VIII.

Nach wenigen Tagen war Heinrich im Stande, das nochmal durchgesehene Stück dem Theater zu übergeben. Er verfügte sich mit dem Manuscript zum Intendanten und wurde mit einer Freundlichkeit empfangen, die ihn gleich in die beste Stimmung versetzte.

Baron von Dachburg, ein stattlicher Herr in den Fünfzigen, nahm das Manuscript artig in Empfang. „Ich habe,“ bemerkte er mit dem Wohlwollen eines Hochgestellten, „von dem Werk schon viel Gutes gehört und freue mich sehr, es kennen zu lernen. Bedenkliches,“ fügte er mit lächelnder Miene hinzu, „politisch Anzügliches ist nicht darin?“ — „Durchaus nicht,“ erwiederte der Autor. „Es bewegt sich rein in der gebildeten bürgerlichen Sphäre.“ — „Das ist gut,“ versetzte jener. „Solche Stücke sieht man jetzt gern und sie halten sich! Nun — soll mir sehr lieb seyn, wenn wir es geben können und damit Glück machen. Sie werden dann mehr für’s Theater schreiben?“

„Die dramatische Poesie,“ erwiederte Heinrich, „wird das Hauptgeschäft meines Lebens seyn. Ich habe schon jetzt neue Entwürfe, und kann die Zeit kaum erwarten, wo ich wieder einen in Angriff nehmen kann.“ — „Vortrefflich!“ bemerkte der Intendant mit Freundlichkeit. „Sie haben sich,“ fuhr er lächelnd fort, „von Ihrem Unfall schnell erholt und gleich ein gutes Werk darauf gesetzt. So ist’s recht! So kommt man vorwärts! Ich muß Ihnen gestehen, ich habe mit Schriftstellern auch Erfahrungen gemacht, die nicht ganz angenehm sind. Mehr als einer, wenn wir ihm ein Stück nicht aufgeführt haben, weil damit nichts anzufangen war, hat sich hingesetzt und unsere Anstalt in Journalen heruntergezogen. Sie haben die Ablehnung nicht übel genommen und sich vielmehr bestrebt, uns ein neues wirksames Stück zu verschaffen; Sie sind ein Dichter, ein Mann von Ehre, und es soll mir eine große Freude seyn, wenn wir Ihnen jetzt auch den wohlverdienten Erfolg verschaffen können.“

Unserem Poeten ging bei diesen Worten des Intendanten das Herz auf und es wandelte ihn fast eine Rührung an. Das Glück — das Ja, die Hoffnung auf das Ja — macht auf den, der unter schmerzlichen Empfindungen das Nein erduldet hat, immer eine liebliche Wirkung; die Zustimmung dringt wie Musik in’s Ohr des Verlangenden, und der, welcher sie ertheilt, gewinnt in seinen Augen selber ein verklärtes Aussehen. Indem Heinrich von solchen Gefühlen durchdrungen war, darin seinen Dank aussprach und dem Intendanten gleichsam entgegen glänzte, machte er auch auf diesen einen immer bessern Eindruck; das Gefallen war gegenseitig, und man schied endlich unter wechselseitigen Höflichkeiten, wobei das eigentlich seynsollende Verhältniß zwischen zwei Gleichberechtigten, die ein gemeinschaftliches Unternehmen besprechen, fast schon erreicht war.

Als der Poet mit freuderothem Gesicht in’s Vorzimmer trat, stand Berger vor ihm. Man grüßte sich und der Regisseur betrachtete den Glücklichen mit forschendem Blick. „Sie kommen vom Herrn Intendanten? Sind charmant empfangen worden?“ — „Allerdings!“ rief Heinrich. — „Beneidenswerther Dramatiker! Jetzt, wenn Sie Flügel hätten, würden Sie doch wohl direkt zur Sonne fliegen?“ Der Poet zuckte die Achsel. „In Ermanglung derselben geh’ ich direkt in’s Weinhaus. Adieu!“

Berger sah ihm nach und sagte für sich: „Er ist mir gar zu glücklich, der junge Mann! Ich fürchte, ich fürchte, das Schicksal hat noch eine Prüfung für ihn aufgespart!“

Zunächst sah es aber nicht darnach aus, als ob diese Besorgniß in Erfüllung gehen sollte. Wenige Tage nachher bekam Heinrich von der Intendanz ein Schreiben zugesandt, worin ihm nicht nur die Annahme seines Dramas gemeldet, sondern hinzugefügt war, daß die Vorstellung noch in dieser Saison statthaben und möglichst beschleunigt werden solle.

Köstliche Eröffnung für einen Poeten, der bis jetzt viel, sehr viel gestrebt, aber sehr wenig Reales erreicht hatte! Und wie reizend es gewesen, Sieg und Ruhm im Geiste vorauszunehmen, da beide noch als bloße Forderungen existirten — der Hinblick auf eine Entscheidung in nächster Nähe, deren glücklicher Ausfall garantirt schien, war doch etwas ganz anderes; eine markig poetische Vorstellung, dem wirklichen Erleben am ähnlichsten, und für ihn, der in dieser Beziehung nur in Phantasien gelebt hatte, ein ganz neues Gefühl.

Ein Verlangen, das er längere Zeit nicht empfunden, rief ein Lächeln auf sein Gesicht. Er nahm den Kalender, der auf seinem Schreibtisch lag, suchte den heutigen Tag auf und ein heiterer Ausruf entfuhr ihm. Der Name war: „Felicitas.“ — Felicitas! Das konnte nicht bloß die Annahme seines Stückes bedeuten, das freilich an sich schon ein Glück war, der ganze Sinn mußte vielmehr seyn, daß Annahme und Aufführung das Glück seines Lebens begründen würden.

In der Freude seines Herzens eilte er zu den beiden Freundinnen. Die günstige Entscheidung war für sie freilich keine Neuigkeit mehr, Rosa hatte sie schon mit nach Hause gebracht, aber die Verbriefung wurde doch mit Jubel aufgenommen. Der gute Poet war so voll Glück und Dank, daß ihn eine Art von Taumel anwandelte; er verwickelte sich in den Artigkeiten, die er noch einmal spenden zu müssen glaubte, aus Ueberfülle seines Herzens dergestalt, daß Worte aus seinem Munde kamen, die fast den Eindruck einer Liebeserklärung machten. Jedenfalls war es eine Freundschaftserklärung der wärmsten Art, die er an die Künstlerin richtete, und ein Händedruck begleitete sie, von einer Zärtlichkeit, welche auf die Wangen der Empfängerin Rosen und auf die Lippen ein süßglückliches Lächeln rief.

Als er fort war, sagte die Tochter zur Mutter: „Es ist doch eine grundgute Seele, unser Dichter! Der immer wiederholte Dank könnte einem lästig werden; aber man sieht daraus eben, daß er wirklich dankbar ist und nicht mit Einer Erklärung den Dienst für abbezahlt hält, und das freut mich doch auch wieder.“

Die Mutter schaute sie an, lächelte und seufzte. „Ach,“ versetzte Rosa, „laß das, gute Mutter! Man muß sich nicht immer heirathen, wenn man sich lieb hat. Im Gegentheil. Manche sind der Meinung —“ — „Geh!“ rief die Mutter. „Stelle dich nicht lustiger als du bist!“ — „Nun,“ fuhr das Mädchen ernster fort, „das mag seyn wie es will. Der Umgang mit diesem Bräutigam hat mir Freude gemacht und ich habe Augenblicke, in denen ich vollkommen glücklich bin. Sind es nur Brosamen, die von des Herren Tische fallen — ich bin damit zufrieden, und damit gut!“ —

Ob die Zufriedenheit Rosas wohl keine Störung erlitten hätte, wenn sie erfuhr, welche Gedanken in diesem Moment den Dichter bewegten? Ein anderer Zug hatte sein Herz ergriffen, eine andere Strömung ging Alles überfluthend durch sein Inneres. Der Moment, den Liebe und Ehrgeiz mit gleichem Glutverlangen herbeigesehnt hatten, war endlich erschienen: er konnte der Geliebten jetzt nicht nur das günstige Urtheil von Kennern, sondern die wirkliche Annahme seines Stücks und die baldige Aufführung melden — Thatsachen, welche die letzten Bedenken im Herzen der Eltern niederschlagen und, durch den Erfolg auf der Bühne gekrönt, ihm die Braut in die Arme führen mußten. Sobald er zu Hause war, schrieb er in diesem Sinn und ergoß die Fülle seines Herzens in einem Bericht, welcher die Glut und den Schwung einer Dichtung hatte.

Man gesteht, daß Heinrich ein Recht hatte, sich glücklich zu fühlen. Freundschaft und Liebe begeisterten ihn. Aussichten auf Erfüllungen, deren Duft ihm berauschend entgegen strömte, hatten sich ihm eröffnet, und zunächst erwarteten ihn Vorbereitungen des großen Unternehmens, die ihm schon als völlig neue Geschäfte reizend erscheinen mußten.

Eines derselben, die Leseprobe seines Dramas, fand in der folgenden Woche statt. Wenn er sich davon einen besondern, oder gar einen künstlerischen Genuß versprochen hatte, mußte er sich freilich getäuscht sehen. Im Grunde machten die Rollenleser das Schauspiel für sich zur Komödie, lasen nach Laune scherz- oder ernsthaft, laut oder murmelnd, versuchten hie und da einen travestirenden Ton und benützten jeden Anlaß, um Heiterkeit an den Tag zu legen. Berger hatte als fungirender Regisseur, der mit dem Autor die Lektüre leitete, die größte Mühe, sich gegen seinen eigenen Muthwillen in der Würde seines Amtes zu erhalten, konnte aber doch nicht umhin, durch ein paar komische Verlesungen allgemeines Lachen hervorzurufen.

Von einer Wirkung des Stücks als eines dramatischen Ganzen konnte nicht die Rede seyn. Auch in dieser Beziehung war es gut, daß der Autor sich durch eigenes Vorlesen hierüber Gewißheit verschafft hatte, denn sonst wären ihm Anwandlungen peinlichen Zweifels wohl nicht erspart worden. Jetzt fand er sich darein und lachte, zum Theil auf seine Kosten, herzlich mit.

In die nächsten Tage fielen Besuche, die Heinrich bei seiner Antonie und seinem Robert (dem Liebhaber) zu machen hatte. Die Künstlerin war nicht mehr ganz jung, aber noch immer von stattlicher Schönheit, darum auf dem Theater, bei der Regelmäßigkeit ihrer deutschen Züge, eine glänzende Erscheinung. Sie hatte die Rolle sehr an’s Herz genommen, erklärte dem Autor ihre Freude darüber und las ihm eine ihr besonders liebe Rede aus dem dritten Akt mit einer Innigkeit, daß der Hingerissene sie unwillkürlich wie etwas ganz Neues selber bewunderte. Auch der Liebhaber war mit seiner Partie ganz zufrieden, konnte pathetisch Uebertriebenes mit nichten darin finden und bemerkte dem Dichter lächelnd, er solle ihn nur machen lassen.

Heinrich überlegte auf dem Heimweg die Erfahrungen der letzten Zeit mit Behagen. Er mußte sich gestehen, daß der Verein von Bildung, Leichtigkeit, froher Laune und gutmüthigem Wesen den Schauspielern etwas eigen Anziehendes und dem Verkehr mit ihnen einen ganz besondern Reiz gab. Daß dieser Verkehr nun in dem gemeinschaftlichen Unternehmen eine praktische Basis hatte und für den Dramatiker, der fort producirte, überhaupt niemals abriß, war ihm ein sehr erfreulicher Gedanke.

Nicht lange, so wurde er zur ersten Theaterprobe gerufen. Als ihn der Fuß zum erstenmal durch die Coulissen auf die Bühne trug, empfand er mit einem gewissen Schauer die ganze Größe des Moments, der ihn in die nächste Nähe einer Lebensentscheidung versetzte. Von Berger und Rosa gebeten, vorläufig nur zu beobachten, nahm er an dem Tische des Regisseurs im Vordergrund Platz und sah wie träumend auf die ersten Inscenirungsversuche.

Die schwache Beleuchtung gab dem ganzen Treiben etwas Geheimnißvolles, Nächtliches — um nicht zu sagen Unterirdisches — das auf den Autor einen wunderseltsamen Eindruck machte. Es war ihm, als ob Gnomen ihm sein Werk abgenommen hätten, um nun auf eigene Weise damit zu wirthschaften und sich eine Unterhaltung daraus zu machen.

Der Zuschauerraum, wenn der Blick sich dahin richtete, gähnte ihn in seiner absoluten Leerheit fragenvoll an. Wird er am Tage der Entscheidung sich füllen? Werden die Gesichter freudig schauen und die Hände mit gefühlt kräftigem Zusammenschlagen jenes gewaltige Rauschen bewirken, das als entzückende Harmonie in die Ohren der Schauspieler — des Dichters dringt?

Große Frage! Mächtiges Anliegen! Aber der Raum antwortete nicht und sah in seinem braunen Dunkel auf ihn her — ein Symbol mystischer Allmöglichkeit. War doch auch die Handlung, die dem Publikum vorgeführt werden sollte, noch äußerst im Werden — ein Kommen und Gehen, ein Versuchen und Wiederversuchen, ein Recitiren, wobei der Souffleur allgegenwärtig helfen und wieder helfen mußte, um oft nur schlechten Dank dafür zu ernten.

Man hatte sehr Recht gehabt, dem Autor dieses erste Experiment in Bezug auf Wirkung als nichts beweisend zu charakterisiren. Darüber unterrichtet wurde es ihm nach und nach geradezu heimlich zu Muthe. Er sah sich in das wundersame Treiben verflochten, eingesponnen, und die zweite Hälfte schien ihm nun bereits auch mehr Façon zu bekommen. Die erste Liebhaberin und Rosa waren ihrer Partien schon fast ganz mächtig, wurden in einzelnen Auftritten zu förmlichem Spiel erwärmt und erquickten den Poeten durch den reinen kräftigen Herzensklang der Rede. Er selber faßte den praktischen Zweck in’s Auge und machte Vorschläge zu Stellungen, die ein paarmal sogar befolgt wurden.

Die verhältnißmäßige Befriedigung, die er zuletzt empfand, wurde übrigens getrübt durch eine hingeworfene Bemerkung Bergers. „Das Stück,“ sagte dieser, als sie zusammen das Theater verließen, „ist doch noch zu lang. Uebermorgen werden wir hierüber klar sehen, und dann müssen Sie unter Umständen noch ein paar tüchtige Schnitte machen.“

Die zweite Probe begann auf eine für den Dichter sehr anziehende Weise. Die Rollen waren unvergleichlich besser gelernt und die Reden gingen so rasch vom Munde, daß sie bereits im Zusammenhang auf ihn zu wirken begannen. Die Wahrnehmung der beginnenden Organisation, des lebendigen Zusammengreifens, erquickte und hob seine Seele. Welch ein Gefühl, den Dialog, den er in einsamer Stube geschaffen, hier zu vernehmen aus dem Munde von Künstlern, die alle den ihnen angewiesenen Theil zur eigensten Sache machten! Welche Lust, die Gestalten, die er nur als Bilder des Geistes besaß, durch sie verkörpert und die vorzüglichsten eine Innigkeit, Kraft und Leidenschaft offenbaren zu sehen, daß Entschlüsse und Worte mit Nothwendigkeit in ihnen sich erzeugt zu haben schienen! Es war von ihm, was er hörte und sah, und doch etwas Anderes: gefärbt, gemodelt durch die Individualität des Schauspielers, neu geworden durch eigenthümliche Natur und Kunst und zum Theil in einer Weise potenzirt, daß er, der Autor, es selber zu beklatschen große Lust empfand.

Ein tiefes Bewußtseyn der Macht durchdrang ihn. Er war Urheber dieser Aktion, die sich zum Kunstwerk vollenden wollte! Er war das Princip, das mittelst liebevoller Organe die Gebilde seiner Phantasie in die Sinnenwelt treten sah! Freilich erlangten die Ideen erst ihre Vollendung durch die Organe, die das aus sich hinzugaben, was jenen noch fehlte, die sinnliche Realität. Allein in dem Bunde des Dichters mit dem Künstler war jener doch die erfindende, anordnende, vorschreibende, dieser die reproducirende, ausführende Macht. Nicht so — das fühlte er natürlich — als ob die Kunst des Schauspielers überhaupt keiner Erfindung bedürfte, die im Gegentheil auf’s dringendste gefordert war; aber die Kraft des Poeten war eine Kraft zur Schöpfung, die Kraft des Schauspielers eine Kraft zur schönen Aeußerung des bereits Geschaffenen und verhielt sich mithin zu jener als weibliche zur männlichen.

Wenn er daraus nicht von selber den Schluß zog, daß der Dichter gegen Schauspieler überhaupt — auch gegen die männlichen — galant zu seyn habe, so wurde es ihm durch Erfahrung beigebracht.

Der erste Liebhaber, der heute förmlich zu spielen begann, machte einmal einen Accentfehler, und der Poet rief ihm das hervorzuhebende Wort mit der Lebhaftigkeit eines Verletzten zu. Die Folge war ein sehr markirter Verdruß auf dem Gesicht des Künstlers, der solche Einhülfe nicht gewohnt zu seyn schien. Heinrich fühlte, daß die Oeffentlichkeit der Correktur nicht angebracht sey, verhielt sich bei einem zweiten Fehlgriff schweigend, und benutzte eine kräftige Schlußrede des Herrn, um durch lauten Beifall sein Gesicht wieder aufzuhellen. Dann ging er mit ihm auf die Seite und schlug die richtige Accentuirung vor. Der Schauspieler nickte lächelnd, und Heinrich gab in seinem Innern dem geheimen Verfahren den Vorzug.

Als er in der Seele vergnügt auf die Bühne zurückkehrte, trat ihm Berger entgegen und sagte: „Es thut mir leid, Ihnen eine doch vielleicht unangenehme Bemerkung machen zu müssen. Der so schöne dritte Akt hat einen großen Fehler: er ist zu lang. Im fünften und sechsten Auftritt kommen Reden vor, die nicht eigentlich zur Sache gehören, sie müssen heraus!“

„Aber, lieber Freund,“ rief Heinrich nach einem Moment der Ueberlegung, „das sind ja gerade die schönsten Stellen!“ — „Thut nichts! Sie müssen heraus!“

„Ah,“ rief der Poet, „Spiele des Geistes — Lichter, die einige Minuten in Anspruch nehmen!“ — „Sie müssen heraus, sag’ ich Ihnen!“ — „Wenn ich sie nun aber nicht streiche?“ — „Das ist etwas Anderes,“ entgegnete der Regisseur. „Dann wasch’ ich meine Hände in Unschuld.“

Der Poet, mit humoristischem Unmuth, der aber einen guten Theil Ernst enthielt, stampfte den Boden. Der Regisseur betrachtete ihn vergnügt, zuckte die Achseln und sagte: „Probiren wir die letzten Akte! Mir schwant sogar noch etwas?“ — „Was?“ rief der Poet, „noch etwas?“ — „Ich vermuthe sehr,“ entgegnete der Andere. Und indem er ihn mit väterlicher Freundschaft ansah, fuhr er fort: „Ja, ja, mein Bester! Das Fegfeuer, von dem ich neulich sprach, ist keine bloße Floskel! Man muß wirklich hindurch und die Flecken müssen weg, sonst kommt man nicht — Doch da naht Vater Hallfeld mit dem Liebespaar, hören wir sie!“

Der vierte Akt ging sehr gut vorüber. Berger that hier, wie schon im zweiten, sein Bestes, wirkte sogar auf die Schauspieler ergötzlich und fand nun, daß an diesem Akt, obwohl er Zeit genug in Anspruch nahm, doch nichts zu streichen sey. Beim Beginn des fünften sah er auf die Uhr. Er ließ ihn ruhig spielen, agirte seine Partie zu Ende, nickte aber bei den letzten Scenen mit einem Ernst, der etwas Drohendes hatte.

Als das letzte Wort gesprochen war, holte er zu der Gruppe der noch Anwesenden den Poeten herbei und sagte: „Die Probe ist gut gegangen; wir haben sogar wunderbarer Weise keine Scenen wiederholen müssen und können mithin sagen, wie lang das Stück spielen wird. Ueber drei Stunden immer noch, und das ist so lang, daß es dem Stück den Untergang bereiten kann.“

„Ueber drei Stunden?“ rief Hallfeld ungläubig. — „Ueber drei Stunden,“ erwiederte Berger, „mit dem ersten und dritten Zwischenakt, die wegen zweier Umkleidungen eine längere Zeit beanspruchen.“ — „Das ist wahr,“ versetzte Hallfeld nach einem Moment des Erwägens.

Rosa schaute besorgt auf den Dichter. „Da muß noch gestrichen werden!“ — rief sie. — „Meine Ansicht und mein Antrag,“ versetzte Berger — „Herr Dichter, ich kann Ihnen nicht helfen! Sie müssen aus dem dritten Akt herausbringen, was ich Ihnen schon gesagt habe, außerdem aber die letzten Scenen des Stücks kürzen, umarbeiten, wie Sie wollen, so daß sie Schlag auf Schlag gehen. Wenn der Zuschauer auf das Ende hinsieht, dann hat er keinen Sinn mehr für nebenläufige Interessen und für schöne Reden, die nicht absolut zur Handlung gehören. Wie der Blitz muß es herabfahren, nichts darf aufhalten! Ihre letzten Scenen halten auf, bringen Sentenzen, Beleuchtungen, die auf dem Theater überflüssig sind. Aendern Sie! Wir haben noch zwei Proben — es geht noch!“

Die Schauspieler ohne Ausnahme stimmten zu, und der Poet gab sich. Berger lobte ihn; dann, zu Hallfeld und Rosa gewendet, fuhr er fort: „Meine Herrn und Damen, wir haben uns eben wieder einmal getäuscht. Wenn auch unser altbewährter Spruch, daß Alles, was beim Thee oder Punsch gelobt wird, nichts tauge, dießmal glücklicherweise keine Anwendung findet, so ist uns doch in der süßen Betäubung des Getränks und der Freundschaft bei den letzten Scenen die Schlange hinter Blumen entgangen — mir sogar, der ich mich noch am meisten des kritischen Umherspähens beflissen habe. Freuen wir uns, daß wir es noch in der eilften Stunde gemerkt haben und lassen wir uns nun das wohlverdiente Mittagbrod schmecken!“

Wer der letzten Aufforderung am wenigsten nachkommen konnte, war der Poet. Er aß in seinem Speiselokal mit Hast, begab sich nach kurzem Gang in laulicher Luft heim und machte sich entschlossen an die Arbeit. Die beanstandeten Zierlichkeiten im dritten Akt strich er seufzend. „Dieser Einfälle,“ sagte er sich, „hab’ ich mich gefreut, sie sind unläugbar fein und schön, und nun müssen sie weg!“ Die neue Verbindung, nachdem er sie fertig gebracht, schien ihm lange nicht so elegant, wie die gestrichene. „Aber was thut’s?“ rief er ironisch. „Sie hat ja einen Vorzug, der alle andern aufwiegt: sie ist kurz!“

Die zweite Operation war ungleich schwieriger. Hier, wenn auch manches aus den vorliegenden Scenen zu brauchen war, galt es eine völlige Umarbeitung, und wie sollte ihm diese jetzt gelingen? Wie sollte er ohne Freiheit, ohne Behagen, ohne Begeisterung eben das Beste, das Ende gut Alles gut auf’s Papier werfen?

Er erfuhr nun aber, was wir Alle schon erfahren haben: daß der Drang der Nothwendigkeit die Initiative des Genius ersetzen kann. Das Unumgängliche glüht wie Feuer auf uns her, die Gefahr erregt, erhitzt uns, eine stille Wuth gedeiht zu förmlicher Begeisterung: der Sprung wird gewagt — und er glückt.

Drei Stunden waren vorübergegangen, als die Aenderungen vor ihm lagen; aber sie freuten ihn selbst. Schlag auf Schlag! Der verwünschte Regisseur hatte Recht: so war’s besser! Nun mußte er die Aenderungen noch in die verschiedenen Rollen einschreiben, die er mitgenommen hatte. Er that auch dieß, und besorgte dann die Rollen an ihre Inhaber, zum Theil in eigener Person. Todtmüde kam er nach Hause, und überlegte, auf das Sopha gestreckt, wie groß der Erfolg seiner Arbeit seyn müsse, um ihn für die Aufregungen und Strapazen dieser Tage nur einigermaßen zu entschädigen.

Einen Lohn brachte ihm doch schon die dritte Probe. Berger, nachdem er die Aenderungen gelesen, rühmte ihn und drückte ihm die Hand. „Es hat weh gethan,“ sagte er dann, „der Schnitt in’s Fleisch? Was? Aber ’s ist besser so! Beim Teufel, gut haben Sie’s gemacht! Famos!“ Lächelnd trat er einen Schritt näher und sich heiter feierlich neigend, setzte er hinzu: „Succès complet!

Die Wangen des Poeten, die von Mühen und Sorgen etwas gebleicht waren, überzogen sich bei dieser Zustimmung mit Röthe. Die Probe begann und er folgte ihr mit Freude. Zum drittenmal hörte er nun seine Worte; aber sie klangen nur um so traulicher zu ihm her, besonders aus dem Munde der anmuthigen Schauspielerinnen, die ihnen die schönste Seele einzuhauchen wußten. Der Dialog überhaupt ging flüssig, und die Effektmomente traten als solche deutlich hervor.

Die nächtliche Scenerie des Lokals, die ihn zuerst so seltsam angemuthet hatte, machte nun in ihrer Heimlichkeit einen vergnüglichen Eindruck auf ihn. Es lag in dem Thun und Treiben ein Reiz, wie ihn das verborgene Schmieden eines Complottes haben mag, das zum Sieg der Betheiligten führen soll. In Puppenhülle geschah die Vorbereitung des Schmetterlings, der an’s Licht treten und in prachtvoller Entwicklung alle Welt erfreuen sollte.

Die neuen letzten Scenen erprobten sich vollständig. Man gratulirte dem Poeten von allen Seiten, und Rosa nickte mit gesenkter Wimper selig lächelnd. „Das hat Mühe gekostet,“ rief sie ihm zu, „nicht wahr? Aber es ist der Mühe werth gewesen!“ — „Das mein’ ich auch,“ rief Berger. „Was wollen Sie? Wir haben wieder einmal ein Stück, und damit Punktum!“

Als Heinrich mit auffallend heiterem Gesicht in das Speisehaus trat, das er seit Wochen regelmäßig besuchte, ließen sich die dortigen Bekannten Bericht erstatten, drückten ihr großes Verlangen aus, das Stück zu sehen, und die gutgelaunten übten sich einstweilen im Klatschen. Der Poet, überall von wohlthuenden Wellen umspült, aß mit Lust und gründlichem Appetit. Nach einem tüchtigen Spaziergang suchte er die Ruhe seiner Stube und fand ein Schreiben von Auguste. Mit begreiflicher Hast, denn er hatte lange darauf gewartet, erbrach, mit ernstem Gesicht las er es.

Es war die lebendigste, wärmste Theilnahme, die sich darin für ihn ergoß, aber durch einen dunkeln Ton der Sorge, um nicht zu sagen der Wehmuth, überschattet. Die Geliebte, die freilich nur aus der Ferne zu sehen vermochte, schien den Hoffnungen, die er an seine letzten Erfahrungen geknüpft hatte, keinen vollen Glauben schenken zu können. Um so inniger und feuriger waren ihre Wünsche für ihn, um so dringender ihre Ermahnungen. Eine fast mütterliche Zärtlichkeit sprach aus dem Brief. „Ach, lieber Heinrich,“ rief sie ihm zu, „du machst dir keine Vorstellung, wie dein Glück der Gedanke meines Herzens ist, wie mich die Sorge für dich zittern macht! Dein Lebensplan ist ungewöhnlich und begeisternd, aber umgeben von Gefahr, Sorgen und schweren Mühen. Ach, wohl müssen die Dichter ihre Befriedigung finden in ihrer Arbeit selber, denn wie gering ist eigentlich ihr Lohn, und wie gehässig wird ihnen auch der geringe noch streitig gemacht! Wie müssen sie alle Kräfte des Geistes und Herzens anstrengen und den höchsten Fleiß anwenden Jahre hindurch, um endlich zu haben, was Andere spielend, im Vorbeigehen erwerben! Und doch, wenn der Erwerb auch Nebensache ist, so gehört er doch nothwendig zum Leben. Das Schaffen, wie göttlich es an sich ist, muß sich doch, leider, auch irdisch lohnen. Ich sehe dich nun schon Jahre lang streben und ringen und von einer Arbeit zur andern gehen; und mich ergreift eben jetzt, wo du mir so sicher den Erfolg ankündigst, eine Furcht, die mich verzagen macht. Möge es dir gut gehen, theurer Heinrich! Mögest du alles gehoffte Glück erlangen! Dieß ist der brennende Wunsch meiner Seele, der meinem Herzen ausgepreßte Ruf, den ich an dich aus der Ferne richte!“

Heinrich legte den Brief still aus der Hand. Die Geliebte hatte sich noch nie mit so leidenschaftlicher Innigkeit, aber auch noch nie so geängstigt, so gedrückt gegen ihn ausgesprochen. War die Stimmung in ihrer Familie gegen ihn eine zweifelnde, schlimmere geworden? Hatte sie von den Eltern zu leiden? Nach einem Schweigen aufathmend, rief er: „Wahrlich, ein Erfolg thut mir jetzt noth! Ich sehe, daß die Familie einen greiflichen Beweis meiner Kunst verlangt, und im Grunde hat sie dazu auch das Recht. Gott sey Dank, daß ich nur noch einen Tag vor der Entscheidung stehe.“

Eingangs hatte Auguste gemeldet, daß sie ihm schreibe vor ihrer Abreise zu Kronfelds, deren dringender Einladung sie nicht länger habe widerstehen können. Ihm war es nun tröstlich, daß sie hier Zerstreuung finden würde, bis er selber kam und durch die glückselige Botschaft alle Sorgen zerstreute. Denn das wollte er thun. Was die Zeitungen bekannt machten, das konnte er nicht hindern; aber er selbst wollte brieflich nichts melden, sondern in Person den Bericht erstatten und den Lohn aller Anstrengungen, die Wirkung genießen.

Die vierte und letzte Probe — am Tage der Aufführung selber — ging so glatt wie eine Vorstellung. Heinrich mußte glauben, was ihm von mehreren versichert wurde, daß die Rollen auffallend gut gelernt seyen. Berger, der die Bemerkung auch machte, fügte hinzu: „Das ist der Vortheil des Schauspiels und der natürlichen Prosa. Verse würden sie heute noch stottern und unter Kunstpausen vom Souffleur herauflangen müssen.“

Obwohl ihm schließlich von Allen das Beste prophezeit worden war, so hatte der Autor gegen Abend auf seiner einsamen Stube doch eine sonderbare Empfindung. Der Tag war trüb und es begann fein zu regnen; günstiges Wetter in Einem Betracht, das aber doch einen grauen Flor über seine Seele warf. Er hatte sich so lange ritterlich gehalten, unser Dramatiker; nun, in thatenloser Stille, kamen ihm wieder Gedanken, und mit den Gedanken Zweifel. Sein Herz fing zu seiner eigenen Ueberraschung wieder an zu klopfen, und ein leichter Schauer ging ihm über den Leib. Er konnte sich’s nicht wegläugnen, er bekam, was man eine Gänsehaut zu nennen pflegt, und aller gute Muth, aller Trotz, der in ihm lag, war nöthig, die Bängniß einigermaßen zurückzudrängen und darüber zu lächeln.

Unstreitig, für ihn handelte sich’s um keine gewöhnliche Entscheidung. Auch derjenige, bei dem an solchem Tag nicht das ganze Lebensglück, sondern nur ein bescheidener Theil davon auf dem Spiele steht, kann doch, wenn Alles gethan und fest bestimmt ist, mit empfindlichem Unbehagen die letzten Stunden des Harrens verbringen. Eben die Muße, die ihn zur Passivität verurtheilt, macht ihn zum bloßen Instrument, worauf nun beunruhigende Geister nach Lust und Laune spielen können. Bei Heinrich erhielt aber in Folge seiner besondern Verhältnisse und einer ihm eigenen Feinfühligkeit alles das eine abnorme Steigerung. Am Morgen schon, als er zur Probe ging, waren seine Augen durch die Theaterzettel erschreckt worden, die ihm von den Straßenecken entgegenschauten und zuzurufen schienen: „Unwiderruflich!“ Es war ihm gewesen, als ob man es ihm ansehen müßte, daß er der Heinrich Born sey, der mit so fetter Schrift auf dem Zettel prangte, und er hatte sich darum an dem ersten sachte vorbeigeschlichen. Die Glückwünsche bei Tisch hatten für ihn heute einen Klang gehabt, in den etwas dämonisch Gefahrdrohendes eingemischt war. Die scherzhafte Laune von gestern hatte sich auch bei den muntersten Tischgenossen in Ernst verwandelt und keiner von ihnen hatte ihm ein belustigendes Wort mit nach Hause gegeben. Nun saß er da, völlig allein, sah die Frist kleiner und kleiner werden, die ihn von dem Ereigniß trennte, und dieses trat ihm in riesiger Bedeutung vor die Seele. Er dachte an das Tribunal, vor das er sich zu stellen hatte, an die Neigung, die Stimmung des Publikums, auf die Alles ankam und die gleichwohl unberechenbar war; an mögliche Zwischenfälle, die störend, ja verderblich werden konnten; an das Handgreifliche der Niederlage vor einer öffentlichen Versammlung, die sich ablehnend verhielt oder gar mit entrüstetem Lärm verdammte — und trotz Allem schien er einen Wurf wagen zu müssen, oder schien man (denn die Sache war ihm ja bereits ganz aus der Hand genommen) einen Wurf zu wagen in seinem Namen, der ganz eben so gut Alles verlieren wie gewinnen konnte.

Aus dem Sturm der Gefühle, welche diese Gedanken in ihm erregten, erhob er sich gewaltsam. Er kleidete sich an — in sein bestes Gewand; denn war er zum Opfer bestimmt, so wollte er als Opfer wenigstens auch geschmückt seyn. Die Uhr des nächsten Thurmes schlug sechs, er hüllte sich in seinen Mantel, setzte den Hut auf und ging gegen die Thüre.

Auf einmal stand er und kehrte sich um. Mit einem Ausdruck, als ob er eine förmliche Thorheit beginge, die er aber doch nicht zu lassen vermöchte, trat er zum Schreibtisch, nahm den Kalender zur Hand und suchte den Patron des Tages. Er las: „Emanuel.“ Ernste, aber gute Vorbedeutung. Beruhigter machte er sich auf den Weg zum Theater.

In dem Kunsttempel, der heute für ihn die Bedeutung einer Arena hatte, angekommen, begab er sich auf die Bühne, wo er zunächst nur einige Diener traf, die den mechanischen Theil der Vorstellung zu besorgen hatten. Der Gedanke des complicirten, stufenmäßigen Zusammenwirkens bei einer solchen ging ihm durch den Kopf. Wie vieler Kräfte bedurfte es dazu, von dem Dichter an, der das Werk schuf, bis hinunter zu dem untersten Gehülfen, der die Coulisse schob oder am Strange des Vorhangs zog! Das Publikum sagte sich das aber nicht, ja ließ sich am Ende das Produkt so vieler Anstrengungen gar nicht einmal gefallen.

Allmählig regte sich’s draußen im Zuschauerraum. Der Poet sah durch die kleine Oeffnung des Vorhangs, die man ihm bezeichnet hatte, und ward erfreut durch ein schon ziemlich gefülltes Parterre und durch versprechend besetzte Punkte der numerirten Plätze. Was auch kommen mochte, die vertrauende Theilnahme des Publikums war doch schmeichelhaft und wirkte ermuthigend auf seine Seele.

Die Schauspieler, einer um den andern, kamen auf die Scene. Der Poet starrte die ersten, den Liebhaber und die beiden Regisseure, die durch Costüm, Schminke und „Maske“ unkenntlich gemacht waren, einen Moment an, um, sie erkennend, die dargereichten Hände zu schütteln.

Immer näher rückte der Moment, immer festlich ernster wurde die Zurüstung. Pochte das Herz des Autors auch ungleich lebhafter als gewöhnlich, so war es doch eine feierliche Unruhe, die ihn bewegte; es war eine „bange Wonne,“ die ihn ergriff —

„Wie einen König bei der Thronbesteigung.“

Zuletzt traten die beiden Damen herein, die das Stück mit zu beginnen hatten, und kamen auf die Gruppe zu — in blendender Schönheit. Der Poet begrüßte sie mit dem Blick eines Bezauberten, und im Entzücken des Anschauens verlor sich der letzte Rest von Angst aus seinem Herzen. Die Freundin betrachtete ihn verklärt lächelnd mit einem unmerklich süßen Schein von Wehmuth um die Lippen; dann schwebte sie zum Vorhang und rief, sich umsehend, mit gedämpfter Stimme: „Ah, ganz schwarz! Kommen Sie!“ Heinrich eilte hin, sah hinaus, erblickte ringsum gefüllte Räume, und ein Gefühl der Macht über die Massen ging wie ein süßer Gluthstrahl durch sein Herz.

Die Ouvertüre begann. Die freundlichen Töne hätten ihn nothwendig in der frohen Stimmung erhalten müssen; aber sie bezeichneten die allerletzte Frist vor Seyn oder Nichtseyn und klangen in das Ohr des Bedenkenden wie von einem tragischen Hauch umbebt. Still begab er sich zur Seite, einen etwas erhöhten Sitz zwischen den vordersten Coulissen einzunehmen. Der Vorhang wurde aufgezogen und das Spiel nahm seinen Anfang.

Und nun? Ergriff den Autor eine Besorgtheit um den Ausgang, eine Spannung, ein Sturm der Gefühle, die Geist und Sinne zu überwältigen drohten? Nichts von alledem! Sobald die Handlung begonnen hatte, fühlte er sich durchaus ruhig, war nur Zuschauer und ganz Aufmerksamkeit auf das Spiel. Es ging, wie er es gewollt, das Publikum lauschte, die große Stille verrieth sein Interesse, froh gehoben nickte er vor sich hin. Er war so ganz angezogen von der Entwicklung, so zufrieden mit der Darstellung, daß er es gar nicht merkte, wie das Publikum den Akt schließen und den Vorhang fallen ließ, ohne irgend ein Zeichen des Beifalls zu geben.

Im zweiten Akt rief Berger, der seine Rolle mit feinster Charakterisirung gab, ein paarmal Heiterkeit mit Bravos hervor, und ein Wehen der Theilnahme ging durch das Haus; am Schluß wurde aber doch nur wenig und kurz applaudirt.

Im Zwischenakt trat der erste Liebhaber zu dem Poeten und sagte: „Sie sind heute wieder recht faul da draußen! Zusehen können sie, wenn sie nur die Hände nicht rühren dürfen! Aber haben Sie keine Sorge, die Hauptwirkung Ihres Stücks liegt im dritten Akt, jetzt werden sie wohl losbrechen müssen.“ — „Warten wir!“ versetzte der Poet.

Die ersten Scenen des Hauptaktes, die nicht auf Effekt angelegt waren, verliefen ruhig. Als die ergreifenden kamen, herrschte im Haus zuerst eine feierliche Stille, die für den Kenner feineren Beifall ausdrückt, als der Applaus der Hände. Dann, bei gipfelnden Reden, kamen aber auch diese wiederholt in Thätigkeit, und unzweideutige Zeichen der Rührung gelangten zur Wahrnehmung des Poeten. Glaubte das Publikum damit genug gethan zu haben? Oder war die Bewegung, in die es versetzt erschien, zu ernster Natur? Oder endlich, fand es den Schluß doch nicht so drastisch wie die freundlichen Hörer bei der Vorlesung? Genug, der Applaus war nicht so durchgreifend, wie ihn die Schauspieler eben hier erwartet hatten; und da man auch den Vorhang nicht schnell genug aufzog, so verhallte er wieder, ohne daß es zum Hervorruf kam. Der entscheidende Effekt war verfehlt.

Heinrich, nach der auch für ihn höchst unerwarteten Enttäuschung, erhob sich von seinem Sitz und trat zu den Schauspielern, die sich an der Coulisse gesammelt hatten. „Nun?“ rief er, eine Gährung in seinem Innern unterdrückend, mit Fassung, „das sieht aus wie eine Niederlage!“

Der erste Liebhaber, der mit der Heldin des Stücks auf einen Hervorruf gerechnet hatte, zuckte verdrossen und schon mit einer Spur von Geringschätzung die Achsel; die andern blieben stumm; Hallfeld aber entgegnete mit dem Ton würdevoller Tröstung: „Das nicht, Herr Doktor. Das Publikum nimmt Antheil, das Stück wirkt.“ — „Aber lange nicht so,“ versetzte der Poet, „wie wir’s uns vorgestellt haben. Geht’s so fort und wird der Beifall, wie zu fürchten ist, noch schwächer, dann haben wir einen succès d’estime, d. h. auf gut deutsch: das Stück fällt durch!“

„Nein, sag’ ich Ihnen!“ entgegnete der Regisseur energischer. „Man hat bei diesem Akt weniger applaudirt, als er’s verdient; Ihr Stück ist aber gut und endet ansprechend, also wird man’s hereinbringen. Ruhig Blut! Noch ist nichts verloren!“

„Das mein’ ich auch,“ rief Berger, der eben herzugetreten war. „Dieser Akt wird entscheiden. Erst der Ernst, dann der Humor; — wir wollen sie schon weich machen, die hartgesottenen Sünder!“ — „Es sind Blöcke!“ rief hier der alte Student, der bei einer kurzen, aber schlagenden Rede auch auf Beifall gehofft zu haben schien, mit humoristischem Unmuth.

Die Gesichter erheiterten sich bei diesem Ausruf, der für jetzt ohne Widerspruch blieb. Die Musik des Zwischenaktes ging zu Ende, die Schauspieler traten hinter die Coulissen und Heinrich nahm seinen Platz wieder ein.

Als der vierte Akt begann, wunderte sich der Poet selbst über seine Stimmung. Von ängstlicher Aufregung war keine Spur mehr in ihm! Dagegen hatte sich ein Quell heroischen Muthes in ihm erschlossen und durchströmte sein Herz, daß er trotzig, ja stolz der Dinge harrte, die da kommen sollten.

Er war sich der Güte des Stückes bewußt geworden und erkannte, das Seine vollauf gethan zu haben. Zeigte sich das Publikum spröde, kalt, nur oberflächlich und flüchtig erregt, dann that es ihm Unrecht. Dem Unrecht aber konnte er gerechte Indignation und männliches Selbstgefühl entgegensetzen. Er sollte glücklicherweise nicht in die Lage kommen, seine Ausdauer in dieser Stimmung darzuthun.

Die Zuschauer, just als fühlten sie wirklich, daß sie etwas gut zu machen hatten, benutzten gleich die erste Gelegenheit zum Applaus und befriedigten damit die edeln Liebenden, die alle beide einer Ermunterung sehr benöthigt waren. Berger leistete als Fallensteller, dessen Situation tragisch zu werden anfängt, sein Vorzüglichstes, entwickelte eine geradezu geniale Naturwahrheit und wurde auf offener Scene gerufen. Anna in der Scene mit dem alten Studenten rief Ausbrüche des Vergnügens hervor, und am Schluß wurden alle dreie gerufen.

Der Poet, der sich geweigert hatte, mit auf die Bühne zu gehen, weil er seinen Namen nicht gehört, war doch hoch erfreut, und gegen die drei, als der Vorhang herab gelassen war, mit Lobsprüchen nicht eben karg. Die Darsteller des Liebespaars, welche den fünften Akt zu beginnen hatten, kamen mit heitern Mienen auf die Scene: sie wußten, das Publikum war im Zuge, und nun würden auch sie ihre Ernte halten.

So kam es denn auch. In den ersten Auftritten eine ernste, schöne Aufmerksamkeit, dann lebhafter Applaus, am Schluß, nachdem die letzten Scenen wirklich Schlag auf Schlag gegangen waren, rauschender, langanhaltender Beifall; Rufe nach dem Liebespaar, der Anna und — dem Dichter.

Der Vorhang wurde aufgezogen. Heinrich, während die Mitgerufenen im Hintergrund erschienen, trat auf das Proscenium und dankte. Er sah das ganze Haus lebendig, klatschend und rufend, sah die Blicke von allen Seiten auf sich, den Helden des Abends, gerichtet, sah huldvolles Nicken und Applaudiren aus der Loge des Landesherrn und seiner Familie: seine kühnsten Hoffnungen waren erfüllt, seine stolzesten Phantasien durch die Wirklichkeit erreicht, übertroffen!

Als er nicht ohne heroische Haltung nach gefallenem Vorhang sich umwendete, trat ihm Hallfeld entgegen und rief mit einem Wohlwollen, das etwas Feierliches hatte: „Doktor Born, schlafen Sie ruhig auf Ihren Lorbeeren!“ Der zweite Regisseur, der sich genähert hatte, nickte vergnügt. „Nun,“ sagte er, „hab’ ich mein Versprechen gehalten? Und,“ setzte er mit schelmischem Blinzeln hinzu, „bin ich nicht im Grunde ein guter Mensch?“ — „Ein Engel!“ rief der Poet lachend. „Aber Adieu für heute! Auf Wiedersehen!“

Ihn rief eine süße Pflicht hinweg. Flüchtigen Fußes eilte er auf die andere Seite, die beiden Schauspielerinnen zu erhaschen, und traf sie, die gegen ihre Gewohnheit etwas gezögert hatten, glücklich noch auf dem Weg zum Garderobezimmer. Mit aller Galanterie der Freude küßte er der ersten Liebhaberin, welche vor Zufriedenheit glänzte, die Hand; dann, während jene sich entfernte, ergriff er die Hand Rosa’s. In der Brust des Glücklichen drang das Gefühl des unendlichen Dankes, den er der lieben Freundin schuldete, mit einemmal übermächtig empor, sein Herz begann zu schmelzen. Während er die zarten Finger küßte, fiel beinahe eine Thräne darauf, und nur mit Mühe fand er einige Worte des Dankes. Das Mädchen sah die feuchten Augen, die tiefe Bewegung, faßte seine Hand, um sie zu schütteln, und rief: „Wenn Sie glücklich sind, lieber Freund — mehr als ich können Sie’s nicht seyn! Gute Nacht!“

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