Zweiunddreißigster Brief.

Frankfurt a. M., den 20. Julius 1848.

In der gestrigen Sitzung kam zunächst die limburgsche Angelegenheit zur Berathung. Keine giebt so viel Veranlassung über den wiener Congreß und den Bundestag zu zürnen, als diese. Die wahren Interessen Deutschlands und Limburgs sind hiebei auf eine kaum zu begreifende, dumme und nichtswürdige Weise vernachlässigt, ja man möchte sagen verrathen; sodaß die Verwirrung kaum zu lösen ist und etwas Neues und Besseres — mit Güte oder Gewalt — an die Stelle des ganz Unhaltbaren gesetzt werden muß. Eine von Seiten der niederländischen Regierung herausgegebene Schrift sucht mit diplomatischer Kunst das Verwickelte, man möchte sagen als unlöslich darzustellen, und von den frühern Dummheiten und Zweideutigkeiten den vortheilhaftesten Gebrauch zu machen. Der Bericht unseres Ausschusses läugnet die Dummheiten u. s. w. nicht, widerlegt aber mancherlei Vorurtheile und Mißdeutungen, und erweiset die Nothwendigkeit anderweiter Bestimmungen, welche indeß von den zähen Holländern schwer zu erreichen sein werden. Für den bloßen Liebhaber giebt die anliegende Schrift von Steifensand genügende Auskunft. Ihr dürft nur die kleine, beigefügte Charte ansehen um Euch zu überzeugen, auf wie heillose Weise man Deutschland und die Uferbewohner, von ihrer Lebensader, der Maas ausgeschlossen, und Limburg zu gleicher Zeit mit Deutschland und Holland verbunden hat. Hiedurch entstehen doppelte, sich widersprechende Rechte, Pflichten und Ansprüche; es beruhen darauf sehr gerechte Klagen Limburgs, und der neu zu organisirende Bundesstaat ist mit den alten Einrichtungen gar nicht in Übereinstimmung zu bringen. Deshalb legt Holland die alten Verträge so aus, als wäre es nur dem ehemaligen deutschen Bunde beigetreten, welche Deutung (wenn man sie jedem Mitgliede desselben frei stellte) eine jede jetzt bezweckte Fortbildung unmöglich machen würde. — Die Anträge unseres Ausschusses sind fast einstimmig angenommen, hiemit die Sache aber freilich erst begonnen, und nicht schon zum Ziele gebracht.

Ihr habt gefürchtet ich würde hier zu viel reden, und findet nun ich sei allzu schweigsam und setze mein Licht zu sehr unter den Scheffel. Ich antworte: in diesen Tagen redete ein Redner darüber, daß das viele Reden, Deklamiren, Phrasen drechseln u. s. w. nichts nütze, vielmehr Zeit verderbe, und das Arbeiten in den Ausschüssen viel verdienstlicher sei. Hier habe ich es nicht an einwirkendem Fleiße fehlen lassen; und ebensowenig an Gesprächen mit Abgeordneten außerhalb der Versammlung und am Abstimmen für das Rechte. Ferner habe ich mich bereits einige Male zum Reden gemeldet, bin aber, da man in nicht unnatürlicher Ungeduld die Berathung schloß, nicht zu Worte gekommen. Ja, wollte Jeder nur so viel sprechen, als ich bereits gesprochen habe, würde frühstens im November wieder die Reihe an mich kommen. Ihr glaubt nicht wie abgeneigt die Meisten den Lang- und Oftrednern werden; so haben z. B. N— und Z— dadurch bereits allen Credit eingebüßt; sie fallen mit ihren Anträgen fast jedesmal durch.

Laut des stenographischen Berichtes (welchen vor dem Druck durchzusehen mir unnöthig erschien) habe ich gegen den Antrag die Sitzungen um 12 Uhr zu beginnen Folgendes gesagt: „Ich glaube, es liegt eine Täuschung zum Grunde, wenn wir meinen durch die Verlegung des Anfangs der Hauptsitzungen viel zu gewinnen. Zunächst gehen wir den Hundstagen entgegen, und werden also wenn wir von 12–6 hier in schlechter und heißer Luft zuhören sollen, sehr ermattet sein. Denn wenn Jemand von Morgen bis Mittag in einem Ausschusse gesessen hat, muß er wahrlich viel Kraft des Geistes und des Leibes besitzen, um dann noch von 12 bis etwa Abends 6 Uhr den Plenarversammlungen mit Aufmerksamkeit zuzuhören. Es ist, nachdem wir die Verhandlungen in der Paulskirche durchgemacht haben, viel leichter sich des Abends mit 15 oder höchstens 30 Männern zu verständigen, da dies mehr im Wege der Unterhaltung oder gesprächsweise geschieht. Dagegen gehört hier viel mehr Aufmerksamkeit dazu — falls man nicht selbst oft die Tribüne besteigen will — allen Rednern zu folgen; und es ist dies doppelt schwer, weil man an manchen Orten dieses Raumes nicht gut hört, und Diejenigen welche hinten sitzen, ihre Ohren ebenso anstrengen müssen, wie man beim Lesen kleiner Schrift seine Augen anstrengt. Ich sehe deshalb nicht ein, was damit gewonnen ist, wenn wir des Morgens Ausschußsitzungen halten. Für die Ausschußsitzungen haben wir eher Kraft am Abend, als für die Plenarsitzungen hier um 12 Uhr, wo man nicht weiß ob man vorher frühstücken, oder zu Mittag essen soll. Will man etwas ändern, so mag man die Hauptsitzungen statt um 9 um 8 Uhr anfangen, eine Stunde früher schließen, und nach einem, den gewöhnlichen Bedürfnissen angemessenen Mittagsessen, in den Ausschußsitzungen mit frischen Kräften erscheinen.“ — So mein Stoßseufzer. Die Langschläfer fürchteten sich vor 8, die Frühaufsteher vor 12 Uhr, und so blieb es (zu großer Zufriedenheit) bei der bisherigen Einrichtung.

Es ergab sich heute bei einer Abstimmung daß nur 397 Mitglieder gegenwärtig waren, also der dritte Theil fehlte. Dies lenkte die Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Beurlaubungen, und es ward bemerkt daß noch Keiner von der Linken darum nachgesucht habe. Ich werde nächstens fragen: was hieraus folge, für Gesundheit, Beschäftigung, Eifer und Begeisterung der Abgeordneten?

Man beschloß heute fast einstimmig für eine Wohnung des Reichsverwesers zu sorgen; eine Geldentschädigung, oder Gehalt hat er abgelehnt.

Der Hauptgegenstand der heutigen Verhandlung waren die Auswanderungen, wobei die Gegenwärtigen kaum hinreichende Geduld hatten sich über die Thatsachen belehren zu lassen; großen Redensarten und Stichworten aber den herkömmlichen Beifall nicht versagten. Endlich kam man mit dem ersten Abschnitte der Grundrechte so weit, daß morgen darüber kann abgestimmt werden. Eine ganze Reihe von Verbesserungsvorschlägen zu den Anträgen des Verfassungsausschusses ward (zur Warnung und Besserung) verworfen. Mein Nachbar hatte auch einen gestellt, schlief aber als er an die Reihe kam, worauf ein Anderer rief: wird zurückgenommen! und damit fiel er wirklich zu Boden.

Lebhafter Streit entstand: weil die Polen nochmals Vorwände suchen und aussprechen, um die posener Angelegenheit hinauszuschieben. Sie erwarten vortheilhafte Beschlüsse in Berlin, Bündniß mit Frankreich, Krieg mit Rußland. Diesmal wird man auch namentlich abstimmen müssen um zu sehen, ob die Deutschen, Polen über Deutschland hinaufsetzen. — Gewiß werden die Berathungen sehr leidenschaftlich werden, um so mehr da viele Katholiken sich haben aufreden lassen, es sei hier von der Religion die Rede. Radowitz wirkt mit Recht gegen diese Thorheit.

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