Zweites Kapitel

Ich trat dem Diener nach eilig in das grosse rote Zimmer, in dem ich den Herzog Ernst Johann am offenen Fenster im Gespräch mit seinem jungen Bruder, Philipp Ludwig, antraf. Durch das Fenster sah man auf eine gerade, bereits gelb gewordene Weissbuchenallee. Mit weiten Schritten, irgendeinen König, den er sich zum Muster gemacht, nachahmend, kam der Herzog mir entgegen und drückte fest meine Hand. Dann fragte er mich nach dem Ergebnis meiner Beobachtungen und Berechnungen. Herzog Ernst Johann war hager, mittelgross von Wuchs, hatte eine lange Nase, ein skrophulöses Gesicht und schmale Schultern. Er ähnelte seinem Bruder Philipp Ludwig, der ein wenig frischer aussah mit dem etwas fieberhaften Rot auf den Backenknochen und den glänzenden hervortretenden Augen. Indem ich hier und da aufgegriffene Gerüchte in Einklang brachte, mich der Unterweisungen meines Lehrers, der aus magischen Büchern geschöpften Formeln und Verordnungen entsann, konnte ich, mehr oder weniger erfolgreich, die Zweifel meines Herrn lösen, Ratschläge in laufenden Angelegenheiten erteilen und Voraussetzungen über künftige Ereignisse machen. Der junge Herzog stand an den Fensterrahmen gelehnt und schien erleichtert die durch den Regen erfrischte Luft einzuatmen.

„Ew. Liebden werden einen Thronerben haben,“ sagte ich langsam, um dem Inhalt meiner Rede mehr Bedeutung zu geben: „Ew. Liebden werden einen Sohn haben, aber Eure Freude wird durch das Blut verstorbener Vorfahren und einen Knoten getrübt werden, der aus verschiedenen Fäden geknüpft, demjenigen Unheil droht, der ihn löst.“ Der Herzog hörte mir gespannt und errötend zu, drückte mir wieder die Hand und murmelte im Fortgehen:

„Ein Sohn, das ist das Erste, das andere wollen wir später in Erwägung ziehen.“

Ich hatte mich ehrerbietig verneigt und begleitete ihn zur Tür. Dann kehrte ich zu Philipp Ludwig zurück, dessen dunkle Gestalt sich noch immer scharf vom bereits erblassten Abendhimmel abhob.

„Also, mein junger Freund!“

Er wandte sich hastig zu mir und rief mit gerührter und begeisterter Stimme:

„Meister, Meister, ich neige mich vor Eurem Wissen, Eurer Wissenschaft, Eurer Person, ich verehre Euch, nehmet mich, lehret mich, leitet mich, sehet — ich bin ganz der Eure!“ Er warf sich an meine Brust und barg seinen Kopf an meiner Schulter.

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