IV.

Die nächsten Tage verflossen unserem Dichter auf’s angenehmste. Es ist gar schön, auf ein Ziel hinzublicken, das uns, nicht allzufern, in reizendem Lichte winkt und dessen Erreichen vernünftigerweise nicht mehr bezweifelt werden kann. Das Verlangen darnach wird ruhiger und in Ruhe lieblicher als vor erweckter Zuversicht: die Freude des Gelingens wird im sichern Herzen voraus empfunden.

Heinrich füllte seine Stunden mit Arbeit und Genuß in wohlthuendem Verhältniß. Die Kunstschätze der Residenz hatte er bisher nur theilweise und flüchtig gesehen; jetzt widmete er ihnen eine ernstere Betrachtung und erhielt unter Ergötzungen aller Art eine Fülle poetischer Anregungen. Das Theater, in das ihm der Intendant freien Eintritt gewährt hatte, besuchte er fast regelmäßig, und während er sich dem Vergnügen hingab, das die Handlung in ihm erweckte, lernte er immer mehr einsehen, worauf es hier eigentlich ankam. Gewöhnlich war er ganz Empfänglichkeit und der Kritik völlig unfähig beim Beginn eines Stückes; er freute sich schon, daß es nur das gab, was ihm geboten wurde. Nach und nach trat aber das Urtheil in ihm hervor und wurde nur um so strenger und kühner. Er sah manches, was ihm vorbildlich erschien, noch mehr aber, was ihm unrichtig und schwach dünkte und was er besser zu machen den Beruf hatte.

Sehr anziehend war es für ihn, die Darsteller zu beobachten, welchen er die Hauptrollen in seinem eigenen Werke zudachte. Mit dem Heldenvater und dem Charakterspieler war er sehr zufrieden. Der letztere schien ihm zwar an die Grenze des ästhetisch Erlaubten zu gehen; allein die dämonische Persönlichkeit in seinem Stück war auch ungewöhnlich scharf gezeichnet und eine frappante Entfaltung mimischer Kräfte vielleicht eben in seinem Interesse. — Die heroische Liebhaberin, die ihm schon als Maria Stuart imponirt hatte, sah er auch als Jungfrau von Orleans, und nach beiden Rollen mußte er sie für seine Heldin wie geschaffen halten, da diese mit den Schillerschen Charakteren eine gewisse Verwandtschaft hatte, obwohl sie durch eine Reinheit und Hoheit, womit sie alle Prüfungen bestand, über beide hinausragte. Bei dem Applaus, den die Künstlerin errang, konnte er nicht umhin, kräftig mitzuwirken und nebenbei an denjenigen zu denken, den er bescheiden hinzunehmen hatte.

Sein neues Drama rückte vor. Der Entwurf war genau und erlaubte ihm stetiges Fortarbeiten. Die fertigen Auftritte schienen ihm anziehend und spannend, er freute sich von einem Tag zum andern auf die Fortsetzung, und ein Gefühl sagte ihm: es muß werden!

Eine Mahnung des Dankes bewog ihn, Doctor Dorn zu besuchen. Er wurde freundlich empfangen und die Art, wie er seine Erkenntlichkeit ausdrückte, heiter vernommen. Nach einer Weile fragte ihn der Journalist, welche Blätter ihm dermalen offen ständen. Als Heinrich ihm bekannte, daß er in Journale seit längerer Zeit nichts geschrieben, weil er ganz und gar von seinen dramatischen Arbeiten in Anspruch genommen werde, schüttelte Dorn mißbilligend den Kopf und sagte: „Da haben Sie sehr unrecht gethan, mein lieber Freund! Zeitungen müssen einem immer zur Verfügung stehen, damit man Freundlichkeiten nicht nur in Empfang nehmen, sondern auch erwiedern kann. Wenn Sie als Dichter bekannt werden wollen, müssen Sie nothwendig auch als Referent und Kritiker thätig seyn; denn wer seine Hand nicht in einigen Blättern hat, also weder nützen noch schaden kann, auf den wird man bald keine Rücksicht mehr nehmen.“

Heinrich konnte die Bündigkeit des Schlusses nicht läugnen — unter gewöhnlichen Verhältnissen. Daß er aber sein Streben und sein Talent für eine Ausnahme hielt, die solche Vorsorge gar nicht nöthig haben würde, durfte er dem Andern doch auch nicht gestehen. Er nickte daher bedeutsam, lächelte ein wenig und schien die gute Lehre begriffen zu haben.

Dorn betrachtete ihn mit Vergnügen und mit einem schelmischen Zug um den Mund, wie einen, den man auf den rechten Weg zu leiten im Begriff ist. Nach etwelchen Fragen, die sich auf Heinrichs jüngste Erfahrungen bezogen, legte er diesem ein broschirtes Buch vor und fragte ihn, ob er es schon gelesen habe. Jener verneinte es und setzte hinzu, daß ihm auch der Name des Autors noch nicht vorgekommen sey.

Dorn schmunzelte. „Das ist nicht zu wundern,“ sagte er. „Das Buch ist von mir. Ich wollte aber in einem satirischen Roman ganz ungenirt seyn, und so hab’ ich’s pseudonym herausgegeben.“ — „Ah,“ rief unser Poet, „das muß pikant seyn!“ — „Ich meine schon,“ erwiederte der Autor mit gemüthlicher Selbstgefälligkeit. „Aber bis jetzt hat es doch noch nicht die Beachtung gefunden, die ich mir versprochen habe. Es ist freilich noch nicht lang heraus und muß eigentlich erst bekannt werden. — Interessirt Sie’s?“ fuhr er nach einem Moment fort, „wollen Sie’s lesen?“ — „Wäre mir allerdings sehr lieb —“ — „So nehmen Sie’s mit nach Hause.“

Heinrich fühlte wohl, daß er damit eine Verpflichtung auf sich nahm. Allein er konnte schicklicherweise nicht zurück, steckte das Buch ein und verließ den guten Freund mit dem Entschluß, das Opus zu lesen, und wenn es irgend anging, in einem Journal zu empfehlen.

Im Theater war ihm eine eigene Genugthuung vorbehalten. Rosa trat in einem neuen Familienstück auf und führte die Partie eines Mädchens, die mit aller Munterkeit eines fröhlichen Herzens auftrat, aber nach hereingebrochenem Unglück unerwartete, rührende Festigkeit und Hingebung bewies, in so ergreifender Weise durch, daß sie in den letzten Akten den rauschendsten Beifall erntete. Die Theaterkenner schauten sich verwundert an und gestanden sich, daß sie ihr das nicht zugetraut hätten; Heinrich, dem Thränen in die Augen getreten waren, fühlte sich überaus glücklich und namentlich auch dadurch befriedigt, daß er ihr Talent so richtig begriffen, sie auf die besondere Fähigkeit schon aufmerksam gemacht hatte.

Am andern Tage trieb es ihn zu ihr, um zu gratuliren und ihr sein früheres Wort in’s Gedächtniß zurückzurufen. Das letztere gerieth ihm etwas mentorartig und die Künstlerin zuckte unwillkürlich die Achseln. „Nun,“ sagte sie, „ich muß am Ende doch daran glauben, daß noch etwas mehr in mir steckt, als ich bis jetzt selber gedacht habe. Wenn das Publikum mit seinem Beifall sich irren kann, so geben mir doch Kenner und Aesthetiker, wie Sie, die vollste Bürgschaft. Eigentlich,“ fuhr sie nach kurzem Innehalten leichter und gutmüthiger fort, „kommt es wohl nur auf die Rolle an, die man erhält. Der Dichter schreibt vor, wir müssen ausführen, und — es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.“

Heinrich erwiederte, dieser Schillersche Spruch sey allerdings richtig, aber das Wachsen setze die Kraft selber voraus, und die Freundin thäte wohl daran, von der gestern Abend glänzend erwiesenen Gabe der Rührung und Erhebung öfteren und umfassenderen Gebrauch zu machen. Die freundschaftliche Besorgtheit um ihr Talent und dessen Ausbildung zog dem Poeten einen Blick zu, den er zu deuten nicht in der Lage war, obwohl ihn ein neues Achselzucken begleitete. Seine Vermuthung ging auf eine geringere Schätzung eben dieser Gabe von Seiten der Künstlerin, und er suchte nun zu beweisen, wie sehr sie durch die entsprechende Pflege derselben sich steigern, ergänzen, und welch vollkommene Genugthuung sie dann empfinden würde.

Rosa hörte stumm zu. Als er mit seiner Argumentation fertig war, sagte sie: „In Ihrer Tragödie hab’ ich noch nicht weiter lesen können; ich muß dazu ganz ruhig und gesammelt seyn.“ — „Ich dränge durchaus nicht,“ erwiederte Heinrich. — „Das ist mir lieb. Auch für die nächsten Tage geht’s noch nicht. Sie wissen, das Theater ist unberechenbar, und ich soll übermorgen gegen alles Erwarten eine Rolle spielen, die ich fast ganz vergessen habe.“ — „Das verträgt sich allerdings nicht mit der Lektüre meines Stücks,“ versetzte der Poet, „und ich würde selber bitten, daß Sie sich von jetzt an möglichst im Zusammenhang erhalten möchten.“

Es wurde ausgemacht, daß Rosa, wenn sie fertig wäre — in acht, höchstens zehn Tagen glaubte sie es zu seyn —, den Dichter zu sich bitten lasse. Heinrich meinte lächelnd: es sey vielleicht gut, wenn er sich noch etliche Zeit in süßer Täuschung wiegen könne, und empfahl sich, „des Rufes gewärtig.“

Acht Tage vergingen, ohne daß dieser erfolgte. Der Poet brachte den ersten Akt seines neuen Stücks zu Ende und machte sich rüstig an den zweiten. Im Eifer des Schaffens kam in ihm die Neugierde, das Urtheil der Künstlerin zu vernehmen, so wenig empor, daß er drei fernere Tage ruhig hingehen ließ. Als aber noch zwei verstrichen, ohne daß Botschaft an ihn ergangen wäre, da fing er doch an bedenklich zu werden; eine dumpfe Aufregung störte sein Denken und Schaffen, und er beschloß, unaufgefordert anzufragen. Im Grunde war Verschiedenes möglich, er brauchte noch gar nichts Uebles zu fürchten bei einer so geringen Hinausschiebung, die ein kleiner Zwischenfall beim Theater erklärte; aber eben darum wollte er nachsehen, um durch Kenntniß des wirklichen Motivs den Gedanken ein Ende zu machen, die ihn zu belästigen anfingen.

Es war ein Operntag; Heinrich begab sich in die ihm so trauliche Wohnung, die er nun doch mit Herzklopfen betrat, gegen Abend und wurde von den beiden Frauen, obschon er sie ernster als gewöhnlich traf, so herzlich, so gütig empfangen, daß er sofort leichter zu athmen begann.

Nach einer Weile sagte Rosa: „Sie kommen heute gelegen; ich hätte Sie morgen zu uns eingeladen.“ — „Sie sind also fertig?“ entgegnete der Poet lebhaft. — „Seit gestern, obwohl ich manche Scenen wiederholt gelesen habe.“

Heinrich, dankend, sah die Künstlerin an. Aus ihrer gehaltenen Miene war ihr Urtheil nicht abzunehmen, obwohl dem Autor so viel klar wurde, daß er unbedingte Beistimmung, wie die ersten Akte sie gefunden, in Bezug auf das Ganze nicht wohl erwarten durfte. Etwas zögernd fragte er daher: „Und Ihre Ansicht?“

Rosa schwieg einen Moment, dann sagte sie: „Ich habe das ganze Stück mit dem größten Interesse gelesen.“ Heinrich nickte, indem seine Miene unwillkürliches Bedenken verrieth. „Und die Poesie, die Sie in den ersten Acten fanden,“ fragte er dann, „ist sie Ihnen auch in den folgenden erschienen?“ — „O, allerdings,“ erwiederte sie. „Es sind reizende Scenen darin, ergreifende, erschütternde Momente!“ — „Nun,“ versetzte der Autor, wieder beruhigt, „das ist schon etwas! Wie lautet aber Ihr Urtheil im Ganzen? und namentlich, was hab’ ich auf der Bühne zu hoffen?“

Das Mädchen sah ihn an und schien über die Antwort nicht mit sich in’s Reine zu kommen; dann, mit einer gewissen Entschlossenheit, aber doch zugleich mit bescheidener Zurückhaltung im Ton, versetzte sie: „Was den Bühnenerfolg betrifft, so getrau’ ich mir, offen gestanden, nicht, Ihnen etwas Bestimmtes vorherzusagen.“

Der Poet war betroffen, ja bestürzt. „Ah,“ rief er, „das hätt’ ich nicht erwartet! — Sie glauben also, daß es auf der Bühne keine Wirkung machen wird?“ — „Das ist nicht meine Meinung,“ entgegnete Rosa lebhaft, indem sie eine gewisse Verwirrung nicht verbergen konnte.

Die Mutter, die bisher still vor einer weiblichen Arbeit gesessen hatte, bemerkte nun: „Rosa will nichts weiter sagen, als daß sie Ihnen einen Erfolg, wie wir ihn alle wünschen, nur nicht verbürgen kann. Die Möglichkeit will sie keineswegs bestreiten.“ — „Durchaus nicht!“ fuhr die Schauspielerin fort. „Bei einer gewagten Handlung, und die Ihrige ist gewagt, kömmt’s auf eine Linie an. Wird das, was man den Zuschauern bietet, ihnen eben noch recht, oder wird’s ihnen schon zu viel, zu stark seyn? Das ist die Frage, auf die sich namentlich bei Tragödien vor der Aufführung niemand eine sichere Antwort gestatten wird.“

Der Dichter war sehr betreten. Nach der schönen und reinen Anerkennung der ersten Akte hatte er eine Ausdehnung dieses Urtheils auf das Ganze um so mehr erwartet, als nach seiner Meinung das Hauptgewicht der Handlung durchaus in der zweiten Hälfte lag. Zuletzt etwas bedenklich geworden, hatte er sich doch höchstens auf Beanstandung einer und der andern Einzelnheit gefaßt gemacht. Daß das Ganze, die scenische Wirksamkeit der Tragödie überhaupt, eine Frage werden könnte, das hatte er nicht für möglich gehalten; es überraschte ihn schmerzlich, er konnte noch nicht daran glauben.

„Aber,“ begann er, indem sein verdüstertes Gesicht sich wieder zu einem Ausdruck von Selbstgefühl erhob, „die Sprache, wie Sie selber zugeben, ist doch poetisch, die Handlung anziehend, fesselnd, und in allen Akten, besonders in den letzten, kommen Auftritte vor, von denen Andere gemeint haben, daß sie bedeutenden Effekt machen müßten.“ — „Gerade über diese Auftritte in den letzten Akten,“ entgegnete die Künstlerin, „und über die Wirkung derselben auf’s Publikum traue ich mir kein bestimmtes Urtheil zu. Effektvoll sind sie, das ist keine Frage. Aber wenn sie nun — wehe thäten?“ — „Sie meinen, daß sie vielmehr peinlich als tragisch wirken könnten? Aber meine Hauptpersonen sind durch ihren Geist und Charakter innerlich so reich und so erhaben, sie triumphiren im Leid, gewinnen im Untergang —“ — „Das ist Ihre Absicht mit ihnen gewesen,“ versetzte Rosa, „man sieht das wohl. Nun, und in Rücksicht darauf möcht’ ich allerdings das Gelingen für eben so möglich halten.“

„Meine Tochter,“ begann die Frau wieder, „ist nur so ehrlich, Ihnen keine Hoffnung machen zu wollen, die sich nachher nicht erfüllen könnte; und darin, mein lieber Herr Doctor, muß ich ihr Recht geben. Ich habe Ihre Dichtung auch gelesen und stimme mit Rosa darin überein, daß sie große Vorzüge besitzt und großes Talent verräth; wenn aber die letzten Auftritte, worauf Sie alles angelegt haben, nicht den beabsichtigten Effekt machen, dann kann doch, trotz aller Schönheiten, der Erfolg nicht so ganz herauskommen, wie Ihre Freunde ihn wünschen, und niemand herzlicher als wir.“

Heinrich sah von einer auf die andere, nickte wie einer, der zu begreifen anfängt, und sagte mit trauriger Miene: „Das ist schlimm! Das Vertrauen, das ich auf diese Tragödie gesetzt habe, ist durch diese Urtheile erschüttert; ich kann nicht mehr daran glauben und bin in großer Verlegenheit.“

Die Schauspielerin, die einen Blick herzlichen Bedauerns auf ihn geworfen, sagte nun: „An dem ist es noch nicht, mein lieber Freund! Wir haben Ihre Dichtung als Theaterstück beurtheilt in ihrer jetzigen Gestalt, aber die braucht sie ja nicht zu behalten. Sie können ja ändern und was bedenklich erscheint, herausbringen.“ — Das Gesicht des Autors erhellte sich wieder und er erwiederte: „Das ist wahr.“

Rosa, mit einem gutmüthigen Lächeln, fuhr fort: „Lassen Sie nur erst die Regisseure drüber kommen und das Stück „einrichten!“ So eine Einrichtung hat schon oft Wunder gethan, und wie sollte sie nicht einem Stück zu Gute kommen können, das an Schönheiten so reich ist? Vielleicht schlägt man Ihnen auch vor, einzelne Partien ganz umzuarbeiten —“

Heinrich stand nachdenklich. „Und dazu,“ sagte er dann, „müßte ich mich wohl verstehen?“ — „Gewiß,“ rief das Mädchen. „Ein Theaterstück ist noch ganz was anderes, als eine dramatische Dichtung; und wohl dem Autor, wenn man aus einer solchen überhaupt ein wirksames Stück herausschneiden kann! Es lohnt sich darum schon der Mühe, noch ein paar Wochen daran zu setzen.“

Heinrich lächelte mit Ergebung. „Ich sehe schon,“ erwiederte er, „ich muß wieder von vorn anfangen!“ — „Theilweise,“ versetzte Rosa, „und das thut nichts! Hören Sie überhaupt erst das Urtheil der Regisseure. Ich muß Ihnen bekennen, ich habe mich Ihrer Dichtung gegenüber auf etwas eingelassen, dem ich doch eigentlich nicht gewachsen bin. Einer im höheren Styl gearbeiteten Tragödie es anzusehen, welchen Erfolg sie auf der Bühne haben werde, mein lieber Freund, das ist sehr schwer, und da können noch ganz andere Leute daneben treffen, als eine junge Schauspielerin, die in diesem Fach wirklich nicht zu Hause ist. Nun,“ fuhr sie nach einem Moment fort, „zuletzt muß man’s eben darauf ankommen lassen. Ich weiß, daß Stücke, denen noch auf der Leseprobe der beste Erfolg prophezeit wurde, so ziemlich durchgefallen sind, während andere, über die man die Achseln zuckte, angesprochen haben. Auf den Brettern ändern sich die Verhältnisse oft ganz unerwartet, und wir Schauspieler bringen mit einander heraus, was wir vorher selber nicht wissen können. Das Publikum, das die Eindrücke empfängt, hat zu urtheilen, und urtheilt auch; bei ihm ist der letzte und entscheidende Spruch, und darauf hin muß man’s wagen.“ — „In Gottes Namen!“ rief Heinrich; „wagen wir’s! Und wenn Männer von Einsicht vorher Aenderungen verlangen — ändern wir!“

Nach diesen kräftig betonten Worten erheiterten sich die Mienen. Man war zu einem Resultat gekommen und ließ die Sache für jetzt auf sich beruhen, indem Heinrich sich vorbehielt, an einem der nächsten Tage mit den Freundinnen über Einzelnheiten des Stücks zu berathen. Eine Unterhaltung über andere Gegenstände konnte nicht lang dauern. Die Frauen waren ausgebeten, und Heinrich verabschiedete sich. Er hatte zu seinem Opus wieder Vertrauen gewonnen und war entschlossen, es auf das „Glück der Schlachten“ ankommen zu lassen.

Wenn Heinrich die Erklärungen der beiden Schauspielerinnen überdachte und eins in’s andere rechnete, brauchte er den Muth in der That noch nicht zu verlieren. Der Geschmack beider neigte sich zum Genre, zum Angenehmen und Reizenden, zur leichten Rührung. Das Große, das Erschütternde und eigentlich Tragische war ihnen — zu stark. Darum das enthusiastische Lob des ersten Drittheils seines Stücks, das in milder und höchstens ahnungsvoller Beleuchtung stand, und das zweifelnde Zurückscheuen vor den Schlägen des endlich sich entladenden Gewitters. Männer, zumal solche, deren Fach die Tragödie war, mußten nothwendig anders urtheilen und gaben wohl umgekehrt der zweiten Hälfte den Vorzug vor der ersten.

Unter solchen Gedanken kam er nach Hause. Als er in seine Stube eintrat, sah er, trotz des nächtlichen Dunkels, auf seinem Schreibtisch ein Paket liegen, das er mit einem zufriedenen Ausruf begrüßte. Er hatte seinen Vater um Uebersendung eines Collegienheftes gebeten, das er zu Hause gelassen, freute sich nun der schnellen Besorgung, deßgleichen auf Nachrichten von Hause, und machte eilig Licht. Im Schein der brennenden Kerze warf er einen Blick auf die Adresse: die Hand war fremd. Er betrachtete das Siegel und ein Schauer überlief ihn: die Sendung kam von der Intendanz, es war die Abschrift seiner Tragödie.

In der That enthüllte sich diese aus dem aufgerissenen Umschlag. Ein beigelegtes Schreiben, das der Poet mit einer heftigen Bewegung entfaltete, lautete kurz:

„Ew. Wohlgeboren stelle ich das eingereichte Manuscript Ihrer historisch-romantischen Tragödie hiemit ergebenst wieder zurück, indem ich lebhaft bedaure, daß dieselbe zur Darstellung auf hiesiger Hofbühne nicht geeignet befunden wurde. Mit Hochachtung — von Dachburg.“

Heinrich, nachdem er das Blatt auf den Tisch fallen lassen, stand und rang mit der Verzweiflung, die unaufhaltsam in ihm empor drang. Nun war Alles verloren — Alles! Wenn die erste Bühne seines Landes — sie, die vor allen berufen war, höherer Dichtung entgegen zu kommen, ihm ein Werk, das er mit seinem Herzblut geschrieben, so verachtungsvoll zurückschicken konnte, dann hatte er bisher im Traum eines Thoren gelebt; er hatte sich über die Welt und sich selber gänzlich getäuscht — er war Nichts! Der Grund, auf dem er vorwärts zu gehen meinte, wich, und er sank in’s Bodenlose!

Welche Liebe hatte er seiner Dichtung zugewendet! welch liebenden Fleiß, Jahre hindurch! — Was hatte er in sie hineingearbeitet von edlen Gedanken, holden Gefühlen, großen Vorstellungen, erhabenen Phantasiebildern! Wie hatte er sich gefreut, wenn ihm das Unaussprechliche doch auszusprechen gelungen war und es in wohllautendem Vers, in blühendem Bild ihm selber wohlgefallen mußte! Und nun war Alles nichts — Alles umsonst! Mit tödtlich kühler Phrase wies man die Frucht ausdauernder Begeisterung von der Schwelle des Lebens und rief ihm zu: „Fort in die Finsterniß — und vergehe!“ Nicht einmal einen Versuch machen mit einer Schöpfung, deren poetischer Gehalt über allen Zweifel erhaben war! Nicht einmal einen Vorschlag, die Fülle des Schönen darin für die Bühne zu retten! Verworfen ohne Weiteres!

So kurzer Proceß wird mit dem Ernsten und groß Angelegten gemacht, während man das Seichte, das kindisch Ergötzliche begierig ergreift, ja sogar dem Verderblichen die Hallen des Kunsttempels öffnet! Wahr ist also, was geklagt wird: die Poesie ist in die Acht erklärt! Die Menge will das Gemeine, und das Theater bietet es ihr, um für die hingeworfene Ehre das Geld in Empfang zu nehmen!

Und nun, was soll geschehen? Er dachte an Auguste, an ihre, an seine Eltern — und es war ihm, als ob eisige Messer ihm die Brust zerschnitten. An derselben Vorstellung aber, die ihm noch die bitterste Qual verursachte, erhob er sich wieder. Es ist eine Prüfung für uns — Auguste wird sie bestehen — und ich muß sie auch bestehen! Die Meinigen müssen sich ergeben! Was daraus werden mag — genug der Verzweiflung!

Er nahm das Manuscript nebst dem Schreiben der Intendanz und verschloß es in seinen Schrank. Dann schlug er ein ästhetisches Werk auf, an dem er eben studirte, las und suchte sich mit Gewalt in den Inhalt zu vertiefen. Was aber schon so mancher erfuhr, der in ähnlicher Lage war, das mußte nun auch Heinrich erfahren. Die schmerzlich getroffene Seele kann, so lange die Wunde brennt, sich nicht in der Fassung erhalten, die sie sich auferlegt. In demselben Augenblick, in dem der kämpfende Wille schon gesiegt zu haben meint, bricht die Leidenschaft wieder durch und vernichtet mit Einem Aufsturm die mühsam errungene stolze Haltung. Die Motive des Zorns dringen gegen die Gründe des Trostes an, vertreiben sie mit unwiderstehlicher Gewalt und behaupten das Feld, das gepeinigte Menschenherz!

Heinrich, matt an Leib und Seele, warf sich endlich auf’s Lager und suchte die erlösende Wohlthat des Schlafes; aber vergeblich. In erneuerter Aufregung und neuem Kampf dagegen, in tief ödem Gefühl, der Frucht klarster Anschauung seiner Niederlage, und wüstem Durcheinander weher Empfindungen ging — langsam genug — Stunde um Stunde dahin, und erst gegen Morgen ließ ihn die Erschöpfung in einen dumpfen Schlummer sinken.

Wie kurz dieser währte und wie unruhig er war, der rüstige junge Mann fühlte sich beim Erwachen doch wieder gekräftigt. Die Pflege des Leibes erwies sich auch für ihn als abziehend von den Leiden der Seele. Durch ein substantielles Frühstück wurde die Restauration so weit geführt, daß wieder förmlicher Unternehmungsgeist in ihm aufkam. Er eilte zu Willmann, ihm sein Unglück mitzutheilen und wo möglich etwas Näheres über die Gründe der Ablehnung zu erfahren, wornach er jetzt die größte Neugier empfand.

Der praktische Literat empfing ihn mit ernstem Gesicht, in dem nur ein viel feinerer Beobachter, als unser Poet jetzt war, auch noch den Ausdruck einer gewissen Zurückhaltung hätte bemerken können. Wie Heinrich den Bericht anfangen wollte, entgegnete er ihm: „Ich weiß schon, was Sie zu mir führt. Die Intendanz hat Ihnen die Tragödie zurückgeschickt —“ — „Mit den geringsten Umständen von der Welt! Und ich habe nun das Vergnügen, für die Aussaat des Besten, was ich besaß, und für die treueste Pflege desselben Verdruß und Schmach zu ernten!“

Der Doctor nickte mit Ernst. „Ich kenne diese Empfindungen aus eigener Erfahrung,“ erwiederte er dann, „und bedaure Sie von Herzen. Zu thun ist aber nichts mehr in dieser Sache, denn beide Regisseure haben sich gegen die Aufführung erklärt.“ — „Beide!“ rief Heinrich, indem eine leichte Blässe über seine Wangen flog. „Aber,“ fuhr er nach einer Pause sich wieder ermannend fort, „was haben sie denn für Gründe, das Stück für ganz und gar unbrauchbar zu erklären? Ich resignire natürlich, das versteht sich von selbst; aber diese Gründe kennen zu lernen, hab’ ich wirklich ein großes Verlangen.“

„Dieses,“ versetzte Willmann, „glaube ich befriedigen zu können. Ich habe mit den Herren gesprochen. Es thut beiden leid, daß sie das Stück nicht zur Annahme empfehlen konnten — ja, ja, auch dem Komiker, er hat mir’s wenigstens ernstlich versichert — und ich glaube nun, daß es ihnen selber lieb seyn wird, die Motive, die sie zu ihrem Votum bestimmt haben, Ihnen bekannt werden zu lassen. Vielleicht kann ich Ihnen die Abschriften heute noch zuschicken.“ Heinrich ergriff seine Hand und rief: „Sie würden mich außerordentlich verbinden! Da ich nun doch einmal nichts kann, so möcht’ ich wenigstens erfahren, woran’s liegt, um allenfalls, wenn’s unvermeidlich wird, bei Zeiten mich auf ein anderes Metier zu werfen.“

Willmann schüttelte den Kopf. „Nicht so desperat, mein Freund!“ entgegnete er. „Ich kenne Ihr Stück nicht und kann also eigentlich über Ihr Talent nicht urtheilen; aber zum Aufgeben Ihrer Bestrebungen scheint mir noch durchaus kein Grund vorhanden. Lesen Sie zunächst die Urtheile der Regisseure, die ich selbst noch nicht kenne und auf die ich ebenfalls gehörig neugierig bin.“

Als unser Poet Abends in seiner Stube brütend saß, kam die zugesagte Sendung an. Mit begreiflicher Hast öffnete er das Couvert, nahm die Papiere heraus und griff zuerst nach dem Votum des tragischen Künstlers. Dasselbe lautete:

„Das historisch-romantische Trauerspiel ist ein Erstlingswerk und erweckt als solches schöne Hoffnungen für die Zukunft. Der Dichter gebietet über einen nicht gewöhnlichen Schatz von Empfindung und Phantasie, besitzt auch einen natürlichen poetischen Takt, und wo diese mit einander ausreichen, wie in den ersten Akten, da gelingen ihm anziehende und darstellbare Scenen. Noch im dritten Akt glaubte ich das Stück zur Annahme vorschlagen zu können, aber gegen das Ende desselben zeigt sich ein Mangel an Klarheit des Baus und an Motivirung, der in den letzten Akten immer fühlbarer wird, so daß wir von dem Ganzen einen wüsten und peinlichen Eindruck mit hinwegnehmen. Der Dichter malt zu sehr in extremen Farben, und nicht nur die bösen, sondern auch die edlen Charaktere des Stücks machen endlich den Eindruck von Carikaturen. Das Liebespaar drängt sich ordentlich zum Märtyrthum, unter übertriebenen und prunkenden Deklamationen; wo aber nicht mehr natürlich und menschlich empfunden wird, da können wir nicht mitfühlen und finden daher auch keine Befriedigung. Ich habe reiflich erwogen, ob dem Stück durch Streichen zu helfen wäre, aber bald gesehen, daß es einer völligen Umarbeitung bedürfte. Die Tragödie ist trotz des poetischen Talents, das der Verfasser in allen Akten beweist, als Theaterstück verfehlt, und die Aufführung in seinem eigenen Interesse nicht zu wünschen.“

Heinrich hatte die Lektüre mit einem gewissen Trotz begonnen und glaubte mit ihm das Schlimmste bestehen zu können; aber der Trank, den er zu verschlucken bekam, wurde gegen das Ende doch gar zu bitter; unter unwillkürlichem Schaudern leerte er den Kelch und empfand auf’s neue die ganze Pein der Niederlage. Für den einseitigen Beifall, den ihm gute Freunde gespendet und den er sich selber zugesprochen hatte, mußte er nun in der That grausam büßen. Mit einem Lächeln, welches die Gefaßtheit auf eine noch stärkere und abschmeckendere Mixtur ausdrückte, nahm er das zweite Blatt zur Hand und las:

„Das fünfaktige Trauerspiel von Heinrich Born habe ich mit großem Interesse gelesen; zur Darstellung auf unserer Hofbühne konnte ich es aber mit dem besten Willen nicht empfehlen. Die Schwärmerei der Liebe, die im ersten Akt und theilweise noch im zweiten herrscht, ist zwar noch recht jugendlich; aber wenn der Dialog gehörig beschnitten würde, möchte sich unser Publikum davon doch erwärmt und erbaut fühlen. Die Aussicht, die uns durch die Exposition eröffnet wird, ist ahnungsvoll; indem wir aber gespannt in eine großartige Scenerie vorschreiten wollen, versinken wir plötzlich in Moorgrund. Von dem dritten Akt an bietet uns das Stück ein Interesse, das der Autor gewiß nicht beabsichtigt hat. Daß uns hier überlange pathetische Reden Seufzer auspressen, dort eine Reihe kleiner Scenen wie Hagelschauer auf uns herstürzen, bemerke ich nur beiläufig; obwohl dieß, und wie Tugend und Laster meistens consequent nach Vorschrift sich aussprechen, eines komischen Eindrucks nicht verfehlen würde. Das Schlimmste ist aber die Verletzung der poetischen Gerechtigkeit im Ausgang. Die Hauptpersonen erliegen im Kampf und finden den Tod, obwohl sie ihn in keiner Art verdient haben. Uebertriebenes Pathos und ein auf die Länge schwer zu ertragender Adel der Gesinnung muß ihnen freilich zur Last gelegt werden; aber wie streng dieß auch der gelangweilte Zuschauer beurtheilen mag, als Todsünden können sie am Ende doch nicht gelten; und so würde sich das schwergeprüfte Publikum zuletzt auch noch darüber ärgern müssen, daß das überedle Paar untergeht, während von den Missethätern nur Einer mit in den Abgrund gerissen wird und die übrigen, die auch noch erkleckliche Bösewichter sind, aus ihrer Betäubung sich wieder erholen und ihr Metier fortsetzen können. — Sey mir zum Schluß noch erlaubt zu bemerken, daß der junge Dichter, trotz aller dieser Mißgriffe, nicht nur poetische, sondern auch dramatische Begabung verräth und darum in aller Weise verdient, daß die Hofbühne durch Nichtaufführung dieser seiner Tragödie ihm eine große Beschämung erspart.“

Es gibt ein gewisses Maß von Widerwärtigkeit, das die menschliche Seele in sich aufnehmen kann; was darüber in sie eindringen will, das findet sie entweder fühllos oder entschlossen zur vollkommenen Entsagung, kann daher nicht mehr auf sie wirken. Unser Poet hatte zur Verurtheilung eines Werkes, daß er mit aller Begeisterung der Liebe geschaffen und das ihm theuer, ja heilig geworden war, jetzt auch noch den Hohn zu kosten bekommen. Was konnte weiter geschehen? Welche Anklage, welche Schande gab es noch für ihn? Vorderhand schien der Köcher des Unheils erschöpft zu seyn.

Ruhiger las er die beiden Absprüche wieder. Ihm fiel jetzt namentlich die Rücksichtslosigkeit auf, womit die Herren ihren Tadel ausdrückten. Von der Achtung, die nach seiner Ansicht ein Dichter unter allen Umständen ansprechen konnte, war in diesen Erklärungen sehr wenig zu bemerken, ja es ließ sich nicht läugnen, daß die zweite das Gegentheil davon recht vergnüglich zur Schau trug.

Er war bereit, Vorschläge zu Streichungen und Aenderungen, wie weit sie gehen mochten, anzunehmen und auszuführen. Und wenn dieß geschah, wie sollte eine Dichtung, die schon beim Vorlesen Begeisterung erweckt hatte, von der Bühne herab nicht vielmehr noch gewaltiger ergreifen? Aber freilich: gespielt mußte sie werden, und dazu mußte sie verstanden seyn! Die Hauptcharaktere mußten Darsteller finden, welche den Adel derselben als Natur erscheinen ließen; und auf diese Bedingung scheint man im Gefühl der Ohnmacht hier stillschweigend verzichtet zu haben! Den Seelenadel zu verspotten, war freilich leichter!

Nun war aber in der That alles aus. Das Gebilde, das hier zum wahren Leben gelangen sollte, war hingetilgt und auch als Schatten vernichtet. Der Autor, welcher Märtyrer der höchsten menschlichen Tugenden geschildert hatte, war selbst Märtyrer seines Strebens; er erlag den Streichen, die — ein Philister und ein Spaßmacher gegen ihn geführt hatten! Der Unmuth, den er über die Ungerechtigkeit empfand, und der Stolz, der sich in ihm regte, erhoben ihn wieder zur vollen Kraft des Trotzes gegen die Welt; und dieses Gefühl gab ihm endlich auch die Stimmung zu einem Bericht seines Mißgeschicks an die Geliebte. Er setzte sich an den Pult, überlegte, wie sie und ihre Eltern das Erlebniß auffassen müßten, und schrieb:

„In meiner Tragödie hab’ ich große Seelen geschildert, welche den Prüfungen des Lebens unbeugsamen Muth entgegenstellen und, vom wahren Standpunkt angesehen, aus allen siegreich hervorgehen. Nun, meine geliebte Auguste, mir selber ist jetzt eine Prüfung auferlegt, die ich zu bestehen habe. Aus Gründen, die ich durchaus unstatthaft finden muß, hat die hiesige Intendanz die Annahme meines Stückes verweigert. Man gesteht mir poetische und speciell dramatisch poetische Begabung zu, man findet Anmuth und Schönheit in dem Werke; aber man behauptet, die Effekte in den letzten Akten wären zu stark, könnten eher den gegentheiligen als den beabsichtigten Eindruck machen, und glaubt nun die Aufführung nicht wagen zu dürfen. Ich kann das in keiner Art zugeben, bin vielmehr überzeugt, daß durch gewisse Kürzungen und Abänderungen eben das wirksamste Bühnenstück daraus zu machen wäre. Allein die Ablehnung ist nun einmal erfolgt, und ich halte es unter meiner Würde, mich damit wieder aufzudrängen. Der Ersatz und Trost ist jedoch schon da. Ich arbeite an einem neuen Stück, worin das, was man am ersten getadelt hat, aus allen Gründen gar nicht vorkommen kann; ich bin schon im zweiten Akt, und hoffe mit ihm noch entschiedener zu erreichen, was mit unserer Tragödie anzustreben mir versagt wird, indem ich mir vorbehalte, auch diese noch zu den Ehren durchgreifender Bühnenwirkung zu bringen. Der Erfolg, den zu holen ich hieher gekommen bin, ist nur vertagt.

„Sehr verdrießlich ist mir diese Erfahrung dennoch, und im ersten Moment, wie ich nicht läugnen will, übte sie eine entmuthigende Wirkung auf mich. Ich besann mich aber wieder auf meinen Beruf, meine Kraft, und halte den Kopf oben. Laß mich du nun die Stimme der Liebe hören, die Trostworte einer edeln und gütigen Seele! Mein Selbstgefühl und meine Thatkraft hab’ ich wieder; aber dein liebender Zuruf wird mir auch die Freude, die schöne Begeisterung wieder bringen, womit die Poesie von selbst aus der Seele fließt. Ich verlange sehnlich nach einem Wort von dir. Grüße die Eltern und laß ihnen die Sache in einem Licht erscheinen, das sie am wenigsten verletzt. Schreibe mir bald, liebe Auguste, sobald als möglich!“

Heinrich trug diesen Brief selber auf die Post. Nachdem dieß aber geschehen, fühlte er sich matt an Leib und Seele, und da er in der gegenwärtigen Situation durchaus kein Interesse hatte, mit Bekannten zusammenzutreffen, so begab er sich in ein Gasthaus. Das preiswürdige Getränk durch die Kehle gießend, empfand er bald seine zugleich stärkende und besänftigende Wirkung. Es war eine eigene, in ihrer Art auch poetische Lust, nach der eben so großen als unerwarteten Niederlage melancholisch den Gaumen zu erquicken und im Herzen allgemach die Hoffnung wieder aufleben zu lassen; ein wundersames Durcheinander von Gefühlen. Nachdem er dem gewöhnlichen Maß des Abendtrunkes noch einen Zusatz gegeben, fand er die Kraft in sich, die beiden Regisseure mitsammt der Theaterintendanz tief unter sich zu erblicken und ihnen mit allem Vergnügen die Titel zu geben, die sie nach seiner Ansicht gründlich verdient hatten. Schlag gegen Schlag und Hohn gegen Hohn — das thut der männlichen Seele wohl, und der Geist erhebt sich wieder zu der ihm gebührenden Höhe.

Es war Mitternacht, als Heinrich nach Hause kam. Die Schmähmonologe laut fortsetzend und damit sein Herz inniglich ergötzend, legte er sich zu Bette und fiel bald in tiefen Schlaf.

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