Vom wunderbaren Guslarengedächtnis.

Es gibt nicht wenige Leute, namentlich unter den Südslaven, die den Guslaren ob seiner Gedächtnisstärke als ein masslos Wunder anstaunen und aus nationaler Eitelkeit gar den Glauben hegen und verbreiten, dass dies Wunder eine südslavische Eigentümlichkeit sei. Da erzählt man von einem Guslaren, der 30, von jenem, der 70 und von einem dritten, der 100 000 und mehr noch Verse in den Speichern seines Gedächtnisses verwahrt mir nichts dir nichts mit sich herumträgt und jederzeit bereit ist, sich hören zu lassen. An der Zuverlässigkeit der Angaben, an deren Feststellung ich als einer der ersten beteiligt bin, ist nicht zu rütteln; um so mehr fühle ich mich verpflichtet, das vermeintlich Mystische der Erscheinung ins klare Licht zu setzen. Wunder muss man von der Ferne betrachten und an sie glauben. Der Wunderglaube ist das Kokaïn der Forschung. Eine kleine Einspritzung davon beeinträchtigt schon die geistigen Verrichtungen derart, dass ein gesundes, wissenschaftlich gerechtfertigtes Urteilfassen fast völlig erlahmt. Solches Glauben ist ein Zustand, eine Erscheinungform individuell verminderter Zurechnungfähigkeit. Dem nüchternen Forscher liegt es ob, die Dinge in der nächsten Nähe zu prüfen und sie in ihre kleinsten Bestandteile zu zerlegen, um ihr wahres Wesen zu ergründen.

Mir flösst ein noch so tüchtiges Gedächtnis geringe Ehrfurcht ein, weil ich mich selber mit dem meinigen zufrieden geben darf und, soweit ich zurückdenke, immer dazu geschaut habe, um es mir zu bewahren. Mich reizte es, herauszukriegen, wie es die Guslaren machen, um so zahllose Verse im Kopfe zu behalten. Vor allem besah ich mir genau den Vorrat eines Guslaren an Stoffen und die Mittel seiner Darstellung. Zunächst fand ich heraus, dass die Zahl der Stoffe durchgehends bescheiden ist, indem sie bei einem Manne zwischen acht bis dreissig schwankt und dass diese wieder untereinander verwandt sind oder auch, dass sich der Guslar wiederholt. Andererseits zeigte es sich, dass der Guslar auch mit stereotypen Beschreibungen und Schilderungen wirtschaftet, wodurch sein eigentlicher Besitz an Darstellungmitteln beträchtlich zusammenschrumpft. Gäbe sich einer Mühe, könnte er am Ende sogar eine gewisse Gesetzmässigkeit feststellen, nach der sich die stereotypen Klichés ablösen müssen, um im Sinne des Guslaren ein ganzes Lied hervorzubringen.

Der Guslar erfindet nichts mehr von Belang, nachdem durch die Jahrhunderte alte Überlieferung die stehenden Formeln, von denen er weder abweichen kann noch will, in Fülle für seinen Gebrauch vorhanden sind. Um ein neues Lied, d. h. ein ihm bis dahin nur stofflich unbekanntes in sein geistiges Eigentum aufzunehmen, braucht ein geübter Guslar, der die Klichés so ziemlich inne hat, nur genau aufzuhorchen, in welcher Reihenfolge die Klichés und in welchen kürzeren oder längeren Fassungen, oder, in welchen Verbindungen sie in dem neuen Stücke vorkommen. Wenn er gewissenhaft ist, nimmt er auch vom Vorsänger sprachliche Eigentümlichkeiten mit in den Kauf.

Probieren geht übers Studieren. Am 18. März 1885 notierte ich vom Guslaren Ilija Krstić Jukić ein Lied von 78 Zeilen und am 4. Oktober 1885 liess ich mir es wieder von meinem Reisebegleiter, dem Guslaren Milovan vordiktieren, der es sich 7½ Monate vorher auf mein Geheiss zu merken hatte. Beide Fassungen decken sich, wie man sich aus meiner Abhandlung über das Bauopfer bei den Südslaven (Wien 1887), wo sie abgedruckt stehen, überzeugen kann. Ein andermal notierte ich nach einem Zeitraume von neun Monaten von Milovan dasselbe Lied (von 458 Versen) zum zweitenmale. Die Variation ist so unbedeutend, dass sie der Rede nicht wert erscheint; man vergleiche die beiden Texte in meiner Schrift: Das Burgfräulein von Pressburg. Budapest 1889. (Ethn. Mitt. aus Ungarn). Ich darf nicht unerwähnt lassen, dass gerade dies Lied ein Hauptstück seines Repertoires ist, das er im Laufe von 30 oder 35 Jahren gewiss an zweihundertmal vorgetragen hat.

Ich habe 127 Guslaren näher kennen gelernt. Nur ein einziger unter ihnen war mit zeitlichen Gütern gesegnet1 sonst waren es durchweg arme Burschen, viele sogar bettelarm, auch wenn es ihnen weder an Gesundheit noch an Rüstigkeit zur Arbeit fehlte. Guslaren sind aber keine Arbeiter, sondern lieben das dolce far niente, das Träumen und Nachsinnen, das Fabulieren und Musizieren (sit venia verbo!), um ihre Lieder immer und immer wieder zu wiederholen, damit sie sie nicht vergessen2.

Im Grund genommen, macht es der Guslar nicht anders als unsereiner von der Feder, wenn wir etwas unserem Gedächtnisse fest einprägen wollen: wir memorieren oder studentisch: wir büffeln es uns ein. Genau betrachtet, ist das Wissen und Können selbst des trefflichsten Guslaren eine Kleinigkeit dem gegenüber, was sich alles unsereiner merken muss, um den umstrittenen Titel eines Gelehrten zu behaupten.

Ich machte auch die Wahrnehmung, dass fast jeder Guslar sein spezielles Genre hat, der eine pflegt den Prinzen Marko und dessen Zeitgenossen, der andere Mujos und Aliles Taten, der dritte fühlt sich auf ungarischem Boden heimisch, der vierte verherrlicht vorwiegend Hajduken, der fünfte schätzt über alles Heiligenlegenden und Wunderbegebenheiten, ein sechster liebt die Helden der Neuzeit des Serbentums usw. Gerade durch solche Spezialisierung wird jedem die Beherrschung seiner Stoffe bedeutend erleichtert. Sang mir ein Guslar fünf oder sechs seiner »besten« Lieder, wusste ich schon beiläufig, woran er ist und woran ich bin. Trug er mir Lieder vor, die ich schon aus gedruckten Sammlungen kannte, liess ich ihn gehen, oder, wenn ich von einem mehrere Stücke schon aufgezeichnet hatte und er ein neues mit breiten Wiederholungen aus früheren ausstattete, stellte ich das Schreiben ein, ausser die Fabel bot mir irgend einen ethnologisch bemerkenswerten Zug dar, den ich als Beleg für eine Sitte oder einen Brauch einmal verwenden zu können glaubte.

Eine Frage bleibt noch offen: wie behält der Guslar sein Wissen an Liedern in Evidenz? Wie kommt es, dass einer eine oder zwei Wochen lang Tag für Tag ohne merklich darüber nachzudenken ein Lied nach dem andern vortragen kann, ohne dasselbe Lied wieder von neuem anzustimmen? Wie helfen wir Schriftsteller uns in einer ähnlichen Lage? Wir legen uns zu unserer Bequemlichkeit einen geschriebenen Katalog an. Der Guslar, der des Lesens und Schreibens unkundig ist, schreibt natürlich keinen Katalog, doch verfasst er sich gerade so wie wir einen und, was wir wieder nicht tun, er lernt seinen auswendig. An der Hand dieses mnemotechnischen Behelfes kann er über seinen Liederschatz hübsch in Ordnung verfügen.

Ein derartiges Verzeichnis will ich hier bekannt geben. Selbstverständlich ist es poetisch wertlos, obgleich es sich in der Form eines Liedes gibt, aber man muss es als Lied gelten lassen, wenn man es mit der Mehrzahl der Erzeugnisse montenegrischer Guslarendichter zusammenstellt, die ja im Grossen und Ganzen auch nichts anders sind, als dürre Aufzählungen, denen Poesie, Witz und Humor als unbekannte Elemente fremd geblieben sind.

Ich behaupte nicht, dass jeder Guslar seine Lieder in einen Katalog einsetzt, der für sich so zu sagen ein Lied gibt. Andere unterstützen ihr Gedächtnis mit etwas anderen Mitteln. Gewöhnlich greifen sie den Namen des Haupthelden des Liedes heraus und bringen ihn in einen Vers. Dieser Vers dient ihnen meist auch als Titel zum Liede; es ist das Schlagwort unter dem sie das betreffende Lied führen. Andere wieder, bei denen geographische Vorstellungen vorherrschen, müssen sich an Örtlichkeiten erinnern, um ein Stück hersagen zu können. Gar selten sind Guslaren, die unter allen Umständen in jeder Laune und Stimmung vorzutragen vermögen. Jeder muss sich erst besinnen. Sehr wenige Guslaren schauen während ihres Vortrages den Zuhörern ins Gesicht; vielmehr wenden sie ihre Augen entweder abwärts oder aufwärts und schneiden dazu, mitunter ergötzliche Grimassen. Das Augenbrauenfurchen und Stirnrunzeln, das bei dem Gesange aus dem Gesicht nicht weicht, zeugt schon für eine erhöhte Gedankentätigkeit. Eines hat man sich auch noch gegenwärtig zu halten, dass die Guslaren ihre Lieder nicht erst in reifen Mannjahren lernen, sondern sie sich schon von früher Kindheit an, zu einer Zeit, wo man Eindrücke leicht aufnimmt und sie noch leichter festhält, anzueignen pflegen3. Der Guslar arbeitet also sein Lebelang ausschliesslich an der Behauptung und zum Teil Ausgestaltung seines in den Jugendjahren erworbenen geistigen Besitzes. Es ist daher nichts wunderbares daran, dass er ihn bis ins späte Alter hinein behält. Mein Milovan kennt 30–40 000 Verse, ist aber trotzdem kein Gedächtniskünstler. Ich hatte ihn nach Wien mitgenommen und vier Monate lang bei einer deutschen Familie verpflegen lassen. In der Zeit hatte sich der Mensch keine zwanzig deutschen Worte gemerkt, dagegen konnten sich die zwei Töchterlein seiner Wirtleute mit ihm schon leidlich serbisch verständigen.

Am 19. Jänner 1885 verhörte ich den Guslaren Ljuboje Milovanović aus Bogutovo selo, einen griechisch-orientalischen (oder altgläubigen, wie die Schwaben in Slavonien sagen) Christen. Seine Spezialität bildet der Vortrag von Legenden, die von serbischen Heiligen und Kirchenbauten oder Stiftungen handeln. Einen grossen Teil dieser Lieder findet man schon in älteren Sammlungen gedruckt vor. Da sich dabei für meine Studien wenig gewinnen liess, zeichnete ich nur zum Zeitvertreib mehrere Stücke Ljubojes auf, und als er mich fragte, welches er mir noch vorsingen solle, sagte ich gleichgültig: ‘Sing mir, was du glaubst, dass mir nötig sein wird.’ Mir gewährt auch die mechanische Arbeit des Schreibens Vergnügen, wenn die Feder rasch über glattes Papier gleitend Buchstaben für Buchstaben hinsetzt und Reden festhält. Man hat dabei blutwenig zu denken, erholt sich und ist doch nicht ganz müssig. Ljuboje sang die nachfolgenden 31 Zeilen und machte Halt, so dass ich aus meiner Träumerei beim Schreiben aufwachte. ‘Nun, warum singst du nicht weiter?’ — ‘Es ist zu Ende. So habe ich es von meinem Vater übernommen. Weiter geht es nicht.’ — ‘Ja, Liebster, das ist ja gar kein Lied, sondern nur eine Aufzählung’ (naklapanje). — ‘Ich weiss nicht mehr. Darin habe ich aufgezählt, von welchen Stiftungen ich Lieder vortragen kann. Jetzt magst du aussuchen, welches dir nötig sein wird.’ Im Verlauf der weiteren Unterhaltung stellte es sich heraus, dass er auch ausserhalb seines Kataloges mehrere Lieder von den Taten des Prinzen Marko und den Umtrieben der Vilen inne habe. Die zeichnete ich auf.

Sein Katalog, wie er sich ihn gemerkt hat, scheint übrigens durch den Ausfall mehrerer Verse in Unordnung geraten zu sein. Die ursprüngliche Fassung dürfte aus lauter dreizeiligen Strophen bestanden haben. Die beiden vierzeiligen Schlusstrophen enthalten je eine Zeile zu viel. Vom 16–24 V. fehlt die Gliederung.

Njemanićâ blago zadužbine. Die Stiftungen aus dem Schatz der Njemanić.
Zbor zborila gospoda riśćanâ, Berieten Rat des Christenvolks Gebieter,
kut se ždjede Njemanićâ blago? wohin der Schatz der Njemanić geraten?
Tu se trepi Njemanićâ Savo: Hier traf sich Sabbas Njemanić zugegen:
— Braćo moja, gospoda riśćanâ, O Brüder mein, des Christenvolks Gebieter!
5 ne čudte se moja braćo draga, Seid nicht verwundert meine teueren Brüder,
kut se ždjelo Njemanićâ blago. wohin der Schatz der Njemanić geraten.
Gradili su mloge zadužbine. So manche fromme Stiftung auf sie führten,
10 Najnaprijed jesu načinili, vor allem andern haben sie erbaut,
načinili tri Gjurgjeva stupa. erbauten sie die drei Georgensäulen.
Pa iza tog jesu načinili, Nachdem sie dies errichtet, dann erbauten,
načinili visoke Dečane, erbauten sie die Dečani hochragend,
ja Dečane od dvanajs kubeta. die Dečani mit Kreuzgewölben zwölf.
Pa iza tog jesu načinili, Nachdem sie dies errichtet, dann erbauten,
načinili bjela namastira, erbauten sie das weissgetünchte Münster,
15 namastira blizu Tävne vode, das Münster in des Tavna-Flusses Nähe,
Filendara kod Novog Pazara, das Kloster Filendar beim neuen Pazar,
Miloševku na Hercegovini, die Miloševka in dem Herzogtume,
ja Dovolju na krajini ljutoj auch Dovolja im grimmigen Grenzgebiete,
Ozren crkvu sred sredi Ozrena, die Ozren-Kirche in dem Herz von Ozren,
20 Jalovnicu u dnu Birča donjeg, am Grund von Unter-Birač Jalovnica,
ja Papraču u sred Birča gornjeg; die Paprača in Mitten Ober-Birač’s,
na pošljetku dvije mirske crkve zu allerletzt noch zwei Gemeinde-Kirchen:
na Mačkovcu i na Dragaljevcu. zu Mačkovac und zu Dragaljevac.
Pa iza tog, što je ostanulo, Was übrig blieb, nachdem sie dies errichtet,
25 ostanulo nebrojena blaga, was übrig blieb an ungezählten Schätzen,
gradili su po kalu ćuprije, dafür sie Brücken bauten über Sümpfen,
po vodama i po kalovima. sie überbrückten Flüsse wohl und Sümpfe,
Pa iza tog, što je ostanulo, Was übrig blieb nachdem sie dies errichtet,
ostanulo nebrojena blaga, was übrig blieb an ungezählten Schätzen,
30 dijelili kljastu i sakatu, verteilten sie dem Lahmen und dem Krüppel,
dijelili nijemu i sirotnu. verteilten sie dem Stummen und Verwaistem.

Der Titel vom Guslaren. In Njemanić liegt eine Volketymologie vor, indem der Guslar den Namen von nijem (stumm) ableitet. Die richtige Form ist Nemanja. Stefan N. (1159–1195) serb. König war Stifter der nach ihm benannten Herrschersippe (1159–1367). Sein Sohn Sava (Sabbas) ward vom Patriarchen zum serb. Erzbischof eingesetzt. S. richtete in Serbien zwölf Bistümer ein. Zur Ehrung seines Andenkens ist seit der Mitte dieses Jahrhunderts unter den serbischen Städtern der Brauch eingeführt worden, den Gedenktag mit einer nationalpatriotischen Festversammlung unter Veranstaltung von Festvorträgen alljährlich feierlich zu begehen (Svetosavska besjeda). Was alles bei diesen Anlässen dem heiligen Sabbas nachgerühmt wird, hat ebenso grossen Anspruch auf geschichtlichen Wert, wie die Angaben des Guslaren über die Stiftungen. Die Nemanjić sind durch einen gleichen volkpsychologischen Prozess, wie Prinz Marko zum grössten Helden und Befreier, zu Wohltätern des Serbenvolk hinaufgefabelt worden.

Zu V. 1. Riśćani sind die altgläubigen, Krśćani die katholischen Christen. Zur Zeit der Entstehung dieser Art Guslarenlieder war das Nationalitätprinzip und was drum und dran hängt, noch nicht erfunden. Das Bauernvolk hält sich noch an die alte, konfessionelle Scheidung, und Konfession deckt sich bei ihm begrifflich so ziemlich mit Nation.

Zu V. 9. Gemeint sind wahrscheinlich die »Georgsäulen« bei Novi Pazar; eine Klosterkirche, nach einem Guslarenliede eine Stiftung Simon Nemanjićs.

Zu V. 11. Dečani, eine Klosterkirche, Stiftung König Stefan Uroš III (1330) in der Metohija, im südöstlichen Serbien gelegen. »Hohe D.«, weil die Kirche auf einer Anhöhe, das gleichnamige Dorf aber unten im Tale lag.

Zu V. 15. Tavna, ein Flüsschen zwischen Tuzla und Koraj. Das Kloster heisst trojica (Dreieinigkeit). Bei einem Chrowoten las ich einmal, der Name Tavna wäre uraltillyrisch. Warum, mögen die Götter wissen. Das Wasser hat ja wirklich durch den Boden und die grünen Hänge eine dunkle Färbung, so dass die Bezeichnung tavna voda (dunkles Wasser) im serb. gerechtfertigt ist.

Zu V. 16. Filendar; gewöhnlicher ist die Namensform Hilandar (f für h, wie Foča statt Hoča), gr. Χελαντάριον, ein Kloster auf Athos. Seiner gedenkt schon eine serb. Urkunde aus d. J. 1198.

Zu V. 17. Gewöhnlichere Namenform Miloševa, Milješevka.

Zu V. 18. Dovolja, Kloster am rechten Ufer der Tara, Bosnien, erbaut 1707.

Zu V. 19. Ozren, Klosterkirche, 5 Stunden Weges von Maglaj a. d. Bosna entfernt. Ist nach der österr. Okkupation wieder hergestellt worden. Gegründet im 14. oder 17. Jahrh.

Zu V. 20. Jalovnica, nur noch eine kleine Dorfkirche im Birač-Kessel oberhalb Zvorniks.

Zu V. 21. Auch Papraća und Papratnja geheissen. Liegt in Trümmern.

Zu V. 22. Mirski, vom türk.-arab. mîrî, Staatgut.

Zu V. 23. Zu Mačkovac und dem ihm benachbarten Dörfchen Dragaljevac sah ich recht kleine Kirchlein. Zum Popen in M., der mir seine Kirche als ein Altertum zeigte, sagte ich: »Mir scheint, der Erbauer war kein Baumeister, vielmehr ein Töpfer. Der Bau kann doch nicht alt sein!« — »Ja, den Bau haben wir noch unter türkischen Drangsalen und Bedrohungen vor dreissig Jahren aufgeführt, doch fanden sich an derselben Stelle Fundamente vor, die einer Kirche angehört haben müssen, weil ja hier ein alter Friedhof herum ist.« — Es fielen mir auf dem Bestattungorte 7 oder 8 freistehende, mannhohe Balkengerüste auf, die oben flach mit Brettern bedeckt waren. Ich wusste nicht, wozu sie dienen. Der Pope erklärte mir, seine Pfarrkinder hätten seit jeher den Brauch, nach einem Begräbnisse auf diesen Gerüsten den Leichenschmaus abzuhalten. Er tadelte daran nur, dass sich die Trauergäste dabei bis zur Bewusstlosigkeit mit Branntwein zu berauschen pflegen. Anderweitig traf ich nirgends im Lande auf Friedhöfen derartige Gerüste an.

1 Zu Borki im Herzogtum lebt ein Beg, ein wirklicher Grossgrundbesitzer, der ein ausgezeichneter Guslar ist. Seinen Reichtum hat er ererbt, nicht selber erworben. Im Auftreten und Gehaben unterscheidet er sich in keiner Beziehung von seinen gänzlich mittellosen Sangbrüdern. Sogar sein Anzug war vernachlässigt. Jeder Guslar ist mehr oder weniger ein Schlampsack, wie man wienerisch sagt.

2 Nicht anders steht es mit den Reigenführerinnen (Kolovogje), die zugleich Vorsängerinnen sein müssen. Sie verbringen ihr Leben mit dem Lernen und Lehren alter und neuer lyrischer Lieder, vergeuden die Zeit, vernachlässigen die häusliche Wirtschaft und verstehen es nicht, des Hauses Wohlstand zu vermehren. Viele drastische Sprichwörter warnen vor einer Ehe mit solchen Kennerinnen der Überlieferung. An Analogien dazu bei anderen Völkern herrscht Überfluss.

3 Man lese zur Erläuterung die autobiographischen Bekenntnisse der Guslaren Mehmed Dizdarević (in ‘Bojagić Alilens Glück und Grab’, Intern. Archiv f. Ethnogr. B. IX. 1896. S. 31 des S. A.) und Omer Šestanović (in der Festschrift f. A. Bastian, Berlin, 1896, S. 333 f.) nach. Fragte ich pflichtgemäss nach jeder erfolgten Niederschrift Guslaren, von wem sie das Stück übernommen hätten, bekam ich häufig beschieden: ‘Das weiss ich nicht mehr. Es ist schon lange daher. War ein Hirtlein noch, als ich es von jemand singen hörte und habe es mir gemerkt’.

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