KAPITEL IV. Sturz der etruskischen Macht. Die Kelten.

Nachdem die Entwicklung der roemischen Verfassung waehrend der zwei ersten Jahrhunderte der Republik dargestellt ist, ruft uns die aeussere Geschichte Roms und Italiens wieder zurueck in den Anfang dieser Epoche. Um diese Zeit, als die Tarquinier aus Rom vertrieben wurden, stand die etruskische Macht auf ihrem Hoehepunkt. Die Herrschaft auf der Tyrrhenischen See besassen unbestritten die Tusker und die mit ihnen eng verbuendeten Karthager. Wenn auch Massalia unter steten und schweren Kaempfen sich behauptete, so waren dagegen die Haefen Kampaniens und der volskischen Landschaft und seit der Schlacht von Alalia auch Korsika im Besitz der Etrusker. In Sardinien gruendeten durch die vollstaendige Eroberung der Insel (um 260 500) die Soehne des karthagischen Feldherrn Mago die Groesse zugleich ihres Hauses und ihrer Stadt, und in Sizilien behaupteten die Phoeniker waehrend der inneren Fehden der hellenischen Kolonien ohne wesentliche Anfechtung den Besitz der Westhaelfte. Nicht minder beherrschten die Schiffe der Etrusker das Adriatische Meer, und selbst in den oestlichen Gewaessern waren ihre Kaper gefuerchtet.

Auch zu Lande schien ihre Macht im Steigen. Den Besitz der latinischen Landschaft zu gewinnen, war fuer Etrurien, das von den volskischen in seiner Klientel stehenden Staedten und von seinen kampanischen Besitzungen allein durch die Latiner geschieden war, von der entscheidendsten Wichtigkeit. Bisher hatte das feste Bollwerk der roemischen Macht Latium ausreichend beschirmt und die Tibergrenze mit Erfolg gegen Etrurien behauptet. Allein als der gesamte tuskische Bund, die Verwirrung und die Schwaeche des roemischen Staats nach der Vertreibung der Tarquinier benutzend, jetzt unter dem Koenig Lars Porsena von Clusium seinen Angriff maechtiger als zuvor erneuerte, fand er nicht ferner den gewohnten Widerstand; Rom kapitulierte und trat im Frieden (angeblich 247 507) nicht bloss alle Besitzungen am rechten Tiberufer an die naechstliegenden tuskischen Gemeinden ab und gab also die ausschliessliche Herrschaft ueber den Strom auf, sondern lieferte auch dem Sieger seine saemtlichen Waffen aus und gelobte, fortan des Eisens nur zur Pflugschar sich zu bedienen. Es schien, als sei die Einigung Italiens unter tuskischer Suprematie nicht mehr fern.

Allein die Unterjochung, womit die Koalition der etruskischen und karthagischen Nation die Griechen wie die Italiker bedroht, ward gluecklich abgewendet durch das Zusammenhalten der durch Stammverwandtschaft wie durch die gemeinsame Gefahr aufeinander angewiesenen Voelker. Zunaechst fand das etruskische Heer, das nach Roms Fall in Latium eingedrungen war, vor den Mauern von Aricia die Grenze seiner Siegesbahn durch die rechtzeitige Hilfe der den Aricinern zur Hilfe herbeigeeilten Kymaeer (248 506). Wir wissen nicht, wie der Krieg endigte, und namentlich nicht, ob Rom schon damals den verderblichen und schimpflichen Frieden zerriss; gewiss ist nur, dass die Tusker auch diesmal auf dem linken Tiberufer sich dauernd zu behaupten nicht vermochten.

Bald ward die hellenische Nation zu einem noch umfassenderen und noch entscheidenderen Kampf gegen die Barbaren des Westens wie des Ostens genoetigt. Es war um die Zeit der Perserkriege. Die Stellung der Tyrier zu dem Grosskoenig fuehrte auch Karthago in die Bahnen der persischen Politik - wie denn selbst ein Buendnis zwischen den Karthagern und Xerxes glaubwuerdig ueberliefert ist - und mit den Karthagern die Etrusker. Es war eine der grossartigsten politischen Kombinationen, die gleichzeitig die asiatischen Scharen auf Griechenland, die phoenikischen auf Sizilien warf, um mit einem Schlag die Freiheit und die Zivilisation vom Angesicht der Erde zu vertilgen. Der Sieg blieb den Hellenen. Die Schlacht bei Salamis (274 der Stadt 480) rettete und raechte das eigentliche Hellas; und an demselben Tag - so wird erzaehlt - besiegten die Herren von Syrakus und Akragas, Gelon und Theron, das ungeheure Heer des karthagischen Feldherrn Hamilkar, Magos Sohn, bei Himera so vollstaendig, dass der Krieg damit zu Ende war und die Phoeniker, die damals noch keineswegs den Plan verfolgten, ganz Sizilien fuer eigene Rechnung sich zu unterwerfen, zurueckkehrten zu ihrer bisherigen defensiven Politik. Noch sind von den grossen Silberstuecken erhalten, welche aus dem Schmuck der Gemahlin Gelons, Damareta, und anderer edler Syrakusanerinnen fuer diesen Feldzug geschlagen wurden, und die spaeteste Zeit gedachte dankbar des milden und tapferen Koenigs von Syrakus und des herrlichen, von Simonides gefeierten Sieges.

Die naechste Folge der Demuetigung Karthagos war der Sturz der Seeherrschaft ihrer etruskischen Verbuendeten. Schon Anaxilas, der Herr von Rhegion und Zankte, hatte ihren Kapern die sizilische Meerenge durch eine stehende Flotte gesperrt (um 272 482); einen entscheidenden Sieg erfochten bald darauf die Kymaeer und Hieron von Syrakus bei Kyme (280 474) ueber die tyrrhenische Flotte, der die Karthager vergeblich Hilfe zu bringen versuchten. Das ist der Sieg, welchen Pindaros in der ersten pythischen Ode feiert, und noch ist der Etruskerhelm vorhanden, den Hieron nach Olympia sandte mit der Aufschrift: “Hiaron des Deinomenes Sohn und die Syrakosier dem Zeus Tyrrhanisches von Kyma” ^1.

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^1 Fιάρον ο Διομένεος καί τοί Συρακόσιοι τοί Δί' Τύραν' από Κύμας.

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Waehrend diese ungemeinen Erfolge gegen Karthager und Etrusker Syrakus an die Spitze der sizilischen Griechenstaedte brachten, erhob unter den italischen Hellenen, nachdem um die Zeit der Vertreibung der Koenige aus Rom (243 511) das achaeische Sybaris untergegangen war, das dorische Tarent sich unbestritten zu der ersten Stelle; die furchtbare Niederlage der Tarentiner durch die Iapyger (280 474), die schwerste, die bis dahin ein Griechenheer erlitten hatte, entfesselte nur, aehnlich wie der Persersturm in Hellas, die ganze Gewalt des Volksgeistes in energisch demokratischer Entwicklung. Von jetzt an spielen nicht mehr die Karthager und die Etrusker die erste Rolle in den italischen Gewaessern, sondern im Adriatischen und Ionischen Meer die Tarentiner, im Tyrrhenischen die Massalioten und die Syrakusaner, und namentlich die letzteren beschraenkten mehr und mehr das etruskische Korsarenwesen. Schon Hieron hatte nach dem Siege bei Kyme die Insel Aenaria (Ischia) besetzt und damit die Verbindung zwischen den kampanischen und den noerdlichen Etruskern unterbrochen. Um das Jahr 302 (452) wurde von Syrakus, um der tuskischen Piraterie gruendlich zu steuern, eine eigene Expedition ausgesandt, die die Insel Korsika und die etruskische Kueste verheerte und die Insel Aethalia (Elba) besetzte. Ward man auch nicht voellig Herr ueber die etruskisch-karthagischen Piraten - wie denn das Kaperwesen zum Beispiel in Antium bis in den Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt fortgedauert zu haben scheint -, so war doch das maechtige Syrakus ein starkes Bollwerk gegen die verbuendeten Tusker und Phoeniker. Einen Augenblick freilich schien es, als muesse die syrakusische Macht gebrochen werden durch die Athener, deren Seezug gegen Syrakus im Lauf des Peloponnesischen Krieges (339-341 415-413) die Etrusker, die alten Handelsfreunde Athens, mit drei Fuenfzigruderern unterstuetzten. Allein der Sieg blieb, wie bekannt, im Westen wie im Osten den Dorern. Nach dem schmaehlichen Scheitern der attischen Expedition ward Syrakus so unbestritten die erste griechische Seemacht, dass die Maenner, die dort an der Spitze des Staates standen, die Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und ueber beide Meere Italiens ins Auge fassten; wogegen anderseits die Karthager, die ihre Herrschaft in Sizilien jetzt ernstlich bedroht sahen, auch auf ihrer Seite die Ueberwaeltigung der Syrakusaner und die Unterwerfung der ganzen Insel zum Ziel ihrer Politik nehmen mussten und nahmen. Der Verfall der sizilischen Mittelstaaten, die Steigerung der karthagischen Macht auf der Insel, die zunaechst aus diesen Kaempfen hervorgingen, koennen hier nicht erzaehlt werden; was Etrurien anlangt, so fuehrte gegen dies der neue Herr von Syrakus, Dionysios (reg. 348-387 406-367), die empfindlichsten Schlaege. Der weitstrebende Koenig gruendete seine neue Kolonialmacht vor allem in dem italischen Ostmeer, dessen noerdlichere Gewaesser jetzt zum erstenmal einer griechischen Seemacht untertan wurden. Um das Jahr 367 (387) besetzte und kolonisierte Dionysios an der illyrischen Kueste den Hafen Lissos und die Insel Issa, an der italischen die Landungsplaetze Ankon, Numana und Atria; das Andenken an die syrakusanische Herrschaft in dieser entlegenen Gegend bewahrten nicht bloss die “Graeben des Philistos”, ein ohne Zweifel von dem bekannten Geschichtschreiber und Freunde des Dionysios, der die Jahre seiner Verbannung (368 386f.) in Atria verlebte, angelegter Kanal an der Pomuendung; auch die veraenderte Benennung des italischen Ostmeers selbst, wofuer seitdem anstatt der aelteren Benennung des Ionischen Busens die heute noch gangbare des “Meeres von Hadria” vorkommt, geht wahrscheinlich auf diese Ereignisse zurueck ^2. Aber nicht zufrieden mit diesen Angriffen auf die Besitzungen und Handelsverbindungen der Etrusker im Ostmeer, griff Dionysios durch die Erstuermung und Pluenderung der reichen caeritischen Hafenstadt Pygri (369 385 die etruskische Macht in ihrem innersten Kern an. Sie hat denn auch sich nicht wieder erholt. Als nach Dionysios’ Tode die inneren Unruhen in Syrakus den Karthagern freiere Bahn machten und deren Flotte wieder im Tyrrhenischen Meer das Uebergewicht bekam, das sie seitdem mit kurzen Unterbrechungen behauptete, lastete dieses nicht minder schwer auf den Etruskern wie auf den Griechen; so dass sogar, als im Jahre 444 (310) Agathokles von Syrakus zum Krieg mit Karthago ruestete, achtzehn tuskische Kriegsschiffe zu ihm stiessen. Die Etrusker mochten fuer Korsika fuerchten, das sie wahrscheinlich damals noch behaupteten; die alte tuskisch-phoenikische Symmachie, die noch zu Aristoteles’ Zeit (370-432 384-322) bestand, ward damit gesprengt, aber die Schwaeche der Etrusker zur See nicht wieder aufgehoben.

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^2 Hekataeos († nach 257 497, Rom) und noch Herodot (270 bis nach 345 484-409) kennen den Hatrias nur als das Podelta und das dasselbe bespuelende Meer (K. O. Mueller, Die Etrusker. Breslau 1828. Bd. 1, S. 140; GGM 1, p. 23). In weiterer Bedeutung findet sich die Benennung des Hadriatischen Meeres zuerst bei dem sogenannten Skylax um 418 der Stadt (336).

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Dieser rasche Zusammensturz der etruskischen Seemacht wuerde unerklaerlich sein, wenn nicht gegen die Etrusker zu eben der Zeit, wo die sizilischen Griechen sie zur See angriffen, auch zu Lande von allen Seiten her die schwersten Schlaege gefallen waeren. Um die Zeit der Schlachten von Salamis, Himera und Kyme ward, dem Berichte der roemischen Annalen zufolge, zwischen Rom und Veii ein vieljaehriger und heftiger Krieg gefuehrt (271-280 483-474). Die Roemer erlitten in demselben schwere Niederlagen; im Andenken geblieben ist die Katastrophe der Fabier (277 477), die infolge der inneren Krisen sich freiwillig aus der Hauptstadt verbannt und die Verteidigung der Grenze gegen Etrurien uebernommen hatten, hier aber am Bache Cremera bis auf den letzten waffenfaehigen Mann niedergehauen wurden. Allein der Waffenstillstand auf 400 Monate, der anstatt Friedens den Krieg beendigte, fiel fuer die Roemer insofern guenstig aus, als er wenigstens den Status quo der Koenigszeit wiederherstellte; die Etrusker verzichteten auf Fidenae und den am rechten Tiberufer gewonnenen Distrikt. Es ist nicht auszumachen, inwieweit dieser roemisch-etruskische Krieg mit dem hellenisch-persischen und dem sizilisch-karthagischen in unmittelbaren Zusammenhange stand; aber moegen die Roemer die Verbuendeten der Sieger von Salamis und von Himera gewesen sein oder nicht, die Interessen wie die Folgen trafen jedenfalls zusammen.

Wie die Latiner warfen auch die Samniten sich auf die Etrusker; und kaum war deren kampanische Niederlassung durch die Folgen des Treffens bei Kyme vom Mutterlande abgeschnitten worden, als sie auch schon nicht mehr imstande war, den Angriffen der sabellischen Bergvoelker zu widerstehen. Die Hauptstadt Capua fiel 330 (424) und die tuskische Bevoelkerung ward hier bald nach der Eroberung von den Samniten ausgerottet oder verjagt. Freilich hatten auch die kampanischen Griechen, vereinzelt und geschwaecht, unter derselben Invasion schwer zu leiden; Kyme selbst ward 334 (420) von den Sabellern erobert. Dennoch behaupteten die Griechen sich namentlich in Neapolis, vielleicht mit Hilfe der Syrakusaner, waehrend der etruskische Name in Kampanien aus der Geschichte verschwindet; kaum dass einzelne etruskische Gemeinden eine kuemmerliche und verlorene Existenz sich dort fristeten.

Aber noch folgenreichere Ereignisse traten um dieselbe Zeit im noerdlichen Italien ein. Eine neue Nation pochte an die Pforten der Alpen: es waren die Kelten; und ihr erster Andrang traf die Etrusker.

Die keltische, auch galatische oder gallische Nation hat von der gemeinschaftlichen Mutter eine andere Ausstattung empfangen als die italische, die germanische und die hellenische Schwester. Es fehlt ihr bei manchen tuechtigen und noch mehr glaenzenden Eigenschaften die tiefe sittliche und staatliche Anlage, auf welche alles Gute und Grosse in der menschlichen Entwicklung sich gruendet. Es galt, sagt Cicero, als schimpflich fuer den freien Kelten, das Feld mit eigenen Haenden zu bestellen. Dem Ackerbau zogen sie das Hirtenleben vor und trieben selbst in den fruchtbaren Poebenen vorzugsweise die Schweinezucht, von dem Fleisch ihrer Herden sich naehrend und in den Eichenwaeldern mit ihnen Tag und Nacht verweilend. Die Anhaenglichkeit an die eigene Scholle, wie sie den Italikern und den Germanen eigen ist, fehlt bei den Kelten; wogegen sie es lieben, in den Staedten und Flecken zusammen zu siedeln und diese bei ihnen frueher, wie es scheint, als in Italien Ausdehnung und Bedeutung gewonnen haben. Ihre buergerliche Verfassung ist unvollkommen; nicht bloss wird die nationale Einheit nur durch ein schwaches Band vertreten, was ja in gleicher Weise von allen Nationen anfaenglich gilt, sondern es mangelt auch in den einzelnen Gemeinden an Eintracht und festem Regiment, an ernstem Buergersinn und folgerechtem Streben. Die einzige Ordnung, der sie sich schicken, ist die militaerische, in der die Bande der Disziplin dem einzelnen die schwere Muehe abnehmen, sich selber zu bezwingen. “Die hervorstehenden Eigenschaften der keltischen Rasse”, sagt ihr Geschichtschreiber Thierry, “sind die persoenliche Tapferkeit, in der sie es allen Voelkern zuvortun; ein freier, stuermischer, jedem Eindruck zugaenglicher Sinn; viel Intelligenz, aber daneben die aeusserste Beweglichkeit, Mangel an Ausdauer, Widerstreben gegen Zucht und Ordnung, Prahlsucht und ewige Zwietracht, die Folge der grenzenlosen Eitelkeit.” Kuerzer sagt ungefaehr dasselbe der alte Cato: “auf zwei Dinge geben die Kelten viel: auf das Fechten und auf den Esprit” ^3. Solche Eigenschaften guter Soldaten und schlechter Buerger erklaeren die geschichtliche Tatsache, dass die Kelten alle Staaten erschuettert und keinen gegruendet haben. Ueberall finden wir sie bereit zu wandern, das heisst zu marschieren; dem Grundstueck die bewegliche Habe vorziehend, allem anderen aber das Gold; das Waffenwerk betreibend als geordnetes Raubwesen oder gar als Handwerk um Lohn und allerdings mit solchem Erfolge, dass selbst der roemische Geschichtschreiber Sallustius im Waffenwerk den Kelten den Preis vor den Roemern zugesteht. Es sind die rechten Lanzknechte des Altertums, wie die Bilder und Beschreibungen sie uns darstellen: grosse, nicht sehnige Koerper, mit zottigem Haupthaar und langem Schnauzbart - recht im Gegensatz zu Griechen und Roemern, die das Haupt und die Oberlippe schoren -, in bunten gestickten Gewaendern, die beim Kampf nicht selten abgeworfen wurden, mit dem breiten Goldring um den Hals, unbehelmt und ohne Wurfwaffen jeder Art, aber dafuer mit ungeheurem Schild nebst dem langen schlechtgestaehlten Schwert, dem Dolch und der Lanze, alle diese Waffen mit Gold geziert, wie sie denn die Metalle nicht ungeschickt zu bearbeiten verstanden. Zum Renommieren dient alles, selbst die Wunde, die oft nachtraeglich erweitert wird, um mit der breiteren Schmarre zu prunken. Gewoehnlich fechten sie zu Fuss, einzelne Schwaerme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden sich frueh wie bei den Libyern und den Hellenen in aeltester Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des Mittelalters; am meisten die den Roemern und Griechen fremde Sitte des Zweikampfes. Nicht bloss im Kriege pflegten sie den einzelnen Feind, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Gebaerden verhoehnt hatten, zum Kampfe zu fordern; auch im Frieden fochten sie gegeneinander in glaenzender Ruestung auf Leben und Tod. Dass die Zechgelage hernach nicht fehlten, versteht sich. So fuehrten sie unter eigener oder fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kaempfen und sogenannten Heldentaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie der Schnee im Fruehling, und nirgends ist ein grosser Staat, nirgends eine eigene Kultur von ihnen geschaffen worden.

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^3 Pleraque Gallia duas res industriosissime persequitur: rem militarem et argute loqui. (Cato or. frg. 2, 2).

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So schildern uns die Alten diese Nation; ueber ihre Herkunft laesst sich nur mutmassen. Demselben Schoss entsprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen und germanischen Voelkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne Zweifel gleich diesen aus dem oestlichen Mutterland in Europa eingerueckt, wo sie in fruehester Zeit das Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begruendeten ^4, gegen Norden hin uebersiedelnd auf die britannischen Inseln, gegen Sueden die Pyrenaeen ueberschreitend und mit den iberischen Voelkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen indes stroemte ihre erste grosse Wanderung vorbei und erst von den westlichen Laendern aus begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung jene Zuege, die sie ueber die Alpen und den Haemus, ja ueber den Bosporus fuehrten und durch die sie der Schrecken der saemtlichen zivilisierten Nationen des Altertums geworden und durch manche Jahrhunderte geblieben sind, bis Caesars Siege und die von Augustus geordnete Grenzverteidigung ihre Macht fuer immer brachen.

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^4 Neuerdings ist von kundigen Sprachforschern behauptet worden, dass die Verwandtschaft der Kelten und der Italiker naeher sei, als selbst die der letzteren und der Hellenen, das heisst, dass derjenige Ast des grossen Baumes, von dem die west- und suedeuropaeischen Voelkerschaften indogermanischen Stammes entsprungen sind, zunaechst sich in Griechen und Italokelten und betraechtlich spaeter die letzteren sich wieder in Italiker und Kelten gespalten haetten. Geographisch ist diese Aufstellung sehr annehmbar, und auch die geschichtlich vorliegenden Tatsachen lassen sich vielleicht damit ebenfalls in Einklang bringen da, was bisher als graecoitalische Zivilisation angesehen worden ist, fueglich graecokeltoitalisch gewesen sein kann - wissen wir doch ueber die aelteste keltische Kulturstufe in der Tat nichts. Die sprachliche Untersuchung scheint indes noch nicht so weit gediehen zu sein, dass ihre Ergebnisse in die aelteste Voelkergeschichte eingereiht werden duerften.

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Die einheimische Wandersage, die hauptsaechlich Livius uns erhalten hat, berichtet von diesen spaeteren ruecklaeufigen Zuegen folgendermassen ^5. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze damals wie noch zu Caesars Zeit der Gau der Biturigen (um Bourges) stand, habe unter dem Koenig Ambiatus zwei grosse Heeresschwaerme entsendet, gefuehrt von den beiden Neffen des Koenigs, und es sei der eine derselben, Sigovesus, ueber den Rhein in der Richtung auf den Schwarzwald zu vorgedrungen, der zweite, Bellovesus, ueber die Graischen Alpen (den Kleinen St. Bernhard) in das Potal hinabgestiegen. Von jenem stamme die gallische Niederlassung an der mittleren Donau, von diesem die aelteste keltische Ansiedlung in der heutigen Lombardei, der Gau der Insubrer mit dem Hauptort Mediolanum (Mailand). Bald sei ein zweiter Schwarm gefolgt, der den Gau der Cenomaner mit den Staedten Brixia (Brescia) und Verona begruendet habe. Unaufhoerlich stroemte es fortan ueber die Alpen in das schoene ebene Land; die keltischen Staemme samt den von ihnen aufgetriebenen und fortgerissenen ligurischen entrissen den Etruskern einen Platz nach dem andern, bis das ganze linke Poufer in ihren Haenden war. Nach dem Fall der reichen etruskischen Stadt Melpum (vermutlich in der Gegend von Mailand), zu deren Bezwingung sich die schon im Potal ansaessigen Kelten mit neugekommenen Staemmen vereinigt hatten (358? 396), gingen diese letzteren hinueber auf das rechte Ufer des Flusses und begannen die Umbrer und Etrusker in ihren uralten Sitzen zu bedraengen. Es waren dies vornehmlich die angeblich auf einer anderen Strasse, ueber den Poeninischen Berg (Grossen St. Bernhard) in Italien eingedrungenen Boier; sie siedelten sich an in der heutigen Romagna, wo die alte Etruskerstadt Felsina, von den neuen Herren Bononia umgenannt, ihre Hauptstadt wurde. Endlich kamen die Senonen, der letzte groessere Keltenstamm, der ueber die Alpen gelangt ist; er nahm seine Sitze an der Kueste des Adriatischen Meeres von Rimini bis Ancona. Aber einzelne Haufen keltischer Ansiedler muessen sogar bis tief nach Umbrien hinein, ja bis an die Grenze des eigentlichen Etrurien vorgedrungen sein; denn noch bei Todi am oberen Tiber haben sich Steinschriften in keltischer Sprache gefunden. Enger und enger zogen sich nach Norden und Osten hin die Grenzen Etruriens zusammen, und um die Mitte des vierten Jahrhunderts sah die tuskische Nation sich schon wesentlich auf dasjenige Gebiet beschraenkt, das seitdem ihren Namen getragen hat und heute noch traegt.

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^5 Die Sage ueberliefern Livius (5, 34) und Iustin (24, 4) und auch Caesar (Gall. 6, 24) hat sie im Sinn gehabt. Die Verknuepfung indes der Wanderung des Bellovesus mit der Gruendung von Massalia, wodurch jene chronologisch auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts der Stadt bestimmt wird, gehoert unzweifelhaft nicht der einheimischen, natuerlich zeitlosen Sage an, sondern der spaeteren chronologisierenden Forschung und verdient keinen Glauben. Einzelne Einfaelle und Einwanderungen moegen sehr frueh stattgefunden haben; aber das gewaltige Umsichgreifen der Kelten in Norditalien kann nicht vor die Zeit des Sinkens der etruskischen Macht, das heisst nicht vor die zweite Haelfte des dritten Jahrhunderts der Stadt gesetzt werden.

Ebenso ist, nach der einsichtigen Ausfuehrung von Wickham und Cramer, nicht daran zu zweifeln, dass der Zug des Bellovesus wie der des Hannibal nicht ueber die Kottischen Alpen (Mont Genèvre) und durch das Gebiet der Tauriner, sondern ueber die Graischen (den Kleinen St. Bernhard) und durch das der Salasser ging; den Namen des Berges gibt Livius wohl nicht nach der Sage, sondern nach seiner Vermutung an. Ob die italischen Boier aufgrund einer echten Sagenreminiszenz oder nur aufgrund eines angenommenen Zusammenhangs mit den noerdlich von der Donau wohnhaften Boiern durch den oestlichen Pass der Poeninischen Alpen gefuehrt werden, muss dahingestellt bleiben.

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Unter diesen, wie auf Verabredung gemeinschaftlichen Angriffen der verschiedensten Voelker, der Syrakusaner, Latiner, Samniten und vor allem der Kelten brach die eben noch so gewaltig und so ploetzlich in Latium und Kampanien und auf beiden italischen Meeren um sich greifende etruskische Nation noch gewaltsamer und noch ploetzlicher zusammen. Der Verlust der Seeherrschaft, die Bewaeltigung der kampanischen Etrusker gehoert derselben Epoche an, wo die Insubrer und Cenomaner am Po sich niederliessen; und eben um diese Zeit ging auch die durch Porsena wenige Jahrzehnte zuvor aufs tiefste gedemuetigte und fast geknechtete roemische Buergerschaft zuerst angreifend gegen Etrurien vor. Im Waffenstillstand mit Veii von 280 (474) hatte sie das Verlorene wiedergewonnen und im wesentlichen den Zustand wiederhergestellt, wie er zu der Zeit der Koenige zwischen beiden Nationen bestanden hatte. Als er im Jahre 309 (445) ablief, begann zwar die Fehde aufs neue; aber es waren Grenzgefechte und Beutezuege, die fuer beide Teile ohne wesentliches Resultat verliefen. Etrurien stand noch zu maechtig da, als dass Rom einen ernstlichen Angriff haette unternehmen koennen. Erst der Abfall der Fidenaten, die die roemische Besatzung vertrieben, die Gesandten ermordeten und sich dem Koenig der Veienter, Lars Tolumnius, unterwarfen, veranlasste einen bedeutenderen Krieg, welcher gluecklich fuer die Roemer ablief: der Koenig Tolumnius fiel im Gefecht von der Hand des roemischen Konsuls Aulus Cornelius Cossus (326? 428), Fidenae ward genommen und 329 (425) ein neuer Stillstandsvertrag auf 200 Monate abgeschlossen. Waehrend desselben steigerte sich Etruriens Bedraengnis mehr und mehr und naeherten sich die keltischen Waffen schon den bisher noch verschonten Ansiedlungen am rechten Ufer des Po. Als der Waffenstillstand Ende 346 (408) abgelaufen war, entschlossen sich die Roemer auch ihrerseits zu einem Eroberungskrieg gegen Etrurien, der jetzt nicht bloss gegen, sondern um Veii gefuehrt ward.

Die Geschichte des Krieges gegen die Veienter, Capenaten und Falisker und der Belagerung Veiis, die gleich der trojanischen zehn Jahre gewaehrt haben soll, ist wenig beglaubigt. Sage und Dichtung haben sich dieser Ereignisse bemaechtigt, und mit Recht; denn gekaempft ward hier mit bis dahin unerhoerter Anstrengung um einen bis dahin unerhoerten Kampfpreis. Es war das erstemal, dass ein roemisches Heer Sommer und Winter, Jahr aus Jahr ein im Felde blieb, bis das vorgesteckte Ziel erreicht war; das erstemal, dass die Gemeinde aus Staatsmitteln dem Aufgebot Sold zahlte. Aber es war auch das erstemal, dass die Roemer es versuchten, sich eine stammfremde Nation zu unterwerfen und ihre Waffen ueber die alte Nordgrenze der latinischen Landschaft hinuebertrugen. Der Kampf war gewaltig, der Ausgang kaum zweifelhaft. Die Roemer fanden Unterstuetzung bei den Latinern und den Hernikern, denen der Sturz des gefuerchteten Nachbarn fast nicht minder Genugtuung und Foerderung gewaehrte als den Roemern selbst; waehrend Veii von seiner Nation verlassen dastand und nur die naechsten Staedte, Capena, Falerii, auch Tarquinii, ihm Zuzug leisteten. Die gleichzeitigen Angriffe der Kelten wuerden diese Nichtteilnahme der noerdlichen Gemeinden allein schon genuegend erklaeren; es wird indes erzaehlt und es ist kein Grund es zu bezweifeln, dass zunaechst innere Parteiungen in dem etruskischen Staedtebund, namentlich die Opposition der aristokratischen Regierungen der uebrigen Staedte gegen das von den Veientern beibehaltene oder wiederhergestellte Koenigsregiment, jene Untaetigkeit der uebrigen Etrusker herbeigefuehrt haben. Haette die etruskische Nation sich an dem Kampf beteiligen koennen oder wollen, so wuerde die roemische Gemeinde kaum imstande gewesen sein, die bei der damaligen hoechst unentwickelten Belagerungskunst riesenhafte Aufgabe der Bezwingung einer grossen und festen Stadt zu Ende zu fuehren; vereinzelt aber und verlassen wie sie war, unterlag die Stadt (358 396) nach tapferer Gegenwehr dem ausharrenden Heldengeist des Marcus Furius Camillus, welcher zuerst seinem Volke die glaenzende Bahn der auslaendischen Eroberungen auftat. Von dem Jubel, den der grosse Erfolg in Rom erregte, ist ein Nachklang die in den Festspielen Roms bis in spaete Zeit fortgepflanzte Sitte des “Veienterverkaufs”, wobei unter den zur Versteigerung gebrachten parodischen Beutestuecken der aergste alte Krueppel, den man auftreiben konnte, im Purpurmantel und Goldschmuck den Beschluss machte als “Koenig der Veienter”. Die Stadt ward zerstoert, der Boden verwuenscht zu ewiger Oede. Falerii und Capena eilten, Frieden zu machen; das maechtige Volsinii, das in bundesmaessiger Halbheit waehrend Veiis Agonie geruht hatte und nach der Einnahme zu den Waffen griff, bequemte nach wenigen Jahren (363 391) sich gleichfalls zum Frieden. Es mag eine wehmuetige Sage sein, dass die beiden Vormauern der etruskischen Nation, Melpum und Veii, an demselben Tage jenes den Kelten, dieses den Roemern unterlagen; aber es liegt in ihr auf jeden Fall eine tiefe geschichtliche Wahrheit. Der doppelte Angriff von Norden und Sueden und der Fall der beiden Grenzfesten war der Anfang des Endes der grossen etruskischen Nation.

Indes einen Augenblick schien es, als sollten die beiden Voelkerschaften, durch deren Zusammenwirken Etrurien sich in seiner Existenz bedroht sah, vielmehr untereinander sich aufreiben und auch Roms neu aufbluehende Macht von den fremden Barbaren zertreten werden. Diese Wendung der Dinge, die dem natuerlichen Lauf der Politik widersprach, beschworen ueber die Roemer der eigene Uebermut und die eigene Kurzsichtigkeit herauf.

Die keltischen Scharen, die nach Melpums Fall ueber den Fluss gesetzt waren, ueberfluteten mit reissender Geschwindigkeit das noerdliche Italien, nicht bloss das offene Gebiet am rechten Ufer des Padus und laengs des Adriatischen Meeres, sondern auch das eigentliche Etrurien diesseits des Apennin. Wenige Jahre nachher (363 391) ward schon das im Herzen Etruriens gelegene Clusium (Chiusi an der Grenze von Toskana und dem Kirchenstaat) von den keltischen Senonen belagert; und so gedemuetigt waren die Etrusker, dass die bedraengte tuskische Stadt die Zerstoerer Veiis um Hilfe anrief. Es waere vielleicht weise gewesen, dieselbe zu gewaehren und zugleich die Gallier durch die Waffen und die Etrusker durch den gewaehrten Schutz in Abhaengigkeit von Rom zu bringen; allein eine solche weitblickende Intervention, die die Roemer genoetigt haben wuerde, einen ernsten Kampf an der tuskischen Nordgrenze zu beginnen, lag jenseits des Horizonts ihrer damaligen Politik. So blieb nichts uebrig, als sich jeder Einmischung zu enthalten. Allein toerichterweise schlug man die Hilfstruppen ab und schickte Gesandte; und noch toerichter meinten diese, den Kelten durch grosse Worte imponieren und, als dies fehlschlug, gegen Barbaren ungestraft das Voelkerrecht verletzen zu koennen: sie nahmen in den Reihen der Clusiner teil an einem Gefecht und der eine von ihnen stach darin einen gallischen Befehlshaber vom Pferde. Die Barbaren verfuhren in diesem Fall mit Maessigung und Einsicht. Sie sandten zunaechst an die roemische Gemeinde, um die Auslieferung der Frevler am Voelkerrecht zu fordern, und der Senat war bereit, dem billigen Begehren sich zu fuegen. Allein in der Masse ueberwog das Mitleid gegen die Landsleute die Gerechtigkeit gegen die Fremden; die Genugtuung ward von der Buergerschaft verweigert, ja nach einigen Berichten ernannte man die tapferen Vorkaempfer fuer das Vaterland sogar zur Konsulartribunen fuer das Jahr 364 (390) ^6, das in den roemischen Annalen so verhaengnisvoll werden sollte. Da brach der Brennus, das heisst der Heerkoenig der Gallier, die Belagerung von Clusium ab und der ganze Keltenschwarm - die Zahl wird auf 70000 Koepfe angegeben - wandte sich gegen Rom. Solche Zuege in unbekannte und ferne Gegenden waren den Galliern gelaeufig, die unbekuemmert um Deckung und Rueckzug als bewaffnete Auswandererscharen marschierten; in Rom aber ahnte man offenbar nicht, welche Gefahr in diesem so ploetzlichen und so gewaltigen Ueberfall lag. Erst als die Gallier im Anmarsch auf Rom waren, ueberschritt eine roemische Heeresmacht den Tiber und vertrat ihnen den Weg. Keine drei deutsche Meilen von den Toren, gegenueber der Muendung des Baches Allia in den Tiberfluss, trafen die Heere aufeinander und kam es am 18. Juli 364 (390) zur Schlacht. Auch jetzt noch ging man, nicht wie gegen ein Heer, sondern wie gegen Raeuber, uebermuetig und tolldreist in den Kampf unter unerprobten Feldherren - Camillus hatte infolge des Staendehaders von den Geschaeften sich zurueckgezogen. Waren es doch Wilde, gegen die man fechten sollte; was bedurfte es des Lagers, der Sicherung des Rueckzugs? Aber die Wilden waren Maenner von todverachtendem Mut und ihre Fechtweise den Italikern so neu wie schrecklich; die blossen Schwerter in der Faust stuerzten die Kelten im rasenden Anprall sich auf die roemische Phalanx und rannten sie im ersten Stosse ueber den Haufen. Die Niederlage war vollstaendig; von den Roemern, die den Fluss im Ruecken gefochten hatten, fand ein grosser Teil bei dem Versuch, denselben zu ueberschreiten, seinen Untergang; was sich rettete, warf sich seitwaerts nach dem nahen Veii. Die siegreichen Kelten standen zwischen dem Rest des geschlagenen Heeres und der Hauptstadt. Diese war rettungslos dem Feinde preisgegeben; die geringe dort zurueckgebliebene oder dorthin gefluechtete Mannschaft reichte nicht aus, um die Mauern zu besetzen, und drei Tage nach der Schlacht zogen die Sieger durch die offenen Tore in Rom ein. Haetten sie es am ersten getan, wie sie es konnten, so war nicht bloss die Stadt, sondern auch der Staat verloren; die kurze Zwischenzeit machte es moeglich, die Heiligtuemer zu fluechten oder zu vergraben und, was wichtiger war, die Burg zu besetzen und notduerftig mit Lebensmitteln zu versehen. Was die Waffen nicht tragen konnte, liess man nicht auf die Burg - man hatte kein Brot fuer alle. Die Menge der Wehrlosen verlief sich in die Nachbarstaedte; aber manche, vor allem eine Anzahl angesehener Greise, mochten den Untergang der Stadt nicht ueberleben und erwarteten in ihren Haeusern den Tod durch das Schwert der Barbaren. Sie kamen, mordeten und pluenderten, was an Menschen und Gut sich vorfand und zuendeten schliesslich vor den Augen der roemischen Besatzung auf dem Kapitol die Stadt an allen Ecken an. Aber die Belagerungskunst verstanden sie nicht und die Blockade des steilen Burgfelsens war langwierig und schwierig, da die Lebensmittel fuer den grossen Heeresschwarm nur durch bewaffnete Streifpartien sich herbeischaffen liessen und diesen die benachbarten latinischen Buergerschaften, namentlich die Ardeaten, haeufig mit Mut und Glueck sich entgegenwarfen. Dennoch harrten die Kelten mit einer unter ihren Verhaeltnissen beispiellosen Energie sieben Monate unter dem Felsen aus und schon begannen der Besatzung, die der Ueberrumpelung in einer dunkeln Nacht nur durch das Schnattern der Heiligen Gaense im kapitolinischen Tempel und das zufaellige Erwachen des tapferen Marcus Manlius entgangen war, die Lebensmittel auf die Neige zu geben, als den Kelten ein Einfall der Veneter in das neu gewonnene senonische Gebiet am Padus gemeldet ward und sie bewog, das ihnen fuer den Abzug gebotene Loesegeld anzunehmen. Das hoehnische Hinwerfen des gallischen Schwertes, dass es aufgewogen werde vom roemischen Golde, bezeichnete sehr richtig die Lage der Dinge. Das Eisen der Barbaren hatte gesiegt, aber sie verkauften ihren Sieg und gaben ihn damit verloren.

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^6 Dies ist nach der gangbaren Gleichung 390 v. Chr.; in der Tat aber fiel die Einnahme Roms Ol. 98, 1 = 388 v. Chr. und ist nur durch die zerruettete roemische Jahrzaehlung verschoben.

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Die fuerchterliche Katastrophe der Niederlage und des Brandes, der 18. Juli und der Bach der Allia, der Platz, wo die Heiligtuemer vergraben gewesen und wo die Ueberrumpelung der Burg war abgeschlagen worden - all die Einzelheiten dieses unerhoerten Ereignisses gingen ueber von der Erinnerung der Zeitgenossen in die Phantasie der Nachwelt, und noch wir begreifen es kaum, dass wirklich schon zwei Jahrtausende verflossen sind, seit jene welthistorischen Gaense sich wachsamer bewiesen als die aufgestellten Posten. Und doch - mochte in Rom verordnet werden, dass in Zukunft bei einem Einfall der Kelten keines der gesetzlichen Privilegien vom Kriegsdienst befreien solle; mochte man dort rechnen nach den Jahren von der Eroberung der Stadt; mochte diese Begebenheit widerhallen in der ganzen damaligen zivilisierten Welt und ihren Weg finden bis in die griechischen Annalen: die Schlacht an der Allia mit ihren Resultaten ist dennoch kaum den folgenreichen geschichtlichen Begebenheiten beizuzaehlen. Sie aendert eben nichts in den politischen Verhaeltnissen. Wie die Gallier wieder abgezogen sind mit ihrem Golde, das nur eine spaet und schlecht erfundene Erzaehlung den Helden Camillus wieder nach Rom zurueckbringen laesst; wie die Fluechtigen sich wieder heimgefunden haben, der wahnsinnige Gedanke einiger mattherziger Klugheitspolitiker, die Buergerschaft nach Veii ueberzusiedeln, durch Camillus’ hochsinnige Gegenrede beseitigt ist, die Haeuser eilig und unordentlich - die engen und krummen Strassen Roms schrieben von dieser Zeit sich her - sich aus den Truemmern erheben, steht auch Rom wieder da in seiner alten gebietenden Stellung; ja es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Ereignis wesentlich, wenn auch nicht im ersten Augenblick, dazu beigetragen hat, dem Gegensatz zwischen Etrurien und Rom seine Schaerfe zu nehmen und vor allem zwischen Latium und Rom die Bande der Einigkeit fester zu knuepfen. Der Kampf der Gallier und Roemer ist, ungleich dem zwischen Rom und Etrurien oder Rom und Samnium, nicht ein Zusammenstoss zweier politischer Maechte, die einander bedingen und bestimmen; er ist den Naturkatastrophen vergleichbar, nach denen der Organismus, wenn er nicht zerstoert wird, sofort wieder sich ins gleiche setzt. Die Gallier sind noch oft wiedergekehrt nach Latium; so im Jahre 387 (367), wo Camillus sie bei Alba schlug - der letzte Sieg des greisen Helden, der sechsmal konsularischer Kriegstribun, fuenfmal Diktator gewesen und viermal triumphierend auf das Kapitol gezogen war; im Jahre 393 (361), wo der Diktator Titus Quinctius Pennus ihnen gegenueber keine volle Meile von der Stadt an der Aniobruecke lagerte, aber ehe es noch zum Kampfe gekommen war, der gallische Schwarm nach Kampanien weiterzog; im Jahre 394 (360), wo der Diktator Quintus Servilius Ahala vor dem Collinischen Tor mit den aus Kampanien heimkehrenden Scharen stritt; im Jahre 396 (358), wo ihnen der Diktator Gaius Sulpicius Peticus eine nachdrueckliche Niederlage beibrachte; im Jahre 404 (350), wo sie sogar den Winter ueber auf dem Albaner Berg kampierten und sich mit den griechischen Piraten an der Kueste um den Raub schlugen, bis Lucius Furius Camillus, der Sohn des beruehmten Feldherrn, im folgenden Jahr sie vertrieb - ein Ereignis, von dem der Zeitgenosse Aristoteles (370-432 384-322) in Athen vernahm. Allein diese Raubzuege, wie schreckhaft und beschwerlich sie sein mochten, waren mehr Ungluecksfaelle als politische Ereignisse und das wesentlichste Resultat derselben, dass die Roemer sich selbst und dem Auslande in immer weiteren Kreisen als das Bollwerk der zivilisierten Nationen Italiens gegen den Anstoss der gefuerchteten Barbaren erschienen - eine Auffassung, die ihre spaetere Weltstellung mehr als man meint gefoerdert hat.

Die Tusker, die den Angriff der Kelten auf Rom benutzt hatten, um Veii zu berennen, hatten nichts ausgerichtet, da sie mit ungenuegenden Kraeften erschienen waren; kaum waren die Barbaren abgezogen, als der schwere Arm Latiums sie mit unvermindertem Gewicht traf. Nach wiederholten Niederlagen der Etrusker blieb das ganze suedliche Etrurien bis zu den Ciminischen Huegeln in den Haenden der Roemer, welche in den Gebieten von Veii, Capena und Falerii vier neue Buergerbezirke einrichteten (367 387) und die Nordgrenze sicherten durch die Anlage der Festungen Sutrium (371 383) und Nepete (381 373). Mit raschen Schritten ging dieser fruchtbare und mit roemischen Kolonisten bedeckte Landstrich der vollstaendigen Romanisierung entgegen. Um 396 (358) versuchten zwar die naechstliegenden etruskischen Staedte Tarquinii, Caere, Falerii sich gegen die roemischen Uebergriffe aufzulehnen, und wie tief die Erbitterung war, die dieselben in Etrurien erweckt hatten, zeigt die Niedermetzlung der saemtlichen, im ersten Feldzug gemachten roemischen Gefangenen, dreihundertundsieben an der Zahl, auf dem Marktplatz von Tarquinii; allein es war die Erbitterung der Ohnmacht. Im Frieden (403 351) musste Caere, das, als den Roemern zunaechst gelegen, am schwersten buesste, die halbe Landmark an Rom abtreten und mit dem geschmaelerten Gebiet, das ihm blieb, aus dem etruskischen Bunde aus- und in das Untertanenverhaeltnis zu Rom treten, welches inzwischen zunaechst fuer einzelne latinische Gemeinden aufgekommen war. Es schien indes nicht ratsam, dieser entfernteren und von der roemischen stammverschiedenen Gemeinde diejenige kommunale Selbstaendigkeit zu belassen, welche den untertaenigen Gemeinden Latiums noch verblieben war; man gab der caeritischen Gemeinde das roemische Buergerrecht nicht bloss ohne aktives und passives Wahlrecht in Rom, sondern auch unter Entziehung der Selbstverwaltung, so dass an die Stelle der eigenen Beamten bei der Rechtspflege und Schatzung die roemischen traten und am Orte selbst ein Vertreter (praefectus) des roemischen Praetors die Verwaltung leitete - eine hier zuerst begegnende staatsrechtliche Form der Untertaenigkeit, wodurch der bisher selbstaendige Staat in eine rechtlich fortbestehende, aber jeder eigenen Bewegung beraubte Gemeinde umgewandelt ward. Nicht lange nachher (411 343) trat auch Falerii, das seine urspruengliche latinische Nationalitaet auch unter der Tuskerherrschaft sich bewahrt hatte, aus dem etruskischen Bunde aus und in ewigen Bund mit Rom; damit war ganz Suedetrurien in der einen oder anderen Form der roemischen Suprematie unterworfen. Tarquinii und wohl das noerdliche Etrurien ueberhaupt begnuegte man sich, durch einen Friedensvertrag auf 400 Monate fuer lange Zeit zu fesseln (403 351).

Auch im noerdlichen Italien ordneten sich allmaehlich die durch und gegen einander stuermenden Voelker wieder in dauernder Weise und in festere Grenzen. Die Zuege ueber die Alpen hoerten auf, zum Teil wohl infolge der verzweifelten Verteidigung der Etrusker in ihrer beschraenkteren Heimat und der ernstlichen Gegenwehr der maechtigen Roemer, zum Teil wohl auch infolge uns unbekannter Veraenderungen im Norden der Alpen. Zwischen Alpen und Apenninen bis hinab an die Abruzzen waren jetzt die Kelten im allgemeinen die herrschende Nation und namentlich die Herren des ebenen Landes und der reichen Weiden; aber bei ihrer schlaffen und oberflaechlichen Ansiedlungsweise wurzelte ihre Herrschaft nicht tief in der neu gewonnenen Landschaft und gestaltete sich keineswegs zum ausschliesslichen Besitz. Wie es in den Alpen stand und wie hier keltische Ansiedler mit aelteren etruskischen oder andersartigen Staemmen sich vermischten, gestattet unsere ungenuegende Kunde ueber die Nationalitaet der spaeteren Alpenvoelker nicht auszumachen; nur die Raeter in dem heutigen Graubuenden und Tirol duerfen als ein wahrscheinlich etruskischer Stamm bezeichnet werden. Die Taeler des Apennin behielten die Umbrer, den nordoestlichen Teil des Potals die anderssprachigen Veneter im Besitz; in den westlichen Bergen behaupteten sich ligurisch: Staemme, die bis Pisa und Arezzo hinab wohnten und das eigentliche Keltenland von Etrurien schieden. Nur in dem mittleren Flachland hausten die Kelten, noerdlich vom Po die Insubrer und Cenomaner, suedlich die Boier, an der adriatischen Kueste von Ariminum bis Ankon, in der sogenannten “Gallierlandschaft” (ager Gallicus) die Senonen, kleinerer Voelkerschaften zu geschweigen. Aber selbst hier muessen die etruskischem Ansiedlungen zum Teil wenigstens fortbestanden haben, etwa wie Ephesos und Milet griechisch blieben unter persischer Oberherrlichkeit. Mantua wenigstens, das durch seine Insellage geschuetzt war, war noch in der Kaiserzeit eine tuskische Stadt und auch in Atria am Po, wo zahlreiche Vasenfunde gemacht sind, scheint das etruskische Wesen fortbestanden zu haben; noch die unter dem Namen des Skylax bekannte, um 418 (336) abgefasste Kuestenbeschreibung nennt die Gegend von Atria und Spina tuskisches Land. Nur so erklaert sich auch, wie etruskische Korsaren bis weit ins fuenfte Jahrhundert hinein das Adriatische Meer unsicher machen konnten, und weshalb nicht bloss Dionysios von Syrakus die Kuesten desselben mit Kolonien bedeckte, sondern selbst Athen noch um 429 (325), wie eine kuerzlich entdeckte merkwuerdige Urkunde lehrt, zum Schutz der Kauffahrer gegen die tyrrhenischen Kaper die Anlage einer Kolonie im Adriatischen Meere beschloss.

Aber mochte hier mehr oder weniger von etruskischem Wesen sich behaupten, es waren das einzelne Truemmer und Splitter der frueheren Machtentwicklung; der etruskischen Nation kam nicht mehr zugute, was hier im friedlichen Verkehr oder im Seekrieg von einzelnen noch etwa erreicht ward. Dagegen gingen wahrscheinlich von diesen halbfreien Etruskern die Anfaenge derjenigen Zivilisation aus, die wir spaeterhin bei den Kelten und ueberhaupt den Alpenvoelkern finden. Schon dass die Keltenschwaerme in den lombardischen Ebenen, mit dem sogenannten Skylax zu reden, das Kriegerleben aufgaben und sich bleibend ansaessig machten, gehoert zum Teil hierher; aber auch die Anfaenge der Handwerke und Kuenste und das Alphabet sind den lombardischen Kelten, ja den Alpenvoelkern bis in die heutige Steiermark hinein durch die Etrusker zugekommen.

Also blieben nach dem Verlust der Besitzungen in Kampanien und der ganzen Landschaft noerdlich vom Apennin und suedlich vom Ciminischen Walde den Etruskern nur sehr beschraenkte Grenzen: die Zeiten der Macht und des Aufstrebens waren fuer sie auf immer vorueber. In engster Wechselwirkung mit diesem aeusseren Sinken steht der innere Verfall der Nation, zu dem die Keime freilich wohl schon weit frueher gelegt worden waren. Die griechischen Schriftsteller dieser Zeit sind voll von Schilderungen der masslosen Ueppigkeit des etruskischen Lebens: unteritalische Dichter des fuenften Jahrhunderts der Stadt preisen den tyrrhenischen Wein und die gleichzeitigen Geschichtschreiber Timaeos und Theopomp entwerfen Bilder von der etruskischen Weiberzucht und der etruskischen Tafel, welche der aergsten byzantinischen und franzoesischen Sittenlosigkeit nichts nachgeben. Wie wenig beglaubigt das einzelne in diesen Berichten auch ist, so scheint doch mindestens die Angabe begruendet zu sein, dass die abscheuliche Lustbarkeit der Fechterspiele, der Krebsschaden des spaeteren Rom und ueberhaupt der letzten Epoche des Altertums, zuerst bei den Etruskern aufgekommen ist; und jedenfalls lassen sie im ganzen keinen Zweifel an der tiefen Entartung der Nation. Auch die politischen Zustaende derselben sind davon durchdrungen. So weit unsere duerftige Kunde reicht, finden wir aristokratische Tendenzen vorwiegend, in aehnlicher Weise wie gleichzeitig in Rom, aber schroffer und verderblicher. Die Abschaffung des Koenigtums, die um die Zeit der Belagerung Veiis schon in allen Staaten Etruriens durchgefuehrt gewesen zu sein scheint, rief in den einzelnen Staedten ein Patrizierregiment hervor, das durch das lose eidgenossenschaftliche Band sich nur wenig beschraenkt sah. Selten nur gelang es, selbst zur Landesverteidigung alle etruskischen Staedte zu vereinigen, und Volsiniis nominelle Hegemonie haelt nicht den entferntesten Vergleich aus mit der gewaltigen Kraft, die durch Roms Fuehrung die latinische Nation empfing. Der Kampf gegen die ausschliessliche Berechtigung der Altbuerger zu allen Gemeindestellen und allen Gemeindenutzungen, der auch den roemischen Staat haette verderben muessen, wenn nicht die aeusseren Erfolge es moeglich gemacht haetten, die Ansprueche der gedrueckten Proletarier auf Kosten fremder Voelker einigermassen zu befriedigen und dem Ehrgeiz andere Bahnen zu oeffnen - dieser Kampf gegen das politische und was in Etrurien besonders hervortritt, gegen das priesterliche Monopol der Adelsgeschlechter muss Etrurien staatlich, oekonomisch und sittlich zugrunde gerichtet haben. Ungeheure Vermoegen, namentlich an Grundbesitz, konzentrierten sich in den Haenden von wenigen Adligen, waehrend die Massen verarmten; die sozialen Umwaelzungen, die hieraus entstanden, erhoehten die Not, der sie abhelfen sollten, und bei der Ohnmacht der Zentralgewalt blieb zuletzt den bedraengten Aristokraten, zum Beispiel in Arretium 453 (301), in Volsinii 488 (266) nichts uebrig, als die Roemer zu Hilfe zu rufen, die denn zwar der Unordnung, aber zugleich auch dem Rest von Unabhaengigkeit ein Ende machten. Die Kraft des Volkes war gebrochen seit dem Tage von Veii und Melpum; es wurden wohl einige Male noch ernstliche Versuche gemacht, sich der roemischen Oberherrschaft zu entziehen, aber wenn es geschah, kam die Anregung dazu den Etruskern von aussen, von einen andern italischen Stamm, den Samniten.

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