Viertes Kapitel. Der Wahehe-Aufstand.

Iringa, 27. Februar 1897.

Am 27. Februar abends kehrten wir von der Safari zurück, und mein Mann atmete erleichtert auf, daß nichts Ungünstiges in unsrer Abwesenheit vorgefallen war. Wir beschlossen daher, am 28. wieder aufzubrechen. Tom will das Land rekognoszieren und Jumben in den verschiedenen Teilen einsetzen. Abends waren wir mit Graf Fugger gemütlich bei uns.

Des Morgens früh wurde alles für die Safari zurecht gemacht. Gerade als wir aufbrechen wollten, kamen zwei Wahehe mit schlimmer Kunde. Quawa hat wirklich so viele Leute gesammelt, daß es ihm möglich gewesen ist, an einer Stelle 500 Stück, an einer anderen Stelle 60 Stück Rindvieh von den Msagiras, denen das Vieh zum Hüten gegeben war, wegzunehmen. Gerade der Teil der Landschaft, nach welchem unser Zug bestimmt war, sei zu Quawa übergegangen. So mußte die Safari unterbleiben, dafür rückten Graf Fugger und mein Mann, jeder mit einer Expedition, nach den gefährdeten Gebieten ab. Alle wünschen sehnlichst, daß es zum entscheidenden Kampfe kommen möge, doch Quawa weiß dem immer geschickt auszuweichen. Gott weiß, ich bin in derselben verzehrenden Angst wie damals in Perondo. Nur bin ich meinem Manne viel näher; Gott sei Dank. Wenn ihm ein Unglück zustößt, dann ist es auch mit uns in der Station vorbei.

Wie schnell ändern sich alle Pläne. Um 10 Uhr wollten mein Mann und ich abmarschieren und Graf Fugger sollte hier bleiben, statt dessen marschiert Graf Fugger um 12 Uhr ab, ich bleibe hier, und um 2 Uhr ging mein Mann, der noch vieles anzuordnen hatte.

Dieselbe böse Nachricht wurde, eine halbe Stunde später wie die Wahehe es meldeten, auch von Farhenga und Sadalla gebracht, also ist es unumstößliche Wahrheit.

Ein Revolver von der 1891 niedergemetzelten Zelewski-Expedition ist in meinem Besitze, er wurde in einer Tembe gefunden. Wie man von den Wahehe hört, hat sich die unglückliche Expedition tapfer verteidigt, 200 Wahehe fielen damals!

4. März 1897.

Wie die Ertrinkenden sind wir mit unseren Hoffnungen bald oben, bald unten, kaum haben wir uns auf die Oberfläche gearbeitet, reißt eine Welle uns wieder in die Tiefe. Gott gebe, daß wir nicht untergehen! — Ich war mit dem Pater spazieren gegangen; als ich zurückkam, waren von Leutnant Fonck wieder schlimme Nachrichten eingetroffen. Auch in Madibiro sind Unruhen, es wird Vieh gestohlen, ja es sind sogar mehrere Leute vor den Wahehe geflohen. Die Wahehe haben wieder neuen Mut geschöpft, und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie sich an mehr wagen. Ich kann’s nicht sagen, wie leid mir Tom tut, auf den es von allen Seiten Unglücksbotschaften regnet.

Die Schwarzen hier in der Stadt müssen doch ein unbegrenztes Vertrauen zu uns haben. Die Bautätigkeit läßt trotz der unsicheren Zustände nicht nach, die Händler bauen weiter an ihren Hütten und Lagerhäusern, es entsteht Straße um Straße, daß es eine wahre Freude ist. — Ich bin tüchtig erkältet, wahrscheinlich Nachwehen von dem Ruahabade am Schluß der letzten Safari (Reise). Unser neues Haus steht unter Dach, es schreitet sehr langsam vorwärts unter den ungünstigen Verhältnissen. Kein Bauleiter, und jetzt kaum ein Europäer zur Aufsicht, Feldwebel Spiegel hat es aber sehr hübsch gemacht, trotz seines Augenleidens. An der Befestigung der Boma wird fleißig gearbeitet, es wird alles dazu herangezogen.

Von Tom sind schon ein Ruga-Ruga und ein Askari zurück, die nicht schnell genug mitkonnten. Von Feldwebel Langenkemper, mit dem Tom zusammentraf, mußten mehrere Lasten zurück. Tom scheint also vorwärts zu stürmen. Mir ist sehr ernst! Ich hätte gewünscht, bessere Nachricht nach Haus senden zu können! Aber so launenhaft ist das Schicksal. Vor drei Wochen war es hier wunderschön friedlich, und jetzt spukt es allerorten. Ein Segen, daß Tom den Aufstand schon im Entstehen erkannte und ihn im Keime ersticken kann. Quawas Freunde haben sich jetzt noch enger zusammengeschlossen und treten offen auf, die fein eingefädelte Überraschung des Überfalls ist ihnen nicht gelungen; wie weit die Funken reichen, was sie noch alles entflammen werden, ist unabsehbar. Doch ich weiß, Tom wird trotz alledem ihrer Herr, früher oder später, obgleich er in Quawa einen Gegner gefunden, der in Deutsch-Ostafrika kaum seinesgleichen hat.

Sonnabend, 6. März 1897.

Ich habe fest zu Bett gelegen, aber heute mußte ich doch aufstehen, um meine gratulierenden Sudanesen-Damen zu empfangen. Wir sind nämlich mitten im Ramassan, dem großen Feste der Mohammedaner. Des Schießens ist kein Ende, der Beginn der Festzeit wurde sogar mit Kanonenschüssen eingeleitet; der Neger beurteilt nun einmal aus seiner kindlichen Anschauung heraus jede Feier und jedes Vergnügen nach dem Lärm, den er dabei machen darf.

Meine Damen erscheinen bei mir zum Gratulieren, ich bewirte sie mit Bonbons und allerlei Süßem, der Frau des Effendi (farbigen Offiziers) lasse ich Kaffee und Wein reichen. Ein interessanter Anblick, meine acht Besucherinnen: von der nach hiesigen Begriffen gebildeten Effendi-Frau mit feingeschnittenem Gesicht, lebhaften, hübschen Zügen, bis zur kugelrunden, gutmütig ausschauenden und zufrieden lächelnden Rentiersgattin, auf deren dickem Gesicht das behagliche Lächeln angenehmen Gesättigtseins glänzt. Ich hätte früher nie geglaubt, wie viele Abstufungen innerhalb der schwarzen Rasse möglich sind; man lernt im täglichen Umgang rasch die Gesichter individualisieren, sie in die beiden, überall auf der Welt und in allen Ständen gebräuchlichen Hauptklassen einzuteilen: in sympathische und unsympathische Gesichter. Meine Sudanesinnen sind in mancher Beziehung zugleich meine Schicksalsgenossinnen; auch sie sind Fremde hier, die ihre Heimat verließen, um dem Gatten nach einem unbekannten Lande zu folgen; augenblicklich sind auch sie Strohwitwen, denn die Sudanesen sind unsere besten Askaris und werden zu jeder Expedition mitgenommen. Die Sudanesenfrau hält treu zu ihrem Manne, Ausnahmen kommen kaum öfter vor wie bei uns Weißen. Meine Kaffeegesellschaft bot einen wundervollen Anblick: Gelb und Weiß sind die bevorzugten Farben, und in dieser Auswahl bekunden die schwarzen Damen wirklich Geschmack, denn sie bringen die dunkle Hautfarbe zu malerischer Wirkung. Lang herabwallendes, weißes Krepptuch, je nach dem Stande der Trägerin von feinerem oder gröberem Gewebe, verhüllt die Gestalt vom Scheitel bis zu den Sohlen, darunter wird ein mit bunter Seidenborte oder mit feinen Klöppelspitzen verziertes Gewand getragen; ein weißseidenes Tuch bedeckt die Stirn bis an die Augenbrauen; dazu reicher Silberschmuck an Hals und Armen: lange schwere Silberketten mit in Silber gefaßten Löwenklauen, silbernen Dosen jeden Formates, Ringen und Talismanen. An den Fingern möglichst viele silberne Reifen, zum Teil in der Form unserer Siegelringe, mit Steinen besetzt. Man sieht unter diesen Schmucksachen zuweilen Stücke von ganz eigenartig schöner Ziselierung und Prägung. Nur eine der Frauen hatte Kinder, und diese hatte in berechtigtem Mutterstolze ihr Jüngstes mitgebracht. Den anderen Frauen waren die Kinder infolge der Strapazen und Entbehrungen auf den Safaris, auf denen sie ihre Männer begleiten mußten, schon im zartesten Alter gestorben.

Auch bei uns in Uhehe spielt die „Frauenfrage“ eine große Rolle: infolge der vielen Kriegszüge herrscht Mangel an jungen Männern, dagegen Überfluß an Frauen; dazu kommen noch die vielen geraubten Weiber aus anderen Stämmen. Kein Wunder, daß unter solchen Verhältnissen die schwarzen „Herren der Schöpfung“ verwöhnt sind — die Weiber reißen sich geradezu um die Männer. So hat denn ein jeder hier mehrere Frauen, denen nach dem einfachen Grundsatze: „je älter und häßlicher — um so härter die Arbeit und karger der Lohn“ die ganze Last der Haus- und Feldarbeit zufällt. So haben z. B. alle jungen hübschen Frauen bei den Wahehe Überfluß an weißen und bunten Tüchern, mit denen sie ihre schlanken Glieder verhüllen. Nur der meist prächtig geformte Hals mit dem tadellosen Büstenansatz, die vollen Schultern und die kräftigen Arme bleiben frei. Mit zunehmendem Alter und dem Schwinden der körperlichen Reize schwinden auch diese sichtbaren Zeichen sowohl eheherrlicher Gunst wie eifersüchtigen Verhüllens — der Rest ist Schweigen.

Am 8. März 1897.

Heute kam Tom zurück; ich war gerade im Garten und konnte ihm schon von weitem zuwinken. In die Freude des Wiedersehens mischte sich die Sorge um Graf Fugger, von dem noch keine Meldung gekommen ist. Auch Dr. Stierling bringt eine Hiobspost: wieder sind 16 Kettengefangene ausgebrochen; eine neue Verstärkung für Quawa!

9. März 1897.

Unsere Sorge um Graf Fugger war, Gott sei Dank, umsonst; heute nachmittag kam er unerwartet an. Er hat die verdächtige Gegend gesäubert und bringt erbeutetes Vieh mit. Kaum sind wir dieser Sorge enthoben, kommt eine neue Unglücksbotschaft: ein von Tom eingesetzter Msagira, Schabruma, ist von einem früher ausgebrochenen Kettengefangenen Jumba-Jumba, einem Halbbruder Quawas, ermordet worden. Quawa sichert sich seinen Einfluß auf die Großen seines Landes mit Energie: er schickt ihnen nachts einige ihm treu ergebene Anhänger zu, die ihnen die Wahl lassen zwischen Tod oder Gefolgschaft. Nichts zeigt übrigens so deutlich, daß wir es bei den Wahehe mit einem einigen, von einem Willen gelenkten Volke zu tun haben und nicht bloß mit einzelnen verbündeten Stämmen, als die Tatsache, daß es hier allerorten gleichzeitig im Lande spukt: Quawas mächtige Hand macht sich überall fühlbar, und all unser Denken und Sorgen, fast wie das einer Braut, die stets nur den Geliebten im Sinne trägt, beschäftigt sich mit „Ihm“.

10. März 1897.

Mein Mann hat heute alle von ihm selbst eingesetzten Jumben aufgeboten und hält ihnen eine sehr eindringliche Rede. Sie und ihre Leute sollen sich alle mit ihm vereinigen und gemeinsam gegen Quawa ziehen. Es ist unglaublich, welche Furcht und unausrottbarer Respekt vor der früheren Sultansgestalt selbst bei uns ganz ergebenen Leuten herrscht. Ich hörte zu. Mein Mann entwickelte eine Beredsamkeit, die ich ihm nie zugetraut hätte. Endlich waren sie alle sämtlich überredet und wollten alles tun, was Tom anordnet, — wie weit die guten Vorsätze gehen, wird sich bald zeigen.

Wir waren nun wirklich sehr aufgeregt, ob die Wahehe kommen würden. Fortwährend wurde die Frage: „Kommen sie, kommen sie nicht?“ erörtert. Gestern abend traf nämlich noch die Nachricht ein, in Ubena sei Mawala von 4 bis 6 Quawaleuten ermordet worden. Für meinen Mann ein schwerer Verlust, da er von Anfang an treu zu ihm hielt; Mawalas Vater ist nämlich von Quawa gehängt worden. Sein Bruder Sadamenda ist in Iringa-Bagamoyo als Sultan eingesetzt worden. Sofort wurden Boten an alle Jumben geschickt, die sie zu heute entbieten mußten. Unsere Sorge war, daß die Jumben dem Heerbann nicht alle folgen und daß die Angst, das Schicksal Mawalas zu teilen, sie ins Pori treiben würde: dann stünde Tom ohne Leute da.

Als wir nun einen Jumben nach dem andern ankommen sahen, wurden wir etwas ruhiger, aber die Sorge wurde wieder rege, als Sadamenda nicht kam; wir glaubten ihn schon entflohen, als sich beim Schauri herausstellte, daß er einen Stellvertreter geschickt habe, da er selbst „weinen“ müsse! Eine Art offizieller Trauerdienst um seinen Bruder!

Dann kam die Nachricht, daß Sagamaganga, der Bruder von Kiwanga, ermordet sei, also so weit dehnt sich Quawas Macht aus. Ferner sind drei Händler auf dem Wege erstochen, dann traf ein Askari von Kiwanga ein, der zum Schutz des Viehs dort war (das Vieh, 200 Stück, ist weggetrieben). Er hat sich vier Wochen durchs Pori heimlich hierher geschlichen und kam halb verhungert hier an.

Außerdem kamen Meldungen von Leutnant Fonck, daß Kiwanga, Mbeyera, Lupembe abgefallen seien. Ebenso die Wangoni, die sich alle zum Kampf gegen uns rüsteten!

Solche Nachrichten wirken gerade nicht beruhigend, obwohl mein Mann es nicht für möglich hält, daß Kiwanga abgefallen sei, selbst auch von den anderen scheint es ihm zweifelhaft.

Es herrschte auch Ungewißheit, ob Merere dem Aufgebot hierher folgen und wieviel Leute er mitbringen würde; denn Leutnant Fonck hatte auch geschrieben, daß Merere große Angst vor Quawa habe. Gegen 4 Uhr traf aber Leutnant Braun ein und mit ihm Merere und 140 Mann. Nun muß er hier bleiben und noch mehr Wassangus kommen lassen.

Es ist ihm ein Teil einer Straße eingeräumt worden, in der er mit seinen Leuten wohnt. Jeden Tag wird ein Ochse für ihn geschlachtet, er bekommt noch Zucker, Salz, Pombe (Bier) und er und sein Bruder je 1 Rupie, seine Leute je 10 Pesa. Die Leute, die ihm ihre Temben überlassen mußten, bekommen 1 Rupie per Tag Entschädigung. Sie wollten nicht so recht, da hieß es aber, das sei eben Einquartierung, und in Uleia (Europa) wär’s auch nicht anders.

Für uns ist Merere ein billiger Gast, da er Kognak, Wein und Zigaretten verschmäht, weil er dann betrunken wird, wie er sagt. Dafür ißt er desto mehr Zucker. Des Nachmittags wiesen wir ihm sein Quartier an. Er geht stets mit dem Säbel, den mein Mann 1893 seinem Vater schenkte, oder läßt ihn von einem dazu bestimmten Boy hinter sich hertragen, desgleichen hat er einen besonderen Stuhlträger.

Er ist sich sehr seiner Würde bewußt, bemüht sich aber nicht, bessere Manieren sich anzugewöhnen, ebenso wie er nichts Europäisches essen mag. Betteln tut er großartig, mit unglaublicher Zähigkeit.

Einen Sultan Mpangire gibt es eben nur einmal — um den schönen Kerl tut mir’s jetzt noch herzlich leid.

Merere hat kein dummes Gesicht; er ist mittelgroß, etwa 36 Jahre alt. Sein Blick ist freundlich, und ich habe den Eindruck, als wenn er gegen seine Untertanen gütig und gerecht wäre und auch auf den Rat seiner Großen höre. Seine Askaris sind teils mit Gewehren, teils mit Speer und Schild bewaffnet, er hat Chargen unter ihnen.

11. März 1897.

Gestern abend waren die Herren bei uns zu Tisch. Tom ist so angegriffen und hat so viel zu arbeiten. Ich machte als Speise einen Servietten-Pudding, den ich seit Weißenrode nicht gegessen hatte, er fand großen Anklang. Ein friedlicher Zug kam in unsere kriegerische Stimmung hinein, und doch wäre beinahe das ganze Fest verdorben gewesen, wenn Tom sich nicht beherrscht hätte. Auf seinen Schultern liegt doch alles, die anderen konnten schon eher lustig sein.

Kurz bevor die Herren zum Essen kamen, war die Nachricht gekommen, daß einer unserer Askaris den Anführer der noch treugebliebenen Wahehe (der Wadongwe) erschossen habe, weil derselbe eine Frau zurück haben wollte, die der Askari gestohlen hatte. Werden nun die Leute jetzt, nachdem ihr Führer ermordet, zu Quawa gehen? Für meinen Mann ist dieser Semulikanbe gar nicht zu ersetzen. Noch bei der Jumbenversammlung fiel mir seine große Gestalt mit dem eisernen Kopf voll Energie und Tatkraft auf. Er hatte Tom überall hin begleitet und ihm die treuesten Dienste geleistet. Dr. Stierling ging sofort hin, um den Askari zu verhaften und die Sache zu untersuchen. Farhenga ging als Stellvertreter von Tom den Verwandten des Ermordeten sein Beileid sagen.

Alle verfügbaren Unteroffiziere hat mein Mann jetzt verteilt. Hammermeister nach Iringa, Prinage nach Mage, Langenkemper nach Luhalali und Stephan nach Irandi, morgen geht Graf Fugger nach Ukalinga, und Sadalla ist mit dem Elefantenjäger Nenge und 25 seiner Leute, die 15 Mauser-Gewehre bekommen haben, ausgeschickt. Wenn das nur nicht einen Zuzug für Quawa bedeutet, es wäre zu schrecklich! Unsere Gäste blieben bis 1 Uhr, ein Zeichen, daß wir uns trotz aller kriegerischen Sorgen gut unterhielten.

12. März 1897.

Eine Aufregung folgt der andern, Dr. Stierling nicht zurück, trotzdem der Askari schon eingebracht wurde! Leutnant Braun wurde sofort auf die Suche geschickt. — Ich habe Merere auf seinem Ochsen photographiert, er reitet denselben nämlich auf Safari; es ist ein prachtvoller rabenschwarzer Reitochse, der dem Merere beinahe heilig ist, er ist auch durch Zauber gegen Unheil geschützt, ebenso drei schöne graue Kühe.

13. März 1897.

Bei Toms Schauri des Morgens fielen mir zwei Prachtkerle auf, beide Brüder aus Bueni, der eine ein Jumbe, der Tom um seine offizielle Einsetzung bat. Eine Freude, den hübschen Kerl zu sehen, er erinnerte mich etwas an Mpangire. Des Nachmittags mußte er festgenommen werden, denn sein Vater ist zu Quawa übergegangen, und er soll auch nicht ganz sicher sein. Man muß geradezu mißtrauisch gegen die hübschen Kerle werden! Ich war bei dem Verhör zugegen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, seine Brust hob und senkte sich schneller, sonst war ihm nichts anzumerken! Sein Obermsagira war dabei, damit er seinen Leuten die Botschaft bringen konnte, daß, wenn sie sich nicht ganz ruhig verhielten, ihr Jumbe es mit dem Leben büßen würde! Andernfalls solle ihnen aber ihr Jumbe bleiben.

Von der Mission wieder beruhigende Nachrichten, aber alles so wenig klar, daß nichts damit anzufangen war. Abends kam der Pater, brachte aber nichts Neues.

Ferner kam die schlimme Nachricht von Leutnant Fonck, daß Mtitima, der Jumbe von Idunda, mit seinem Besitz und Leuten entflohen sei. Es scheint ihm nicht genug auf die Finger gesehen worden zu sein, trotzdem er als unsicher und unzuverlässig galt.

14. März 1897.

Gott sei Dank: eben kommt die Nachricht, daß Dr. Stierling sich nur verirrt hatte. Es ist unglaublich, wie die Unruhen selbst auf unsere Boys wirken, nichts geht seinen gewohnten Gang. Sie sind ganz außer Rand und Band und machen mir viel Wirtschaft.

Merere besucht uns alle Tage; er ist doch der richtige „Mchensi“. Gestern hat Tom ihm drei Quawaweiber gegeben, heute wollte er noch mehr herauspressen.

15. März 1897.

Dr. Stierling und Leutnant Braun kamen heute wieder zurück. Morgen soll Kriegsgericht über den Askari zusammentreten. Tom hatte den Verwandten des Ermordeten reiche Geschenke angeboten; sie weigerten sich jedoch, sie als Sühne gelten zu lassen, und verlangen den Tod des Askari. Für Tom ein schweres Dilemma! Erhalten sie nicht volle Sühne für den Tod ihres Verwandten, so muß man befürchten, daß sie sich weigern werden, mit gegen Quawa zu ziehen — und es sind gerade die treuesten und schneidigsten von unseren Wahehes.

Gestern abend brannten einige Askarihütten ab. Es war ein mächtiges Feuer. Tom war natürlich wieder der Erste auf dem Platze, eine Stange fiel ihm aufs Bein und verursachte ihm große Schmerzen, er ließ sich aber nicht in seiner Feuerwehrtätigkeit stören.

In den brennenden Hütten platzten die Patronen, die die Askaris hatten liegen lassen, das machte die Sache gefährlich. Ein paar Ziegen und Schafe waren nicht mehr zu retten, ihr Geschrei klang schauerlich. Ein Schaf, dem schon die Wolle abgesengt war, konnte ich noch glücklich retten. Plötzlich hieß es, ein Fundi sei durch eine Patrone am Gesicht verwundet worden; da weder Arzt noch Lazarettgehilfe zugegen (beide waren abkommandiert), ließ ich mir den Mann holen und hatte die Freude, ihn tüchtig auslachen zu können, er hatte nur eine ganz geringfügige Schmarre, die wohl kaum von einer Patrone herrührte.

Nach dem Brande wurde gemeldet, ein Askari sei von der Tembe gefallen und habe ein Bein gebrochen. Ich ging hin, fand aber auch das nicht so schlimm. Ich hielt den Schaden für eine starke Sehnenzerrung oder Verstauchung und legte Verband an. Heute überzeugte ich mich, daß es nicht schlimm geworden war. Auch Dr. Stierling konstatierte später nur eine Verstauchung. Jetzt wird von den Leuten im Händlerdorf eine große Boma gebaut. Man kann und darf eigentlich schon „Stadt“ sagen bei ungefähr 3000 Einwohnern, und das alles in einer Zeit von sechs Monaten! Vor der Zeit war hier alles Pori (Wüste), und keine Menschenseele, weder weiß noch schwarz, hier in der ganzen Gegend. Die Dornenboma wird verstärkt und Bastionen werden angelegt. Jetzt sind schon solche Vorsichtsmaßregeln notwendig, während wir vor zwei Monaten ohne jeden Schutz hier lebten. Schnapsel amüsiert sich jetzt den ganzen Tag bis spät zur Nacht, bis er eben gesucht wird, auf eigene Faust; da er uns aber zu leicht weggefressen werden kann, besonders jetzt, wo außer den wilden Tieren auch unsere Wassangus Hundefleisch lieben, muß er die ganze Zeit angebunden sein und wird nur spazieren geführt. Merere behauptet, er und seine Leute äßen Hunde nicht mehr, aber sein Vater hat sie noch sehr geliebt, und da derselbe erst 1893 gestorben ist, halte ich Mereres Zivilisation noch nicht für so wurzelecht, als daß ich sie durch den täglichen Anblick Schnapsels ins Wanken bringen möchte.

Eine Gerichtssitzung in Iringa.

Sultan Merere auf seinem Reitstier.
(Zu S. 86.)

16. März 1897.

Ein fortwährendes Gehen und Kommen von fremden Menschen bei uns. Man fürchtet sich vor jeder neuen Nachricht. So Tag für Tag auf der Lauer liegen, geduldig abwarten und nichts tun können, ist für Tom die größte Energieprobe; gar zu gern möchte er losschlagen. Es geht aber auch unglaublich auf die Nerven, an Schlafen ist kaum noch zu denken. Tom sieht schon ganz elend aus, und ich ängstige mich sehr um seine Gesundheit, um so mehr, als das große Schreckgespenst einer langen Trennung vor mir steht. Tom erwartet nur mehr Wassangus und Kiwangaleute, um loszuschlagen. Es ist eben keine leichte Zeit. Natürlich kann ich gar nicht alle Meldungen und Nachrichten hier einschreiben. Heute ist nur 20 Schritt von der Boma der Unteroffiziere ein Soldatenboy erstochen worden. Zwei Soldaten kamen gleich mit der Meldung. Also selbst auf ganz sicherem Gebiete ein Meuchelmord.

Gestern kam Kersten, um die gefangenen Weiber, Kinder, Anhänger von Quawa und Mpangire nach der Küste zu bringen. Der verurteilte Askari geht mit, das Kriegsgericht hat auf fünf Jahre Zuchthaus erkannt.

Das weiße Schwein wurde plötzlich so krank, daß wir glaubten, es würde eingehen. Hammermeister als gelernter Fleischer konstatierte aber nur Unmengen von Sandflöhen, Sohle und Kniescheibenhaut mußten abgeschnitten werden. Jetzt wird es fleißig gepflegt und verbunden werden, desgleichen das schwarze Schwein.

Abends ritten wir zu Merere hinüber; der sollte auf seinem Ochsen mitkommen, das gab natürlich viel Spaß, besonders, als er plötzlich von demselben heruntersegelte. Einmal ritt er als Dame, das andere Mal als Herr. Er versuchte sich auf dem Maultier, Tom führte es, als es aber leicht antrabte, strebte Merere mit allen Kräften hinunter. — Heute morgen hatte ich Mgumditemi bei mir, um sie zu fragen, ob sie bleiben oder mit den andern an die Küste und dann weiter zu ihrer Mutter gehen oder ob sie bei uns abwarten wolle, bis Quawa dingfest gemacht sei. Sie zog letzteres vor und war ganz selig darüber. Auf ihren Wunsch wirkte ich bei Tom aus, daß auch ihre kleine etwa neunjährige Schwester bei uns bleiben kann. Ich freue mich, daß Mgumditemi hier bleibt. Sie ist eine nette, kluge Frau. Jetzt ist sie ganz abgehärmt und kaum wiederzuerkennen. Das kleine Mädel ist auch nett.

Gestern abend kam der Bruder Mauritius, früher Tischler hier, von der Küste an, von Mage hatte er Begleitkommando bekommen. — Früher war bei der hiesigen katholischen Mission die Regel, möglichst einfach zu leben, da aber zu viele Brüder an Entkräftung starben, wurde die Maßnahme aufgehoben. Für die Mission ist noch ein zweiter Bruder bestimmt, der gut kochen soll. Einen deutschen Koch hier zu haben und sich um die Küche nicht zu kümmern brauchen, das müssen geradezu ideale Zustände sein! Heute frühstückte er bei uns, ich gab ihm Gemüse, und dann zog er zu seiner Mission.

Vom Lazarettgehilfen Prinage kam die Meldung, daß alle Karawanenstraßen von Quawas Wahehe besetzt werden sollen; jede Post, jede Karawane, jeder Händler soll niedergemacht werden. Das stimmt mit der Aussage des Bruders, der den Mörder des Boy beherbergt hatte: Quawa habe den Wahehe sagen lassen, sie sollten alles niedermachen, was ihnen in den Weg kommt, Karawanen, Post, Händlern usw. auflauern, alle den Weißen freundlich gesinnten Wahehe totschlagen, dann ins Pori verschwinden, das würde den Europäern so langweilig werden, daß sie wieder abzögen. Auf diese Art will er uns aus dem Lande treiben. Nun, erschrecken kann er uns, das beweist er täglich — aber wir bleiben doch! das Schlimme ist nur bei der Sache, daß Tom so wenig dagegen tun kann. Wenn man zu Hause in Deutschland ist, so denkt man, mit den Negern sei doch leicht fertig zu werden, sie seien ja solche untergeordneten Geschöpfe, daß es eine Kleinigkeit sei, sie zu regieren. Nun, ich wünschte, daß alle, die dieser Ansicht sind (ich war es früher nämlich auch), einmal hier zusehen könnten, dann würden sie sich überzeugen, daß die Leute auch ohne Schulbildung sehr schlau sind. Heute kam ein Ruga-Ruga an mit einer Speerwunde, seine zwei Begleiter sind erstochen worden. Die Täter konnten nicht ergriffen werden, denn sie flohen ins Pori. Tom weiß aber, wer sie sind. Kersten mit seinen Gefangenen wurden sofort Boten nachgeschickt, um ihn zu größter Vorsicht auf dem Marsche zu mahnen.

19. März 1897.

Der Abend schließt mit der Nachricht eines Überfalls und der Morgen beginnt damit. Zur Nervenberuhigung spielten wir gestern vor dem Schlafengehen noch Skat, als plötzlich ein schwarzes Gesicht und ein Gewehr sich am offenen Fenster zeigten; ich erschrak nicht wenig, aber der Soldatenkopf, der gleich darauf erschien, beruhigte mich über des Negers Absicht. Er war der traurige Rest von den Postleuten, die aus Langenburg am Nyassa-See die Post brachten, die andern waren von einem Trupp Wahehe erschlagen worden. Die Bestätigung also der gestrigen Nachricht Prinages war handgreiflich da; wir hatten schon unsere Verwunderung geäußert, warum Quawa die Karawanenstraße nicht beunruhige. Lasten von Langenburg sind hierher unterwegs; sie haben Askaribegleitkommando bekommen und dürfen nicht weiter (desgleichen Träger der Mission nach der Küste), da die nötigen Askaris zu den Begleitkommandos fehlen. Es wird jetzt schon schwer, Träger und Boten zu bekommen, sie wollen schon immer nicht mehr ohne Askaris gehen.

Heute morgen kam Nachricht, daß in der Tembe, dicht hinter der Mission 2 Stunden von hier, wo ich mit Tom auf Safari war und Tom einen Jumben eingesetzt hatte, das Vieh weggetrieben und zwei Leute dabei erschlagen worden seien. Der Jumbe ist gleich mit zwei Askaris und der Hälfte seiner Leute dem Vieh nachgegangen; die andere Hälfte ist zu Quawa übergelaufen. Mittags kam die Nachricht, daß drei Mann von Leuten Quawas angeschossen seien. Dr. Stierling ging gleich herunter, auch nur 1 Stunde von hier, und hat sie verbunden, morgen sollen sie auf die Station gebracht werden. Als Dr. Stierling etwas lange ausblieb, wieder große Sorge! Also bis dicht vor unsere Tür wagt sich Quawa! Das Schlimme bei der Sache ist, daß die gutgesinnten Wahehe das Vertrauen zu uns verlieren, wenn unsere Anhänger so vor der Nase weggeschlachtet werden.

20. März 1897.

Tom wird wahrscheinlich Merere hier als Sultan einsetzen, um ihn mit zu dem großen Schlag benutzen zu können. Seine Leute sollen sich hier in der Nähe ansiedeln, damit sie an der Station einen Halt haben. Den ganzen Tag starker Regen.

Vorgestern waren wir im Garten und freuten uns, wie hier alles gedeiht, Weizen, Kartoffeln, alle Gemüsearten, sogar Rosenkohl, Salate, Radieschen, Rettich haben angesetzt. Auch die von der katholischen Missionsstation in Mrogoro geschenkten Apfelsinen-, Zitronen- und Mangobäumchen setzen Triebe an. Mapera, Papayen und Bananen selbstverständlich, auch das von Kisaki von uns mitgebrachte Gras und der Kaktus.

Ein vorzüglicher Boden ist hier: als Fata Morgana sehe ich schon alles mit Weißen besiedelt. So hatten wir im Garten einen Kohlkopf von 15 Pfund Gewicht. Rosen- und Kaffeebäumchen hat uns die Mission später auch geschickt.

Heute kam die Nachricht, daß zwei Soldaten und sieben Träger totgeschlagen seien auf dem Wege zu Kiwanga. Es ist furchtbar! Aber wenn ich bedenke, wie uns die erste Mordtat aufregte, kann ich uns beinahe gleichgültig der Nachricht gegenüber nennen. Nur ein Gedanke steht jetzt im Vordergrund: wie ist dem Zustand abzuhelfen? Was wird der nächste Tag bringen? Die Wahehe fördern immer neue Überraschungen zutage!

21. März 1897.

Wieder sitze ich abends allein und bete für meinen Mann, ob ich ihn gesund wiedersehen werde? Der Mensch kann doch viel ertragen, wenn es heißt: seine Pflicht erfüllen.

Tom hörte von einem Ort, an welchem Quawa stecken sollte, ließ nachforschen und fand es heute einigermaßen bestätigt; daraufhin ist er, als es dunkel war, heimlich aufgebrochen.

Immer und immer wieder ihn weggehen zu sehen und nicht zu wissen, ob er gesund wiederkommt, ist doch schrecklich.

23. März 1897.

Vorgestern konnte ich nicht mehr schreiben. Sadallaleute waren nach den verschiedenen Mördern ausgeschickt, die ziemlich erfolglos zurückkamen, sie brachten nur die Brüder und Weiber der Schuldigen an. Wir stehen hier wirklich im Kampf ums Dasein.

Die Wahehe haben ihre Vernichtung gewollt, sie haben den Kampf abermals durch Mordtaten begonnen. Jetzt heißt es, mit Strenge vorgehen, denn Toms Menschenfreundlichkeit halten sie, an Quawas Grausamkeit gewöhnt, für Schwäche. Die Nächte sind gräßlich. Heute konnte ich überhaupt nicht schlafen, der Anruf der Patrouillen dröhnt laut durch die Nacht und hält mich munter. Übrigens geht es nicht bloß mir so. Auch Winkler und Stierling schlafen schlecht und träumen von Wahehe, Mord und Totschlag, trotz ihrer eisenfesten Nerven.

Gestern habe ich Mgumditemi den ersten Schreibunterricht erteilt, es scheint sie aber so angestrengt zu haben, daß sie heute nicht kommen konnte, weil sie krank sei. Das hat mir nun sehr den Mut zum Weiterlehren genommen.

Beim heutigen Spazierengehen war ganz herrliche Beleuchtung, doch das ewige Revolverschleppen beeinträchtigt den Naturgenuß, und doch bin ich jetzt ziemlich ängstlich, so daß ich stets Sublimat bei mir trage; sollte es, was Gott verhüten möge, zum äußersten kommen und sich das Märchen von meiner Gefangennahme verwirklichen, so wäre mir wenigstens beim schlimmsten ein Ausweg möglich.

Tom mußte ich versprechen, nie ohne Begleitung zu gehen, deshalb nahm ich einen Ombascha mit. Heute habe ich meinen Schmuck und unser Silber aus dem Silberkasten alles in einen Koffer gepackt, um bei Feuer oder einer anderen Gefahr alles Wertvollere rasch bei der Hand zu haben. Dann habe ich Wein abgefüllt.

24. März 1897.

Gestern abend (ich entwickelte gerade Bilder) hatte ich noch die Freude, Tom gesund wieder zu sehen. Es kam mir ganz unerwartet. Tom war riesig vergnügt und erzählte seine Erlebnisse sehr amüsant. Bis 5 Uhr morgens durchmarschiert, im Walde versteckt gelagert, Brot und Wurst gegessen, dann in der nächsten Nacht zu der Höhle und den Temben geschlichen. Dort bis zur Morgendämmerung gelauert. Der Boy hatte vergessen, während der Nacht etwas Tee zu kochen, also wieder nichts Warmes, und dann auf dem Bauch zu den verschiedenen Temben gekrochen. Sie sind so leise herangeschlichen, daß sie die Leute drinnen sprechen hörten; endlich sind alle Temben umstellt, und Tom gibt das Zeichen, daß jeder die Tür seiner Tembe öffnen lassen sollte. Er selbst war bei der Haupttembe, wo sich folgende Szene abgespielt hat. Toms Leute haben an die Türe geklopft und zunächst in der Wahehesprache gefordert, sie möchten die Tür aufmachen, „sie seien Leute von Quawa“ — keine Antwort, darauf auf Kissangu, „sie seien Leute von Merere“, — keine Antwort, nun auf Suaheli, „sie seien Leute von bwana mkubwa“, worauf sofort die Tür aufgemacht wurde. Es waren friedliche Menschen, die uns treu gesinnt sind und Quawa fürchten. Tom ist sich ganz dumm vorgekommen; soviel Anstrengung, um unschuldige Leute aus dem Schlaf zu stören. Wäre Quawa darin gewesen, er hätte nicht entwischen können. Hoffentlich gelingt es mit Quawa ein andermal. Tom ist aber sehr froh, doch dagewesen zu sein, da er jetzt weiß, daß dort sichere Leute sitzen.

25. März 1897.

Gestern abend hätte uns beinahe das Schicksal ereilt. Tom und ich gingen zur Viehtembe, wo von dem jungen Sikki Rinder ausgeteilt wurden, ich wollte nun dieselbe Straße gehen, die Sikki später auch kommen mußte. Tom hielt das für langweilig und schlug einen anderen Weg durchs Dorf vor, und welch ein Glück war es, denn ein paar Minuten später zog Sikki seines Weges, und ein Wahehe schoß auf ihn und ergriff dann schleunigst die Flucht. Wir wären für ihn ein Ziel gewesen, das er vielleicht besser getroffen hätte. Wir hörten den Schuß fallen, glaubten aber, man habe einen Ochsen für die Merereleute geschossen. Hier werden die Ochsen nicht wie zu Hause geschlachtet, sondern erschossen. Wir gingen also ruhig weiter, als wir auf dem Rückwege waren, kam uns ein Mann mit Flinte und Revolver entgegen, es sei Alarm. Tom sagte, daß dies nicht möglich sei, da er wohl schon früher davon benachrichtigt worden wäre. Wir gingen aber doch schneller und hörten schon von weitem lauten Lärm im Dorfe; dort fanden wir alles in großem Aufruhr und mit allem möglichen bewaffnet. Die Ursache war der gefallene Schuß. Tom beruhigte die Bevölkerung, und jeder ging friedlich heim.

Tom erzählte, in Kilossa wäre es so ähnlich gewesen. Die Offiziere hätten im Kasino gesessen und gesehen, wie die Bevölkerung des ganzen Tales plötzlich in hellster Flucht davon gelaufen sei. Die Ursache sei ein halbverhungerter Mhehe gewesen, der krank von dem Kondoaüberfall zurückgeblieben sei und sich im Gras verborgen durch Kräuter usw. ernährt habe.

Des Abends waren wir ganz besonders fröhlich, daß nichts passiert war. Es wurden gleich Nachforschungen angestellt und heute hieß es, Quawa wäre bei Farhenga versteckt, wo noch außerdem ein Msagira mit Anhang gesehen worden sei, auf den Tom auch fahndete. Tom und ich hatten noch nicht gefrühstückt, bei der Nachricht verging uns aber doch der Appetit zum Essen. Also Farhenga auch Verräter? Tom überlegte sich die Sache noch. Da — was sehen unsere Augen — kommt Farhenga an und mit ihm der Msagira mit Brüdern. Nun, freudiger ist er wohl nie von uns begrüßt worden, wir gaben ihm auch gleich eine Flasche Gin, die er mit verständnisvollem Schmunzeln einsteckte. Es stellte sich auch heraus, daß der Mhehe, der geschossen, nie bei ihm gewesen ist. Er brachte gleich die gesuchten Leute mit, die nun an die Kette kamen.

Von Goritz kam Nachricht, daß er 28 Wahehe gefangen, an der Stelle, wo die Postboten überfallen wurden. Winkler marschierte ab, um sie hierher zu bringen. — Die Wahehe werden durch Boten aufgefordert, gegen Quawa mitzuziehen. Auf das Ergebnis, ob sie mitkommen werden, sind wir äußerst gespannt, davon hängt sehr viel ab.

Meine Puten machen mir noch viel Arbeit, da sie krank sind, sich erkältet und Fieber haben, ich behandle sie mit Chinin, Aloepillen usw.

26. März 1897.

Heute kamen die Wahehe an. Wieviel mitziehen werden, ist schwer zu sagen, da Tom noch unterwegs eine ganze Menge antrifft, jedenfalls von hier an 200. Es ist dies für Tom sehr schön. Gott gebe, daß sich kein Schurke darunter befindet, der nur so in Toms Nähe kommen will. Viel Schauri. Des Abends kam noch Dr. Stierling.

27. März 1897.

Noch des Morgens setzte Tom Stationsbefehl auf, gestern hatte er alle Befehle an die Kommandos geschrieben. Tom hat jetzt außerhalb elf Posten mit Europäern, dazu sieben Posten mit schwarzen Chargen besetzt. Die Leute müssen für alle nur denkbaren Eventualitäten mit sorgfältigsten Instruktionen versehen werden. Die Europäer müssen an den Bomen in Zelten schlafen; an jeder Bastion einer, auch Askaris schlafen dort, damit, wenn ein Angriff stattfindet, alles bereit ist; auch am Tage müssen 20 Soldaten immer zugegen sein. — Ehe die ganze Safari versammelt war, wurde es 9 Uhr. Tom nahm noch ein paar nachgekommene Wassangus mit. Wie stechen die kleinen Kerle in Ausdruck und Gestalt von den stattlichen Wahehe ab, ihrer Gesinnung nach sind sie mir aber lieber. Tom hat nur vier Soldaten mit sowie einige Sadalla- und vier Sikkileute. Ein malerischer Anblick, diese phantastisch gekleidete und bewaffnete Kriegerschar, die meisten Wassangus hatten allerdings wenig Stoff an sich. Ich begleitete Tom noch ein Stück Weges den Berg hinunter und bis zum Ruheka. Gegen Mittag kam ich erst nach Hause. Nun bin ich wieder ganz allein. Wie lange ist unbestimmt. Mir wäre lieber, Tom hätte die Wahehe nicht mit.

28. März 1897.

Heute kamen die Gefangenen mit Hammermeister aus Bueni (Goritz) hier an, aber nur 17 Mann, auch wieder große kräftige Kerls, vor denen man sich fürchten konnte. So wild und wüst im Aussehen, wie man sich die Räuber vorstellt. Von den 25 Gefangenen waren sechs schon bei Goritz ausgebrochen, dann noch zwei bei Winkler; sie stecken natürlich hier in unserer Nähe im Pori.

Eine Freude! Von Tom Nachricht; er ist gestern bis zu Stephan, also zehn Stunden, durchmarschiert. Meinen Spaziergang machte ich durch die Stadt. Die verschiedensten Gomas (Spiele, Tänze) gesehen, denn Leute von Kilimatinde tanzen anders wie die von Tabora, an der Küste usw., auch die Weiber und Männer tanzen wiederum verschieden. Die beginnende Dunkelheit begünstigte mein Inkognito, war ich aber doch erkannt, dann beeilten sich die Tänzer, mir ihre schönsten Touren zu zeigen und mir zu huldigen, was mich natürlich möglichst schnell vertrieb. So in der Dunkelheit durch die breit angelegten Straßen zu wandern, die sehr sauber gehalten werden, ist recht interessant. Das ganze Leben spielt sich auf der Straße ab. Alles lustwandelt, tanzt oder sitzt auf der Veranda, denn die Wohnung dient nur zum Schlafen oder als Zuflucht bei Kälte. Die Türe steht stets offen, und da es auf der Straße dunkel ist (zu Laternen haben wir es noch nicht gebracht), heben sich die um das Feuer hockenden Gestalten wunderschön ab. Auf der Veranda sitzen sie auch bei einem kleinen Licht.

29. März 1897.

Rettich, Zwiebeln, Radieschen, Möhren, Gurken gesät.

30. März 1897.

Heute morgen kam Leutnant Braun. Ist gestern schon hier angekommen. Boten an meinen Mann geschickt, erfuhr es erst heute. Braun hatte mich nicht wenig erschreckt. Ich hatte gerade im Hühnerhaus usw. recht herumgewirtschaftet, eine große Schürze dazu umgebunden, als ich mich plötzlich Leutnant Braun gegenüber sah. So wie zu Hause sich extra zum Wirtschaften etwas Schlechtes anziehen, gibt es hier nicht, hier muß man immer „tajari“ sein, denn wie gesagt, man ist hier nicht abgeschlossen und kann immer jemandem begegnen. Nun, die Waschkleider sind eben sehr schön, wenn sauber, und auch leidlich hübsch, man kann wenigstens immer gesehen werden. Des Nachmittags empfing ich Merere, der mit seinem Gefolge angezogen kam, letzteres mußte vor der Tür auf seinen Herrscher warten; nur ihm und seinem ersten „Minister“ wurden die heiligen Pforten geöffnet. Jetzt sitzt er schon ganz schön auf einem Stuhl, er fordert wieder Tabak (er raucht schon Zigaretten), Streichhölzer, Zucker, Salz usw. Ich gab ihm von allem etwas. Ich zeigte ihm seine Bilder, die ich aufgenommen hatte, er war ganz aufgeregt darüber, und ich mußte ihm einige geben, damit er sie seinen Leuten zeigen könne; besonders imponierte es ihm, daß auch sein Reitochse mit auf dem Bilde war.

An der Weckuhr hatte er viel Vergnügen — ich mußte sie immer wieder wecken lassen, daß mir die Ohren gellten — aber noch mehr an einem großen Stammbuchbild, zwei stehende Negerkinder darstellend, das muß ich ihm jedesmal zeigen. Nach 1½ Stunde entließ ich ihn in Gnaden. Heute ist Merere mit 500 seiner Leute und 15 Askaris ohne Herrn Braun, der erkrankt ist, ausgezogen.

Eins will ich noch klarlegen. Als Mpangire noch lebte, war alles so schön; war seine Hinrichtung nicht voreilig? Ja, in der Tat, es war alles in schönster Ruhe, — aber es war die Ruhe vor dem Sturm. Er oder wir — sein Tod war die dringendste Notwendigkeit, sonst wäre unser Schicksal besiegelt gewesen. Das Quawageschlecht übt eine unglaubliche Gewalt auf das Volk aus, und solange Quawa lebt, werden wir nicht zur Ruhe kommen.

Heute hatte ich zu Bett gelegen, infolgedessen glaubten meine Damen, ich würde den Hühnerstall nicht revidieren: statt 31 Hühner fand ich nur 20 dort. Jetzt müssen sie die fehlenden noch suchen. Auch hier heißt es: „Wenn die Katze nicht zu Hause ist, tanzen die Mäuse auf Tisch und Bänken.“ Der Mpischi ließ das Essen von den kleinen Boys machen, und ich bekam erst um 4 Uhr Mittagbrot; Mabruki schlug sich mit der Wache, so daß er an die Kette gekommen ist; das sind eben die kleinen afrikanischen Dienstbotenleiden. Meine drei Mädels machen es noch am besten, die habe ich schon so weit, daß sie ganz unglücklich sind und weinen, wenn sie etwas schlecht gemacht haben. Wenn ich sie schelte, sind sie schon sehr betrübt. Muhigu fängt sogar schon an die Empfindliche zu spielen, wenn ich sie schelte, früher machte nur Kofi (Ohrfeige) einigen Eindruck. Auf diesen Erfolg bin ich sehr stolz. Natürlich treten mir dadurch die Kinder viel näher, denn sie sind im Wesen ebenso wie die Kinder zu Hause. Auch spielen sie jetzt schon verschiedene Spiele, die ich ihnen gezeigt.

3. April 1897.

Ich war eben auf unser Haus geklettert, das sich jetzt zwar in das Kleid der Hoffnung zu hüllen anfängt, ja es hofft wohl selbst bald fertig zu werden, aber das ist leichtsinnig, denn die Arbeiter denken anders darüber. Ich glaube, die haben anscheinend die Absicht, es erst zur nächsten Regenszeit fertig zu stellen, sicher aber nicht vor Juni. Ein kleines Küken ist darüber lebensmüde geworden und hat sich in einen Farbentopf gestürzt. Ich wollte es noch retten, aber trotz aller Wiederbelebungsversuche war es verloren. Ich fürchte, die Puten gehen auch ein, trotz Aloepillen, Kur und Doktorei. Das weiße Schwein überlegt sich, wo es den besten Speck ansetzen will; daß es fleißig gemästet wird, scheint ihm sehr zu gefallen. Sobald Tom kommt, muß es daran glauben. Es hat Reißen oder Gicht in den Hinterpfoten und kann nicht mehr gehen.

Nun bin ich schon ein halbes Jahr hier und gottlob! trotz all der Aufregung habe ich kein Fieber mehr gehabt, nachdem die Fieberbazillen, die ich unten in so reichem Maße hineingeschluckt, abgewirtschaftet hatten. Daß es hier so gesund ist, mag neben der Höhe auch an der gleichmäßigen Temperatur liegen, die des Morgens zwischen 12 bis 16°, mittags zwischen 20 bis 25°, abends zwischen 13 bis 15° schwankt; durch Regen ist es manchmal mittags kühler.

4. April 1897.

Eben komme ich aus dem Garten, wo ich die aufgegangenen Kartoffelpflänzchen zählte. In acht Wochen haben wir Ernte, dann besteht die Station ein halbes Jahr, und wir haben schon Kartoffeln. Ich bin jetzt so nervös, wahrscheinlich auch vom schlechten Schlafen, daß ich mir einbildete, der Teufel sehe über meine Schulter; ich schrie so fürchterlich auf, daß Boy und die Totos hereingestürzt kamen; trotzdem ich sie sah, konnte ich mich eine ganze Weile nicht beruhigen. Um zur Vernunft zu kommen, ging ich mit den Totos spazieren. Ich nahm unseren Gartenaskari mit, der die Zelewski-Expedition mitgemacht hatte und davon erzählte. — Die Totos sind jetzt meine ganze Freude, wenn die drei schwarzen Krausköpfchen mit ihren hellen Leinwandkleidchen, mit rot garniert und roter Schürze, mit nackten Beinen so vor mir her zappeln und krabbeln. Früher gingen sie wie die Alten, jetzt springen und tanzen sie, klettern auf Bäume und necken mich. Ich bin den Kindern wirklich Mutter; wenn sie ganz besonders glücklich sind, nennen sie mich auch „Mama“. Die Sklavenbanden haben schwer auf ihnen gelastet, jetzt haben sie die Freiheit, ihre Kindheit zu genießen.

6. April 1897.

Gestern nacht wurde ich durch Alarm aus dem Schlafe geweckt. Ombascha Achmed kam schon, während ich mich ankleidete, mit der Nachricht, eine Menge Wahehe seien mit Gewehren in Sicht. Von weitem hörte man auch Schnellfeuer. Ich weckte die Totos und zog nun mit zwei Revolvern bewaffnet zur Wache, wo alle Europäer versammelt waren. Die Herren beschlossen einen Tschausch mit Askaris abzuschicken, um zu sehen, was los sei; wir wollten uns inzwischen schlafen legen und so der Dinge harren. Um die Mission und den Europäerposten in Iringa waren wir sehr in Sorge. Des Morgens stellte es sich heraus, daß Askaris geglaubt hatten, von Wahehe überfallen zu sein, und Schnellfeuer abgegeben hatten; die Wahehe schossen wieder, und erst am Morgen merkten wir, daß es uns freundlich gesinnte Wahehe waren. Dr. Stierling war gleich selbst des Morgens nachsehen gegangen. Es ist zu schwer hier, Freund und Feind voneinander zu kennen.

7. April 1897.

Heute kamen zwei Brüder für die Mission an, der eine hatte Fieber und zog sich bald zurück, dem andern zeigte ich unser Haus, den Garten und die Stadt. Er war einfach perplex, und trotzdem ich ihm versichert hatte, vor einem halben Jahr habe nur unsere Hütte gestanden und vor sieben Monaten sei noch alles Pori gewesen und keine Menschenseele hätte auf dem Bergrücken existiert, fragte er doch noch, ob hier nicht wenigstens schon Negerhütten gestanden hätten. Für so unglaublich hielt er das schnelle Entstehen der Stadt. Man braucht aber auch schon reichlich eine halbe Stunde, um durch die Stadt allein zu gehen, so viel Straßen sind schon entstanden. Es ist erstaunlich, wie der Name Sakkarani die Leute angezogen hat; wir fürchten nur, daß die Stadt zurückgehen wird, denn so viel Menschen können hier wohl kaum ihr Brot, d. h. ihren Mais verdienen. Dann gingen wir durch die Station zurück in das Dorf der Eingeborenen, welches sich hinter unserem Hause anschließt. Es ist schon bedenklich gewachsen und hat schon an 300 Mann; die Temben müssen allerdings noch zum Teil gebaut werden. Aus dem Erstaunen kam der Bruder gar nicht heraus.

Über unsern Garten war er auch sehr erfreut, denn alles gedeiht prachtvoll. Jede Rübenart, jede Kohlart, sogar Rosenkohl, Tomaten, Erbsen, Bohnen, Zwiebeln, Schnittlauch, Petersilie, Majoran, Sellerie, Dill, Pfeffermünzkraut, Salat, Rettich, Radieschen stehen schön. Mohn und Artischoken scheinen auch zu gedeihen, nur mit Gurken und Melonen hapert es, und wahrscheinlich nur, weil wir sie nicht zu ziehen verstehen. Kartoffeln stehen gleichfalls sehr schön. Die Brüder waren über unsern Garten schon so entzückt, was würden sie erst zu dem unten am Ruaha gesagt haben, wo alles noch besser gedeiht; dort stehen Apfelsinenbäumchen, Feigen, Mango, Zitronen, zwei kleine Weinreben. Hoffentlich gedeihen sie weiter so. Bananen, Ananas und auch eine Kokosnuß sind aufgegangen. Der Weizen steht niedrig, ist aber gleichmäßig gereift, was vielfach im Innern nicht der Fall sein soll, und Stroh brauchen wir nicht; es ist hier ein herrliches Ansiedelungsgebiet, und der Bauer würde sein schönes Auskommen haben, denn zu alledem kommen noch das schöne Vieh und Weideland. Auch ist die Gegend hier gesund, also alles „tajari“, nur die eine Frage ist nicht gelöst: Wie kommt der Bauer hierher?

Heute kamen ein Feldwebel und ein Bootsunteroffizier für Langenburg an, die einen Ruhetag hier machen und dann weiter marschieren, dann nehmen sie natürlich die 100 Lasten mit. Reichlich zwei Monate haben die Lasten hier liegen müssen, die Sachen werden also fünf Monate unterwegs sein. Wie schmerzlich werden sie von den Europäern erwartet werden? Meine Nähmaschine hatte ich gestern mit Mühe und Not zum Nähen gebracht, gestern ging sie sehr gut, doch plötzlich versagte sie. Da der Bootsunteroffizier in seinem Zivilverhältnis Uhrmacher war, glaubte ich, er würde sie mir wieder zurecht machen können. Der brave Mann hat sich auch so lange geplagt, bis er sie wieder in Gang hatte. Wegen meiner Maschine habe ich schon einmal einen fremden Unteroffizier zu Rate ziehen müssen. Wir erhielten auch die Bestätigung, daß Toms Breitenbestimmungen richtig sind; kein falscher Stern ist beobachtet. Hoffentlich gelingt es uns immer so.

8. April 1897.

Glückstrahlend kam Tom heute zurück: auf dem Rückmarsch hat er plötzlich dicht am Wege drei starke Elefantenbullen gesehen. Obwohl er seine Elefantenbüchse nicht mit hatte, pirschte er sich doch an und hatte das Glück, sie alle drei zur Strecke zu bringen. Eine Kugel, Modell 88, hatte sich an der Wurzel des großen Stoßzahnes plattgedrückt. Der größte Elefant ist 9 Meter lang, bei 3½ Meter Höhe; in seinem Wanst badeten acht Neger zu gleicher Zeit in dem Blute des Tieres — nach Negerglaube ein besondere Kräfte verleihendes Mittel. Den schwarzen Siegfrieden fiel kein Lindenblatt aufs Kreuz, Rücken und Rippen des kolossalen Tieres bildeten eine gut gedeckte Badezelle. Hinter dem Riesenkopf desselben konnte Tom sich decken, als er den zweiten Elefanten schoß. Der dritte rannte dicht an Tom vorbei; es war eine fatale Situation, mein Mann war allein, das dichte Farnkrautgestrüpp verhinderte ein Ausweichen — und doch kommt es darauf an, dem angeschossenen Riesen so rasch als möglich aus dem Gesicht zu kommen. Das Herz haben die Neger als große Delikatesse verspeist. Von einem Stück Rüssel machte ich Suppe; sie schmeckte etwa wie recht kräftige, mit Gelatine verdickte Rindfleischsuppe mit etwas leimigem Beigeschmack; das Fleisch war nach 24stündigem Kochen zäh wie Leder.

9. April 1897.

Heute wurde die Jagdbeute eingebracht, mit Jubel und Geschrei natürlich. Vorneweg die Sikkileute mit Tanz und Gesang. Hundert Mann hatten an dem Transport der drei Kolosse zu tun. Leider hat das größte Tier nur einen Zahn; dieser wog allerdings 106 Pfund. Den Kopf des kleineren mit den beiden Stoßzähnen (45Pfünder) habe ich photographiert.

12. April 1897.

Großes Schlachtfest! Unser Hofschlächter, Unteroffizier Hammermeister, besorgte die Sache nach allen Regeln der Kunst. Unsere Schwarzen staunten nicht wenig, daß unter seinen Händen ein schwarzes Schwein so weiß werden konnte! Aber von dem Fleische zu essen, weigerten sie sich voll Abscheu. Nur unser Juma, der in Deutschland Schweinefleisch essen lernte, aß auch hier davon, dafür wurde er aber auch von den anderen Boys verächtlich „Sklave“ geschimpft. Das Wellfleisch schmeckte prächtig. Da Pater Alfons die neu angekommenen Brüder bei uns vorzustellen kam, konnten sie an unserem Schlachtfest teilnehmen. Bis auf das bißchen Unterschied in der geographischen Länge und Breite ging’s bei uns ganz so zu wie beim Schweineschlachten in Weißenrode — mir war ganz heimatlich zu Mute, und wenn sich so etwas wie Heimweh zeigen wollte, dann wurde es flugs mit ins Wurstfleisch verhackt. Es war aber auch ein Staatstier, eigentlich viel zu schade, um seine Laufbahn in den nunmehr historischen Pökelfässern der Familie Prince zu beschließen. Unser Sachverständiger Hammermeister taxierte es nach deutschen Viehverhältnissen auf 180 Mark „unter Brüdern“.

13. April 1897.

Nach dem Schlachtfest heute „Pökelfest“ und großes Wurststopfen und dazu noch frische Kartoffeln! Tom, Winkler und ich hatten schon vor einigen Tagen Kartoffelernte gehalten: an manchen Stauden fanden wir bis zu 58 Knollen, darunter 22 große, von denen 10 aufs Pfund gehen; durchschnittlich kamen auf jede Pflanze 25 Kartoffeln. Es wurde alles genau gezählt, gewogen und an die Europäer verteilt, denn unsere erste Kartoffelernte ist ein Ereignis. Wir kochen nie mehr als sechs Stück, so sparsam gehen wir mit dieser Delikatesse um.

Aus Mage melden Wahehe, daß sie zwei Wahehewassagira, die zu den treuesten Anhängern Quawas gehörten, im Waldlager überfallen und niedergemacht hätten. Der eine der Erschlagenen ist Farhengas rechter Bruder. Dieser Bruderzwist, dessen Strömung Tom nach der alten Diplomatenregel „divide et impera“ geschickt in die für uns günstigste Richtung abgelenkt hatte, kommt uns nun in der Tat zu nutze.

Von den Sudanesenfrauen zeigte mir eine heute einen feinen, goldgelben, aber sehr festen Faden von seidenartigem Glanze, das Gespinst einer großen Spinne, welches man, wie die Frau erzählte, im Sudan zu feinen Stoffen verwebt. Ob sich das nicht auch hier erzielen ließe? In die Boma Prinages schlug der Blitz ein. Prinage selbst kam mit dem Schrecken davon, aber einer der besten Sudanesensoldaten wurde tödlich getroffen, drei andere leicht verletzt.

Karfreitag, 16. April 1897.

Den Karfreitag mußten wir heute durch kriegerische Schaustellung feiern, der wir uns nicht entziehen durften: die Kriegsspiele unserer Farhenga- und Sikkileute. Das Ganze war wie eine Pantomime im Zirkus Renz, freilich durch die Darsteller und die ganze lebenswahre Umgebung, in der die Spiele vor sich gingen, weit interessanter. Sikkis Oheim, ein stattlicher 1.90 m hoher Mann mit besonders ausdrucksvollem Kopfe, zeichnete sich als Haupt- und Vortänzer in diesem kriegerischen Schauspiele durch unglaublich hohe Luftsprünge aus; Sikki selbst tanzte, wie es seiner Jugend zukam, bei der Gruppe der jüngeren Leute; er ist nämlich noch nicht in dem Alter, in welchem ihm die Stammessitte erlaubt, Schmuck an Armen und Hals anzulegen. Der Kriegstanz unserer Wahehe bot ein wildbewegtes Bild ihrer Kriegführung, wie sie hinter ihren Schilden gedeckt den Feind beschleichen und überfallen. Den Hauptdarstellern lohnten wir ihre Anstrengungen mit einem Kognak, für den sie großes Verständnis zeigten.

Gestern, zum Gründonnerstag, hatte ich bunte Ostereier mit allerlei scherzhaften Zeichnungen darauf (ein Kater, Jüngling auf Bierfaß reitend) nach den Messen geschickt, für Tom hatte ich bei uns welche versteckt; wir hatten beim Eiersuchen dann noch viel Vergnügen.

Am 1. Osterfeiertag, 18. April 1897.

Keine Glocke läutet zum Ostertage — aber wir feiern das hohe Fest, obwohl ich fast immer liegen muß, mit inniger Dankbarkeit gegen den allgütigen Gott, der uns bis hierher in seinen Schutz genommen.

Während Tom seine Berichte schreibt, erhebt sich draußen ein Heidenlärm: die für die Expedition aufgebotenen Wahehe rücken an. Vergessen sind Krankheit und Osterheimweh — ich gehe mit Tom hinaus, um das buntbewegte Bild dieses für uns so äußerst wichtigen Zuzuges anzusehen. Die Jumben traten ein jeder mit seinem Trupp zusammen, die Leute wurden aufgerufen, und jeder Gezählte kauerte in Reih und Glied mit seinen Kameraden, ein komisches Bild eines großen Appells. Die Zählung ergab 500 Wahehekrieger — ein großer Erfolg von Toms Politik, denn beim ersten Aufrufe hatten sich nur 200 gestellt. Der Weg zum Herzen dieses streitbaren Volkes heißt Krieg. Wer sie für sich gewinnen will, muß ihnen Gelegenheit geben zu Kämpfen und Raubzügen; ihren wilden Drang nach kriegerischer Betätigung auf die richtigen, unseren Zwecken günstigen Ziele abzulenken, war Toms hauptsächlichstes Bestreben, dazu kommt noch ein anderes bedeutsames Moment, welches uns die ansehnliche Schar dieser tüchtigen, im Kampfe erprobten Wahehekrieger noch wertvoller macht: in unserem Vernichtungskampf gegen Quawa bedeutet jeder einzelne Mann, der sich Toms Expedition anschließt, einen dauernden Verlust für unseren Feind, denn wer von seinen Leuten einmal auf unserer Seite gekämpft hat, dem ist qualvoller Tod sicher, sobald er in Quawas Gewalt kommt. Es war doch anfangs etwas beängstigend für uns, mitten unter diesen 500 wilden Kerlen sich zu bewegen, von denen jeder noch vor kurzem unsere Ermordung sich als besonderes Verdienst angerechnet hätte. Tom hatte auch alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, um etwaiger Überlistung gewachsen zu sein, das Maxim stand schußbereit, und die Wachen waren verstärkt. Unsere Befürchtung war jedoch grundlos, die Wahehe kamen in der Tat mit der ehrlichen Absicht, unter Tom zu kämpfen. Auf Toms Frage, warum so viele von ihnen ohne Schilde wären, erklärten sie, die Schilde hätten sie zerbrochen, denn Tom habe bekannt gemacht, daß er jeden als Feind erkläre, der mit Speer und Schild gesehen werde. Von Farhenga hätte ich gern einen schönen Speer gekauft, aber der geforderte Preis von 15 Rupien war mir doch zu unverschämt, 8 Rupien hätte ich ihm dafür gegeben.

Feldwebel Langenkemper traf hier ein, er hat krankheitshalber um Ablösung gebeten. Wir ritten den nächsten Tag nach, da Meldung von Leutnant Braun gekommen war.

Auch Merere ist wegen Krankheit schon lange zurück, er beehrt uns alle Minuten mit seinem Besuche, und der arme Tom muß ihm Tag für Tag dasselbe sagen; er tut das mit einer unbegreiflichen Geduld und Freundlichkeit; mir wäre schon längst die Geduld gerissen. Solch’ Schauri mit unserm langweiligen Gastfreund und Bundesbruder hat aber auch seine angenehmen Seiten. Hinter einer Tembe, 20 Schritt von uns, eine Viehherde, auf der anderen Seite eine Eselherde, aus allen Türen neugierige schwarze Gesichter hervorlugend; zu dem Schauri muß sich nämlich alles respektvoll entfernen. Merere hockt auf einem Fell, Tom und ich ihm zur Seite auf etwa sechs Zoll hohen Negerstühlchen, Merere furchtbar geheimnisvoll, als ging’s um ein Königreich; für ihn freilich war die Sache wichtig genug. Hoffte er doch, nach dieser Expedition auch in Iringa, also für ganz Uhehe, als Sultan eingesetzt zu werden. In Wirklichkeit saß sich’s bei dieser Haupt- und Staatsaktion gar nicht übel; abgesehen von der spaßigen Seite, bot das Ganze ein eigenartig schönes Bild. Vor uns der waldige Bergabhang, über den Bäumen die aufragenden Gipfel der Berge, zuerst in rotgoldener Sonnenglut, dann sich dunkler färbend, bis die untergehende Sonne zuletzt alles mit flammender Abendröte übergoß.

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