Fünftes Kapitel. Expeditionen gegen Quawa. Gouverneur Oberst Liebert.

21. April 1897.

Heute mittag ging Tom fort, ich konnte ihn nicht einmal begleiten, da ich fest liege. Für Tom auch schrecklich, mich hier so allein zurückzulassen. Da heißt’s eben: Kopf hoch! — Vorher noch großes Schauri mit Merere und Winkler. Merere will durchaus zu dem Grabe seines Vaters, um dort zu beten und Dawa zu machen. Er glaubt nämlich, sein Vater habe ihm die Krankheit zur Strafe geschickt, weil er so lange nicht am Grabe gebetet habe. Winkler soll ihn begleiten. Ein Sultan wird nach seinem Tode von seiner Familie als Gott verehrt; also der richtige ausgesprochene Ahnenkultus wie bei den Chinesen. Sein Grab wird mit besonderer Sorgfalt gepflegt. So sind z. B. auf dem des alten Quawa prachtvolle Elfenbeinzähne aufgestellt. Auch die erste Frau des Sultans wird in gleicher Weise geehrt. An den Gräbern beten dann der Sohn und die richtigen Brüder, also Söhne desselben Vaters und derselben Mutter. Die Halbbrüder und Großen des Landes dürfen bei dieser Feier zugegen sein. Ein Sultan geht nie ohne sein Gefolge zu dieser Andacht, an der nur die Söhne teilnehmen. Die Töchter, wie überhaupt alle Frauen, sind ausgeschlossen. Die andern Frauen des Sultans werden im Pori, also im Urwaldgebüsch, nur ganz oberflächlich verscharrt und zum Schutz gegen wilde Tiere mit Baumstämmen bedeckt. Dasselbe geschieht mit den Leichen der Halbbrüder; deren Weiber werden überhaupt nicht begraben, sondern in der Wildnis auf einem Stapel zusammengeschichteter Baumstämme ausgesetzt; ebenso die Großen des Landes nach einer sehr einfachen Rangabstufung: je kleiner der Mann, desto niedriger der Stapel. Die Sklavenleichen wirft man einfach ins Pori. Eine große Menge Leute geht mit, die Weiber weinen und machen großes Geschrei, ebenso weinen die Männer und die Verwandten. Haben sie die Leiche weggeworfen, dann baden die Verwandten und nächsten Freunde im nächsten Fluß. Im Trauerhause kommen dann die weiblichen Verwandten und Freundinnen zusammen, unter Fasten weinen, schreien sie drei bis vier Tage lang, die Mutter fünf Tage. Das Gesicht zur Wand gekehrt und in die Hände gestützt, kauern sie die ganze Trauerzeit über.

23. April 1897.

Seit 5 Wochen keine Post! Mein Schammy fand heute das Abzeichen eines Askari-Tschausch’s, sofort kam er damit an und meldete sich bei mir als „tschausch ya kuku“ (Hühnersergeant). Das Soldatenspielen steckt doch nun einmal allen Jungens im Blut, in Afrika so gut wie bei uns Deutschen. Alle unsere Leute sind sehr zutraulich und bringen ihre kleinen Sorgen und Freuden bei mir an. Meine kleinen Mädels spielen jetzt seht hübsch.

Heute Nachricht von Tom; als Morgengruß schickte er eine Giraffe mit wundervollem Fell, die ihm auf dem Marsch vor die Flinte gekommen war. Die Soldaten haben das Fell ausgespannt und gereinigt. Wie schwer es mir wird, jetzt zu liegen! Garten und Hühnerzucht den Schwarzen so ganz überlassen zu müssen, ist so schwer. Es war schon alles hübsch im Gange, nun geht es wieder zu Grunde. Der Neger bedarf doch einer ganz anderen und schärferen Aufsicht als die Leute zu Hause. Die gesamten Vorräte für Monate müssen nun wenigstens für die Boys zugänglich bleiben, und was die im Stehlen und Naschen leisten, das wird sich schon noch fühlbar machen. In diesem ungewohnten Zustande absoluter Freiheit in Haus und Garten vergessen meine schwarzen Dienstboten, daß sie überhaupt eine Herrin haben. Eines Tages waren sie samt und sonders am Morgen bereits verschwunden und kamen erst abends wieder. So lag ich denn den ganzen Tag über mutterseelenallein im Hause, zu schwach, um mich erheben zu können, ohne eine Menschenseele auch nur in erreichbarer Nähe zu haben. Der Tag gehört zu dem Schlimmsten, was ich hier durchgemacht habe.

26. April 1897.

Nun sind es noch neun Tage bis zu Toms Rückkehr! Ich streiche jeden Tag im Kalender mit einem dicken roten Strich durch, wie wir’s einst in der Pension taten, wenn die Ferien herankamen. Aus Iringa wieder böse Nachricht: ein Boy und ein Träger erstochen. Auch an häuslicher Unruhe fehlt es nicht. Der Mpischi (Koch) legt mir seine ehelichen Sorgen vor; seine Frau treibt sich seit sechs Tagen herum; da sie ihm seine Tücher und Hemden mitgenommen, lasse ich sie, nach genauer Feststellung des Tatbestandes, zur Wache bringen, damit sie beim nächsten Schauri bestraft wird. Heute ließ ich mir Mgunditemi holen; das arme Ding ist krank. Ich gab ihr Fleisch und Reis; sie ist übrigens eine schlanke, hübsche Frau.

Ich war heute einen Augenblick im Garten, die Kartoffeln sind schon ganz braun, wenn Tom zurück, müssen sie gleich herausgenommen werden, allein mag ich es nicht tun. Dann machen wir wieder Kartoffelfeuer, rösten Kartoffeln, das gibt uns viel Spaß, wie neulich unten im Garten. Leutnant Braun ist seit gestern zurück. Er sagte auch, daß sich die Wahehe ganz anders gezeigt hätten als die übrigen Neger. Er hat eine ganze Ortschaft zerstört und die Temben eingerissen; kaum war er zwei Stunden fort, so sah er, wie die Wahehe zurückkamen und ihre Temben wieder aufbauten, so daß er nochmals zurück mußte. Drei Träger sind an Überanstrengung gestorben, der eine davon ist unter seiner Last zusammengebrochen.

6. Mai 1897.

Ich habe vom 27. April an sehr schlechte Tage hinter mir. Am 29. war mir der Gedanke schrecklich, in Toms Abwesenheit operiert zu werden, es konnte doch auch schlecht ablaufen, und Tom wäre nicht zu erreichen gewesen. Aber Gott sei Dank, spät abends kam Tom wieder an. Er hatte so viele Gefangene, etwa 500 Leute und 200 Stück Vieh, daß er deswegen umkehren mußte, denn es waren jetzt mehr Gefangene, als Tom selbst Leute in seinem Zuge hatte; gefallen sind dabei 40 feindliche Krieger. Die Leute bei Iringa sind jetzt so beruhigt, daß sie mit Tom selbst gegen ihre Stammesbrüder ziehen; das ist ein großer Erfolg. Quawa ist jetzt in eine andere Wildnis übergesiedelt, in der alten Gegend fühlt er sich nicht mehr sicher. Er hält sich an einem Platz nie länger als zwei Tage auf, wie der ewige Jude wandert er von Ort zu Ort. Seine Anhänger setzen sich jetzt verzweifelt zur Wehr, immer noch erscheinen Trupps (Tom hat vier solche zu je 40 bis 60 Wahehekriegern angetroffen, die auf dem Zuge gegen uns begriffen waren, und sie zurückgejagt). Auf ihr Konto müssen wir die vielen Meuchelmorde setzen. — Tom hat sehr viel zu tun. Jetzt, wo ich elend bin, sehne ich mich doch sehr nach unserm Hause, ich werde dann auf der schönen Veranda liegen können. Das Liegen ist zu unangenehm, da man dabei kaum schreiben kann. Am 3. Mai sind der neue Feldwebel und der Bauleiter angekommen. Trotzdem er die Dielen der Hinterzimmer aufreißen läßt, weil sie zu schlecht gebaut sind, will er schon in 14 Tagen mit dem ganzen Haus fertig sein. Wahrscheinlich gehen Spiegel und Wilkins (Feldwebel und Bauleiter), beide wegen Krankheit abgelöst, morgen zur Küste. Eben bringt Tom mir wunderschönen Weizen, der auf ungedüngtem Boden gewachsen ist, überhaupt ist der Garten unten nicht gedüngt.

Gestern abend kam endlich die Post. Wie wir uns über die Schreiben und Zeitungsausschnitte freuten! Heute kam Leutnant Kuhlmann mit einem Unteroffizier und 30 Askaris hier an, um sich Tom zur Verfügung zu stellen. Es verlautet, daß der Gouverneur im Juni eine Reise in das Innere antreten und auch hierher kommen will, und daß Herr v. Eberstein krank sei.

Weizen geerntet, auf wasserdichten Decken statt Tenne ausgedroschen; der Ertrag ergab das 24fache der Aussaat, also das 24. Korn. Auch der Weizen ist ebensowenig wie der Garten weder gegossen noch gedüngt. Heute kam auch die Karawane für uns an. Wir hatten wieder allein fünf Träger für Postsachen — und der Trägerlohn ist jetzt auf 21 Rupien (Rp. = 1.40 Mk.) erhöht! Für ein kleines leichtes Weinfäßchen waren zwei Träger nötig, desgleichen zu einer kleinen Frachtkiste aus Liegnitz; der fünfte Träger brachte ein Postpaket. Wie groß, unendlich groß würde die Freude über alles sein, wenn es nicht den abscheulichen Beigeschmack der Trägerkosten hätte.

Nach Perondo bekamen wir die Zehnpfundpakete umsonst geschickt; dies ist jetzt nicht mehr der Fall, da aber nur drei solcher Pakete auf eine Last gehen, müssen wir diese Packungsweise vermeiden. Es empfiehlt sich vielmehr, alle Sendungen in Deutschland ansammeln zu lassen, bis sie zusammen, einschließlich Verpackung, etwa 60 Pfund wiegen — aber nicht mehr, sonst geht es uns wie mit dem Weinfaß, das nur 70 Pfund wog und zwei Träger brauchte. Bei allem muß man eben sein Lehrgeld zahlen, aber wir bleiben ja lange genug hier, um noch die Früchte davon zu ernten.

15. Mai 1897.

Leutnant Kuhlmann war ganz erstaunt über unsere große Stadt. An der Küste hätte man keine Ahnung davon. Man könnte sich ein so schnelles Wachsen einer Stadt nicht vorstellen. — Nun, ich freue mich, wenn der Gouverneur sich selbst von Toms Erfolgen überzeugen kann. Auch das kann man als „echt afrikanisch“ bezeichnen, in Deutschland wenigstens soll es nicht gerade üblich sein, daß die Offiziere sich nach den Besichtigungen durch ihre Vorgesetzten sehnen. — Übrigens hieß es plötzlich, der Gouverneur sei nur noch einen Tagesmarsch von hier; ich machte gleich Makronen, Schokoladenplätzchen, Räderkuchen, Waffeln, alles gelang schön. Da ich gerade Honig bekam, setzte ich auch noch Teig zu Honigkuchen an. — Mein spezielles Departement, das des Innern und der Haus- und Landwirtschaft, ist für den hohen Besuch ebenfalls in bester Verfassung.

Das Stationshaus in Iringa.
(Zu S. 114.)

Das Arbeitszimmer.
(Zu S. 115.)

Von der Taktik der Wahehe, die Wege ungangbar zu machen, konnte auch Leutnant Kuhlmann erzählen. Sie stecken giftige Bambusspitzen in den Weg, verlegen denselben mit riesigen Hindernissen, die großen Aufenthalt verursachen, oder legen kleinere Hemmnisse an, so daß die Leute fallen oder mindestens stolpern; ferner machen sie in die Urwälder und Pori große Sackstraßen, so daß man falsch geht; auch Graf Fugger weiß davon ein Liedchen zu singen.

23. Mai 1897.

Tom zog mit 1000 Wahehe aus, Leuten, die früher alle gegen uns standen. Kaum war er fort, so wurde in der Nacht Luhota von Quawa selbst und seinen Wahehe abgebrannt, 600 Stück Vieh und 700 bis 800 Weiber geraubt, die Männer niedergemacht. Quawa hat in der Nacht die Temben alle umstellt und, als die Männer herauskamen, sie einfach alle niedergemacht. Noch am Morgen sahen wir die Temben rauchen, es war ja nur eine halbe Stunde von der Station! Bei dem hügeligen Terrain und dem ausgedehnten Pori sind sie ohne Weg und Steg, von dem langen Grase verdeckt, herangeschlichen. Der Feldwebel wurde gleich nachgeschickt, da er aber nur sehr wenige Askaris hatte und die Leute gleich verteilen mußte, konnte er nur 90 Weiber und 40 Stück Vieh wiederbringen. Vieh, welches die Wahehe nicht mitnehmen konnten, haben sie niedergestochen; Merkel ist wohl an 80 Stück totem Vieh vorbeigekommen. Unter den fortgeführten Weibern ist auch eine von Farhenga, die unten gerade Chakula kaufte, und alle von dem Jumben Satima, diese hat Quawa direkt in sein Gefolge genommen. Eine von den Frauen des Satima hat sich bei der Verfolgung hinter einem Busch versteckt und sich so wieder zu uns retten können, sie erzählte, daß Quawa selbst bei dem Überfall im Hintergrunde gewesen sei und alles von dort dirigiert habe. Nachdem der Überfall geglückt, habe er sich in eine Tembe gesetzt und dort Pombe getrunken, die gefangenen Weiber um ihn. Von dort habe er auch seine Befehle im Fall einer Verfolgung gegeben. Parole: „Wenn ein Europäer verfolgt, ausreißen; verfolgen nur Askaris und Wahehe, dann angreifen!“ Die Furcht vor einem direkten Kampfe mit den Europäern ist gottlob groß. Die Wahehe wissen sehr wohl, daß sie ihre Zahl schonen müssen. Quawa selbst ist dann an der Spitze mit ein paar Getreuen und den genannten Weibern abgezogen. Seine Leute haben sich auch zerstreut. Tom schickt jetzt jede Nacht Patrouillen aus, um eine etwaige Annäherung des Feindes zu verhindern. — Ohne Bedeckung kann man jetzt nicht aus der Boma gehen, denn 5 Minuten von unserem Hause entfernt sind eine Frau und ein Fundi niedergestochen worden. Die letzten Tage hatte ich immer Angst, daß auch die Strohbude mit unseren Vorräten angezündet würde. Nun gottlob, Quawa hat die Gelegenheit verpaßt.

Die Nacht zum 1. Juni schlief ich zum ersten Male in unserem neuen Hause. Gerade ein Jahr, daß ich kein festes Dach, sondern immer nur Strohwände oder Zelt über mir hatte. Seit einem Jahr wieder einmal auf Holzdielen zu gehen, wenn auch noch so primitiven, ist ein Genuß! Jeder Schritt machte mir Vergnügen! Wenn mir nicht das Treppensteigen verboten wäre, würde ich aus Freude fortwährend herauf und hinunter gegangen sein. Wie ich stolz auf meine Treppe bin. Die Seligkeit, hoch zu wohnen! mit welcher Freude schließe ich Türen und Fenster; es ist mir alles noch so neu, ich möchte immer am Fenster stehen. Auch diese Freude ist afrikanisch! Ich freue mich schon auf Tom und seine Freude über unser stattliches Haus. Die Salzbäder, die ich nehmen soll, muß ich natürlich aussetzen. Der Doktor schilt; aber freilich, wenn es nach ihm ginge, so müßte ich stets liegen, und aus dem Umzug kann dann werden, was will. So haben die Boys wohl auch gedacht, denn nicht nur Mpischi, der schon seit Ostern liegt, sondern auch Mabruk ist schleunigst so krank geworden, daß er fort mußte, er bekommt aber natürlich seinen Lohn weiter, nun habe ich zum Umzuge nur einen Boy. Schammy, der kleine zehnjährige Bengel, ist mein Koch, seine Leistungen sind auch danach. Die kleinen Mädels müssen jetzt auch so helfen, daß sie ganz blaß aussehen, sie sind mir jetzt eine große Hilfe. Die drei Weiber, die ich noch habe, müssen buttern, Hühner besorgen, Geschirre waschen, sind sonst aber kaum zu gebrauchen. Denn sie verstehen kein Suaheli und vor allen Dingen wissen sie von keinem Gegenstande, wozu man ihn gebraucht, und diese Frauen habe ich jetzt schon vier Monate. Die schweren Sachen haben mir Träger herübergetragen, doch das ist ja das wenigste. Freilich klappt noch längst nicht alles, die Türen besonders bedürfen noch mancherlei Nachhilfe, ehe sie richtig schließen, ein Fenster hatte noch keinen Haken, so daß der Wind es gleich zerbrach usw.; überall sind noch Fundis tätig. Die Wohnung war zuerst hoffnungsgrün gestrichen; damit meine Vorhänge, Portieren usw. mit dem Anstrich harmonieren, habe ich sie jetzt noch einmal anstreichen lassen, und zwar rosa, — eine andere Farbe hatten wir nämlich nicht, es wird jetzt aber sehr niedlich. Nur kann ich mir Tom mit seinem Rauchen nicht so recht in diesem zarten Milieu vorstellen. Nun sind noch Gardinen zu nähen und aufzustecken, denn am 1. Juli kommt der Gouverneur nun wirklich; er hat sich schon angemeldet, und da möchte ich doch mit allem fertig sein. Wenn wenigstens der Mpischi bis dahin gesund würde.

Der Gouverneur will sich den Boden und die Ansiedlungsverhältnisse hier ansehen.

2. Juni 1897.

Heute sah ich mich nach meinen kleinen Schützlingen um, zwei kleine Askarikinder, denen die Mutter gestorben und deren Vater auf einer Expedition geblieben ist. Das eine Kind ist erst ein halbes Jahr alt und bekommt jetzt von meiner Kuhmilch, das andere ist schon zwei Jahre alt; sehr niedliche Kleine sind es, leider haben sie Angst vor mir. Von dort ging ich zum Griechen, um Petroleum zu kaufen, er wird aber erst in sechs Wochen welches erhalten; hoffentlich reicht mein Vorrat noch so lange. Dann ging ich zur Bibi (Frau) Effendi, um mich für Eier und ein seidenes Taschentuch zu bedanken; letzteres wollte ich nicht annehmen und schickte es zurück, aber sie schickte es abermals wieder, und um sie nicht zu beleidigen, behielt ich’s, werde ihr wohl eine Uhr dafür zurückgeben, aber erst nach ein paar Tagen, denn sonst nimmt sie es übel.

Wenn ich doch wenigstens ganz gesund wäre. Alle Tische für die Küche müssen auch erst gemacht werden, denn die ich bis jetzt in der Strohhütte hatte, sind in dem Boden festgemacht und beim Herausnehmen sind sie entzweigegangen; es waren allerdings nur Kistendeckel. Nun soll ich mich wieder schonen und Salzbäder nehmen, aber wann? In Kürze kommt der Gouverneur, und in solcher Zeit geht alles drunter und drüber. Dann bin ich Köchin, Dienerin und Hausfrau, d. h. ich repräsentiere deutsche Küche, Keller, Speisesaal und Salon hier alles in höchsteigener Person, so gut das eben hier, fern jeder Kultur, unter den schwarzen Menschenkindern sich tun läßt.

25. Juli 1897.

Nach langer Pause komme ich wieder einmal zum Schreiben. Eine Zeit voll Mühe und Arbeit liegt hinter mir, in die auch der Tod seine düsteren Schatten warf. Aus der Heimat kam eine mich bewegende Todesnachricht — und hier stand ich an der Bahre eines treuen Mitarbeiters, der auch mir so oft in schwerer Zeit mit Rat und Tat beigestanden: Zahlmeister Winkler starb am Abend des 7. Juni, des Pfingstmontags. Als Graf Fugger mir am 8. früh die Nachricht brachte, war ich tief erschüttert — zum erstenmal trat der Tod hier in Afrika in so ergreifender Weise in mein Leben.

Graf Fugger hatte das Zimmer mit Palmen geschmückt, und ich brachte, was ich an Blumen auftreiben konnte, so daß wir unserem entschlafenen Landsmann die letzte Ruhestätte wenigstens nach heimatlicher Sitte würdig schmücken konnten. Das Fieber hatte den stattlichen, blühenden Mann in wenigen Tagen furchtbar mitgenommen, elend und verfallen, aber mit dem Ausdruck friedlicher Ruhe lag er auf seinem Bette. In Perondo hatte er einst den Wunsch ausgesprochen, — wir sprachen gerade über das Sterben — dereinst ohne Bewußtsein ins Jenseits hinüberzuschlummern — wie bald hat sich dieser Wunsch erfüllt! Ohne Bewußtsein ist er aus dem irdischen Leben in die Ewigkeit eingegangen.

Um 3 Uhr setzte sich der Leichenzug in Bewegung, voran die Kompagnie mit der Musik, dann der von zwölf Askaris getragene Sarg und der Boy des Verstorbenen mit einem schwarzen Kreuz, welchem wir wenigen Europäer folgten. Am Grabe bildete die Kompagnie Spalier, der Sarg wurde heruntergelassen und mit Blumen und Palmenzweigen bedeckt. Graf Fugger[6] widmete dem jungen Landsmann und treuen Kameraden, der nun fern der deutschen Heimat sein Grab gefunden, herzliche Worte, darauf sprach Pater Ambrosius ein Gebet — und die Trauerfeier war zu Ende. Die Kompagnie rückte nach soldatischer Art unter fröhlichen Marschweisen ab, und wir gingen schweren Herzens still nach Hause. „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende!....“ Feldwebel Merkel beaufsichtigte die Arbeiter, die den Grabhügel aufhöhen und einzäunen. Winkler, der erst vor einigen Tagen von einer Expedition zurückgekehrt war, hatte sich den Keim zu diesem Fieber auf dem Rückmarsche mit Merere von Usafua an derselben Stelle am großen Ruaha geholt, an welcher früher einmal auch Tom und Graf Fugger daran erkrankt waren.

Noch nie hat mich Schwermut und Sehnsucht so gepackt wie an diesem Begräbnistage. Ich hielt es zu Hause nicht aus, die Einsamkeit trieb mich hinaus auf die Straßen; wie beneidete ich die Schwarzen, die in ihrem harmlosen Frohsinn so vergnügt in den Hütten herumhockten, wie sehnte ich mich in dieser traurigen Stimmung nach meinem Mann, schon die schlichte Frage eines Askari-Wachtpostens nach des bana mkubwa („großen Herrn“) und meinem Befinden, klang mir in meiner Einsamkeitsstimmung wie ein verheißungsvoller Gruß. Als ich von meinem Rundgang nach Hause zurückkam, fand ich einen Boten vor mit einem Briefe von Tom! In welcher Gefahr hatte mein Mann in dieser Zeit geschwebt. Der Brief berichtet ausführlich über seine Expedition; ich werde Toms eigene Worte hierher setzen:

(Aus Toms Brief vom 5. Juni 1897, zwei Stunden vom Muassi-See.)

„... Schlaflosigkeit und Erkältung behindern zwar sehr den fröhlichen Gedankenfluß, und meine Sitzgelegenheit — der Stuhl ist beinahe so hoch wie der Tisch — trägt auch nicht zur Bequemlichkeit bei, aber die komische Geschichte muß ich Dir doch noch erzählen:

Am 3. Juni stellte ich fest, daß die Bewohner einiger dicht bei Leutnant Foncks Lager gelegenen Temben sich in den Felsenhöhlen versteckt hielten. Dort hielten sie sich für sicher, denn weder andere Wahehe, noch viel weniger irgend ein anderer Neger würde ihnen in ihre Höhlenverstecke folgen. Die Gelegenheit war mir gerade recht, den Wahehe einmal zu zeigen, daß wir sie auch aus diesen, ihnen für absolut uneinnehmbar geltenden Felshöhlen herausholen. Ich nahm also Unteroffizier Schubert mit einigen Askaris sowie eine Anzahl Wahehe mit, letztere als Zuschauer und Augenzeugen. Nach sechsstündigem Marsche kamen wir an eine Felsenschlucht, in deren Klüften die Flüchtigen sich verborgen hielten. Sofort kam Leben in die ganze Sache, wie vor einem Kaninchenbau huschten die schwarzen Gestalten hin und her, zu schnell, um in der kurzen Zeit des Sichtbarseins von unseren Leuten scharf genug aufs Korn genommen zu werden. Eine der Höhlen, in welcher ich einen Mann verschwinden sah, beschloß ich, genau zu untersuchen. Sie war, wie sich bei näherer Besichtigung ergab, am Eingang etwa einen halben Meter weit und zweigte sich in etwa zwei Meter Tiefe nach rechts und links ab. Ich stellte einen Posten an den Eingang und suchte weiter. Aus dem nächsten Felsenloche, welches einen etwas bequemeren Eingang hatte, stöberte ich mit einigen Askaris gegen 30 Weiber und Kinder auf, die sich in den einzelnen Gängen versteckt gehalten. Das Geschrei der Aufgeschreckten und das Gebrüll meiner Leute in dem dunkeln Labyrinthe von Gängen da unten hatte übrigens doch etwas Unheimliches. In die nächste Höhle, die wir absuchten, trauten sich meine Askaris nicht hinein, es war ihnen zu dunkel — auch hatten wir sichere Zeichen, daß hier Weiber und Kinder versteckt lagen. Kaum war ich in den Eingang getreten, als mir von links her ein Speer scharf an der Brust vorbeisauste und klirrend an die Felswand schlug, zugleich bohrte sich zwischen meinen Füßen hindurch ein zweiter Speer in den Moderboden. Der Hausherr war also bereit, uns zu empfangen. Etwas oberhalb hinter mir stand ein Händler aus der Stadt, der sich freiwillig angeschlossen hatte — ein dritter Speer, der direkt von vorn kam und mir den Helm abriß, traf ihn in die Seite. Mit einem Satze war mein „Freiwilliger“ raus aus dem Loch. An seiner Stelle erschien nun aber oben mein Boy Juma, der mir voll Angst zuschrie, ich möchte mich doch ja recht gut decken. So vernünftig war er aber doch, daß er mir ein Gewehr herunter warf. Wie aber in der pechschwarzen Finsternis zielen? Zunächst deckte ich mich hinter einem Felsblock, damit meine Silhouette den im sichern, dunkeln Hintergrunde stehenden Speerschützen nicht allzudeutlich gegen die vom Eingange aus durchs Tageslicht beleuchtete Felswand sichtbar würde. Dicht hinter meinem Verstecke höre ich ein gleichförmiges Schaben und Knirschen — Tschirr! Tschirr! — da sitzt ein Kerl und schärft seine Speere. Ich schoß nach der Richtung hin, freilich ohne zu treffen, zugleich bemerkte ich aber dicht hinter mir ein tiefes Loch, dessen Boden ich mit einem Speere nicht erreichen konnte. Ein Speerwurf von da unten hätte voraussichtlich die Folge gehabt, daß ich auf meinem bereits geschilderten hochbeinigen Schreibsessel jetzt noch unbequemer sitzen müßte, und da aus der Finsternis vor mir wieder ein Speer über den Kopf weg gegen die Felswand klirrte, konzentrierte ich mich für diesmal mit erheblicher Geschwindigkeit nach rückwärts, nachdem ich noch durch einen Schuß ins Dunkle über den warmen Empfang quittiert hatte. So kam ich nicht zum Ziel. Ich ließ also Grasfackeln binden, hieß einige Askaris Schild und Speer nehmen, ebenso den schneidigsten meiner Wahehe, und drang mit ihnen wieder in die Höhle — sofort saß dem Wahehe ein Speer in der als Deckung vorgehaltenen Matte. Nun ließ ich zum Angriff blasen, die brennenden Grasfackeln wurden in die Gänge geworfen, und ich trieb meine Askaris, die wie die Wilden brüllten, vorwärts. Auf diese Weise säuberten wir eine ganze Anzahl dieser „uneinnehmbaren“ Schlupflöcher und förderten eine Menge Weiber und Kinder ans Tageslicht. In der ersten Höhle wurde ein Mann getötet, vier gefangen, zwei entkamen.“

Ich muß offen gestehen, daß mich beim Lesen solcher Geschichten doch ein Grausen ankam, wenn ich mir die näheren Umstände dieses kleinen Scherzes ausmalte.

Der 9. Juli war ein Glückstag! Ich war gerade dabei, im Wohnzimmer die letzten Gardinen aufzustecken, als meine Muhigu angerannt kommt: „Bana mkubwa!“ Ich dachte, es käme irgend ein Europäer, die die Muhigu uns wie üblich als „großer Herr“ anmeldete, und wollte eiligst ins Schlafzimmer, um mir die Haare aufzustecken, die ich heftiger Kopfschmerzen wegen offen trug, da lag ich aber schon in den Armen Toms, der der Muhigu auf dem Fuße gefolgt war! Vor freudigem Schreck schrie ich laut auf.

Und als ob es für einen Tag nicht Glücks genug wäre, kam am Nachmittage auch noch die langersehnte Post. Einige Tage konnte Tom sich erholen, die Strapazen der letzten Expedition hatten ihn doch sehr mitgenommen, und auch ich ließ alle Arbeit ruhen, um seiner Pflege mich ausschließlich widmen und mich seiner Gegenwart wieder einmal ungestört erfreuen zu können. Als Reiseerinnerung brachte er mir die Felle und Köpfe zweier prächtiger Giraffen und eines Zebras mit, die er unterwegs geschossen hatte, eine Anzahl eigenartig roter Perlen, die die Weiber hier als Schmuck tragen, und ein schönes Leopardenfell, aus dem ein Wahehekrieger sich einen „Kriegsmantel“ zurechtgeschneidert hatte — alles Gegenstände, die sich als malerischer und vor allem stilechter Wandschmuck verwerten lassen.

Nach einigen Tagen der notwendigsten Erholung begann wieder „des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr“ ihr regelmäßiges Tick-Tack — Schauris von morgens bis abends. Nur eine Stunde, vom Abendsignal bis zum Abendbrot, wurde dem Krocketspiel gewidmet, an dem Graf Fugger wieder eifrig teilnahm; während Toms Expedition hatte er täglich, soweit es sein Dienst erlaubte, mir Gesellschaft geleistet und mich zu Spaziergängen abgeholt. Und wie jede gute Tat ihren Lohn erhält, so auch hier; denn der Auftrag, dem Gouverneur entgegenzuziehen und ihn an der Grenze von Uhehe zu begrüßen, erfüllte den lebenslustigen jungen Offizier mit heller Freude; hatte er doch nach langer Zeit einmal wieder Gelegenheit, deutsche Kameraden zu begrüßen.

Bei uns brachte währenddessen jeder Tag seine besondere Abwechselung. Zuerst wurde Farhenga krank, und zwar so plötzlich, daß man auf eine Vergiftung schließen mußte; dieser Verdacht liegt hier sehr nahe, denn Gift und Selbstmord sind bei unseren schwarzen „Großen“ an der Tagesordnung. Dann aber brachte sich Quawa wieder in Erinnerung: als Tom eines Tages vom Schauri nach Hause kam, erzählte er mir, — so ganz nebenbei, es schien ihm nicht besonders nahe zu gehen — es sei ihm gemeldet worden, Quawa habe zwei Wanyamwesi-Leute von der etwa eine Stunde von uns entfernten und uns freundlich gesinnten Ansiedelung gegen hohe Belohnung gedungen, Tom bei nächster Gelegenheit zu ermorden. Mein Mann schickte natürlich eine Patrouille, die die beiden Biedermänner nach ein paar Tagen auch richtig einlieferte. Mein Haushalt erhielt einen Zuwachs in Gestalt eines etwa vier Tage alten kleinen Zebras, es ging aber trotz aller Pflege schon nach drei Tagen ein; nicht einmal photographieren konnte ich das niedliche Tierchen, denn ich lag gerade an jenen Tagen wieder mal fest. Eine Sendung Apfelsinen kam mir damals gerade recht gelegen. Sie hatten nur den bittern Nachgeschmack, daß jede einzelne Frucht durch den Trägerlohn auf eine halbe Rupie (70 bis 90 Pfennig) zu stehen kommt. Wie gute Dienste würde mir jetzt die Eismaschine leisten, aber gerade jetzt versagt sie, die Gummiringe schließen nicht fest genug. Auch eine unserer großen Demijeon-Flaschen kam zerbrochen an, von denen je zwei von einem Träger getragen werden. Das läuft ins Geld: seitdem wir hier sind, haben wir schon 247 Träger gehabt, pro Mann 21 Rupien!

Da ich gerade von unseren Landplagen schreibe, darf ich auch Mereres Freund, den Araber Jemadari, nicht vergessen. Er gehört zu den „Großen“, also kostet mich die Ehre seines Besuches täglich das ortsübliche Gastgeschenk, das jeder bekommt, der sich persönlich nach dem Befinden seines Sultans erkundigt — und das ist Tom für sie. Zum Glück geht dieser teure Gastfreund nach Iringa, wo er als Wali eingesetzt werden soll; auf die Dauer hätten meine Fruchtsaft-, Öl- und andere Vorräte diese täglichen Opfer auf dem Altar der Gastfreundschaft nicht mehr leisten können.

Die hohen Trägerkosten sind das schwierigste Hindernis, das einer regelrechten Kolonisierung im Wege steht: wie sollen sich unsere deutschen Unteroffiziere, auf die man doch in erster Linie mit rechnen könnte, hier eine eigene Familie begründen: die einfachsten Lebensbedürfnisse, ohne die man einer deutschen Frau den Aufenthalt nicht zumuten kann — von irgendwelchem, auch dem allerbescheidensten Luxus ganz abgesehen — würden an Trägerlohn mehr erfordern, als ein Unteroffizier von seinem Gehalt aufwenden kann. Es ist ein Jammer, daß sich für dieses herrliche, fruchtbare Gebirgsland von Uhehe kein deutscher Unternehmungsgeist mobil machen läßt. Deutsche Bauern, die selbst Hand anlegen, fänden hier Gelegenheit, ein reiches Gebiet dauernd der Kultur zu gewinnen. Wir haben in Iringa Versuche mit europäischen Feld- und Gartenfrüchten gemacht, die zu den besten Hoffnungen berechtigen. Bedingung für das Gedeihen einer Kolonisation im größeren Maßstabe ist natürlich die Erschließung der natürlichen Zugangsstraßen nach der Küste, zunächst also der wasserreichen Flüsse Kihansi und Ulanga, ferner die Anlage einer festen Straße zur Umgehung der die Bootsfahrten hindernden Stromschnellen — doch halt! die Phantasie „beflügelt meinen Kiel“ — sie erhebt ihre Schwingen sogar bis zu dem kühnen Bilde einer — Schmalspurbahn, die von Ngahoma am Ulanga aus diesen Fluß mit dem Rufidji verbinden müßte!

Wie dicht übrigens unsere Leute an Quawa heran waren, erzählte der Sohn des Jumben Chetamaruru, der von dem Sultan bei Luhota gefangen, ihm aber später im Pori glücklich entkommen war. Diesem Berichte nach sei Dr. Stierling ganz nahe an dem Busche vorbeigezogen, in welchem Quawa mit seinen Gefangenen sich versteckt hatte. Um die Verfolger auf falsche Fährte zu locken, hatte der alte Fuchs seine Weiber nach einer andern Richtung abziehen lassen und freute sich nun im Busche über das Gelingen seiner Kriegslist. Er hätte aber sicherlich keine Freude erlebt, wenn er mit dem schneidigen Doktor zusammengetroffen wäre.

Mit meinen Leuten hatte ich erst recht viel Ärger. Die Frauen, die sich bis jetzt bei mir tüchtig herausgefuttert hatten, sollten nun beim Umzug helfen; das war nun nicht nach ihrem Geschmack — sie drückten sich einfach. Schammy rauchte Haschisch und versuchte in seinem Delirium, seinen Kollegen Humadi zu erschießen; der schlug aber zum Glück noch den Gewehrlauf nach oben, so daß der Schuß in die Decke ging. Auf diese Weise kann man noch einmal vom eigenen Hausboy über den Haufen geschossen werden. Als er gefesselt werden sollte, entwickelte der Bengel Riesenkräfte, zerschlug alles, was ihm unter die Fäuste kam, und verschwand schließlich im Pori. Dort fanden ihn nach zwei Tagen einige Askaris zwischen den Steinen hockend, hungrig, zitternd — mit einem Mordskater! Natürlich war er sehr geknickt, als sie ihn mir anbrachten, und bat de- und wehmütig um Verzeihung. Die Unglückspfeife habe ich vor seinen Augen zerschlagen und verbrannt. Unter diesen Umständen hatte ich bei der großen Arbeit nur noch Humadi und die Totos (Kinder), da ich auch Sitamira auf Knall und Fall entlassen mußte — sie war zu hübsch — leider aber auch ebenso leichtsinnig. Der einzige Lichtblick in dieser Zeit voll allerlei Verdruß war die Rückkehr meines Koches, der gerade noch kurz vor Ankunft des Gouverneurs aus dem Lazarett entlassen wurde. Ich mußte ihn zunächst mit Wein und Milch aufpäppeln, da er noch sehr klapperig war, er hat mir aber doch nach besten Kräften geholfen; wußte ich doch wirklich manchmal nicht, wo mir der Kopf stand, bei all den tausenderlei Vorbereitungen — die Herren sollen nach ihren anstrengenden Märschen einmal wieder die Empfindung haben, in ein deutsches Haus zu kommen.

Der Gouverneur hatte sich für den 11. Juli angemeldet. Tom wollte ihm einen Tagemarsch entgegenziehen und brach am 10. auf. Ich war eben dabei, unsere Schlafzimmer für den Gouverneur als Wohnung einzurichten, als Juma, den Tom mitgenommen hatte, atemlos angestürzt kam: „In einer Stunde ist der Gouverneur da!“ Er hatte den Marsch über Mage genommen und traf nun einen Tag früher ein, als wir ihn erwarteten! Also reingefallen mit all meinen Vorbereitungen, und ich hatte mir doch alles so schön ausgedacht. Zunächst weinte ich vor Ärger über das Mißlingen meiner schönen Küchen- und Tafelpläne — dann ging’s aber um so flinker. Leberwurst und Sülze konnte ich den Herren nun freilich nicht zum Frühstück vorsetzen, und die Wildtauben, die es zu Mittag geben sollte, flogen noch lustig und lebendig umher, so mußte ich Gang für Gang von meinem kunstvoll zusammengebauten Menu streichen. Zum Glück traf der Gouverneur erst gegen 1 Uhr mittags ein, so daß er sein Wohnzimmer fix und fertig vorfand.

Zum Frühstück konnte ich unseren Gästen nur eine Kalbskeule vorsetzen, dazu allerlei kalte Speisen und Konserven, auch zu einer Bowle hatte ich noch Zeit gefunden. Abends tafelten wir nach festlichem deutschen Zuschnitt; meine Fleischpastetchen fanden vielen Beifall, desgleichen der Plumpudding. Daß die Europäer „brennende Speise“ essen, wurde von der schwarzen Bedienung und ihrem Anhang mit offensichtlichem Staunen beobachtet. Zu Ehren des Gouverneurs hatten wir ein großes Festprogramm aufgestellt. Fackelzug, Kostümfest und verschiedene andere Kurzweil, die Herren hatten aber so viel zu tun, daß es beim guten Willen bleiben mußte.

Der Gouverneur war erstaunt und erfreut über die militärische Haltung der Wahehe, die am 17. Juli hier für einen neuen Quawa-Zug unter Führung ihrer Jumben auf der Station antraten. Tom hatte, wie er vorausgesetzt hatte, wirklich 1300 Wahehe und 300 andere Neger für die Station zusammengebracht.

Nachmittags 4 Uhr brach der Zug auf, am 20. standen sie bereits dicht bei Quawas Kriegslager; leider war ihr Angriff ohne das gewünschte Ergebnis; als der Gouverneur und Tom mit der 6. Kompagnie den steilen Berg, ohne auf Widerstand zu treffen, erstiegen hatten, fanden sie das Negerdorf sowohl wie das Kriegslager verlassen, nur einige Nachzügler wurden noch abgefaßt, die über die Besetzung des Lagers durch Quawa Auskunft gaben — der Biedermann hatte, als er acht Europäer an der Spitze der Angreifenden zählte, die günstige Stellung aufgegeben und die sichere Deckung im Pori dem immerhin zweifelhaften Ausgange eines Verteidigungskampfes vorgezogen. Ich bin ihm persönlich dafür dankbar. Das Lager war auf der Spitze einer aus einem tiefen Talkessel terrassenförmig sich aufbauenden Kuppe angelegt, die dem Angreifer nicht die geringste Deckung gewährte, so daß die den Hang erklimmenden Truppen bequem Mann für Mann von der Höhe aus aufs Korn genommen werden konnten. Wer weiß, wer von den Herren nicht dort den Angriff mit dem Leben bezahlt hätte!

27. Juli 1897.

Gestern abend, kurz vor Schlafengehen, brachte mir ein Wachtposten noch einen langen Brief von Tom. Aber anstatt der erwarteten Nachricht seiner baldigen Rückkehr lese ich, daß die Expedition sich wohl über vier Wochen ausdehnen wird. Sie waren bereits dicht an Quawas Lager heran, und nun suchen sie möglichst auf seine weiteren Spuren zu kommen. Das sind für mich recht böse Aussichten, denn nun ist der glückliche Wahn gründlich zerstört, daß dies unsere letzte längere Trennung gewesen sei. Tom schreibt, der Gouverneur sei sehr erfreut über die gute Disziplin der Wahehe, über das Nachrichtenwesen und die gute Laune, die trotz des zwölfstündigen Marsches in der schwierigen Gebirgsgegend bei den Leuten herrscht. Der Gouverneur wird sich dann von Tom trennen, um noch weiter die Bodenverhältnisse auf ihre Ansiedelungsfähigkeit zu untersuchen. Soweit bis jetzt zu übersehen ist, eignet sich das Land ganz hervorragend zur Besiedelung, und Oberst Liebert will die Kolonisation nach Kräften beschleunigen.

Heute beehrte mich der Sultan von Mahenga, mein alter Freund Kiwanga aus Perondo, mit seinem Besuch. Zu dieser Antrittsvisite hatte er sich 800 Leute aus Perondo mitgenommen, eine Vorsichtsmaßregel, die ich ihm eigentlich nicht verdenken kann; der schlaue Fuchs Quawa hatte ihm nämlich durch einen Msassagira-Boten sagen lassen, er solle sofort mit seinen Leuten sich Quawa anschließen, der Sakkarani (nämlich Tom) wolle ihn hängen lassen. Kiwanga hatte jedoch Vertrauen zu Toms früherer Zusage, er lieferte den Quawa-Boten an Leutnant Kuhlmann aus und machte sich auf den Weg zu uns; so ganz sicher schien er aber seiner Sache nicht zu sein, wenigstens mußte ich ihm immer und immer wieder versichern, daß Tom ihn nicht zu dem Zwecke herbestellt habe, um ihn hier aufzuknüpfen, und es gelang mir auch, sein Zutrauen vollständig zu festigen. Er bemühte sich dann noch eifrigst, mir den Hof zu machen; daß er dabei meinen Mann bis in den Himmel hinein lobte und pries, hielt er für das geeignetste Mittel, seiner Huldigung besonderen Nachdruck zu geben. Als Freund Kiwanga sich endlich empfahl, kam Pater Alfons zum Abendbrot, mit dem ich dann noch ein gemütliches Plauderstündchen hielt.

28. Juli 1897.

Pater Alfons kam heute zum Frühstück. Dann machte ich einige photographische Aufnahmen von Kiwangas Leuten. Ihn selbst photographierte ich vor seinem Zelt, mit seinem Tisch, Stuhl, Flasche, Glas und Teller; auf seine europäische Zelteinrichtung ist er nämlich sehr stolz. Beim Griechen hatte er sich soeben einen eleganten Anzug und neue Schuhe gekauft, da ihm seine Safari-Garderobe für die Station nicht mehr ansehnlich genug erschien. Als ich mein Bad genommen und die verordneten Umschläge gewissenhaft erledigt hatte, ließ ich mir von Kiwanga und seinen 800 Kriegern ihre ngoma (das Wort bedeutet sowohl „Trommel“ und „Musik“ wie auch „Tanz“) vorführen, zuerst den Kriegstanz der Mafiti, dann den der Wahehe. Kiwanga ist reiner Mhehe, sein und Quawas Vater waren rechte Vettern, deren Feindschaft auch auf die Söhne forterbte.

Es war ein interessantes Schauspiel, die 800 wilden Kerle in der ganzen Eigenart ihrer heimischen Kampfweise diese Kriegsspiele, denn auf die Darstellung eines Angriffes läuft die ganze Sache hinaus, vor mir manövrieren zu sehen. Ich muß gestehen, daß es mir doch eine gewisse Verlegenheit bereitete, vor dieser ganzen Menschenmenge als die Bibi mkubwa, die „große Frau“, gefeiert zu werden, besonders da Kiwanga an der Spitze seiner Leute mir seine Huldigung erwies. Der Sultan führte die ganze Sache selbst und tanzte und sprang mit einer Gewandtheit und einem feierlichen Ernst, der in den europäischen Kleidern etwas unsagbar Komisches hatte. Erst als die neuen Schuhe, die auf derartige Kriegsstrapazen nicht geeicht waren, ihm an den Füßen zerplatzten, und seine Leute von dem tollen Rennen und Brüllen erschöpft waren, ließ er mich durch den Effendi um die Erlaubnis bitten, das Kriegsspiel beenden zu dürfen. Ich ging nun zu ihm und bedankte mich für das schöne Schauspiel, worauf er mit seiner Kriegerschar sehr befriedigt abzog. Daß die ganze Stadt sowie unsere Askaris mit Weibern und Kindern als Zuschauer versammelt waren, versteht sich von selbst, eine „große Parade“ wirkt immer und überall „aufs Zivil“.

Als besonders komischen Zwischenfall muß ich noch die Heldentat meiner beiden Hunde Schnapsel und Pombe erwähnen. Mit wütendem Gebell fuhren sie einem der Mafiti, der ihnen etwas zu nahe gekommen war, in die Beine und verfolgten ihn unter dem Gelächter der Zuschauer weit über den Plan. Es gelang mir nur schwer, ihren kriegerischen Sinn wieder soweit zu dämpfen, daß sie von der Verfolgung abließen, dann setzten sie sich aber mitten auf den Platz, gleichsam als die Angriffsobjekte des ganzen Manövers, und beobachteten mit mißtrauischem Ohrenspitzen jede Bewegung ihrer Feinde, entschlossen, nur der Übermacht zu weichen.

Abends kam Kiwanga, um Abschied zu nehmen; er wird morgen in aller Frühe abmarschieren, um sich mit seinen Leuten Tom anzuschließen. Er bat mich, ihm einen Brief an meinen Mann mitzugeben, was ich denn auch tat. Der schwarze Bundesbruder hat mir doch viel Zerstreuung geboten, und das hat mir gerade in diesen Tagen recht wohl getan, es blieb mir nur wenig Zeit, meinen trüben Gedanken nachhängen zu können. Besonders erbaulich war nun freilich nicht alles, womit mein Gastfreund mich zu unterhalten suchte; so schilderte er mir recht anschaulich, daß sein Bruder Sagamaganga zehn von seinen jungen Weibern aufgehängt und sich dann selbst vergiftet hat. Beweggrund auch hier: Cherchez la femme. Ich habe diesen Sagamaganga, der einer der mächtigsten Sultane zwischen Mahenga und Schabruma war, zusammen mit seinem Bruder Kiwanga auf einer Photographie, er war ein auffallend stattlicher, hübscher Neger.

29. Juli 1897.

Heute früh marschierte Kiwanga mit seinen Leuten ab. Nachmittags kam Dr. Stierling aus Idunda zurück, er hat dort Leutnant Fonck behandelt, der an Malaria erkrankt war, sowie einen augenleidenden Unteroffizier. Den Besuch in Idunda hatte Dr. Stierling um 14 Tage verschieben müssen, da er hier den Bauleiter Hentrich, der krank von der Küste ankam, nicht ohne ärztliche Behandlung lassen konnte; jetzt hat sich Herr Hentrich einigermaßen erholt; er sieht schon viel wohler aus wie bei seiner Ankunft von der Küste. Wie es in Idunda steht, werde ich wohl morgen von Dr. Stierling erfahren.

Lagerleben: Askarizelte.
(Zu S. 131.)

Lagerleben: Die Safari- (Reise-) Küche.
(Zu S. 131.)

3. August 1897.

Am 1. August kam Oberst Liebert zur Station zurück, mit ihm Herr v. Bruchhausen und Graf Fugger, während Tom die Expedition weiter leitete. Wenn auch der Zweck nicht erreicht war und unser Todfeind Quawa auch diesesmal wieder entkam, so sprach der Gouverneur doch seine Freude aus, jetzt auch den „afrikanischen“ Krieg praktisch kennen gelernt zu haben; wie Tom so hat auch er mit seinen Begleitern einen Höhlenkampf mitgemacht: er war an eine der Höhlen herangetreten, um die Insassen zum friedlichen Herauskommen zu bewegen, als ihm ein Schuß aus nächster Nähe entgegenkrachte. Der Geistesgegenwart seines Boys, der ihn zurückriß, hat der Gouverneur es zu verdanken, daß ihn die Kugel nicht traf. Eine solche unterirdische Kriegführung war ihm, wie er mir lachend erzählte, weder 1866 in Böhmen, noch 1870 in Frankreich vorgekommen.

In Tanangosi hatte sich unser Freund Kiwanga ihm angeschlossen und seine Krieger für den Quawafeldzug zur Verfügung gestellt. Jetzt war er wieder zurückgekehrt. Er schien sehr beglückt, daß der Gouverneur seine Leute gelobt habe, als er sie ihm truppweise „im Laufschritt“ vorgeführt hatte und ließ es sich nicht nehmen, seine Scharen nun auch im Kriegstanze zu zeigen, von dem ich dem Gouverneur viel erzählt hatte. Dabei wurde ich durch die unbewußte Galanterie eines dieser schwarzen Helden etwas in Verlegenheit gesetzt: anstatt vor dem Gouverneur kniete einer der den Reigen anführenden Wahehekrieger vor mir nieder; auf meinen Wink verbesserte er aber sofort diesen Irrtum und brachte dem Gouverneur seine Huldigung. Natürlich tanzte dazu auch diesesmal der Sultan höchsteigenbeinig an der Spitze seiner Leute; es mag dem Gouverneur nicht leicht geworden sein, angesichts dieser grotesken Figur in weißer Uniform mit Tropenhelm, die mit geschwungenem Säbel die unglaublichsten Luftsprünge ausführte, den nötigen Ernst zu bewahren. Diesesmal waren Kiwangas Schuhe übrigens der anstrengenden Übung gewachsen.

4. August 1897.

Heute verabschiedete sich der Gouverneur von uns, um den Rückmarsch nach der Küste über das Utschungwa-Gebirge anzutreten. Leutnant Passavant war nach Idunda gegangen, um dort die 3. Kompagnie zu übernehmen. Bezirksamtmann Zache blieb bei der 6. Kompagnie, die der Gouverneur nebst der 2. Kompagnie zur Verstärkung der Stationen in Uhehe für den Vernichtungskampf gegen Quawa hier gelassen hat. Nur Herr v. Bruchhausen kehrte wieder mit an die Küste zurück. Kiwanga und seine Krieger gaben ihnen das Geleite. Es waren schöne, frohbewegte Tage, die hinter uns liegen. Möchte dieser Zug des Gouverneurs durch das Gebirgsland Uhehe bald segensreiche Früchte für unsere neue Heimat tragen. Der Abschied war herzlich, Oberst Liebert sprach Tom seine Anerkennung aus für alles, was er hier geschaffen, und auch ich kam nicht zu kurz dabei als „erste deutsche Hausfrau im Innern von Deutsch-Ostafrika“. Der Gouverneur legte mir besonders dringend ans Herz, unter allen Umständen hier zu bleiben, wo wir unentbehrlich seien. Unentbehrlich??... Qui vivra verra!

17. August 1897.

Von Leutnant Stadlbaur erhielt ich eine zierlich als Brosche in Gold gefaßte Löwenklaue, von einem Löwen, den er hier geschossen hat; ich habe ihm für dieses hübsche afrikanische Geschenk heute schriftlich gedankt. Der Besuch des Gouverneurs bietet unerschöpflichen Gesprächsstoff, wir sitzen zuweilen bis spät in die Nacht hinein und leben die bewegten, ereignisreichen Tage noch einmal in der Erinnerung durch. Auch Graf Fugger leistet uns oft Gesellschaft. Gestern abend haben wir den neuen Zahlmeister und den neuen Pater „angefeiert“. Die Stimmung war deshalb besonders froh, weil aus Bueni gute Nachrichten eintrafen; die Bewohner kehren allmählich wieder in ihre Temben zurück.

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