VI.

Der Kampf des Realismus mit dem Idealismus, der hauptsächlich unsere Epoche bezeichnet und auf allen Gebieten mit wechselndem Glücke geführt wird, mußte nothwendig auch in der Sphäre der Dichtung hervortreten. Daß ein Streit so berechtigter Gegensätze am Ende nur zur Ausgleichung führen kann, braucht sinnigen Lesern wohl nicht mehr gesagt zu werden. Aber wie soll diese erfolgen? Durch die leidenschaftlichen Vertreter der Gegensätze, welche sich, „des langen Haders müde,“ zuletzt die Hand reichen werden? Schwerlich. Der Kampf wird dazu dienen, die Akten spruchreif zu machen; aber die gedeihende Harmonie wird das Werk seyn derjenigen Geister, die, zu beiden Richtungen begabt, den Streit in sich selber durchkämpfen und der Ausgleichung fähig werden in der gerecht unterscheidenden, gerecht urtheilenden Liebe zu beiden. Sie, denen der Sieg gelingt im Kleinen, können das Vorbild liefern und Zusammenwirken für den Sieg im Großen, der sich, wenn es Gott gefällt, nach und nach wird erstreiten lassen.

Zu den Geistern solch doppelter Begabung gehörte in gewissem Sinn auch den Dichter, dessen Schicksale hier dargestellt werden sollen. Er hatte ein Auge für die wirkliche Welt, er lebte und liebte in ihr, er fühlte die Poesie des Lebens und suchte sie auszusprechen in verschiedenen dichterischen Formen. Aber zugleich folgte er einem unwiderstehlichen Hang zu idealen Gebilden der Phantasie, und glaubte in ihnen eben das Größte, das Erhabenste leisten zu können. Im Schwunge des idealisirenden Geistes ging er über die Wirklichkeit hinaus, und sogar ihre Poesie stand vor ihm in kleinem, unscheinbarem Licht. Seinen Hauptberuf erblickte er jenseits der Schranken des Irdischen, und auf ihn warf er sich daher mit aller Leidenschaft muthiger Jugend.

Der erste durchgeführte Flug hatte sich ihm indeß übel gelohnt. Gleich Phaeton war er herabgestürzt aus den himmlischen Höhen: gewaltig erschüttert, aber glücklicherweise doch nicht zerschmettert und kein tragisches Opfer der Unternehmung. Sich wieder erhebend sah er sich auf der Erde und fand, unter freundlicher Aufmunterung, daß sie lieblich anzuschauen war und ihm anspruchlosere, aber erreichbare Schönheit zum Ersatze bot. Dankbaren Sinnes erblickte er diese im besten Licht und freute sich über Alles, nachdem ihm das Große nicht gelungen war, um so besser das traulich ansprechende Kleinere zu leisten.

Im Grunde: was ist Poesie? Das durch den liebenden Geist verklärte Leben. Der Geist kann alles verklären, was er liebt; nicht nur das Große, sondern auch das Kleine, das auch erlöst seyn will von den Banden der Prosa, und wie die Geschichte aller Künste zeigt, auch erlöst werden sollte und soll. Die Malerei hat Götter und Heroen dargestellt, aber auch den Schmetterling, den Käfer und den Apfel wiederzugeben nicht verschmäht. Und wer, der sich ein offenes Herz bewahrt hat, wird sich nicht auch solcher Abbildungen freuen, wenn sie nämlich gelungen sind!

Gedanken dieser Art gingen durch den Kopf des Poeten, als er sein Drama weiter führte. Seine Liebe zu dem Stoff hielt aus und gewann, indem sie ruhiger wurde, vielmehr an Innigkeit. Allerdings kam zuweilen mitten in der Freude über die gelingenden Figuren ein Schamgefühl über ihn, wenn er der Vornehmheit gedachte, womit er auf solche Arbeiten früher herabgesehen hatte. Er büßte die Ueberhebung, die ihm so schlimm bekommen war, nachträglich noch wiederholt, fühlte aber auch, daß die Buße heilsam war für ihn und seine Arbeit.

Als er den ersten Akt zu Ende gebracht hatte (er brauchte denn doch länger dazu, als acht Tage), begab er sich zu den Freundinnen. Unter guten Erwartungen las er ihnen die Reinschrift vor und wurde, hinsichtlich des Ganzen, mit herzlicher Beistimmung erfreut. Im Einzelnen hatten beide zu tadeln; die Ausstellungen gründeten sich aber auf Erfahrung und natürlichen Takt, wurden ihm einleuchtend gemacht, und er änderte mit Vergnügen. Hatte er doch schon selbst über sich zu Gerichte gesessen und sich vielfach die Lust des Verbesserns gegönnt. Jetzt setzte er’s nur fort und freute sich der wachsenden Reinheit.

Nachdem er den letzten Einwand auf kurzes Bedenken hin als richtig zugestanden hatte, sah ihn Rosa lächelnd an und sagte: „Mein lieber Freund, Sie haben einen guten Fortschritt gemacht. Sollte man nicht glauben, der Tadel wäre Ihnen jetzt lieb? Statt daß Sie empfindlich werden und Ihre Lesart heftig vertheidigen, erkennen Sie die unsere an und lassen sie gelten. Das ist ein Zug, der bei deutschen Dramatikern nicht sehr häufig vorkommen soll.“

„Mir,“ entgegnete Heinrich mit Heiterkeit, „hat ihn auch erst ein Kraftmittel beigebracht. Jetzt freilich gehört er zu mir und ich gedenke ihn zu behalten.“ — „Immer zu!“ rief die Mutter lächelnd. — „Im Grunde,“ fuhr der Poet fort, „kommt es auch hier nur darauf an, was man eigentlich will: die Sache, die Kunst, oder sich selber. Wer die Kunst will, der hat ein Ideal der Vollendung vor Augen, und er ruht nicht, bis sein Werk diesem so nahe als möglich kommt. Wer sich will, der gibt etwas von sich und hält es für das realisirte Ideal, weil es von ihm ist. Natürlich wird so Einem der Widerspruch als persönliche Beleidigung erscheinen, während er jenem, als zur Verbesserung der Sache dienend, lieb und willkommen ist.“

„Weislich erklärt,“ entgegnete Rosa mit Lächeln. „Nun, unsern Widerspruch können Sie schon gelten lassen; er kommt weder aus einem tadelsüchtigen noch frivolen Gemüth und hat nichts als die Schönheit Ihres Werkes im Sinn.“ — „Das weiß ich,“ erwiederte Heinrich, „und darum hör’ ich ihn mit Freuden und bitte um die Fortsetzung.“

Wir können nicht gemeint seyn, den Poeten in seiner Thätigkeit und seinem Verkehr mit den beiden Frauen Schritt für Schritt zu begleiten. Er arbeitete stetig jeden Tag, und wenn das Drama langsam vorrückte, weil nach und nach die Schwierigkeiten mehr hervortraten und wiederholte Versuche nöthig machten, so wuchs es doch und nährte die Begierde des Autors zum Weitergang.

Die fertigen Partien (auch kleinere, wenn sie an sich bedeutend oder gewagt erschienen) las er an freien Abenden den Damen vor, hörte Lob und Tadel und änderte nach gewonnener Ueberzeugung Einzelnheiten und ganze Scenen. Für einen theilnehmenden Beobachter wäre es interessant gewesen, zu sehen, wie Dichter und Schauspielerin dabei sich ergänzten. Heinrich strebte nach Gehalt, Geist, höherem Ausdruck, und vielfach gerieth es ihm damit. Nicht selten wurde der Dialog aber zu schwer, zu gefüllt, oder gewann einen verstiegenen Charakter; und so wurde er von Rosa bekämpft, bis der Poet sich fügte. Die Künstlerin hatte vorzugsweise den Effekt im Auge, drängte in diesem Sinn die rührenden Scenen auszubeuten und besonders drastische Abgänge herzustellen. Hier überschritt sie aber ein paarmal die Linie, schlug Reden vor, die sich nicht natürlich aus der Situation ergaben, und mußte sich von dem Dichter widerlegt sehen, dem die poetische Wahrheit über alles ging. Wenn die Forderungen der Wahrheit und der Wirkung einander entgegen traten, ging es nicht ohne Conflikt ab; allein man vereinigte sich wieder, indem von beiden Seiten eingeräumt wurde, daß in einem Bühnenstück eben die Wahrheit wirkungsvoll seyn müsse, und Heinrich, wenn er die unmittelbaren Forderungen Rosas ablehnte, folgte ihr doch in sofern, als er dann für naturgemäße Kraftentwicklung Sorge trug.

Im Ganzen bewies unser Poet, daß er das menschliche Herz im Guten und Schlimmen, so wie die Leiden und Freuden der bürgerlichen Sphäre gar wohl kannte und über fein abgelauschte Züge des realen Lebens zu gebieten wußte. Er erprobte sich als Poeten, indem er wirkliche, lebendige Menschen zeichnete, die in natürlicher Entfaltung ihres Innern Sympathie zu gewinnen vermochten. Das wurde den Freundinnen immer deutlicher, und Rosa empfand darüber das reinste Vergnügen.

Der Verkehr der drei Leute hatte etwas so ungezwungen Trauliches und unter Umständen Heiteres, daß ein Besucher, auf den ersten Blick hin, sich gesagt hätte, die sind glücklich und machen sich glücklich. In der That unterhält nichts anziehender und schöner, als gleiches Interesse bei einem gemeinsamen Unternehmen. Rosa konnte das Drama so gut ansprechen wie Heinrich, und jedenfalls lag ihr das Gelingen um nichts weniger am Herzen, als ihm. Ihr schönes braunes Auge glänzte Genugthuung, wenn sie etwas für gut erklären mußte, besonders wenn dieß nach einer zweiten Bearbeitung der Fall war, die sie gefordert hatte. Da rühmte sie den Autor, daß er ihren Rath befolgt, es gleich so richtig getroffen und sich dadurch als wahren Dichter bewiesen habe, so warm, so froh, daß er beglückt lächelte und auch über das Gesicht der Mutter ein Schein der Freude ging.

Die jungen Leute erschienen zuweilen fast wie Verlobte, die es schon längere Zeit waren und darum in ruhiger Freundlichkeit sich gefielen. Bei näherer Betrachtung zeigte sich freilich, daß der Poet an der Liebenswürdigkeit des Mädchens sein Vergnügen hatte und sich unwillkürlich dem Reiz ihres Umgangs hingab, aber doch nur in Gefühlen der Freundschaft sich bewegte, während aus ihrem Auge zuweilen Blicke kamen, die ihre tiefe Leidenschaft verriethen — ein süß und schmerzlich erregtes inneres Leben, das nur durch Willenskraft verschlossen gehalten wurde.

Man fragt vielleicht, wie es möglich war, daß der junge Mann diesen Zustand ihrer Seele nicht endlich doch erkannte und nun mit sich zu Rathe ging über das unter solchen Verhältnissen ihm gebotene Benehmen? Daran war aber theils die Naivetät, die recht eigentlich unschuldige Natur Heinrichs, theils die Kunst des Mädchens Schuld, die sich selbst so sehr in der Gewalt hatte, daß sie den Ausdruck einer tieferen Empfindung rasch wieder in Scherz verkehren und damit auslöschen konnte. Ihr zärtlicher Antheil an ihm und seinem Vorhaben entging Heinrich freilich nicht; allein er nahm ihn für den Beweis einer Freundschaft, die auch er gegen sie empfand, für die natürliche Sympathie der Künstlerin mit dem Dichter, und endlich — warum nicht? — für den Ausdruck eines Wohlgefallens an seiner Person, das er ebenfalls reichlich wieder vergalt. Wußte sie doch, daß er verlobt war und an der Geliebten mit unverbrüchlicher Treue hing; wie hätte er denken sollen, daß sie eine Glut in ihrem Herzen nährte, die nur in Auguste gerechtfertigt war? Ihm blieb daher die Geliebte die Geliebte, die Freundin die Freundin, und darum genoß von den dreien nur er allein eines reinen, ungetrübten Glücks.

Die Wirklichkeit hatte auch dießmal rücksichtslos ihren eigenen Weg genommen. Der dramatische Dichter und die feinsinnige, reizende Künstlerin schienen für einander geboren. Aber während sie ihn liebte und in dieses Gefühl sich immer mehr vertiefte, hing er nicht nur mit leidenschaftlicher Innigkeit an der Jugendgeliebten, sondern umgab sie, die Schöne, nur um so eifriger mit den Zaubern einer verschönernden Einbildungskraft. Sie war ihm die edle, die hohe Gestalt, die Königin seiner Gedanken, zu der emporzustreben ihn mit der süßesten Lust erfüllte. Alle Eigenschaften an ihr waren liebenswerth über Alles, und sie endlich sein zu nennen und sie mit allen an’s Herz zu drücken, eine nicht zu fassende Wonne. Die schöpferische Phantasie, die große Künstlerin, durchleuchtete das Bild und ließ es in Farben erglänzen, daß neben ihnen auch die lieblichsten wirklichen ihr Licht verlieren mußten. Wenn die Freundin sich um ihn verdient machte und ihm zur Erreichung seines Zweckes half, so erwiederte er dieß mit herzlichem Dank. Aber den Zweck wollte er nur erreichen, um die Erwählte durch seinen Triumph zu erfreuen und triumphirend heimzuführen.

Rosa, wie resignirt sie war und wie sehr ihr liebendes Gemüth schon durch den großmüthigen Beistand sich beglückt fühlte, hatte doch eine schmerzlich bittere Empfindung, als diese Gesinnung Heinrichs einmal so recht offen hervortrat. Sie kämpfte dagegen, hielt sie nieder, und es gelang ihr so sehr, daß sie sich mit ihm an der Vorstellung seines endlichen Glückes selber zu weiden schien. Dadurch wurde aber Heinrich nur um so sicherer gemacht, und wenn er erst noch eine gewisse Scheu gefühlt hatte, die Geliebte vor der Freundin zu preisen und der Freude seines Herzens Worte zu geben, so folgte er jetzt dem Drange desselben um so rückhaltloser, weil er dadurch der Theilnehmenden selber Freude zu machen glaubte.

Mit all ihren Fähigkeiten, sich über sich selber zu erheben, wurde Rosa jetzt doch auf harte Proben gestellt. Ein Liebender findet so viele Gelegenheit, von der Geliebten zu reden! Eine allgemeine Frage nach ihr gibt ihm Anlaß zu ausführlichem Bericht, wobei er weit mehr sein eigenes Bedürfniß, als das der Hörer zu Rathe zieht. Eine Erkundigung nach einem Bezug, der nur ihn selber betrifft, läßt ihn in die Antwort einflechten, was sie vorher oder nachher, in oft sehr entferntem Zusammenhange, gesagt oder gethan hat u. s. w. Heinrich, um der bewiesenen Theilnahme durch eben so großes Vertrauen entgegen zu kommen, theilte die schönsten Stellen aus den Briefen mit, die er von Auguste erhielt; er las Gedichte vor, die er ihr gelegentlich zum Ruhme sang, und gab dazu Commentare, die oft noch viel poetischer waren als die Gedichte selbst. Wenn man bedenkt, daß Rosa dem allem gegenüber die einmal angenommene Haltung zu bewahren hatte, so ahnt man, was sie dabei litt.

Ein eigenes Gefühl regte die dramatische Arbeit selber in ihr an. Der Poet hatte den Gedanken, in den beiden Mädchengestalten sowohl die Geliebte als die Freundin zu schildern, gewissenhaft ausgeführt; und es begreift sich, daß im Vergleich zur ersten die zweite Figur in all ihrer Artigkeit als Mond neben der Sonne und recht eigentlich secundär erschien. Die Künstlerin hielt bei der ersten Wahrnehmung mit Mühe ihren Unmuth zurück, um erst in der Einsamkeit ihr Herz zu entlasten. Sie war nicht nur persönlich gekränkt, sondern auch ästhetisch verletzt. Denn eben jene erste Figur drückte sich in der Arbeit zu hoch und zu kostbar aus, so daß es den Effekt des Ganzen nothwendig beeinträchtigen mußte. Rosa, nachdem sie mit sich zu Rathe gegangen, trat den Uebertreibungen in diesem Bilde so geschickt als möglich entgegen, mußte aber doch länger kämpfen, indem der Poet endlich nur nachgab, als sie ihm bewies, daß eine natürlichere und ruhigere Sprache die Liebhaberin auch herzgewinnender erscheinen ließe. Bei der andern Gestalt hatte sie dagegen Vorschläge zu machen zu besserer Ausstattung an Gemüth und an Witz. Sie zeigte indeß klar, daß auch dieß im Interesse der Dichtung sey, und der Poet, hier innerlich erheitert, gehorchte.

Wenn die muthige Führerin nun Leid und Mühe genug hatte, so war ihr doch auch ein Ersatz geboten. Ihre Mühe trug Früchte. Unter ihrer Beihülfe gedieh das Werk und klärte und bildete sich der Autor selber. Drang er durch zum vollen Gebrauch seines Talents, erreichte er schon etwas mit dem ersten Werk, so konnte sie sich sagen, daß sie Miturheberin, ja eigentliche Stifterin seines Glückes war. Er selbst war gewissermaßen ihr Werk, der von ihr Gelenkte, Beschenkte, und sie hatte ihm gegenüber das Gefühl des Künstlers vor einer gedeihenden Schöpfung. Freilich, ihre Natur war nicht zu bloßer Geduldübung geschaffen, und ihr weibliches Herz forderte seine Rechte. Eben nach längerer Zurückhaltung, in der Müdigkeit, welche stete Selbstüberwindung zu hinterlassen pflegt, brachen ihre Gefühle nur um so gewaltsamer hervor, um sie schmerzlich zu erschüttern.

Einmal, nach einem eben so arglosen wie groben Rückfall Heinrichs in die Ausschließlichkeit der Leidenschaft, stellte sich ihr in der Einsamkeit sein Benehmen vor die Seele und ein wahrer Unwille erstand in ihr. Sie sah ihn in den Widersprüchen seiner Natur, in seinen anziehenden und abstoßenden Eigenschaften, und diese letzteren erschienen ihr in grellem Licht. Da sie sich nun doch zu ihm hingezogen fühlte, so war sie entrüstet über sich selber, klagte sich an und empfand diese Bekanntschaft als ein unseliges Verhängniß. Eine Frage erhob sich in ihr, deren Erwägung ihr Qualen verursachte. War es die Verlobte werth, daß sie ihr weichen mußte? Die Stellen, die Heinrich aus ihren Briefen mitgetheilt, hatten ihr keinen so guten Begriff beigebracht, daß sie den Lobeserhebungen des Liebenden hätte Glauben schenken können. Der Gedanke stellte sich ihr dar, daß dieser auch hier sich täuschen und da, wo er einen Engel erwartete, nur ein gewöhnliches Weib finden könnte, die sich seinem poetischen Wollen und Streben vielmehr entgegen setzte. Sie fühlte, daß sie, die Künstlerin, ihn fördern, ergänzen, glücklich machen könnte. Sie dachte sich, wie schön und fröhlich sie mit einander zu leben, wie reizend sie ihre zusammenstimmenden Berufe zu treiben vermöchten, und ein Schmerz, eine förmliche Indignation durchdrang sie, daß die Welt und das Geschick es anders beschlossen, daß das eben so Schöne, wie Vernünftige nicht seyn sollte. Sonderbar! Die Möglichkeit trat vor ihre Seele, ihn trotz allem durch ein anderes Benehmen gegen ihn zu gewinnen, mit der Abwesenden zu kämpfen und — zu siegen. Aber sie verwarf den Gedanken, wie er gekommen war. „Nein,“ rief sie, nicht ohne das Pathos des Stolzes, „ich will keinen Mann erobern, der mich nicht liebend sucht! Eben weil ich eine Schauspielerin bin, darf ich nicht thun, was bei den ehrsamen Müttern und Töchtern der guten Gesellschaft Regel ist. Sie soll ihn haben — und ich, ich werde mich trösten!“

Nicht immer gelang es ihr, über ihr Leid auf diese Art sich endlich zu erheben. Zuweilen versank sie in stille, tiefe Trauer und erschien wie krank, wofür sie sich dann auch ausgab. Einmal ging ihr eine Aeußerung des Poeten über das Glück, dem er entgegen sah, so zu Herzen, daß sie in ihrem Stübchen vor Zorn weinte und unter reichlich fließenden Thränen ihr Geschick verklagte, das sie mit diesem Manne belastet und den Frieden ihres Herzens durch eine sinnlose Leidenschaft vergiftet habe.

Der Mutter konnte solche schmerzvolle Aufregung nicht immer verborgen bleiben. Sie schüttelte den Kopf und warf auf die Tochter Blicke, die, ihr Innerstes durchdringend, sie erröthen machten. An einem Abend, wo sie ihr besonders niedergedrückt erschien, fragte sie, was ihr sey, und das Mädchen sprach ihren Verdruß darüber aus, eine Rolle nicht erhalten zu haben, die ihr zukäme und auf die sie sich schon lange gefreut habe. Die Züge der Mutter wurden ernst, vorwurfsvoll, und sie rief: „Geh, und mach mir nichts weis! Du hängst an diesem Menschen und verstrickst dich immer tiefer in deine unselige Leidenschaft! Das Stück, das ihr mit einander ausarbeitet, ist dein Unglück, und ich erkläre mir nun die fatale Empfindung, die ich hatte, als du es an ihn abtratest. Je mehr er dich kränkt, desto mehr liebst du ihn. Deine Gedanken kommen nicht von ihm los, du sorgst und arbeitest für ihn, und dein Lohn ist Herzeleid!“

Rosa hatte sich während dieser Rede gefaßt. „Du übertreibst, liebe Mutter,“ entgegnete sie mit der Ueberlegenheit einer Seele, die an ihrem Loos trotz allem festhält. „Wenn du aber auch Recht hättest, was thät’ es? Ein bischen unglückliche Liebe schadet nicht, am wenigsten einer Schauspielerin. Man macht damit neue Erfahrungen, neue Sphären menschlicher Gefühle schließen sich auf, und man spielt besser. Ja, ja,“ fuhr sie mit einem Blick auf die achselzuckende Mutter fort, „für mich insbesondere ist dieses Unglück ein wahres Glück. Ich habe mich bis jetzt offenbar zu einseitig auf die muntere Seite gelegt, und das geht wohl eine Zeit lang, wird aber nach und nach langweilig und schädlich. Das Herzeleid führt in die Tiefe, macht uns ganz — allerdings, liebe Mutter! — und wir gelangen zur wahren künstlerischen Ausbildung.“

Die Frau, mit einem Zug des Tadels um den Mund, hatte den Kopf geschüttelt. „Du rufst den Humor zu Hülfe!“ entgegnete sie. „Wird er immer vorhalten?“ — „Es ist mein Ernst,“ versetzte Rosa mit Ergebung. „Dieser Poet ist in unser Haus gekommen und wir haben uns für ihn interessirt. Das Theater, von dem er alles erwartete, hat ihn abgewiesen und recht eigentlich in Verzweiflung gestürzt; ich konnte ihm die rettende Hand bieten, und ich bot sie ihm. Bei alledem hab’ ich mir nichts vorzuwerfen. Kommt mehr Unglück dabei für mich heraus, als mir lieb ist, so muß ich’s tragen. Aber sey nur ruhig, ich bin nicht so schwach, und werde schon damit fertig werden.“

Die Augen der Frau waren naß geworden. „Du bist ein gutes Kind,“ rief sie, „ein edles Herz. Du hättest ein besseres Loos verdient!“ — „Ach, Mutter,“ versetzte das Mädchen, „man kann in dieser Welt nicht alles haben und muß sich genügen lassen! Mir ist dieses Unglück im Grunde doch lieber, als das ehemalige Glück, und ich würde es nicht dafür hergeben, wenn sich’s mir in der letzten Zeit auch ein wenig stark aufgelegt hat. Ich hab’ nun einmal meine Freude dran! Laß mir’s, bis mich’s von selber verläßt!“

Die Mutter, gerührt, umfaßte die Tochter, schloß sie an ihre Brust und drückte einen zärtlichen Kuß auf ihre Stirn. „Wann wird das aber geschehen?“ entgegnete sie. „Die Arbeit, die euch immer wieder zusammenführt, wird noch eine gute Zeit dauern. Kann sie die Krankheit nicht so verschlimmern, daß sie unheilbar wird?“ — „Im Gegentheil,“ versetzte das Mädchen; „eben diese Arbeit, wenn sie gelingt, wird mich heilen; und wenn ich mich so eifrig darum annehme, sorg’ ich eigentlich nur für mich selbst.“

Die Mutter schaute sie zweifelnd an. — „Ganz einfach,“ erwiederte die Tochter. „Wenn das Stück geräth und gut aufgenommen wird, ist der Poet ein gemachter Mann. Denn Talent hat er, das haben wir nun gesehen, und wenn er einmal erfährt, wie er’s am besten verwenden kann, wird er den Weg, auf den wir ihn gebracht haben, nicht mehr verlassen. Er kann um seine Auguste anhalten und wird sie heirathen — und ich werde mich beruhigen; denn so kindisch bin ich nicht, daß ich einen weiblichen Werther spielen werde. Ist der Poet ein Ehemann und sehen wir uns wenig oder gar nicht mehr, dann wird es in meinem Herzen wieder still werden und nur der Nutzen der Erfahrung wird übrig bleiben.“ — Die Frau sah ihr in’s Auge und lächelte mitleidig. „Sehr gut berechnet,“ entgegnete sie. „Also für jetzt glaubst du dich deinem sogenannten Glück noch ruhig überlassen zu können?“ — Das Mädchen sah für sich hin und über ihr wehmüthiges Gesicht ging ein Schein von Lächeln, das nicht ohne Schelmerei war. „Nun,“ fuhr die Mutter fort, „ich kann’s nicht ändern. Du willst es haben — sieh nun auch, wie du die Folgen trägst!“

Tage, Wochen gingen hin, die Arbeit näherte sich ihrem Ende. Sey es die Einrichtung der Natur, zufolge welcher nach einer Zeit stürmischer Erregung immer wieder eine Zeit der Ruhe kommt — sey es der Einfluß, den der gute Fortgang des Stücks auf ihr Gemüth übte, genug, Rosa wurde schon in dieser Zeit heiterer gestimmt und erfreute die Mutter durch einen Ausdruck ernster Zufriedenheit. Der Poet hatte aber auch den Takt oder das Glück, ihr fast nie mehr durch Naivetäten wehe zu thun. In der Freude seines Herzens über das Gelingen der Arbeit wurde er dankbarer gegen die Spenderin, unwillkürlich zarter, und ließ keinen guten Anlaß vorübergehen, ihr Lob zu sagen. Der letzte Akt brachte so das Ende gut Alles gut nicht nur für die Personen des Stücks, sondern auch für die Erfinderin, die eine große Genugthuung empfand, wobei das Bewußtseyn gelungener Hülfe die Melancholie der Entsagung weit überwog.

Heinrich fühlte sich im Innersten glücklich. Viel Mühe hatte er sich gegeben; aber nun durchdrang ihn eine Sicherheit, wie er sie in solcher Klarheit nie empfunden hatte. Sein eigenes Urtheil stimmte mit dem der Freundinnen — eine Täuschung war unmöglich.

Als er an einem sonnigen Wintermorgen die letzten Auftritte skizzirt hatte und die Schönheit des Wetters ihn auf die Straße lockte, begegnete ihm Willmann. Sie begrüßten sich und der Novellist sagte: „Nun, ich gratulire. Ihr Schauspiel soll gut — sehr gut werden.“ — „Woher wissen Sie das?“ fragte Heinrich. — „Ich weiß es,“ entgegnete der Andere behaglich.

Der Poet nickte begreifend und sagte dann: „Ich meine freilich selber, daß es mir geräth; und ich hoffe nun, den beiden Herrn, die mich wegen meiner Tragödie so schmählich heruntergemacht haben, beweisen zu können, daß ich auch etwas zu liefern vermag, wofür sie mir Dank wissen müssen.“ — „Dem,“ versetzte Willmann, „sehen sie mit Freuden entgegen; denn Jeder freut sich, wenn er ein Projekt gelingen sieht.“

„Wie muß ich das verstehen?“ rief Heinrich. — „Nun,“ erwiederte der Doktor, „am Ende muß es ja doch heraus, ich will’s Ihnen also gestehen, daß wir Ihnen einen Streich gespielt haben, einen Streich zu Ihrem Besten. In Ihrer Tragödie waren Sie auf einer Straße des Verderbens, zeigten aber trotz Allem eine nicht gewöhnliche Befähigung zum Dramatiker — darüber waren die Regisseure einig. Wie diese Befähigung nun von jenem Pfad abziehen? Wir kamen zusammen, beriethen uns, und es wurde beschlossen, eine energische Kur anzuwenden. Ihr Verlangen, die Urtheile kennen zu lernen, setzte man voraus und redigirte sie für den Autor besonders. Der Trank wurde verschluckt und wirkte gründlich.“

„Ah,“ rief Heinrich mit einem Ausdruck von Empfindlichkeit. „So habt ihr also mit mir gespielt?“ „Aus Antheil an Ihnen,“ fuhr Willmann begütigend fort, „aus Achtung vor Ihrem Talent! Es galt, Sie von Ihrer tragischen Ueberschwänglichkeit par force wegzubringen, und in diesem Sinn hat Freund Berger allerdings vortrefflich gearbeitet. Genug, es ist geglückt, Sie haben sich nicht nur auf die rechte Wahlstatt begeben, sondern nach allem, was ich höre, darauf auch schon einen Sieg erkämpft.“

Unser Poet entrang sich doch nur mit Mühe der demüthigenden Empfindung, geführt, wenn auch zu seinem Besten geführt zu seyn. „Es ist geglückt,“ begann er nach einer Pause; „aber nicht durch euch, ihr Herrn, sondern durch ein liebenswürdiges Geschöpf, das mich freundlich aufgeklärt und mir das Bessere an die Hand gegeben hat.“

„Wohl,“ versetzte der Andere; „aber dieser Freundlichkeit mußte vorgearbeitet seyn, wenn sie bei einem so verstockten Idealisten durchdringen sollte. Die Heilung ist methodisch vor sich gegangen. Nach der Erschütterung durch Donner und einschlagenden Blitz kam der Sonnenschein und that das Uebrige.“ — „Die Hauptsache!“ warf Heinrich ein. — „Die Hauptsache,“ wiederholte der Schriftsteller, „zugegeben!“ Er schwieg einen Moment und fuhr dann lächelnd fort: „Für Sie kann man wirklich gute Hoffnungen hegen. Ein junger Mann, der notorisch verlobt ist, gewinnt noch andere Frauenherzen, so sehr, daß sie sogar Opfer bringen für ihn. Mein lieber College, Sie kommen durch die Welt, darauf können Sie sich verlassen. Und eins ins andere gerechnet, sind Sie nun doch eigentlich mit einem sehr gnädigen Lehrgeld davon gekommen.“

Während dieses Gesprächs waren sie unvermerkt in die Nähe des Theaters gelangt. Willmann richtete seinen Blick auf das stattliche Gebäude und sein Gesicht erheiterte sich. Zwei Männer waren aus einem Seitenthor getreten und kamen gegen sie her; es waren die Regisseure. Heinrich konnte nicht umhin, mit Willmann vorwärts zu gehen, obwohl er vor der Begegnung eine erklärliche Scheu empfand. Er hatte die Herrn nach der Lektüre ihrer Urtheile nicht nur nicht wieder besucht, sondern auch auf der Straße glücklich vermieden, so daß für ihn jetzt eine Art Eis zu brechen war. Indessen zeigte sich, daß er die Zeit her doch viel Welt in sich aufgenommen hatte; denn er bezwang sich und es gelang ihm, die Begrüßung möglichst unbefangen abzumachen.

Hallfeld (so hieß der ältere der beiden Schauspieler) dankte freundlich und sagte: „Wir haben uns lange nicht gesehen. Wie ich aber höre, sind Sie die Zeit her fleißig gewesen und werden bald etwas Schönes fertig haben!“ — „Fertig,“ entgegnete Heinrich, „wird es bald seyn. Ob es etwas Schönes ist, werden Sie zu entscheiden haben.“

Der Komiker und Intrigant hatte unterdeß einen Blick auf ihn geworfen, in welchem Spott und Wohlwollen sehr ergötzlich gemischt waren. „Sie haben sich,“ bemerkte er mit höflichem Kopfneigen, „herabgelassen, einen Stoff aus dem gewöhnlichen bürgerlichen Leben zu behandeln und ein Schauspiel zu schreiben?“ — Heinrich sah ihn an und zuckte unwillkürlich die Achsel. — „Sie soll gelungen seyn,“ fuhr jener fort, „die Frucht Ihrer Condescendenz.“ — „Die Freundin,“ warf Hallfeld ein, „hat mit uns darüber gesprochen. Demnach wäre am Erfolg nicht zu zweifeln, und ich hoffe, daß wir es bald zu lesen bekommen werden.“

„Ich freue mich sehr auf den Intrigant,“ versetzte Berger, „der recht eine Rolle für mich seyn soll. Mir sagen nämlich ganz besonders gemischte Charaktere zu — Menschen, die mit respektabler Schlechtigkeit eine Art von Gutmüthigkeit, ja Biederkeit verbinden. So Einer, wie ich aus den gegebenen Andeutungen schließen möchte, kommt in Ihrem Stück vor.“ — „Und soll,“ entgegnete Heinrich mit eingehender Laune, „wenn das Stück angenommen wird, auch dem Künstler zufallen, den die Natur geschaffen zu haben scheint, Charaktere dieser Art congenial zu versinnlichen.“ — „Charmant!“ rief der Komiker, während die Andern lächelten.

„Ich gestehe,“ begann Willmann, „ich freue mich sehr auf die Vorstellung, an der ich nicht mehr zweifle. Sie haben,“ fuhr er auf Heinrich blickend fort, „durch Ihre erste Arbeit ernstlichen Antheil erregt.“ — „Allerdings,“ bemerkte der Heldenvater mit Würde. — „Unbedingt!“ setzte der Komiker hinzu. — „Und da Sie sich in der Zeit der Calamität so ritterlich gehalten haben, so gönnen wir Ihnen von ganzem Herzen einen öffentlichen Erfolg.“ — „Und den wohlverdienten Lorbeer,“ ergänzte Berger — „den Lohn der Demuth, die sich selbst bezwungen!“ — Nach weiterem Austausch von Höflichkeiten dieser Art schied man erheitert und mit den besten Wünschen. Heinrich ging nach der Wiederanknüpfung mit den Kunstverwandten eines hin und wieder doch lästig empfundenen Druckes entledigt nach Hause. Behaglich fühlte er, wie sich der Weg für ihn mehr und mehr ebnete und ein günstiges Zeichen nach dem andern hervortrat.

An demselben Tag schrieb er einen längeren Brief an Auguste. Die Geliebte hatte ihm auf die Meldung, daß er auch das zweite Trauerspiel einstweilen liegen gelassen und nun an einem Schauspiel arbeite, nach längerem Schweigen eine Antwort gesandt, welche die zärtlichste Besorgniß für ihn an den Tag legte, indem nach den bisherigen Erfahrungen leider nicht mit Gewißheit angenommen werden könne, daß er bei dieser neuen Arbeit ausharren werde. Darauf hatte der Verlobte sie durch Versicherungen beruhigt, die, wenn sie nicht Ueberzeugung bewirkten, doch Glauben fanden. Jetzt konnte er nicht nur die Vollendung, sondern gleich auch die Gelungenheit des Stücks anzeigen — und mit welch gerechtem Selbstgefühl that er es!

„Ja, meine Theure,“ schloß der Bericht, „meine Prüfungszeit ist vorüber und der Lohn der Ausdauer so gewiß, daß ich ihn schon in der Hand zu haben glaube. Endlich, endlich ist mir’s gelungen! Nicht nur die Annahme des Stücks, auch die Wirkung auf der Bühne und das Verbleiben auf dem Repertoire ist mir verbürgt — durch das Urtheil von Kennern. In vierzehn Tagen ist die Arbeit fertig, revidirt, bühnengemäß hergestellt; der raschen Annahme wird die rasche Darstellung folgen, und dann heißt’s: Auf Wiedersehen! auf glückseliges Wiedersehen!“

Dem Brief war eine Nachschrift beigefügt, die also lautete: „Die frühere Aeußerung über Doctor Willmann muß ich zurücknehmen. Hinter einer allerdings etwas gewöhnlichen Außenseite verbirgt dieser Schriftsteller ein tieferes Herz, und an mir und meinem Schicksal nimmt er wahren Antheil. Theilt er nicht alle meine Ideen, so ist er doch ein Mitstrebender und Literat im besten Sinne des Worts, eine redliche, neidlose Seele, ein Freund, auf den ich rechnen kann.“

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