Wolf Feuerdrache.

Tiernamen als Namen von Geschlechter-, Stamm- und Sippenverbänden und besonders einzelner Familien oder noch häufiger einzelner Personen wurzeln ihrem Ursprung nach meist in totemistischen Vorstellungen. Das Tier ist zugleich Totem des nach ihm benannten Individuums oder Verbandes. Aus einer Urzeit — man fasse dies Wort in Ermanglung eines zutreffenderen nur als relative Bezeichnung auf — erbt sich der Totemismus auch unter europäischen Völkerschaften als Überlebsel noch fort. Wir begegnen ihm zumal dort, wo noch Sippen- und Geschlechterverbände vorkommen. So auch bei den Südslaven, obgleich sich die Mehrzahl von ihnen seit einem Jahrtausend zum Christentum und ein starker Bruchteil zum Islam bekennt. Das »obgleich« ist freilich nicht ganz passend; denn die von den südslavischen Völkern nach ihrer Art rezipierte monotheistische Religion steht in ihrer volktümlichen Fassung dem Totemismus ohnehin nicht ferne. Tiernamen kommen bei den Südslaven ungemein häufig als Familien- und noch mehr als Personennamen vor. Am gewöhnlichsten sind vuk (Wolf), zmaj (Schlange, Drache), selten kuna (Marder). Als Toteme sind diese Tiere international. Der südslavische Bauer benennt sein Kind mit einem solchen Namen, um ein frühzeitiges Sterben des Kindes zu verhüten. Er stellt also sein Kind unter den Schutz des Namens. Das ist genug bekannt. Es kommt indessen auch eine Kombinierung zweier Totemnamen vor, so vuk-zmaj, oder vuk-zmaj ognjeni = Wolf-Feuerdrache. Diesen Namen hatte ein Mitglied des serbischen Fürstenhauses Nemanjić. Er war ein Held seinerzeit, von dem man noch mancherlei im Volke singt und sagt, trotzdem etwa 500 Jahre seit dem Ableben des Helden vergangen sind. Weil es ein Held war, deutet der Volkdichter den Namen anders als nach dem üblichen Glauben und dichtet eine besondere Wundersage dazu, um eben für den Namen und die Heldentaten des Kämpen eine Erklärung geben zu können. Ein Beleg hierfür ist nachfolgendes Guslarenlied aus Bosnien:

Rodio se zmaj ognjeni Vuče. Von der Geburt Wolfs, des Feuerdrachen.
Dvore gradi slijepac Grgure. Ein Burggehöfte baut Georg der Blinde.
Kad bijele dvore sagradio, Nachdem er’s weisse Burggehöft erbaut —
malo vrime, za dugo ne bilo, Nach kurzer Frist, es währte nicht zu lange,
viš njeg stoji vijernica ljuba, Sein treues Ehlieb ihm zu Häupten steht,
5 ona roni suze niz obraze; über die Wangen strömen ihr die Tränen;
otište se suza od obraza es schnellt sich eine Träne von der Wange
pa Grguru na bijelo lice. und fällt aufs weisse Angesicht Georgen.
Ljuto kune slijepac Grgure, In Gift und Gall’ verflucht Georg der Blinde,
ljuto kune svoje bjele dvore: verflucht in Grimm und Gall’ sein weiss Gehöfte:
10 — E da Bog da, moji bjeli dvore, — O wollt’ es Gott, dass du mein weiss Gehöfte,
je da Bog da, ostali mi pusti! o wollt’ es Gott, verwüstet lägst und öde!
Skoro sam vas junak prekrivao, Ich Held, ich liess dich jüngst erst neu bedachen,
što mi odmah tako prokisoste! was lässt du gar sogleich den Tau durchsickern?
Njemu veli vijernica ljuba: Es spricht zu ihm hierauf sein treues Ehlieb:
15 — Gospodare, slijepac Grgure! — O mein Gebieter, Herr Georg der Blinde!
ti ne kuni svoje bjele dvore; Halt ein, verfluche nicht dein weiss Gehöfte.
tvoji dvori njesu prokisnuli, Das Dach von dem Gehöft ist regensicher,
već ja ronim suze niz obraze; mir strömen Tränen übers Angesicht,
pa s otište suza niz obraza es fiel die Träne mir vom Angesicht
20 pa na tvoje prebijelo lice! und sank dir auf dein schneeig weisses Antlitz.
Nu šta veli slijepac Grgure? Nun hör die Antwort drauf Georg des Blinden:
— Što je tebi, moja vjerna ljubo? — Was fehlt dir denn, o meine treue Liebste?
Kaka ti je golema nevolja Welch übergrosses Ungemach bedrückt dich,
te ti roniš suze niz obraze? dass Tränen deine Wangen dir benetzen?
25 Ili ti je ne stanulo, ljubo, Wie? sollt es dir, o Liebste, gar gebrechen,
ne stanulo nebrojena blaga? an ungezählten Schätzen dir gebrechen?
Ili ti je ne stanulo vinca? Gebricht es dir an einem guten Tropfen?
Ili ti je ne stanulo ljepca? Gebricht es dir an einem schönen Hausbrot?
Njemu veli vijernica ljuba: Zur Antwort ihm sein Ehgemahl in Treuen:
30 — Ja Boga mi, mio gospodare! — So wahr mir Gott, mein teuerster Gebieter!
tog mi ništa nije ne stanulo, Von alledem gebricht mir ganz und gar nichts,
već u našem danas bjelom dvoru doch hat sich heut in unsrem weissen Hofe
muško nam se čedo nalazilo: ein seltsam männlich Kindlein vorgefunden:
po glavi mu vučka dlaka raste auf seinem Haupte wächst ihm Wolfbehaarung,
35 iz usta mu živa vatra sipa, aus seinem Munde sprüht lebendig Feuer,
iz nosa mu mavi plamen liže, aus seiner Nase lodert blaue Flamme,
crvena mu ruka do ramena. bis zu den Schultern rot ist ihm der Arm.
Pa sam se ja mlada prepanula! Drum bin ich junge Frau so sehr entsetzt,
S otog ronim suze niz obraze. und darum netzen Tränen mir die Wangen.
40 Njoj govori slijepac Grgure: Es spricht zu ihr der Herr Georg der Blinde:
— Šut, ne plači, moja vjerna ljubo! — O schweig und wein’ nicht, meine treue Liebste!
Rodio se zmaj ognjeni Vuče! Geboren ward der Feuerdrache Wolf!
Već ču li me moja virna ljubo, Doch hörst du mich, mein treues Ehgemahl!
ti sastavi gospodu rišćanâ, Beruf du ein zum Rat der Christen Herren
45 juzimajte čedo prenejako, und nehmt euch an des Kindleins zart und schwach
podajte ga Srijem zemlji ravnoj, und gebt’s nach Sirmium das ebne Land.
da ga rane medom i šećerom Man soll’s erziehn mit Honig und mit Zucker,
jä do sablje i do konja vrana. bis es zum Schwert und braunem Ross gedeiht.
Bog će dati pa će dobro biti! Gott wird’s gewähren, gut wird alles ausgehn!
50 Pa sastavi Grgurova ljuba Alsdann berief Georgens Ehgemahl,
pa sastavi gospodu rišćanâ: berief zum Rat der Christen Herren ein.
juzimaju čedo prenejako, Sie nehmen sich des zarten Kindleins an
pa ga daju Srijem zemlji ravnoj. und geben’s fort nach Sirmium, ins ebne.
Sve ga rane medom i šećerom Man nährt es gross mit Honig und mit Zucker,
55 jä do sablje i do konja vrana. bis es zum Schwert und braunem Ross gediehn.
Kako onda tako i danaske, Wie dazumal so auch am heutigen Tage.
odraniše čedo prenejako, Sie zogen gross das Kindlein klein und zart.
djetić bio, sat se spominjao! War das ein Kerl! man denk auch jetzt noch seiner!

Zu Vers 4. Der Mann liegt auf dem Wanddivan ausgestreckt. — V. 26. Ungezählte Schätze sind keineswegs zahllose Schätze, vielmehr meint Georg, er zähle seiner Gattin das Geld nicht zu. Sie dürfe nach Belieben vom Vorrat nehmen. Geld, Wein und weisses Weizenbrot sind das Um und Auf der Wünsche des Bauernvolkes. — V. 32. Der Guslar sang mir vor: ‘već su u našem danas b. d.’ Dazu wäre ein nalazili zu ergänzen. ‘Man fand das Kind.’ Ich liess das su im Texte des folgenden Verses halber aus. — V. 34 f. Ständige Merkzeichen aussergewöhnlicher Wunderkinder und Helden. — V. 37. crven = rot wie Gold nämlich. In Legenden haben zuweilen Wunderkinder goldene Arme. — V. 44. gosp. r. die Herren der Christenheit, d. i. den hohen Adel und die Spitzen der Geistlichkeit. — V. 46. Im Fruškagebirge Sirmiens gibt es eine stattliche Reihe sehr begüterter Klöster, wohin wohlhabende Serben ihre Knaben zur Ausbildung zu schicken pflegten. Der grössere Teil Sirmiens ist freilich eine Ebene. Vrgl. mein Buch: ‘Die vereinigten Königreiche Kroatien und Slavonien.’ — V. 49. Das prodigium ‘čudo’ könnte ein Unheil gleich einem Kometen oder dem Nordlicht oder einem zweiköpfigen Kalbe oder einem Eier legenden Hahne bedeuten. Er wehrt das Unglück ab, indem er »das gute Wort« sagt. — V. 56 sollte an letzter Stelle kommen.

Das Lied sang mir am 19. Januar 1885 der Guslar und Ackerbauer Ljuboje Milovanović aus Bogutovo selo in Bosnien. Er sagte mir, er habe es 46 Jahre vorher seinem Vater, einem eingewanderten Herzogländler, abgelernt. Ljuboje ist ein sauberer alter Bošnjak, der sich nicht wenig darauf einbildete, dass seine Lieder auch den Deutschen bekannt gemacht werden sollen. Er gewann mich lieb und erteilte mir einige gute Lehren mit auf die Wanderung, damit ich als Fremder gegen den Anstand nirgend verstosse. Ich notierte am Rande des Liedes: ako dogje ko u kuću pa zijeva ondar prostri mu da spava, drijemovan je; ako se proteže ondar traži ženkare da jebava pa ga valja istjerati a kat pljuca e podaj mu, gladan je, nek jede (Wenn einer ins Haus kommt und gähnt, deck ihm das Lager auf, damit er schlafe; denn er ist schläfrig; wenn er sich reckt und streckt, so sucht er Frauenzimmer, um seinen Trieb zu befriedigen, da muss man ihn hinausjagen, wenn er aber öfters spuckt, nun so gib ihm, er ist hungrig, er soll essen).

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