X.

Während die Liebende sich in Thränen zu erleichtern suchte, fuhr Heinrich auf die Eisenbahn, nahm einen Platz in einem wenig besetzten Coupé und sah die letzten Bedenken, die sich nach dem Abschied noch in ihm erhoben hatten, bald durch die Reisegefühle zerstreut, die schmeichelnd seine Brust durchzogen. Es war Anfangs April, die Luft mild, der Himmel dünn überzogen, die Wälder schwärzlich braun, aber Saatfelder und Wiesen grün; und fort ging’s in gewaltigem Rollen, dem Neuen und Neugewordenen entgegen. Da beschäftigt die dichterisch erregte Seele der Augenblick mit seinen Erscheinungen, und wenn sie darüber hinausgeht, so ist’s, in die Zukunft, der man entgegen zieht; das Vergangene ist verschwunden.

Heinrich athmete froh am geöffneten Fenster, sah die Bilder der Landschaft vorüberfliegen, sah den Raum zwischen sich und ihr kleiner und kleiner werden, und es war ihm, als ob er einem Paradies entgegen zöge, das auch schon die zu ihm führenden Wege mit Poesie zu durchhauchen vermochte. Sein Geist eilte voraus, über die Gegenwart hinweg, um das Künftige zur Gegenwart zu machen.

Welch ein Moment, wenn er vor die Eltern trat und sagte: „Hier bin ich! Ich hab’ Alles gehalten, was ich versprochen, und Alles erreicht, was ich mir vorgesetzt! Anerkennung ist mir geworden und verheißen, eine schöne, glückliche Zukunft mir und Auguste verbürgt!“ Welch ein Triumph, wenn er ihre Seelen mit Liebe, mit Bewunderung erfüllte! Wenn die Familie und die Freunde des Hauses mit Blicken einer Achtung auf ihn sahen, die nicht mehr erschüttert werden konnte, und er endlich in der That als das vor ihnen galt, was er war!

Der Ruhm ist süß, nirgends aber süßer als in der Heimath. Nach einem alten Worte gilt der Prophet nichts im Vaterlande; deßwegen muß er eben fort aus ihm und draußen Geltung und Ehre suchen. Hat er sie aber gefunden, dann ist ihm nichts reizender, als ihrer zu genießen in dem Winkel der Erde, der ihn leben und streben sah, unerkannt, ungeglaubt. Die Menschen, denen bei allem persönlichen Wohlwollen sein Ideal ein Aergerniß oder eine Thorheit war, zu überführen durch die That, das ist die Vollendung seines Werks, und wenn er dann die Mienen, deren Zweifel und Spott ihm wehegethan, im Lichte des Beifalls, ja der stolzen Mitfreude glänzen sieht, dann ist sein letzter und feinster Ehrgeiz gestillt; — der Moment ist gekommen, wo er befriedigt ruhen kann.

Heinrich war aber ein Dichter, dessen Geist immer wieder zur Produktion sich drängte. Mitten in den Visionen des Glücks erzeugte er Gedanken und Entwürfe zu neuen, größeren und schöneren Werken. Ideale der dramatischen Poesie traten vor seine Seele, lockend, erregend, und wiesen ihn auf die höchsten Ziele dichterischer Thätigkeit. Es waren dieß nicht Bilder, wie er sie in dem Schauspiel vorgeführt, sondern in seiner Tragödie angestrebt hatte. Jene menschlich interessanten und liebenswürdigen Figuren waren nicht das Höchste; sie konnten überschritten, überglänzt werden durch Gestalten, die den größeren Geist und Charakter, den höheren Schwung der Seele in der gemessen schönen Rede, der Musik des Wortes, der Sprache der Götter ausdrückten. Das war und blieb der Gipfel der Kunst, und ihn zu ersteigen, vielmehr zu erfliegen, glaubte er sich vorzugsweise berufen. Das Schauspiel, das in der Sprache des gewöhnlichen Lebens eben dieses Leben malte, verdiente Anerkennung, wenn es mit ächten, ergötzenden Farben ausgeführt war; und falls ihm selber künftig anziehende Stoffe sich boten, wollte er sich ihnen nicht entziehen. Aber die eigentliche Aufgabe des dramatischen Dichters war doch das hochpoetische Drama, die Tragödie, die in göttlich und dämonisch begabten Charakteren und im Zusammenstoß gewaltigster Leidenschaften die höchst möglichen Erscheinungen der Erde vor Augen stellte; und nur durch Arbeiten auf diesem Feld konnte der lebende deutsche Dichter hoffen an die großen — die allein stehengebliebenen Dramatiker alter und neuer Zeiten sich würdig anzureihen. Ihn hatte es zu solchen Arbeiten gedrängt von Jugend auf, sie waren seine erste Liebe — sie mußten auch seine letzte seyn. Nur ächtes Leben, Quell der Natur mußte die höheren Gebilde durchströmen, wie die bescheidenen Bilder der Wirklichkeit. Vielmehr: noch wahrer mußten jene Gebilde seyn, als diese, weil sie schöner seyn mußten, und in der edelsten Form nicht vergängliches Leben ausdrückten, sondern ewiges. — Darin lag nun eben der Fortschritt, den er in Abweichung von seinem ersten Wege gemacht, daß er nach der Erkenntnis der falschen die wahre Idealisirung sich eingeprägt — daß er das Wollen in sich aufgerufen hatte zum Vollbringen des gesunden Höchsten.

Die bescheidene Arbeit, die ihm gelungen war, hatte ihm den Beifall des Publikums errungen. Die idealeren, die ihm gelingen mußten, sollten ihm diesen Beifall auch erringen, aber das Publikum zugleich in die Höhe hinanheben, die er selber erstiegen — beglückend und wahrhaft fördernd, wahrhaft bildend zugleich sich erweisen.

Als er mit seinen Gedanken dahin gekommen war, sah er für sich hin, wie sich erinnernd, und ein Lächeln verklärte sein Angesicht. Pretentiös hatte man die Reden seiner Schauspielheldin gefunden? Allerdings nicht ganz ohne Grund; er hatte das auch eingesehen und deßwegen herabgestimmt, wo er vermochte. In dem wahrhaft poetischen Drama, wie es ihm nun vorschwebte, konnte er aber sein Ideal des Weibes den höchsten Ton anstimmen lassen, und man fand es natürlich; denn in solche Sphäre gehörte dieser Ton. — —

Der Zug ging langsamer; er fuhr in den Bahnhof eines größern Ortes, von welchem Heinrich seinen Weg mit der Post fortzusetzen hatte. Sein Gepäck an sich nehmend, sorgte der Reisende für einen Platz und benützte die Zwischenzeit zu behaglichem Speisen. — Der Wagen, der ihn aufnahm, war glücklicherweise nicht allzuvoll, und bald wiegte ihn das heimlichere, poetischere Fahren durch Ebenen und Waldthäler in süße Träumereien.

In derselben Stunde, welche den Poeten seinem Reise- und Lebensziel entgegenbrachte, erging auch an die Zurückgelassene in der Residenz ein Ruf, den sie für ihr Leben als epochemachend ansehen konnte.

Sie hatte sich ausgeweint — recht von Herzen — und eine eigen wohlthuende Stille war in sie gezogen: jener Friede der Genesung, wo die Seele, von einer erdrückenden Last befreit, leise die Schwingen wieder erhebt und holde, tröstende Stimmen ihr vom Himmel zu ertönen scheinen. Die Spuren des Thränengusses suchte sie nicht zu verbergen. Als die Mutter heimkehrte, trat sie ihr mit feuchten, gerötheten Augen entgegen und erwiederte auf die Frage, was ihr wäre, mit einem Ton unverholener Trauer: „Er hat Abschied genommen — und ist fort!“ — Die Mutter nickte mit einem Blick liebenden Mitleids. Nach kurzem Schweigen sagte sie: „Um so besser!“

Zwei Stunden gingen vorüber. Der Gegenstand war nicht mehr berührt, das Mädchen gefaßter worden, und der Schein einer still gehobenen Seele klärte ihr Antlitz. Da kam ein Theaterdiener mit einem Schreiben von der Intendanz nebst einer Rolle.

Rosa las, und ein froher Ausruf entfuhr ihrem Munde. Ein schon länger erschienenes, von der Hofbühne aber seit Jahren nicht gegebenes Drama sollte auf hohen Wunsch zur Aufführung kommen. Die Hauptperson darin war eine Figur, die der zweiten Liebhaberin, nach den bisherigen Begriffen von ihr, immer noch zu hoch lag, für welche die erste aber nicht mehr Jugend und Naivetät genug hatte. Es war das fein, ergreifend und schwungvoll ausgeführte Bild einer in schmerzlichen Lagen, in einer Steigerung von Leid sich bewährenden treuen Liebe. — Die Intendanz, von jenem Wunsche gedrängt, fragte nun bei der jungen Künstlerin an, ob sie die Partie nicht doch zu übernehmen vermöchte. Jene, welche die Dichtung kannte, war sofort entschlossen und antwortete mit einem dankbaren Ja.

Es war — das Ganze der Rolle angesehen — ein Schritt auf eine neue und wesentlich höhere Stufe der Darstellung, eine Aufgabe, bei der sie sich etwas zuzumuthen hatte, in ihrem jetzigen Gemüthszustand ein wahrer Segen für sie.

Die Kunst erschien ihr, die das empfand, in erhebendster Bedeutung. Sie war nicht nur ein Ersatz für das mangelnde Glück des Lebens, nicht nur auch ein Quell der Befriedigung, sondern das höhere Leben, der größere Wirkungskreis. — Menschen darzustellen mit allen Mitteln einer lebendigen Persönlichkeit; feinen, fühlenden Seelen zu erscheinen in den anmuthigsten, wohlthuendsten Offenbarungen des Gemüths; ihnen sich einzuprägen in den edelsten Gestalten und ihnen eine Freude zu seyn auch in der Erinnerung; das Beste, was dichterische Phantasie geschaffen, am schönsten zu versinnlichen und dadurch nicht nur zu beglücken, sondern Muster zu werden für die Lebenden und mitzuarbeiten an dem großen Werk der Bildung, das unmerklich, aber dennoch weiter führt: — das ist fürwahr eine Thätigkeit, die ein Menschenleben ausfüllen, in der ein Menschengeist sich genügen kann.

Rosa, an diesen Ideen und Möglichkeiten sich erhebend, sagte zu sich selbst: „Das Eine ist mir genommen, das Andere gegeben; ich muß zufrieden seyn. — Ich will dem Rufe folgen und suchen meinen Kreis zu erweitern, und meine fast, daß es mir gelingen müsse. — In Gottes Namen! Ich will nur Künstlerin seyn, aber dieß ganz! Und wer weiß? Vielleicht hab’ ich doch Recht, wenn ich glaube, daß die Sehnsucht besser spielt, als die Fülle des Glücks. Vielleicht erobert die entbehrende Seele das Leben der Liebe um so glühender auf der Bühne, und der Verlust des Menschenherzens wird ein Gewinn der Kunst, ein Gewinn für ihre Freunde. — — Einerlei! Diese treu Liebende, die ein deutsches Dichterherz erfunden, rührend im Leid und groß in der Schmach, die sie vernichten sollte, dieses schöne Bild will ich spielen und mir gütlich thun dabei. Ich will es aus mir herauslassen, was mich schmerzt und bedrängt, und wenn ich nur mein Herz erleichtere, sollen sie mich loben und rufen: es ist eine Künstlerin! Wahrlich, unsereins darf nicht verzweifeln, ja kaum klagen! Eine Andere müßte sich grämen und die Wunden von der Zeit heilen lassen, die so langsam und so dürftig heilt; ich kann mein Herzeleid in andere Herzen ergießen, daß es rührt und wohlthut! — — Es ist,“ setzte sie nach einem Augenblick lächelnd hinzu, „ein wenig ideell, dieses Glück der Schauspielerin, das ist nicht zu läugnen; aber es ist ein Ersatz, und mir soll’s genug seyn!“

Die Aufführung des Stücks war für die nächste Woche beantragt. Rosa nahm die Rolle vor, erwog sie nach ihrem Grundcharakter und ihren Wandelungen, vertiefte sich in sie und lebte ganz ihrer Aufgabe. —

Heinrich näherte sich dem Ende seiner Fahrt. Nach einer Wendung um eine Anhöhe lag die Stadt vor ihm in Abendbeleuchtung, bescheidener als die Residenz, aber heimlicher, und für den liebenden Dichter von einem bezaubernden romantischen Duft umflossen. Die Schornsteine rauchten, die hervorragenden Gebäude, die hohen Thürme schauten so freundlich bekannt und doch poetisch anders her zu ihm, der selbst ein Anderer geworden. Die Gärten am Zwinger umkränzten die Häusermassen so traulich. Dort aber, in der Nähe der Hauptkirche, da lag es, das Heim seiner Seele, das Haus, das die Erwählte beherbergte. Der äußerste Garten vor der Stadtmauer war erreicht, eine kurze Frist noch, und er begrüßte sie.

Der Wagen ging durch das Thor, durch die Hauptstraße: das Herz des Liebenden begann zu klopfen, in Gefühlen zu klopfen, die ihn überraschten. Die stolze Freude, womit er vor Auguste und die Eltern zu treten gedachte, war noch in ihm; aber je näher er dem Hause kam, je mehr erhob sich daneben eine Sorge, die ein unwillkürliches dumpfes Beben zur Folge hatte. Sahen die Eltern seine Erfolge und Hoffnungen mit seinen Augen an? Würdigten sie die Bedeutung seines Talents in seiner ganzen Ausdehnung? Legten sie die Hand der Tochter in die seine mit dem ehrenden Vertrauen, das er fordern konnte, und das zu seinem Glück unentbehrlich war? Oder? —

Unwillig schüttelte er den Kopf über Gedanken, welche den Moment des Wiedersehens trüben wollten — über den Kleinmuth, der kränkend war für die braven Leute — kränkend auch für das Geschick, das ihn bisher doch so freundlich geführt hatte.

Im nächsten Gasthof stieg er ab, kleidete sich um und eilte dem stattlichen Hause zu. In den untern Gang eingetreten, erblickte er eine alte, seit Jahren zum Haushalt gehörende Magd, die ihn in der Dämmerung forschend ansah, und als sie ihn erkannte, einen Ausruf der Ueberraschung hören ließ, der einen Klang des Bedauerns hatte.

Heinrich war nicht in der Verfassung, dieß zu bemerken und rief erfreut: „Hanna! — Wie steht’s? Sind alle zu Hause?“ — „Ja, Herr Heinrich,“ war die Antwort. — „Alle?“

„Alle miteinander.“ — „Gut!“ rief der Glückliche, machte einen Schritt gegen die Treppe, hielt aber plötzlich an und sagte zu der ernst vor ihm Stehenden mit Lächeln: „Melde mich, Hanna!“

Die Alte stieg hinan, Heinrich ging auf und ab. Aus’s neue begann sein Herz bange zu pochen. Er schüttelte den Kopf über sich selbst und mühte sich, die Unruhe niederzuhalten; aber das änderte nichts und bald gerieth sein ganzes Wesen in Aufruhr.

Die Alte blieb ungewöhnlich lange aus. — Warum ließ man ihn warten? Was hatte das zu bedeuten? Niemals war ihm das begegnet in diesem Hause! — Endlich erschien sie mit einem Licht und rief: „Sie sind willkommen, Herr Born.“ Heinrich betrachtete sie und sagte: „Du bist so ernsthaft, Hanna. — Es ist doch nichts vorgefallen? Keinem ein Unglück begegnet?“ — „Durchaus nicht,“ erwiederte die Alte nicht ohne ein gewisses Mundverziehen. „Sie werden aber doch nicht mehr Alles so finden, wie’s gewesen ist!“ — „Was ist geschehen?“ rief Heinrich schnell. — „Gehen Sie nur hinauf!“ war die Antwort. „Sie sind im großen Zimmer.“

Der Liebende, mit Vorgefühlen, die jetzt nur gar zu gerechtfertigt waren, eilte die Treppe hinan, klopfte an die Thüre und trat auf das „Herein“ des Vetters in den Salon.

Er erblickte beim Schein einer Lampe die Eltern, nicht weit von ihnen Auguste, und neben ihr einen stattlichen, elegant gekleideten Mann von seinem Alter, den er sich nicht erinnerte früher gesehen zu haben. Der Unbekannte war größer und muskulöser gebaut, als selbst er, die Haare dunkel, die Gesichtsfarbe gesund und braun. Aussehen und Haltung verriethen einen Mann, dem eine feste Lebensbasis und bewährte Fähigkeiten eine ungewöhnliche Ruhe und Sicherheit verleihen.

Dem Poeten entfielen bei diesem Anblick die freudigen Ausrufungen, womit er den Verwandten in die Arme zu eilen gedacht hatte, ganz und gar. Da man auf seinen ersten Gruß auch noch sehr förmlich antwortete, da Auguste tief erröthet war und mit unwillkürlichem verlegenen Bedauern zu ihm hersah, befiel ihn mit einemmal die schlimmste Ahnung, und eine unbeschreibliche Verwirrung ergriff ihn.

Auguste, mit plötzlicher Entschlossenheit und einer Haltung, deren sich eine Heroine nicht zu schämen gehabt hätte, trat einen Schritt näher und sagte, vorstellend, zu Heinrich: „Herr Kronfeld, Sohn unseres Verwandten, den du kennst — mein Bräutigam.“ Dann zu diesem: „Doktor Born, unser Vetter — der Dichter, dessen Lob du in den Zeitungen gelesen hast.“

Der junge Kaufmann verneigte sich und erklärte seine Freude, die Bekanntschaft zu machen, nicht ohne einen merklichen Zug von Triumph in dem ruhig vornehmen Gesicht. Heinrich starrte ihn an und dankte mechanisch.

Das Wort „Bräutigam“ hatte ihn trotz seiner Ahnung wie ein Donnerkeil getroffen und auf einen Moment förmlich gelähmt. Ringend suchte er wieder eine Haltung zu gewinnen, instinktmäßig betrachtete er Auguste und die Eltern, ob es nicht doch ein Scherz wäre, den sie mit ihm vorhatten — eine Comödie, die sie spielen wollten. — Aber die Mienen Aller widersprachen dieser Meinung strengstens. Das glühende Gesicht der Tochter verkündete einen unwiderruflich gefaßten Entschluß; die Eltern sahen verlegen und sarkastisch her, wie man auf einen Geopferten und Getäuschten zu blicken pflegt.

Es war geschehen! Der beispiellose Verrath war begangen! Er war betrogen, geäfft, gehöhnt auf’s Schnödeste! Ein Abgrund von Treulosigkeit that sich vor ihm auf. — Doch, ein unmännlich Jammerbild wollt’ er den verrätherischen Seelen nicht geben. Die Falsche war seiner Verzweiflung nicht werth, auch nicht seines Zorns und einer Scene, die erzürnte Vorwürfe herbeigeführt hätten. Die kalte Ruhe der Verachtung mußte er zeigen, den Hohn des Mannes, dem nur das verächtlich Werthloseste entzogen wird! —

Trotz der besten Vorsätze war es aber das nicht, was dem Dichter gelingen konnte, und auch in der That nur sein erster Gedanke. Ihm geziemte der Stolz der geistig sittlichen Ueberlegenheit und des reinen Bewußtseyns. Das war das Arsenal, aus dem er die Waffen holen mußte gegen die empörende Unbill. Durften sie sich nicht weiden an dem Geknickten, so war er doch zu gut, namentlich aber zu groß dazu, um Böses mit Bösem zu vergelten. Er wollte zeigen, daß er nicht nur in seinen Poesien hochsinnig dachte, sondern auch in der That und Wahrheit. Er wollte sie vernichten durch den Adel des wahren Poeten und durch die stolze Gleichgültigkeit, die damit Hand in Hand ging.

Indem es dem Dichter wirklich gelang, sich zu fassen, entgegnete er mit einer ironischen Artigkeit, die in der That ganz von oben kam: „Halten Sie es meiner Ueberraschung zu gute, daß ich nicht gleich die rechten Worte gefunden, auf Ihre erfreuliche Mittheilung zu antworten. Sie kennen meine Gesinnung und wissen, welchen Antheil ich an Allem nehme, was Sie betrifft. Empfangen Sie nun meine besten Wünsche, und möge dir, liebe Cousine, alles Glück zu Theil werden, das du verdienst — und das der Mann deiner Wahl dir verbürgt!“

Diese Rede, trotz der Ironie, die namentlich der Braut sehr fühlbar wurde, befreite die Gemüther gleichwohl: die Scene, die man fürchten mußte und fürchtete, obwohl man sie zu bestehen sich entschlossen hatte, war vermieden, und man konnte die aufgerissene Kluft mit Versicherungen überdecken. In der That zeigte sich ein Schein von Erkenntlichkeit und Wohlwollen in allen Mienen. Der Vater ergriff das Wort und versetzte mit großem Ernst: „Ich danke dir, Heinrich! Wenn Leute, die sich lieben und in jeder Beziehung für einander passen, Glück haben können in der Welt, so dürfen wir’s für unsern Sohn und unsere Tochter hoffen. Herr Kronfeld, der Jahre lang im Ausland gewesen und erst vor wenig Wochen aus London zurückgekehrt ist, wird die Fabrik seines Vaters übernehmen und von den Kenntnissen, die er auswärts gesammelt hat, Gebrauch machen. Schon jetzt beschäftigt er dreihundert Arbeiter —“

Heinrich verneigte sich mit einer Anerkennung, aus der die ganze still sublime Geringschätzung des Idealisten heraussah. — „Es werden aber,“ fuhr jener mit einem Ausdruck fort, als ob die Verlobung der Tochter dadurch mehr als gerechtfertigt wäre, „mit der Zeit nochmal so viel werden.“ — „Das ist in der That großartig!“ rief Heinrich. „Wie ich meine Cousine kenne, ist das auch der rechte Wirkungskreis für sie, das eigentliche Feld für ihren ausgezeichneten praktischen Sinn und ihren auf’s Große gerichteten Geist. Ich wiederhole meine Glückwünsche — und freue mich, daß sich Alles so schön gefügt hat.“

Mutter Werthlieb lächelte, halb über die Ironie, die sie ihm gönnen mußte, halb über die Art, gute Miene zu machen, wofür sie’s nahm. In Folge eines instinktmäßigen Dranges, nun auch dem gleichwohl sehr gekränkten Vetter etwas Angenehmes zu sagen, begann sie: „Laß uns jetzt aber auch von dir reden, lieber Heinrich! Du hast Glück gemacht, dein Stück hat Beifall gefunden. Wir haben’s gehört und gelesen.“

Heinrich zuckte unwillkürlich die Achsel und entgegnete mit einer Miene der Geringschätzung: „Was will das heißen? Eine Kleinigkeit!“ — „Nun,“ bemerkte der Vetter, der die Rede wörtlich zu nehmen den Takt hatte, „es hat mich doch sehr gefreut. Auf der Hofbühne, eine solche Auszeichnung! Es ist immer ein schöner Anfang.“

„Ja,“ fuhr Auguste, deren Miene schwer bekämpftes Schamgefühl ausdrückte, mit einem Blick des Antheils fort; „es hat uns Alle außerordentlich gefreut —“ — „Und überrascht?“ fiel Heinrich ein; „natürlich!“

Auguste, erröthend, entgegnete: „Ich hab’ es nicht anders von dir erwartet.“ — „Du schmeichelst!“ versetzte der Poet mit voller Ueberlegenheit. „Ich, wenn ich aufrichtig seyn soll, hätte dieses Zutrauen nicht von dir erwartet!“

Die Mutter, der Tochter zu Hülfe kommend, fuhr fort: „Ein Bekannter von uns, der zufällig dort war, Stadtrath Weiß, hat die erste Aufführung gesehen und uns genau erzählt, wie’s gegangen ist. Anfangs war er für dich sehr in Sorge; aber dann wurde er stolz auf einen solchen Landsmann und hat sich deiner Bekanntschaft gerühmt. Uebrigens“ — fügte sie lächelnd hinzu — „hat er gethan, was in seinen Kräften stand und dich mitgerufen.“ — Heinrich, lächelnd über die Naivetät dieser Mittheilung, erwiederte: „Sagen Sie ihm gelegentlich meinen Dank.“

„Es muß ein eigenes Gefühl seyn,“ bemerkte nun der junge Fabrikbesitzer mit der Miene eines über solche Triumphe glücklicherweise Erhabenen, „vor ein begeistertes Publikum zu treten und seinen Ruhm so handgreiflich in Empfang zu nehmen.“ — „Jedenfalls,“ erwiederte Heinrich, „fühlt man sich dabei geehrter, als in mancher andern Situation!“

Der alte Herr lächelte unwillkürlich, er mußte diese Bemerkung gut finden. Im Grunde schien ihm jetzt nicht nur das Eis gebrochen, sondern der fatale Handel so gut wie beigelegt, und nun kehrte der Geschäftsmann, der in seiner Familie das Behagen liebte, ohne weiteres zur vetterlichen Traulichkeit und zur Bonhomie des vieljährigen Gönners zurück. Er sah den Poeten freundlich an und rief mit cordialer Ermuthigung: „Du mußt uns das Stück vorlesen! Wir bitten eine Gesellschaft zusammen, Verwandte und Freunde, die du kennst und die dich als Dichter verehren, und du feierst dann auch hier deinen Triumph.“ — „Ach ja,“ rief die Gattin, „das wäre charmant!“

Dießmal konnte der Poet doch nicht umhin, einen stechenden Blick der Verachtung auf Menschen zu werfen, die sich’s mit ihm so außerordentlich leicht machten. Er nahm sich indeß zusammen und versetzte mit möglichstem Ernst: „Wird doch nicht gehen, Base. Ich will so bald als möglich zu meinen Eltern, die sich nach mir sehnen und deren treuer Liebe ich die Freude, die ich ihnen machen kann, nicht länger vorenthalten darf. Auch ich, wie Sie sich denken mögen, sehne mich darnach, sie wieder zu sehen.“ Und mit einem Ausdruck rückhaltloser Superiorität, der vielleicht die beste Rache ist, setzte er hinzu: „Genießen Sie das Glück, das die rühmliche Verbindung Ihnen Allen verheißt! Die Gesinnung, die es geschaffen hat, wird es auch erhalten; und mit aller Freude, die ein Freund darüber empfinden kann, scheid’ ich nun! Leben Sie wohl!“

Er hatte bei den letzten Worten umhergesehen und einen durchdringenden Blick auf Auguste ruhen lassen. Diese schlug die Augen nieder und machte eine Bewegung, als ob sie in’s Herz getroffen wäre. Heinrich, es gewahrend, verbeugte sich und verließ das Zimmer.

Mit brennenden Wangen ging er die Treppe hinunter. Als er der Alten ansichtig ward, rief er: „Du hast Recht gehabt, Hanna! — Gott sey, Dank! Das wär’ überstanden!“

Jene trat einen Schritt näher, und indem sie ihr Gesicht in strenge Falten legte, sagte sie mit gedämpfter Stimme: „Fräulein Auguste hat sehr unrecht gegen Sie gehandelt. Ich kann Ihnen sagen, das ist nicht nur meine Meinung, sondern gar viele denken so.“ — „Wirklich?“ rief der Poet mit dem Ton ironischen Verwunderns. — „Der Herr Rektor,“ fuhr Hanna fort, „hat ihr die Freundschaft aufgekündigt und kommt nie mehr in unser Haus.“

„Ein Ehrenmann,“ versetzte Heinrich; „das ist begreiflich! — Nun, Hanna, lebe wohl! Es thut mir gut, wenigstens Eine treue Seele in diesem Hause getroffen zu haben.“ Ernst ergriff er ihre Hand, drückte sie und sagte herzlich: „Behalte mich in gutem Andenken!“ — „Oh,“ rief die Alte mit Thränen in den Augen, „Sie sind gut, Herr Heinrich, und Sie werden auch noch glücklich seyn! Besser vorher als nachher! Machen Sie sich keinen Kummer! Ein Herr wie Sie —“

Der junge Mann, trüb lächelnd, schüttelte den Kopf, machte eine Bewegung des Abschieds und ging der Thüre zu. Auf einmal, von der Treppe herab, ertönte der dringende Ruf: „Heinrich!“ Er kam von Auguste, die sich alsbald zeigte und mit raschen Tritten zu ihm herabstieg.

Heinrich hatte sich wieder umgewendet, befremdet sah er sie an und sagte kalt: „Was wünschen Sie von mir?“ — „Geh!“ versetzte das Mädchen mit einem Blick des Vorwurfs in dem schuldbewußten Gesicht. „Stell’ dich nicht fremd gegen mich! Wir sind immer noch Verwandte und Jugendfreunde!“

Heinrich lächelte mit einem Ausdruck unverholener Geringschätzung. Dann, nach einer Bewegung, die einen gefaßten Entschluß anzeigte, entgegnete er: „Nun, also — was willst du von mir?“ — „Ich muß mit dir reden,“ erwiederte das Mädchen. — „Wozu das, gute Cousine?“

„Du mußt mich hören!“ fuhr sie leidenschaftlicher fort. „Ich verlang’ es von dir! — Ich bitte dich darum,“ setzte sie weicher hinzu.

Heinrich, nach einem Blick auf sie, nickte mit dem Ausdruck des Verstehens. Sie ging ihm voran in ein Zimmer, das er selbst, wenn er auf Besuch hier war, zu bewohnen pflegte; er folgte mit der Miene glaubensloser Neugier.

Jene, nachdem sie die Thüre geschlossen, begann: „Ich weiß, Heinrich, daß du mich verdammst. Du denkst das Schlimmste, das Niedrigste von mir, weil du nicht weißt, wie Alles so gekommen ist — und ich kann dich nicht so gehen lassen! Was ich gethan habe, das ist geschehen nach genauer Ueberlegung; und ich hab’ nur gethan, was ich für meine Pflicht hielt.“

Heinrich betrachtete sie mit einem Blick des Mitleids. „Ich will’s nicht bestreiten,“ sagte er dann. „Es gibt verschiedene Ansichten über das, was man Pflicht nennt.“

„Der Entschluß, zu dem ich endlich gekommen bin, hat mich einen großen Kampf gekostet,“ fuhr Auguste mit Nachdruck fort. — „Das kann ich glauben,“ erwiederte jener. „Dem Verlobten die Treue zu brechen —“ — „Wir waren nicht verlobt!“ fiel Auguste rasch ein.

„Förmlich nicht,“ versetzte Heinrich — „allerdings! Wir hatten nicht Ringe gewechselt und keine Verlobungskarten ausgegeben. Aber ich hab’ das Verhältniß nie anders angesehen, und du schienst dich doch auch zu benehmen, als ob es eben diese Bedeutung hätte. Erinnerst du dich vielleicht noch unseres Abschieds und was du mir dabei gesagt hast? Erinnerst du dich der Briefe, die du mir geschrieben? Mir schienen das Betheurungen einer Liebenden, die treu seyn will. Und wie lang ist’s her, daß ich den letzten erhalten habe?“

Auguste war tief erröthet. Nach einem Moment des Besinnens entgegnete sie, ohne die innere Bewegung verbergen zu können: „Ich will meine Briefe nicht verläugnen, ich will kein Wort verläugnen, das in ihnen steht. Wir sind eben mit einander aufgewachsen; du hast mich liebgewonnen und ich dich, und wir haben so fortgelebt wie in einem Traum. Aus der Freundschaft naher Verwandter, die sich dutzten von Jugend auf, ist ein Verhältniß entstanden, das ernster schien, als es war. Die hergebrachte Vertraulichkeit hat wenigstens mich weiter geführt, als ich sonst gegangen wäre: ohne deine Base zu seyn, hätt’ ich nie mit dir Briefe gewechselt.“

„Mag seyn,“ versetzte Heinrich, indem seine Augen zu funkeln begannen. „Aber du hast sie nun einmal gewechselt, hast mein Gelöbniß der Liebe und Treue vernommen und wieder vernommen — hast es erwiedert! Und wenn auch in deinen Briefen nicht die Wärme, die glühende Liebe herrschte wie in den meinen — von der Jungfrau hab’ ich das nicht verlangt —, so sind es doch Ergießungen einer Seele, die sich für gebunden achtet, die ihr Loos an das des Geliebten gefesselt hält.“

„Ja,“ versetzte Auguste, „das ist wahr — wahr von den Briefen, die ich dir bis zu einer gewissen Zeit geschrieben habe! Damals, wenn du mich von meinen Eltern hättest verlangen können, wär’ ich dir gefolgt, mit Freuden gefolgt!“ — „Aber dann,“ versetzte Heinrich, „kam ein Anderer und Besserer —“ — „Nein!“ unterbrach ihn das Mädchen. Schon vorher änderte sich meine Gesinnung — und mußte sich ändern.“

Der Poet sah sie erstaunt, mit tiefem Unmuth an; Auguste fuhr fort: „Erinnere dich, wie es dir ergangen ist, und versetze dich in meine Lage! Du bist in die Residenz gereist mit einer Theaterdichtung, die wir hier alle für ausgezeichnet gehalten haben und von welcher du für deine Person dir Ehre, glänzenden Ruhm und die größten Vortheile versprochen hast. Du hast sie nicht einmal zur Aufführung bringen können. Und wie zornig du über den Vorfall warst, endlich hast du doch selber zugeben müssen, daß sie für die Bühne sich nicht eignete. Dann hast du ein neues Stück angefangen und warst deiner Sache ganz sicher und hast mir wieder die besten und schönsten Erfolge prophezeit. Ich habe dir wieder geglaubt und meine Eltern, die höchst bedenklich geworden waren, nochmal zum Glauben bewogen. Da, nach Wochen erneuerter Hoffnungen, schreibst du mir: die zweite Arbeit sey wieder aufgegeben und du habest eine dritte begonnen, wozu dir diese Schauspielerin den Stoff überlassen habe. Auf diese Nachricht, ich will es nicht läugnen, wankte auch mein Vertrauen.“ — „Zur unrechtesten Zeit!“ fiel Heinrich ein.

Auguste sah ihn mit einem eigenen Blick an und sagte: „Ich bin keine Dichterin, wenn ich auch Dichter verehre; ich kann mir die Dinge nicht durch Phantasie verschönern und muß sie daher nehmen, wie sie sind. Ich habe dich geliebt und dir vertraut, und hättest du mein Vertrauen gerechtfertigt, so wär’ ich die Deine geworden. Aber nachdem zwei deiner stolzesten Verheißungen unerfüllt geblieben waren und sich recht eigentlich in Nichts aufgelöst hatten, wie wär’ es mir möglich gewesen, ernstlich an die dritte zu glauben? Wie konnte ich annehmen, daß dir mit dem fremden Entwurf gelingen werde, was dir mit deinen eigenen, die du so begeistert ausgedacht und so sehr gepriesen hattest, nicht gelungen war? Ich mußte denken, daß du über dein Talent überhaupt in einer Täuschung befangen warst, daß deine Kräfte zu dieser Art von Arbeiten nicht hinreichten, daß deine Bemühungen vergeblich seyn und bleiben würden — und daß du mich, wenn auch mit dem besten Glauben von der Welt, hinhalten würdest und müßtest, weil dir ein Plan um den andern fehlschlug.“

Heinrich wollte reden, aber das Mädchen schnitt ihm das Wort im Mund ab, indem sie fortfuhr: „Sag’ selbst, welch ein Schicksal erwartete mich unter diesen Umständen? Wenn ich den Bitten, den dringenden Mahnungen meiner Eltern auch hätte widerstehen können, so wurde ich älter; ein Jahr um’s andere und mit ihm das bischen Jugendblüthe ging dahin; und wenn mir das in einer Art geschah, wie es mancher geschehen ist — wer stand mir dafür gut, daß du nicht endlich selber dein Herz von mir abkehrtest?“

„Oh!“ rief Heinrich, indem er sich unwillig wegwandte. — „Es wäre nicht das erstemal,“ fuhr Auguste fort, „daß ein glühender Liebhaber kalt würde und sich zurückzöge! Poeten sind wandelbar, und eine neue Liebe kann für ihr Herz gar leicht mehr Reize haben, als die Pflicht der Treue. Genug, wenn ich mich nicht selbst verblenden wollte, konnte ich jetzt in einem fortgesetzten Verhältniß weder mehr auf mein Glück rechnen noch auf das deine. Mein Vater (wenn ich das auch sonst von ihm hätte erwarten dürfen) konnte unsere Erhaltung für sich allein nicht bestreiten, nicht mehr bestreiten, mein guter Heinrich! Von dem Augenblick nun, wo ich das in aller Klarheit sah, betrachtete ich mich nur noch als deine Verwandte, deine Freundin; und wenn du meinen letzten Brief nochmals ansehen magst, wirst du dich überzeugen, daß sich in ihm nur die sorgenvolle Theilnahme an deinem Schicksal ausspricht, wie sie eine Freundin empfindet. Kurze Zeit, nachdem ich diesen Brief geschrieben, sah ich den jungen Kronfeld, gewann sein Herz, ganz ahnungslos von meiner Seite, und hörte seinen Antrag. Ich verbrachte trotz alledem Tage der größten Aufregung und der peinlichsten Zweifel, weil ich mir den Eindruck vorstellte, den dieser Schritt auf dich machen würde und eine Stimme in mir doch wieder für dich gesprochen hatte. Aber von dem ausgezeichneten jungen Mann, von meinen und seinen Eltern gedrängt, wiederholt und mit Gründen gedrängt, denen ich nichts mehr entgegenzusetzen wußte, sagte ich endlich Ja.“

Heinrich nickte, wie zu der guten Vertheidigung einer schlechten Sache, und entgegnete bitter: „Das war zu derselben Zeit, wo dein Geliebter und Verlobter sein Wort zur Wahrheit machte und mit der Schöpfung seines Geistes einen Erfolg errang, der ihm eine rühmliche Zukunft, uns beiden eine geehrte Existenz verbürgte!“

Auguste konnte nicht umhin, nun einen flüchtigen Blick des Mitleids auf ihn zu werfen. „Heinrich,“ erwiederte sie, „ich freue mich dieses Glücks von ganzer Seele! Aber nach der Belehrung, die ich darüber erhalten habe, kann ich die Hoffnungen nicht mehr theilen, die du darauf zu bauen scheinst. Wer ist dir denn gut dafür, daß dieses Stück auch anderswo so gefällt wie da, wo die Mitarbeiterin darin gespielt und natürlich ihre Freunde und Verehrer hat? Wer ist dir gut dafür, daß man es an andern Orten, wo keine Gönner helfen, auch nur gibt? Und wenn es gegeben würde und gefiele, wer verbürgt dir, daß deine neuen Arbeiten eben den Beifall erhalten wie diese, die unter so besondern Verhältnissen entstanden ist? Ein Theaterstück, das hier und dort wohl aufgenommen wird, gründet noch nicht die Existenz eines einzelnen Mannes, geschweige denn einer Familie. Ich habe darüber im Hause meines Bräutigams von einem Schriftsteller, der in diesen Dingen bewandert ist, Aufklärungen erhalten, die mich in meinem Entschluß nur bestärken konnten. Darum will ich dir aber jetzt das Herz nicht schwer machen. Es ist möglich, daß dir von nun an Alles über Erwarten gelingt, und niemand kann es inniger wünschen als ich. Aber ich, in meinen Verhältnissen, konnte an diese Möglichkeit — noch dazu in einer Zeit, wo sie eine höchst entfernte war — nicht das Schicksal meines ganzen Lebens knüpfen, während von anderer Seite mir und meinen Eltern das gesichertste, ehrenvollste Loos und ein Wirkungskreis geboten war, wie ich ihn mir immer gewünscht habe.“

Heinrich stand mit bebender Lippe. „Richtig!“ entgegnete er; „richtig — und abscheulich!“ — Auguste sah ihn an wie eine Verletzte. — „Du hast sehr einsichtsvoll gehandelt!“ fuhr jener fort; „als ein wahres Muster von Ueberlegung und praktischem Verstand! Aber von Gemüth und von Würde der Gesinnung erblick’ ich keine Spur in deinem Verhalten! Wenn diese Gründe gelten, dann kann man jede Treue brechen; denn immer kann man sagen: ich habe zwar eine heilige Zusage gegeben und unwandelbare Treue hoffen lassen; aber dort bietet sich mehr Vortheil, mehr Sicherheit, man lebt nur Einmal und muß vernünftig seyn, also laßt uns absagen und unser Lebensglück begründen!“

„Heinrich!“ rief das Mädchen, gegen diese Auslegung sich wehrend, in einem Tone zugleich der Scham und der Entrüstung. — „Geh,“ rief dieser, „du kennst die Liebe nicht! Die Liebe ist eine Flamme, die mit wunderbarer Gewalt auflodert und über alle Rücksichten hinweggeht. Die Liebe will keine Sicherheit, sie will das Wagniß und die Gefahr, und freut sich ihrer! Denn nur der Gefahr und dem Unglauben der Welt gegenüber kann sie zeigen, was in ihr und an ihr ist! Nur in der Selbstaufgebung und im Opfer genügt sie sich! Die Liebe scheut nicht zurück vor dem Gedanken des Leides, ja nicht des Untergangs! Die Liebe hofft Alles und geht Hand in Hand mit dem Glauben; aber sie ist auch bereit, Alles zu dulden, weil sie weiß, daß jedem zeitlichen Verlust ewiger Ersatz wird! Geh hin und stelle dich zu deines Gleichen! Du verlierst mehr, als du gewinnst! Ein einziger Augenblick einer edeln Seele, die göttlich denkt und handelt, ist mehr werth als ein ganzes Leben solcher verständigen, klugen, herzlosen Figuren! Ich habe mich getäuscht, ja; aber nicht über mich und mein Talent; denn in mir glüht eine Flamme, die nie verlöschen und nur immer heller aufleuchten wird! Ueber dich hab’ ich mich getäuscht und über deine Gesinnung! In dir hab’ ich eine Göttin erblickt und als eine Göttin hab’ ich dich gefeiert, und sehe nun, daß du nichts bist, als ein Weib, und zwar ein gewöhnliches Weib, mit all dem trivialen Verstand und dem offenen Auge für den Vortheil! Meinethalb! Ich bin beschämt und muß es tragen! Ich bin verschmäht und weggeworfen, und soll meine Schmach nun auch noch für Recht erkennen und der Verächterin meinen Beifall zollen! Doch, Gott sey Dank, es gibt noch Seelen in der Welt, die lieben und liebend wagen und opfern! Es gibt noch Seelen, die mir anhängen mit einer Liebe und Treue, die nichts wankend machen kann! Fort, fort zu ihnen! fort zu meinen Eltern! fort an das Herz der Mutter, die alles empfangen soll, was du verschmähst, und die es mit Freuden empfangen wird! — O,“ fuhr er mit Thränen in den Augen fort, „der Boden brennt mir unter den Füßen — nie, nie werd’ ich dieses Haus mehr betreten!“

„Heinrich!“ rief Auguste erschüttert, mit schmerzlichem Bedauern in dem glühenden Gesicht. Aber dieser war fertig. „Fahr wohl!“ rief er mit einem Stolz, der sein Gesicht leuchten machte; „fahr wohl für diese Welt! Sey glücklich, wie du es vermagst, und vergiß, daß meine Liebe jemals dir gehört hat! Sie war die Tochter des gröbsten Irrthums, ich bereue sie — und sie ist dahin für immer!“

In größter Aufregung, aber dennoch mit stolz gemessenen Schritten verließ er Zimmer und Haus. Auguste, sich fassend und wieder aufrichtend, sah auf die offene Thüre. „Er stürmt fort,“ sagte sie zu sich selbst, „mit Verachtung im Herzen! Aber es ist mir doch lieb, daß ich ihn noch gesprochen habe. Er hat meine Gründe gehört, und wie schlecht sie ihm jetzt vorkommen mögen, wenn er meinen Entschluß ruhiger bedenkt, wird er mich und sich selbst besser beurtheilen. Ich hab’ doch recht gethan, mich nicht für mein Leben an ihn zu fesseln. Das erkenn’ ich jetzt mehr als jemals. Und,“ setzte sie mit einem Ausdruck voll Selbstgefühl hinzu, „wie verächtlich mein Loos ihm erscheinen mag, ich nehm’ es an.“ —

Heinrich ging rasch in den Gasthof zurück, eilte auf sein Zimmer und schloß sich ein. Es war Zeit. Sein Herz war unendlich gedrückt, von einem Strom der bittersten Empfindung durchfluthet, und Thränen stürzten ihm aus den Augen, Thränen der Scham, des Wehs und des Zorns. „Welch ein Verrath!“ rief er. „Welch ein Abgrund von Selbstsucht! Ist es möglich? Hab’ ich mich so völlig getäuscht? Unverzeihlich, unverzeihlich! Bei mir war Alles Ernst, hoher, heiliger Ernst, bei ihr Alles Schein, Phrase, hohle Phrase! Ewige Schmach für mich! Sie hab’ ich angesehen und dargestellt als das Ideal des Weibes! leuchtend in allen Tugenden, die sie zu haben schien, mit jener diabolischen Magie des Weibes zu haben sich anstellte, und die doch keiner ferner waren als eben ihr! Doch — in Gottes Namen! Sey mein Irrthum der gröbste gewesen, Liebe hat in mir geirrt und ein großmüthig fühlendes Herz! Mag ich der Dumme gewesen seyn, wenn ich nur nicht der Lieblose war! Denn der Weltverstand lernt sich, die Liebe nimmermehr, und wo die Liebe fehlt, da fehlt das Heil und die Ehre des Menschenthums!“

Schweigend saß er eine Zeitlang. Dann, mit schmerzlichem Ernst nickend, fuhr er fort: „Unerhört ist die Kränkung, die ich erfahren habe, und ich weiß es, ich werde von dem Gift, das mich peinigt, so schnell nicht genesen; aber Etwas bleibt mir, das mich trösten und endlich, so Gott will, auch heilen wird: das Herz meiner Eltern, das Herz edler Seelen, die mir Antheil bezeigt und mit liebevoll uneigennütziger Freundlichkeit und Güte mich gefördert haben.“

Er hielt inne, und während die Thränen in seinen Augen versiegten, starrte er für sich hin. Plötzlich fuhr er zusammen. Eine dunkle Röthe ergoß sich über seine Wangen, seine Brust arbeitete und die Züge, die nur Anklage und Leid ausgedrückt hatten, verriethen auf einmal Schuldgefühl, Scham und Sorge.

Mit der Hand über die Stirn fahrend, rief er aus: „Zu meinen Eltern! Sie sollen meine Ehre, meine Schmach erfahren! — Bei ihnen hoffe ich Ruhe und, so Gott will, neuen Lebensmuth zu finden!“

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