KAPITEL VII. König Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens

In der Zeit der unbestrittenen Weltherrschaft Roms pflegten die Griechen ihre roemischen Herren damit zu aergern, dass sie als die Ursache der roemischen Groesse das Fieber bezeichneten, an welchem Alexander von Makedonien den 11. Juni 431 (323) in Babylon verschied. Da es nicht allzu troestlich war, das Geschehene zu ueberdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem, was haette kommen moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht gewesen sein soll, als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit seiner Flotte den Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern die Erde streitig gemacht haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass Alexander mit solchen Gedanken sich trug; und man braucht auch nicht, um sie zu erklaeren, bloss darauf hinzuweisen, dass ein Autokrat, der kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen versehen ist, nur schwer die Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines griechischen Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die Tarentiner gegen Rom zu schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein Ende zu machen; die italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben zahllosen andern erschienen, der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten Gelegenheit genug, die Verhaeltnisse der Halbinsel kennenzulernen und Beziehungen dort anzuknuepfen. Karthago mit seinen vielfachen Verbindungen im Orient musste den Blick des gewaltigen Mannes notwendig auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag es in seinen Absichten, die nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die tyrische Kolonie in eine wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus Karthago gesandter Spion in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes mochten dies Traeume oder Plaene sein, der Koenig starb, ohne mit den Angelegenheiten des Westens sich beschaeftigt zu haben, und jene Gedanken gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige kurze Jahre hatte ein griechischer Mann die ganze intellektuelle Kraft des Hellenentums, die ganze materielle Fuelle des Ostens vereinigt in seiner Hand gehalten; mit seinem Tode ging zwar das Werk seines Lebens, die Gruendung des Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde, wohl aber spaltete sich sofort das kaum geeinigte Reich und unter dem steten Hader der verschiedenen, aus diesen Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer aller weltgeschichtliche Bestimmung, die Propaganda der griechischen Kultur im Osten zwar nicht aufgegeben, aber abgeschwaecht und verkuemmert. Bei solchen Verhaeltnissen konnten weder die griechischen noch die asiatisch-aegyptischen Staaten daran denken, im Okzident festen Fuss zu fassen und gegen die Roemer oder die Karthager sich zu wenden. Das oestliche und das westliche Staatensystem bestanden nebeneinander, ohne zunaechst politisch ineinanderzugreifen; und namentlich Rom blieb den Verwicklungen der Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen oekonomischer Art stellten sich fest; wie denn zum Beispiel der rhodische Freistaat, der vornehmste Vertreter einer neutralen Handelspolitik in Griechenland und daher der allgemeine Vermittler des Verkehrs in einer Zeit ewiger Kriege, um das Jahr 448 (306) einen Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich einen Handelstraktat, wie er begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und den Herren der caeritischen und kampanischen Kueste. Auch bei der Soeldnerlieferung, die von dem allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von Hellas aus nach Italien und namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen Beziehungen, die zum Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt Sparta bestanden, nur in sehr untergeordneter Weise mit; im ganzen waren die Werbungen nichts als kaufmaennische Geschaefte, und Sparta, obwohl es regelmaessig den Tarentinern zu den italischen Kriegen die Hauptleute lieferte, trat mit den Italikern darum so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen Freiheitskrieg die deutschen Staaten mit der Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.

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^1 Die Erzaehlung, dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach Babylon geschickt, geht auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin. nat. 3, 5, 57), aus dem die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen (Aristos und Asklepiades bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne Zweifel schoepften. Kleitarchos war allerdings Zeitgenosse dieser Ereignisse, aber sein Leben Alexanders nichtsdestoweniger entschieden mehr historischer Roman als Geschichte; und bei dem Schweigen der zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.; Liv. 9, 18) und dem voellig romanhaften Detail des Berichts, wonach zum Beispiel die Roemer dem Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und dieser die zukuenftige Groesse Roms vorhergesagt haben soll, wird man nicht umhin koennen, diese Erzaehlung zu den vielen anderen durch Kleitarchos in die Geschichte eingefuehrten Ausschmueckungen zu stellen.

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Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig Pyrrhos von Epeiros; er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass er seinen Stammbaum zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass er, waere er friedlicher gesinnt gewesen, als “Koenig” ueber ein kleines Bergvolk unter makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in isolierter Freiheit haette leben und sterben koennen. Man hat ihn wohl verglichen mit Alexander von Makedonien; und allerdings die Gruendung eines westhellenischen Reiches, dessen Kern Epeiros, Grossgriechenland, Sizilien gebildet haetten, das die beiden italischen Meere beherrscht und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen Grenzvoelker des hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder gedraengt haben wuerde - dieser Gedanke ist wohl gross und kuehn wie derjenige, der den makedonischen Koenig ueber den Hellespont fuehrte. Aber nicht bloss der verschiedene Ausgang unterscheidet den oestlichen und den westlichen Heerzug. Alexander konnte mit seiner makedonischen Armee, in der namentlich der Stab vorzueglich war, dem Grosskoenig vollkommen die Spitze bieten; aber der Koenig von Epeiros, das neben Makedonien stand etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt eine nennenswerte Armee nur durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf zufaelligen politischen Kombinationen beruhten. Alexander trat im Perserreich auf als Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Koalition von Sekundaerstaaten; Alexander hinterliess sein Erbland vollkommen gesichert durch die unbedingte Untertaenigkeit Griechenlands und das starke, unter Antipater zurueckbleibende Heer, Pyrrhos buergte fuer die Integritaet seines eigenen Gebietes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Fuer beide Eroberer hoerte, wenn ihre Plaene gelangen, die Heimat notwendig auf, der Schwerpunkt des neuen Reiches zu sein; allein eher noch war es ausfuehrbar, den Sitz der makedonischen Militaermonarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder Syrakus eine Soldatendynastie zu gruenden. Die Demokratie der griechischen Republiken, so sehr sie eine ewige Agonie war, liess sich in die straffen Formen des Militaerstaats nun einmal nicht zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum er die griechischen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende Staemme lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des Despoten war der Masse der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar erwuenscht. Im Okzident konnten die Roemer, die Samniten, die Karthager auch ueberwunden werden; aber kein Eroberer haette es vermocht, die Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln oder aus den roemischen Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen. Was man auch ins Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte der Gegner - ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausfuehrbare, der des Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung; jener als die Vollziehung einer grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwuerdiger Fehlgriff; jener als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und einer neuen Phase der Zivilisation, dieser als eine geschichtliche Episode. Alexanders Werk ueberlebte ihn, obwohl der Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das Scheitern aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kuehne und grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor allem der genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das Moegliche und Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muss Pyrrhos diesen zugezaehlt und darf seinem groesseren Verwandten sowenig zur Seite gestellt werden wie etwa der Connetable von Bourbon Ludwig dem Elften.

Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epiroten, eine eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil der ritterlichen und liebenswuerdigen Persoenlichkeit desselben, aber mehr doch noch dem Umstande gilt, dass er der erste Grieche ist, der den Roemern im Kampfe gegenuebertritt. Mit ihm beginnen jene unmittelbaren Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf denen die ganze spaetere Entfaltung der antiken Zivilisation und ein wesentlicher Teil der modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und Kohorten, zwischen der Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem Heerkoenigtum und dem Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und der nationalen Kraft - dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen Feldherren; und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher appelliert hat an neue Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder spaetere Schlachttag das Urteil lediglich bestaetigt. Wenn aber auf der Walstatt wie in der Kurie die Griechen unterliegen, so ist ihr Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen, nicht politischen Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen, dass der Sieg Roms ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der ueber Gallier und Phoeniker, und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken beginnt, wenn die Lanze zersplittert und Helm und Schild beiseite gelegt ist.

Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser (um Janina), welcher, von Alexander geschont als Verwandter und getreuer Lehnsmann, nach dessen Tode in den Strudel der makedonischen Familienpolitik hineingerissen ward und darin zuerst sein Reich und dann das Leben verlor (441 313). Sein damals sechsjaehriger Sohn ward von dem Herrn der illyrischen Taulantier, Glaukias, gerettet und im Laufe der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein Knabe, von Demetrios dem Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes Fuerstentum (447 307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der Gegenpartei wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger Fuerstensohn im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn zu beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter Antigonos machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall Alexanders hatte seine Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem Urteile des ergrauten Feldherrn nur die Jahre fehlten um schon jetzt der erste Kriegsmann der Zeit zu sein. Die unglueckliche Schlacht bei Ipsos brachte ihn als Geisel nach Alexandreia an den Hof des Gruenders der Lagidendynastie, wo er durch sein kuehnes und derbes Wesen, seinen alles nicht Militaerische gruendlich verachtenden Soldatensinn nicht minder des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos Aufmerksamkeit auf sich zog als durch seine maennliche Schoenheit, der das wilde Antlitz, der gewaltige Tritt keinen Eintrag tat, die der koeniglichen Damen. Eben damals gruendete der kuehne Demetrios sich wieder einmal, diesmal in Makedonien, ein neues Reich; natuerlich in der Absicht, von dort aus die Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn niederzuhalten, ihm daheim zu schaffen zu machen; und der Lagide, der solche Feuerseelen, wie der epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine feine Politik zu nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der Koenigin Berenike einen Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen Zwecke, indem er dem jungen Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone zur Gemahlin gab und dem geliebten “Sohn” zur Rueckkehr in die Heimat seinen Beistand und seinen maechtigen Einfluss lieh (458 296). Zurueckgekehrt in sein vaeterliches Reich fiel ihm bald alles zu; die tapferen Epeiroten, die Albanesen des Altertums, hingen mit angestammter Treue und frischer Begeisterung an dem mutigen Juengling, dem “Adler”, wie sie ihn hiessen. In den um die makedonische Thronfolge nach Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren erweiterte der Epeirote sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an dem ambrakischen Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra, ja selbst einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der Makedonier selbst. Ja, als Demetrios durch seine eigene Torheit in Makedonien vom Thron gestuerzt war, trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden, denselben freiwillig an (467 287). In der Tat, keiner war wuerdiger als Pyrrhos, das koenigliche Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer tief versunkenen Zeit, in der Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit gleichbedeutend zu werden begannen, leuchtete hell Pyrrhos’ persoenlich unbefleckter und sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des makedonischen Stammlandes, die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fernhielten von dem Verfall der Sitten und der Tapferkeit, den das Diadochenregiment in Griechenland und Asien herbeifuehrte, schien eben Pyrrhos recht eigentlich zum Koenig geschaffen; er, der gleich Alexander in seinem Haus, im Freundeskreise allen menschlichen Beziehungen sein Herz offen erhielt und das in Makedonien so verhasste orientalische Sultanwesen stets von sich abgewehrt hatte; er, der gleich Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber das seltsam ueberspannte makedonische Nationalgefuehl, das den elendesten makedonischen Herrn dem tuechtigsten Fremden vorzog, die unvernuenftige Widerspenstigkeit der makedonischen Truppen gegen jeden nicht makedonischen Fuehrer, welcher der groesste Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eumenes erlegen war, bereitete auch der Herrschaft des epeirotischen Fuersten ein schnelles Ende. Pyrrhos, der die Herrschaft ueber Makedonien mit dem Willen der Makedonier nicht fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht auch zu hochherzig war, um sich dem Volke gegen dessen Willen aufzudraengen, ueberliess schon nach siebenmonatlicher Herrschaft das Land seiner einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen treuen Epeiroten (467 287). Aber der Mann, der Alexanders Krone getragen hatte, der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn des Lagiden und des Agathokles von Syrakus, der hochgebildete Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche Abhandlungen ueber die Kriegskunst schrieb, konnte unmoeglich sein Leben darueber beschliessen, dass er zu gesetzter Zeit im Jahre die Rechnungen des koeniglichen Viehverwalters durchsah und von seinen braven Epeiroten die landueblichen Geschenke an Rindern und Schafen entgegennahm, um sich alsdann am Altar des Zeus von ihnen den Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid auf die Gesetze zu wiederholen und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit ihnen die Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem makedonischen Thron, so war ueberhaupt in der Heimat seines Bleibens nicht; er konnte der Erste sein und also nicht der Zweite. So wandten sich seine Blicke in die Weite. Die Koenige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl sonst in nichts einig, waren gern bereit, gemeinschaftlich zu helfen, dass der gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und dass die treuen Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie fuehrte, dessen war er gewiss. Eben damals stellten die italischen Verhaeltnisse sich so, dass jetzt wiederum als ausfuehrbar erscheinen konnte, was vierzig Jahre frueher Pyrrhos’ Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von Epeiros, und eben erst sein Schwiegervater Agathokles beabsichtigt hatten; und so entschloss sich Pyrrhos, auf seine makedonischen Plaene zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft fuer sich und fuer die hellenische Nation zu gruenden.

Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 (290) fuer Italien herbeigefuehrt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoss zur Bildung einer neuen Ligue gegen die roemische Uebermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser Voelkerschaft, die durch ihre Parteinahme fuer Rom die Tarentiner waehrend der Samnitischen Kriege gelaehmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen hatte, waren dafuer von den Roemern die Griechenstaedte in ihrem Gebiet preisgegeben worden; und demgemaess hatten sie nach abgeschlossenem Frieden in Gemeinschaft mit den Brettiern sich daran gemacht, eine nach der anderen zu bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner, Stenius Statilius, und aufs aeusserste bedraengt, wandten sich, ganz wie einst die Kampaner die Hilfe Roms gegen die Samniten in Anspruch genommen hatten und ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Freiheit und Selbstaendigkeit, mit der Bitte um Beistand gegen die Lucaner an den roemischen Senat. Da das Buendnis mit diesen durch die Anlage der Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden war, gewaehrten die Roemer das Begehren der Thuriner und geboten ihren Bundesfreunden von der Stadt, die sich den Roemern ergeben habe, abzulassen. Die Lucaner und Brettier, also von den maechtigeren Verbuendeten betrogen um den Anteil an der gemeinschaftlichen Beute, knuepften Verhandlungen an mit der samnitisch-tarentinischen Oppositionspartei, um eine neue Koalition der Italiker zustande zu bringen; und als die Roemer sie durch eine Gesandtschaft warnen liessen, setzten sie den Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen Rom mit einem neuen Angriff auf Thurii (um 469 285), indem sie zugleich nicht bloss die Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker, die Etrusker, Umbrer, Gallier aufriefen, mit ihnen zum Freiheitskampf sich zu vereinigen. In der Tat erhob sich der etruskische Bund und dang zahlreiche gallische Haufen; das roemische Heer, das der Praetor Lucius Caecilius den treu gebliebenen Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter den Mauern dieser Stadt von den senonischen Soeldnern der Etrusker vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit 13000 seiner Leute (470 284). Die Senonen zaehlten zu Roms Bundesgenossen: die Roemer schickten demnach Gesandte an sie, um ueber die Stellung von Reislaeufern gegen Rom Klage zu fuehren und die unentgeltliche Rueckgabe der Gefangenen zu begehren. Aber auf Befehl des Senonenhaeuptlings Britomaris, der den Tod seines Vaters an den Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen die roemischen Boten und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz Norditalien, Etrusker, Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in Waffen; es konnten grosse Erfolge gewonnen werden, wenn die suedlichen Landschaften diesen Augenblick ergriffen und auch diejenigen, die es nicht bereits getan, sich gegen Rom erklaerten. In der Tat scheinen die Samniten, immer fuer die Freiheit einzustehen willig, den Roemern den Krieg erklaert zu haben; aber geschwaecht und von allen Seiten eingeschlossen, wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig nuetzen, und Tarent zauderte nach seiner Gewohnheit. Waehrend unter den Gegnern Buendnisse verhandelt, Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner zusammengebracht wurden, handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die Senonen zu empfinden, wie gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen. Der Konsul Publius Cornelius Dolabella rueckte mit einem starken Heer in ihr Gebiet; was nicht ueber die Klinge sprang, ward aus dem Lande ausgetrieben und dieser Stamm ausgestrichen aus der Reihe der italischen Nationen (471 283). Bei einem vorzugsweise von seinen Herden lebenden Volke war eine derartige massenhafte Austreibung wohl ausfuehrbar; wahrscheinlich halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die gallischen Schwaerme bilden, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien, Griechenland, Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten Nachbarn und Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich mit den Etruskern, die noch den Krieg fortfuehrten und deren senonische Soeldner jetzt gegen die Roemer nicht mehr als Mietlinge fochten, sondern als verzweifelte Raecher der Heimat; ein gewaltiges etruskisch-gallisches Heer zog gegen Rom, um fuer die Vernichtung des Senonenstammes an der Hauptstadt der Feinde Rache zu nehmen und vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben Senonen es getan, Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber den Tiber in der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von den Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das Jahr darauf noch einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine Feldschlacht gewagt hatten, liessen die Boier ihre Bundesgenossen im Stich und schlossen fuer sich mit den Roemern Frieden (472 282). So war das gefaehrlichste Glied der Ligue, das Galliervolk, einzeln ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig zusammenfand, und dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den Jahren 469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii gegen die Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472 282) der Konsul Gaius Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der Stadt, befreite dieselbe, schlug die Lucaner in einem grossen Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius gefangen. Die kleineren nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre Retter erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii und namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager Absichten zu haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten Vorteil. Die Vernichtung der Senonen hatte den Roemern eine bedeutende Strecke des adriatischen Litorals in die Haende gegeben; ohne Zweifel im Hinblick auf die unter der Asche glimmende Fehde mit Tarent und die schon drohende Invasion der Epeiroten eilte man, sich dieser Kueste sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um 471 283) eine Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte eine roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen Gewaesser, offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort die roemischen Besitzungen zu decken.

Die Tarentiner hatten seit dem Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden gelebt. Sie hatten der langen Agonie der Samniten, der raschen Vernichtung der Senonen zugesehen, sich die Gruendung von Venusia, Hatria, Sena, die Besetzung von Thurii und Rhegion gefallen lassen, ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt die roemische Flotte auf ihrer Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer in die tarentinischen Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten Stadt vor Anker ging, schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber; die alten Vertraege, die den roemischen Kriegsschiffen untersagten, oestlich vom Lakinischen Vorgebirg zu fahren, wurden in der Buergerversammlung von den Volksmaennern zur Sprache gebracht; wuetend stuerzte der Haufen ueber die roemischen Kriegsschiffe her, die, unversehens nach Piratenart ueberfallen, nach heftigem Kampfe unterlagen; fuenf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der roemische Admiral selbst war in dem Kampf gefallen. Nur der souveraene Unverstand und die souveraene Gewissenlosigkeit der Poebelherrschaft erklaert diese schmachvollen Vorgaenge. Jene Vertraege gehoerten einer Zeit an, die laengst ueberschritten und verschollen war; es ist einleuchtend, dass sie wenigstens seit der Gruendung von Hatria und Sena schlechterdings keinen Sinn mehr hatten und dass die Roemer im guten Glauben an das bestehende Buendnis in den Golf einfuhren - lag es doch gar sehr in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den Tarentinern durchaus keinen Anlass zur Kriegserklaerung darzubieten. Wenn die Staatsmaenner Tarents den Krieg an Rom erklaeren wollten, so taten sie bloss, was laengst haette geschehen sollen; und wenn sie es vorzogen, die Kriegserklaerung statt auf den wirklichen Grund vielmehr auf formalen Vertragsbruch zu stuetzen, so liess sich dagegen weiter nichts erinnern, da ja die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer Wuerde erachtet hat, das Einfache einfach zu sagen. Allein dass man, statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern, die Flotte mit gewaffneter Hand ungewarnt ueberfiel, war eine Torheit nicht minder als eine Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Zivilisation, wo die Gesittung ploetzlich das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit vor uns hintritt, gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben, als vermoege die Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet auszuwurzeln.

Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen nach dieser Heldentat die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung infolge der Ueberrumpelung kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und bestraften die Thuriner, dieselben, die die tarentinische Politik den Lucanern preisgegeben und dadurch gewaltsam zur Ergebung an Rom gedraengt hatte, schwer fuer ihren Abfall von der hellenischen Partei zu den Barbaren.

Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei solcher Macht und nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag im Interesse Roms, die tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich gelten zu lassen, und die leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb den Antrag, den eine Minoritaet in begreiflicher Erbitterung stellte, den Tarentinern sofort den Krieg zu erklaeren. Vielmehr wurde die Fortdauer des Friedens roemischerseits an die maessigsten Bedingungen geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung der Gefangenen, Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls der Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu geben, ein roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium einrueckte. Die Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu vergeben, diese Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust der reichen Kaufstadt durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein Abkommen noch moeglich sei. Allein der Versuch, den Frieden zu erhalten, scheiterte - sei es an dem Widerspruch derjenigen Tarentiner, die die Notwendigkeit erkannten, den Uebergriffen Roms je eher desto lieber mit den Waffen entgegenzutreten, sei es bloss an der Unbotmaessigkeit des staedtischen Poebels, der sich mit beliebter griechischer Ungezogenheit sogar an der Person des Gesandten in unwuerdiger Weise vergriff. Nun rueckte der Konsul in das tarentinische Gebiet ein; aber statt sofort die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er noch einmal auf dieselben Bedingungen den Frieden; und da auch dies vergeblich war, begann er zwar die Aecker und Landhaeuser zu verwuesten und schlug die staedtischen Milizen, aber die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Loesegeld entlassen und man gab die Hoffnung nicht auf, dass der Kriegsdruck der aristokratischen Partei in der Stadt das Uebergewicht geben und damit den Frieden herbeifuehren werde. Die Ursache dieser Zurueckhaltung war, dass die Roemer die Stadt nicht dem Epeirotenkoenig in die Arme treiben wollten. Die Absichten desselben auf Italien waren kein Geheimnis mehr. Schon war eine tarentinische Gesandtschaft zu Pyrrhos gegangen und unverrichteter Sache zurueckgekehrt; der Koenig hatte mehr begehrt, als sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man musste sich entscheiden. Dass die Buergerwehr vor den Roemern nur wegzulaufen verstand, davon hatte man sich sattsam ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom, den die Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend bereit waren, und Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende Bedingung, das heisst die Wahl zwischen Unterwerfung unter die roemische Obermacht oder unter die Tyrannis eines griechischen Soldaten. Die Parteien hielten in der Stadt sich fast die Waage; endlich blieb die Oberhand der Nationalpartei, wobei ausser dem wohl gerechtfertigten Motiv, sich, wenn einmal ueberhaupt einem Herrn, lieber einem Griechen als Barbaren zu eigen zu geben, auch noch die Furcht der Demagogen mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen, durch die Umstaende erzwungenen Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht saeumen werde, Rache fuer die von dem Tarentiner Poebel veruebten Schaendlichkeiten zu nehmen. Die Stadt schloss also mit Pyrrhos ab. Er erhielt den Oberbefehl ueber die Truppen der Tarentiner und der uebrigen gegen Rom unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht, in Tarent Besatzung zu halten. Dass die Stadt die Kriegskosten trug, versteht sich von selbst. Pyrrhos versprach dagegen, in Italien nicht laenger als noetig zu bleiben, vermutlich unter dem stillschweigenden Vorbehalt, die Zeit, waehrend welcher er dort noetig sein werde, nach eigenem Ermessen festzustellen. Dennoch waere ihm die Beute fast unter den Haenden entschluepft. Waehrend die tarentinischen Gesandten - ohne Zweifel die Haeupter der Kriegspartei - in Epeiros abwesend waren, schlug in der von den Roemern jetzt hart gedraengten Stadt die Stimmung um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem roemisch Gesinnten uebertragen, als die Rueckkehr der Gesandten mit dem abgeschlossenen Traktat in Begleitung von Pyrrhos’ vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei wieder ans Ruder brachte. Bald fasste eine festere Hand die Zuegel und machte dem klaeglichen Schwanken ein Ende. Noch im Herbst 473 (281) landete Pyrrhos’ General Milon mit 3000 Epeiroten und besetzte die Zitadelle der Stadt; ihm folgte zu Anfang des Jahres 474 (280) nach einer stuermischen, zahlreiche Opfer fordernden Ueberfahrt der Koenig selbst. Er fuehrte nach Tarent ein ansehnliches, aber buntgemischtes Heer, teils bestehend aus den Haustruppen, den Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten, teils aus dem makedonischen Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die Koenig Ptolemaeos von Makedonien vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils aus aetolischen, akarnanischen, athamanischen Soeldnern; im ganzen zaehlte man 20000 Phalangiten, 2000 Bogenschuetzen, 500 Schleuderer, 3000 Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel weniger, als dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre zuvor den Hellespont ueberschritt.

Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht zum besten, als der Koenig kam. Zwar hatte der roemische Konsul, sowie er die Soldaten Milons anstatt der tarentinischen Miliz sich gegenueber aufziehen sah, den Angriff auf Tarent aufgegeben und sich nach Apulien zurueckgezogen; aber mit Ausnahme des Gebietes von Tarent beherrschten die Roemer so gut wie ganz Italien. Nirgends in Unteritalien hatte die Koalition eine Armee im Felde, und auch in Oberitalien hatten die Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge (473 281) nichts als Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe der Koenig zu Schiff ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen Truppen uebertragen und ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000 Reiter ins Feld stellen zu koennen erklaert; zu diesen grossen Worten bildete die Wirklichkeit einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen Oberbefehl man Pyrrhos uebertragen, war noch erst zu schaffen, und vorlaeufig standen dazu hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen zu Gebot. Der Koenig befahl die Anwerbung eines italischen Soeldnerheeres mit tarentinischem Gelde und hob die dienstfaehigen Leute aus der Buergerschaft zum Kriegsdienst aus. So aber hatten die Tarentiner den Vertrag nicht verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg wie eine andere Ware fuer ihr Geld sich gekauft zu haben; es war eine Art Kontraktbruch, dass der Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber zu erfechten. Je mehr die Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen sich gefreut hatte, des laestigen Postendienstes los zu sein, desto unwilliger stellte man jetzt sich unter die Fahnen des Koenigs; den Saeumigen musste mit Todesstrafe gedroht werden. Jetzt gab der Ausgang bei allen der Friedenspartei Recht, und es wurden sogar mit Rom Verbindungen angeknuepft oder schienen doch angeknuepft zu werden. Pyrrhos, auf solchen Widerstand vorbereitet, behandelte die Stadt fortan wie eine eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser einquartiert, die Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (συσσίτια) suspendiert, das Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore mit epeirotischen Wachen besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner wurden als Geiseln ueber das Meer gesandt; andere entzogen sich dem gleichen Schicksal durch die Flucht nach Rom. Diese strengen Massregeln waren notwendig, da es schlechterdings unmoeglich war, sich in irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu verlassen; erst jetzt konnte der Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen Stadt, die Operationen im Felde beginnen.

Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man entgegenging. Um vor allem die Treue der Bundesgenossen, das heisst der Untertanen zu sichern, erhielten die unzuverlaessigen Staedte Besatzung und wurden die Fuehrer der Partei der Unabhaengigkeit, wo es notwendig schien, festgesetzt oder hingerichtet, so zum Beispiel eine Anzahl Mitglieder des praenestinischen Senats. Fuer den Krieg selbst wurden grosse Anstrengungen gemacht; es ward eine Kriegssteuer ausgeschrieben, von allen Untertanen und Bundesgenossen das volle Kontingent eingemahnt, ja die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in der Hauptstadt. Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius in Etrurien ein und trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht war natuerlich nach Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel als moeglich ihren Abmarsch, um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent zu erreichen und ihn zu hindern, die Samniten und die uebrigen gegen Rom in Waffen stehenden sueditalischen Aufgebote mit seinen Truppen zu vereinigen. Einen vorlaeufigen Damm gegen das Umsichgreifen des Koenigs sollten die roemischen Besatzungen gewaehren, die in den Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei der in Rhegion liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen Untertanen Roms ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius - entriss den Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in die Haende zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der Nationalhass der Kampaner gegen die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so konnte anderseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der Hellenen ueber das Meer gekommen war, unmoeglich die Truppe in den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern niedergemacht hatte; und so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen Soeldnern des Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher Weise gewonnen hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung die umliegenden Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische Besatzung niedermachte, und Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen gelang es den Roemern, durch ein schwaches Korps, das an die lucanische Grenze rueckte, und durch die Besatzung von Venusia die Lucaner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos zu hindern, waehrend die Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden Zahl von Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem Konsul Publius Laevinus gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur Deckung der tarentinischen Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia ^2 mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen aufgestellt (474 280). Die Roemer erzwangen unter Deckung ihrer Reiterei den Uebergang ueber den Siris und eroeffneten die Schlacht mit einem hitzigen und gluecklichen Reiterangriff; der Koenig, der seine Reiter selber fuehrte, stuerzte und die griechischen Reiter, durch das Verschwinden des Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den feindlichen Schwadronen das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die Spitze seines Fussvolks, und von neuem begann ein entscheidenderes Treffen. Siebenmal trafen die Legionen und die Phalanx im Stoss aufeinander und immer noch stand der Kampf. Da fiel Megakles, einer der besten Offiziere des Koenigs, und weil er an diesem heissen Tage die Ruestung des Koenigs getragen hatte, glaubte das Heer zum zweitenmal, dass der Koenig gefallen sei; die Reihen wurden unsicher, schon meinte Laevinus den Sieg in der Hand zu haben und warf seine saemtliche Reiterei den Griechen in die Flanke. Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes durch die Reihen des Fussvolks schreitend, belebte den sinkenden Mut der Seinigen. Gegen die Reiter wurden die bis dahin zurueckgehaltenen Elefanten vorgefuehrt; die Pferde scheuten vor ihnen, die Soldaten wussten den gewaltigen Tieren nicht beizukommen und wandten sich zur Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen, die nachsetzenden Elefanten loesten endlich auch die geschlossenen Glieder des roemischen Fussvolks, und die Elefanten, im Verein mit der trefflichen thessalischen Reiterei, richteten ein grosses Blutbad unter den Fluechtenden an. Haette nicht ein tapferer roemischer Soldat, Gaius Minucius, der erste Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten verwundet und dadurch die verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht, so waere das roemische Heer aufgerieben worden; so gelang es, den Rest der roemischen Truppen ueber den Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust war gross: 7000 Roemer wurden tot oder verwundet von den Siegern auf der Walstatt gefunden, 2000 gefangen eingebracht; die Roemer selbst gaben, wohl mit Einschluss der vom Schlachtfeld zurueckgebrachten Verwundeten, ihren Verlust an auf 15000 Mann. Aber auch Pyrrhos’ Heer hatte nicht viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner besten Soldaten bedeckten das Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten Obersten waren gefallen. Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die altgedienten Leute traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die roemische Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung durch den Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen liess, mag der Koenig wohl, strategischer Kritiker wie er war, spaeterhin diesen Sieg einer Niederlage aehnlich genannt haben; wenn er auch nicht so toericht war, wie die roemischen Poeten nachher gedichtet haben, in der Aufschrift des von ihm in Tarent aufgestellten Weihgeschenkes diese Selbstkritik dem Publikum mitzuteilen. Politisch kam zunaechst wenig darauf an, welche Opfer der Sieg gekostet hatte; vielmehr war der Gewinn der ersten Schlacht gegen die Roemer fuer Pyrrhos ein unschaetzbarer Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf diesem neuen Schlachtfeld sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend etwas, musste der Sieg von Herakleia dem hinsiechenden Bunde der Italiker Einigkeit und Energie einhauchen. Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges waren ansehnlich und nachhaltig. Lucanien war fuer die Roemer verloren; Laevinus zog die dort stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien. Die Brettier, Lucaner, Samniten vereinigten sich ungehindert mit Pyrrhos. Mit Ausnahme von Rhegion, das unter dem Druck der kampanischen Meuterer schmachtete, fielen die Griechenstaedte saemtlich dem Koenig zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die roemische Besatzung aus; von ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er sie den Italikern nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also traten zu Pyrrhos ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter den Latinern zeigte sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie schwer sie auch lasten mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu entledigen. Venusia, obgleich jetzt rings von Feinden umschlossen, hielt unerschuetterlich fest an Rom. Den am Siris Gefangenen, deren tapfere Haltung der ritterliche Koenig durch die ehrenvollste Behandlung vergalt, bot er nach griechischer Sitte an, in sein Heer einzutreten; allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht, sondern mit einem Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm bei ihm Dienste.

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2 Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannteren Stadt gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.

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Pyrrhos bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger Militaer, um das Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu gewiegter Staatsmann, um nicht denjenigen Augenblick, der ihm die guenstigste Stellung gewaehrte, rechtzeitig zum Friedensschluss zu benutzen. Jetzt hoffte er unter dem ersten Eindruck der gewaltigen Schlacht, es in Rom durchsetzen zu koennen, dass die griechischen Staedte in Italien frei wuerden und zwischen ihnen und Rom eine Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges als abhaengige Verbuendete der neuen griechischen Macht ins Leben traeten; denn darauf gingen seine Forderungen: Entlassung aller griechischen Staedte - also namentlich der kampanischen und lucanischen - aus der roemischen Botmaessigkeit und Rueckgabe des den Samniten, Dauniern, Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch schwerlich vermieden werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst zu beginnen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt, Sizilien gewonnen, vielleicht Afrika erobert war.

Mit solchen Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos’ vertrauter Minister, der Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler, den seine Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem Staatsmann der Rhetor, dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen laesst, hatte Auftrag, die Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer seine Besiegten in der Tat empfand, auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des Koenigs, selber nach Rom zu kommen, zu erkennen zu geben, durch die im Munde des Feindes so wohlklingende Lob- und durch ernste Schmeichelrede, gelegentlich auch durch wohlangebrachte Geschenke die Gemueter zu des Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz, alle Kuenste der Kabinettspolitik, wie sie an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia erprobt waren, gegen die Roemer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien es der Klugheit gemaess, einen Schritt zurueck zu tun und abzuwarten, bis der gefaehrliche Gegner sich weiter verwickelt haben oder nicht mehr sein wuerde. Indes der greise und blinde Konsular Appius Claudius (Zensor 442 312, Konsul 447, 458 307, 296), der seit langem sich von den Staatsgeschaeften zurueckgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden Augenblick sich in den Senat fuehren liess, hauchte die ungebrochene Energie einer gewaltigen Natur mit seinen Flammenworten dem juengeren Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem Koenig das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und seitdem Staatsgrundsatz ward, dass Rom nicht unterhandle, solange auswaertige Truppen auf italischem Gebiet staenden, und das Wort wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus der Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der gewandte Diplomat, statt mit seiner Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr durch diesen maennlichen Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber imponieren lassen - er erklaerte daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm erschienen sei wie ein Koenig; freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu Gesicht bekommen.

Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen in Kampanien eingerueckt war, brach auf die Nachricht von ihrem Abbruch sogleich auf gegen Rom, um den Etruskern die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu erschuettern, die Stadt selber zu bedrohen. Aber die Roemer liessen sich so wenig schrecken wie gewinnen. Auf den Ruf des Heroldes, “an die Stelle der Gefallenen sich einschreiben zu lassen”, hatte gleich nach der Schlacht von Herakleia die junge Mannschaft sich scharenweise zur Aushebung gedraengt; mit den beiden neugebildeten Legionen und dem aus Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte Laevinus, staerker als vorher, dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen denselben Capua und vereitelte dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen anzuknuepfen. So straff war die Haltung der Roemer, dass ausser den unteritalischen Griechen kein namhafter Bundesstaat es wagte, vom roemischen Buendnis abzufallen. Da wandte Pyrrhos sich gegen Rom selbst. Durch die reiche Landschaft, deren bluehenden Zustand er mit Bewunderung schaute, zog er gegen Fregellae, das er ueberrumpelte, erzwang den Uebergang ueber den Liris und gelangte bis nach Anagnia, das nicht mehr als acht deutsche Meilen von Rom entfernt ist. Kein Heer warf sich ihm entgegen; aber ueberall schlossen die Staedte Latiums ihm die Tore, und gemessenen Schrittes folgte von Kampanien aus Laevinus ihm nach, waehrend von Norden der Konsul Tiberius Coruncanius, der soeben mit den Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluss sich abgefunden hatte, eine zweite roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst die Reserve unter dem Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe fertig machte. Dagegen war nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts uebrig als umzukehren. Eine Zeitlang stand er noch in Kampanien den vereinigten Heeren der beiden Konsuln untaetig gegenueber; aber es bot sich keine Gelegenheit, einen Hauptschlag auszufuehren. Als der Winter herankam, raeumte der Koenig das feindliche Gebiet und verteilte seine Truppen in die befreundeten Staedte; er selbst nahm Winterquartier in Tarent. Hierauf stellten auch die Roemer ihre Operationen ein; das Heer bezog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo auf Befehl des Senats die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch zur Strafe unter Zelten kampierten.

So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280). Der Sonderfriede, den Etrurien im entscheidenden Augenblick mit Rom abgeschlossen hatte, und des Koenigs unvermuteter Rueckzug, der die hochgespannten Hoffnungen der italischen Bundesgenossen gaenzlich taeuschte, wogen zum grossen Teil den Eindruck des Sieges von Herakleia auf. Die Italiker beschwerten sich ueber die Lasten des Krieges, namentlich ueber die schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten Soeldner, und der Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des unpolitischen wie unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen, fing an zu ahnen, dass die Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller taktischen Erfolge politisch unloesbar sein moege. Die Ankunft einer roemischen Gesandtschaft, dreier Konsulate, darunter der Sieger von Thurii, Gaius Fabricius, liess einen Augenblick wieder die Friedenshoffnungen bei ihm erwachen; allein es zeigte sich bald, dass sie nur Vollmacht hatte, wegen Loesung oder Auswechselung der Gefangenen zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er entliess zur Feier der Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass sie es hielten und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch abwies, hat man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die Ehrlosigkeit der spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit bezeichnender Weise gefeiert.

Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff Pyrrhos abermals die Offensive und rueckte in Apulien ein, wohin das roemische Heer ihm entgegenkam. In der Hoffnung durch einen entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in diesen Landschaften zu erschuettern, bot der Koenig eine zweite Schlacht an und die Roemer verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen beide Heere aufeinander. Unter Pyrrhos’ Fahnen fochten ausser seinen epeirotischen und makedonischen Truppen die italischen Soeldner, die Buergerwehr - die sogenannten Weissschilde - von Tarent und die verbuendeten Lucaner, Brettier und Samniten, zusammen 70000 Mann zu Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten, ueber 8000 Reiter und 19 Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage die Latiner, Kampaner, Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner und Arpaner; auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss, darunter 20000 roemische Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten in ihrem Heerwesen Aenderungen vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die Vorzuege der roemischen Manipularordnung erkennend, hatte auf den Fluegeln die lange Front seiner Phalangen vertauscht mit einer der Kohortenstellung nachgebildeten unterbrochenen Aufstellung in Faehnlein und, vielleicht nicht minder aus politischen wie aus militaerischen Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner eigenen Leute die tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im Mitteltreffen allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die Roemer fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art Streitwagen heran, aus denen Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche, zum Herablassen eingerichtete und in Eisenstachel endende Maste befestigt waren - gewissermassen das Vorbild der Enterbruecken, die im Ersten Punischen Krieg eine so grosse Rolle spielen sollten.

Nach dem griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als der uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten Tage im Nachteil, da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und sumpfigen Flussufern, wo sie gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen, ihre Linie zu entwickeln, noch Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu bringen. Am zweiten Tage kam dagegen Pyrrhos den Roemern in der Besetzung des durchschnittenen Terrains zuvor und erreichte so ohne Verlust die Ebene, wo er seine Phalanx ungestoert entfalten konnte. Vergeblich stuerzten sich die Roemer verzweifelten Muts mit ihren Schwertern auf die Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem Angriff von vorn, doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen Legionen zum Weichen zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der Elefanten die auf den roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch Pfeile und Schleudersteine vertrieben und der Bespannung die Straenge zerschnitten hatte und nun die Elefanten gegen die roemische Linie anprallten, kam dieselbe ins Schwanken. Das Weichen der Bedeckungsmannschaft der roemischen Wagen gab das Signal zur allgemeinen Flucht, die indes nicht sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe Lager die Verfolgten aufnahm. Dass waehrend des Haupttreffens ein von der roemischen Hauptmacht abgesondertes arpanisches Korps das schwach besetzte epeirotische Lager angegriffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der roemische Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die Roemer auf alle Faelle mit Unrecht behauptet, dass die Schlacht unentschieden geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das roemische Heer ueber den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen Berichte auf roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den Verwundeten war der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt hatte, waehrend er wie immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war es ein Sieg, den Pyrrhos erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare Lorbeeren; als Feldherrn wie als Soldaten machte der Sieg dem Koenig Ehre, aber seine politischen Zwecke hat er nicht gefoerdert. Pyrrhos bedurfte eines glaenzenden Erfolges, der das roemische Heer aufloeste und den schwankenden Bundesgenossen die Gelegenheit und den Anstoss zum Parteiwechsel gab; da aber die roemische Armee und die roemische Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das griechische Heer, das nichts war ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung auf laengere Zeit angefesselt ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben und in die Winterquartiere gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer diesmal in Apulien nahmen. Immer deutlicher offenbarte es sich, dass militaerisch die Hilfsquellen des Koenigs den roemischen ebenso nachstanden, wie politisch die lose und widerspenstige Koalition den Vergleich nicht aushielt mit der festgegruendeten roemischen Symmachie. Wohl konnte das Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr wie die von Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg vernutzte die Mittel zu weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die Roemer schon jetzt sich als die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit mutiger Geduld erharrten. Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel, wie die griechischen Fuersten es uebten und verstanden; an der vollen und gewaltigen Energie der Landwehr zerschellten alle strategischen Kombinationen. Pyrrhos fuehlte, wie die Dinge standen; ueberdruessig seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend, harrte er nur aus, weil die militaerische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu verlassen, bevor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben wuerde. Es war bei seinem ungeduldigen Naturell vorauszusetzen, dass er den ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen Pflicht sich zu entledigen; und die Veranlassung, sich von Italien zu entfernen, boten bald die sizilischen Angelegenheiten ihm dar.

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^3 Diese Zahlen scheinen glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl an Toten und Verwundeten, fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer sogar auf roemischer 5000, auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier Platz finden um an einem der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich ist, die fast ausnahmslose Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu zeigen, in denen die Luege bei den Annalisten lawinenartig anschwillt.

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Nach Agathokles’ Tode (465 289) fehlte es den sizilischen Griechen an jeder leitenden Macht. Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten unfaehige Demagogen und unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten die Karthager, die alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestoert aus. Nachdem Akragas ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekommen, um zu dem seit Jahrhunderten im Auge behaltenen Ziel endlich den letzten Schritt zu tun und die ganze Insel unter ihre Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten sich zum Angriff auf Syrakus. Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago den Besitz der Insel streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und die Schwaeche des Regiments so tief herabgekommen, dass sie ihre Rettung suchen musste in dem Schutz ihrer Mauern und in auswaertiger Hilfe; und niemand konnte diese gewaehren als Koenig Pyrrhos. Pyrrhos war des Agathokles Tochtermann, sein Sohn, der damals sechzehnjaehrige Alexander, des Agathokles Enkel, beide in jeder Beziehung die natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn von Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus Ersatz darin finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches zu sein. So trugen die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter aehnlichen Bedingungen dem Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um 475 279), und durch eine seltene Fuegung der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der grossartigen, zunaechst auf den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Plaene des Epeirotenkoenigs.

Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen und sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich enger zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten Handelsvertraege jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen Pyrrhos (475 279), dessen Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn Pyrrhos roemisches oder karthagisches Gebiet betrete, der nicht angegriffene Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet Zuzug leisten und die Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle Karthago die Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den Roemern beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide Staaten sich das Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu schliessen. Der Zweck des Vertrages war auf roemischer Seite, einen Angriff auf Tarent moeglich zu machen und Pyrrhos von der Heimat abzuschneiden, was beides ohne Mitwirkung der punischen Flotte nicht ausfuehrbar war, auf seiten der Karthager, den Koenig in Italien festzuhalten, um ihre Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen zu koennen ^4. Es lag also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich des Meeres zwischen Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke karthagische Flotte von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag abzuschliessen, nach der sizilischen Meerenge. Die Mamertiner, die fuer ihre Frevel gegen die griechische Bevoelkerung Messanas die gerechte Strafe erwartete, wenn Pyrrhos in Sizilien und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an die Roemer und Karthager und sicherten diesen die sizilische Seite des Passes. Gern haetten die Verbuendeten auch Rhegion auf der gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt gebracht; allein verzeihen konnte Rom der kampanischen Besatzung unmoeglich, und ein Versuch der vereinigten Roemer und Karthager, sich der Stadt mit gewaffneter Hand zu bemaechtigen, schlug fehl. Von dort segelte die karthagische Flotte nach Syrakus und blockierte die Stadt von der Seeseite, waehrend gleichzeitig ein starkes phoenikisches Heer die Belagerung zu Lande begann (476 278). Es war hohe Zeit, dass Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich standen in Italien die Angelegenheiten keineswegs so, dass er und seine Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Konsuln des Jahres 476 (278) Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug kraeftig begonnen, und obwohl bisher die Roemerin diesem Kriege nur Niederlagen erlitten hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich ermattet fuehlten und den Frieden herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch, ein leidliches Abkommen zu erlangen. Der Konsul Fabricius hatte dem Koenig einen Elenden zugesandt, der ihm den Antrag gemacht, gegen gute Bezahlung den Koenig zu vergiften. Zum Dank gab der Koenig nicht bloss alle roemischen Gefangenen ohne Loesegeld frei, sondern er fuehlte sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapferen Gegner, dass er zur Belohnung ihnen selber einen ungemein billigen und guenstigen Frieden antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden bequeme. Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere Antwort. Wollte der Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende fallen und damit seinen grossen Plan sich zerstoeren lassen, so blieb ihm nichts anderes uebrig, als seine italischen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorlaeufig auf den Besitz der wichtigsten Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu beschraenken. Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im Stich zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den Klagen und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige bessere Zeiten oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurueck, des Koenigs Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte noch im Fruehjahr 476 (278) sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus ein.

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^4 Die spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis die Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die karthagische Hilfe in Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig gewesen, und die Tatsachen sprechen dagegen. Dass Mago in Ostia nicht landete, erklaert sich nicht aus solcher Vorsicht, sondern einfach daraus, dass Latium von Pyrrhos ganz und gar nicht bedroht war und karthagischen Beistandes also nicht bedurfte; und vor Rhegion kaempften die Karthager allerdings fuer Rom.

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Nach Pyrrhos’ Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner ueberall sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes der Kampf ging nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran teils die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges schuld war, teils wohl auch die Erschoepfung der Roemer, von deren furchtbaren Verlusten das Sinken der Buergerrolle von 473 (281) auf 479 (275) um 17000 Koepfe zeugt. Noch im Jahre 476 (278) gelang es dem Konsul Gaius Fabricius, die bedeutende tarentinische Pflanzstadt Herakleia zu einem Sonderfrieden zu bringen, der ihr unter den guenstigsten Bedingungen gewaehrt ward. Im Feldzug von 477 (277) schlug man sich in Samnium herum, wo ein leichtsinnig unternommener Angriff auf die verschanzten Hoehen den Roemern viele Leute kostete, und wandte sich alsdann nach dem suedlichen Italien, wo die Lucaner und Brettier geschlagen wurden. Dagegen kam bei einem Versuch, Kroton zu ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den Roemern zuvor; die epeirotische Besatzung machte alsdann sogar einen gluecklichen Ausfall gegen das belagernde Heer. Indes gelang es endlich dem Konsul dennoch, dieselbe durch eine Kriegslist zum Abmarsch zu bestimmen und der unverteidigten Stadt sich zu bemaechtigen (477 277). Wichtiger war es, dass die Lokrenser, die frueher die roemische Besatzung dem Koenig ausgeliefert hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat suehnend, die epeirotische erschlugen; womit die ganze Suedkueste in den Haenden der Roemer war mit Ausnahme von Rhegion und Tarent. Indes mit diesen Erfolgen war man im wesentlichen doch wenig gefoerdert. Unteritalien selbst war laengst wehrlos; Pyrrhos aber war nicht bezwungen, solange Tarent in seinen Haenden und ihm damit die Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben wieder zu erneuern, und an die Belagerung dieser Stadt konnten die Roemer nicht denken. Selbst davon abgesehen, dass in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios den Belagerer umgeschaffenen Festungskrieg die Roemer gegen einen erfahrenen und entschlossenen griechischen Kommandanten im entschiedensten Nachteil waren, bedurfte es dazu einer starken Flotte, und obwohl der karthagische Vertrag den Roemern Unterstuetzung zur See verhiess, so standen doch Karthagos eigene Angelegenheiten in Sizilien durchaus nicht so, dass es diese haette gewaehren koennen.

Pyrrhos’ Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte ungehindert erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der Dinge veraendert. Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien Griechenstaedte in kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen Besitzungen entrissen. Kaum vermochten mit Hilfe der damals auf dem Mittelmeer ohne Nebenbuhler herrschenden karthagischen Flotte sich die Karthager in Lilybaeon, die Mamertiner in Messana, und auch hier unter steten Angriffen, zu behaupten. Unter solchen Umstaenden waere in Gemaessheit des Vertrags von 475 (279) viel eher Rom im Fall gewesen, den Karthagern auf Sizilien Beistand zu leisten, als Karthago mit seiner Flotte den Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt aber war man eben von keiner Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht zu sichern oder gar zu erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe erst angeboten, als die wesentliche Gefahr vorueber war; diese ihrerseits hatten nichts getan, den Abzug des Koenigs aus Italien, den Sturz der karthagischen Macht in Sizilien zu verhindern. Ja in offener Verletzung der Vertraege hatte Karthago sogar dem Koenig einen Sonderfrieden angetragen und gegen den ungestoerten Besitz von Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen sizilischen Besitzungen zu verzichten, sogar dem Koenig Geld und Kriegsschiffe zur Verfuegung zu stellen, natuerlich zur Ueberfahrt nach Italien und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indes es war einleuchtend, dass mit dem Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des Koenigs die Stellung der Karthager auf der Insel ungefaehr dieselbe geworden waere, wie sie vor Pyrrhos’ Landung gewesen war; sich selbst ueberlassen waren die griechischen Staedte ohnmaechtig und das verlorene Gebiet leicht wiedergewonnen. So schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus und ging daran, sich selber eine Kriegsflotte zu erbauen. Nur Unverstand und Kurzsichtigkeit haben dies spaeter getadelt; es war vielmehr ebenso notwendig als mit den Mitteln der Insel leicht durchzufuehren. Abgesehen davon, dass der Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte er der Flotte, um Lilybaeon zu erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago daheim anzugreifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so grossem Erfolg getan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im Sommer 478 (276), wo er Karthago gedemuetigt vor sich sah, Sizilien beherrschte und mit Tarents Besitz einen festen Fuss in Italien behauptete, und wo die neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge zusammenknuepfen, sichern und steigern sollte, zur Abfahrt fertig im Hafen von Syrakus lag.

Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos’ Stellung beruhte auf seiner fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien wie er Ptolemaeos hatte in Aegypten herrschen sehen; er respektierte die Gemeindeverfassungen nicht, setzte seine Vertrauten zu Amtleuten ueber die Staedte wann und auf so lange es ihm gefiel, gab anstatt der einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu Richtern, sprach Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus und selbst ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am lebhaftesten betrieben hatten, legte Besatzungen in die Staedte und beherrschte Sizilien nicht als der Fuehrer des Nationalbundes, sondern als Koenig. Mochte er dabei nach orientalisch-hellenistischen Begriffen sich ein guter und weiser Regent zu sein duenken und auch wirklich sein, so ertrugen doch die Griechen diese Verpflanzung des Diadochensystems nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in langer Freiheitsagonie aller Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das karthagische Joch dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue Soldatenregiment. Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den Karthagern, ja mit den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte wieder, sich auf der Insel zu zeigen und, ueberall von den Griechen unterstuetzt, machte es reissende Fortschritte. Zwar in der Schlacht, die Pyrrhos ihm lieferte, war das Glueck wie immer mit dem “Adler”; allein es hatte sich bei dieser Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der Insel war und was kommen konnte und musste, wenn der Koenig sich entfernte.

Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos einen zweiten: er ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent. Augenscheinlich musste er, eben bei der Gaerung in den Gemuetern der Sikelioten, vor allen Dingen erst von dieser Insel die Karthager ganz verdraengt und damit den Unzufriedenen den letzten Rueckhalt abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte; hier war nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt wenig gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb, den nicht sehr ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine glaenzende Wiederkehr auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen der Lucaner und Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich gestellt hatte, koennen nur geloest werden von eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das Ehrgefuehl zu beherrschen vermoegen; und eine solche war Pyrrhos nicht.

Die verhaengnisvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres 478 (276). Unterwegs hatte die neue syrakusanische Flotte mit der karthagischen ein heftiges Gefecht zu bestehen und buesste darin eine betraechtliche Anzahl Schiffe ein. Die Entfernung des Koenigs und die Kunde von diesem ersten Unfall genuegten zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle Staedte dem abwesenden Koenig Geld und Truppen und der glaenzende Staat brach schneller noch als er entstanden war wiederum zusammen, teils weil der Koenig selbst die Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in den Herzen seiner Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk an der Hingebung fehlte, zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht nur kurze Zeit der Freiheit zu entsagen. Damit war Pyrrhos’ Unternehmen gescheitert, der Plan seines Lebens ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der es fuehlt, dass er viel gewesen und nichts mehr ist, der den Krieg nicht mehr als Mittel zum Zwecke fuehrt, sondern, um in wildem Wuerfelspiel sich zu betaeuben und womoeglich im Schlachtgetuemmel einen Soldatentod zu finden. An der italischen Kueste angelangt, begann der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions zu bemaechtigen, aber mit Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den Angriff ab, und in dem hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig selbst verwundet, indem er einen feindlichen Offizier vom Pferde hieb. Dagegen ueberrumpelte er Lokri, dessen Einwohner die Niedermetzelung der epeirotischen Besatzung schwer buessten, und pluenderte den reichen Schatz des Persephonetempels daselbst, um seine leere Kasse zu fuellen. So gelangte er nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss und 3000 Reitern. Aber es waren nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem und nicht mehr begruessten die Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen und die Hoffnung, damit man den Koenig fuenf Jahre zuvor empfing, waren gewichen, den Verbuendeten Geld und Mannschaft ausgegangen. Den schwer bedraengten Samniten, in deren Gebiet die Roemer 478/79 (276/75) ueberwintert hatten, zu Hilfe rueckte der Koenig im Fruehjahr 479 (275) ins Feld und zwang bei Benevent auf dem Arusinischen Felde den Konsul Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich mit seinem von Lucanien heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte. Aber die Heeresabteilung, die den Roemern in die Flanke zu fallen bestimmt war, verirrte sich waehrend des Nachtmarsches in den Waeldern und blieb im entscheidenden Augenblick aus; und nach heftigem Kampf entschieden auch hier wieder die Elefanten die Schlacht, aber diesmal fuer die Roemer, indem sie, von den zur Bedeckung des Lagers aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht, auf ihre eigenen Leute sich warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in ihre Haende fielen 1300 Gefangene und vier Elefanten - die ersten, die Rom sah, ausserdem eine unermessliche Beute, aus deren Erloes spaeter in Rom der Aquaedukt, welcher das Aniowasser von Tibur nach Rom fuehrte, gebaut ward. Ohne Truppen, um das Feld zu halten, und ohne Geld sandte Pyrrhos an seine Verbuendeten, die ihm zur Ausruestung nach Italien gesteuert hatten, die Koenige von Makedonien und Asien; aber auch in der Heimat fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab. Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese Weigerungen liess Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im selben Jahre (479 275) heim nach Griechenland, wo eher noch als bei dem stetigen und gemessenen Gang der italischen Verhaeltnisse sich dem verzweifelten Spieler eine Aussicht eroeffnen mochte. In der Tat gewann er nicht bloss schnell zurueck, was von seinem Reiche war abgerissen worden, sondern er griff noch einmal und nicht ohne Erfolg nach der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas’ ruhiger und umsichtiger Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und der Unfaehigkeit, den stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine letzten Plaene; er gewann noch Schlachten, aber keinen dauernden Erfolg mehr und fand sein Ende in einem elenden Strassengefecht im peloponnesischen Argos (482 272).

In Italien ist der Krieg zu Ende mit der Schlacht bei Benevent; langsam verenden die letzten Zuckungen der nationalen Partei. Zwar so lange der Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm es gewagt hatte, dem Schicksal in die Zuegel zu fallen, noch unter den Lebenden war, hielt er, wenngleich abwesend, gegen Rom die feste Burg von Tarent. Mochte auch nach des Koenigs Entfernung in der Stadt die Friedenspartei die Oberhand gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos darin den Befehl fuehrte, wies ihre Anmutungen ab und liess die roemisch gesinnten Staedter in dem Kastell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet hatten, auf ihre eigene Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen beliebte, ohne darum seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos’ Tode eine karthagische Flotte in den Hafen einlief und Milon die Buergerschaft im Begriff sah, die Stadt an die Karthager auszuliefern, zog er es vor, dem roemischen Konsul Lucius Papirius die Burg zu uebergeben (482 272) und damit fuer sich und die Seinigen freien Abzug zu erkaufen. Fuer die Roemer war dies ein ungeheurer Gluecksfall. Nach den Erfahrungen, die Philipp vor Perinth und Byzanz, Demetrios vor Rhodos, Pyrrhos vor Lilybaeon gemacht hatten, laesst sich bezweifeln, ob die damalige Strategik ueberhaupt imstande war, eine wohlbefestigte und wohlverteidigte und von der See her zugaengliche Stadt zur Uebergabe zu zwingen; und welche Wendung haetten die Dinge nehmen moegen, wenn Tarent das in Italien fuer die Phoeniker geworden waere, was in Sizilien Lilybaeon fuer sie gewesen war! Indes das Geschehene war nicht zu aendern. Der karthagische Admiral, da er die Burg in den Haenden der Roemer sah, erklaerte, nur vor Tarent erschienen zu sein, um dem Vertrage gemaess den Bundesgenossen bei der Belagerung der Stadt Hilfe zu leisten, und ging unter Segel nach Afrika; und die roemische Gesandtschaft, welche wegen der versuchten Okkupation von Tarent Aufklaerung zu fordern und Beschwerde zu fuehren nach Karthago gesandt ward, brachte nichts zurueck als die feierliche und eidliche Bekraeftigung dieser angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei man denn auch in Rom vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten, vermutlich durch Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den Roemern zurueck; aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die Mauern niedergerissen werden.

In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch ward, unterwarfen sich endlich auch die Samniten, Lucaner und Brettier, welche letztere die Haelfte des eintraeglichen und fuer den Schiffbau wichtigen Silawaldes abtreten mussten.

Endlich traf auch die seit zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die Strafe fuer den gebrochenen Fahneneid wie fuer den Mord der rheginischen Buergerschaft und der Besatzung von Kroton. Es war zugleich die allgemeine Sache der Hellenen gegen die Barbaren, welche Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus, Hieron, unterstuetzte darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung von Lebensmitteln und Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der roemischen Expedition gegen Rhegion kombinierten Angriff auf deren Stamm- und Schuldgenossen in Sizilien, die Mamertiner in Messana. Die Belagerung der letzteren Stadt zog sich sehr in die Laenge; dagegen wurde Rhegion, obwohl auch hier die Meuterer hartnaeckig und lange sich wehrten, im Jahre 484 (270) von den Roemern erstuermt, was von der Besatzung uebrig war, in Rom auf offenem Markte gestaeupt und enthauptet, die alten Einwohner aber zurueckgerufen und soviel moeglich in ihr Vermoegen wieder eingesetzt. So war im Jahre 484 (270) ganz Italien zur Untertaenigkeit gebracht. Nur die hartnaeckigsten Gegner Roms, die Samniten, setzten trotz des offiziellen Friedensschlusses noch als “Raeuber” den Kampf fort, sodass sogar im Jahre 485 (269) noch einmal beide Konsuln gegen sie geschickt werden mussten. Aber auch der hochherzigste Volksmut, die tapferste Verzweiflung gehen einmal zu Ende; Schwert und Galgen brachten endlich auch den samnitischen Bergen die Ruhe.

Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine Reihe von Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als Zwingburgen fuer Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491 263), als Vorposten gegen die Gallier Ariminum (486 268), in Picenum Firmum (um 490 264) und die Buergerkolonie Castrum novum; die Fortfuehrung der grossen Suedchaussee, welche an der Festung Benevent eine neue Zwischenstation zwischen Capua und Venusia erhielt, bis zu den Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des letzteren Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und Nachfolger des tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden vorbereitet. Die neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch einige Kriege mit den kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch dieselben geschmaelert ward, den Picentern (485, 486 269, 268), von denen eine Anzahl in die Gegend von Salernum verpflanzt ward, den Sallentinern um Brundisium (487, 488 267, 266), den umbrischen Sassinaten (487, 488 267, 266), welche letzte nach der Austreibung der Senonen das Gebiet von Ariminum besetzt zu haben scheinen. Durch diese Anlagen ward die Herrschaft Roms ueber das unteritalische Binnenland und die ganze italische Ostkueste vom Ionischen Meer bis zur keltischen Grenze ausgedehnt.

Bevor wir die politische Ordnung darstellen, nach der das also geeinigte Italien von Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf die Seeverhaeltnisse im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu werfen. Es waren in dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um die Herrschaft in den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im ganzen ueberwog trotz der grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389 406-365), Agathokles (437-465 317-289) und Pyrrhos (476-478 278-276) voruebergehend zur See erlangten, doch hier Karthago und sank Syrakus mehr und mehr zu einer Seemacht zweiten Ranges herab. Mit Etruriens Bedeutung zur See war es voellig vorbei; die bisher etruskische Insel Korsika kam, wenn nicht gerade in den Besitz, doch unter die maritime Suprematie der Karthager. Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle gespielt hatte, ward durch die roemische Okkupation gebrochen. Die tapferen Massalioten behaupteten sich wohl in ihren eigenen Gewaessern; aber in die Vorgaenge auf den italischen griffen sie nicht wesentlich ein. Die uebrigen Seestaedte kamen kaum noch ernstlich in Betracht.

Rom selber entging dem gleichen Schicksal nicht; in seinen eigenen Gewaessern herrschten ebenfalls fremde Flotten. Wohl war es Seestadt von Haus aus und ist in der Zeit seiner Frische seinen alten Traditionen niemals so untreu geworden, dass es die Kriegsmarine gaenzlich vernachlaessigt haette, und nie so toericht gewesen, bloss Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium lieferte zum Schiffbau die schoensten Staemme, welche die geruehmten unteritalischen bei weitem uebertrafen, und die fortdauernd in Rom unterhaltenen Docks beweisen allein schon, dass man dort nie darauf verzichtet hat, eine eigene Flotte zu besitzen. Indes waehrend der gefaehrlichen Krisen, welche die Vertreibung der Koenige, die inneren Erschuetterungen in der roemisch-latinischen Eidgenossenschaft und die ungluecklichen Kriege gegen die Etrusker und die Kelten ueber Rom brachten, konnten die Roemer sich um den Stand der Dinge auf dem Mittelmeer nur wenig bekuemmern, und bei der immer entschiedener hervortretenden Richtung der roemischen Politik auf Unterwerfung des italischen Kontinents verkuemmerte die Seemacht. Es ist bis zum Ende des vierten Jahrhunderts (ca. 350) kaum von latinischen Kriegsschiffen die Rede, ausser dass auf einem roemischen das Weihgeschenk aus der veientischen Beute nach Delphi gesandt ward (360 394). Die Antiaten freilich fuhren fort, ihren Handel mit bewaffneten Schiffen und also auch gelegentlich das Piratengewerbe zu betreiben und der “tyrrhenische Korsar” Postumius, den Timoleon um 415 (339) aufbrachte, koennte allerdings ein Antiate gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener Zeit zaehlten sie schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so wuerde bei der Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als ein Vorteil gelegen haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem Verfall der roemischen Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung der latinischen Kuesten durch eine griechische, vermutlich sizilische Kriegsflotte im Jahre 405 (349), waehrend zugleich keltische Haufen das latinische Land brandschatzend durchzogen. Das Jahr darauf (406 348), und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck dieser bedenklichen Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und die Phoeniker von Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen Bundesgenossen, einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische Urkunde, von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf uns gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die libysche Kueste westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle ausgenommen, nicht zu befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr gleich den einheimischen auf Sizilien, soweit dies karthagisch war, und in Afrika und Sardinien wenigstens das Recht, gegen den unter Zuziehung der karthagischen Beamten festgestellten und von der karthagischen Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren abzusetzen. Den Karthagern scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium freier Verkehr zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die botmaessigen latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als Feinde den latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu nehmen - also ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen - noch gar Festungen im latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in dieselbe Zeit gehoert auch der oben schon erwaehnte Vertrag zwischen Rom und Tarent, von dessen Entstehungszeit nur berichtet wird, dass er laengere Zeit vor 472 (282) abgeschlossen ward; durch denselben verpflichteten sich die Roemer, gegen welche Zusicherungen tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser oestlich vom Lakinischen Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig vom oestlichen Becken des Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.

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^5 Die Nachweisung, dass die bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde nicht dem Jahre 245 (509), sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist in der Roemischen Chronologie bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S. 320f., gegeben worden.

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Es waren dies Niederlagen so gut wie die an der Allia, und auch der roemische Senat scheint sie als solche empfunden und die guenstige Wendung, die die italischen Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der demuetigenden Vertraege mit Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit aller Energie benutzt zu haben, um die gedrueckte maritime Stellung zu verbessern. Die wichtigsten Kuestenstaedte wurden mit roemischen Kolonien belegt: der Hafen von Caere, Pyrgi, dessen Kolonisierung wahrscheinlich in diese Zeit faellt; ferner an der Westkueste Antium im Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre 425 (329), die Insel Pontia 441 (313), womit, da Ardea und Circeii bereits frueher Kolonisten empfangen hatten, alle namhaften Seeplaetze im Gebiet der Rutuler und Volsker latinische oder Buergerkolonien geworden waren; weiter im Gebiet der Aurunker Minturnae und Sinuessa im Jahre 459 (295), im lucanischen Paestum und Cosa im Jahre 481 (273), und am adriatischen Litoral Sena gallica und Castrum novum um das Jahr 471 (283), Ariminum im Jahre 486 (268), wozu noch die gleich nach der Beendigung des Pyrrhischen Krieges erfolgte Besetzung von Brundisium hinzukommt. In der groesseren Haelfte dieser Ortschaften, den Buerger- oder Seekolonien ^6, war die junge Mannschaft vom Dienst in den Legionen befreit und lediglich bestimmt, die Kuesten zu ueberwachen. Die gleichzeitige wohlueberlegte Bevorzugung der unteritalischen Griechen vor ihren sabellischen Nachbarn, namentlich der ansehnlichen Gemeinden Neapolis, Rhegion, Lokri, Thurii, Herakleia, und deren gleichartige und unter gleichartigen Bedingungen gewaehrte Befreiung vom Zuzug zum Landheer vollendete das um die Kuesten Italiens gezogene roemische Netz.

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^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia, Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa, Sena gallica und Castrum novum.

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Aber mit einer staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden Generationen haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner des roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die Kriegsmarine des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss gebracht ward. Einen gewissen Grund dazu legte schon nach der Unterwerfung von Antium (416 338) die Abfuehrung der brauchbaren Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die gleichzeitige Verfuegung indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu enthalten haetten ^7, charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie ohnmaechtig damals die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre Seepolitik noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als sodann die sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in die roemische Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche jede dieser Staedte sich verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige Kriegshilfe zu stellen, zu einer roemischen Flotte wenigstens wieder einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden weiter infolge eines eigens deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei Flottenherren (duoviri navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im Samnitischen Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert selbst die merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur Gruendung einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um 446 (308) geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie wenig aber mit allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre 448 (306) erneuerte Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und Sizilien betreffenden Bestimmungen des Vertrages von 406 (348) unveraendert blieben, wurde den Roemern ausser der Befahrung der oestlichen Gewaesser jetzt weiter die frueher gestattete des Atlantischen Meers, sowie der Handelsverkehr mit den Untertanen Karthagos in Sardinien und Afrika, endlich wahrscheinlich auch die Festsetzung auf Korsika ^8 untersagt, sodass nur das karthagische Sizilien und Karthago selbst ihrem Handel geoeffnet blieben. Man erkennt hier die mit der Ausdehnung der roemischen Kuestenherrschaft steigende Eifersucht der herrschenden Seemacht: sie zwang die Roemer, sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen, sich von den Produktionsplaetzen im Okzident und im Orient ausschliessen zu lassen - in diesen Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der oeffentlichen Belohnung des phoenikischen Schiffers, der ein in den Atlantischen Ozean ihm nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit Aufopferung seines eigenen auf eine Sandbank gefuehrt hatte - und ihre Schiffahrt auf den engen Raum des westlichen Mittelmeers vertragsmaessig zu beschraenken, um nur ihre Kueste nicht der Pluenderung preiszugeben und die alte und wichtige Handelsverbindung mit Sizilien zu sichern. Die Roemer mussten sich fuegen; aber sie liessen nicht ab von den Bemuehungen, ihr Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine durchgreifende Massregel in diesem Sinne war die Einsetzung der vier Flottenquaestoren (quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen der erste in Ostia, dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der zweite von Cales, damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus die kampanischen und grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus die transapenninischen Haefen zu beaufsichtigen hatte; der Bezirk des vierten ist nicht bekannt. Diese neuen staendigen Beamten waren zwar nicht allein, aber doch mitbestimmt, die Kuesten zu ueberwachen und zum Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden. Die Absicht des roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See wiederzugewinnen und teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden, teils den von Epeiros kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils sich von der karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich zutage. Das schon eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des letzten italischen Krieges weist davon die Spuren auf. Zwar zwang Koenig Pyrrhos die beiden grossen Staedte noch einmal - es war das letzte Mal - zum Abschluss einer Offensivallianz; allein die Lauigkeit und Treulosigkeit dieses Buendnisses, die Versuche der Karthager, sich in Rhegion und Tarent festzusetzen, die sofortige Besetzung Brundisiums durch die Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen deutlich, wie sehr die beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen.

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^7 Diese Angabe ist ebenso bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari Antiati populo est) wie an sich glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht bloss von Kolonisten, sondern auch noch von der ehemaligen, in der Feindschaft gegen Rom aufgenaehrten Buergerschaft bewohnt. Damit im Widerspruch stehen freilich die griechischen Berichte, dass Alexander der Grosse († 431 323) und Demetrios der Belagerer († 471 283) in Rom ueber antiatische Seeraeuber Beschwerde gefuehrt haben sollen. Der erste aber ist mit dem ueber die roemische Gesandtschaft nach Babylon gleichen Schlages und vielleicht gleicher Quelle. Demetrios dem Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er die Piraterie im Tyrrhenischen Meer, das er nie mit Augen gesehen hat, durch Verordnung abschaffte, und undenkbar ist es gerade nicht, dass die Antiaten auch als roemische Buerger ihr altes Gewerbe noch trotz des Verbots unter der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben; viel wird indes auch auf die zweite Erzaehlung nicht zu geben sein.

^8 Nach Servius (Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen Vertraegen bestimmt, es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager roemischen Boden betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen beiden neutral bleiben (ut neque Romani ad litora Carthaginiensium accederent neque Carthaginienses ad litora Romanorum - Corsica esset media inter Romanos et Carthaginienses). Das scheint hierher zu gehoeren und die Kolonisierung von Korsika eben durch diesen Vertrag verhindert worden zu sein.

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Begreiflicherweise suchte Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen Seestaaten zu stuetzen. Mit Massalia bestand das alte enge Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen fort. Das nach Veiis Eroberung von Rom nach Delphi gesandte Weihgeschenk ward daselbst in dem Schatzhaus der Massalioten aufbewahrt. Nach der Einnahme Roms durch die Kelten ward in Massalia fuer die Abgebrannten gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging; zur Vergeltung gewaehrte dann der roemische Senat den massaliotischen Kaufleuten Handelsbeguenstigungen und raeumte bei der Feier der Spiele auf dem Markt neben der Senatorentribuene den Massalioten einen Ehrenplatz (graecostasis) ein. Eben dahin gehoeren die um das Jahr 448 (306) mit Rhodos und nicht lange nachher mit Apollonia, einer ansehnlichen Kaufstadt an der epeirotischen Kueste, von den Roemern abgeschlossenen Handels- und Freundschaftsvertraege und vor allem die fuer Karthago sehr bedenkliche Annaeherung, welche unmittelbar nach dem Ende des Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und Syrakus stattfand.

Wenn also die roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung der Landmacht auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die eigene Kriegsmarine der Roemer keineswegs war, was sie nach der geographischen und kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen, so fing doch auch sie an, allmaehlich sich aus der voelligen Nichtigkeit, zu welcher sie um das Jahr 400 (354) herabgesunken war, wieder emporzuarbeiten; und bei den grossen Hilfsquellen Italiens mochten wohl die Phoeniker mit besorgten Blicken diese Bestrebungen verfolgen.

Die Krise ueber die Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte heran; zu Lande war der Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien unter der Herrschaft der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt. Welche politische Befugnisse dabei die roemische Gemeinde den saemtlichen uebrigen italischen entzog und in ihren alleinigen Besitz nahm, das heisst, welcher staatsrechtliche Begriff mit dieser Herrschaft Roms zu verbinden ist, wird nirgends ausdruecklich gesagt, und es mangelt selbst, in bezeichnender und klug berechneter Weise, fuer diesen Begriff an einem allgemeingueltigen Ausdruck ^9. Nachweislich gehoerten dazu nur das Kriegs- und Vertrags- und das Muenzrecht, so dass keine italische Gemeinde einem auswaertigen Staat Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur verhandeln und kein Courantgeld schlagen durfte, dagegen jede von der roemischen Gemeinde erlassene Kriegserklaerung und jeder von ihr abgeschlossene Staatsvertrag von Rechtswegen alle uebrigen italischen Gemeinden mit band und das roemische Silbergeld in ganz Italien gesetzlich gangbar ward; und es ist wahrscheinlich, dass die formulierten Befugnisse der fuehrenden Gemeinde sich nicht weiter erstreckten. Indes notwendig knuepften hieran tatsaechlich viel weitergehende Herrschaftsrechte sich an.

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^9 Die Klausel, dass das abhaengige Volk sich verpflichtet, “die Hoheit des roemischen freundlich gelten zu lassen” (maiestatem populi Romani comiter conservare), ist allerdings die technische Bezeichnung dieser mildesten Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend spaeterer Zeit aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die privatrechtliche Bezeichnung der Klientel, so treffend sie eben in ihrer Unbestimmtheit das Verhaeltnis bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1), ist schwerlich in aelterer Zeit offiziell auf dasselbe angewendet worden.

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Im einzelnen war das Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der fuehrenden Gemeinde standen, ein hoechst ungleiches, und es sind in dieser Hinsicht, ausser der roemischen Vollbuergerschaft, drei verschiedene Klassen von Untertanen zu unterscheiden. jene selbst vor allem ward so weit ausgedehnt, als es irgend moeglich war, ohne den Begriff eines staedtischen Gemeinwesens fuer die roemische Kommune voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet war bis dahin hauptsaechlich durch Einzelassignation in der Weise erweitert worden, dass das suedliche Etrurien bis gegen Caere und Falerii, die den Hernikern entrissenen Strecken am Sacco und am Anio, der groesste Teil der sabinischen Landschaft und grosse Striche der ehemals volskischen, besonders die pomptinische Ebene in roemisches Bauernland umgewandelt und meistenteils fuer deren Bewohner neue Buergerbezirke eingerichtet waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von Capua abgetretenen Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle diese ausserhalb Rom domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen Gemeinwesens und eigener Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet entstanden hoechstens Marktflecken (fora et conciliabula). In nicht viel anderer Lage befanden sich die nach den oben erwaehnten sogenannten Seekolonien entsandten Buerger, denen gleichfalls das roemische Vollbuergerrecht verblieb und deren Selbstverwaltung wenig bedeutete. Gegen den Schluss dieser Periode scheint die roemische Gemeinde damit begonnen zu haben, den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher oder nah verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren; welches wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso vermutlich auch fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im eigentlichen Latium, dann am Ausgang dieser Periode (486 268) auf die sabinischen Staedte erstreckt ward, die ohne Zweifel damals schon wesentlich latinisiert waren und in dem letzten schweren Krieg ihre Treue genuegend bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die nach ihrer frueheren Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte Selbstverwaltung auch nach ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband; mehr aus ihnen als aus den Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen Vollbuergerschaft bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der Zeit die roemische Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die roemische Vollbuergerschaft am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis in die Naehe von Caere, oestlich bis an den Apennin, suedlich bis nach Tarracina erstreckt haben, obwohl freilich von einer eigentlichen Grenze hier nicht die Rede sein kann und teils eine Anzahl Bundesstaedte latinischen Rechts, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba, Circeii, sich innerhalb dieser Grenzen befanden, teils ausserhalb derselben die Bewohner von Minturnae, Sinuessa, des falernischen Gebiets, der Stadt Sena Gallica und anderer Ortschaften mehr, ebenfalls volles Buergerrecht besassen und roemische Bauernfamilien vereinzelt oder in Doerfern vereinigt vermutlich schon jetzt durch ganz Italien zerstreut sich fanden.

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^10 Dass Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so auch zuerst dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich wahrscheinlich, und vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung die Stadt von Cicero (Mut. 8, 19) municipium antiquissimum genannt.

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Unter den untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine suffragio), abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in Rechten und Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward durch die Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom roemischen Praetor erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel die bisherigen Ordnungen wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht sprach fuer sie der roemische Praetor oder dessen jaehrlich in die einzelnen Gemeinden entsandte “Stellvertreter” (praefecti). Den besser gestellten von ihnen, wie zum Beispiel der Stadt Capua, blieb die Selbstverwaltung und damit der Fortgebrauch der Landessprache und die eigenen Beamten, welche die Aushebung und die Schatzung besorgten. Den Gemeinden schlechteren Rechts, wie zum Beispiel Caere, wurde auch die eigene Verwaltung genommen, und es war dies ohne Zweifel die drueckendste unter den verschiedenen Formen der Untertaenigkeit. Indes zeigt sich, wie oben bemerkt ward, am Ende dieser Periode bereits das Bestreben, diese Gemeinden, wenigstens soweit sie faktisch latinisiert waren, der Vollbuergerschaft einzuverleiben.

Die bevorzugteste und wichtigste Klasse unter den untertaenigen Gemeinden war die der latinischen Staedte, welche an den von Rom inner- und selbst schon ausserhalb Italien gegruendeten autonomen Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien ebenso zahlreichen als ansehnlichen Zuwachs erhielt und stetig durch neue Gruendungen dieser Art sich vermehrte. Diese neuen Stadtgemeinden roemischen Ursprungs, aber latinischen Rechts wurden immer mehr die eigentlichen Stuetzen der roemischen Herrschaft ueber Italien. Es waren dies nicht mehr diejenigen Latiner, mit denen am Regiller See und bei Trifanum gestritten worden war - nicht jene alten Glieder des albischen Bundes, welche der Gemeinde Rom von Haus aus sich gleich, wo nicht besser achteten und welche, wie die gegen Praeneste zu Anfang des Pyrrhischen Krieges verfuegten furchtbar strengen Sicherheitsmassregeln und die nachweislich lange noch fortzuckenden Reibungen namentlich mit den Praenestinern beweisen, die roemische Herrschaft als schweres Joch empfanden. Dies alte Latium war wesentlich entweder unter oder in Rom aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und mit Ausnahme von Praeneste und Tibur durchgaengig unbedeutende politisch selbstaendige Gemeinden. Das Latium der spaeteren republikanischen Zeit bestand vielmehr fast ausschliesslich aus Gemeinden, die von Anbeginn an in Rom ihre Haupt- und Mutterstadt verehrt hatten, die inmitten fremdsprachiger und anders gearteter Landschaften durch Sprach-, Rechts- und Sittengemeinschaft an Rom geknuepft waren, die als kleine Tyrannen der umliegenden Distrikte ihrer eigenen Existenz wegen wohl an Rom halten mussten wie die Vorposten an der Hauptarmee, die endlich, infolge der steigenden materiellen Vorteile des roemischen Buergertums, aus ihrer wenngleich beschraenkten Rechtsgleichheit mit den Roemern immer noch einen sehr ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum Beispiel ein Teil der roemischen Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu werden pflegte und die Beteiligung an den Verpachtungen und Verdingungen des Staats ihnen wie dem roemischen Buerger offenstand. Voellig blieben allerdings auch hier die Konsequenzen der ihnen gewaehrten Selbstaendigkeit nicht aus. Venusinische Inschriften aus der Zeit der roemischen Republik und kuerzlich zum Vorschein gekommene beneventanische ^11 lehren, dass Venusia so gut wie Rom seine Plebs und seine Volkstribune gehabt und dass die Oberbeamten von Benevent wenigstens um die Zeit des Hannibalischen Krieges den Konsultitel gefuehrt haben. Beide Gemeinden gehoeren zu den juengsten unter den latinischen Kolonien aelteren Rechts; man sieht, welche Ansprueche um die Mitte des fuenften Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch diese sogenannten Latiner, hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft und in jeder Beziehung sich ihr gleich fuehlend, fingen schon an, ihr untergeordnetes Bundesrecht unwillig zu empfinden und nach voller Gleichberechtigung zu streben. Deswegen war denn der Senat bemueht, diese latinischen Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom waren, doch nach Moeglichkeit in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken und ihre bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit umzuwandeln, als dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den nichtlatinischen Gemeinden Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die Aufhebung des Bundes der latinischen Gemeinden selbst sowie ihrer ehemaligen vollstaendigen Gleichberechtigung und der Verlust der wichtigsten denselben zustaendigen politischen Rechte ist schon dargestellt worden; mit der vollendeten Unterwerfung Italiens geschah ein weiterer Schritt und wurde der Anfang dazu gemacht, auch die bisher nicht angetasteten individuellen Rechte des einzelnen latinischen Mannes, vor allem die wichtige Freizuegigkeit, zu beschraenken. Fuer die im Jahre 486 (268) gegruendete Gemeinde Ariminum und ebenso fuer alle spaeter konstituierten autonomen Gemeinden wurde die Bevorzugung vor den uebrigen Untertanen beschraenkt auf die privatrechtliche Gleichstellung ihrer und der roemischen Gemeindebuerger im Handel und Wandel sowie im Erbrecht ^12. Vermutlich um dieselbe Zeit ward die den bisher gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete volle Freizuegigkeit, die Befugnis eines jeden ihrer Buerger, durch Uebersiedelung nach Rom das volle Buergerrecht daselbst zu gewinnen, fuer die spaeter eingerichteten latinischen Pflanzstaedte beschraenkt auf diejenigen Personen, welche in ihrer Heimat zu dem hoechsten Gemeindeamt gelangt waren; nur diesen blieb es gestattet, ihr koloniales Buergerrecht mit dem roemischen zu vertauschen. Es erscheint hier deutlich die vollstaendige Umaenderung der Stellung Roms. Solange Rom noch, wenn auch die erste, doch nur eine der vielen italischen Stadtgemeinden war, wurde der Eintritt selbst in das unbeschraenkte roemische Buergerrecht durchgaengig als ein Gewinn fuer die aufnehmende Gemeinde betrachtet und die Gewinnung dieses Buergerrechts den Nichtbuergern auf alle Weise erleichtert, ja oft als Strafe ihnen auferlegt. Seit aber die roemische Gemeinde allein herrschte und die uebrigen alle ihr dienten, kehrte das Verhaeltnis sich um: die roemische Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht eifersuechtig zu bewahren, und machte darum der alten vollen Freizuegigkeit ein Ende; obwohl die Staatsmaenner dieser Zeit doch einsichtig genug waren, wenigstens den Spitzen und Kapazitaeten der hoechstgestellten Untertanengemeinden den Eintritt in das roemische Buergerrecht gesetzlich offenzuhalten. Auch die Latiner also hatten es zu empfinden, dass Rom, nachdem es hauptsaechlich durch sie sich Italien unterworfen hatte, jetzt ihrer nicht mehr so wie bisher bedurfte.

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^11 V Cervio A. f. cosol dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C. Falcilius L. f. consol dedicavit.

^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den Volaterranern das ehemalige Recht von Ariminum, das heisst, setzt der Redner hinzu, das Recht der “zwoelf Kolonien”, welche nicht die roemische Civitaet, aber volles Commercium mit den Roemern hatten. Ueber wenige Dinge ist soviel verhandelt worden wie ueber die Beziehung dieses Zwoelfstaedterechts; und doch liegt dieselbe nicht fern. Es sind in Italien und im Cisalpinischen Gallien, abgesehen von einigen frueh wieder verschwundenen, im ganzen vierunddreissig latinische Kolonien gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben - Ariminum, Beneventum, Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona, Placentia, Copia, Valentia, Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und da Ariminum von ihnen die aelteste und diejenige ist, fuer welche diese neue Ordnung zunaechst festgesetzt ward - vielleicht zum Teil deswegen mit, weil dies die erste ausserhalb Italien gegruendete roemische Kolonie war -, so heisst das Stadtrecht dieser Kolonien richtig das ariminensische. Damit ist zugleich erwiesen, was schon aus anderen Gruenden die hoechste Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle nach Aquileias Gruendung in Italien (im weiteren Sinn) gestifteten Kolonien zu den Buergerkolonien gehoerten.

Den Umfang der Rechtsschmaelerung der juengeren latinischen Staedte im Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir uebrigens nicht voellig zu bestimmen. Wenn die Ehegemeinschaft, wie es nicht unwahrscheinlich, aber freilich nichts weniger als ausgemacht ist (oben 1, 116; Diod. p. 590, 62. Frg. Vat. p. 130 Dind.), ein Bestandteil der urspruenglichen bundesgenoessischen Rechtsgleichheit war, so ist sie jedenfalls den juengeren nicht mehr zugestanden worden.

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Das Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse, wie zum Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in voellige Gleichstellung mit den latinischen. Andere, bei denen dies nicht der Fall war, wie die von Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten verhaeltnismaessig sehr umfassende Rechte; wieder andere, wie zum Beispiel die tarentinischen und die samnitischen Vertraege, moegen sich der Zwingherrschaft genaehert haben.

Als allgemeine Regel kann wohl angenommen werden, dass nicht bloss die latinische und hernikische, von denen es ueberliefert ist, sondern saemtliche italische Voelkergenossenschaften, namentlich auch die samnitische und die lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur Bedeutungslosigkeit abgeschwaecht wurden und durchschnittlich keiner italischen Gemeinde mit anderen italischen die Verkehrs- oder Ehegemeinschaft oder gar das gemeinsame Beratschlagungs- und Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner wird, wenn auch in verschiedener Weise, dafuer gesorgt worden sein, dass die Wehr- und Steuerkraft der saemtlichen italischen Gemeinden der fuehrenden zur Disposition stand. Wenngleich auch ferner noch die Buergermiliz einer- und die Kontingente “latinischen Namens” anderseits als die wesentlichen und integrierenden Bestandteile des roemischen Heeres angesehen wurden und ihm somit sein nationaler Charakter im ganzen bewahrt blieb, so wurden doch nicht bloss die roemischen Passivbuerger zu demselben mit herangezogen, sondern ohne Zweifel auch die nichtlatinischen foederierten Gemeinden entweder, wie dies mit den griechischen geschah, zur Stellung von Kriegsschiffen verpflichtet, oder, wie dies fuer die apulischen, sabellischen und etruskischen auf einmal oder allmaehlich verordnet worden sein muss, in das Verzeichnis der zuzugpflichtigen Italiker (formula togatorum) eingetragen. Durchgaengig scheint dieser Zuzug eben wie der der latinischen Gemeinden fest normiert worden zu sein, ohne dass doch die fuehrende Gemeinde erforderlichenfalls verhindert gewesen waere, mehr zu fordern. Es lag hierin zugleich eine indirekte Besteuerung, indem jede Gemeinde verpflichtet war, ihr Kontingent selbst auszuruesten und zu besolden. Nicht ohne Absicht wurden darum vorzugsweise die kostspieligsten Kriegsleistungen auf die latinischen oder nichtlatinischen foederierten Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine zum groessten Teil durch die griechischen Staedte instand gehalten und bei dem Rossdienst die Bundesgenossen, spaeterhin wenigstens, in dreifach staerkerem Verhaeltnis als die roemische Buergerschaft angezogen, waehrend im Fussvolk der alte Satz, dass das Bundesgenossenkontingent nicht zahlreicher sein duerfte als das Buergerheer, noch lange Zeit wenigstens als Regel in Kraft blieb.

Das System, nach welchem dieser Bau im einzelnen zusammengefuegt und zusammengehalten ward, laesst aus den wenigen auf uns gekommenen Nachrichten sich nicht mehr feststellen. Selbst das Zahlenverhaeltnis, in welchem die drei Klassen der Untertanenschaft zueinander und zu der Vollbuergerschaft standen, ist nicht mehr auch nur annaehernd zu ermitteln ^13 und ebenso die geographische Verteilung der einzelnen Kategorien ueber Italien nur unvollkommen bekannt. Die bei diesem Bau zugrunde liegenden leitenden Gedanken liegen dagegen so offen vor, dass es kaum noetig ist, sie noch besonders zu entwickeln. Vor allem ward, wie gesagt, der unmittelbare Kreis der herrschenden Gemeinde teils durch Ansiedelung der Vollbuerger, teils durch Verleihung des Passivbuergerrechts soweit ausgedehnt, wie es irgend moeglich war, ohne die roemische Gemeinde, die doch eine staedtische war und bleiben sollte, vollstaendig zu dezentralisieren. Als das Inkorporationssystem bis an und vielleicht schon ueber seine natuerlichen Grenzen ausgedehnt war, mussten die weiter hinzutretenden Gemeinden sich in ein Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen; denn die reine Hegemonie als dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So stellte sich, nicht durch willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern durch das unvermeidliche Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die Klasse der herrschenden Buerger die zweite der Untertanen. Unter den Mitteln der Herrschaft standen in erster Linie natuerlich die Teilung der Beherrschten durch Sprengung der italischen Eidgenossenschaften und Einrichtung einer moeglichst grossen Zahl verhaeltnismaessig geringer Gemeinden, sowie die Abstufung des Druckes der Herrschaft nach den verschiedenen Kategorien der Untertanen. Wie Cato in seinem Hausregiment dahin sah, dass die Sklaven sich miteinander nicht allzu gut vertragen moechten, und absichtlich Zwistigkeiten und Parteiungen unter ihnen naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im grossen; das Mittel war nicht schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung desselben Mittels war es, wenn in jeder abhaengigen Gemeinde die Verfassung nach dem Muster der roemischen umgewandelt und ein Regiment der wohlhabenden und angesehenen Familien eingesetzt ward, welches mit der Menge in einer natuerlichen mehr oder minder lebhaften Opposition stand und durch seine materiellen und kommunalregimentlichen Interessen darauf angewiesen war, auf Rom sich zu stuetzen. Das merkwuerdigste Beispiel in dieser Beziehung gewaehrt die Behandlung von Capua, welches als die einzige italische Stadt, die vielleicht mit Rom zu rivalisieren vermochte, von Haus aus mit argwoehnischer Vorsicht behandelt worden zu sein scheint. Man verlieh dem kampanischen Adel einen privilegierten Gerichtsstand, gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt in jeder Hinsicht eine Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht unbetraechtliche Pensionen - sechzehnhundert je von jaehrlich 450 Stateren (etwa 200 Taler) - auf die kampanische Gemeindekasse an. Diese kampanischen Ritter waren es, deren Nichtbeteiligung an dem grossen latinisch-kampanischen Aufstand 414 (340) zu dessen Scheitern wesentlich beitrug und deren tapfere Schwerter im Jahre 459 (295) bei Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen das kampanische Fussvolk in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen Kriege von Rom abfiel. Einen anderen merkwuerdigen Beleg fuer die roemische Praxis: die staendischen Zwistigkeiten innerhalb der abhaengigen Gemeinden durch Beguenstigung der Aristokratie fuer das roemische Interesse auszubeuten, gibt die Behandlung, die Volsinii im Jahre 489 (265) widerfuhr. Es muessen dort, aehnlich wie in Rom, die Alt- und Neubuerger sich gegenuebergestanden und die letzteren auf gesetzlichem Wege die politische Gleichberechtigung erlangt haben. Infolge dessen wandten die Altbuerger von Volsinii sich an den roemischen Senat mit dem Gesuch um Wiederherstellung der alten Verfassung; was die in der Stadt herrschende Partei begreiflicherweise als Landesverrat betrachtete und die Bittsteller dafuer zur gesetzlichen Strafe zog. Der roemische Senat indes nahm Partei fuer die Altbuerger und liess, da die Stadt sich nicht gutwillig fuegte, durch militaerische Exekution nicht bloss die in anerkannter Wirksamkeit bestehende Gemeindeverfassung von Volsinii vernichten, sondern auch durch die Schleifung der alten Hauptstadt Etruriens das Herrentum Roms den Italikern in einem Exempel von erschreckender Deutlichkeit vor Augen legen.

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^13 Es ist zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht genuegende Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der waffenfaehigen roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf etwa 20000 veranschlagen. Nun ist aber von Albas Fall bis auf die Eroberung von Veii die unmittelbare roemische Mark nicht wesentlich erweitert worden; womit es vollkommen uebereinstimmt, dass von der ersten Einrichtung der einundzwanzigste Bezirk um das Jahr 259 (495) an, worin keine oder doch keine bedeutende Erweiterung der roemischen Grenze lag, bis auf das Jahr 367 (387) neue Buergerbezirke nicht errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Ueberschuss der Geborenen ueber die Gestorbenen, durch Einwanderungen und Freilassungen noch so reichlich in Anschlag bringen, so ist es doch schlechterdings unmoeglich, mit den engen Grenzen eines Gebiets von schwerlich 30 Quadratmeilen die ueberlieferten Zensuszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der waffenfaehigen roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362 (392), wofuer eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr werden diese Zahlen mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf einer Linie stehen und ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete aeltere Zensusliste nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz detaillierten Zahlenangaben sich gefallen und sich verraten.

Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts beginnen die grossen Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle ploetzlich und betraechtlich steigen musste. Es ist glaubwuerdig ueberliefert, wie an sich glaublich, dass um 416 (338) man 165000 roemische Buerger zaehlte, wozu es recht gut stimmt, dass zehn Jahre vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit den grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien zaehlte man im fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem ersten Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige Buerger. Diese Zahlen sind sicher genug, allein aus einem anderen Grunde geschichtlich nicht vollstaendig brauchbar: dabei naemlich sind wahrscheinlich die roemischen Vollbuerger und die nicht, wie die Kampaner, in eigenen Legionen dienenden “Buerger ohne Stimme”, wie zum Beispiel die Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend doch die letzteren faktisch durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen (Roemische Forschungen, Bd. 2, S. 396).

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Aber der roemische Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das einzige Mittel, der Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene Maessigung der Gewalthaber ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden die Autonomie gelassen oder verliehen, die einen Schatten von Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil an Roms militaerischen und politischen Erfolgen und vor allem eine freie Kommunalverfassung in sich schloss - so weit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine Helotengemeinde. Darum verzichtete Rom von vornherein mit einer in der Geschichte vielleicht beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit auf das gefaehrlichste aller Regierungsrechte, auf das Recht, die Untertanen zu besteuern. Hoechstens den abhaengigen keltischen Gauen moegen Tribute auferlegt worden sein; soweit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine zinspflichtige Gemeinde. Darum endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl auf die Untertanen mit, aber doch keineswegs von der herrschenden Buergerschaft abgewaelzt; vielmehr wurde wahrscheinlich die letztere nach Verhaeltnis bei weitem staerker als die Bundesgenossenschaft und in dieser wahrscheinlich wiederum die Gesamtheit der Latiner bei weitem staerker in Anspruch genommen als die nichtlatinischen Bundesgemeinden; so dass es eine gewisse Billigkeit fuer sich hatte, wenn auch von dem Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach ihm die Latinerschaft den besten Teil fuer sich nahmen.

Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der italischen zuzugpflichtigen Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle sich zu bewahren, genuegte die roemische Zentralverwaltung teils durch die vier italischen Quaesturen, teils durch die Ausdehnung der roemischen Zensur ueber die saemtlichen abhaengigen Staedte. Die Flottenquaestoren hatten neben ihrer naechsten Aufgabe auch von den neugewonnenen Domaenen die Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der neuen Bundesgenossen zu kontrollieren; sie waren die ersten roemischen Beamten, denen gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen ward und bildeten zwischen dem roemischen Senat und den italischen Gemeinden die notwendige Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die spaetere Munizipalverfassung zeigt, in jeder italischen ^14 Gemeinde die Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte, jedes vierte oder fuenfte Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu der die Anregung notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den Zweck gehabt haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat den Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens zu bewahren.

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^14 Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die sogenannte Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen Gemeinden vor, deren Verfassung nicht nach dem latinischen Schema konstituiert ist.

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Mit dieser militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits des Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von Rhegion wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen eines neuen, ihnen allen gemeinsamen Namens zusammen, der “Maenner der Toga”, was die aelteste staatsrechtliche roemische, oder der Italiker, was die urspruenglich bei den Griechen gebraeuchliche und sodann allgemein gangbar gewordene Bezeichnung ist. Die verschiedenen Nationen, welche diese Landschaften bewohnten, moegen wohl zuerst sich als eine Einheit gefuehlt und zusammengefunden haben teils in dem Gegensatz gegen die Hellenen, teils und vor allem in der gemeinschaftlichen Abwehr der Kelten; denn mochte auch einmal eine italische Gemeinde mit diesen gegen Rom gemeinschaftliche Sache machen und die Gelegenheit nutzen, um die Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so brach doch auf die Laenge das gesunde Nationalgefuehl notwendig sich Bahn. Wie der “gallische Acker” bis in spaete Zeit als der rechtliche Gegensatz des italischen erscheint, so sind auch die “Maenner der Toga” also genannt worden im Gegensatz zu den keltischen “Hosenmaennern” (bracati); und wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung des italischen Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen Einfaelle sowohl als Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle gespielt. Indem die Roemer teils in dem grossen Nationalkampf an die Spitze traten, teils die Etrusker, Latiner, Sabeller, Apuler und Hellenen innerhalb der sogleich zu bezeichnenden Grenzen gleichmaessig noetigten, unter ihren Fahnen zu fechten, erhielt die bis dahin schwankende und mehr innerliche Einheit geschlossene und staatsrechtliche Festigkeit und ging der Name Italia, der urspruenglich und noch bei den griechischen Schriftstellern des fuenften Jahrhunderts, zum Beispiel bei Aristoteles, nur dem heutigen Kalabrien eignet, ueber auf das gesamte Land der Togatraeger. Die aeltesten Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten Wehrgenossenschaft oder des neuen Italien reichen am westlichen Litoral bis in die Gegend von Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis an den Aesis oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden, von Italikern kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum jenseits des Apennin, Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie Ariminum, Glieder der Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische Buergergemeinden waren, doch als geographisch ausserhalb Italien gelegen. Noch weniger konnten die keltischen Gaue des Apennin, wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne derselben in der Klientel von Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt werden. Das neue Italien war also eine politische Einheit geworden; es war aber auch im Zuge, eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende latinische Nationalitaet die Sabiner und Volsker sich assimiliert und einzelne latinische Gemeinden ueber ganz Italien verstreut; es war nur die Entwicklung dieser Keime, dass spaeter einem jeden zur Tragung des latinischen Rockes Befugten auch die latinische Sprache Muttersprache war. Dass aber die Roemer schon jetzt dieses Ziel deutlich erkannten, zeigt die uebliche Erstreckung des latinischen Namens auf die ganze zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft ^16. Was immer von diesem grossartigen politischen Bau sich noch erkennen laesst, daraus spricht der hohe politische Verstand seiner namenlosen Baumeister; und die ungemeine Festigkeit, welche diese aus so vielen und so verschiedenartigen Bestandteilen zusammengefuegte Konfoederation spaeterhin unter den schwersten Stoessen bewaehrt hat, drueckte ihrem grossen Werke das Siegel des Erfolges auf. Seitdem die Faeden dieses so fein wie fest um ganz Italien geschlungenen Netzes in den Haenden der roemischen Gemeinde zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und trat anstatt Tarents, Lucaniens und anderer durch die letzten Kriege aus der Reihe der politischen Maechte geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in das System der Staaten des Mittelmeers ein. Gleichsam die offizielle Anerkennung seiner neuen Stellung empfing Rom durch die beiden feierlichen Gesandtschaften, die im Jahre 481 (273) von Alexandreia nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia gingen, und wenn sie auch zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch ohne Zweifel schon eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit der aegyptischen Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen um Sizilien ringen sollte, so stritt Makedonien mit jener um den bestimmenden Einfluss in Griechenland, mit dieser demnaechst um die Herrschaft der adriatischen Kuesten; es konnte nicht fehlen, dass die neuen Kaempfe, die allerorts sich vorbereiteten, ineinander eingriffen und dass Rom als Herrin Italiens in den weiten Kreis hineingezogen ward, den des grossen Alexanders Siege und Entwuerfe seinen Nachfolgern zum Tummelplatz abgesteckt hatten.

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^15 Diese aelteste Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen Ortschaften ad fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der Strasse nach Florenz, die zweite an der Kueste unweit Livorno lag. Etwas weiter suedlich von dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada noch jetzt fiume della fine, valle della fine (Targioni Tozzetti, Viaggi. Bd. 4, S. 430).

^16 Im genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich nicht. Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem Ackergesetz von 643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve nominisve Latini quibus ex formula togatorum [milites in terra Italia imperare solent]; ebenso wird daselbst Zeile 29 vom Latinus der peregrinus unterschieden und heisst es im Senatsbeschluss ueber die Bacchanalien von 568 (186): ne quis ceivis Romanus neve nominis Latini neve socium quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird von diesen drei Gliedern sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen und neben den Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii gedacht (W. Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied in der Bedeutung waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii Italici (Sall. Iug. 40), so korrekt sie an sich ist, ist dem offiziellen Sprachgebrauch fremd, der wohl ein Italia, aber nicht Italici kennt.

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