenden Haaren einen Pflug; eines trägt ein Heiligenbild hintennach. Zur zweiten Brandstelle am entgegengesetzten Ende der Dorfstrasse tragen die alten Frauen, schwarz gekleidet, einen schwarzen Hahn und führen ihn dreimal herum. Dann ergreift eine Alte den Hahn und läuft damit zum Feuer der Mädchen am anderen Dorfende, indes der ganze Haufe das Geschrei laut werden lässt: »Stirb, verschwinde, schwarze Seuche!« Dort angekommen, wirft sie das Tier in die Flammen. Die Weiber ziehen jetzt den Pflug dreimal um die Dorfgrenze. Die Ackerfurche ist heilig. Ihre Überschreitung rächt sich durch Tod oder Krankheit. Über das Umpflügen vrgl. noch das vortreffliche Werk Bernhard Sterns, Geschichte d. öffentl. Sittlichkeit in Russland. Kultur, Aberglaube usw. Berlin 1907. S. 480–482.

Ein achtunddreissig zwölfsilbige Verse langes südslavisches Bittgebet der Bauern gegen die Pest findet sich in den Jačke ili narodne pěsme prostoga i neprostoga puka Hrvatskoga po župah šoprunskoj, mošonjskoj i želěznoj na Ugrih, skupio Fran Kurelac. U Zagrebu, 1871, S. 288 f. Jesus, die Mutter Gottes, der hl. Sebastianus, der hl. Rochus und die heilige Rosalie werden als Schutzpatrone gegen die Pest angerufen. Das Lied, wohl eines der schwächsten der ganzen Sammlung, dürfte einen katholischen Priester zum Verfasser haben. Heidnische Reminiszenzen kommen darin gar nicht vor. Aufgezeichnet wurde dieses angebliche Volklied in Klein-Warasdorf etwa um das Jahr 1856.

17 Diese Sage ist aus Slavonien. Sie wurde in Velika Kopanica in der ehemaligen Militärgrenze im Jahre 1841 von M. Stojanović aufgezeichnet. Vrgl. dessen »Narodne pripoviedke« p. 208–210.

18 Arkiv za povjestnicu Jugoslavensku. B. V. (1859), p. 334.

19 In einer anderen Sage werden dem Teufel folgende Worte in den Mund gelegt: »Kurulunku oporunku abadi nakolinki sint«, und das soll bedeuten: »Halsstarrige Weiber sind schlimmer als der leibhaftige Teufel, und der Teufel zieht es vor, fünftausend Jahre lang die Hölle nicht zu verlassen, als auf dieser Welt ein furchtloses Weib in Versuchung zu führen.« Die Geister sprechen auch bei den Deutschen eine ganz eigentümliche, nur Eingeweihten verständliche Sprache. Vrgl. Paul Sartori, Am Urquell. 1894. S. 25.

20 Hrvatske narodne pjesme i pripoviedke u Vrbovcu sakupijo Rikardo Ferdinando Plohl Herdvigov. I. U Varaždinu 1868. p. 102 f.

21 Vrgl. »Život i običaji naroda srpskoga« von Vuk Karadžić. Wien 1867. p. 220.

22 Die erstere Sage bei Valjavec, S. 244. Die letztere nach einer brieflichen Mitteilung.

23 Die Todgöttin Hella wohnt in der Unterwelt. Sie holt nicht selber die Menschen, sondern die Toten gehen zu ihr, aber in Pestzeiten reitet sie auf einem dreibeinigen Pferde umher. A. Wuttke a. a. O. S. 33.

24 Arkiv B. VII, p. 252 f.

25 Arkiv. B. VII, p. 253.

26 Narodne basne. Skupio ih po Boki, Crnojgori, Dalmaciji a najviše po Hercegovini Vuk vitez Vrčević. Ragusa 1883.

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