Es war zum erstenmal, dass die Prinzessin es wagte zu einem Stelldichein zu mir auf mein Zimmer zu kommen. Wenn es auch gefährlicher war mich aufzusuchen, als mich in ihren Gemächern zu erwarten, so wurde das Wagnis doch durch die vollkommene Ungestörtheit während des Beisammenseins selbst reichlich belohnt. Ich hatte einen Geschäftsbrief beendigt und sass vor meinem Pult, auf dem eine Kerze brannte, in einen Stuhl zurückgelehnt. Ich bemühte mich nicht an die nahe Stunde des Stelldicheins zu denken. Ich war weit davon entfemt die Prinzessin zu lieben oder sie zu begehren, durch meine Stellung und eine gewisse am herzoglichen Hofe herrschende Strenge war ich genötigt mich mehr zu zügeln, als ich es gewohnt war, und ich hatte eine gewisse Sehnsucht nach dem freien Leben in Italien und unwillkürlich kehrte ich in Gedanken immer wieder zum Bruder des Herzogs zurück, dessen zärtliche, fast verliebte Ergebenheit mich aufrichtig rührte. Nachdem ich meinen Brief versiegelt hatte, versank ich, den Kopf auf die Hand gestützt, in die bewegungslose Flamme der Kerze starrend, in Nachdenken. Von einem leisen Klopfen an die Tür geweckt, liess ich eine kleine Gestalt in einem dunkellila Mantel, der vom Regen fast schwarz geworden war, ins Zimmer. Es war Prinzessin Amalia. Ich beeilte mich sie an das brennende Kaminfeuer zu setzen und goss ihr ein Glas Wein ein. Glücklich lächelnd, reichte die Prinzessin mir, ohne ein Wort zu sprechen, die Hand, welche ich ehrerbietig an meine Lippen zog. Dann legte ich meinen Arm auf die Lehne des Stuhles, in dem Amalia sass. Sie schmiegte sich an mich und blickte zärtlich und glücklich zu mir auf. Der Wind rüttelte an den Fensterrahmen, über den Mond jagten Wolken, der Regen schien aufgehört zu haben. Es klopfte wieder an die Tür, dieses Mal schnell und fest; Amalia sprang erbleichend auf.
„Was ist das?“ flüsterte sie.
„Seid ruhig, fürchtet Euch nicht,“ flüsterte ich, sie wieder in den Stuhl drückend, den ich mit seiner hohen Lehne zur Tür kehrte, nachdem ich über die Prinzessin einen grossen orientalischen Schal geworfen hatte. Man fuhr fort, immer stärker an die Tür zu klopfen und die Stimme Philipp Ludwigs wurde laut:
„Meister, Meister, ich bin’s, Prinz Philipp, machet auf!“
Die leuchtenden Augen des Jünglings, sein erregtes, ungleich gerötetes Gesicht, seine bebenden Hände, zeugten davon, dass sein Zustand ein aussergewöhnlicher sei.
„Was ist mit Euch, mein Freund?“ sagte ich, ein wenig zurücktretend.
„Ich habe mich entschlossen . . . ich bin entschlossen . . . und hier bin ich, um es Euch zu sagen . . .“ stiess der Prinz, der in seiner Erregung fast schön war, mit Unterbrechungen hervor.
„Beruhiget Euch, vielleicht wird es Euch gelegener sein, mir später das mitzuteilen, was Ihr auf dem Herzen habet?“
„Nein, nein! Jetzt! Gleich, o Meister! Höret, ich habe mich entschlossen. Ich schütte mein Herz vor Euch aus . . .“ rief der Prinz, und noch ehe ich die Möglichkeit hatte, irgend etwas zu tun, warf er sich in den Lehnstuhl, auf dem die versteckte Amalia sass.
Ein zwiefacher Schrei gellte durch das Zimmer: der Prinz hatte den Schal von Amalia, die, in eine Ecke des Stuhles gedrückt, ihre Augen zusammenkniff, heruntergerissen und starrte sie an wie einen Basilisk.
„Meister, ich hasse Euch . . .!“ zischte er, als er mir sein in Tränen gebadetes Gesicht zukehrte, und lief, die Tür hinter sich zuschlagend, aus dem Zimmer.