IX.

Heinrich, nach einem Imbiß, den er in Gesellschaft des treuen Willmann zu sich genommen, hatte sich nach Hause begeben und die Nacht war ihm in jeder Hinsicht eine gute gewesen. Geraume Zeit freilich konnte er nicht einschlummern; als es ihm aber gelang, war der Schlaf so gründlich, daß er andern Tags mit einem Wohlgefühl die Augen aufschlug, wie er’s lange nicht mehr empfunden hatte. Blinzelnd sah er umher, erinnerte sich und rief: „Darf ich’s wirklich glauben? Hab’ ich gestern das Residenzpublikum erobert?“ — „’S ist so,“ antwortete er mit Humor sich selbst, „der Traum ist Leben geworden!“

In der heitersten Stimmung erhob er sich, kleidete sich an und setzte sich zum Frühstück. Sonnige Gedanken zogen durch seinen Kopf und zum Ueberfluß schien die Sonne der ersten Frühlingswoche durch’s Fenster. Eine natürliche Sitte gebot ihm, den Darstellern der Hauptrollen seinen Besuch abzustatten, und er folgte ihr mit größtem Vergnügen.

Zunächst begab er sich zum Liebhaber. Da er selber spät aufgestanden war, traf er diesen schon in vollendeter Morgentoilette und wurde sehr zuvorkommend empfangen. Haltung und Blicke des hübschen, beliebten und eben so verwöhnten jungen Mannes sprachen während der Unterhaltung nicht nur Höflichkeit, sondern eine unwillkürliche Hochachtung aus, die ihm sehr wohl anstand und vom Poeten mit Genugthuung wahrgenommen wurde. Dieser, an die Miene sich erinnernd, die ihm sein Robert gestern nach dem dritten Akt gezeigt, konnte nicht umhin, sich innerlich zu fragen: wie er wohl aussehen möchte, wenn die Geschicke einen andern Lauf genommen hätten!

Der zweite Besuch galt der heroischen Liebhaberin. Nach einigem Warten vorgelassen, sah er sich liebenswürdig begrüßt, huldvoll angelächelt. Die Schauspielerin hatte ihr Vergnügen nicht nur an dem Dichter, der ihr eine dankbare Rolle geschrieben, sondern auch an dem Manne, der ihr so stattlich bis jetzt nicht erschienen war. Das blaue Auge gewann eine gewisse poetische Zärtlichkeit, die ihr sehr anziehend ließ. Der Dank des Poeten für ihre gestrige Leistung fiel unter diesen Umständen wärmer aus, als es sonst wohl geschehen wäre, und die Künstlerin nahm ihn um so freudiger hin.

In diesem Leben, das so viel Ungemach und Verdruß mit sich führt, gibt es doch glücklicherweise nicht nur die eigentlichen Honigwochen, sondern auch uneigentliche Honigmomente, die von großem Werthe sind. Zu ihnen gehört das erste Wiedersehen nach einem gemeinschaftlich erkämpften Sieg. Die Gemüther sind da so froh, so geneigt, ja gedrängt zur Anerkennung, daß eine gegenseitige Steigerung des Glücks und eine schöne Annäherung der Seelen unvermeidlich ist. — „In ihr hab’ ich auch eine Freundin,“ sagte sich der Poet, als er wieder auf der Straße war. „Freilich,“ setzte er mit Laune hinzu, „muß ich fortfahren, ihr Gelegenheit zu ausgezeichnetem Spiel zu geben. Aber das ist ja meine Absicht, und ich wünsche mir nichts Besseres, als ihre volle Zufriedenheit.“

Mit beschleunigten Schritten ging er zu den altbewährten Freundinnen. Er traf sie in einer Stimmung, die wohl zu den schönsten gehört, deren wir uns im Leben erfreuen können. Sie waren glücklich alle beide; der Ausdruck ihrer Mienen hatte aber etwas Gehobenes, das der Freude des Herzens eine ernste Weihe gab. Das Licht derselben wirkte magisch auf den Dichter, und Alles, was er sagte, hatte den Charakter eines Ernstes, mit welchem verglichen auch der Ton der wärmsten Galanterie noch profan erscheint.

Heinrich war für die Anmuth Rosas nie unempfindlich gewesen; heute aber kam sie ihm schön vor — schön im edelsten Sinne des Worts. Da die Schönheit vorzugsweise aus der Seele kommt, so war dieß begreiflich. In dem Mädchen lebte ein Gefühl, das durch ihre Gesinnung in Schönheit verklärt wurde. Zu der Liebe ihres Herzens, zum Bewußtseyn ihrer Großmuth war jetzt ein großer äußerer Erfolg hinzu gekommen, der ihr die Erfüllung der liebevollsten Absicht und damit ihre eigene innere Vollendung brachte. Es wird immer eine Frage bleiben, ob das wirkliche Lebensglück in der That werthvoller ist, als die Entsagung unter solchen Verhältnissen.

Als Heinrich zu gehen sich anschickte, bemerkte Rosa: „Sie haben bis jetzt nur Schönes über Ihr Stück gehört. Erlauben Sie mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß das nicht so fortgehen wird. Sie werden auch Tadel, scharfen Tadel hören, namentlich aber lesen.“

Der Poet sah sie an. „Was will man denn aber,“ fragte er dann, „im Grunde tadeln an dem Stück? Es ist doch offenbar gut; hat auch entschieden gefallen —“

Die Künstlerin konnte nicht umhin zu lächeln. „Das ist ja eben der größte Fehler in den Augen gewisser Kritiker!“ entgegnete sie. „Lassen Sie sich dadurch aber nicht böse machen; auch nicht, wenn allenfalls in Gesellschaften die Nase darüber gerümpft wird. Manche Leute sind nun einmal so, daß sie nur Gescheidtheit zu beweisen meinen, wenn sie absprechen. Aber das Wort verhallt, das Schmähblatt verweht der Wind; darum behalten Sie guten Muth!“

Heinrich versprach es ihr lächelnd und nahm Abschied, um sich zum Intendanten zu begeben. Im Theater angekommen, wurde er sogleich vorgelassen. Mit einer Munterkeit, die ihm ordentlich etwas Jugendliches gab, rief der würdige Bühnenchef: „Ah, da kommt ein glücklicher Dramatiker! — Nun,“ setzte er Heinrichs Hand ergreifend hinzu, „hat mich sehr gefreut — in Ihrem Namen und in unserem! Das Publikum, anfangs ein bischen spröde, hat sich sehr gut benommen.“ — „Ausgezeichnet,“ erwiederte der Autor. — Der Intendant nickte heiter. „Mit der Darstellung,“ fragte er dann, „sind Sie zufrieden?“ — „Vollkommen,“ rief der Poet mit großer Wärme. — „Das hör’ ich selten von den Herrn Dichtern,“ erwiederte der Intendant lächelnd. „Und es ist im Grund mehr, als ich zugeben könnte. Sie waren im Ganzen recht brav; aber eins und das andere kann noch viel besser werden. Nun, das wird kommen! Was sagen Sie aber dazu, daß wir das Stück übermorgen schon wieder geben?“

Heinrich sah ihn froh überrascht an. „Meine Zustimmung,“ entgegnete er, „haben Sie durchaus.“ — „Das glaub’ ich,“ versetzte der Intendant erheitert, „an einem Feiertag! Das Haus wird voller werden, als das erstemal.“ — „Ich bin Ihnen zum größten Danke verpflichtet!“ rief der Glückliche. — Der Herr, ihn ansehend, fuhr fort: „Es wird eine zweite Probe seyn, vor einem neuen Publikum; aber Ihr Stück wird sie bestehen. Also es hat mich von Herzen gefreut, und ich gratulire nochmals.“ Der Poet empfahl sich.

Als er im Vorzimmer den Ueberrock anzog, traten die beiden Regisseure herein. Heinrich, sie grüßend, zeigte ein Gesicht, welches nicht nur den Sarkastischen, sondern auch den Ernsten zum Lächeln reizte.

„Sie blühen ja wie eine Rose!“ rief Hallfeld. — „Austausch des Vergnügens zwischen Theatervorstand und Dichters!“ erklärte Berger. „Anwartschaft auf ungezählte künftige Triumphe!“ — „Der Herr,“ bemerkte Hallfeld, „will Ihnen in der That sehr wohl.“

„Er liebt die Bescheidenheit,“ fuhr der Andere fort, „die Dankbarkeit, das gute Herz!“ — „Verbunden mit der Kunst, ein Stück zu schreiben, das volle Häuser macht,“ ergänzte Hallfeld. — „Also übermorgen? in der großen Halle?“ — Heinrich, den Besuch auf der Bühne zusagend, verabschiedete sich.

Sonst war dieser Tag der Besuche noch durch ein zufälliges Treffen bezeichnet, das der Poet im Grund herbeigewünscht hatte. Nachmittags, als er in der besten Laune die Hauptstraße hinabspazierte, kam Professor Sartorius gegen ihn heran. War das nicht eine vom Geschick ihm zugewendete Genugthuung? Sich instinktmäßig zusammennehmend ging er dem Gelehrten entgegen, grüßte mit der edeln Freundlichkeit eines Mannes, der wohlverdiente Achtung ansprechen kann, und erwartete nun in dem Gesicht des Widerlegten etwas davon zu sehen. Das war freilich eine Täuschung. Der Begrüßte dankte mit einem Ausdruck von Aerger und Spott, wie über jemand, der auf zufälliges Glück unangenehme Ansprüche gründen will, und ging vorüber.

Wir können verrathen, daß das Benehmen des Ehrenmannes eine Frucht häuslichen Verdrusses war. Ein jüngerer Professor der Anstalt, der Heinrichs Drama gesehen, war nach Tisch bei der Familie gewesen, hatte über den Erfolg berichtet und die Arbeit gerühmt. Als er wieder fort war, sagte die Frau mit stillem Vorwurf zum Gemahl: „Wir hätten diesen Born doch einmal einladen sollen!“ — „Warum?“ fragte jener mit Stirnrunzeln. — „Weil er ein talentvoller Mann ist,“ versetzte die Gattin; „viel mehr, als du’s ihm angesehen hast.“ — „Pah!“ rief der Professor; „er hat ein Rührstück verfaßt, das den Unwissenden gefällt.“ — „So?“ rief die Frau, „gehört Professor Holm zu den Unwissenden?“ — „Holm ist ein guter Mensch, aber auch ein Schöngeist,“ entgegnete der Mann. — „Holm —“ wollte die Gattin fortfahren; aber jener fiel aufgebracht ein: „Geh! Laß mich ungeschoren mit deinen Belletristen!“ Sehr verdrießlich ging er in sein Studierzimmer zurück, wo sich die Stimmung gegen einen Menschen, der ihm eine Verlegenheit bereitet hatte, begreiflicherweise nicht verbessern konnte. Aber auch ihm sollte eine Freude, eine Genugthuung werden, und der Poet sollte seine Ansicht über die Natur der Menschen vervollständigen.

Am andern Morgen faßte Heinrich zunächst einen Bericht an seine Eltern ab, worin er seine baldige Ankunft meldete. Er that seinem Herzen recht Genüge und malte alles, wovon er wußte, daß es die liebenden Seelen erquicken und für die bewiesene Ausdauer belohnen würde, mit glänzenden Farben. Dann, nach Erholung trachtend, ging er an dem schönen Morgen in eine Restauration.

Er saß behaglich in einer Ecke, als ihn eine Neugier überkam, ob die Blätter noch keine Kritiken seines Dramas enthielten. Rasch ging er die im Lokal vorhandenen durch; zwei Besprechungen waren da, von Emil Schilf und von Dorn.

Da er von dem erstern mit Recht nicht viel Gutes erwarten konnte, nahm er die Auslassung des Befreundeten vor. Bei der dritten Zeile schon verdunkelte sich sein Antlitz bis zu tiefem Roth. Er las weiter, starrte auf die Buchstaben, wie einer, der zu träumen glaubt, schüttelte zornig den Kopf und warf endlich das Blatt mit dem Rufe weg: „Aber das ist ja eine wahre Bestie!“

Die Kritik, die so übel auf ihn wirkte, lautete: „Wer noch daran gezweifelt hätte, daß Theater und Drama bei uns immer größerem Verfall entgegen gehen, der konnte vorgestern in unserem Hoftheater den Beweis davon erlangen. Das Publikum (allerdings, wie leicht zu sehen war, unter Anführung einer wohlvertheilten Claque) hat ein Schauspiel mit Beifall aufgenommen, das wir zu den geistlosesten Produkten rechnen müssen, womit wir in den letzten Jahren gestraft worden sind. Das Thema so abgedroschen als möglich, der Dialog von der plattesten Art; edelseynsollende Personen, die im gewöhnlichen Verkehr langweilig, in Rührscenen durch Prätension widerlich und lächerlich sind; ein schlechter Geselle, der nur dazu erfunden ist, damit jene in Edelsinn machen können; und ein Ausgang wörtlich nach Schiller:

Wenn sich das Laster erbricht, setzt sich die Tugend zu Tisch.

Der Gang der Handlung ist kürzlich der (folgt nun eine nähere Inhaltsangabe, die zu dem Gesagten den Beweis liefern soll, also ganz in demselben Styl gehalten ist. Dann fährt der Kritiker fort): „Wie war es möglich, daß ein solches Machwerk Beifall erlangte? Man könnte sagen, auch der Applaus war gemacht, und zum großen Theil ist er’s offenbar auch gewesen. Man könnte den Succeß auf Rechnung der Schauspieler bringen, die in der That alles Mögliche leisteten, den hölzernen Figuren Blut und Leben einzugießen. Allein es läßt sich nicht in Abrede stellen, auch das Stück selber, mindestens in der zweiten Hälfte, fand Anklang. Der Geschmack ist also wirklich bereits auf eine Stufe gesunken, wo er mit Abhub vorlieb nimmt! Weiter kann’s nicht gehen!“

„Der Autor des Stücks hat früher eine Tragödie geschrieben, die für ihn und seine Laufbahn als Dramatiker Hoffnungen erwecken konnte. Als Theaterstück verfehlt und zur Aufführung nicht brauchbar, verrieth sie doch eine höhere Tendenz und enthielt Poesie. Warum ist Herr Born in dieser Richtung nicht fortgegangen? Warum hat er sich nicht bemüht, seine dichterische Fähigkeit, so viel die Natur ihm verliehen hat, in einer zugleich höher gehaltenen und bühnengemäßen Arbeit zu verwerthen? Warum ist er zum Feind geworden seiner eigenen Begabung? Die Antwort gibt sich jeder selbst. Das ist eben der Fluch unserer Zeit, daß man die Aufgaben, deren Lösung Fleiß und Anstrengung erfordert, umgeht, um — nach Gewinn zu langen. Nun, der wird dem Verfasser nicht entgehen. Solche dramatisirte Gemeinplätze sind recht ein Futter für unsere Bühnen, wie sie gegenwärtig sind, und wir prophezeien dem spekulativen Schreiber in dieser Beziehung eine recht schöne Ernte. Dem Gewinn an Honorar (sic) wird aber ein tödtlicher Verlust an Dichterehre zur Seite gehen. Herr Born, indem er den Geschmack des Publikums herunterbringen hilft, wird sich aufhelfen. Aber Alles in der Welt hat seine Grenzen, und endlich wird auch bei uns der Messias erscheinen, der ihn und seinesgleichen aus dem Tempel der Kunst hinaustreiben wird.“

Der Poet, so schmählich behandelt in einem vielgelesenen Journal, hatte eine Empfindung des Grimms und des Verdrusses, die für den ersten Moment das höchste Glücksgefühl der letzten Tage aufwog. Dämonisch angezogen, ergriff er das Blatt noch einmal, überflog es und schüttelte den Kopf als über etwas völlig Unbegreifliches. Wie konnte ein Mensch, mit dem er freundlich verkehrt hatte, gegen ihn diesen Ton anstimmen? Aus Rache, weil er nicht dazu gekommen war, sein Buch zu loben? Aber er hatte ja das Beste darüber gesagt, was er irgend vermochte, und die Zögerung, sein Urtheil über die verwünschte Satire öffentlich auszusprechen, wenn sie als Kränkung aufgefaßt wurde, stand doch mit einer solchen Beschimpfung seines Werks und Charakters im ungeheuersten Mißverhältniß. Die Schmähkritik verdammte ein Stück, das den reinsten und ehrlichsten Sieg errungen; sie verdammte den Geschmack eines Publikums, zu welchem die gebildetsten Männer und Frauen der Residenz gehörten; sie hatte nur Worte des gröbsten Tadels und der Verleumdung, wo feine Seelen mit Vergnügen und Achtung anerkannten: woher kam dem Verfasser nur der Muth, der Wahrheit und der öffentlichen Meinung dermaßen in’s Gesicht zu schlagen? Wie kommt man überhaupt dazu, absichtlich ungerecht zu seyn? — Heinrich versuchte sich in einen Menschen hineinzudenken, der unter Voraussetzungen, wie sie hier gegeben waren, einen solchen Artikel zu schreiben vermochte, es gelang ihm nicht. Mit Staunen betrachtete er die Höhe der Gemeinheit, um beschämt vor ihr die Blicke zu senken.

Man kann sich irren, das begriff er. Man kann in der Leidenschaft übertreiben, das begriff er auch. Wie aber ein Wesen, das den Namen Mensch beansprucht, Wahrheit und Gerechtigkeit völlig umkehren und den Urheber eines guten Produkts wie einen Verbrecher zu behandeln im Stande war, und zwar öffentlich, dem öffentlichen Urtheil sich preisgebend, das begriff er nicht.

Was sollte er nun aber thun? Sollte er die Lästerkritik ungeahndet hingehen lassen, oder gegen den Schreiber auftreten? Und wenn dieß, mit welchen Waffen? Diese Frage beschäftigte ihn eine Zeitlang, er kam aber zu keinem Beschluß und wollte darüber Sachverständige hören.

Mit einem Lächeln der Geringschätzung nahm er das andere Journal zur Hand; denn wie boshaft der Exdramatiker sich aussprechen mochte, den Exfreund konnte er nicht erreichen, überbieten auf keinen Fall.

In der That blieb dem letzteren die Palme, da jener nur das Werk verdammte und im Autor bloß gänzliche Talentlosigkeit nachzuweisen suchte. Dieß that er freilich mit so frohem Eifer, er zauste und rupfte das Stück mit einem so glückseligen Gefühl der Machtvollkommenheit, daß er, wie ergötzlich er auf unbetheiligte Leser wirken mochte, dem Getroffenen doch die Hand jucken machte. Allein im Vergleich zur ersten war die zweite Kritik dennoch harmlos und Heinrich machte endlich eine Bewegung wie über die Expektoration eines Tollkopfs.

Sonderbare Erfahrungen! Der Genuß des Süßesten und des Bittersten auf zwei Tage zusammengedrängt! Der Gegenstand der herzlichsten Zustimmung ein Gegenstand der gehässigsten Anfeindung! Hier die Liebe, die lieblich schenkt, dort der Haß, der die reizenden Gaben zu besudeln giftig herbei dringt! — „Harpyen!“ rief der Poet, „wortwörtlich! Einladende Speisen zu beschmutzen, mit blinder Gier erfüllt! Welch ein Tiefsinn der mythologischen Phantasie!“

Etwas gehoben durch seinen gerechten Groll, verließ er das Haus doch noch mit sehr gemischten Empfindungen. Er fühlte eine wahre Sehnsucht, einen braven Menschen zu sehen, und suchte daher Willmann auf, von dem er wußte, daß er sich um diese Zeit öfters auf dem Weg zur Redaktion eines Unterhaltungsblattes treffen ließ. Zum Glück sah er ihn bald und ging eilig auf ihn zu. Der Erfahrene, nach einem Blick auf ihn, sagte bescheiden lächelnd: „Sie scheinen von einem Dorn gestochen zu seyn?“

„Allerdings,“ erwiederte Heinrich mit entsprechendem Mundverziehen. „Eben hab’ ich sie mir aus dem Fleisch gezogen, die giftige Spitze. Was sagen Sie dazu?“ — „Es ist stark,“ versetzte Willmann, „sehr stark.“ — „Ein non plus ultra in jeder Hinsicht!“ rief der Gekränkte. „Was soll ich dagegen thun?“ — „Nichts,“ erwiederte der Andere mit ruhigem Nachdruck.

Heinrich sah ihn an. „Sie meinen, der Artikel richtet sich selbst? und die Verachtung, womit man ihn lesen wird, kann mir Rache genug seyn?“ — Willmann sah ihn erheitert an. „Nichts weniger als das!“ rief er. „Der Artikel, fürcht’ ich, wird mit großem Vergnügen gelesen werden.“ — „Wie!“ rief der Poet. „Ist nicht das Publikum mit beschimpft? Und wird es sich das gefallen lassen?“

„O,“ versetzte Willmann, „recht gern!“ Und indem er ihn prüfend ansah, fuhr er fort: „Sind Sie in der That so kindlich, daß Sie nicht wissen, was Schadenfreude ist? Das Publikum, mein lieber Freund, will sich amüsiren. Hat es sich nun positiv amüsirt an einem schönen und guten Stück, dann will es sich auch negativ amüsiren an der Durchhechelung, ja an der Zerrupfung eben desselben Stücks. Der menschliche Geist, mein Freund, ist reicher und seine Bedürfnisse sind mannigfaltiger, als Sie anzunehmen scheinen.“ — „Das glaub ich nicht!“ rief Heinrich in edlem Eifer.

Willmann schüttelte den Kopf. „Ihre realistische Durchbildung,“ sagte er, „ist noch lange nicht vollendet. Der Umstand, daß solche Artikel geschrieben werden, und zwar viel häufiger, als Sie zu wissen scheinen, beweist ja gerade ihre Beliebtheit, ihre Beliebtheit bei der großen Majorität der Leser. Schläge sind freilich sehr unangenehm für den, der sie bekommt; aber für den Zuschauer? Interessant, wo nicht gar beglückend. Ich bin fest überzeugt, daß nicht nur unsere Biedermänner in Stadt und Land, sondern auch manche vom zarten Geschlecht, wie ich’s kenne, den Artikel mit Vergnügen lesen werden.“

„Und trotzdem soll ich —?“ — „Nichts dagegen thun — allerdings! Und zwar darum nicht, weil auch das vorübergeht, wie der Wind“ — „Indessen,“ versetzte der Poet, „hat dieser Mensch nicht nur mein Stück, sondern auch meinen Charakter angegriffen!“ — „Das ändert gar nichts,“ entgegnete Willmann. „Im Gegentheil, es kommt eben Ihnen zu Gute und schadet dem Kritikus, weil das Publikum sich diesen Vorwurf nur aus Neid erklären wird. Hätten Sie,“ fuhr er ihn heiter ansehend fort, „wohl gar Lust, Händel anzufangen, weil man Ihnen vorgeworfen hat, daß Sie lieber Stücke schreiben, die gefallen und Geld eintragen? Im Namen der Preßfreiheit verlang’ ich, daß Sie’s gedruckt seyn lassen!“

Heinrich wollte eben antworten, als nahende Tritte beide umsehen machten. Sie erblickten den Professor Sartorius, den der Heimweg vom Gymnasium an ihnen vorüberführte. Willmann kannte und grüßte ihn und Heinrich mußte folgen. Der Gelehrte, während des Gegengrußes, sah nun auf den Poeten mit einer so stechend vergnügten Miene, daß dieser sich augenblicklich sagte: „Er hat’s gelesen — und ist glücklich darüber!“

In der That, so war es! Nicht nur hatte der häuslich Beschämte die Kritik mit großem Vergnügen entdeckt und genossen — er hatte sie in der Tasche, und freute sich nun herzlich, damit seinerseits die Frau zu beschämen. Bei dieser Gelegenheit machte er natürlich auch eine kleine Ausnahme von der Regel; der Feuilletonist und Literat (eine Gattung, von der sonst eben er am schlechtesten zu denken pflegte) war hier ein durchaus zuverlässiger Mann und eine unumstößliche Autorität gegen den Poeten.

In der Seele des Nachschauenden kam ein gewisser Humor auf, und sein Angesicht ward heiter. „Sie haben Recht!“ sagte er zu dem Freund. „Laßt sie schimpfen und am Schimpf sich erquicken! Ueber ein Kleines, dann sind wir wieder oben!“

Zunächst schien sich das feindliche Princip gegen den Dramatiker wirklich erschöpft zu haben. In den nachfolgenden Kritiken waren Lob und Tadel auf eine für den Autor ehrenvolle Weise gemischt, und dieser konnte das Gift durch das Gegengift unschädlich gemacht sehen. Der Theateragent der Residenz stattete ihm einen Besuch ab, erbot sich, das als Manuscript zu druckende Schauspiel gegen eine mäßige Tantième zu versenden, zu protegiren, und man traf eine Verabredung zu beiderseitiger Zufriedenheit. Die Hauptsache war aber, daß die Wiederholung des Stücks an dem Feiertag noch mehr Glück machte, als die erste Aufführung. Das überfüllte Haus gerieth schon beim zweiten Akt in eine sehr erfreuliche Bewegung, um dann im dritten mit einem Sturm loszubrechen, der die kühnsten Prophezeiungen des ersten Leseabends verwirklichte. Der Dichter, im Hintergrund einer Loge unerkannt und unbeachtet, genoß sein Werk zum erstenmal rein, fühlte sich in den brausenden Wellen des sich selbst höher hinauftreibenden Applauses unendlich wohl, eilte zum Schluß der Vorstellung auf die Bühne, und unter Händedrücken und Umarmungen war eitel Freundschaft und Seligkeit.

In der sichern Voraussicht, daß es wieder „gut gehen“ würde, hatte Willmann ein kleines Souper in einem besondern Zimmer des nächsten Gasthauses veranstaltet. Theaterfreunde und Schauspieler, darunter die beiden Regisseure, kamen nach der Aufführung zusammen, speisten und ergaben sich bei nachfolgendem Weinpunsch fröhlichem Gespräch. Es war natürlich, daß das Gelag den Charakter einer Ovation für den Poeten annahm. Der Regisseur der Tragödie stand auf, schilderte mit elegantem Lob das Bestreben und Verhalten des Freundes, hob namentlich die Ausdauer hervor, die ihn endlich zum wohlverdienten Triumph geführt habe, und sprach den Wunsch aus, daß die Verbindung des Dichters mit dem Theater, insbesondere mit der hiesigen Bühne, keine vorübergehende, sondern eine dauernde seyn möge.

Heinrich, durch die lauten und herzlichen Zurufe der Versammlung gerührt, begeistert, erwiederte: „Meine Freunde! Auf den ehrenden Wunsch, den ein Kenner und Künstler ersten Ranges an mich gerichtet hat, muß ich erklären, daß die Verbindung meiner poetischen Thätigkeit mit dem wirklichen deutschen Theater das Ziel meines Lebens ist und immer bleiben wird. Dramatische Dichtung und Darstellung müssen Hand in Hand gehen, wie Freund und Freund, ja ich möchte fast sagen, wie Mann und Frau! Sie sind geschaffen, sich wechselseitig zu hegen, zu fördern, und nur im engsten Bunde kann jede ihrer eigensten Vollendung entgegen gehen. Das dichterische Werk, das in bestimmtem Hinblick auf die scenische Darstellung und ihre Gesetze hervorgebracht wird, erlangt nicht nur größere Bühnenwirksamkeit, sondern auch höheren Werth an Poesie, an dramatischer Poesie. Die dramatische Poesie ist es aber doch unstreitig, auf die es beim Drama vor allem ankommt. Wir wollen hier nicht den Reiz der Erzählung und nicht den Zauber des Liedes auf Kosten des dramatischen Lebens: wenn diese beiden zugelassen werden, dürfen sie nur Elemente — Zierden bilden zum Vortheil der Handlung. Die Bühne weist den dramatischen Dichter auf dieses höchste Ziel immer wieder hin, sie zieht ihn von den Abschweifungen in die Gebiete des Epos und der Lyrik immer wieder zurück, und darum wird es in der Zukunft seyn, wie es in Wahrheit immer gewesen ist: die reinste Entfaltung der Dramatik auch als Poesie wird abhängen von dem lebendigen Verkehr der Dichter mit dem Theater und von der Erfüllung der Ansprüche, welche an das Drama durch den Zweck bühnengemäßer Wirkung gestellt werden.“

„Die Dichtung, die solchen Bund eingeht mit dem Theater, muß aber in diesem Bund allerdings frei seyn und jene Forderungen des Theaters vollkommen selbstständig erfüllen: durch Poesie — durch Wahrheit und Schönheit. Ein poetisches Drama, das einen einseitig epischen oder lyrischen Charakter hat, ist kein Bühnenstück, aber immer noch ein dichterisches Werk; ein Drama, das nur Bühnenstück ist, sinkt aus der Sphäre der Poesie überhaupt in die Region der Machwerke und Surrogate. Fern sey es von mir, den Kreis der Poesie verengern zu wollen! Schönheit ist möglich auch in Abspiegelung des wirklichen, des oft sogenannten prosaischen Lebens, und wie weit ich selber in meinem ersten Versuch hinter dem Ideal zurückgeblieben seyn mag, Kunstverständige geben mir zu, daß sie gleichwohl poetische Ergötzung in ihm gefunden haben. Schönheit ist möglich gegenüber von allen Stoffen, denn die Schönheit kommt aus dem liebevollen Geist, der die Stoffe kunstgemäß bildet; aber da muß sie seyn, wo mit dem Anspruch der Kunst aufgetreten wird. Das Drama, das den Forderungen der Darstellung entgegen kommt in und mit Poesie, steigert, erhebt, adelt die Darstellung. Das Bühnenstück aber, das jene Forderungen täuschend erfüllt durch sinnlich wirkende Effekte, degradirt die Bühne und entwürdigt die Kunst zum prosaischen Gewerbe.“

„Es gibt einen wahren und einen falschen Bund der dramatischen Dichtung mit der Bühne. Der wahre Bund zweier gleichmäßig freien, in wechselseitiger Liebe freien Künste, die sich einander ganz machen und gebend und empfangend mit einander das höchste aller Kunstwerke hervorbringen, die scenische Darstellung des dramatischen Gedichts — dieser Bund der Ehren und des ehrenhaften Vortheils — er lebe hoch!“

Großer Applaus folgte der mit Schwung vorgetragenen Rede, und unter nachträglichen Bravos stießen Alle mit dem Poeten an. Berger konnte aber nicht umhin zu bemerken: „Treffliche Grundsätze und sehr gut ausgesprochen! Aber nehmen Sie sich in Acht!“ — „Handeln Sie darnach,“ rief Hallfeld pathetisch dagegen, „und lassen Sie sich nicht irre machen! Wenn dem Theater auch diese Zumuthungen zu viel sind, dann haben wir kein Recht mehr, uns Künstler zu nennen.“

Der kräftige Spruch des Heldenvaters rief Widerspruch und eine Discussion hervor, die unter Anleitung Willmanns die Frage mehr und mehr in Erwägung praktischer Fälle beleuchtete und bis nach Mitternacht währte. Die endlich geleerte zweite Bowle brachte unter den Streitenden eine Art Versöhnung zu Stande, indem die idealere Partei zugab, daß unter Umständen auch poetisch bedeutungslose Dramen wirklich künstlerische Bühnenleistungen möglich machten, und man ging endlich in guter Freundschaft auseinander.

Als Heinrich am andern Morgen erwachte, fühlte er sich, trotz des reichlichen Genusses alles Guten, doch vollkommen heiter und kräftig. Aber das Glück der Seele hat eben auch die schöne Eigenschaft, daß es die Nahrung des Leibes möglichst wohl bekommen macht, und nicht nur gesunde Männer, wie Heinrich, sondern auch Hypochondristen können wir nach einem Triumph, den sie während eines anstrengenden Schmauses gefeiert haben, oft zu holdseliger Jugend erblüht sehen.

Die letzten Pflichten, die den Dichter in der Residenz gehalten hatten, waren erfüllt, der Tag der Abreise zur Geliebten gekommen. Er wollte heute noch fort, packte einen kleinen Koffer mit Kleidungsstücken, legte die Theaterzettel der beiden Aufführungen mit den guten Recensionen dazu und machte sich dann auf zu den Freundinnen, um Abschied zu nehmen.

Es war doch ein eigenes Gefühl, als er die Treppe hinan stieg, um zweien Wesen Lebewohl zu sagen, mit denen er so lange und so herzlich verkehrt, von denen er so viel Liebes erfahren hatte. „Wie wird es Rosa aufnehmen?“ rief’s unwillkürlich in ihm. „Keine Einbildung!“ antwortete er sich selbst, und zog entschlossen die Klingel.

Die junge Künstlerin war allein zu Hause. Mit sanft heiterer Miene grüßte sie ihn; aber die Ahnung, was ihn herführe, gab ihrem Gesicht alsbald einen Schein von Wehmuth. Heinrich betrachtete sie, ein Ernst überkam ihn und steigerte sein Gefühl zur Verlegenheit. Ein kleines Gespräch über den gestrigen Abend, das den ersten Erkundigungen und Antworten folgte, hielt nicht lange vor. In dem Schweigen, das eintrat, nahm sich aber der Poet endlich zusammen, lächelte durch den Ernst und sagte: „Ich bin gekommen, um Abschied zu nehmen.“

Rosa, obwohl sie das erwartet, fühlte sich durch die Thatsache doch so getroffen, daß sie unwillkürlich auffuhr: „Ah!“ rief sie, indem eine leichte Blässe über ihr Gesicht flog. Aber schnell, mit Lächeln, setzte sie hinzu: „Ich begreife!“ — „Ich reise zu den Meinigen,“ fuhr Heinrich fort, „die guten Nachrichten selber zu überbringen —“ — „Freilich, freilich!“ rief die Künstlerin mit lebhaftem Nicken. Wie schmerzlich sie den Stich in ihrem Herzen empfand, sie erkannte die Nothwendigkeit, ihn zu verbergen, und es mußte ihr gelingen.

Mit einer Theilnahme, wie man sie einem kindlich Glücklichen zuwendet, und mit einer gewissen Laune im Ton, fuhr sie fort: „Da wird große Freude seyn im Lande! Ein Dichter, der auszog mit Manuscripten und Projekten und heimkehrt mit einem Lorbeerkranz! Gefeiert vom Publikum, angegriffen vom Neid, gerühmt von dramaturgischer Weisheit! Was können die Verwandten und die liebende Braut sich Besseres wünschen? Das Talent, an das man glaubte, ist bewiesen, glänzend bewiesen, und der öffentliche Erfolg in der Residenz muß dem Sieger die Huldigung der Provinz eintragen! Mit Stolz werden die Eltern die Hand der Geliebten in die seine legen, der Bund wird geschlossen werden und die Freunde werden glücklich seyn — die hiesigen, das mögen Sie glauben, nicht am wenigsten!“

Die Liebende hatte sich während dieser Rede innerlich so befreit, daß ihre Miene bei den letzten Worten das reinste Wohlwollen ausdrückte. Der Schein desselben wirkte nun aber auch befreiend auf den Poeten. Ja, es war liebevolle Freundschaft, was sie beseelte — nicht mehr! Sie war ihm gut, sie hing an ihm als ihrem Zögling und wollte sein Bestes; aber sie lebte in einer Sonnensphäre der Kunst und der Seelengüte, von wo sie nur mit freudigem Antheil auf sein Glück hernieder sah. Gewisse Gedanken, die er sich gemacht, Vermuthungen, die er gehegt, waren grundlos. Er besaß in ihr einen guten Engel, einen Schutzgeist; von ihr geleitet, gefördert zu werden, hatte sein günstiges Geschick ihn zu ihr geführt, und ihr konnte er nun auch, wie immer, traulich sein ganzes Herz öffnen.

„Ja,“ rief er mit dem Glücksgefühl eines Liebenden, „so, hoffe ich, wird es kommen! Ich will Ihnen ehrlich gestehen, dieser Erfolg hat mir auch noth gethan. Wie sehr Auguste an mich glaubt, sie hat Eltern und Verwandte, die sehen wollen, um zu glauben. Aber jetzt, wenn ich heimkehre, werden sie befriedigt seyn und Augen machen wie Kinder vor dem brennenden Christbaum. Der Erfolg, wie ich ihn berichten kann, wird auf sie den größten Effekt machen; sie werden mich höher stellen, meinen Zusagen überhaupt und völlig glauben, und sie können es auch. Nachdem ich — mit Ihrer Hülfe, liebste Freundin — meine Kraft erprobt habe, ist mir’s, als ob mir Alles gelingen müßte. Es liegt mir in den Fingern und ich meine es nur auf’s Papier werfen zu dürfen. Ja, ich führe Auguste einem gesicherten Loos entgegen, ich bin davon überzeugt, und werde daher mit aller Zuversicht vor die Eltern treten.“

Rosa, nachdem sie mit einem schwer zu beschreibenden Blick beigestimmt hatte, sagte: „Wann wollen Sie reisen?“ — „Heute noch, in einer Stunde,“ erwiederte Heinrich. „Es ist auch die höchste Zeit. Ich habe nichts an Auguste geschrieben, weil ich mir den Genuß verschaffen wollte, die Erlebnisse der letzten Tage vollständig mündlich zu schildern.“

„Ich verstehe,“ rief das Mädchen. Mit einem Lächeln der Trauer, das aber sogleich in ein Lächeln der Liebe überging, reichte sie ihm die Hand und sagte: „Reisen Sie mit Gott! und finden Sie alles Glück, das Ihr Herz sich wünscht! Aber — vergessen Sie dabei nicht ganz Ihre hiesigen Freunde!“

„O,“ rief Heinrich, „von niemand wird in unsern Unterhaltungen öfter und ehrenvoller die Rede seyn, als von Ihnen! Ihr Lob wird von allen Lippen erschallen, und wenn ich dann mit Auguste zurückkehre, wird unser erster Gang zu Ihnen seyn!“ — Rosa nickte dankend. „Empfehlen Sie mich,“ fuhr Heinrich fort, „der lieben Mutter, es ist mir leider unmöglich, sie zu erwarten. Und nun — leben Sie wohl!“

Er war näher getreten und gab ihr die Hand. Sie, mit edler Freundlichkeit, sagte: „Die herzlichsten Wünsche nochmals, und auf Wiedersehen!“ — „Auf Wiedersehen, unbedingt!“ entgegnete Heinrich, nickte mit einem Blick des Dankes und verließ die Stube. — Rosa begleitete ihn vor die Thüre und rief ihm noch heiter nach: „Grüßen Sie die Braut von der Freundin!“

Dann kehrte sie rasch in die Stube zurück. Das Möglichste war geleistet, ihre Kraft aber zu Ende. — Erschöpft, von tiefster Trauer bezwungen, warf sie sich auf’s Sopha.

Sie hatte entsagt, wiederholt entsagt. Sie hatte ihr Leid besiegt und die erhabene Freude der Großmuth empfunden. Aber dabei hatte sich doch wieder eine Art Hoffnung erhoben, die ja in einem Leben, wo alles veränderlich und das Unwahrscheinlichste noch immer möglich ist, auch nicht ganz und gar ohne Grund war. Jetzt aber, wo der Geliebte nach erreichtem Zweck unmittelbar zu der Andern eilte, um das Band mit ihr unauflöslich zu knüpfen, jetzt war ihr der letzte Schimmer von Hoffnung genommen. Er war dahin für sie! Und wer konnte ihr verbürgen, daß er als Gatte der Andern ihr auch nur als Freund bleiben werde?

Ihre Einbildungskraft führte sie ihm nach und den Ereignissen voraus. Sie sah ihn in die Arme der Verlobten sinken und dieser, was sie selbst vergeblich ersehnt hatte und ersehnte, alles, alles allein zu Theil werden. Ein Gefühl der Eifersucht erhob sich in ihr und stürmte über ihr Wollen und Denken hin gleich einer Springfluth. Jener war alles gegeben, ihr war alles genommen: unselig wehvolles, grausames Geschick! Und wieder die Eine Frage, die sich so oft in ihr erhoben: Konnte Auguste ihm seyn, was sie ihm hätte seyn können? — „Nein!“ mußte sie selber entscheiden. Denn welche Vorzüge sie haben mochte, sie liebte ihn nicht wie sie! Sie hatte ihn nicht erkannt, sah nicht in sein gutes, fühlendes, reiches Herz wie sie, war nicht bezaubert von dem schöpferischen Genius und der lebenswarmen Phantasie, von dem Weitblick des Geistes und der Beschränktheit des kindlichen Sinnes! Für sie hatte die Natur ihn werden lassen! Denn sie bewunderte sein Talent und sie trat ein, wo es zu gut war, um sich mit der Welt abzukämpfen! Seine Schwächen waren ihr lieb, so lieb wie die Gaben, womit Gott und Natur ihn ausgestattet! Sie konnte ihn beglücken, sie konnte glücklich seyn mit ihm!

Hatte sie nicht so mancher Versuchung widerstanden und sich mitten in einer Welt des Leichtsinns, der oft so reizend ist, rein erhalten für ihn? So sehr, daß auch ihr Herz — ihr so oft kalt genanntes Herz — jungfräulich war, und ihre Liebe zu ihm ihre erste Liebe? Und alles das nur, um das Liebste zu entbehren und für ihr ganzes Leben beraubt und elend zu seyn?

Ihre Lippe zuckte bei diesem Gedanken und das Antlitz drückte ein Gefühl tiefster Gekränktheit aus. Ihr Inneres zerfloß. Thränen stürzten ihr in die Augen und rollten die Wangen herab; sie gab sich ihrer Leidenschaft hin und weinte wie ein Kind.

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