Frankfurt a. M., den 21. Julius 1848.
Die heutige Sitzung war lang und anstrengend, doch sind wir auch mit der Abstimmung über den ersten Abschnitt der wichtigen Grundrechte zu Stande gekommen. Mit Vorbehalt einer zweiten Berathung, nach Erörterung und Annahme des ganzen Gesetzes, lauten die vorläufigen Bestimmungen, wie folgt:
1) Jeder Deutsche hat das Reichsbürgerrecht. Die ihm kraft desselben zustehenden Rechte kann er in jedem deutschen Lande ausüben.
2) Jeder Deutsche hat das Recht an jedem Orte des Reichsgebiets seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, Liegenschaften jeder Art zu erwerben, und darüber zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu betreiben und das Gemeindebürgerrecht zu gewinnen.
Die Bedingungen für den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein Heimatsgesetz, jene für den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung, für ganz Deutschland von der Reichsgewalt festgesetzt.
Bis zur Erlassung der betreffenden Reichsgesetze, steht die Ausübung der gedachten Rechte, jedem Deutschen in jedem einzelnen Staate Deutschlands unter denselben Bedingungen wie den Angehörigen dieses Staates zu. Kein deutscher Staat darf zwischen den ihm Angehörigen, und den Angehörigen eines andern deutschen Staates zum Nachtheile der letzten einen Unterschied machen hinsichtlich der bürgerlichen, peinlichen und Prozeß-Gesetze.
3) Die Aufnahme in das Staatsbürgerthum eines deutschen Staates, darf an keine anderen Bedingungen geknüpft werden, als welche sich auf die Unbescholtenheit, und den genügenden Unterhalt des Aufzunehmenden, für sich und seine Familie beziehen.
4) Die Strafe des bürgerlichen Todes soll nicht stattfinden, und da wo sie bereits ausgesprochen ist, soll sie in ihren Wirkungen aufhören, sofern nicht wohlerworbene Privatrechte dadurch verletzt werden.
5) Das Auswanderungsrecht ist von Staatswegen nicht beschränkt. Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden. Die Auswanderung selbst steht unter dem Schutze und der Fürsorge des Reiches.
Ihr seht wie viele große Schranken und Hemmungen innerhalb Deutschland durch diese Bestimmungen zu Boden fallen. Für Preußen werden sie jedoch insofern weniger neuern, als dasselbe auf dieser freisinnigen Bahn schon viel weiter vorgerückt ist, als viele andere deutsche Staaten. Dies wird noch weit mehr hervortreten, wenn bald (wie man beschlossen) ein neues Heimatsgesetz und eine neue Gewerbeordnung für ganz Deutschland entworfen wird. Nur fürchte ich große Unzufriedenheit, im Fall man örtliche und landschaftliche Gewohnheiten und Wünsche gar nicht, oder doch zu wenig berücksichtigen sollte. Schon jetzt zeigen sich oft Abstimmungen, wo die Rücksicht auf Staaten und Volksstämme vorherrscht.
Die Sitzung schloß heute mit einem tragi-komischen Schauspiele. Anstatt die Berathung über die Grundrechte nach der, innerlich in nothwendigem Zusammenhange stehenden Folge, fortzusetzen, geschah der Vorschlag ganz willkürlich diese und jene Sätze hervorzuheben und voranzustellen. Insbesondere sprach Hr. M. aus — gegen die neue Tyrannei der Regierungen, für Preßfreiheit, Vereinsrecht, Briefgeheimniß, welche Urrechte man jetzt schrecklicher Weise täglich verletze, obgleich sie Jeder schon bei der Geburt mit auf die Welt bringe. Darauf gegen die Centralgewalt, verrätherische Minister u. s. w.; — all das modige Wischi-Waschi des Tags. Er ward überlaut ausgelacht, bezog dies aber nicht auf sich und seine lächerlichen Reden; sondern beschuldigte die ihm nicht beifallende Versammlung: sie finde die heiligen Volksrechte lächerlich. — Der Präsident verwies ihn hierauf zur Ordnung und auf der Linken hat man laut geäußert: man müsse ihn von der Rednerbühne herunterziehen, denn sein Geschwätz blamire die Linke. Nun Geschrei nach namentlicher Abstimmung, und als man bei der gewöhnlichen Weise stehen blieb, erhoben sich nur ein Paar Abgeordnete für jenen bombastisch ausposaunten Vorschlag: das deutsche Volk von der dringenden Gefahr des Untergangs zu retten.
Den 22. Julius.
Der Absatz 44 des Gesetzentwurfs für die Grundrechte lautet: „jedes Grundstück muß einem Gemeineverbande angehören.“ Ich hatte vorgeschlagen ihn so zu fassen: „jedes Grundstück, und jede Person die einen bestimmten Wohnsitz hat, muß (jedoch nach Maßgabe der örtlichen Gesetzgebung) einem Gemeineverbande angehören.“ — Hr. Moritz Mohl machte den Antrag, zwischen dem Absatze 3 und 4 der obigen Bestimmungen, einen andern einzuschieben, welcher Ähnliches verlangte. — Ich sagte deshalb in der Sitzung vom 19. Juli: „da die Sache jetzt zur Sprache gekommen ist, so nehme ich mir die Erlaubniß (meinem Vorschlage) noch Folgendes hinzuzufügen. Es ist gesagt worden das Gesetz handele nur von Rechten, aber nicht von Pflichten. Meine Herren! ich halte es für ein großes Recht, Bürger einer Gemeine zu sein; obgleich damit auch Pflichten verbunden sind, denn beides geht ohne Zweifel in einander über. Wir haben offenbar in Deutschland vier Stufen. Jeder tüchtige Mensch soll nämlich Mitglied einer Familie, einer Gemeine, eines Staates, und hoffentlich nun auch des gesammten Reiches sein. Wie übel es geht, wo es viele Beisassen giebt, welche keinen Theil am Bürgerthum haben, das sehen wir bei der, sonst so trefflichen, Städteordnung in Preußen. Unsere Schutzverwandten schweben zwischen Himmel und Erde, ohne festen Boden zu haben. Die Folge ist: daß die ärmsten Leute, wenn sie nur irgend ein Gewerbe treiben das ihnen kaum das Leben fristet, die Lasten des Bürgerrechtes übernehmen müssen, welche in diesen Kreisen größer sind, als die hervortretenden Rechte. Hingegen werden die reichen Leute begünstigt. Diese Leute, unsere reichen Schutzverwandten in Berlin, sind so gleichgültig gegen die Gemeineangelegenheiten, als ob Berlin im Monde läge. Das Staatsbürgerrecht zu besitzen, ohne Gemeine- oder Stadtbürger zu sein, erscheint unzureichend; womit aber keineswegs gemeint ist, die Erlangung des Staats- und Reichsbürgerrechtes lediglich von der Willkür der einzelnen Gemeinen abhängig zu machen, wodurch der Partikularismus in schädlicher Weise befördert würde. Ich glaube daß Hr. Mohl die Sache so wie ich aufgefaßt hat, und schließe mich daher seinem Antrage vollkommen an“. — Es ward beliebt die Sache erst zu entscheiden wenn Absatz 44 in der gewöhnlichen Folge an die Reihe komme.
Die Behauptung: Preußen werde nach Annahme obiger Sätze der Grundrechte aus allen Theilen Deutschlands mit Bettelvolk überschwemmt werden, ist irrig. Denn abgesehen davon daß auch Wohlhabende (angezogen durch die freiere Gesetzgebung) einwanderten, ist diese Einwanderung zum Abweisen der Armen ja durch Absatz 3 erschwert, wonach Jeder nachweisen soll, er habe für sich und seine Familie genügenden Unterhalt. — Gesunde Arme und Beine galten bis jetzt als hinreichender Beweis; das neue Gesetz läßt sich hingegen strenger deuten.