KAPITEL XI. Recht und Gericht

Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen, vermag die Geschichte nicht allein; es muss ihr genuegen, die Entwicklung der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken und Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der Versuch, diese Zustaende, wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen, anzudeuten, eben fuer diese aelteste, geschichtlich so gut wie verschollene Zeit deswegen notwendig, weil die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten Kulturvoelker trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermassen zum Bewusstsein bringen laesst. Unsere Ueberlieferung mit ihren verwirrten Voelkernamen und getruebten Sagen ist wie die duerren Blaetter, von denen wir muehsam begreifen, dass sie einst gruen gewesen sind; statt die unerquickliche Rede durch diese saeuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich besser schicken zu fragen, wie denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechtsverkehr, das ideale in der Religion sich ausgepraegt, wie man gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Voelkern kam und die weiteren Elemente der Bildung. So duerftig auch hier unser Wissen ist, schon fuer das roemische Volk, mehr noch fuer das der Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und lueckenvolle Kunde dem Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch eine Ahnung gewaehren. Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung, um dies gleich hier vorwegzunehmen, laesst in dem Satze sich zusammenfassen, dass bei den Italikern und insbesondere bei den Roemern von den urzeitlichen Zustaenden verhaeltnismaessig weniger bewahrt worden ist als bei irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und Bogen, Streitwagen, Eigentumunfaehigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau, primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus - alle diese und unzaehlige verwandte Erscheinungen muessen wohl auch als Grundlage der italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns zuerst anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden, und nur die Vergleichung der verwandten Staemme belehrt uns ueber ihr einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte bei einem weit spaeteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die griechische und deutsche und traegt von Haus aus einen relativ modernen Charakter.

Die Rechtssatzungen der meisten italischen Staemme sind verschollen: nur von dem latinischen Landrecht ist in der roemischen Ueberlieferung einige Kunde auf uns gekommen.

Alle Gerichtsbarkeit ist zusammengefasst in der Gemeinde, das heisst in dem Koenig, welcher Gericht oder “Gebot” (ius) haelt an den Spruchtagen (dies fasti) auf der Richterbuehne (tribunal) der Dingstaette, sitzend auf dem Wagenstuhl (sella curulis) ^1; ihm zur Seite stehen seine Boten (lictores), vor ihm der Angeklagte oder die Parteien (rei). Zwar entscheidet zunaechst ueber die Knechte der Herr, ueber die Frauen der Vater, Ehemann oder naechste maennliche Verwandte; aber Knechte und Frauen galten auch zunaechst nicht als Glieder der Gemeinde. Auch ueber hausuntertaenige Soehne und Enkel konkurrierte die hausvaeterliche Gewalt mit der koeniglichen Gerichtsbarkeit; aber eine eigentliche Gerichtsbarkeit war jene nicht, sondern lediglich ein Ausfluss des dem Vater an den Kindern zustehenden Eigentumsrechts. Von einer eigenen Gerichtsbarkeit der Geschlechter oder ueberhaupt von irgendeiner nicht aus der koeniglichen abgeleiteten Gerichtsherrlichkeit treffen wir nirgends eine Spur. Was die Selbsthilfe und namentlich die Blutrache anlangt, so findet sich vielleicht noch ein sagenhafter Nachklang der urspruenglichen Satzung, dass die Toetung des Moerders oder dessen, der ihn widerrechtlich beschuetzt, durch die Naechsten des Ermordeten gerechtfertigt sei; aber eben dieselben Sagen schon bezeichnen diese Satzung als verwerflich ^2 und es scheint demnach die Blutrache in Rom sehr frueh durch das energische Auftreten der Gemeindegewalt unterdrueckt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem Einfluss, der den Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfaellung nach aeltestem deutschen Recht zukommt, in dem aeltesten roemischen etwas wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in jenem so haeufig ist, dass der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den Waffen in der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulaessig behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozess, je nachdem der Koenig von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Moerder (parricida), der Knabenschaender, der Verletzer der jungfraeulichen oder Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte durch boesen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der Goetter und des Volkes ueberlassenen Acker unbefugt das Korn schneidet, auch sie brechen den gemeinen Frieden und werden deshalb dem Hochverraeter gleich geachtet. Den Prozess eroeffnet und leitet der Koenig und faellt das Urteil, nachdem er mit den zugezogenen Ratsmaennern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem er den Prozess eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die Urteilsfaellung an Stellvertreter zu uebertragen, die regelmaessig aus dem Rat genommen werden; die spaeteren ausserordentlichen Stellvertreter, die Zweimaenner fuer Aburteilung der Empoerung (duoviri perduellionis) und die spaeteren staendigen Stellvertreter, die “Mordspuerer” (quaestores parricidii), denen zunaechst die Aufspuerung und Verhaftung der Moerder, also eine gewisse polizeiliche Taetigkeit oblag, gehoeren der Koenigszeit nicht an, moegen aber wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknuepfen. Untersuchungshaft ist Regel, doch kann auch der Angeklagte gegen Buergschaft entlassen werden. Folterung zur Erzwingung des Gestaendnisses kommt nur vor fuer Sklaven. Wer ueberwiesen ist, den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, buesst immer mit dem Leben; die Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom Burgfelsen gestuerzt, der Erntedieb aufgeknuepft, der Brandstifter verbrannt. Begnadigen kann der Koenig nicht, sondern nur die Gemeinde; der Koenig aber kann dem Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio) gestatten oder verweigern. Ausserdem kennt das Recht auch eine Begnadigung des verurteilten Verbrechers durch die Goetter; wer vor dem Priester des Jupiter einen Kniefall tut, darf an demselben Tag nicht mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus betritt, muss der Bande entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher geschenkt, welcher auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der Vesta zufaellig begegnet.

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^1 Dieser “Wagenstuhl” - eine andere Erklaerung ist sprachlich nicht wohl moeglich (vgl. auch Serv. Aen. 1, 16) - wird wohl am einfachsten in der Weise erklaert, dass der Koenig in der Stadt allein zu fahren befugt war, woher das Recht spaeter dem hoechsten Beamten fuer feierliche Gelegenheiten blieb, und dass er urspruenglich, solange es noch kein erhoehtes Tribunal gab, auf dem Comitium oder wo er sonst wollte, vom Wagenstuhl herab Recht sprach.

^2 Die Erzaehlung von dem Tode des Koenigs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, 24) sie gibt: dass Verwandte des Tatius laurentinische Gesandte ermordet haetten; dass Tatius den klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht geweigert habe; dass dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; dass Romulus die Moerder des Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesuehnt sei; dass aber infolge goettlicher ueber beide Staedte zugleich ergangener Strafgerichte sowohl die ersten als die zweiten Moerder in Rom und in Laurentum nachtraeglich zur gerechten Strafe gezogen seien - diese Erzaehlung sieht ganz aus wie eine Historisierung der Abschaffung der Blutrache, aehnlich wie die Einfuehrung der Provokation dem Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden Fassungen dieser Erzaehlung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber auch verwirrt oder zurechtgemacht.

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Bussen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhaengt der Koenig nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name multa) von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner Hand.

In allen uebrigen Faellen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine Friede verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des Verletzten, welcher den Gegner veranlasst, noetigenfalls mit handhafter Gewalt zwingt, sich mit ihm persoenlich dem Koenig zu stellen. Sind beide Parteien erschienen und hat der Klaeger die Forderung muendlich vorgetragen, der Beklagte deren Erfuellung in gleicher Weise verweigert, so kann der Koenig entweder die Sache untersuchen oder sie in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die regelmaessige Form der Suehnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergaenzend ein, wenn der Schaediger den Geschaedigten nicht durch eine ausreichende Suehne (poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder seine gerechte Forderung nicht erfuellt ward.

Was in dieser Epoche der Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war und wann der Diebstahl als ueberhaupt der Suehne faehig galt, laesst sich nicht bestimmen. Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat ergriffenen Diebe Schwereres als von dem spaeter entdeckten, da die Erbitterung, welche eben zu suehnen ist, gegen jenen staerker ist als gegen diesen. Erschien der Diebstahl der Suehne unfaehig oder war der Dieb nicht imstande, die von dem Beschaedigten geforderte und von dem Richter gebilligte Schaetzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zugesprochen.

Bei Schaedigung (iniuria) des Koerpers wie der Sachen musste in den leichteren Faellen der Verletzte wohl unbedingt Suehne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein Glied verloren, so konnte der Verstuemmelte Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn.

Das Eigentum hat, da das Ackerland bei den Roemern lange in Feldgemeinschaft benutzt und erst in verhaeltnismaessig spaeter Zeit aufgeteilt worden ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern zunaechst an dem “Sklaven- und Viehstand” (familia pecuniaque) entwickelt. Als Rechtsgrund desselben gilt nicht etwa das Recht des Staerkeren, sondern man betrachtet vielmehr alles Eigentum als dem einzelnen Buerger von der Gemeinde zu ausschliesslichem Haben und Nutzen zugeteilt, weshalb auch nur der Buerger und wen die Gemeinde in dieser Beziehung dem Buerger gleich achtet, faehig ist, Eigentum zu haben. Alles Eigentum geht frei von Hand zu Hand; das roemische Recht macht keinen wesentlichen Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit ueberhaupt der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten auf das vaeterliche oder Familienvermoegen. Indes ist der Vater nicht imstande, die Kinder ihres Erbrechts willkuerlich zu berauben, da er weder die vaeterliche Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung der ganzen Gemeinde, die auch versagt werden konnte und in solchem Falle gewiss oft versagt ward, ein Testament errichten kann. Bei seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den Kindern nachteilige Verfuegungen treffen; denn mit persoenlichen Beschraenkungen des Eigentuemers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen jedem erwachsenen Mann die freie Verfuegung ueber sein Gut. Doch mag die Einrichtung, wonach derjenige, welcher sein Erbgut veraeusserte und seine Kinder desselben beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen unter Vormundschaft gesetzt ward, wohl schon bis in die Zeit zurueckreichen, wo das Ackerland zuerst aufgeteilt ward und damit das Privatvermoegen ueberhaupt eine groessere Bedeutung fuer das Gemeinwesen erhielt. Auf diesem Wege wurden die beiden Gegensaetze, unbeschraenktes Verfuegungsrecht des Eigentuemers und Zusammenhaltung des Familiengutes, soweit moeglich, im roemischen Recht miteinander vereinigt. Dingliche Beschraenkungen des Eigentums wurden, mit Ausnahme der namentlich fuer die Landwirtschaft unentbehrlichen Gerechtigkeiten, durchaus nicht zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente sind rechtlich unmoeglich; anstatt der Verpfaendung, die das Recht ebensowenig kennt, dient die sofortige Uebertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den Glaeubiger gleichsam als den Kaeufer desselben, wobei dieser sein Treuwort (fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht zu veraeussern und sie nach Rueckzahlung der vorgestreckten Summe dem Schuldner zurueckzustellen.

Vertraege, die der Staat mit einem Buerger abschliesst, namentlich die Verpflichtung der fuer eine Leistung an den Staat eintretenden Garanten (praevides, praedes), sind ohne weitere Foermlichkeit gueltig. Dagegen die Vertraege der Privaten untereinander geben in der Regel keinen Anspruch auf Rechtshilfe von Seiten des Staats; den Glaeubiger schuetzt nur das nach kaufmaennischer Art hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem haeufig hinzutretenden Eide die Scheu vor den den Meineid raechenden Goettern. Rechtlich klagbar sind nur das Verloebnis, infolgedessen der Vater, wenn er die versprochene Braut nicht gibt, dafuer Suehne und Ersatz zu leisten hat, ferner der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt als rechtlich abgeschlossen dann, wenn der Verkaeufer dem Kaeufer die gekaufte Sache in die Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Kaeufer dem Verkaeufer den bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; was, seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der regelmaessige Wertmesser geworden war, geschah durch Zuwaegen der bedungenen Quantitaet Kupfer auf der von einem Unparteiischen richtig gehaltenen Waage ^3. Unter diesen Voraussetzungen muss der Verkaeufer dafuer einstehen, dass er Eigentuemer sei, und ueberdies der Verkaeufer wie der Kaeufer jede besonders eingegangene Beredung erfuellen; widrigenfalls buesst er dem andern Teil aehnlich, wie wenn er die Sache ihm entwendet haette. Immer aber bewirkt der Kauf eine Klage nur dann, wenn er Zug um Zug beiderseits erfuellt war; Kauf auf Kredit gibt und nimmt kein Eigentum und begruendet keine Klage. In aehnlicher Art wird das Darlehen eingegangen, indem der Glaeubiger dem Schuldner vor Zeugen die bedungene Quantitaet Kupfer unter Verpflichtung (nexum) zur Rueckgabe zuwaegt. Der Schuldner hat ausser dem Kapital noch den Zins zu entrichten, welcher unter gewoehnlichen Verhaeltnissen wohl fuer das Jahr zehn Prozent betrug ^4. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit auch die Rueckzahlung des Darlehens. Erfuellte ein Schuldner dem Staat gegenueber seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres mit allem, was er hatte, verkauft; dass der Staat forderte, genuegte zur Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die Vergewaltigung seines Eigentums dem Koenig angezeigt (vindiciae), oder erfolgte die Rueckzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es darauf an, ob das Sachverhaeltnis der Feststellung bedurfte, was bei Eigentumsklagen regelmaessig der Fall war, oder schon klar vorlag, was bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des Sachverhaeltnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede Partei fuer den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fuenf Rindern, bei geringeren einen von fuenf Schafen. Der Richter entschied sodann, wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei den Priestern zum Behuf der oeffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreissig Tage hatte verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang an feststand, also regelmaessig der Darlehensschuldner, wofern er nicht Zeugen fuer die Rueckzahlung hatte, unterlag dem Exekutionsverfahren “durch Handanlegung” (manus iniectio), indem ihn der Klaeger packte, wo er ihn fand, und ihn vor Gericht stellte, lediglich um die anerkannte Schuld zu erfuellen. Verteidigen durfte der Ergriffene sich selber nicht; ein Dritter konnte zwar fuer ihn auftreten und diese Gewalttat als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Verfahren eingestellt ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter persoenlich verantwortlich, weshalb auch fuer den steuerzahlenden Buerger der Proletarier nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfuellung noch Vertretung ein, so sprach der Koenig den Ergriffenen dem Glaeubiger so zu, dass dieser ihn abfuehren und halten konnte gleich einem Sklaven. Waren alsdann sechzig Tage verstrichen, war waehrend derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt und dabei ausgerufen worden, ob jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg geblieben, so hatten die Glaeubiger das Recht, ihn zu toeten und sich in seine Leiche zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und seiner Habe als Sklaven in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sklaven Statt zu halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der roemischen Gemeinde blieb, nach roemischem Recht nicht vollstaendig Sklave werden. So ward Habe und Gut eines jeden von der roemischen Gemeinde gegen den Dieb und Schaediger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den zahlungsunfaehigen Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt.

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^3 Die Manzipation in ihrer entwickelten Gestalt ist notwendig juenger als die Servianische Reform, wie die auf die Feststellung des Bauerneigentums gerichtete Auswahl der manzipablen Objekte beweist, und wie selbst die Tradition angenommen haben muss, da sie Servius zum Erfinder der Waage macht. Ihrem Ursprung nach muss aber die Manzipation weit aelter sein, denn sie passt zunaechst nur auf Gegenstaende, die durch Ergreifen mit der Hand erworben werden und muss also in ihrer aeltesten Gestalt der Epoche angehoeren, wo das Vermoegen wesentlich in Sklaven und Vieh (familia pecuniaque) bestand. Die Aufzaehlung derjenigen Gegenstaende, die manzipiert werden mussten, wird demnach eine Servianische Neuerung sein; die Manzipation selbst und also auch der Gebrauch der Waage und des Kupfers sind aelter. Ohne Zweifel ist die Manzipation urspruenglich allgemeine Kaufform und noch nach der Servianischen Reform bei allen Sachen vorgekommen; erst spaeteres Missverstaendnis deutete die Vorschrift, dass gewisse Sachen manzipiert werden muessten, dahin um, dass nur diese Sachen und keine anderen manzipiert werden koennten.

^4 Naemlich fuer das zehnmonatliche Jahr den zwoelften Teil des Kapitals (uncia), also fuer das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, fuer das zwoelfmonatliche zehn vom Hundert.

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Ebenso schirmte man das Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur Schirmung des eigenen Vermoegens faehigen Personen, der Unmuendigen und der Wahnsinnigen und vor allem das der Weiber, indem man die naechsten Erben zu der Hut desselben berief.

Nach dem Tode faellt das Gut den naechsten Erben zu, wobei alle Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten und die Witwe mit den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen wird. Dispensieren von der gesetzlichen Erbfolge kann nur die Volksversammlung, wobei noch vorher wegen der an dem Erbgang haftenden Sakralpflichten das Gutachten der Priester einzuholen ist; indes scheinen solche Dispensationen frueh sehr haeufig geworden zu sein, und wo sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien Disposition, die einem jeden ueber sein Vermoegen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch einigermassen abgeholfen werden, dass man sein Gesamtvermoegen einem Freund uebertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des Verstorbenen gemaess verteilte.

Die Freilassung war dem aeltesten Recht unbekannt. Der Eigentuemer konnte freilich der Ausuebung seines Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen dem Herrn und dem Sklaven bestehende Unmoeglichkeit gegenseitiger Verbindlichmachung wurde hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren der Gemeinde gegenueber das Gast- oder gar das Buergerrecht erworben. Die Freilassung kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem Herrn nie die Moeglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder nach Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den Faellen, wo sich der Herr nicht bloss dem Sklaven, sondern der Gemeinde gegenueber anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit zu lassen. Eine eigene Rechtsform fuer eine solche Bindung des Herrn gab es jedoch nicht - der beste Beweis, dass es anfaenglich eine Freilassung nicht gegeben haben kann -, sondern es wurden dafuer diejenigen Wege benutzt, welche das Recht sonst darbot: das Testament, der Prozess, die Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung seines letzten Willens in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte oder wenn er dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenueber vor Gericht die Freiheit anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Buerger, aber wohl als frei selbst dem frueheren Herrn und dessen Erben gegenueber und demnach anfangs als Schutzverwandter, spaeterhin als Plebejer. Auf groessere Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stiess diejenige des Sohnes; denn wenn das Verhaeltnis des Herrn zum Knecht zufaellig und darum willkuerlich loesbar ist, so kann der Vater nie aufhoeren Vater zu sein. Darum musste spaeterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu loesen, erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser entlassen zu werden; in der gegenwaertigen Periode aber kann es eine Emanzipation ueberhaupt noch nicht gegeben haben.

Nach diesem Rechte lebten in Rom die Buerger und die Schutzverwandten, zwischen denen, soweit wir sehen, von Anfang an vollstaendige privatrechtliche Gleichheit bestand. Der Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem roemischen Schutzherrn ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie seine Habe. Was der roemische Buerger ihm abnimmt, das ist ebenso recht erworben wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, das Grundstueck, das ausserhalb der roemischen Grenze liegt, kann der roemische Buerger wohl faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigentuemer gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzuruecken, ist der einzelne Buerger nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt, der unter dem Heerbann ficht, bewegliches wie unbewegliches Gut, faellt nicht ihm zu, sondern dem Staat, und hier haengt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder zurueckzunehmen.

Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere Staatsvertraege, die den Mitgliedern fremder Gemeinden innerhalb der roemischen gewisse Rechte sichern. Vor allem erklaerte das ewige Buendnis zwischen Rom und Latium alle Vertraege zwischen Roemern und Latinern fuer rechtsgueltig und verordnete zugleich fuer diese einen beschleunigten Zivilprozess vor geschworenen “Wiederschaffern” (reciperatores), welche, da sie, gegen den sonstigen roemischen Gebrauch einem Einzelrichter die Entscheidung zu uebertragen, immer in der Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein aus Richtern beider Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und Messgericht zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages und muessen spaetestens in zehn Tagen den Prozess beendigt haben. Die Formen, in denen der Verkehr zwischen Roemern und Latinern sich bewegte, waren natuerlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer miteinander verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum sind urspruenglich gar keine Formalakte, sondern der praegnante Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte wenigstens so weit man lateinisch sprach.

In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem eigentlichen Ausland vermittelt. Schon in fruehester Zeit muessen mit den Caeriten und anderen befreundeten Voelkern Vertraege ueber Verkehr und Rechtsfolge abgeschlossen und die Grundlage des internationalen Privatrechts (ius gentium) geworden sein, das sich in Rom allmaehlich neben dem Landrecht entwickelt hat. Eine Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwuerdige mutuum, der “Wandel” (von mutare; wie dividuus); eine Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf einer ausdruecklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklaerung des Schuldners, sondern auf dem blossen Uebergang des Geldes aus einer Hand in die andere beruht und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschaeftsverkehr. Es ist darum charakteristisch, dass das Wort als μοίτον im sizilischen Griechisch wiederkehrt; womit zu verbinden ist das Wiedererscheinen des lateinischen carcer in dem sizilischen κάρκαρον. Da es sprachlich feststeht, dass beide Woerter urspruenglich latinisch sind, so wird ihr Vorkommen in dem sizilischen Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis fuer den haeufigen Verkehr der latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie veranlasste, dort Geld zu borgen und der Schuldhaft, die ja ueberall in den aelteren Rechten die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist, sich zu unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen Gefaengnisses, “Steinbrueche” oder λατομίαι, in alter Zeit auf das erweiterte roemische Staatsgefaengnis, die lautumiae uebertragen.

Werfen wir noch einen Blick zurueck auf die Gesamtheit dieser Institutionen, die im wesentlichen entnommen sind der aeltesten, etwa ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung des Koenigtums veranstalteten Aufzeichnung des roemischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Koenigszeit sich wohl fuer einzelne Punkte, aber nicht im ganzen bezweifeln laesst, so erkennen wir darin das Recht einer weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker- und Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits voellig verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass eine solche auch bei den Italikern einmal vorgekommen sein muss; merkwuerdige Belege dafuer sind zum Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach roemischer wie nach deutscher Sitte ohne Obergewand im blossen Hemd erscheinen musste, und vor allem die uralte latinische Formel der Kriegserklaerung, worin zwei, wenigstens auch bei den Kelten und den Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das “reine Kraut” (herba pura, fraenkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseroeffnung. Mit wenigen Ausnahmen aber, in denen religioese Ruecksichten die altertuemlichen Gebraeuche schuetzten - dahin gehoert ausser der Kriegserklaerung durch das Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation -, verwirft das roemische Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und fordert in allen Faellen nicht mehr und nicht weniger als den vollen und reinen Ausdruck des Willens. Die Uebergabe der Sache, die Aufforderung zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind vollzogen, so wie die Parteien die Absicht in verstaendlicher Weise erklaert haben; es ist zwar ueblich, dem neuen Eigentuemer die Sache in die Hand zu geben, den zum Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu verhuellen und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes einzufuehren; aber alle diese uralten Uebungen sind schon nach aeltestem roemischen Landrecht rechtlich wertlose Gebraeuche. Vollkommen analog wie aus der Religion alle Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward, wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik grundsaetzlich ausgetrieben. Ebenso ist hier jener aelteste Zustand, den die hellenischen wie die germanischen Institutionen uns darstellen, wo die Gemeindegewalt noch ringt mit der Autoritaet der kleineren, in die Gemeinde aufgegangenen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften, gaenzlich beseitigt; es gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates zur Ergaenzung der unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz, keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfuegung des einzelnen beschraenkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muss wohl einmal bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen des Sakralrechts, zum Beispiel in dem Suehnbock, den der unfreiwillige Totschlaeger den naechsten Verwandten des Getoeteten zu geben verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon fuer die aelteste Periode Roms, die wir in Gedanken erfassen koennen, ist dies ein laengst ueberwundener Standpunkt. Zwar vernichtet ist das Geschlecht, die Familie in der roemischen Gemeinde nicht; aber die ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet ist durch sie ebensowenig beschraenkt wie durch die Freiheit, die der Staat dem Buerger gewaehrt und gewaehrleistet. Der letzte Rechtsgrund ist ueberall der Staat: die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck fuer das Buergerrecht im weitesten Sinn; alles Eigentum beruht auf ausdruecklicher oder stillschweigender Uebertragung von der Gemeinde auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die Gemeinde in ihren Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern die Gemeinde es bestaetigt. Scharf und klar sind die Gebiete des oeffentlichen und des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen den Staat, welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbuerger oder den Gast, welche zunaechst auf dem Wege des Vergleichs durch Suehne oder Befriedigung des Verletzten erledigt und niemals mit dem Leben gebuesst werden, sondern hoechstens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand gehen die groesste Liberalitaet in Gestattung des Verkehrs und das strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfaehigkeit und der strenge Wechselprozess zusammen auftraten. Der Buerger und der Schutzgenosse stehen sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsvertraege gestatten umfassende Rechtsgleichheit auch dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfaehigkeit mit den Maennern voellig auf eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschraenkt sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht ueber sein Vermoegen, und wer ueberhaupt verfuegen kann, ist in seinem Kreise so souveraen, wie im oeffentlichen Gebiet der Staat. Hoechst charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit existiert nicht, sondern anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein, womit heutzutage das Hypothekarverfahren schliesst, der Uebergang des Eigentums vom Schuldner auf den Glaeubiger; dagegen ist der persoenliche Kredit in der umfassendsten, um nicht zu sagen ausschweifendsten Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den Glaeubiger befugt, den zahlungsunfaehigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und ihm dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einraeumt, ja den Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfaeltiger verklausuliert, als es der Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, dass es zugleich unabhaengige, nicht verschuldete Bauernwesen und kaufmaennischen Kredit herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu unterdruecken beabsichtige. Nimmt man dazu das frueh anerkannte Niederlassungsrecht saemtlicher Latiner und die gleichfalls frueh ausgesprochene Gueltigkeit der Zivilehe, so wird man erkennen, dass dieser Staat, der das Hoechste von seinen Buergern verlangte und den Begriff der Untertaenigkeit des einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm, dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie beschraenkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt auf: wie der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast dem Buerger gleich; der Vertrag gibt regelmaessig keine Klage, aber wo das Recht des Glaeubigers anerkannt wird, da ist es so allmaechtig, dass dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige Beruecksichtigung sich zeigt; es ist, als faende das Recht eine Freude daran, ueberall die schaerfsten Spitzen hervorzukehren, die aeussersten Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs gewaltsam dem bloedesten Verstande aufzudraengen. Die poetische Form, die gemuetliche Anschaulichkeit, die in den germanischen Rechtsordnungen anmutig walten, sind dem Roemer fremd, in seinem Recht ist alles klar und knapp, kein Symbol angewandt, keine Institution zuviel. Es ist nicht grausam; alles Noetige wird vollzogen ohne Umstaende, auch die Todesstrafe; dass der Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des roemischen Rechts, den zu gewinnen andere Voelker Jahrtausende haben ringen muessen. Aber es ist schrecklich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, die man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis, denn es ist ja Volksrecht - schrecklicher als die Bleidaecher und die Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begraebnisse, die der Arme in den Schuldtuermen der Vermoegenden klaffen sah. Aber darin eben ist die Groesse Roms beschlossen und begruendet, dass das Volk sich selber ein Recht gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsaetze der Freiheit und der Botmaessigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge unverfaelscht und ungemildert walteten und heute noch walten.

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