V.

Heinrich, als Dichter, war sehr empfindlich für üble Eindrücke; aber wie tief sie im ersten Moment gehen mochten, ihre Dauer war kurz, da seine elastische, vorwärts gehende Natur sich nach Möglichkeit immer wieder davon befreite. Am folgenden Morgen, nach einem Schlummer, in welchem er das in voriger Nacht Versäumte gründlich hereinbrachte, hatte er seine Gefaßtheit wieder und genoß einer wohlthuenden Stille des Herzens. Freudlos war er allerdings und nicht gehoben durch das schöne Leben der Hoffnung, aber doch vorläufig getröstet. Im tiefsten Innern war noch ein unerschütterlicher Rest von Zuversicht, und mit ihm gedachte er das gefallene Gebäude seines Glücks aufzurichten.

Als er in der warmen Stube hin und her wandelte, ging ein humoristisches Licht über seine Züge. Er nahm den Kalender, suchte den Tag, an welchem die Intendanz ihm seine Tragödie zurückgeschickt hatte und lächelte seltsam. Er las den Namen Jonas. — Konnte es (wenn es nicht am Ende mehr war) ein auffallenderes Spiel des Zufalls geben? Ein aus dem Bauch eines Wallfisches an’s Land gespuckter Prophet! Welche Aehnlichkeit mit seinem Fall, wenn man, wie das bei Vergleichungen geschehen muß, von der Unähnlichkeit Umgang nahm! Unser Poet sah sich in seiner Ansicht bestärkt, daß man hier als ungenießbar ausgeworfen habe, was für den betreffenden Rachen nur viel zu gut, weil viel zu ätherisch war; und man findet nun gewiß natürlich, daß er auf das Erlebniß Reflexionen gründete, die ganz darnach angethan waren, ihn weiter zu beruhigen.

Eine Widerwärtigkeit, auch wenn das Aergste überstanden ist, hat aber doch immer noch ihre Folgen. Am nächsten Tage stand in dem verbreitetsten Blatte der Residenz folgender Passus: „Die historisch-romantische Tragödie, die nach der pomphaften Ankündigung eines hiesigen Journals ganz ungewöhnliche Hoffnungen erregen sollte, ist dem Autor, Heinrich Born, von der Intendanz als für die Darstellung unbrauchbar wieder zugestellt worden. So hat also auch dießmal voreiliges Lob einem jungen sogenannten Talent nicht zum Fortkommen, sondern nur zur Beschämung verholfen!“

Heinrich, als er diese Zeilen beim Mittagessen, und zwar gänzlich unvorbereitet las, fuhr zurück wie von einer Schlange gebissen: er fühlte in dem Einen Stich alle Pein literarischen Prangerstehens. Hastig sah er in dem Lokal sich um und pries sein Geschick, daß wenigstens kein Bekannter da war, der ihn hätte beobachten können. Allerdings ein sehr fataler Beginn des öffentlichen Genanntwerdens, nach dem er so großes Verlangen getragen und das er sich so schön vorgestellt hatte! — Der Appetit war ihm verdorben; er eilte fertig zu werden, da immerhin Ein und der Andere eintreten mochte, dem er bekannt war, und verließ die Restauration in kürzester Zeit.

Aber niemand entgeht seinem Schicksal. Als er durch eine Straße wandelte, in der die Möglichkeit einer unangenehmen Begegnung sehr gering war, sah er plötzlich eine Figur auf sich zukommen, der er jetzt von allen am wenigsten sich darstellen mochte — den Professor Sartorius. Ausweichen konnte er nicht mehr, es wäre auch feige gewesen, und so ging er gerade vorwärts, zog instinktmäßig den Hut und rief mit gebührender socialer Achtung den Gruß des Tages. Der Professor lüpfte seinen Hut schweigend, sah mit einem Gesicht für sich hin, das in Spott und Schadenfreude die feinste Genugthuung verrieth, und ging an ihm vorüber. Er hatte den Passus nicht nur auch gelesen, sondern ihn seiner Frau gezeigt und ihr die Anerkennung abgenöthigt, wie gänzlich er seinen Mann gleich beim ersten Gespräch erkannt habe.

Als der Poet sechs Schritte über ihn hinaus war, drehte er sich um und sah ihm nach. „Vermaledeiter Pedant!“ rief er für sich und setzte innerlich murrend seinen Weg fort.

Eine halbe Stunde unbehelligt, hatte er doch noch ein Zusammentreffen zu bestehen. Um eine Ecke biegend, stand er vor Doctor Dorn, der einen leichten Ausruf der Ueberraschung hören ließ und ihn dann mit einem höchst eigenthümlichen Lächeln begrüßte. Es war eine Complication von Schadenfreude, eigener Beschämung und trotziger Geringschätzung derselben, wozu noch ein Zug spottender Anklage kam. „Nun,“ fragte er den gleichfalls Ueberraschten und ziemlich Verlegenen, „haben Sie schon gelesen?“ Der Poet machte eine Bewegung des Bedauerns, die zugleich verachtende Erhebung über den Unfall ausdrücken sollte.

„Da haben wir uns eine saubere Geschichte eingebrockt!“ fuhr jener fort. „Ich habe Ihr Stück nach Ihrem Referat und nach den Versen, die Sie mir vordeklamirten, empfohlen, und bin nun im Grund mit Ihnen blamirt!“ — Heinrich zuckte die Achsel. „Es thut mir leid,“ entgegnete er. „Indessen,“ setzte er etwas spöttisch hinzu, „Sie werden es wohl verschmerzen.“

Dorn strich sich mit der Miene eines erprobten Kämpfers den Bart. „Nun,“ versetzte er, „das hoff’ ich auch. Morgen ist der Bettel vergessen! — Für Sie,“ fuhr er spielend fort, „ist die Sache etwas unangenehmer; aber bilden Sie sich darum noch keinen Kummer ein! Solche kleine Unglücksfälle kommen so oft vor, daß sie eigentlich gar nicht der Rede werth sind. Auch schaden sie nichts; im Gegentheil: ein von Vielen gelobter und Vielen geschmähter Mann ist eben eine Celebrität; und was kann man sich Besseres wünschen?“

Der Poet antwortete auf diese richtige, aber mitten im Verdruß des Bloßgestelltseyns doch nicht völlig tröstende Bemerkung mit einem nur halb erheiterten Gesicht. „Diese Veröffentlichung einer Niederlage,“ sagte er dann, „und der Ton, worin sie gehalten ist, verräth doch eigentlich eine große Feindseligkeit. Was hat das Blatt gegen mich?“

„Das Blatt hat nichts gegen Sie,“ versetzte Dorn. „Aber der Feuilletonist — Emil Schilf — ist Autor von zwei Stücken, die hier mit Glanz durchgefallen sind. Die Hervorhebung Ihrer Tragödie hat ihn geärgert, das wirkliche Reüssiren derselben hätte ihn mit giftigem Neid erfüllt; was ist also natürlicher, als daß er bei Ihrem Unglück inniges Vergnügen empfindet und sich die Freude macht, es an die große Glocke zu hängen?“ — „Verächtlich!“ rief Heinrich.

„Begreiflich,“ entgegnete Dorn, „und sehr gewöhnlich!“ Er schwieg, sah ihn freundlich an und sagte: „Wie steht’s mit Ihrem neuen Stück? Rückt’s vor?“

„Der zweite Akt ist zur Hälfte gediehen, und ich hoffe darin alles vermeiden zu können, was man am ersten Drama gerügt hat.“ — „Bravo! Nur immer lustig vorwärts!“ Nach kurzem Innehalten sah er ihn von der Seite an und fuhr fort: „Haben Sie zufällig auch schon Zeit gefunden, einen Blick in mein Buch zu werfen?“ — „Noch nicht. Die Aufregung und der Verdruß der letzten Tage —“ — „Natürlich,“ fiel Dorn ein. „Aber nehmen Sie’s nun doch gelegentlich zur Hand! Sie werden manches darin finden, was Ihnen eben jetzt wohlthut — auch über Theater und Theaterleute.“ — „Ah,“ rief der Poet, „dafür hätt’ ich gegenwärtig allerdings die Stimmung!“ — „So lesen Sie,“ erwiederte der Autor, indem er ihm die Hand reichte; „amüsiren Sie sich und spitzen Sie Ihre Feder! Es wird alles noch gut werden.“

Unser Dichter hatte wiederholt die Mahnung empfunden, seine Freundinnen zu besuchen, aber nicht die Scheu bezwingen können, jetzt vor sie zu treten. Er war gar zu sehr gedemüthigt, und der Gedanke, den Frauen, denen er Achtung abgewonnen hatte, nun ein Gegenstand des Mitleids und vielleicht gar einer Art von Geringschätzung zu werden, hatte etwas außerordentlich Unangenehmes für ihn. Endlich aber faßte er sich doch; er wollte auch dieses Verhältniß in’s Reine bringen, wenn auch um den Preis eines vielleicht sehr fatalen Moments, und begab sich stehenden Fußes zu ihnen.

Mutter und Tochter begrüßten ihn sehr herzlich. Rosa ergriff seine Hand, sprach ihr Bedauern in ernster, achtungsvoller Art aus und fügte die sachgemäßen Tröstungen so freundlich hinzu, daß sie wahrhaft erquickend wirkten. Heinrich, sich selbst wiedergegeben, versetzte: „Seyen Sie außer Sorge! Ich bin noch immer ein Poet, und hänge nicht von Einem Stücke ab.“

„Bravo!“ rief das Mädchen erfreut, und die Mutter setzte hinzu: „Ein Unglück beim Anfang ist oft eher ein Glück; man hat um so mehr Hoffnung, mit Glück aufzuhören.“ — „Wenn man’s erlebt!“ erwiederte der Poet mit etwas bitterem Humor. „Indessen, das hängt nicht von uns ab. Thun wir das Unsere und erwarten wir die Folgen!“

Rosa, die aus dem Accent und der Miene Heinrichs abnahm, daß er im Innern von seinem Mißgeschick doch noch sehr bedrückt war, sagte für sich hinsehend: „Wer weiß, ob diese Zurücksendung Ihrer Tragödie nicht schon selber ein Glück war!“

Der Autor, der sie augenblicklich verstand, entgegnete: „Sie meinen, daß mir dieses kleine Unglück das noch viel größere eines eclatanten Falles erspart haben könnte?“ — Rosa, leicht erröthend, machte eine Bewegung mit den Armen, welche die Möglichkeit nicht läugnen wollte. — „Also auch Sie!“ fuhr Heinrich mit einem Ausdruck von Anklage und Kümmerniß fort, „auch Sie geben das Stück unrettbar verloren!“ Er sah sie an und brach unwillkürlich in die Frage aus: „Ist es denn aber so gar schlecht?“

Die Frauen konnten sich bei der Naivetät dieses Ausrufs einer Anwandlung von Lachen nicht erwehren und Rosa beeilte sich zu erwiedern: „Durchaus nicht — an sich selbst, aber für die Aufführung höchst bedenklich!“ — „Höchst bedenklich!“ wiederholte der Poet, wie einer, der betroffen die Stärke eines Ausdrucks erwägt. „Und das sogenannte Einrichten konnte dem nicht abhelfen?“ — „Vielleicht,“ erwiederte Rosa. „Aber es gab so viel Kopfzerbrechens und so viel Arbeit, daß Sie leichter und sicherer ein neues Stück ausführten.“

Der Poet, nach momentanem Besinnen, machte eine entschlossene Bewegung und rief: „In Gottes Namen! Das neue Stück, wie Sie wissen, ist angefangen, und ich werde es zu Ende bringen. Die Lust, zu schaffen, ist noch die alte, und der Muth deßgleichen!“ — Die Künstlerin schwieg und ihre Miene verrieth keine Zustimmung. — „Sie zweifeln am Gelingen?“ rief Heinrich. „Wie! Haben Sie gar kein Vertrauen zu mir?“ — „Zu Ihnen,“ erwiederte Rosa mit herzlichem Ernst, „alles, zu Ihrem neuen Stück wenig. Es ist wieder ein Trauerspiel!“

„Nun,“ versetzte Heinrich nicht ohne Unmuth, „das ist doch wohl an sich kein Verbrechen! Oder soll das Trauerspiel ganz in die Acht erklärt seyn? Darf jetzt überhaupt keines mehr geschrieben werden?“ — „Das,“ versetzte Rosa, „will ich durchaus nicht sagen. Aber der Gegenstand Ihres neuen Stücks hat seine Gefahren; ich wünsche Ihnen sicheren und wo möglich allgemeinen Erfolg, und der ist jetzt nur mit einem gelungenen Schauspiel oder Lustspiel zu hoffen.“

Heinrich, durch die freundschaftliche Theilnahme begütigt, entgegnete: „Es mag seyn; ein rein realistisches Drama kann, wie der Geschmack jetzt ist, am sichersten durchschlagen. Aber was hilft mich das? Ich habe keinen Entwurf. Mir einen abzuquälen, ist nicht meine Art und würde auch zu nichts führen. Es mag ein Unglück seyn, aber es ist nun einmal so.“

Rosa hatte bei dieser Entgegnung für sich hingesehen. Jetzt, mit Lächeln den Kopf erhebend, fragte sie: „Würden Sie eins ausführen, wenn man Ihnen den Stoff dazu gäbe?“ — Heinrich, nachdem er sie forschend betrachtet, erwiederte: „Das kommt darauf an. Wenn mich die Aufgabe in die Seele träfe, Liebe und Leidenschaft in mir erweckte —“

Während dem hatte die Mutter den Kopf geschüttelt und einen Blick der Verwunderung auf die Tochter geworfen, der sich aber bald in einen Blick der Zärtlichkeit wandelte. Rosa, mit einem Ausdruck ernster Freude, entgegnete dem Poeten: „Nun, ich glaube einen solchen Stoff zu haben und will ihn an Sie abtreten!“

Heinrich schaute betroffen, fast gerührt auf sie. „Ist’s möglich?“ rief er. — „Ja, ja,“ versetzte die Mutter. „Sie hat nicht nur einen Stoff, sondern einen genauen Plan, und schon einzelne ausgeführte Scenen!“

Heinrich wußte nicht, was er sagen sollte. Sein Auge hing an der Künstlerin, die erröthet war, und mit einem Ton liebenden Interesses rief er endlich: „Wie! Sie sind dramatische Dichterin? — Und das erfahr’ ich erst jetzt?“ — „Ein gutes Sujet,“ erwiederte das Mädchen, „und ein harmloser Versuch, es zu dramatisiren, macht noch lange keine Poetin. Ich hab’ im Gegentheil bei der Ausführung gefunden, daß mir just die Poesie abgeht, und da ich den Gegenstand für sehr günstig halte und ganz dafür eingenommen bin, so würden Sie mich geradezu glücklich machen, wenn Sie sich seiner annehmen wollten.“

Heinrich schüttelte den Kopf mit einer Miene des Widerstrebens. „Das geht nicht,“ rief er, „das darf ich nicht! Ich Sie berauben? Unmöglich!“ — „Wenn ich mich nun aber berauben lassen will?“ entgegnete das Mädchen nicht ohne Ungeduld. „Soll man Ihnen nicht einmal etwas schenken dürfen, Sie großartigster aller Sterblichen? Seyen Sie doch nicht gar zu gewissenhaft! Es kleidet niemand gut, am wenigsten die Poeten!“ Nach einer Pause, in der sie ihn lächelnd ansah, fuhr sie fort: „Nun? — Sie thun mir wirklich einen Gefallen. Ich bin der Aufgabe nicht gewachsen und würde Gott weiß wie lange daran herum arbeiten; aber Sie können etwas daraus machen. Ich gönne Ihnen den Stoff, und meinem Stoff den Poeten.“ — Das Gesicht Heinrichs klärte sich auf. „Nun,“ rief er, „wenn es Ihnen ernst ist —“ — „Vollkommen! Hier meine Hand und meinen Dank.“

Der Poet schüttelte die dargebotene Rechte und Rosa fuhr mit wahrer Genugthuung fort: „Der Handel ist abgeschlossen. Ich will die Blätter nochmal durchgehen und Ihnen das Ganze dann säuberlich vorlegen. Prüfen Sie und machen Sie daraus, was Sie wollen.“

Der Poet war von diesem Beweis theilnehmendster Güte wahrhaft gerührt. Er dankte und pries das Glück, eine so treffliche Freundin gefunden zu haben, in so warmen Ausdrücken, daß ihn beim Abschied auch die Mutter bewegt lächelnd und mit einer Miene ansah, als ob sie entschlossen wäre, sich in etwas Unvermeidliches zu fügen.

Heinrich war von der neuen Aufgabe — obwohl sie ihm noch eine bloß allgemeine war — sofort ergriffen. Er brachte die nächsten zwei Tage in Ueberlegungen und Phantasien zu, die sich fast alle auf sie bezogen, versetzte sich in moderne bürgerliche Menschen, rief sich die Erfahrungen in’s Gedächtniß, die er selber gemacht, und suchte Reden und Gesprächsfragmente auszudenken, die zugleich richtig und pikant waren. Er bildete ein förmliches Schauspielwollen in sich aus und kam zu den Freundinnen am dritten Tage voller Begierde, auf diesem Feld einen Versuch zu machen.

Rosa theilte ihm das Sujet in Kürze mit, las ihm dann ihren Plan und endlich, von ihm ermuthigt, sogar die ausgeführten Scenen vor.

Die Handlung gründete sich auf ein thatsächliches Ereigniß in einem früheren Bekanntenkreise der beiden Künstlerinnen, was dem Conflikt und dem Ausgang etwas lebendig Eigenthümliches gab. Im Wesentlichen eine „alte Geschichte,“ aber durch die neuen Beziehungen, in welchen sie verlief, neu und charakteristisch für die gegenwärtige Zeit. Menschliche Charaktere; die guten mit Schwächen und natürlichen Beweggründen, ihre Gegner neben begreiflicher Selbstsucht mit honetten Elementen ausgestattet; der Zusammenstoß und der Gang der Intrigue von der Art, daß die Hauptpersonen die verschiedenen Seiten ihres Wesens herauswenden konnten, die edleren Charaktere im Moment der Entscheidung siegreich die bessere Wahl trafen, sich erprobten und steigerten, die Vertreter der Intrigue, der Lockung anfänglichen Gelingens nachgebend, sich verstrickten und selber fingen, um zuletzt der Beschämung überliefert, zur Entsagung und Unterwerfung gezwungen zu werden. Alles das verlief im Plane so natürlich zusammenhängend, daß die Organisation im Wesentlichen gegeben war und die Phantasie nur auf poetische Begründung und Bereicherung zu denken hatte.

In Heinrich, als er den Entwurf übersah und die Anschauung, was man daraus machen könnte, ihn erhob, regte sich die erfindende Kraft. Was jenes Votum des ersten Regisseurs an ihm als natürlichen poetischen Takt gerühmt hatte, das zeigte er jetzt auf eine die Künstlerin angenehm überraschende Weise, indem er mit Sicherheit die Punkte markirte, wo Angelegtes wirksamer entwickelt, neue Effekte angebracht und mit dem Vorhandenen lebendig verbunden werden konnten. Sogar für ein paar komische Auftritte ersah er den Platz und mehrte die Zahl der Personen durch die Figur eines drolligen Gesellen, den er auf der Universität kennen gelernt hatte und jetzt der Freundin als Einlage sehr plausibel zu machen wußte.

Nachdem man, unter Assistenz der Mutter, ein paar Stunden lang erwogen, debattirt und sich verständigt hatte, konnte man sich rühmen, einen Plan zu besitzen, den man für höchst versprechend halten mußte. Heinrich war voller Freude. Das Thema begann vor seiner Seele zu leuchten, und er sehnte sich innig nach der Gestaltung.

Eines erschien ihm daran besonders reizend. Die Heldin, die im Plan Rosas Antonie hieß, zeigte eine nicht zu verkennende Aehnlichkeit mit Auguste. Wie diese mußte er Antonie sich vorstellen, und gleich Antonie würde Auguste gehandelt haben, wenn sie durch Schickungen in dieselbe Lage gekommen wäre. Eine Freundin dagegen war in einer Weise gedacht, daß er bei Zeichnung des Bildes mit Glück Züge von Rosa selber verwenden konnte, unter welcher Voraussetzung er einen sehr anmuthigen Charakter zu schaffen gewiß war. — Welche Lust nun, in Ausführung dieser Gestalten seiner Zärtlichkeit als Liebender und Freund zu gleicher Zeit genügen, die Geliebte verherrlichen, der edeln Freundin aber eine Rolle schreiben zu können, worin sie den Lohn des reichsten, beglückendsten Beifalls ernten mußte!

Dieser Gedanke entzückte ihn so sehr, daß er dem lieben Mädchen zum Abschied mit einer Herzlichkeit und Innigkeit in’s Auge sah und die Hand drückte, daß seine Haltung von der eines Liebenden kaum mehr zu unterscheiden war. Hätte sie bei der wohlwollenden Ueberlassung an Lohn gedacht, in diesem Moment erhielt sie ihn.

„Das muß gelingen!“ rief der Poet noch mit frohem Pathos. „Ich werde das Meinige — das Meinigste thun, Sie werden helfen, verbessern, zurechtweisen — und mit einander werden wir ein Werk hervorbringen, das dem Publikum Thränen entlocken und es zu begeistertem Dank hinreißen soll! Adieu für jetzt! In acht Tagen sehen Sie den ersten Akt!“

Mit strahlenden Blicken empfahl er sich, um selbstbewußt und stattlich seiner Wohnung zuzuwandern.

Er war voller Zuversicht, er anticipirte den Sieg, und hatte doch das Gefühl, daß er dadurch nicht die Nemesis reizte. Der Erfolg lag dießmal in der Sache. Charaktere, Beziehungen, Conflict und Lösung, Alles war natürlich, menschlich ansprechend und befriedigend. Die ehrenwerthen Personen hatten so viel Schwäche, daß man an ihre Tugend glaubte und sich ihrer freute, die andern so viel Gutes, daß man ihr Vergehen begriff und ertrug. In dichterischer Ausführung konnte er für alle interessiren, und der Schluß mußte nothwendig beglückend, erhebend wirken. Die Lebenswahrheit, die freundliche Mäßigung und die labende Frische der Natur, das war es, was dem neuen Gemälde die Herzen gewinnen mußte. Er stellte sich’s recht lebhaft vor und erquickte sich innig an diesen Eigenschaften.

Auf einmal zuckte er, wie erschreckt. Eine peinliche Empfindung malte sich auf seinen Zügen und das schöne Roth der Freude wandelte sich in das düsterdunkle der Scham. Er hatte an seine Tragödie gedacht, mit dem klaren Blick des Moments die Gestalten derselben prüfend überschaut: und wie durch einen Zauberschlag war der täuschende Flor gefallen, durch den er sie bis jetzt gesehen; sie standen vor ihm in all ihrer Einseitigkeit, Unnatur, Uebertreibung, und Qualgefühle gingen durch sein Inneres.

So vollzieht sich der Fortschritt in gewissen Naturen. Man denkt Ideale, prägt sie mit Lust aus und sieht die Bilder mit aller Liebe und Freude des Schöpfers. Der untersuchende Verstand Anderer entdeckt die Gebrechen daran und hebt sie hervor; man ist dagegen gewaffnet. Das Mißurtheil hat Mangel an Auffassung oder böser Wille gefällt; es wäre Thorheit, ja Verrath, sich ihm zu unterwerfen! — Neue, schärfere Angriffe rütteln an dem Werk und dringen schmerzend in das Herz des Urhebers. Die Stimme der Freundschaft spricht das Wort der Rüge und wirkt Bedenken, Zweifel. Zweifel! Das Herz wird beunruhigt, aber noch lebt in ihm die Hoffnung. Da sieht der Geist in reiner Gestalt das Aechte, Gute, wenn auch bescheiden Gute; er ist genöthigt, es als Maßstab anzulegen an die so hochgehaltenen Gebilde; und wie in der Sage Zauberinnen, welche durch eine magische Zierrath als Musterbilder der Schönheit die Sinne bestrickten, nach Hinwegnahme derselben plötzlich durch eben so große Häßlichkeit erschrecken, so grinst den Unglücklichen die Kehrseite des Bildes in aller Grellheit an; er sieht, im Innersten verwirrt, nur die Ungestalt und diese noch übertrieben, er gesellt sich zu den Feinden seines Produkts und tobt gegen sich selber.

Noch vor einer Stunde hatte die Freundin die Personen ihres Entwurfs mit Seitenblicken auf die Figuren der abgewiesenen Tragödie charakterisirt und den Autor an diesen den Mangel an Natur und Wahrheit fühlen lassen. Aber dadurch wurde er noch nicht besiegt. Die Schauspielfiguren hatten vor jenen Idealen allerdings etwas voraus, aber diese noch mehr vor jenen; beide hatten ihren Werth, ihre Schönheit, ihre Sphäre des Wirkens. Jetzt aber, nachdem es ihm wie Schuppen vom Auge gefallen, wurde er selbst Richter, um nicht zu sagen Rächer; die Angriffe der Andern, die er früher abgewiesen, verbanden sich mit ihm und drangen mit ihm vereint gegen das Werk an, und es ging in Trümmer.

Es war ein sehr schmerzliches Gefühl, das völlige Aufgebenmüssen einer so unendlich geliebten und unwillkürlich bewunderten Schöpfung! Die Selbstverdammung gab dem Urheber eine Art Genugthuung, verlief sich aber in tiefe Oede des Herzens, und die Verzweiflung begann ihre schwarzen Fittige wieder um sein Haupt zu schlagen.

Doch jetzt konnte sie ihn wohl anfallen, nicht bezwingen. Gottlob! gottlob! sein Werk lag zu Boden, er selber stand! Der Ersatz für den schmerzlichen Verlust war gegeben, er täuschte sich nicht. Die neue Dichtung mußte gelingen und ihm halten, was er sich von jener allzuhoch gespannten nur trügerisch versprochen hatte. War es doch auch eine schlichte Aufgabe, die er ergriff, der er sich fügte! Uebte er doch in der That, wenn er ihr sich hingab, die Tugend der Selbstbezwingung und Selbstbescheidung! Er hatte durch die Sirenenstimme der Einbildung sich verlocken lassen zur Selbstüberschätzung, Selbstüberhebung. Aber er war vollauf gestraft, er erkannte sein Unrecht, er wollte das Bessere — und nun mußte es ihm auch gelingen.

Die neue Arbeit stand vor ihm in täuschungsloser Klarheit. Denn freilich seit Langem kannte er die Aufgabe der Dichtung: die Natur zu verklären, die Menschen aufzufassen, wie sie sind, und sie mit ihren wirklichen Eigenschaften zu idealisiren. Wie oft hatte er sich das gesagt! Auch geschrieben hatte er’s und drucken lassen für Andere! Dennoch ließ er sich auf einen Irrweg verlocken, weil ihn eben der Wahn blendete, in reinen Musterbildern des Guten und Bösen, deren jedes leidenschaftlich und in diesem Sinn auch lebensvoll nach seinem Ziele ging, das überschwänglich Poetische zu leisten. Nun aber, nachdem er den Wahn als Wahn erkannt, war ihm jenes natürliche Ideal der Dichtung nicht mehr bloßer Gedanke, sondern historisch erprobte, durch Erfahrung bestätigte Wahrheit. Nun hatte er’s im Wollen, und nun mußte er’s auch haben im Vollbringen!

Unter diesen Gedanken war er nach Hause gekommen. Er trat in seine Stube als ein verwandelter Mensch: gedemüthigt, aber auch wieder erhoben und festen, freudigen Sinnes. Auf dem Tisch lag ein Schreiben: es war von Auguste. Der Liebende erbrach es mit dem Vorgefühl, daß es herzlich Gewünschtes bringen werde — und er täuschte sich nicht. Das Schreiben lautete:

„Mit dem größten Leidwesen, mein lieber, guter Heinrich, hab’ ich deine letzte Meldung gelesen. Ist es denn möglich? Eine Dichtung, die uns Alle begeisterte, von der wir noch lange nachher mit Bewunderung gesprochen haben, sie soll nicht einmal der Aufführung werth seyn? Man schickt sie dir wieder zurück, als wäre sie ein schlechtes Machwerk! O wie unendlich bedaure ich dich! Ich kann an meiner eigenen Entrüstung abnehmen, wie groß die deine gewesen ist, und bewundere jetzt deine Fassung und deinen neuen Muth. Das Genie und die Liebe und der Fleiß, den du auf diese Dichtung gewendet hast, Alles soll vergebens gewesen seyn? Bist du denn nicht verzweifelt?

„Ich muß mir dein poetisches Talent recht vergegenwärtigen und lebhaft daran denken, daß man eben so eigene und ungewöhnliche Zwecke, wie du sie hast, in dieser Welt nicht auf den ersten Anlauf erreicht, wenn ich nicht selbst verzweifeln soll. Wie schwierig ist es — ich hab’ es ja von dir gehört und mit dir erlebt! — ein dramatisches Werk zu schreiben! Damit ist aber noch nichts gethan. Nun soll es die Prüfung bestehen von Menschen, die vielleicht gar nicht gerecht urtheilen mögen, und wenn es diese bestanden hat, dann soll es auf der Bühne nach dem Geschmack des Publikums seyn, den man nicht berechnen kann. Welche Gefahren, welche Sorgen liegen auf diesem Weg! Ja wahrlich, die Ehren und das Glück, die man im günstigen Fall gewinnt, dürfen sehr groß seyn, wenn sie diese Anstrengungen und Aufregungen irgend belohnen sollen!

„Stelle ich mir dein Talent, deine Begeisterung und deine Ausdauer vor, dann glaube ich, trotz allem, doch wieder an dich und hoffe auf’s neue. Gib dir nur Mühe, in deinem zweiten Werk die Fehler zu vermeiden, die man am ersten getadelt hat. Mache Bekanntschaft mit Schauspielern und mit Dichtern, die schon effektvolle Werke geschrieben haben, und laß dir von ihnen rathen. Richte dich nach der jetzigen Stimmung des Publikums, die du im Theater studiren kannst, und trachte in deinem Stück nach Scenen, die du am meisten auf die Herzen wirken siehst. Wenn du das alles recht beobachtest, dann wirst du mit deinem Talent ganz gewiß durchdringen.

„Den Eltern dein Mißgeschick recht vorzustellen, ist mir sehr schwer geworden. Bei ihrem großen Vertrauen auf dich wollten sie die Nachricht zuerst gar nicht glauben. Als ich nun die Stellen aus deinem Schreiben vorlas, wurden sie verstimmt, verlegen, und dem Vater entschlüpfte das Wort: es ist doch ein unsicheres Handwerk! Ich nahm mich aber deiner an, und mein herzlicher Eifer gab mir Gedanken und Gründe für deine Bestrebungen ein, daß sie mir zuletzt nichts mehr entgegnen konnten. Aber das rechte Vertrauen ist noch nicht wiedergekehrt.

„Ein übles Nachspiel gab’s, als die Zeitung eintraf, die deine Abweisung so hämisch bekannt gemacht hat. Auf die Fragen zu antworten, die man jetzt von allen Seiten an mich richtete, ist mir auch gar nicht leicht und angenehm gewesen; ich hab’ es aber in meiner Liebe zu dir gethan, so gut ich konnte. Die Einen sprachen ihr herzliches Bedauern aus, und darunter der brave Rektor, der mir sagte, dein Brief sey ihm Bürge, daß es dir mit dem nächsten Versuch um so besser glücken werde. Andere konnten aber ihre Schadenfreude nicht zurückhalten und ihre Reden wurden durch ihre Mienen so auffallend Lügen gestraft, daß ich mich über beide sehr geärgert habe. Ich bin den Menschen förmlich böse geworden.

„Diese Nachrichten, mein lieber Heinrich, sollen dich nicht entmuthigen, sondern vielmehr anfeuern. Biete jetzt nur alle deine Kräfte auf und erfreue mich bald mit einer guten Nachricht, die den Glauben der Eltern stärken und die bösen Zungen, die bereits über dich zischeln, verstummen machen kann. Vertraue auf meine unwandelbare innige Theilnahme an Allem, was du unternimmst; schreibe mir Alles, was dir irgend Bedeutendes widerfährt! Ich weiß, daß du zur Vollendung des neuen Werkes noch eine gute Zeit brauchen wirst, und harre in Hoffnung; aber dann melde mir endlich einen Erfolg, der Alles wieder gut macht und die treuesten deiner Freunde am glücklichsten!“

Die eben so klare und verständige wie herzliche Erwiederung erfreute und erhob den Liebenden im Innersten, und muthig blickte sein Auge, als er die letzten Zeilen gelesen. Ein Erfolg, ein naher, gewisser Erfolg war gefordert, aber jetzt, Gott sey Dank, auch sicher! Das Geschenk eines unfehlbar zum Gelingen führenden Entwurfs war eine Fügung, berechnet auf das dringende Bedürfniß seiner Lage. Hülfe in der Noth, doppelt und dreifach willkommen! Er fühlte das wunderbare Zusammentreffen mit tiefem Dank gegen die Vorsehung und gegen die liebe Freundin, die ihr sichtlich als Werkzeug gedient hatte.

Am andern Morgen griff er die Arbeit an und die ersten Scenen gelangen ihm nach seinem Gefühl munter, frisch — um nicht zu sagen keck. Als er zu Tische ging, begegnete er Willmann. In der Freude seines Herzens trat er auf ihn zu, faßte ihn bei der Hand und theilte ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit seinen Fund, seine Hoffnung mit. Der Doctor war ernstlich erfreut. Mit einem Blick, der einen fast zärtlich schelmischen Glanz hatte, rief er: „Also bekehrt! Einer von den Unsern! — So rasch ist der Plan —“ Er hielt inne, schüttelte ihm die Hand und setzte hinzu: „Nehmen Sie meinen herzlichen Glückwunsch! Jetzt sind Sie im rechten Fahrwasser! Vorwärts mit dem Genius des Jahrhunderts, und vogue la galère!“

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