Die Geschichte selbst. Schlecht getroffen. Jammer. Broche-Leë wird von ihrem Mann verlassen
Mildtätigkeit ist eine große Sache. Doch nur für den, der sie übt. Und ich beneide nicht den, der Almosen empfängt und vom Vorstand des Wohltätigkeitsvereins abhängt …
Aber ich beneide meinen Bruder, er ruhe in Frieden, daß er zur rechten Zeit verschied und den späteren Jammer nicht mehr sah!
Denn die Hausväter, welche Broche-Leë die Mitgift gaben, hatten bloß das eine vergessen, daß sie die Tochter eines Gelehrten und eine fromme und reine Seele war. Bei der Wahl des Bräutigams berücksichtigten sie weder das, noch viel weniger die Verdienste ihres Vaters. Sie trachteten nur danach, ihr einen Ernährer zum Mann zu geben. Sie handelten ganz ohne Vorbedacht, nur um die Sache irgendwie zu erledigen. Man gabelte einen jungen Mann auf, der in einer Rechtsanwaltskanzlei halb angestellt war und ab und zu etwas verdiente. Und da er keine zu großen Ansprüche machte und ein Weib ernähren konnte, griff man zu. Man nähte die Aussteuer, hinterlegte die Mitgift, nahm Spielleute auf und feierte Hochzeit. Ich gratuliere!
Die Wahrheit zu sagen, gefiel mir der junge Mann gar nicht. Auch mein Weib Feige, sie soll gesund sein, meinte, daß man keine besonders kostbare Anschaffung gemacht hatte. Da aber mein Bruder, er ruhe in Frieden, dazu gar nichts sagte, so schwiegen wir selbstverständlich auch.
Doch dieses Schweigen war nicht klug!
Kaum war mein Bruder, gesegneten Angedenkens, abgereist, als die Geschichte losging, und es sich zeigte, daß in dieser Ehe etwas nicht in Ordnung war. Ich hörte bald, daß der häusliche Friede beim jungen Paare etwas hinkte! Man zankte sich, man schrie, und die Nachbarn klopften an die Wände. Ich hörte auch, daß der junge Mann Mojsche-Ißroel nicht ausnehmend fromm war, was Broche-Leë sehr mißfiel. Und er schreckte sie damit, daß er den Kaftan ablegen und den kurzen deutschen Rock anziehen werde, daß er sogar selbst Rechtsanwalt werden wollte. Mojsche-Ißroel hielt ihr vor, daß die Hausväter ihn betrogen hätten: sie hätten ihm vor der Trauung eine andre, schönere Braut gezeigt; sie hätte er gewiß nicht genommen! Er bemängelte auch ihre Aussteuer: Alte Lumpen, sagte er. Auch hätte man ihm die übliche Beköstigung in den ersten Ehejahren versprochen und ihm hinterdrein die Zunge gezeigt. Noch sagte er, er hätte erwartet, daß die Wohltäter sich für ihn verwenden, ihn, wie er sagte, »protegieren« würden; sie hätten sich aber auf der Armenhochzeit nur angegessen und angetanzt und ihn später nicht über ihre Schwelle gelassen.
Selbstverständlich wollte ich mich gleich in der ersten Stunde nicht einmischen … Die Hausväter und meine Frau Feige, leben soll sie, wollten es nicht zulassen. Und schließlich ist es ja auch nichts Neues! Es kommt oft genug vor, daß es in der ersten Zeit nach der Hochzeit, ehe man sich aneinander gewöhnt hat, zwischen Mann und Weib Streitigkeiten gibt. Und später – Gewohnheit ist die zweite Natur – lebt man doch zusammen!
Die Wahrheit zu sagen, gab es auch zwischen mir und meiner Frau Feige – sie soll gesund sein! – im ersten Jahre nach der Hochzeit Zusammenstöße. Doch später, als die Kinder kamen und wir um unseren Lebensunterhalt selbst sorgen mußten, hörten diese Dummheiten auf. Ich suchte mir irgendein Geschäft; es glückte mir nicht, und so wurde ich Melamed. Und es ist wirklich nicht so schlimm – man lebt – möge es bis hundertundzwanzig Jahr' so weiter gehen!
Also kurz und gut – ich schwieg. Besonders, als mir meine Frau Feige, sie soll leben, über Broche-Leë eine vielsagende Andeutung machte. Und mir braucht man nicht erst einen Finger in den Mund zu legen. Also ein gutes Zeichen, daß es nur gut abläuft! Leider lief es aber nicht nach Wunsch ab.
Er besserte sich nämlich gar nicht, er wurde sogar noch schlimmer. Dieser Prachtmensch hatte unsers Vaters Abrahams Eigenschaft: er sprach wenig und tat viel. Es genügte nicht, daß er sich deutsch kleidete, er begann auch ganze Nächte hindurch Karten zu spielen.
Jeden Abend brachte er seine Kumpane mit ins Haus und zwang Broche-Leë, ihnen Tee zu kochen und sie mit Branntwein und Hering zu bewirten; und den Hering natürlich mit Essig und Öl – anders paßt es ihm nicht. Und dazu weiße Semmeln; Schwarzbrot ist ihnen zu gering! Und wenn etwas von den sieben Sachen fehlte, machte er einen Krach. Obendrein verhöhnte er sie und machte sie zum Spott für die Leute. Und das nicht genug – er beschimpfte sie noch mit den gemeinsten Ausdrücken!
Nun sah ich ein, daß die Sache nicht gut steht und daß man weiter nicht schweigen darf. Ich faßte mir ein Herz und ging zum Ehepaar hin.
Ich komme herein und fange, natürlich zunächst mit guten Worten an, mit feinen Reden, sogar mit einem Scherzwort, wie schon so meine Natur ist. Ich versuche die Sache zuerst freundschaftlich und gutmütig anzufassen und sage ihm, daß, obwohl er ein Verbrecher vor dem Herrn ist, die Sache noch nicht hoffnungslos sei; und ich schildere ihm das große Ansehen, das der Bußfertige im Himmel hat, und sage ihm, daß ihm auch die Verdienste von Broche-Leës gottseligen Ahnen im Himmel beistehen würden. Er müsse nur mit der Buße beginnen, nur einmal ernsthaft an Buße denken.
Ich verspreche ihm noch, ihm menschlich näher zu treten, ihn in meinen Betzirkel einzuführen und sogar, falls ich einmal, so Gott will, zum Rebben fahren werde, ihn mitzunehmen; und noch ähnliche freundschaftliche Worte sage ich ihm.
Da bricht er in ein Gelächter aus! Er lacht über mich, über meinen Betzirkel und über den Rebben! Er möchte, sagt er, auf alle diese schönen Sachen verzichten, wenn ich ihm nur Broche-Leë abnehme! Und dabei gebraucht er Ausdrücke, die man überhaupt nicht in den Mund nehmen kann!
Notgedrungen mußte ich nun einen strengeren Ton anschlagen. Ich sagte ihm, daß er, obwohl er sich deutsch kleide, doch nur ein Ignorant und ein Taugenichts sei. Und dann sagte ich ihm noch ganz furchtlos: wenn er Buße tut, ists gut, und wenn nicht, so wird er manches schwarze und finstere Jahr in der Hölle zu kosten kriegen!
Fängt er schon wieder zu lachen an: »Wer Hölle? Was Hölle?« Als ob er schon einmal dort gewesen wäre und gesehen hätte, daß es, Gott behüte, gar keine Hölle gibt! Und dann weist mir noch der freche Kerl die Tür!
Was sollte ich tun? Broche-Leë ist, sehe ich, grün und gelb, die Tränen fließen ihr wie Bäche aus den Augen. Ich gehe also fort und lasse den Frechling vor das Rabbinergericht laden.
Er kommt nicht hin, und ich lasse wieder eine Zeit verstreichen.
Und da wurde es plötzlich still. Vom Ehepaar hörte ich gar nichts mehr. Das kam aber nur daher, weil der Verbrecher seiner Broche-Leë verboten hatte, über meine Schwelle zu kommen; sonst würde er sie windelweich schlagen! Broche-Leë ist aber ein gesittetes Weib und tut, was der Mann verlangt. Sie sitzt also zu Hause und vergießt heimliche Tränen.
Und höre ich nichts, so weiß ich nichts!
Inzwischen habe ich auch meine eigene Tracht Sorgen: meine Frau Feige wird mir krank; der Arzt sagt, es sei Fieber; die Nachbarn sagen etwas anderes, und ich meine, es kommt von einem bösen Blick. Das Haus ist ohne Hausfrau, die Kinder ohne Mutter und auch – ohne Vater: es ist gerade Semesterwechsel, und ich muß herumlaufen, um mir noch zwei oder drei Schüler zu verschaffen. Und das ist nicht genug: ich bin auch selbst nicht ganz beisammen.
Die Warschauer steilen Treppen nehmen mir alle Lebenskraft! Und dazu hetzt man mich noch von allen Seiten: der Hausherr mahnt das Wohnungsgeld, und ich bin ihm schon zwei Quartale schuldig geblieben! Und der Bezirksinspektor verlangt von mir, daß ich noch ein Zimmer hinzumiete, damit es die Schüler geräumiger haben, damit es in der Lehrstube mehr Luft gibt!
Gott möge es mir verzeihen – ich habe an Broche-Leë nicht mehr gedacht! Und sooft ich mich an sie erinnerte, sagte ich mir: da es so still ist, wird sich der Bösewicht wohl doch bekehrt haben, und sie tun jetzt nichts, als sich herzen und küssen! Und weil es ihr so gut geht, hat sie die armen Verwandten ganz vergessen.
Aber einmal – ich komme halb ohnmächtig und, nicht auf euch gesagt, mit geschwollenen Füßen nach Hause, will mir die Hände waschen, irgend etwas herunterschlingen, schnell das Tischgebet sprechen und die Knochen im Bette ausstrecken – da verkündet mir meine Frau Feige eine frohe Botschaft: Broche-Leë war dagewesen, hatte bittere Tränen vergossen und uns Mörder gescholten, weil uns ihr Unglück nichts anginge; sie sei eine verlassene Waise, elend und einsam wie ein Stein.
Sie erzählte noch, daß ihr Mann Mojsche-Ißroel sie martere und ihr Todfeind sei. Er schlage und prügele sie, so daß sie schon viele Male aus Nase und Ohren geblutet habe.
Und ich frage meine Frau Feige: »Wie kann das sein? Daß ein Jude seine Frau schlägt, und dazu noch eine Frau in gesegneten Umständen?!…«
Sie antwortet, daß es wohl von seiner wahnsinnigen Bosheit kommt; Mojsche-Ißroel hat den rechten Weg schon längst verlassen. Er hat jedes Gottvertrauen verloren; darum schreit er, er habe nicht mehr, wovon zu leben … Und er verlangt – sein Name und sein Andenken mögen ausgelöscht werden! – daß Broche-Leë sich etwas antue … Die ganze Welt macht es, sagt er, so; selbst die feinsten Damen … Und da sie es nicht tun will, schlägt er sie und beschimpft sie und ihren Vater mit den schrecklichsten Flüchen!
Wie ich höre, daß er meinem Bruder, gesegneten Angedenkens, flucht, werde ich voller Zorn! Ich vergesse alles andre, nehme meinen Stecken – mein Tod oder sein Tod! Abschlachten werde ich den Hund! – und laufe ohne Atem und Besinnung aus dem Hause …
Und ich komme und sehe …
Einen Jammer sehe ich!
Die Tür steht offen, in der Stube ists stockfinster. Der Kerl ist fort, durchgebrannt! Fort ist der ganze Hausrat, selbst die Bettwäsche hat er abgezogen … Und wo ist sie?
Sie liegt auf dem Boden und windet sich in Krämpfen …