III.

Die Verzweiflung ist für ein kräftiges, emporstrebendes Gemüth eine unsäglich bittere, aber eine heilsame Arznei. Sie führt es in dürre, todte Wüsten, aber eben hier wird der Resignation des Rechtschaffenen das Manna des Geistes zu Theil. Sie wirft es in die tiefsten, dunkelsten Abgründe, aber gerade in ihnen erscheinen dem emporblickenden Auge die Sterne des Himmels. Gleich einem Erdbeben öffnet die Erschütterung des Herzens neue Quellen und macht Kräfte frei, deren Umfang bis dahin nicht geahnt werden konnte. Eben so wie großes, unerwartetes Glück, führt plötzlich hereinbrechendes, niederschmetterndes Unglück die im Innersten zerbrochene Seele zu Gott und gibt der passiven Religiosität eines edeln, aber ungeprüften Herzens die Weihe zur Thatkraft, zur Bewährung.

Arthur fühlte die ganze Pein der Hoffnungslosigkeit, und wir dürfen es wohl sagen, daß die grausame Enttäuschung ihm bittere Thränen auspreßte. Nach und nach aber legte sich der Sturm in seinem Herzen und es wurde stiller darin. Er empfand leise das Vorgefühl der Genesung. Mit beruhigterem Geist erkannte er das Große der Prüfung, die ihm auferlegt war; er fühlte den Muth in sich, sie zu bestehen. Indem er an die Kämpfe dachte, die seiner warteten, erhob sich seine Seele und die Hoffnung auf den Sieg stärkte sein Herz. In dieser Stimmung vermochte er Gott zu danken für die ihm zugemutheten Arbeiten; er fühlte sich durch sie geehrt und gelobte sich, mit den ihm verliehenen Kräften Alles zu thun, um das Glück, das ihm nicht geschenkt werden sollte, durch sich selbst zu erringen.

Da er sich überzeugt hatte, daß sein Erbe den Gläubigern zur Beute fallen würde und müßte, so dachte er nach, welche Mittel ihm wohl noch blieben, seinem Geschick eine Wendung zum Bessern zu geben. Da fiel ihm der Graf ein, der sich gegen seinen Vater so warm über ihn ausgesprochen hatte. Er setzte sich nieder, erstattete dem hochgestellten Mann einen treuen Bericht von seiner Lage und bat ihn um gütige Aufklärung darüber, welche Laufbahn ihn am schnellsten in den Stand setzen könnte, seiner Verlobten und sich eine ehrenvolle Existenz zu schaffen. Mitten in der Abfassung dieses Schreibens tauchte eine eigenthümliche Vorstellung in ihm auf, bei der er nicht umhin konnte, über sich selber zu lächeln. Als er es beendet und abgeschickt hatte, trat dieser Gedanke wieder vor seine Seele, und er hing ihm nach, wie man Träumen nachhängt, ohne mehr daraus zu machen als sie sind. Seine Einbildungskraft mußte sich sehr gefällig erzeigen, denn sein Gesicht glättete sich und gewann beinahe einen heitern Ausdruck.

Zunächst hatte er aber eine ernste Pflicht zu erfüllen: er mußte Frau von Holdingen und Anna von dem Stand der Dinge unterrichten. Als er nach dem Landhause fuhr, wohin er so gern die besten Nachrichten gebracht hätte, fühlte er doch wieder eine Bewegung, die er nur mit Mühe bemeistern konnte. Er fand die nöthige Ruhe erst in der Begrüßung der Frauen, schilderte ihnen aber nun das thatsächliche Verhältniß, wie es sich ihm endlich dargestellt hatte, mit würdiger Resignation. Als er geendet, trat eine tiefe Stille ein. Er betrachtete Mutter und Tochter und bemerkte zu seinem Troste, daß der Eindruck seiner Erzählung nicht so niederschlagend war, als er gefürchtet hatte. Bei Anna war dieß in ihrem Herzen, ihrem Charakter und ihrer Jugend begründet; Frau von Holdingen aber war auf eine solche Eröffnung schon einigermaßen vorbereitet, da ihr Gerüchte zu Ohren gekommen waren, die ungefähr auf dasselbe hinaus liefen. Dessen ungeachtet konnte sie sich nicht enthalten, das Schweigen zuerst durch einen Ausruf schmerzlichen Staunens zu unterbrechen und einen mütterlich tiefbesorgten Blick auf die Tochter zu werfen.

Mancher erwartet nun vielleicht, daß der junge Waldfels mit der Erklärung hervorgetreten sey, er gebe unter solchen Umständen Fräulein von Holdingen das von ihr empfangene Wort zurück; er liebe sie zu sehr, um sie an sein unsicheres Loos zu fesseln und dem Glücke, das sie zu erwarten das Recht habe, sich in den Weg zu stellen. Ein solcher Gedanke hatte sich Arthur in der ersten Niedergedrücktheit allerdings auch dargeboten, war aber sogleich von ihm verworfen worden. Er kannte Anna und wußte, daß er sie durch eine solche Erklärung nur kränken würde. Er gehörte ihr, wie sie ihm; sie hatte Ansprüche auf eine Liebe, die sich nicht in muthloser Entsagung, sondern in vertrauensvollem Behaupten des gewonnenen Besitzes offenbaren muß. Wie sehr er Recht hatte, zeigte sich jetzt. Nach dem Ausruf der Mutter wandte sich Anna liebevoll zu ihm, ergriff seine Hand und sagte mit innigem Ernst: „Es ist ein Unglück, Arthur, das ich um deinet- und um unsertwillen schmerzlich bedaure. Aber wir wollen auch das mit einander tragen. Jetzt ist es gut für uns, daß wir so jung sind, wir können warten. Ich traue dir alles zu und meine, es müßte dir alles gelingen. Wenn andere, die mit Nichts anfangen mußten, in der Welt etwas erreicht haben, warum solltest du’s nicht? Und wenn ich nie deine Frau werden könnte,“ setzte sie mit dem schönen Aufschwung jugendlicher Gemüther hinzu, „so würde ich doch stets die Deine seyn. Ich habe dir mein Wort gegeben, und ich wiederhole es jetzt: entweder du oder keiner soll meine Hand erhalten!“ — Arthur hörte mit freudiger Bewegung diese schmeichelhaften Worte und umarmte und küßte die Geliebte, indem Thränen in seinen Augen glänzten. „Im Unglück muß man seyn,“ rief er aus, „wenn man edle Seelen kennen lernen will! Wenn man auch weiß, wie gut sie sind, so thut es doch innig wohl, zu hören und zu sehen, was man weiß. Vertraue mir nur, Anna, dein Glaube soll dich nicht täuschen! Was ich auch unternehme, es muß gesegnet werden um deinetwillen. Wir werden glücklich seyn, verlasse dich darauf — ja, glücklicher als wenn der Reichthum des Großvaters ganz auf mich gekommen wäre!“

Die Baronin hatte während dieser Reden mit einem Ausdruck auf die jungen Leute gesehen, wie er der Welterfahrung eigen ist, wenn sie von liebenswürdigen Seelen Hoffnungen aussprechen hört, gegen deren Erfüllung, wie sie leider weiß, so viele Hemmnisse aufstehen können. „Ihr armen Kinder,“ schien sie sagen zu wollen, „wie leicht versprecht ihr das Höchste, und und wie schwer wird es euch werden, nur etwas von dem zu halten, was ihr jetzt schon gethan zu haben glaubt!“ Aber ein Hauch von der Begeisterung der Liebenden war in ihre Seele gedrungen. Sie bekämpfte eine Regung weltlichen Sinnes, trat zu dem Paar und sagte mit dem Ausdruck edler Selbstüberwindung: „In Gottes Namen denn! Ich kann zwar euer jugendliches Vertrauen nicht ganz theilen und warne euch, in dieser Welt das Gute so leicht und so rasch zu erwarten. Aber eurer Treue soll von mir kein Hinderniß kommen. Ich habe meine Einwilligung zu eurer Verbindung gegeben und ich werde sie nicht zurücknehmen. Möge es euch,“ setzte sie mit besorgter Liebe hinzu, „so wohl gehen als ihr’s verdient!“

Auf dem Heimweg nahte Arthur jene Vorstellung wieder, die ihn schon einmal freundlich angemuthet hatte. In der Bewegtheit seines Geistes formte er unwillkürlich einen Plan daraus, und ein Wunsch regte sich in seinem Herzen, das Phantasiegebild verwirklicht zu sehen. „Sollte das,“ sagte er zu sich selbst, „meine Bestimmung seyn? Sollte ich auf diesem Weg finden, was ich suche?“ Er schüttelte den Kopf. Er dachte an den Brief, den er an den Grafen abgesandt hatte, an die möglichen Aussichten, die sich ihm von dieser Seite her eröffnen könnten. „Er wird mir irgend einen annehmbaren Vorschlag machen und ich werde ihnen bald eine gute Nachricht bringen können,“ sagte er zu sich selbst. Diese Vorstellung erheiterte ihn sichtlich und er kam völlig beruhigt nach Hause.

Solche Gegengewichte ruhen in jugendlichen und schöpferischen Seelen gegen den Druck äußerer Verhältnisse! So leicht stellt sich der innerlich begabte Mensch wieder her, wo andere vernichtet und trostlos am Boden hinschleichen! — Aber ein anderes freilich ist es, über den Gedanken einer mühevollen Zukunft sich zu erheben, und ein anderes, die wirklichen Schwierigkeiten, wenn sie nun anrücken, zu bestehen und zu überwinden. Da wandelt sich der Muth gar oft wieder in Niedergeschlagenheit, die Hoffnungslust in Unmuth und Pein.

Am folgenden Tag kam der Oberst von seinem Wohnort zurück, um sich für die Dauer der Vormundschaft im Schlosse einzurichten. Arthur beeilte sich, ihm seine traurige Entdeckung mitzutheilen. Der Kriegsmann schien davon nicht sonderlich bewegt zu seyn. Er nickte nur ernsthaft mit dem Kopf und sagte: „Das hab’ ich mir gedacht!“

Hugo von Waldfels hatte eine gewisse Aehnlichkeit mit seinem Bruder, unterschied sich aber von diesem durch Energie und eine Anlage zur Heftigkeit, die während seiner militärischen Laufbahn eine Art methodischer Ausbildung erlangt hatte. Sein Aeußeres hatte nicht die behagliche Rundung Günthers, erschien aber dafür um so strammer und schlagfertiger. Auch er hatte sein Erbe großentheils durchgebracht. In der ersten Zeit war ihm das Spiel verderblich geworden; später hatte ein Liebesverhältniß mit der schönen Tochter armer Leute seine Kasse erschöpft. Der Sohn derselben machte Ansprüche auf seine Unterstützung, und der unverheirathete Cavalier, der ihn liebte, hatte schon über den Rest seines Vermögens zu seinen Gunsten verfügt. Wenige Jahre vor dem Tode seines Bruders machte ein Sturz vom Pferde den damaligen Oberstlieutenant dienstunfähig, und es erfolgte die Pensionirung. Seine Mittel wurden dadurch für seine Bedürfnisse ziemlich schmal, und er mußte nun auch allerlei Manöver anwenden, um sich nichts abgehen zu lassen. In die Forderungen der Welt schickte er sich ziemlich gut. Obschon er von seiner Abkunft und seinem Stande nicht gering dachte, so wußte er doch dem großen Geldbesitz die zeitgemäßen Concessionen zu machen, und wenn er in seiner Heftigkeit den Stab über jemand brach, so ließ er sich doch auch wieder begütigen. Es war ein Mann, wie es viele gibt, einer von denen, die bei Erfüllung ihrer Pflichten auch verschiedene schwache Seiten blicken lassen, und zum Theil solche, die sie an andern sehr ernstlich tadeln können.

Bei der Mittheilung Arthurs war dieser Mann nicht nur darum so ruhig, weil er sich das Verhältniß ähnlich vorgestellt, sondern weil er auch schon ein Mittel zur Abhülfe gefunden hatte, das er für durchaus praktikabel hielt. Der Neffe, der davon nichts wissen konnte, rief mit Verwunderung über die scheinbare Theilnahmlosigkeit: „Mein Unglück scheint Sie nicht sehr zu betrüben! Wissen Sie mir Rath? Können Sie mir aus dieser Noth heraushelfen?“ — Der Oberst erwiederte: „Nach meiner Ansicht ist die Sache leicht. Wenn die Gesammtsumme, die dein Vater schuldig wurde, so groß ist, wie du sagst, so ist zu fürchten, daß bei gerichtlichem Verkauf der Hinterlassenschaft der Erlös sie nicht einmal decken wird. Dieß müssen wir den Gläubigern begreiflich machen und es dahin zu bringen suchen, einen Vergleich mit ihnen abzuschließen. Die Bursche sollen sich mit fünfzig oder sechzig Procent begnügen. Dann übernimmst du das Gut und stellst deine Angelegenheiten wieder her.“

An diese Möglichkeit hatte Arthur auch schon gedacht, aber durch nähere Prüfung der verschiedenen Forderungen war er davon ab- und zu dem Entschluß gekommen, eine solche Procedur nicht vornehmen zu lassen. Die einen der Gläubiger waren nämlich versichert, die andern hatten bloß Handschriften des Barons aufzuweisen. Jene waren reich, diese fast ohne Ausnahme nur mittelmäßig begütert. Nun war anzunehmen, daß eben die reichen sich an ihre Unterpfänder halten und allein die unversicherten „kleinen Leute“ zu einem Nachlaß zu bestimmen seyn würden. Dieß zu versuchen widerstrebte der Denkart des jungen Mannes, während er zugleich erkannte, daß die Auskunft im besten Fall doch nur eine kümmerliche seyn würde. Sein Geist hatte sich ohnehin nach einer andern Seite gewendet und sich mit dem Gedanken, das Stammgut aufgeben zu müssen, schon vertraut gemacht. Darum erwiederte er jetzt ruhig: „Das geht nicht, lieber Onkel!“

„Warum nicht,“ fragte der Oberst, der sich von der Sicherheit des Neffen unangenehm berührt fühlte. — Arthur bemerkte zunächst: „Weil dabei Leute ihr Geld verlieren würden, denen eine solche Einbuße sehr empfindlich fallen müßte“ — „Das sind Skrupel eines jungen Menschen,“ versetzte der Oberst ungeduldig. „Es handelt sich darum, ob eine alte Familie im Besitz ihres Erbgutes bleiben oder ob sie es Andern preisgeben soll, die es zertrümmern, vernichten werden; es handelt sich darum, ob diese Familie selbst mit Ehren fortbestehen oder untergehen soll. Dieß ist nicht möglich, ohne daß einige Philister verlieren, — darum sollen sie verlieren!“ — Arthur, durch diesen Ton seinerseits verletzt und gereizt, entgegnete: „Wenn eine Familie nur auf Kosten Anderer bestehen kann, so thut sie besser unterzugehen.“

Der Oberst sah ihn groß an. „Ist das Ernst?“ sagte er endlich. „Bis jetzt hielt ich dich für einen verständigen Menschen — hätt’ ich mich getäuscht? wärst du ein phantastischer Thor?“ — Arthur versetzte: „Den Verstand, den Sie mir zutrauen, hab’ ich vielleicht; aber er geht allerdings nur Hand in Hand mit der Ehrlichkeit. Ich will nicht verständig seyn, wenn ich unehrlich seyn müßte! Und in diesem Fall halt’ ich’s noch dazu für nicht verständig, unehrlich zu seyn.“

Das war dem Oberst zu viel. Eine dunkle Röthe überzog sein Gesicht und er schien eine heftige Entgegnung auf der Zunge zu haben. Allein er bezwang sich, um den jungen Menschen durch Gründe zu besiegen. Er sagte: „Unsere Voreltern, wie dir ohne Zweifel bekannt ist, waren reich und hochangesehen. Sie haben in dieser Gegend seit Jahrhunderten Gutes gethan, sie haben zu verschiedenen Zeiten wahre Opfer gebracht für das Volk. Nun wohl, diese Leute sollen auch einmal für uns ein Opfer bringen!“ — Arthur schüttelte den Kopf und entgegnete: „Wenn unsere Voreltern dem Volke Gutes gethan haben, so würden wir uns nur ausgeartet zeigen, wenn wir es beraubten.“ — „Das ist die Folgerung eines hochmüthigen Narren!“ platzte der Oberst heraus. — „Es ist die Logik eines rechtschaffenen Mannes,“ erwiederte Arthur mit Festigkeit. — Der Oberst stampfte mit dem Fuß und wendete sich in tiefem Unmuth von dem Jüngling ab. In einer Pause der Ueberlegung fühlte er jedoch die Nothwendigkeit, seine Leidenschaft zu unterdrücken, und begann mit erneuerter Geduld: „Wenn du eine solche Art von Ehrlichkeit hast — gut! folg’ ihr! Aber folg’ ihr zu einer Zeit, wo sie dich nicht zu Grunde richtet. Deine erste Pflicht ist, durch einen Vergleich mit den Gläubigern dich zu retten. Ist dieß geschehen, dann arbeite dich wieder empor, und wenn du wohlhabend bist, dann ersetze ihnen ihre Verluste.“ — Arthur wiederholte sein Kopfschütteln und bemerkte: „Ich wäre nicht im Stande, auf die bloße Möglichkeit hin, daß ich begangenes Unrecht wieder gut machen könnte, gegen meine Grundsätze zu handeln. Aber solchen Ersatz zu leisten, hab’ ich nicht einmal Aussicht.“

Er machte den Oheim nun auf den Umstand aufmerksam, daß die versicherten Gläubiger ihrer Lebensstellung und ihrem Charakter nach zu einer Einbuße sich nicht verstehen würden, daß aber die Forderungen der Handschriftenbesitzer wenig mehr als ein Drittel der Schuldenmasse betrügen, er mithin auch im Fall eines Accords nur eine geringe Erleichterung zu erwarten hätte. — Der Oberst war betroffen. Wie es Menschen von despotischem Hange begegnen kann, so hatte er, was er wünschte, sich auch als leicht ausführbar gedacht und angenommen, daß man die Gläubiger überhaupt zu einem Nachlaß würde bestimmen können. Nun schämte er sich, daß der junge Mensch die Verhältnisse richtiger angesehen haben sollte, und empfand nur um so mehr Unmuth gegen ihn. Er fühlte einen Drang, ihn seinerseits wieder zu treffen, und sagte endlich: „Vielleicht! — vielleicht ist es so! — Aber so geht’s, wenn man sich den Rettungsweg, der einem noch geboten war, selber verbaut! Der Bankier Pranger, dem du das meiste schuldig bist, hat eine Tochter, die jetzt achtzehn Jahre seyn muß. Es ist wahr, daß sein Vater noch Krämer dort im Städtchen war und sich glücklich pries, aus seinem Laden etwas in’s Schloß liefern zu dürfen. Aber der Sohn hat Glück gehabt, er ist ein reicher Mann und geadelt. Dergleichen Leute wünschen nichts mehr, als sich mit alten Familien zu verbinden, und es wäre nicht das erstemal, daß der Abkömmling eines guten Hauses durch eine solche Heirath seine zerrütteten Verhältnisse wieder herstellte.“

Arthur hatte dieser Rede mit Verwunderung gehorcht und erwiederte nun mit Ernst und Strenge: „Wozu sagen Sie mir das? Wollen Sie doch bedenken, daß dergleichen Reden jetzt gar keinen Zweck mehr haben.“ — „Nun,“ fuhr der Oberst heraus, „wenn ich dein Vater gewesen wäre, so hätte ich meine Einwilligung zu dem thörichten Verhältniß, das du angeknüpft hast, nicht gegeben und du wärest frei — —“ Weiter konnte er nicht reden. Arthur, mit gerötheten Wangen und funkelnden Augen, hatte sich vor ihn gestellt und rief: „Kein Wort mehr davon, Onkel! Ich bitte Sie!“ — Die Betonung dieses „bitte“ verrieth eine Leidenschaft, die den Oberst verstummen machte. Er wandte sich von ihm und ging düster im Zimmer auf und ab.

In der Stille, die nun eintrat, fand er Zeit zum Nachdenken. Er fühlte, daß er den Neffen doch ungebührlich verletzt habe, und ein gewisses Bedauern, das er darüber empfand, gab ihm die Kraft, nochmals den Ton der „Güte“ anzustimmen. Er sagte: „Wenn man sieht, daß ein junger Mensch im Begriff ist sich unglücklich zu machen, so dürfen seine Verwandten nicht ablassen, ihn darüber aufzuklären, und wenn sie dabei Dinge hören sollten, die sie zu hören nicht gewohnt sind. Ich folge dieser Pflicht und frage dich: Was willst du für die Zukunft beginnen? Hast du schon einen Entschluß gefaßt?“ — Arthur erwiederte der Wahrheit gemäß: „Noch nicht.“ — Dieser Ungewißheit gegenüber erschien dem Oberst sein Vorschlag wieder als der verhältnißmäßig beste, und mit erneuter Sicherheit begann er: „Du willst also dein Haus einreißen, bevor du wenigstens eine neue Hütte gebaut? Du verwirfst die Ansicht eines erfahrenen Mannes und weißt nicht nur keine bessere, sondern gar keine entgegenzusetzen? Du gehst also blind in dein Verderben?“ — Der junge Mann stand nachdenklich da und der Oberst, der ihn erschüttert zu haben glaubte, fuhr mit Gewicht fort: „Arthur, du kennst mich dafür, daß ich kein Schwätzer bin. Ich mache dir jetzt einen Vorschlag; wenn du ihn verwirfst, so werd’ ich ihn nicht wiederholen. Laß mich versuchen, dir Waldfels zu retten! Ich bin dein Vormund und kenne meine Rechte, aber was ich thue, will ich mit deiner Beistimmung thun. Entschließe dich und gib sie mir! Manches geht leichter, als man sich’s vorstellt. Vielleicht läßt sich der geadelte Kaufmann zu günstigen Bedingungen überreden: solche Menschen sind irgendwo zu packen. — Bedenke,“ setzte er mit Ernst hinzu, „daß du dir nicht allein gehörst, sondern einem Geschlecht, daß du Pflichten gegen einen Namen hast, der zu den besten im Lande gehört, und daß dieser Name mit dir untergehen wird.“ — Arthur erwiederte nach kurzem Bedenken: „Sie wollen mein Bestes auf Ihre Weise und ich danke Ihnen für den Eifer, den Sie dabei an den Tag legen. Allein den Weg, den Sie mir vorschlagen, kann ich nicht gehen. Ich erkenne meine Pflichten gegen meinen Namen an und werde sie erfüllen, — aber nur so, wie mein Charakter und meine Ueberzeugung es gestatten.“

Der Oberst stöhnte bei diesen Worten. Der Geduldfaden, den er so lang erhalten hatte, mußte endlich reißen. Er empfand all den Zorn, den man über die Hartnäckigkeit und die Blindheit eines Menschen empfindet, dem man vergebens den besten und zweckmäßigsten Rath ertheilt hat, und indem er sich mit grimmigem Gesicht vor Arthur hinstellte, rief er: „Gut, junger Herr! Jetzt hab’ ich nur noch Eine Pflicht zu erfüllen, nämlich dir zu erklären, was dein Betragen für Folgen nach sich ziehen wird. Mir, dem erfahrenen Mann, kann nichts abgeschmackter vorkommen als der Hochmuth, der meint, die Welt müsse sich nach ihm und seinen Bedürfnissen richten, nichts widerlicher als die Phantasterei, die den Unverstand für Tugend ausgibt. Ich halte deinen Leichtsinn für unverantwortlich und sage dir daher: wenn du dabei bleibst, so zieh’ ich meine Hand von dir ab, ich vergesse, daß du mein Neffe bist, und überlasse dich deinem Schicksal!“ — „Und ich,“ erwiederte Arthur, „erkläre, daß ich gleichwohl dabei beharren muß, daß ich mich aber immer als Ihren Neffen betrachten, für Ihren guten Willen dankbar seyn und diese Gesinnung im glücklichen Fall beweisen werde.“ — Der Oberst zuckte die Achseln, sah ihn mitleidig an und verließ das Zimmer.

In der ersten Aufregung, welche die Scene in ihm hervorgerufen, empfand Arthur die Befriedigung eines Menschen, der sich sagen kann, mit Festigkeit nach seiner Ueberzeugung gehandelt zu haben. Als er aber mit kühlerem Blut darüber nachdachte, erschien es ihm doch peinlich, mit seinem Oheim in ein gespanntes Verhältniß gerathen zu seyn, dessen Aufhören er nach seiner Meinung nicht erwarten konnte, ohne eine ihm unmögliche Nachgiebigkeit zu beweisen. Wie es bei leidenschaftlichen Erörterungen zu gehen pflegt, hatte er keine Gelegenheit gefunden, von den Aussichten zu reden, die ihm gar bald durch den Grafen eröffnet werden könnten. Da er aber diesen Herrn dringend gebeten hatte, in Rücksicht auf die geschilderte Lage seinen gütigen Rath ihm bald ertheilen zu wollen, so beschloß er jetzt, bis zum Einlauf des Schreibens zu warten und den Oheim durch eine gute Nachricht, auf die er hoffte, wo möglich wieder zu versöhnen.

Mehrere Tage gingen hin. Das Benehmen des Obersten entsprach seiner Erklärung. Er genügte seinen Pflichten als Vormund, ohne seines Projektes noch einmal Erwähnung zu thun, und beobachtete gegen seinen Neffen die Formen kalter Höflichkeit; aber er suchte die Momente des Zusammenseyns möglichst abzukürzen und zog sich theils auf sein Zimmer zurück, theils machte er Besuche in der Nachbarschaft. Arthur entschädigte sich im Hause der Verlobten. Er verschwieg hier die Scene mit dem Oheim, und da auch dieser für gut fand, nichts zu sagen, so blieb der junge Mann glücklicherweise mit einer neuen Erörterung verschont. Mutter und Tochter hatten mit ihm angenommen, daß er auf Waldfels verzichten und sein Glück anderweitig suchen müsse. Darum bildete nun das Schreiben, das Arthur an den Grafen abgesandt hatte, und die zu erwartende Proposition den Hauptgegenstand der Unterhaltung und mancher Vermuthung.

Die sehnlich erharrte Antwort erschien endlich. Der junge Waldfels betrachtete Adresse und Siegel mit begreiflichem Herzklopfen, eilte auf sein Zimmer und las in größter Spannung.

In verhältnißmäßig ausführlichem Schreiben drückte der hochgestellte Herr zunächst sein Leidwesen über den frühzeitigen Hintritt des Vaters aus, eines der vortrefflichsten Männer, die er gekannt, und dessen Andenken seinen Freunden stets theuer bleiben werde. Dann ging er auf Arthurs Verlobung über, an der er um so herzlicheren Antheil nehme, als er vielleicht zuerst an dem edeln jungen Paar die Anzeichen einer tieferen Neigung wahrgenommen und sich darüber gefreut habe. Er wünsche demselben alles Glück, das die Erde bieten könne, und bedaure auf’s innigste, daß die Hinterlassenschaft des Vaters nicht von der Art sey, um ihnen sogleich die hiezu nöthige Unterlage zu gewähren. Was die Anfrage des jungen Freundes betreffe, so wolle er hierauf eine gewissenhafte Antwort ertheilen. Er für seine Person würde es am liebsten gesehen haben, wenn er sich der diplomatischen Carrière hätte widmen können, denn dazu scheine er ihm ganz besonderes Talent zu besitzen. Allein zu dieser Laufbahn sey ein nicht unbedeutendes Vermögen die nothwendige Voraussetzung, und so könne in Ermanglung eines solchen leider auch dießmal wieder eine glänzende Begabung nicht die ihr zukommende Bethätigung finden. Aehnliches gelte von der militärischen Laufbahn. Könnte er dem Baron die baldige Erlangung einer Lieutenantsstelle allenfalls auch garantiren, so verböte sich für ihn die Wahl dieses Standes doch wegen der Bedingungen, an welche die Landesgesetze die Verheirathung eines Offiziers knüpften. Alles wohl erwogen, müsse er seinem trefflichen Verwandten rathen, auf der Universität die Jurisprudenz zu absolviren und sich dem Staatsdienst zu widmen. Zwar sey es seine Pflicht, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß der Concurrenten jetzt gar viele seyen und daß er eine Reihe von Jahren werde Geduld haben müssen, bis er eine seinen Wünschen entsprechende Stellung werde erlangen können. Allein als begabter junger Mann werde er sich auch hier mit der Zeit hervorthun und ihm Veranlassung geben, seine Schritte zu fördern. Er auf seinem Posten habe sich freilich die strengste Gerechtigkeit und Unparteilichkeit zum Gesetz gemacht; allein es freue ihn außerordentlich, wenn er einem edelgesinnten jungen Mann mit gutem Recht freundschaftlich unter die Arme greifen könne. Im Uebrigen rathe er, nur guten Muthes zu seyn. In der Welt sey manches möglich und es könne von irgend einer Seite her eine unerwartet günstige Wendung seines Geschicks eintreten. Sollte aber die Erfüllung seiner höchsten Lebenswünsche dennoch erst spät eintreten, so werde sie ihn nur um so inniger beglücken, und er werde das erhebende Gefühl eines mit Ausdauer errungenen und in jeder Hinsicht verdienten Looses haben. Indem er daher u. s. w. u. s. w.

Als Arthur diesen Brief gelesen hatte, senkte er das Haupt in tiefer Niedergeschlagenheit. Er hatte von dem Mann, der ihm so viel Theilnahme bewiesen und dessen Macht anerkannt war, irgend einen Vorschlag erwartet, der ihn auf ungewöhnlichem Weg rasch zum ersehnten Ziel führen könnte. Nun sah er sich den gewöhnlichsten Rath gegeben! Er sah sich mit Redensarten beschenkt, die ihm von purer Gleichgültigkeit dictirt und nur den Wunsch auszudrücken schienen: belästige mich nicht weiter!

Hätte er den Grafen näher gekannt, so würde er weniger gehofft haben, durch das Ergebniß seiner Anfrage aber auch weniger erschüttert worden seyn. Der vielvermögende Herr besaß eine ausgebreitete Verwandtschaft und hatte eben gegenwärtig mehrere Vettern zu versorgen, die ihn näher angingen als Arthur. Auch Andere hatten ihm Gefälligkeiten und Ehren erwiesen und konnten nun mit Ansprüchen hervortreten. Darunter waren Männer, die nützlich oder schädlich werden konnten, und diese mußte er vor allen berücksichtigen. Als kluger Mann hatte er von jeher die Nothwendigkeit begriffen, für brauchbare Persönlichkeiten über Belohnungs- und Anfeuerungsmittel verfügen zu können, und es sich daher zur Regel gemacht, sich niemals ohne Noth durch eine schriftliche Zusage zu binden. Da er sich nun auf seinem hohen Standpunkt ohnehin von Supplicirenden umdrängt sah, denen er allen helfen sollte — konnte er dem jungen Waldfels unter den gegenwärtigen Verhältnissen mehr zuwenden, als ein mäßiges Theilchen von Sympathie? Durch sein ausführliches theilnehmendes Schreiben glaubte er sogar ein Uebriges gethan und durch das ernstlich gemeinte Versprechen einer späteren gelegentlichen Unterstützung seine wohlwollende Gesinnung vollkommen bewiesen zu haben.

Arthur konnte sich in die Seele des Staatsmanns nicht hineindenken; er beschuldigte ihn daher unfreundlicher Kälte und sah in ihm nur einen herzlosen Weltmenschen, von welchem für ihn gar nichts mehr zu erwarten sey. Es ist so schwer, gerecht zu seyn, wenn man eine unerwünschte Antwort erhalten hat! Die vorgeschlagene Laufbahn, die für den Jüngling an sich nichts Reizendes hatte, erschien ihm jetzt geradezu widerwärtig; sein Herz wandte sich gänzlich davon ab. Allein welche andere bot sich ihm dafür? Was sollte er dem Oberst sagen, den er durch eine gute Nachricht zu gewinnen und zu beschämen gehofft? Die Reihe sich zu schämen war nun an ihm. Und was sollte er Frau von Holdingen sagen, die von dem einflußreichen Mann eben so wie er eine trostreiche Auskunft erwartet hatte? — Bei diesem Gedanken ergriff ihn eine marternde Empfindung, und schmerzlicher als je fühlte er die Stiche der Verzweiflung im Herzen.

In der Gedankenbewegung, der er sich willenlos hingab, erschien Arthur endlich jenes Traumbild, das in der letzten Zeit vor den Geschäften des Tags zurückgewichen war, auf’s neue. Sein nach Rettung verlangendes Herz fühlte sich zu ihm hingedrängt; das, was ihm zuerst nur spielender Gedanke gewesen, erschien ihm nun als eine Eingebung, und siegreich trat in ihm der Glaube hervor, daß er zu der Thätigkeit, wie sie ihm hiemit sich öffnen würde, berufen sey, daß er in ihr sein Glück finden und sein Geschick wieder herstellen werde. Die Stunde der Entscheidung war für ihn gekommen. Nachdem er die Vorstellung noch eine zeitlang betrachtet hatte, erhob er sich entschlossen und rief aus: „Ja, diesem Zuge will ich folgen! Verlassen von Andern will ich mir selbst vertrauen und kühn der Göttin mich weihen, die heutzutage allein noch Wunder zu thun vermag. Ich fühle mich dazu begabt, die Aussicht reizt und lockt mich, und dießmal, das weiß ich, wird mein Vertrauen mich nicht täuschen. — Aergert euch dann, ihr Herrn,“ setzte er mit stolzer Geringschätzung hinzu, „mit euch bin ich fertig!“ —

Der Entschluß, den Arthur in aufgeregtem Zustande gefaßt, hielt die Probe nüchterner Untersuchung aus. Den andern Tag, nachdem er alle Verhältnisse wohl erwogen hatte, erneuerte er ihn und gelobte sich, nicht wieder von ihm abzugehen. Sein Vorhaben war aber von der Art, daß es ihm geboten schien, niemand, auch nicht der Geliebten, ein Geständniß davon zu machen. Er nahm sich vor, es für Alle ein undurchdringliches Geheimniß seyn zu lassen und bei Anna und Frau von Holdingen an das Vertrauen zu appelliren, das redliche Herzen einem Ehrenmann schenken müssen. Eine tiefe Ruhe nahm in seiner Seele Platz. Es war die Ruhe des Bewußtseyns, einem höheren Rufe zu naturgemäßer Bestimmung zu folgen.

Die Frage war jetzt nur, wie er den Frauen die Antwort des Grafen mittheilen sollte, ohne ihre Herzen zu erschrecken und zu betrüben. Aus dieser Verlegenheit riß ihn ein Mann, der seinen Wünschen überhaupt wie ein Bote des Schicksals entgegenkam — ein Unterhändler seines Hauptgläubigers. Arthur erkannte aus den Reden desselben gar bald, daß es den reichen Landsmann über die Maßen gelüstete, Eigenthümer von Waldfels zu werden. Er fand nach dem, was er von ihm gehört, diese Neigung begreiflich und knüpfte an sie seine Hoffnungen an.

Daniel Pranger, oder wie er seit vier Jahren hieß, Daniel von Pranger war der Sohn eines kleinen Materialwaarenhändlers in dem zwei Stunden von Waldfels entfernten Städtchen. Schon der Vater, der seine Kunden mit Eifer bedient, hatte sich nach und nach ein nicht ganz unbedeutendes Vermögen gesammelt. Daniel, der die Kaufmannschaft in der altberühmten Handelsstadt erlernt, aus der die Baronin von Waldfels stammte, übertraf ihn als selbstständiger Mann an Glück und Unternehmungsgeist. Er wagte viel, und wo er wagte, gewann er. Endlich setzte er seinen Spekulationen die Krone auf, indem er die Wittwe eines Bankiers heirathete und damit eine gar viel bessere Partie machte, als der verstorbene Baron, der kurz zuvor Arthurs Mutter heimgeführt hatte. Wenn den Glücklichen sein gesicherter Reichthum mit Stolz erfüllte, so war es ihm doch das süßeste Gefühl, von dem Glanz desselben umstrahlt in der Vaterstadt aufzutreten und die Ausrufungen des Staunens und die respektvollen Schmeicheleien zu vernehmen, womit ihn seine Jugendfreunde beehrten. Er wiederholte diese Besuche mit Familie in gemessenen Zeiträumen und unterließ nicht, vor seinem Abgang Verwandten und Bekannten jedesmal ein Diner zu geben, das wochenlang den Hauptgegenstand der Unterhaltung im Städtchen bildete. Bei einem dieser Besuche mußte er hören, daß die Festlichkeiten, die in Waldfels veranstaltet wurden, in Aller Munde waren. Die Honoratioren rühmten die Pracht derselben und noch mehr die noble Feinheit, mit welcher der Baron seine Gäste zu unterhalten wisse; die Frauen ließen für den damals noch in den besten Jahren stehenden Herrn eine große Eingenommenheit blicken. Alles das erfüllte den reichen Mann mit einem Gefühl, das wir nicht mit Unrecht als Neid bezeichnen können. Der Baron ehrte ihn gelegentlich durch eine Einladung, was ihn freute; aber er behandelte ihn dabei mit einer Höflichkeit, die ihm nicht eifrig genug vorkam, und zeichnete ihn nicht vor andern aus, wie er es erwartet hatte; er fühlte sich gedrückt und kam unbefriedigt und verdrießlich nach Hause. — Ein glücklicher und stolzer Moment war es daher für ihn, als Herr von Waldfels ein Jahr später in seinem Hause erschien, um ein bedeutendes Anlehen bei ihm zu machen. Er bot ihm mehr, als der Baron verlangt hatte, bedang sich hinreichende Sicherheit und fühlte sich groß in dem Bewußtseyn, der finanzielle Protector eines Mannes zu seyn, den er in seiner Jugend so hoch über sich erblickt hatte und dem er auch in der Fülle seines Reichthums den Rang nicht abzulaufen vermochte. Schon zu dieser Zeit dachte er daran, daß ihm bei der Lebensweise des Barons wohl einmal seine Besitzung in die Hände fallen könnte. Er hatte seitdem ein lauerndes Auge auf den Gang seiner Angelegenheiten und es war ihm angenehm, sich wegen nicht bezahlter Zinsen in einer Weise mit ihm zu vergleichen, daß die bisherige Schuld um ein Ziemliches größer wurde. Als er das Ableben des Barons erfuhr, trat der Wunsch, das Edelmannsgut zu besitzen, auf’s lebhafteste in ihm hervor. Er faßte den Entschluß, alle Segel aufzuspannen, um sich einen so glänzenden Ruhesitz zu verschaffen und zu dem Ruhm eines reichen Mannes noch den eines Herrn von Waldfels zu fügen. Den Erben durch Kündigung des Capitals in die Enge zu treiben, schien ihm aus Gründen der Ehre und Klugheit nicht räthlich; er drängte ihn daher in keiner Weise und wartete mit Ruhe seine Zeit ab. Als die Epoche der Mündigkeit Arthurs herannahte, hielt er es für das Zweckmäßigste, bei dem unerfahrenen, in Verlegenheit befindlichen Jüngling durch einen geschickten Unterhändler das Geschäft beginnen zu lassen.

Dieser, ein jüdischer Handelsmann aus der Nachbarschaft, erwähnte natürlich nichts davon, daß er von dem Bankier zu seiner Anfrage beauftragt sey. Er habe sich gedacht, daß es dem Herrn Baron unter den gegenwärtigen Umständen erwünscht seyn könnte, die schöne Besitzung gut zu verkaufen, und die Verehrung, die er gehegt für den seligen Herrn Vater, mit dem er so manches Geschäft gemacht, und das Interesse für das Wohlergehen des jungen Herrn Baron habe ihn bewogen, sich nach einem Mann umzusehen, wie man ihn brauche. Er habe einen solchen gefunden, einen Mann, reich und reell, der im Stande sey, die Besitzung gut zu bezahlen, und den man dazu bringen könnte, sie zu kaufen — den Herrn von Pranger. Wenn der Herr Baron geneigt seyen, sie zu veräußern, so biete er ihm seine Dienste an, und so wahr er das Leben habe, der Herr Baron solle ein Geschäft machen, das er nicht bereuen werde.

Arthur konnte sich nicht erwehren, mit Heiterkeit auf den Mann zu sehen, der dieß Alles mit einer Lebhaftigkeit und Wärme vortrug, als ob jede Sylbe aus seinem Herzen käme. Er richtete mehrere Fragen an ihn, die sich auf Herrn von Pranger bezogen, und so vorsichtig der Jude antwortete, so gewann Arthur doch die klarste Anschauung von dem wirklichen Stand der Dinge. Sehr angenehm berührt davon, gab er die Erklärung: er sey nicht abgeneigt, das Gut zu verkaufen, sofern es nämlich preiswürdig bezahlt würde; vorher müsse er sich aber mit den Seinen berathen. — „Natürlich,“ erwiederte der Jude, „bei einer Sache von solcher Wichtigkeit! — Aber,“ setzte er fein hinzu, „der Herr Oberst haben vielleicht eine zu militärische Ansicht von der Sache und muthen Ihnen zu, eine Last zu tragen, die zu schwer für Sie werden könnte. Ein junger Herr, wie Sie, kann Anspruch machen auf alle Ehren in der Welt. Warum sollten Sie sich mit einer Besitzung plagen, die sich unter den jetzigen Verhältnissen — verzeihen Sie, daß ich das sage! — für einen Herrn von Stande doch schwerlich mehr rentiren kann. Indessen der Herr Baron sind klug, das ist allgemein bekannt, und wissen selbst, was für Sie am vortheilhaftesten ist.“ — Arthur ließ das gut seyn. Man bestimmte die Zeit der nächsten Zusammenkunft und trennte sich.

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