KAPITEL VIII. Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalität

In der Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb der roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle Neuerung die eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst und in untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die einzelnen Buerger auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des Beamten zu suchen, wegen Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae) zu erkennen. Bei allen Bussen von mehr als zwei Schafen und 30 Rindern, oder, nachdem durch Gemeindebeschluss vom Jahre 324 (430) die Viehbussen in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als 3020 Libralassen (218 Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die Entscheidung im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt damit das Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes Gewicht. Unter den vagen Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich alles, was man wollte, bringen und durch die hoeheren Stufen der Vermoegensbussen alles, was man wollte, erreichen; es war eine Milderung, die die Bedenklichkeit dieses arbitraeren Verfahrens weit mehr offenbart als beseitigt, dass diese Vermoegensbussen, wo sie nicht gesetzlich auf eine bestimmte Summe festgestellt waren, die Haelfte des dem Gebuessten gehoerigen Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen Kreis gehoeren schon die Polizeigesetze, an denen die roemische Gemeinde seit aeltester Zeit ueberreich war: die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche die Salbung der Leiche durch gedungene Leute, die Mitgabe von mehr als einem Pfuhl und mehr als drei purpurbesetzten Decken sowie von Gold und flatternden Kraenzen, die Verwendung von bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die Raeucherungen und Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein untersagten, die Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens zehn beschraenkten und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten - gewissermassen das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus den staendischen Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher sowohl wie gegen Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige Aneignung von okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese und aehnliche Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und oft auch das Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine Befugnis eines jeden mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen Ordnungswidrigkeit eine Busse zu erkennen und, wenn diese das Provokationsmass erreichte und der Gebuesste sich nicht in die Strafe fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im Laufe des fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen Lebenswandels sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher, Zauberei und aehnlicher Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In innerlicher Verwandtschaft hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit aufkommende Quasijurisdiktion der Zensoren, welche ihre Befugnis, das roemische Budget und die Buergerlisten festzustellen, benutzten, teils um von sich aus Luxussteuern aufzulegen, welche von den Luxusstrafen nur der Form nach sich unterschieden, teils besonders um auf die Anzeige anstoessiger Handlungen hin dem tadelhaften Buerger die politischen Ehrenrechte zu schmaelern oder zu entziehen. Wie weit schon jetzt diese Bevormundung ging, zeigt, dass solche Strafen wegen nachlaessiger Bestellung des eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass ein Mann wie Publius Cornelius Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von den Zensoren des Jahres 479 (275) aus dem Ratsherrenverzeichnis gestrichen ward, weil er silbernes Tafelgeraet zum Werte von 3360 Sesterzen (240 Taler) besass. Allerdings hatten nach der allgemein fuer Beamtenverordnungen gueltigen Regel die Verfuegungen der Zensoren nur fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst durchgaengig fuer die naechsten fuenf Jahre rechtliche Kraft, und konnten von den naechsten Zensoren nach Gefallen erneuert oder nicht erneuert werden; aber nichtsdestoweniger war diese zensorische Befugnis von einer so ungeheuren Bedeutung, dass infolge dessen die Zensur aus einem Unteramt an Rang und Ansehen von allen roemischen Gemeindeaemtern das erste ward. Das Senatsregiment ruhte wesentlich auf dieser doppelten, mit ebenso ausgedehnter wie arbitraerer Machtvollkommenheit versehenen Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der Gemeindebeamten. Dieselbe hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel genuetzt und viel geschadet, und es soll dem nicht widersprochen werden, der den Schaden fuer ueberwiegend haelt; nur darf es nicht vergessen werden, dass bei der allerdings aeusserlichen, aber straffen und energischen Sittlichkeit und dem gewaltig angefachten Buergersinn, welche diese Zeit recht eigentlich bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch doch von diesen Institutionen fern blieb und, wenn die individuelle Freiheit hauptsaechlich durch sie niedergehalten worden ist, auch die gewaltige und oft gewaltsame Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der guten alten Ordnung und Sitte in der roemischen Gemeinde eben auf diesen Institutionen beruhen.

Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung zwar langsam, aber dennoch deutlich genug eine humanisierende und modernisierende Tendenz sich geltend. Die meisten Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche mit dem Solonischen Gesetz uebereinkommen und deshalb mit Grund fuer materielle Neuerungen gehalten werden duerfen, tragen diesen Stempel; so die Sicherung des freien Assoziationsrechts und der Autonomie der also entstandenen Vereine; die Vorschrift ueber die Grenzstreifen, die dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der Strafe des Diebstahls, indem der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich fortan durch Leistung des doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen konnte. Das Schuldrecht ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein Jahrhundert nachher, durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie Bestimmung ueber das Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach aeltestem roemischen Recht zugestanden hatte, aber fuer den Todesfall bisher geknuepft gewesen war an die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser Schranke befreit, indem das Zwoelftafelgesetz oder dessen Interpretation dem Privattestament dieselbe Kraft beilegte, welche dem von den Kurien bestaetigten zukam; es war dies ein wichtiger Schritt zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur voelligen Durchfuehrung der Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar absolute vaeterliche Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift, dass der dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurueckfallen, sondern fortan frei sein solle; woran bald durch eine - streng genommen freilich widersinnige - Rechtsdeduktion die Moeglichkeit angeknuepft ward, dass sich der Vater freiwillig der Herrschaft ueber den Sohn begebe durch Emanzipation. Im Eherecht wurde die Zivilehe gestattet; und wenn auch mit der rechten buergerlichen ebenso notwendig wie mit der rechten religioesen die volle eheherrliche Gewalt verknuepft war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche Gewalt geschlossenen Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur Lockerung der Vollgewalt des Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen Noetigung zum ehelichen Leben ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium), mit deren Einfuehrung Camillus als Zensor im Jahre 351 (403) seine oeffentliche Laufbahn begann.

Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung. Vor allen Dingen gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der oberrichterlichen Gewalt durch die gesetzliche Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung des Beamten, fortan nicht mehr nach dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem geschriebenen Buchstaben im Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden (303, 304 451, 450). Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege taetigen roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in Rom erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden nachgeahmte Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die Schnelligkeit und Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den Aedilen kam natuerlich zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern sie teils fuer die auf offenem Markt abgeschlossenen Verkaeufe, also namentlich fuer die Vieh- und Sklavenmaerkte die ordentlichen Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es waren, welche in dem Buss- und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder, was nach roemischem Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten. Infolgedessen lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das ebenso unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in ihrer Hand. Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die geringen Leute gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289) ernannten drei Nacht- oder Blutherren (tres viri nocturni oder capitales) zu: sie wurden mit der naechtlichen Feuer- und Sicherheitspolizei und mit der Aufsicht ueber die Hinrichtungen beauftragt, woran sich sehr bald, vielleicht schon von Haus aus eine gewisse summarische Gerichtsbarkeit geknuepft hat ^1. Mit der steigenden Ausdehnung der roemischen Gemeinde wurde es endlich, teils mit Ruecksicht auf die Gerichtspflichtigen, notwendig in den entfernteren Ortschaften eigene, wenigstens fuer die geringeren Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen, was fuer die Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf die entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten Anfaenge einer neben der eigentlich roemischen sich entwickelnden roemisch-munizipalen Jurisdiktion.

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^1 Die frueher aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits der aeltesten Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten Staatsordnung Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische Chronologie bis auf Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12). Wahrscheinlich ist die gut beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465 (289) ernannt wurden (Liv. ep. 11), einfach festzuhalten und die auch sonst bedenkliche Deduktion des Faelschers Licinius Macer (bei Liv. 7, 46), welche ihrer vor 450 (304) Erwaehnung tut, einfach zu verwerfen. Anfaenglich wurden ohne Zweifel, wie dies bei den meisten der spaeteren magistratus minores der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den Oberbeamten ernannt; das papirische Plebiszit, das die Ernennung derselben auf die Gemeinde uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.), ist auf jeden Fall, da es den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit, erst nach Einsetzung der Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts erlassen.

^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der Kolonie Antium zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist an sich klar, dass wenn man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte, seine Rechtshaendel alle in Rom abzumachen, dies fuer Ortschaften wie Antium und Sena sich nicht durchfuehren liess.

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In dem Zivilverfahren, welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die meisten gegen Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon frueher uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der Rechtsfrage vor dem Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom Magistrat ernannten Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des Koenigtums gesetzliche Vorschrift; und dieser Trennung hat das roemische Privatrecht seine logische und praktische Schaerfe und Bestimmtheit wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde die bisher der unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung ueber den Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und neben dem Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die Magistratsgewalt einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im Kriminalverfahren wurde das Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur rechtlich gesicherten Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach Verhoerung (quaestio) von dem Beamten verurteilt und berief sich auf die Buergerschaft, so schritt der Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhoer (anquisitio), und wenn er nach dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde seinen Spruch wiederholt hatte, wurde im vierten Termin das Urteil von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen. Milderung war nicht gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen die Saetze, dass das Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des Hauses eine Verhaftung stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft zu vermeiden und es jedem angeklagten und noch nicht verurteilten Buerger zu gestatten sei, durch Verzicht auf sein Buergerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie nicht das Vermoegen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen - Saetze, die allerdings keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den anklagenden Beamten also nicht rechtlich banden, aber doch durch ihren moralischen Druck namentlich fuer die Beschraenkung der Todesstrafe von dem groessten Einfluss gewesen sind. Indes wenn das roemische Kriminalrecht fuer den starken Buergersinn wie fuer die steigende Humanitaet dieser Epoche ein merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so litt es dagegen praktisch namentlich unter den hier besonders schaedlich nachwirkenden staendischen Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene konkurrierende Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen Gemeindebeamten war die Ursache, dass es in dem roemischen Kriminalverfahren eine feste Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte Voruntersuchung fortan nicht mehr gab; und indem das Kriminalurteil letzter Instanz in den Formen und von den Organen der Gesetzgebung gefunden ward, auch seinen Ursprung aus dem Gnadenverfahren niemals verleugnete, ueberdies noch die Behandlung der polizeilichen Bussen auf das aeusserlich sehr aehnliche Kriminalverfahren nachteilig zurueckwirkte, wurde nicht etwa missbraeuchlich, sondern gewissermassen verfassungsmaessig die Entscheidung in den Kriminalsachen nicht nach festem Gesetz, sondern nach dem willkuerlichen Belieben der Richter gefaellt. Auf diesem Wege ward das roemische Kriminalverfahren vollstaendig grundsatzlos und zum Spielball und Werkzeug der politischen Parteien herabgewuerdigt; was um so weniger entschuldigt werden kann, als dies Verfahren zwar vorzugsweise fuer eigentliche politische Verbrechen, aber doch auch fuer andere, zum Beispiel fuer Mord und Brandstiftung zur Anwendung kam. Dazu kam die Schwerfaelligkeit jenes Verfahrens, welche im Verein mit der republikanisch hochmuetigen Verachtung des Nichtbuergers es verschuldet hat, dass man sich immer mehr gewoehnte, ein summarisches Kriminal- oder vielmehr Polizeiverfahren gegen Sklaven und geringe Leute neben jenem foermlichen zu dulden. Auch hier ueberschritt der leidenschaftliche Streit um die politischen Prozesse die natuerlichen Grenzen und fuehrte Institutionen herbei, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Roemer allmaehlich der Idee einer festen sittlichen Rechtsordnung zu entwoehnen.

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^3 Man pflegt die Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen; vermutlich besonders, um sich die Scham zu ersparen ueber die Nichtswuerdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das beispiellos schwankende und unentwickelte roemische Kriminalrecht koennte von der Unhaltbarkeit dieser unklaren Vorstellungen auch diejenigen ueberzeugen, denen der Satz zu einfach scheinen moechte, dass ein gesundes Volk ein gesundes Recht hat und ein krankes ein krankes. Abgesehen von allgemeineren staatlichen Verhaeltnissen, von welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor allem abhaengt, liegen die Ursachen der Trefflichkeit des roemischen Zivilrechts hauptsaechlich in zwei Dingen: einmal darin, dass der Klaeger und der Beklagte gezwungen wurden, vor allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in bindender Weise zu motivieren und zu formulieren; zweitens darin, dass man fuer die gesetzliche Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ bestellte und dies an die Praxis unmittelbar anknuepfte. Mit jenem schnitten die Roemer die advokatische Rabulisterei, mit diesem die unfaehige Gesetzmacherei ab, soweit sich dergleichen abschneiden laesst, und mit beiden zusammen genuegten sie, soweit es moeglich ist, den zwei entgegenstehenden Forderungen, dass das Recht stets fest und dass es stets zeitgemaess sein soll.

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Weniger sind wir imstande, die Weiterbildung der roemischen Religionsvorstellungen in dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen hielt man einfach fest an der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den Aber- wie den Unglauben in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee der Vergeistigung alles Irdischen, auf der die roemische Religion beruhte, noch am Ende dieser Epoche war, beweist der vermutlich doch erst infolge der Einfuehrung des Silbercourants im Jahre 485 (269) neu entstandene Gott “Silberich” (Argentinus), der natuerlicherweise des aelteren Gottes “Kupferich” (Aesculanus) Sohn war.

Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie frueher; aber auch hier und hier vor allem ist der hellenische Einfluss im Steigen. Erst jetzt beginnen den hellenischen Goettern in Rom selber sich Tempel zu erheben. Der aelteste war der Tempel der Kastoren, welcher in der Schlacht am Regillischen See gelobt und am 15. Juli 269 (485) eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich knuepft, dass zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar nach der Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen Markt am Quell der Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend gesehen worden seien, traegt ein durchaus unroemisches Gepraege und ist ohne allen Zweifel der bis in die Einzelheiten gleichartigen Epiphanie der Dioskuren in der beruehmten, etwa ein Jahrhundert vorher zwischen den Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras geschlagenen Schlacht in sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische Apoll wird nicht bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem Einfluss griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach besonderen Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute (360 394) beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt gebaut (323 431, erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende dieser Periode fuer die Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter Weise mit der alten roemischen Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4, und fuer den von Epidauros im Peloponnes erbetenen und feierlich nach Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463 291). Einzeln wird in schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das Eindringen auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so 326 428); wo aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen zu tun.

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^4 In der spaeteren Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl zuerst bei der Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv. 10, 31; W. A. Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1]. Leipzig 1843, S. 472).

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In Etrurien dagegen wird, waehrend die Nation in politischer Nichtigkeit und traeger Opulenz stockte und verdarb, das theologische Monopol des Adels, der stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und sinnlose Mystik, die Zeichendeuterei und das Bettelprophetenwesen sich allmaehlich zu jener Hoehe entwickelt haben, auf der wir sie spaeter dort finden.

In dem Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende Veraenderungen nicht ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die zur Bestreitung der Kosten des oeffentlichen Gottesdienstes angewiesenen Prozessbussen um das Jahr 465 (289) verfuegt wurde, deutet auf das Steigen des sakralen Staatsbudgets, wie es die vermehrte Zahl der Staatsgoetter und Tempel mit Notwendigkeit mit sich brachte. Unter den ueblen Folgen des Staendehaders ist es schon angefuehrt worden, dass man den Kollegien der Sachverstaendigen einen unstatthaften Einfluss einzuraeumen begann und sich ihrer bediente, um politische Akte zu kassieren, wodurch teils der Glaube im Volke erschuettert, teils den Pfaffen ein sehr schaedlicher Einfluss auf die oeffentlichen Geschaefte zugestanden ward.

Im Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein. Die uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen auf der Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel zu Pferde fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht haben mag, war in der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die altdorische Hoplitenphalanx von wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe ersetzt worden, welche fortan das Schwergewicht des Kampfes uebernahm, waehrend die Reiter auf die Fluegel gestellt und, je nach den Umstaenden zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich als Reserve verwandt wurden. Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr gleichzeitig in Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die Manipularordnung, jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch Aufloesung und Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die Teilung der alten legio von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die alte dorische Phalanx hatte durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert und vor allem dem Spiess beruht und den Wurfwaffen nur eine beilaeufige und untergeordnete Stellung im Treffen eingeraeumt. In der Manipularlegion wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen beschraenkt und den beiden ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich italische Wurfwaffe gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes viereckiges oder rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner Spitze, das vielleicht urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle erfunden worden war, aber bald von dem letzten auf die ersten Glieder ueberging und von dem vorrueckenden Gliede auf eine Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten in die feindlichen Reihen geworfen ward. Zugleich gewann das Schwert eine bei weitem groessere Bedeutung als das kurze Messer der Phalangiten hatte haben koennen; denn die Wurfspeersalve war zunaechst nur bestimmt, dem Angriff mit dem Schwert die Bahn zu brechen. Wenn ferner die Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige Lanze, auf einmal auf den Feind geworfen werden musste, so wurden in der neuen italischen Legion die kleineren, im Phalangensystem wohl auch vorhandenen, aber in der Schlachtordnung unaufloeslich fest verknuepften Einheiten taktisch voneinander gesondert. Das geschlossene Quadrat teilte sich nicht bloss, wie gesagt, in zwei gleich starke Haelften, sondern jede von diesen trat weiter in der Tiefrichtung auseinander in drei Treffen, das der Hastaten, das der Principes und das der Triarier, von ermaessigter, wahrscheinlich in der Regel nur vier Glieder betragender Tiefe und loeste in der Frontrichtung sich auf in je zehn Haufen (manipuli), so dass zwischen je zwei Treffen und je zwei Haufen ein merklicher Zwischenraum blieb. Es war nur eine Fortsetzung derselben Individualisierung, wenn der Gesamtkampf auch der verkleinerten taktischen Einheit zurueck- und der Einzelkampf in den Vordergrund trat, wie dies aus der schon erwaehnten entscheidenden Rolle des Handgemenges und Schwertgefechtes deutlich hervorgeht. Eigentuemlich entwickelte sich auch das System der Lagerverschanzung; der Platz, wo der Heerhaufe wenn auch nur fuer eine einzige Nacht sein Lager nahm, ward ohne Ausnahme mit einer regelmaessigen Umwallung versehen und gleichsam in eine Festung umgeschaffen. Wenig aenderte sich dagegen in der Reiterei, die auch in der Manipularlegion die sekundaere Rolle behielt, welche sie neben der Phalanx eingenommen hatte. Auch das Offiziersystem blieb in der Hauptsache ungeaendert; nur wurden jetzt jeder der zwei Legionen des regelmaessigen Heeres ebenso viele Kriegstribune vorgesetzt, wie sie bisher das gesamte Heer befehligt hatten, also die Zahl der Stabsoffiziere verdoppelt. Es duerfte auch in dieser Zeit sich die scharfe Grenze festgestellt haben zwischen den Subalternoffizieren, welche sich ihren Platz an der Spitze der Manipel als Gemeine mit dem Schwerte zu gewinnen hatten und in regelmaessigem Avancement von den niederen in die hoeheren Manipel uebergingen, und den je sechs und sechs den ganzen Legionen vorgesetzten Kriegstribunen, fuer welche es kein regelmaessiges Avancement gab und zu denen man gewoehnlich Maenner aus der besseren Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer von Bedeutung geworden sein, dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die Stabsoffiziere gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem Jahre 392 (362) ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl vergeben ward. Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge Kriegszucht unveraendert. Nach wie vor war es dem Feldherrn gestattet, jedem in seinem Lager dienenden Mann den Kopf vor die Fuesse zu legen und den Stabsoffizier so gut wie den gemeinen Soldaten mit Ruten auszuhauen; auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss wegen gemeiner Verbrechen erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier gestattet hatte, von dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine Abteilung sich hatte ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war. Dagegen bedingt die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere militaerische Schule als die bisherige phalangitische, worin das Schwergewicht der Masse auch die Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch kein eigener Soldatenstand sich entwickelte, sondern das Heer nach wie vor Buergerheer blieb, so ward dies hauptsaechlich dadurch erreicht, dass man die bisherige Gliederung der Soldaten nach dem Vermoegen aufgab und sie nach dem Dienstalter ordnete. Der roemische Rekrut trat jetzt ein unter die leichtbewaffneten, ausserhalb der Linie besonders mit Steinschleudern fechtenden “Sprenkler” (rorarii) und avancierte aus diesem allmaehlich in das erste und weiter in das zweite Treffen, bis endlich die langgedienten und erfahrenen Soldaten in dem an Zahl schwaechsten, aber in dem ganzen Heer Ton und Geist angebenden Triarierkorps sich zusammenfanden.

Die Vortrefflichkeit dieser Kriegsordnung, welche die naechste Ursache der ueberlegenen politischen Stellung der roemischen Gemeinde geworden ist, beruht wesentlich auf den drei grossen militaerischen Prinzipien der Reserve, der Verbindung des Nah- und Ferngefechts und der Verbindung von Offensive und Defensive. Das Reservesystem war schon in der aelteren Verwendung der Reiterei angedeutet, hier aber durch die Gliederung des Heeres in drei Treffen und die Aufsparung der Veteranenkernschar fuer den letzten und entscheidenden Stoss vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische Phalanx den Nahkampf, die orientalischen mit Bogen und leichten Wurfspeeren bewaffneten Reitergeschwader den Fernkampf einseitig ausgebildet hatten, so wurde durch die roemische Verbindung des schweren Wurfspiesses mit dem Schwerte, wie mit Recht gesagt worden ist, ein aehnlicher Erfolg erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung durch die Einfuehrung der Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem Schwertkampf genau in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve dem Angriff mit dem Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem gestattete es den Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des Offensivkrieges miteinander zu verbinden und die Schlacht je nach Umstaenden zu verweigern oder zu liefern, und im letzteren Fall sie unter den Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern einer Festung zu schlagen - der Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt durch Stillsitzen.

Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine roemische oder wenigstens italische Um- und Fortbildung der alten hellenischen Phalangentaktik ist, leuchtet ein; wenn gewisse Anfaenge des Reservesystems und der Individualisierung der kleineren Heerabteilungen schon bei den spaeteren griechischen Strategen, namentlich bei Xenophon begegnen, so folgt daraus nur, dass man die Mangelhaftigkeit des alten Systems auch hier empfunden, aber doch nicht vermocht hat, sie zu beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die Manipularlegion im Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden und ob sie auf einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich nicht mehr nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen gruendlich verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die keltische Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die Gliederung der Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten und allein gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat; und damit stimmt es zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der bedeutendste roemische Feldherr der Gallierzeit, Marcus Furius Camillus, als Reformator des roemischen Kriegswesens erscheint. Die weiteren an den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg anknuepfenden Ueberlieferungen sind weder hinreichend beglaubigt noch mit Sicherheit einzureihen ^5; so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der langjaehrige samnitische Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des roemischen Soldaten, und der Kampf gegen einen der ersten Kriegskuenstler aus der Schule des grossen Alexander auf die Verbesserung des Technischen im roemischen Heerwesen nachhaltig eingewirkt hat.

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^5 Nach der roemischen Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich viereckige Schilde; worauf sie von den Etruskern den runden Hoplitenschild (clupeus, αςπίς)von den Samniten den spaeteren viereckigen Schild (scutum, θυρεός) und den Wurfspeer (veru) entlehnten (Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall. Catil. 51, 38; Verg. Aen. 7, 665; Fest. v. Samnites p. 327 Mueller und die bei Marquardt, Handbuch, Bd. 3, 2, S. 241 angefuehrten). Allein dass der Hoplitenschild, das heisst die dorische Phalangentaktik nicht den Etruskern, sondern den Hellenen unmittelbar nachgeahmt ward, darf als ausgemacht gelten. Was das Scutum anlangt, so wird dieser grosse zylinderfoermig gewoelbte Lederschild allerdings wohl an die Stelle des platten kupfernen Clupeus getreten sein, als die Phalanx in Manipel auseinandertrat; allein die unzweifelhafte Herleitung des Wortes aus dem Griechischen macht misstrauisch gegen die Herleitung der Sache von den Samniten. Von den Griechen kam den Roemern auch die Schleuder (funda aus σφενδόνη, wie fides aus σφίδη, oben). Das Pilum gilt den Alten durchaus als roemische Erfindung.

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In der Volkswirtschaft war und blieb der Ackerbau die soziale und politische Grundlage sowohl der roemischen Gemeinde als des neuen italischen Staates. Aus den roemischen Bauern bestand die Gemeindeversammlung und das Heer; was sie als Soldaten mit dem Schwerte gewonnen hatten, sicherten sie als Kolonisten mit dem Pfluge. Die Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes fuehrte die furchtbaren inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts herbei, an denen die junge Republik zugrunde gehen zu muessen schien; die Wiedererhebung der latinischen Bauernschaft, welche waehrend des fuenften teils durch die massenhaften Landanweisungen und Inkorporationen, teils durch das Sinken des Zinsfusses und die steigende Volksmenge Roms bewirkt ward, war zugleich Wirkung und Ursache der gewaltigen Machtentwicklung Roms - wohl erkannte Pyrrhos’ scharfer Soldatenblick die Ursache des politischen und militaerischen Uebergewichts der Roemer in dem bluehenden Zustande der roemischen Bauernwirtschaften. Aber auch das Aufkommen der Grosswirtschaft in dem roemischen Ackerbau scheint in diese Zeit zu fallen. In der aelteren Zeit gab es wohl auch schon einen - wenigstens verhaeltnismaessig - grossen Grundbesitz; aber dessen Bewirtschaftung war keine Gross-, sondern nur eine vervielfaeltigte Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen darf die mit der aelteren Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch der spaeteren bei weitem angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom Jahre 387 (367), dass der Grundbesitzer neben den Sklaven eine verhaeltnismaessige Zahl freier Leute zu verwenden verbunden sei, wohl als die aelteste Spur der spaeteren zentralisierten Gutswirtschaft angesehen werden ^6; und es ist bemerkenswert, dass gleich hier bei ihrem ersten Vorkommen dieselbe wesentlich auf dem Sklavenhalten ruht. Wie sie aufkam, muss dahingestellt bleiben; moeglich ist es, dass die karthagischen Pflanzungen auf Sizilien schon den aeltesten roemischen Gutsbesitzern als Muster gedient haben und vielleicht steht selbst das Aufkommen des Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt, das Varro um die Zeit der Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten Wirtschaftsweise in Zusammenhang. Noch weniger laesst sich ermitteln, wie weit diese Wirtschaftsweise schon in dieser Epoche um sich gegriffen hat; nur daran, dass sie noch nicht Regel gewesen sein und den italischen Bauernstand noch nicht absorbiert haben kann, laesst die Geschichte des Hannibalischen Krieges keinen Zweifel. Wo sie aber aufkam, vernichtete sie die aeltere, auf dem Bittbesitz beruhende Klientel; aehnlich wie die heutige Gutswirtschaft grossenteils durch Niederlegung der Bauernstellen und Verwandlung der Hufen in Hoffeld entstanden ist. Es ist keinem Zweifel unterworfen, dass zu der Bedraengnis des kleinen Ackerbauernstandes eben das Einschraenken dieser Ackerklientel hoechst wesentlich mitgewirkt hat.

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^6 Auch Varro (rust. 1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen Ackergesetzes offenbar als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten Laendereien; obgleich uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann, um den Beinamen zu erklaeren.

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Ueber den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die schriftlichen Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die Muenzen. Dass in Italien, von den griechischen Staedten und dem etruskischen Populonia abgesehen, waehrend der ersten drei Jahrhunderte Roms nicht gemuenzt ward und als Tauschmaterial anfangs das Vieh, spaeter Kupfer nach dem Gewicht diente, wurde schon gesagt. In die gegenwaertige Epoche faellt der Uebergang der Italiker vom Tausch- zum Geldsystem, wobei man natuerlich zunaechst auf griechische Muster sich hingewiesen sah. Es lag indes in den Verhaeltnissen, dass in Mittelitalien statt des Silbers das Kupfer zum Muenzmetall ward und die Muenzeinheit sich zunaechst anlehnte an die bisherige Werteinheit, das Kupferpfund; womit es zusammenhaengt, dass man die Muenzen goss, statt sie zu praegen, denn kein Stempel haette ausgereicht fuer so grosse und schwere Stuecke. Doch scheint von Haus aus zwischen Kupfer und Silber ein festes Gleichungsverhaeltnis (250 : 1) normiert und die Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf ausgebracht worden zu sein, so dass zum Beispiel in Rom das grosse Kupferstueck, der As, dem Werte nach einem Skrupel (= 1/288 Pfund) Silber gleichkam. Geschichtlich bemerkenswerter ist es, dass die Muenze in Italien hoechst wahrscheinlich von Rom ausgegangen ist und zwar eben von den Dezemvirn, die in der Solonischen Gesetzgebung das Vorbild auch zur Regulierung des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus sich verbreitete ueber eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer und ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen Stellung, die Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts in Italien behauptete. Wie alle diese Gemeinden formell unabhaengig nebeneinander standen, war gesetzlich auch der Muenzfuss durchaus oertlich und jedes Stadtgebiet ein eigenes Muenzgebiet; indes lassen sich doch die mittel- und norditalischen Kupfermuenzfuesse in drei Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher man die Muenzen im gemeinen Verkehr als gleichartig behandelt zu haben scheint. Es sind dies teils die Muenzen der noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen etruskischen und der umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium, teils die des oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber nach dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen der italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes Verhaeltnis gesetzt zu den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien seit alter Zeit gangbar waren und deren Fuss sich auch die italischen Einwanderer, zum Beispiel die Brettier, Lucaner, Nolaner, ja die latinischen Kolonien daselbst wie Cales und Suessa und sogar die Roemer selbst fuer ihre unteritalischen Besitzungen aneigneten. Danach wird auch der italische Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen sein, welche unter sich verkehrten gleich fremden Voelkern.

Im ueberseeischen Verkehr bestanden die frueher bezeichneten sizilisch-latinischen, etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen Handelsbeziehungen auch in dieser Epoche fort oder gehoeren ihr vielmehr recht eigentlich an; denn obwohl die derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe vorkommenden Tatsachen der Obersicht wegen schon bei der ersten Periode zusammengefasst worden sind, erstrecken sich diese Angaben doch ebensowohl auf die gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch hierfuer die Muenzen. Wie die Praegung des etruskischen Silbergeldes auf attischen Fuss und das Eindringen des italischen und besonders latinischen Kupfers in Sizilien fuer die ersten beiden Handelszuege zeugen, so spricht die eben erwaehnte Gleichstellung des grossgriechischen Silbergeldes mit der picenischen und apulischen Kupfermuenze nebst zahlreichen anderen Spuren fuer den regen Verkehr der unteritalischen Griechen, namentlich der Tarentiner mit dem ostitalischen Litoral. Dagegen scheint der frueher wohl lebhaftere Handel zwischen den Latinern und den kampanischen Griechen durch die sabellische Einwanderung gestoert worden zu sein und waehrend der ersten hundertundfuenfzig Jahre der Republik nicht viel bedeutet zu haben; die Weigerung der Samniten, in Capua und Cumae den Roemern in der Hungersnot von 343 (411) mit ihrem Getreide zu Hilfe zu kommen, duerfte eine Spur der zwischen Latium und Kampanien veraenderten Beziehungen sein, bis im Anfang des fuenften Jahrhunderts die roemischen Waffen die alten Verhaeltnisse wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es noch gestattet sein, als eines der seltenen datierten Fakten aus der Geschichte des roemischen Verkehrs der Notiz zu gedenken, welche aus der ardeatischen Chronik erhalten ist, dass im Jahre 454 (300) der erste Barbier aus Sizilien nach Ardea kam, und einen Augenblick bei dem gemalten Tongeschirr zu verweilen, das vorzugsweise aus Attika, daneben aus Kerkyra und Sizilien nach Lucanien, Kampanien und Etrurien gesandt ward, um dort zur Ausschmueckung der Grabgemaecher zu dienen und ueber dessen merkantilische Verhaeltnisse wir zufaellig besser als ueber irgendeinen anderen ueberseeischen Handelsartikel unterrichtet sind. Der Anfang dieser Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung der Tarquinier fallen, denn die noch sehr sparsam in Italien vorkommenden Gefaesse des aeltesten Stils duerften in der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts der Stadt (500-450) gemalt sein, waehrend die zahlreicheren des strengen Stils der ersten (450-400), die des vollendet schoenen der zweiten Haelfte des vierten (400-350) angehoeren, und die ungeheuren Massen der uebrigen, oft durch Pracht und Groesse, aber selten durch vorzuegliche Arbeit sich auszeichnenden Vasen im ganzen dem folgenden Jahrhundert (350-250) beizulegen sein werden. Es waren allerdings wieder die Hellenen, von denen die Italiker diese Sitte der Graeberschmueckung entlehnten; aber wenn die bescheidenen Mittel und der feine Takt der Griechen sie bei diesen in engen Grenzen hielten, ward sie in Italien mit barbarischer Opulenz und barbarischer Verschwendung weit ueber das urspruengliche und schickliche Mass ausgedehnt. Aber es ist bezeichnend, dass es in Italien lediglich die Laender der hellenischen Halbkultur sind, in welchen diese Ueberschwenglichkeit begegnet; wer solche Schrift zu lesen versteht, wird in den etruskischen und kampanischen Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden Kommentar zu den Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut erstickende etruskische und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen blieb das schlichte samnitische Wesen diesem toerichten Luxus zu allen Zeiten fern; in dem Mangel des griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso fuehlbar wie in dem Mangel einer samnitischen Landesmuenze die geringe Entwicklung des Handelsverkehrs und des staedtischen Lebens in dieser Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist es, dass auch Latium, obwohl den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und Kampanien und mit ihnen im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz enthalten hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen der ganz abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen Praeneste, dass wir hierin den Einfluss der strengen roemischen Sittlichkeit, oder, wenn man lieber will, der straffen roemischen Polizei wiederzuerkennen haben. Im engsten Zusammenhange damit stehen die bereits erwaehnten Interdikte, welche schon das Zwoelftafelgesetz gegen purpurne Bahrtuecher und den Goldschmuck als Totenmitgift schleudert, und die Verbannung des silbernen Geraetes mit Ausnahme des Salzfasses und der Opferschale aus dem roemischen Hausrat wenigstens durch das Sittengesetz und die Furcht vor der zensorischen Ruege; und auch in dem Bauwesen werden wir demselben, allem gemeinen wie edlen Luxus feindlichen Sinn wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch solche Einwirkung von oben her laenger als Volsinii und Capua eine gewisse aeussere Einfachheit bewahren, so werden sein Handel und Gewerbe, auf denen ja neben dem Ackerbau seine Bluete von Haus aus beruhte, darum noch nicht als unbedeutend gedacht werden duerfen und nicht minder den Einfluss der neuen Machtstellung Roms empfunden haben.

Zu der Entwicklung eines eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer unabhaengigen Handwerker- und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die Ursache war neben der frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen Zentralisierung des Kapitals vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war im Altertum ueblich und in der Tat eine notwendige Konsequenz der Sklaverei, dass die kleineren staedtischen Geschaefte sehr haeufig von Sklaven betrieben wurden, welche ihr Herr als Handwerker oder Kaufleute etablierte, oder auch von Freigelassenen, fuer welche der Herr nicht bloss sehr oft das Geschaeftskapital hergab, sondern von denen er sich auch regelmaessig einen Anteil, oft die Haelfte des Geschaeftsgewinns ausbedang. Der Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren ohne Zweifel in stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass die dem grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in Rom zu konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im fuenften Jahrhundert der Stadt von einem praenestinischen Meister verfertigt und nach Praeneste verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet worden ^7. Allein da der Reinertrag auch des Kleingeschaefts zum groessten Teil in die Kassen der grossen Haeuser floss, so kam ein industrieller und kommerzieller Mittelstand nicht in entsprechender Ausdehnung empor. Ebensowenig sonderten sich die Grosshaendler und grossen Industriellen scharf von den grossen Grundbesitzern. Einerseits waren die letzteren seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und Kapitalisten und in ihren Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und Lieferungen und Arbeiten fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es bei dem starken sittlichen Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen auf den Grundbesitz fiel, und bei seiner politischen Alleinberechtigung, welche erst gegen das Ende dieser Epoche einige Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon in dieser Zeit gewoehnlich, dass der glueckliche Spekulant mit einem Teil seiner Kapitalien sich ansaessig machte. Es geht auch aus der politischen Bevorzugung der ansaessigen Freigelassenen deutlich genug hervor, dass die roemischen Staatsmaenner dahin wirkten, auf diesem Wege die gefaehrliche Klasse der nicht grundsaessigen Reichen zu vermindern.

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^7 Die Vermutung, dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer die Dindia Macolnia in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein Kampaner, gewesen sei, wird durch die neuerlich gefundenen alten praenestinischen Grabsteine widerlegt, auf denen unter andern Macolniern und Plautiern auch ein Lucius Magulnius des Plautius Sohn (L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.

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Aber wenn auch in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand noch eine streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war das grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen. Deutlich weist darauf hin die zunehmende Zahl der in der Hauptstadt zusammengedraengten Sklaven, wovon die sehr ernsthafte Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419) zeugt, und noch mehr die steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich werdende Menge der Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die Freilassungen gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen Rechte der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten. Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse Majoritaet der freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel widmen musste, sondern es war auch die Freilassung selbst bei den Roemern, wie gesagt, weniger eine Liberalitaet als eine industrielle Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil an dem Gewerb- oder Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung fand als bei dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die Zunahme der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der kommerziellen und industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in Hand gegangen sein.

Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des staedtischen Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der staedtischen Polizei. Es gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser Zeit an, dass die vier Aedilen unter sich die Stadt in vier Polizeibezirke teilten und dass fuer die ebenso wichtige wie schwierige Instandhaltung des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren und groesseren Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze, fuer die gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die Beseitigung den Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere, uebler Gerueche, fuer die Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend- und Nachtstunden und ueberhaupt fuer die Offenhaltung der Kommunikation, fuer die ununterbrochene Versorgung des hauptstaedtischen Marktes mit gutem und billigem Getreide, fuer die Vernichtung gesundheitsschaedlicher Waren und falscher Masse und Gewichte, fuer die besondere Ueberwachung von Baedern, Schenken, schlechten Haeusern von den Aedilen Fuersorge getroffen ward.

Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die Epoche der grossen Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei Jahrhunderte der Republik. Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und dem Aventin und der grosse Spielplatz moegen den sparsamen Vaetern der Stadt ebenso wie den fronenden Buergern ein Greuel gewesen sein, und es ist bemerkenswert, dass das vielleicht bedeutendste Bauwerk der republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen, der Cerestempel am Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher in mehr als einer Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige zurueckzulenken suchte. Auch den Privatluxus hielt die regierende Aristokratie mit einer Strenge nieder, wie sie die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer sicher nicht entwickelt haben wuerde. Aber auf die Laenge vermochte selbst der Senat sich nicht laenger gegen das Schwergewicht der Verhaeltnisse zu stemmen. Appius Claudius war es, der in seiner epochemachenden Zensur (442 312) das veraltete Bauernsystem des Sparschatzsammelns beiseite warf und seine Mitbuerger die oeffentlichen Mittel in wuerdiger Weise gebrauchen lehrte. Er begann das grossartige System gemeinnuetziger oeffentlicher Bauten, das, wenn irgendetwas, Roms militaerische Erfolge auch von dem Gesichtspunkt der Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat und noch heute in seinen Truemmern Tausenden und Tausenden, welche von roemischer Geschichte nie ein Blatt gelesen haben, eine Ahnung gibt von der Groesse Roms. Ihm verdankt der roemische Staat die erste grosse Militaerchaussee, die roemische Stadt die erste Wasserleitung. Claudius’ Spuren folgend, schlang der roemische Senat um Italien jenes Strassen- und Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und ohne das, wie von den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der Simplonstrasse die Geschichte aller Militaerstaaten lehrt, keine militaerische Hegemonie bestehen kann. Claudius’ Spuren folgend, baute Manius Curius aus dem Erloes der Pyrrhischen Beute eine zweite hauptstaedtische Wasserleitung (482 272) und oeffnete schon einige Jahre vorher (464 290) mit dem sabinischen Kriegsgewinn dem Velino, da wo er oberhalb Terni in die Nera sich stuerzt, das heute noch von ihm durchflossene breitere Bett, um in dem dadurch trockengelegten schoenen Tal von Rieti fuer eine grosse Buergeransiedlung Raum und auch fuer sich eine bescheidene Hufe zu gewinnen. Solche Werke verdunkelten selbst in den Augen verstaendiger Leute die zwecklose Herrlichkeit der hellenischen Tempel. Auch das buergerliche Leben wurde jetzt ein anderes. Um die Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen Tafeln das Silbergeschirr sich zu zeigen ^8 und das Verschwinden der Schindeldaecher in Rom datieren die Chronisten von dem Jahre 470 (284). Die neue Hauptstadt Italiens legte endlich ihr dorfartiges Ansehen allmaehlich ab und fing nun auch an, sich zu schmuecken. Zwar war es noch nicht Sitte, in den eroberten Staedten zu Roms Verherrlichung die Tempel ihrer Zierden zu berauben; aber dafuer prangten an der Rednerbuehne des Marktes die Schnaebel der Galeeren von Antium und an oeffentlichen Festtagen laengs der Hallen am Markte die von den Schlachtfeldern Samniums heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde. Besonders der Ertrag der Bruechgelder diente zur Pflasterung der Strassen in und vor der Stadt oder zur Errichtung und Ausschmueckung oeffentlicher Gebaeude. Die hoelzernen Buden der Fleischer, welche an den beiden Langseiten des Marktes sich hinzogen, wichen zuerst an der palatinischen, dann auch an der den Carinen zugewandten Seite den steinernen Hallen der Geldwechsler; dadurch ward dieser Platz zur roemischen Boerse. Die Bildsaeulen der gefeierten Maenner der Vergangenheit, der Koenige, Priester und Helden der Sagenzeit, des griechischen Gastfreundes, der den Zehnmaennern die Solonischen Gesetze verdolmetscht haben sollte, die Ehrensaeulen und Denkmaeler der grossen Buergermeister, welche die Veienter, die Latiner, die Samniten ueberwunden hatten, der Staatsboten, die in Vollziehung ihres Auftrages umgekommen waren, der reichen Frauen, die ueber ihr Vermoegen zu oeffentlichen Zwecken verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter griechischer Weisen und Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades, wurden auf der Burg oder auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also ward, nachdem die roemische Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom selber eine Grossstadt.

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^8 Der wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius Rufinus (Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde schon gedacht. Fabius’ befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228), dass die Roemer zuerst nach der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus ergeben haetten (αισθέσθαι τού πλόντου), ist offenbar nur eine άbersetzung derselben Anekdote ins Historische; denn die Besiegung der Sabiner faellt in Rufinus’ erstes Konsulat.

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Endlich trat denn auch Rom als Haupt der roemisch-italischen Eidgenossenschaft wie in das hellenistische Staatensystem, so auch in das hellenische Geld- und Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die Gemeinden Nord- und Mittelitaliens mit wenigen Ausnahmen einzig Kupfercourant, die sueditalischen Staedte dagegen durchgaengig Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und Muenzsysteme gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in Italien gab. Im Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf die Praegung von Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz Italien geltender Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in Rom zentralisiert, nur dass Capua seine eigene, zwar unter roemischem Namen, aber auf abweichenden Fuss gepraegte Silbermuenze auch ferner behielt. Das neue Muenzsystem beruhte auf dem gesetzlichen Verhaeltnisse der beiden Metalle, wie dasselbe seit langem feststand; die gemeinsame Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr pfuendigen, sondern auf das Drittelpfund reduzierten Assen, der Denarius, in Kupfer 3 1/3, in Silber 1/72 eines roemischen Pfundes, eine Kleinigkeit mehr als die attische Drachme. Zunaechst herrschte in der Praegung noch die Kupfermuenze vor und wahrscheinlich ist der aelteste Silberdenar hauptsaechlich fuer Unteritalien und fuer den Verkehr mit dem Ausland geschlagen worden. Wie aber der Sieg der Roemer ueber Pyrrhos und Tarent und die roemische Gesandtschaft nach Alexandreia dem griechischen Staatsmanne dieser Zeit zu denken geben mussten, so mochte auch der einsichtige griechische Kaufmann wohl nachdenklich diese neuen roemischen Drachmen betrachten, deren flaches, unkuenstlerisches und einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen wunderschoenen der Muenzen des Pyrrhos und der Sikelioten freilich duerftig und unansehnlich erscheint, die aber dennoch keineswegs, wie die Barbarenmuenzen des Altertums, sklavisch nachgeahmt und in Schrot und Korn ungleich sind, sondern mit ihrer selbstaendigen und gewissenhaften Praegung von Haus aus jeder griechischen ebenbuertig sich an die Seite stellen.

Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von den Voelkerkaempfen um Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von der Verbannung des Tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwaeltigung der Samniten und der italischen Griechen bewegten, der Blick sich wendet zu den stilleren Kreisen des menschlichen Daseins, die die Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt, so begegnet ihm ebenfalls ueberall die Nachwirkung der grossartigen Ereignisse, durch welche die roemische Buergerschaft die Fesseln des Geschlechterregiments sprengte und die reiche Fuelle der nationalen Bildungen Italiens allmaehlich unterging, um ein einziges Volk zu bereichern. Durfte auch der Geschichtschreiber es nicht versuchen, den grossen Gang der Ereignisse in die grenzenlose Mannigfaltigkeit der individuellen Gestaltung hinein zu verfolgen, so ueberschritt er doch seine Aufgabe nicht, wenn er, aus der zertruemmerten Ueberlieferung einzelne Bruchstuecke ergreifend, hindeutete auf die wichtigsten Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben stattgefunden haben. Wenn dabei noch mehr als frueher das roemische in den Vordergrund trat, so ist dies nicht bloss in den zufaelligen Luecken unserer Ueberlieferung begruendet; vielmehr ist es eine wesentliche Folge der veraenderten politischen Stellung Roms, dass die latinische Nationalitaet die uebrigen italischen immer mehr verdunkelt. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass in dieser Epoche die Nachbarlaender, das suedliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland sich zu romanisieren anfingen, wovon der fast gaenzliche Mangel von Sprachdenkmaelern der alten Landesdialekte und das Vorkommen sehr alter roemischer Inschriften in diesen Gegenden Zeugnis ablegt; die Aufnahme der Sabiner in das volle Buergerrecht am Ende dieser Periode spricht dafuer, dass die Latinisierung Mittelitaliens schon damals das bewusste Ziel der roemischen Politik war. Die zahlreich durch ganz Italien zerstreuten Einzelassignationen und Kolonialgruendungen sind nicht bloss militaerisch, sondern auch sprachlich und national die vorgeschobenen Posten des latinischen Stammes. Die Latinisierung der Italiker ueberhaupt ward schwerlich schon damals beabsichtigt; im Gegenteil scheint der roemische Senat den Gegensatz der latinischen gegen die uebrigen Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu haben und gestattete zum Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in den offiziellen Sprachgebrauch den kampanischen Halbbuergergemeinden noch nicht. Indes die Natur der Verhaeltnisse ist staerker als selbst die staerkste Regierung; mit dem latinischen Volke gewannen auch dessen Sprache und Sitte in Italien zunaechst das Prinzipat und fingen bereits an, die uebrigen italischen Nationalitaeten zu untergraben.

Gleichzeitig wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem anders begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es war dies die Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit ueber die uebrigen Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu machen. Auch Italien blieb davon nicht unberuehrt. Die merkwuerdigste Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fuenften Jahrhundert Roms allmaehlich seine barbarische Mundart ablegte und sich im stillen hellenisierte. Es erfolgte dies aehnlich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch Kolonisierung, sondern durch Zivilisierung, die mit dem tarentinischen Landhandel Hand in Hand gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht es fuer die letztere Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der Poediculer und Daunier die Hellenisierung vollstaendiger durchfuehrten als die Tarent naeher wohnenden, aber bestaendig mit ihm hadernden Sallentiner, und dass die am fruehesten graezisierten Staedte, zum Beispiel Arpi, nicht an der Kueste gelegen waren. Dass auf Apulien das griechische Wesen staerkeren Einfluss uebte als auf irgendeine andere italische Landschaft, erklaert sich teils aus seiner Lage, teils aus der geringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, teils wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd als die uebrigen italischen gegenueberstehenden Nationalitaet. Indes ist schon frueher darauf aufmerksam gemacht worden, dass auch die suedlichen sabellischen Staemme, obwohl zunaechst sie im Verein mit syrakusanischen Tyrannen das hellenische Wesen in Grossgriechenland knickten und verdarben, doch zugleich durch die Beruehrung und Mischung mit den Griechen teils griechische Sprache neben der einheimischen annahmen, wie die Brettier und Nolaner, teils wenigstens griechische Schrift und griechische Sitte, wie die Lucaner und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt gleichfalls die Ansaetze einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten dieser Epoche angehoerenden Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien rivalisiert; und wenn Latium und Samnium dem Hellenismus fernergeblieben sind, so fehlt es doch auch hier nicht an Spuren des beginnenden und immer steigenden Einflusses griechischer Bildung. In allen Zweigen der roemischen Entwicklung dieser Epoche, in Gesetzgebung und Muenzwesen, in der Religion, in der Bildung der Stammsage stossen wir auf griechische Spuren, und namentlich seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts, das heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint der griechische Einfluss auf das roemische Wesen in raschem und stets zunehmendem Wachstum. In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung der auch sprachlich merkwuerdigen “graecostasis”, einer Tribuene auf dem roemischen Markt fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst die Massalioten. Im folgenden fangen die Jahrbuecher an, vornehme Roemer mit griechischen Beinamen, wie Philippos oder roemisch Pilipus, Philon, Sophos, Hypsaeos aufzuweisen. Griechische Sitten dringen ein; so der nichtitalische Gebrauch, Inschriften zur Ehre des Toten auf dem Grabmal anzubringen, wovon die Grabschrift des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), das aelteste uns bekannte Beispiel ist; so die gleichfalls den Italikern fremde Weise, ohne Gemeindebeschluss an oeffentlichen Orten den Vorfahren Ehrendenkmaeler zu errichten, womit der grosse Neuerer Appius Claudius den Anfang machte, als er in dem neuen Tempel der Bellona Erzschilde mit den Bildern und den Elogien seiner Vorfahren aufhaengen liess (442 312); so die im Jahre 461 (293) bei dem roemischen Volksfest eingefuehrte Erteilung von Palmzweigen an die Wettkaempfer; so vor allem die griechische Tischsitte. Die Weise, bei Tische nicht wie ehemals auf Baenken zu sitzen, sondern auf Sofas zu liegen; die Verschiebung der Hauptmahlzeit von der Mittag- auf die Stunde zwischen zwei und drei Uhr nachmittags nach unserer Rechnung; die Trinkmeister bei den Schmaeusen, welche meistens durch Wuerfelung aus den Gaesten fuer den Schmaus bestellt werden und nun den Tischgenossen vorschreiben, was, wie und wann getrunken werden soll; die nach der Reihe von den Gaesten gesungenen Tischlieder, die freilich in Rom nicht Skolien, sondern Ahnengesaenge waren - alles dies ist in Rom nicht urspruenglich und doch schon in sehr alter Zeit den Griechen entlehnt; denn zu Catos Zeit waren diese Gebraeuche bereits gemein, ja zum Teil schon wieder abgekommen. Man wird daher ihre Einfuehrung spaetestens in diese Zeit zu setzen haben. Charakteristisch ist auch die Errichtung der Bildsaeulen des “weisesten und des tapfersten Griechen” auf dem roemischen Markt, die waehrend der Samnitischen Kriege auf Geheiss des pythischen Apollon stattfand; man waehlte, offenbar unter sizilischem oder kampanischem Einfluss, den Pythagoras und den Alkibiades, den Heiland und den Hannibal der Westhellenen. Wie verbreitet die Kenntnis des Griechischen schon im fuenften Jahrhundert unter den vornehmen Roemern war, beweisen die Gesandtschaften der Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer, wenn auch nicht im reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach, und des Kineas nach Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem fuenften Jahrhundert die jungen Roemer, die sich den Staatsgeschaeften widmeten, durchgaengig die Kunde der damaligen Welt- und Diplomatensprache sich erwarben.

So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die Erde sich untertaenig zu machen; und die sekundaeren Nationalitaeten, wie die samnitische, keltische, etruskische, verloren, von zwei Seiten her bedraengt, immer mehr an Ausdehnung wie an innerer Kraft.

Wie aber die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem Hoehepunkt ihrer Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher Beruehrung anfangen sich zu durchdringen, tritt zugleich ihre Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche Mangel alles Individualismus in dem italischen und vor allem in dem roemischen Wesen gegenueber der unendlichen stammlichen, oertlichen und menschlichen Mannigfaltigkeit des Hellenismus in voller Schaerfe hervor. Es gibt keine gewaltigere Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche von der Einsetzung der roemischen Republik bis auf die Unterwerfung Italiens; in ihr wurde das Gemeinwesen nach innen wie nach aussen begruendet, in ihr das einige Italien erschaffen, in ihr das traditionelle Fundament des Landrechts und der Landesgeschichte erzeugt, in ihr das Pilum und der Manipel, der Strassen- und Wasserbau, die Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in ihr die Kapitolinische Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen gezeichnet. Aber die Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die einzelnen Steine herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind spurlos verschollen und die italischen Voelkerschaften nicht voelliger in der roemischen aufgegangen als der einzelne roemische Buerger in der roemischen Gemeinde. Wie das Grab in gleicher Weise ueber dem bedeutenden wie ueber dem geringen Menschen sich schliesst, so steht auch in der roemischen Buergermeisterliste der nichtige Junker ununterscheidbar neben dem grossen Staatsmann. Von den wenigen Aufzeichnungen, welche aus dieser Zeit bis auf uns gekommen sind, ist keine ehrwuerdiger und keine zugleich charakteristischer als die Grabschrift des Lucius Cornelius Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul war und drei Jahre nachher in der Entscheidungsschlacht bei Sentinum mitfocht. Auf dem schoenen Sarkophag in edlem dorischen Stil, der noch vor achtzig Jahren den Staub des Besiegers der Samniten einschloss, ist der folgende Spruch eingeschrieben:

Corneliús Lucíus - Scípió Barbátus,

Gnaivód patré prognátus, - fórtis vír sapiénsque,

Quoiús fórma vírtu - teí parísuma fúit,

Consól censór aidílis - queí fuít apúd vos,

Taurásiá Cisaúna - Sámnió cépit,

Subigít omné Loucánam - ópsidésque abdoúcit.

Cornelius Lucius - Scipio Barbatus,

Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug wie tapfer,

Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen,

Der Konsul, Zensor war bei - euch wie auch Aedilis,

Taurasia, Cisauna - nahm er ein in Samnium,

Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln.

So wie diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen anderen, die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben, es nachruehmen, dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner gewesen; aber weiter war auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl nicht bloss Schuld der Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier, Fabier, Papirier und wie sie weiter heissen, uns in einem menschlich bestimmten Bild entgegentritt. Der Senator soll nicht schlechter und nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein als die Senatoren alle; es ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein Buerger die uebrigen uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und hellenische Bildung noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene Ausschreitungen straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in der Verfassung. Das Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die Buerger muessen sich alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich sei.

Allerdings macht schon jetzt daneben die hellenische Individualentwicklung sich geltend; und die Genialitaet und Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie die entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es ist nur ein einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der Fortschrittsgedanke gleichsam inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442 312; Konsul 447, 458 307, 296), der Ururenkel des Dezemvirs, war ein Mann von altem Adel und stolz auf die lange Reihe seiner Ahnen; aber dennoch ist er es gewesen, der die Beschraenkung des vollen Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen Leute gesprengt, der das alte Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius datieren nicht bloss die roemischen Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch die roemische Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik - die Veroeffentlichung eines Klagspiegels, aufgezeichnete Reden und pythagoreische Sprueche, selbst Neuerungen in der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf ihn darum noch nicht unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener Oppositionspartei beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand; in ihm war vielmehr der Geist der alten und neuen patrizischen Koenige maechtig, der Geist der Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er in dem fuenfhundertjaehrigen Interregnum ausserordentlicher Taten und gewoehnlicher Maenner die Verbindung macht. Solange Appius Claudius an dem oeffentlichen Leben taetigen Anteil nahm, trat er in seiner Amtsfuehrung wie in seinem Lebenswandel, keck und ungezogen wie ein Athener, nach rechts wie nach links hin Gesetzen und Gebraeuchen entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der politischen Buehne abgetreten war, der blinde Greis wie aus dem Grabe wiederkehrend, in der entscheidenden Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate ueberwand und Roms vollendete Herrschaft ueber Italien zuerst foermlich und feierlich aussprach. Aber der geniale Mann kam zu frueh oder zu spaet; die Goetter blendeten ihn wegen seiner unzeitigen Weisheit. Nicht das Genie des einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in Italien, sondern der eine unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat fortgepflanzte politische Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die senatorischen Knaben sich hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit zum Rate gingen und an der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner lauschten, auf deren Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen. So wurden ungeheure Erfolge um ungeheuren Preis erreicht; denn auch der Nike folgt ihre Nemesis. Im roemischen Gemeinwesen kommt es auf keinen Menschen besonders an, weder auf den Soldaten noch auf den Feldherrn, und unter der starren sittlich-polizeilichen Zucht wird jede Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt. Rom ist gross geworden wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine Groesse teuer bezahlt mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der bequemen Laesslichkeit, der innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens.

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