KAPITEL XIII. Glaube und Sitte

In strenger Bedingtheit verfloss dem Roemer das Leben und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die allmaechtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen Ausdruecke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben, war sein Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein Haus in guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde auch von jedem einzelnen Buerger als persoenlicher Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die Nachfahren ueber; und wie also ein Geschlecht nach dem anderen in die Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen Erwerb haeufte, schwoll das Gesamtgefuehl der edlen roemischen Familien zu jenem gewaltigen Buergerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie grossartige Spuren, wo wir ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehoeren scheinen. Zwar gehoerte zu dem eigentuemlichen Gepraege dieses maechtigen Buergersinnes auch dies, dass er durch die starre buergerliche Einfachheit und Gleichheit waehrend des Lebens nicht unterdrueckt, aber gezwungen ward, sich in die schweigende Brust zu verschliessen und dass er erst nach dem Tode sich aeussern durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegaengnis des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung im roemischen Leben geeignet ist, uns Spaeteren von diesem wunderbaren Roemergeist eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die Buergerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: “Jener Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius Aemilius das Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause”. Es eroeffneten ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Taenzer, von welchen letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei erschien, auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann noch einmal der Menge vergegenwaertigte. Sodann folgte der grossartigste und eigentuemlichste Teil dieser Feierlichkeit, die Ahnenprozession, gegen die alles uebrige Gepraenge so verschwand, dass wahrhaft vornehme roemische Maenner wohl ihren Erben vorschrieben, die Leichenfeier lediglich darauf zu beschraenken. Es ist schon frueher gesagt worden, dass von denjenigen Ahnen, die die kurulische Aedilitaet oder ein hoeheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit moeglich nach dem Leben gefertigt, aber auch fuer die fruehere Zeit bis in und ueber die der Koenige hinauf nicht mangelnd, an den Waenden des Familiensaales in hoelzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der hoechste Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat, so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht geeignete Leute, namentlich Schauspieler, fuer das Leichenbegaengnis staffiert, so dass die Vorfahren, jeder in dem bei Lebzeiten von ihm gefuehrten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesaeumten Mantel, mit ihren Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes, alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintuechern ueberspreiteten Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des hoechsten von ihm bekleideten Amtes und umgeben von den Ruestungen der von ihm erlegten Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kraenzen. Hinter der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Soehne des Verstorbenen mit verhuelltem Haupt, die Toechter ohne Schleier, die Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten: und Freigelassenen. So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Hoehe gerichtet; die Ahnen stiegen von den Wagen herab und liessen auf den kurulischen Stuehlen sich nieder, und des verstorbenen Sohn oder der naechste Geschlechtsgenosse betrat die Rednerbuehne, um in schlichter Aufzaehlung die Namen und Taten eines jeden der im Kreise herumsitzenden Maenner und zuletzt die des juengst Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren.

Man mag das Barbarensitte nennen, und eine kuenstlerisch empfindende Nation haette freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber selbst sehr kuehle und sehr wenig ehrfuerchtig geartete Griechen, wie zum Beispiel Polybios, liessen doch durch die grandiose Naivitaet dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem gleichfoermigen Zuge, zu der stolzen Wuerdigkeit des roemischen Lebens gehoerte es notwendig mit, dass die abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren, gleichsam koerperlich unter dem gegenwaertigen zu wandeln und dass, wenn ein Buerger, der Muehsal und der Ehren satt, zu seinen Vaetern versammelt ward, diese Vaeter selbst auf dem Markte erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen.

Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht mehr auf Italien beschraenkte, sondern weithin nach Osten und Westen uebergriff, war es auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat an deren Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem Einfluss hatte Italien gestanden, seit es ueberhaupt eine Geschichte hatte. Es ist frueher dargestellt worden, wie das jugendliche Griechenland und das jugendliche Italien, beide mit einer gewissen Naivitaet und Originalitaet, geistige Anregungen gaben und empfingen; wie in spaeterer Zeit in mehr aeusserlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen bemueht war. Aber der Hellenismus der Roemer dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing an, das Beduerfnis nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und wenn selbst kuenstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die deutsche, in den Pausen ihrer Produktivitaet es nicht verschmaeht haben, sich der armseligen franzoesischen Kultur als Lueckenbuesser zu bedienen, so kann es nicht befremden, dass die italische jetzt sich mit brennendem Eifer auf die herrlichen Schaetze wie auf den wuesten Unflat der geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas Tieferes und Innerlicheres, was die Roemer unwiderstehlich in den hellenischen Strudel hineinriss. Die hellenische Zivilisation nannte wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete vollstaendig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem geloest, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom ueberging, uebernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Grossen auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloss Anregung mehr noch Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation. Natuerlich straeubte die lebenskraeftige italische Eigenartigkeit sich gegen das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe raeumte der italische Bauer dem weltbuergerlichen Grossstaedter das Feld; und wie bei uns der franzoesische Frack den germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der Rueckschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in einer den frueheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem griechischen Einfluss prinzipiell opponierte und dabei ziemlich haeufig in derbe Albernheiten und Laecherlichkeiten verfiel.

Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf der alten und der neuen Weise nicht gefuehrt worden waere. Selbst die politischen Verhaeltnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch frueher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls hellenische Gedanke der Solidaritaet der Republiken den Koenigen gegenueber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische Despotie, welche beide zum Beispiel fuer die Behandlung Makedoniens mit massgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die letztere bis zur Laecherlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert - so zum Beispiel liess der Besieger des Koenigs Antiochos nicht bloss sich in griechischer Tracht seine Bildsaeule auf dem Kapitol errichten, sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen, den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch praechtigen und beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu ^1. Eine wichtigere Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum war es, dass die Latinisierung in Italien ueberall, nur nicht den Hellenen gegenueber Boden gewann. Die Griechenstaedte in Italien, soweit der Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Roemer sich freilich wenig bekuemmerten, scheint eben in dieser Epoche der Hellenismus vollstaendig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale Zivilisation mit der verbluehenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt zu haben. Die Ueberlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen, durchgaengig mit griechischer Aufschrift versehenen Stadtmuenzen und die hier allein in Italien mehr schwunghaft und praechtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter Tongefaesse nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollstaendig eingegangen in griechische Art und griechische Kunst.

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^1 Dass Asiagenus die urspruengliche Titulatur des Helden von Magnesia und seiner Deszendenten war, ist durch Muenzen und Inschriften festgestellt; wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion. Es kann jener Beiname nichts sein als eine Korruption von Ασιαγένης. wie auch spaetere Schriftsteller wohl dafuer schreiben, was aber nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten.

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Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen Antagonisten war in der gegenwaertigen Periode das Gebiet des Glaubens und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich bewegenden und schwer zu einer Anschauung zusammenzufassenden grossen Prinzipienfehde eine Darstellung zu versuchen.

Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der italischen Froemmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem Zwiste mit den Aetolern bekam es der roemische Oberfeldherr zu hoeren, dass er waehrend der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine Landsleute auf die politische Nuetzlichkeit dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt, dass der Staat nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen koenne und dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmaessig seien.

Aber wenn man in Italien noch besass, was in Hellas laengst eine Antiquitaet war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur Theologie zu verknoechern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veraenderten oekonomischen Verhaeltnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der oeffentliche Gottesdienst wurde nicht bloss immer weitschichtiger, sondern vor allem auch immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen Zweck, die Ausrichtung der Goetterschmaeuse zu beaufsichtigen, wurde im Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefuegt. Billig schmausen nicht bloss die Goetter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es hierfuer nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit Eifer und Andacht befliss. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale Immunitaet nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer Bedraengnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den oeffentlichen Abgaben nicht beizutragen und liessen erst nach sehr aergerlichen Kontroversen sich zur Nachzahlung der rueckstaendigen Steuern zwingen (558 196). Wie fuer die Gemeinde wurde auch fuer den einzelnen Mann die Froemmigkeit mehr und mehr ein kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und ueberhaupt der Uebernahme dauernder pekuniaerer Verpflichtungen zu religioesen Zwecken war bei den Roemern in aehnlicher Weise wie heutzutage in den katholischen Laendern verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie von der hoechsten geistlichen und zugleich hoechsten Rechtsautoritaet der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen uebergehende Reallast betrachtet wurden, fingen an, eine hoechst drueckende Vermoegenslast zu werden - “Erbschaft ohne Opferschuld” ward bei den Roemern sprichwoertlich gesagt, etwa wie bei uns “Rose ohne Dornen”. Das Geluebde des Zehnten der Habe wurde so gemein, dass jeden Monat ein paar Male infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom oeffentliches Gastgebot abgehalten ward. Mit dem orientalischen Kult der Goettermutter gelangten unter anderem gottseligen Unfug auch die jaehrlich an festen Tagen wiederkehrenden, von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom. Endlich die untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig nichts fuer nichts; und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der roemischen Buehne in der ehelichen Gardinenkonversation neben der Kuechen-, Hebammen- und Praesentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint:

Gleichfalls, Mann, muss ich was haben auf den naechsten Feiertag

Fuer die Kuesterin, fuer die Wahrsagerin, fuer die Traum- und die kluge Frau;

Saehst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand’ ist’s, schick’ ich nichts.

Auch der Opferfrau durchaus mal geben muss ich ordentlich.

Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie frueher einen Silber- so jetzt einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den hoechsten wie in den niedrigsten Kreisen des religioesen Lebens. Der alte Stolz der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer oekonomischen Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft und Glauben, die Theologie, war bereits geschaeftig, die ihr eigene beschwerliche Weitlaeufigkeit und feierliche Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des Jupiterpriesters zum Beispiel koennte fueglich im Talmud stehen. Mit der natuerlichen Regel, dass nur die fehlerlos verrichtete religioese Pflicht den Goettern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, dass ein einzelnes Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreissigmal hintereinander wiederholt wird, dass die Spiele, die ja auch Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte, als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden massten. In dieser Uebertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgueltigkeit und der Unglaube liessen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen Kriege (505 249) kam es vor, dass mit den vor der Schlacht zu befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb - freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Boesen der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser Epoche werden schon Klagen laut, dass die Augurallehre vernachlaessigt werde und dass, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und Vogelschauungen durch die Traegheit des Kollegiums in Vergessenheit geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene Ausnahme und musste es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen Absichten benutzte, das heisst die Landesreligion nach Polybios’ Auffassung als einen zur Prellung des grossen Publikums brauchbaren Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die hellenistische Irreligiositaet offene Bahn. Mit der beginnenden Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der Goetter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgeraet zu schmuecken. Gefaehrlichere Wunden schlug der Religion die beginnende Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu durch sie zu den religioesen Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem roemischen Saturnus geschoepfte Vater Caelus, war wohl auch hellenistisch, aber nicht von grosser Bedeutung. Folgenreich dagegen war die Verbreitung der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die poetische Philosophie, welche die spaeteren Pythagoreer aus den Schriften des alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470) ausgezogen oder vielmehr, wenigstens groesstenteils, ihm untergeschoben hatten, sah in den griechischen Goettern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der Seele ein Sonnenstaeubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie, aehnlich wie in spaeterer Zeit die stoische Lehre, in ihren allgemeinsten Grundzuegen der roemischen Religion wahlverwandt war, war sie geeignet, die allegorisierende Aufloesung der Landesreligion einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion lieferten die “heiligen Memoiren” des Euhemeros von Messene (um 450 300), die in Form von Berichten ueber die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland getanen Reisen die von den sogenannten Goettern umlaufenden Nachrichten gruendlich und urkundlich sichteten und im Resultat darauf hinausliefen, dass es Goetter weder gegeben habe noch gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genuegen, dass die Geschichte von Kronos’ Kinderverschlingung erklaert wird aus der in aeltester Zeit bestehenden und durch Koenig Zeus abgeschafften Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes Glueck und half in Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion begraben. Es ist ein merkwuerdiges Zeichen des ausgesprochenen und wohlbewussten Antagonismus zwischen der Religion und der neuen Literatur, dass bereits Ennius diese notorisch destruktiven Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische uebertrug. Die Uebersetzer moegen vor der roemischen Polizei sich damit gerechtfertigt haben, dass die Angriffe sich nur gegen die griechischen und nicht gegen die latinischen Goetter wandten; aber die Ausrede war ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen Sittenverderber und Religionsfrevler zu heissen.

So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man die maechtigen Staemme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit wucherndem Domgestruepp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inlaendischer Aberglaube und auslaendische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-, neben- und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der Umwandlung alten Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedaerme- und Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwoerens in ueppigem Flor. Sogar bei der latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier verhaeltnismaessig am wenigsten, doch auch aehnliche Erscheinungen - so die praenestinischen Spruchlose und in Rom im Jahre 573 (181) die merkwuerdige Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des Koenigs Numa, welche ganz unerhoerten und seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies und dass die Buecher sehr neu ausgesehen haetten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf den Schatz und liess die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inlaendische Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden billigerweise zu verlangenden Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt, sich daran genuegen zu lassen. Der damalige, bereits denationalisierte und von orientalischer Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den Aberglauben in seinen aergerlichsten und gefaehrlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben als auslaendischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen Reiz. Die chaldaeischen Astrologen und Nativitaetensteller waren schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme der phrygischen Goettermutter unter die oeffentlich anerkannten Goetter der roemischen Gemeinde, zu der die Regierung waehrend der letzten bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen muessen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein, den die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhoertem Gepraenge von der Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das froehliche Ereignis unter den hoeheren Staenden Klubgesellschaften mit umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das beginnende Cliquentreiben wesentlich gefoerdert zu haben scheinen. Mit der Konzessionierung dieses Kybelekultes fusste die Gottesverehrung der Orientalen offiziell Fuss in Rom, und wenn auch die Regierung noch streng darauf hielt, dass die Kastratenpriester der neuen Goetter Kelten (Galli), wie sie hiessen, auch blieben und noch kein roemischer Buerger zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so musste dennoch der wueste Apparat der “Grossen Mutter”, diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze unter fremdlaendischer Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-moenchische Treiben vom wesentlichsten Einfluss auf die Stimmung und Anschauung des Volkes sein. Wohin das fuehrte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu schrecklich. Wenige Jahre spaeter (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der scheusslichsten Art bei den roemischen Behoerden zur Anzeige, eine geheime naechtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und ueber ganz Italien verbreitet, ueberall die Familien zerruettet und die aergsten Verbrechen, unerhoerte Unzucht, Testamentsfaelschungen, Giftmorde hervorgerufen hatte. Ueber 7000 Menschen wurden deswegen kriminell, grossenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften fuer die Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu werden, und sechs Jahre spaeter (574 180) klagte der betreffende Beamte, dass wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich absehen lasse.

Natuerlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie gemeinschaedlichen Afterfroemmigkeit alle vernuenftigen Leute sich einig; die altglaeubigen Frommen wie die Angehoerigen der hellenischen Aufklaerung trafen hier im Spott wie im Aerger zusammen. Cato setzte seinem Wirtschafter in die Instruktion, “dass er ohne Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch fuer sich darbringen lassen solle ausser an dem Hausherd und am Flurfest auf dem Fluraltar, und dass er nicht sich Rats erholen duerfe weder bei einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem Chaldaeer”. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange, das Lachen zu verbeissen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein Catonisches Wort und urspruenglich auf den etruskischen Gedaermebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren Anhang:

Diese aberglaeubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack,

Die verrueckt und die aus Faulheit, die gedraengt von Hungerpein,

Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus,

Schenken Schaetze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn.

Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede auslaendische nicht besonders konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des verhaeltnismaessig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch 512 (242) von Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn die Koepfe einmal gruendlich verrueckt sind, so setzt auch der hoehere Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung dennoch nachgeben musste oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem Gesagten hervor. Die roemische Sitte, die etruskischen Weisen in vorkommenden Faellen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der etruskischen Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs wegen hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die Frauen beschraenkten Geheimdienstes der Demeter moegen wohl noch der aelteren, unschuldigen und verhaeltnismaessig gleichgueltigen Uebernahme auslaendischer Satzungen beizuzaehlen sein. Aber die Zulassung des Goettermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem neuen Aberglauben gegenueber sich die Regierung fuehlte, vielleicht auch davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist es entweder eine unverzeihliche Nachlaessigkeit oder etwas noch Schlimmeres, dass gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren, erst so spaet und auch da noch auf eine zufaellige Anzeige hin von den Behoerden eingeschritten ward.

Wie nach der Vorstellung der achtbaren Buergerschaft dieser Zeit das roemische Privatleben beschaffen sein sollte, laesst sich im wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns von dem des aelteren Cato ueberliefert worden ist. Wie taetig Cato als Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, so war und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz - besser ein guter Ehemann sein, meinte er, als ein grosser Senator. Die haeusliche Zucht war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus verlassen noch ueber die haeuslichen Vorgaenge mit Fremden schwatzen. Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf es dabei herging, kann man daraus abnehmen, dass einer seiner Sklaven wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhaendig mit dem Riemen aufzuzaehlen. Nicht minder streng hielt er Frau und Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklaerte er fuer suendhaft. Bei der Wahl der Frau missbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute Herkunft zu sehen, heiratete uebrigens selbst im Alter die Tochter eines seiner armen Klienten. Uebrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit auf Seiten des Mannes so, wie man es damit ueberall in Sklavenlaendern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als ein notwendiges Uebel. Seine Schriften fliessen ueber von Scheltreden gegen das schwatzhafte, putzsuechtige, unregierliche schoene Geschlecht; “ueberlaestig und hoffaertig sind die Frauen alle” - meinte der alte Herr - und “waeren die Menschen der Weiber los, so moechte unser Leben wohl minder gottlos sein”. Dagegen war die Erziehung der ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen Augen eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie naehrte in der Regel selbst, und wenn sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen liess, so legte sie dafuer auch wohl selbst deren Kinder an die eigene Brust - einer der wenigen Zuege, worin das Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft und Milchbruederschaft die Institution der Sklaverei zu mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend moeglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er ueber die kindliche Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er in Gegenwart seiner Kinder sich gehuetet, ein schaendliches Wort in den Mund zu nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfasst, ausser wenn diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes ist wohl der schoenste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten Taetigkeit. Seinem Grundsatz getreu, dass der rotbackige Bube besser tauge als der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen Leibesuebungen an und lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, dass die Zeit vorbei war, wo der Roemer damit auskam, ein tuechtiger Bauer und Soldat zu sein, und ebenso den nachteiligen Einfluss, den es auf das Gemuet des Knaben haben musste, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm Ehrerbietung abgewonnen hatte, spaeterhin einen Sklaven erkannte. Darum lehrte er selbst den Knaben, was der Roemer zu lernen pflegte, lesen und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in spaeten Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, dass er imstande war, das, was er daraus dem Roemer brauchbar erachtete, seinem Sohn in der Muttersprache zu ueberliefern. Auch seine ganze Schriftstellerei war zunaechst auf den Sohn berechnet, und sein Geschichtswerk schrieb er fuer diesen mit grossen deutlichen Buchstaben eigenhaendig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn mehr kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den Zimmerwaenden keine Tuenche. Fuer gewoehnlich ass und trank er dieselbe Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, dass die Mahlzeit ueber 30 Asse (21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der Wein durchgaengig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder nach Umstaenden Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn sass er gern und lange bei Tafel, und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmaehte er auch weder die Wuerfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit fuer den Fall, dass man eine ungewoehnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes Sein bis ins hoechste Alter hinauf war Taetigkeit. Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefuellt, und jeden Abend pflegte er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag ueber gehoert, gesagt und getan hatte. So blieb denn Zeit fuer die eigenen Geschaefte wie fuer die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder fuer Gespraech und Vergnuegen; alles ward rasch und ohne viel Reden abgetan, und in echtem Taetigkeitsinn war ihm nichts so verhasst als die Vielgeschaeftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten.

So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte roemische Musterbuerger galt und in dem, gegenueber dem griechischen Muessiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die roemische, allerdings etwas grobdraehtige Taetigkeit und Bravheit gleichsam verkoerpert erschienen - wie denn ein spaeter roemischer Dichter sagt:

Nichts ist an der fremden Sitt’ als tausendfache Schwindelei;

Besser als der roemische Buerger fuehrt sich keiner auf der Welt;

Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir.

Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber wer die Revolution ins Auge fasst, welche der entartete Hellenismus dieser Zeit in dem Leben und Denken der Roemer vollzog, wird geneigt sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schaerfen als zu mildern.

Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit. Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich, und wie die Verhaeltnisse lagen, war es nicht einmal moeglich, gesetzlich dagegen. etwas Wesentliches zu tun - die hohe Steuer, welche Cato als Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten und ging ueberdies ein paar Jahre darauf mit der Vermoegenssteuer ueberhaupt tatsaechlich ein. Die Ehelosigkeit, ueber die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234) schwere Klage gefuehrt ward, und die Ehescheidungen nahmen natuerlich im Verhaeltnis zu. Im Schosse der vornehmsten Familien kamen grauenvolle Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl zum Konsulat herbeizufuehren und dadurch dem letzeren das hoechste Amt zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete Frau von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der vaeterlichen gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft ihrer naechsten maennlichen Agnaten, die der vaeterlichen Gewalt wenig nachgab; eigenes Vermoegen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt fingen die Frauen an, nach vermoegensrechtlicher Selbstaendigkeit zu streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die Verwaltung ihres Vermoegens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von Kapital, die in den Haenden der Frauen sich zusammenfand, schien den Staatsmaennern der Zeit so bedenklich, dass man zu dem exorbitanten Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen gesetzlich zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine hoechst willkuerliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden Kollateralerbschaften denselben groesstenteils zu entziehen. Ebenso wurden die Familiengerichte ueber die Frau, die an jene eheherrliche und vormundschaftliche Gewalt anknuepften, praktisch mehr und mehr zur Antiquitaet. Aber auch in oeffentlichen Dingen fingen die Frauen schon an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, “die Herrscher der Welt zu beherrschen”; in der Buergerschaftsversammlung war ihr Einfluss zu spueren, ja es erhoben sich bereits in den Provinzen Statuen roemischer Damen.

Die Ueppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und Geraet, in den Bauten und in der Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und seine geld-, tag- und freudenverderbende Kleinkraemerei ueber nach Rom. Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem Schelten durch, dass der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215) gefasste Buergerschaftsbeschluss, welcher ihnen den Goldschmuck, die bunten Gewaender und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559 195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts uebrig, als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). Eine Masse neuer und groesstenteils frivoler Gegenstaende, zierlich figuriertes Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die sogenannten attalischen Gewaender und Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Fruehstueck (prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und fuer die Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gaenge nicht mehr aus. Bisher hatten die Frauen im Hause das Brotbacken und die Kueche selber beschafft und nur bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen, der dann Speisen wie Gebaeck gleichmaessig besorgte. Jetzt dagegen begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Haeusern ward ein eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig, und aus dem Kuechenhandwerk zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab - um 583 (171) entstanden die ersten Baeckerlaeden in Rom. Gedichte ueber die Kunst, gut zu essen, mit langen Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfruechte fanden ihr Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Auslaendische Delikatessen, pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in Rom geschaetzt zu werden, und Catos Rezept, dem gewoehnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des koischen zu geben, wird den roemischen Weinhaendlern schwerlich erheblichen Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gaeste und ihrer Knaben wurde verdraengt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage nicht gekannt; jetzt kam das foermliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein wenig oder gar nicht gemischt und aus grossen Bechern getrunken ward und das Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das “griechisch Trinken” (Graeco more bibere) oder “griechen” (pergraecari, congraecare), wie die Roemer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm das Wuerfelspiel, das freilich bei den Roemern laengst ueblich war, solche Verhaeltnisse an, dass die Gesetzgebung es noetig fand, dagegen einzuschreiten. Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich ^2. Cato schlug vor, den Markt mit spitzen Steinen pflastern zu lassen, um den Tagedieben das Handwerk zu legen; man lachte ueber den Spass und kam der Lust zu lottern und zu gaffen von allen Seher. her entgegen. Der erschreckenden Ausdehnung der Volkslustbarkeiten waehrend dieser Epoche wurde bereits gedacht. Zu Anfang derselben ward, abgesehen von einigen unbedeutenden, mehr den religioesen Zeremonien beizuzaehlenden Wettrennen und Wettfahrten, nur im Monat September ein einziges allgemeines Volksfest von viertaegiger Dauer und mit einem fest bestimmten Kostenmaximum abgehalten; am Schlusse derselben hatte dieses Volksfest wenigstens schon sechstaegige Dauer und wurden ueberdies daneben zu Anfang April das Fest der Goettermutter oder die sogenannten megalensischen, gegen Ende April das Ceres- und das Flora-, im Juni das Apollo-, im November das Plebejerfest und wahrscheinlich alle diese bereits mehrtaegig gefeiert. Dazu kamen die zahlreichen Instaurationen, bei denen die fromme Skrupulositaet vermutlich oft bloss als Vorwand diente, und die unaufhoerlichen ausserordentlichen Volksfeste, unter denen die schon erwaehnten Schmaeuse von den Geloebniszehnten (2., 391), die Goetterschmaeuse, die Triumphal- und die Leichenfeste und vor allem die Festlichkeiten hervortreten, welche nach dem Abschluss eines der laengeren, durch die etruskisch-roemische Religion abgegrenzten Zeitraeume, der sogenannten Saecula, zuerst im Jahre 505 (249), gefeiert wurden. Gleichzeitig mehrten sich die Hausfeste. Waehrend des Zweiten Punischen Krieges kamen unter den Vornehmen die schon erwaehnten Schmausereien an dem Einzugstag der Goettermutter auf (seit 550 204), unter den geringeren Leuten die aehnlichen Saturnalien (seit 537 217); beide unter dem Einfluss der fortan festverbuendeten Gewalten des fremden Pfaffen und des fremden Kochs. Man war ganz nahe an dem idealen Zustand, dass jeder Tagedieb wusste, wo er jeden Tag verderben konnte; und das in einer Gemeinde, wo sonst fuer jeden einzelnen wie fuer alle zusammen die Taetigkeit Lebenszweck und das muessige Geniefeen von der Sitte wie vom Gesetz geaechtet gewesen war! Dabei machten innerhalb dieser Festlichkeiten die schlechten und demoralisierenden Elemente mehr und mehr sich geltend. Den Glanz- und Schlusspunkt der Volksfeste bildeten freilich nach wie vor noch die Wettfahrten; und ein Dichter dieser Zeit schildert sehr anschaulich die Spannung, womit die Augen der Menge an dem Konsul hingen, wenn er den Wagen das Zeichen zum Abfahren zu geben im Begriff war. Aber die bisherigen Lustbarkeiten genuegten doch schon nicht mehr; man verlangte nach neuen und mannigfaltigeren. Neben den einheimischen Ringern und Kaempfern treten jetzt (zuerst 568 186) auch griechische Athleten auf. Von den dramatischen Auffuehrungen wird spaeter die Rede sein; es war wohl auch ein Gewinn von zweifelhaftem Wert, aber doch auf jeden Fall der beste bei dieser Gelegenheit gemachte Erwerb, dass die griechische Komoedie und Tragoedie nach Rom verpflanzt ward. Den Spass, Hasen und Fuechse vor dem Publikum laufen und hetzen zu lassen, mochte man schon lange sich gemacht haben; jetzt wurden aus diesen unschuldigen Jagden foermliche Tierhetzen, und die wilden Bestien Afrikas, Loewen und Panther, wurden (zuerst nachweislich 568 186) mit grossen Kosten nach Rom transportiert, um toetend oder sterbend den hauptstaedtischen Gaffern zur Augenweide zu dienen. Die noch abscheulicheren Fechterspiele, wie sie in Etrurien und Kampanien gangbar waren, fanden jetzt auch in Rom Eingang; zuerst im Jahre 490 (264) wurde auf dem roemischen Markt Menschenblut zum Spasse vergossen. Natuerlich trafen diese entsittlichenden Belustigungen auch auf strengen Tadel; der Konsul des Jahres 476 (268), Publius Sempronius Sophus, sandte seiner Frau den Scheidebrief zu, weil sie einem Leichenspiel beigewohnt hatte; die Regierung setzte es durch, dass die Ueberfuehrung der auslaendischen Bestien nach Rom durch Buergerbeschluss untersagt ward und hielt mit Strenge darauf, dass bei den Gemeindefesten keine Gladiatoren erschienen. Allein auch hier fehlte ihr doch sei es die rechte Macht oder die rechte Energie; es gelang zwar, wie es scheint, die Tierhetzen niederzuhalten, aber das Auftreten von Fechterpaaren bei Privatfesten, namentlich bei Leichenfeiern, ward nicht unterdrueckt. Noch weniger war es zu verhindern, dass das Publikum dem Tragoeden den Komoedianten, dem Komoedianten den Seiltaenzer, dem Seiltaenzer den Fechter vorzog und die Schaubuehne sich mit Vorliebe in dem Schmutze des hellenischen Lebens herumtrieb. Was von bildenden Elementen in den szenischen und musischen Spielen enthalten war, gab man von vornherein preis; die Absicht der roemischen Festgeber ging ganz und gar nicht darauf, durch die Macht der Poesie die gesamte Zuschauerschaft wenn auch nur voruebergehend auf die Hoehe der Empfindung der Besten zu erheben, wie es die griechische Buehne in ihrer Bluetezeit tat, oder einem ausgewaehlten Kreise einen Kunstgenuss zu bereiten, wie unsere Theater es versuchen. Wie in Rom Direktion und Zuschauer beschaffen waren, zeigt der Auftritt bei den Triumphalspielen 587 (167), wo die ersten griechischen Floetenspieler, da sie mit ihren Melodien durchfielen, vom Regisseur angewiesen wurden, statt zu musizieren miteinander zu boxen, worauf denn der Jubel kein Ende nehmen wollte.

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^2 Eine Art Parabase in dem Plautinischen ‘Curculio’ schildert das derzeitige Treiben auf dem hauptstaedtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber mit grosser Anschaulichkeit:

Lasst euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen finden moegt,

Dass nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen wuenscht

Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann.

Suchst Du einen Eidesfaelscher? auf die Dingstatt schick’ ich Dich.

Einen Luegensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin.

[Reiche wueste Ehemaenner sind zu haben im Bazar;

Auch der Lustknab’ ist zu Haus dort und wer auf Geschaeftchen passt.]

Doch am Fischmarkt sind, die gehen kneipen aus gemeinem Topf.

Brave Maenner, gute Zahler wandeln auf dem untern Markt,

In der Mitt’ am Graben aber die, die nichts als Schwindler sind.

Dreiste Schwaetzer, boese Buben stehn zusammen am Bassin;

Mit der frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus

Und doch liefern wahrlich selber gnug, das man ruegen mag.

Unter den alten Buden sitzen, welche Geld auf Zinsen leihn;

Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen schlecht bekommt;

Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten feil;

Im Velabrum hat es Baecker, Fleischer, Opferpfaffen auch,

Schuldner den Termin verlaengernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin:

Reiche wueste Ehemaenner bei Leucadia Oppia.

Die eingeklammerten Verse sind ein spaeterer, erst nach Erbauung des ersten roemischen Basars (570 184) eingelegter Zusatz.

Mit dem Geschaeft des Baeckers (pistor, woertlich Mueller) war in dieser Zeit Delikatessenverkauf und Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7 Mueller; Plaut. Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben.

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Schon verdarb nicht mehr bloss die hellenische Ansteckung die roemischen Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schueler an, die Lehrmeister zu demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren, fuehrte Koenig Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Roemeraffe von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort ebenfalls und kamen allmaehlich in weiteren Kreisen in Gebrauch.

Selbstverstaendlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine oekonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhoerter Hoehe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt; das Faesschen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen (120 Taler) hoeher als ein Ackerknecht, ein huebscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800 Taler) hoeher als mancher Bauernhof. Geld also und nichts als Geld war die Losung fuer hoch und niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die Griechen selber mit unloeblicher Naivitaet einraeumten; seit dem Zweiten Makedonischen Krieg fingen die Roemer an, auch in dieser Hinsicht zu hellenisieren. Die Respektabilitaet musste mit gesetzlichen Notstuetzen versehen und zum Beispiel durch Volksschluss den Sachwaltern untersagt werden, fuer ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schoene Ausnahme machten nur die Rechtsverstaendigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu geben, nicht durch Buergerbeschluss festgehalten zu werden brauchten. Man stahl womoeglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu schnellem Reichtum zu gelangen, schienen erlaubt: Pluenderung und Bettel, Lieferantenbetrug und Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die oekonomische Ausnutzung rein sittlicher Verhaeltnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren gewoehnlich und es zeigte sich noetig, den Schenkungen, welche die Ehegatten sich untereinander machten, die rechtliche Gueltigkeit abzuerkennen. Dass unter Verhaeltnissen dieser Art Plaene zur Anzeige kamen, die Hauptstadt an allen Ecken anzuzuenden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuss mehr in der Arbeit findet und bloss arbeitet, um so schnell wie moeglich zum Genuss zu gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das Schicksal ueber die Roemer mit voller Hand ausgeschuettet; aber wahrlich, die Pandorabuechse war eine Gabe von zweifelhaftem Wert.

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