Nur ausnahmsweise und gelegentlich ist in den vorangegangenen Abschnitten auch von manchen verderblichen Krankheiten der Nutzpflanzen die Rede gewesen. Unsere Betrachtung wäre unvollständig, wenn wir zum Schlusse nicht anführen wollten, daß gerade die in der Regel in ganz unnatürlicher, einseitiger Anhäufung unter oft ungünstigen, ihren natürlichen Standorten und Lebensbedingungen durchaus nicht entsprechenden Lebensverhältnissen auf einem in seiner Zusammensetzung ungeeigneten, vielfach ausgesogenen Boden angebauten und meist durch vielhundertjährige Kultur von seiten des Menschen verweichlichten Nutzpflanzen Krankheiten unendlich viel leichter anheimfallen als ihre robusten, unter den natürlichen Lebensbedingungen lebenden Wildlinge gebliebenen Verwandten. Dabei ist zu bedenken, daß durch ungünstige klimatische oder Bodenverhältnisse in Verbindung mit mangelhafter Pflege durch den Menschen die verschiedenen Krankheitserreger viel größere Bedeutung für die Kulturpflanzen gewinnen als für die übrigen, in ihren natürlichen, ihren Bedürfnissen angepaßten Verhältnissen lebenden Pflanzen. So kann es uns nicht wundern, daß, je länger eine Nutzpflanze in menschlicher Pflege steht und je höher kultiviert sie ist, sie um so zahlreicheren Erkrankungen ausgesetzt ist und von um so mehr tierischen und pflanzlichen Feinden bedroht wird.
Wie für die Menschen und die Tiere sind auch für die Kulturpflanzen winzige Pilze die gefährlichsten Krankheitserreger. So entstehen schwere Schädigungen unserer Getreideernten, ja völliger Mißwachs dieser für uns Menschen so wichtigen Brotfrüchte besonders durch die Brandpilze, die die Ähren und Körner unter Umwandlung in eine schwärzliche Masse vernichten, dann durch mancherlei Rostpilze, die die Blätter und Halme abtöten und dadurch die Fruchtbildung verunmöglichen, ferner durch den Mutterkornpilz, der sich in der Ähre an Stelle des Kornes entwickelt, außerdem durch eine Reihe erst neuerdings aufgefundener Blattpilze, die die grünen Blätter besonders des Weizens befallen und vorzeitig abtöten, endlich auch die jüngst entdeckten Pilze, der „Roggenhalmbrecher“ und „Weizenhalmtöter“, die sich im untersten Grunde des Halmes und in den Wurzeln entwickeln und dadurch den wertvollen Getreidepflanzen vorzeitigen Tod bringen.
So haben unsere wichtigsten Körnerfrüchte, wie Weizen, Gerste und Hafer, außer unter besonderen Arten von Flugbrand, deren Sporen nach Auszehrung der Fruchtanlage in der Blüte in braunen Massen ausstäuben, um immer wieder dieselbe Getreideart, niemals aber eine andere zu befallen, noch unter anderen spezifischen Brandarten zu leiden, so der Weizen durch den Steinbrand, die Gerste durch den Hart- oder Schwarzbrand und der Hafer durch den gedeckten Haferbrand, alles nicht zur Blütezeit der betreffenden Getreidearten ausstäubenden und umherfliegenden Brandarten, sondern solchen, die den Keimling anstecken und erst beim Dreschen ihre schwärzlichen Sporenmassen frei werden lassen, um an gesunde Körner zu gelangen. Diesen haften sie äußerlich an und gelangen, falls solches Korn zur Saat benützt wird, mit dem Getreidekeimling zum Austreiben, wobei sie ihre Schläuche in ihn eindringen lassen und mit ihm wachsen, bis sie ihn zugrunde gerichtet haben. Diese letzteren Brandarten bekämpft man durch sogenanntes Beizen des Saatgutes mit Kupfersalzen, Formalin und heißem Wasser. Die ersteren dagegen können nur durch rechtzeitiges tägliches Entfernen der den Flugbrand in den Blüten aufweisenden Exemplare oder noch besser durch isolierte Züchtung brandfreier Getreidestämme vermieden werden.
Verschiedene Rostpilze schädigen den Mais, den Klee, die Bohnen und Erbsen und weisen denselben Wirtswechsel wie die früher besprochenen Getreiderostarten auf. So gedeihen die Wintersporen des Erbsenrostes nur auf den Blättern der Cypressenwolfsmilch, um regelmäßig ihre Sommersporen auf den Erbsen zu entwickeln. Die Wintersporen des orangeroten Becherrostes der Stachelbeeren gedeihen nur auf der Unterseite der Blätter der scharfen Segge, wo sie schwarze Sporenhäufchen bilden. Der ebenfalls orangerote Gitterrost, der die Blätter des Birnbaumes befällt, erzeugt rotgelbe Gallertklumpen ausschließlich an Stamm und Zweigen des Sadebaumes (Juniperus sabina). Zwei gefürchtete Getreideschädlinge, der wahre Rost und der Kronenrost, entwickeln ihre Wintersporen ausschließlich, der erstere auf den Blättern der Ackerochsenzunge, der letztere auf denjenigen des Faulbaums. Und so geht es ins Endlose, ohne daß wir bis jetzt von den meisten solchen Rostpilzen den Gang der Entwicklung und den Zwischenwirt überhaupt erkannt hätten.
Den Blättern und Früchten der Apfel- und Birnbäume sind die Schorf- und Fusicladiumpilze gefährlich. Die Moniliakrankheit verdirbt die Blüten und jungen Triebe der Kirschbäume, der Gnomoniapilz bewirkt die Seuche und das Abfallen ihrer Blätter wie auch das Verderben ihrer Früchte. Verschiedene Kulturpflanzen leiden unter dem Mehltau, unter ihnen besonders der Weinstock; dabei bildet sich ein weißer, dünner Überzug auf braunwerdenden Flecken der Blätter und jungen Weinbeeren. An letzteren stirbt dadurch die Haut ab, noch ehe die Frucht die Hälfte ihrer normalen Größe erlangt hat und zerreißt bei weiterer Ausdehnung des Beerenfleisches, so daß die Beere abstirbt und verfault. Der weiße Überzug besteht aus dem echten Mehltaupilz (Oidium tuckeri), dessen Sporen vom Regen und Wind auf benachbarte Blätter und Trauben weiter verbreitet werden, wo sie bei Vorhandensein von Feuchtigkeit leicht keimen. Regenreiche Jahre begünstigen die Ausbreitung dieser Krankheit, die seit 1845 von England durch Frankreich nach Südeuropa, der Schweiz und Deutschland wanderte und sehr großen Schaden anrichtete. Man bekämpft die Krankheit erfolgreich durch Schwefeln, d. h. Überpudern der Weinstöcke mit Schwefelblumen, wodurch der Pilz getötet und gesunde Pflanzen geschützt werden. Der falsche Mehltau dagegen wird von Peronospora viticola hervorgerufen. Der Pilz zeigt sich nur auf der Unterseite der Blätter als weißer Filz, während auf der Oberseite rundliche, braune Flecken entstehen. Die Krankheit trat zuerst in Amerika auf, wurde hernach in Frankreich und dann in andern Ländern Europas beobachtet und hat seitdem große Verheerungen angerichtet. Sie wird durch Bespritzen der Reben zur Zeit der Rebenblüte und 4–6 Wochen später noch einmal mit 1–1,5 kg Kupfervitriol und 2–2,5 kg gelöschtem Kalk in 100 Liter Wasser erfolgreich bekämpft. Der Pinselschimmel (Penicillium glaucum) verdirbt den Most, weshalb die von ihm befallenen, eine schmutzige, hellgrüne bis gelbliche Färbung zeigenden faulen Beeren vor dem Keltern der Trauben entfernt werden müssen. Nicht ungünstig dagegen ist die durch Peziza funckeliana hervorgerufene Edelfäule der Trauben, indem dieser Pilz in den Beeren mehr Säure als Zucker verzehrt, wodurch ein stärkerer Wein entsteht. Dieser Pilz ruft aber nur bei wenigen Traubensorten, deren Bukett er erzeugt, solch gutartige Veränderungen hervor, so namentlich beim Riesling, dessen Bukett er zwar zerstört, dafür aber ein anderes, dem Sherry ähnliches erzeugt. Alte Weinkenner am Rhein behaupten, daß man erst im Jahre 1822 gelernt habe, aus edelfaulen Trauben die feurigen, edlen Weine des Rhein- und Moselgaues zu bereiten. In jenem Jahre war der Sommer dem Weinstock außerordentlich günstig, so daß schon gegen Ende September eine Überzeitigung eintrat und gelesen werden mußte. Da dann die Weinbauern nicht auf eine so frühe Ernte vorbereitet waren, wurde meist eine „faule Brühe“ gelesen, die aber einen so guten Wein lieferte, daß man diese Edelfäule später künstlich herbeiführte. Auch die Phytophthorakrankheit der Kartoffeln, die Blätter und Knollen dieser wichtigen Nutzpflanze zum Absterben bringt, ist Mitte des vorigen Jahrhunderts aus Nordamerika zu uns gekommen.
Bild 80. Echter Mehltau des Weinstocks (Oidium tuckeri).
a ein vom Pilze befallenes Rebenblatt, b eine von ihm zerstörte Traube, c der Pilz selbst (stark vergrößert).
Außer diesen die grünen Teile der Pflanze angreifenden Pilzen gibt es eine Menge anderer, die die Wurzeln befallen und dadurch die Pflanze zum Absterben bringen. Solche Wurzeltöter bedrohen besonders die verschiedenen in Kultur befindlichen Leguminosen. Aber noch weit mehr als durch pflanzliche sind besonders die Wurzeln durch tierische Feinde bedroht. Diese bestehen ebenfalls meist aus winzigen Lebewesen, vorzugsweise aus der Familie der Würmer, Milben und Insekten. Unter den letzteren, die meist ziemliche Größe aufweisen, gibt es manche, die sich nicht auf bestimmte Pflanzen beschränken, sondern sämtlichen Gewächsen schädlich werden können. Dazu gehören z. B. die Maikäfer, deren Larven als Engerlinge drei bis vier, ja in Ostpreußen sogar fünf Jahre im Boden leben und hier den Wurzeln fast aller Pflanzen gefährlich sind, ferner die schmalen, gelben Drahtwürmer, die Larven des Saatschnellkäfers, die die Wurzeln besonders der Getreidearten, Kartoffeln und Gemüsepflanzen zerfressen, wie auch die verschiedenen Erdraupen, auf die wir hier nicht näher eintreten können.
Bild 81. Falscher Mehltau des Weinstocks (Peronospora viticola).
a davon befallene Traube mit kranken Beeren, b aus einer Atmungsöffnung der Unterseite des Blattes hervorgewachsene gestielte Sporenträger des Pilzes, deren Sporen teilweise schon vom Winde verweht wurden.
Unendlich viel größer als die Zahl dieser allgemeinen Schädlinge ist diejenige solcher tierischer Schädlinge, die immer nur auf eine bestimmte Nährpflanze angewiesen sind und ihr durch ihre große Menge ebenso arg zuzusetzen vermögen wie die verschiedenen speziellen Krankheitspilze. Für die Getreidearten sind die Larven des unübersehbaren Heers der Kornkäfer, deren man jetzt schon über 10000 Arten unterscheidet, dann Frit- und andere Fliegen, ferner Blasenfüße, allerlei Halmwespen und Zwergzikaden gefährlich, für die Zucker- und Futterrüben außer zahlreichen Insekten besonders Rundwürmer. Eines der gefährlichsten Würmchen dieser letzteren Art ist neben dem Rübenälchen das Weizenälchen, welches das sogenannte Gichtigwerden und den Faulbrand des Weizens hervorruft und dadurch oft gewaltigen Schaden anrichtet. Diese sind so zählebig, daß sie selbst nach zwanzig und mehr Jahren völliger Austrocknung nach Befeuchten wieder aufleben. Naturgemäß tritt der durch sie hervorgerufene Faulbrand in nassen Jahren stärker als in trockenen auf. Zum Schutze gegen sie müssen alle gichtischen Körner des Weizens am besten durch Verbrennen vernichtet werden und darf zum Aussäen nur gesundes, in einer halbprozentigen Kupfervitriollösung gebeiztes Saatgut verwendet werden.
Die Kleefelder werden durch das Stockälchen, die Bohnen, Erbsen und andere Leguminosen durch Blattläuse, der Raps durch einen Glanzkäfer schwer geschädigt. Sehr groß ist die Zahl der Obstfeinde im Tierreiche. Die Raupen gewisser Schmetterlinge, wie die des Frostspanners, des Schwammspinners usw., zerstören das Laub und damit auch den Ertrag der Obstbäume. Blüten und Blätter werden verdorben durch den Apfelblütenstecher, durch die Larven mehrerer Wickler, die das Madigwerden und das Abfallen der Äpfel und Birnen verursachen, durch die Kirschenfliege, die die Maden in den Kirschen erzeugt, und dergleichen kleine Insekten mehr. Die Blutläuse sind für die Apfelbaumstämme wie die verschiedenen Schildläuse für andere Obstbaumarten von der größten Gefährlichkeit. Ein schrecklicher Gegner ist dem Weinstock die aus Amerika eingeschleppte, zuerst im Jahre 1863 in Europa bemerkte, seitdem aber in allen Weingegenden verbreitete Reblaus, die von 1869 an innerhalb acht Jahren in Frankreich allein den dritten Teil des gesamten mit Reben bepflanzten Areals vernichtete und dadurch dem Nationalvermögen dieses Landes nach durchaus nicht übertriebener Schätzung einen ersten Schaden von wenigstens 13 Milliarden Franken verursachte. Der seit ihrem Auftreten in diesem Lande verursachte Gesamtschaden wird auf mehr als 20 Milliarden Franken geschätzt. Auch der Traubenwickler ist für den Rebbau eine große Kalamität; denn der sogenannte Heu- oder Sauerwurm, das Räupchen dieses Schmetterlings, zerstört namentlich in feuchten Jahren die Blüten und zarten jungen Beeren der Rebe.
Großen Schaden verursachen auch zahllose Blattkäfer und Blattflöhe. Unter den ersteren ist besonders der in Nordamerika heimische Kolorado-Kartoffelkäfer berüchtigt, der sich seit etwa vierzig Jahren über das ganze Land ausgebreitet hat und oft einen Ausfall von 30 Prozent und mehr der Kartoffelernte bewirkte, ja manchenorts so zahlreich auftrat, daß die durch ihn angerichteten Verwüstungen den Menschen zwangen, den Anbau der Kartoffeln zeitweise ganz einzustellen. Trotzdem er durch amerikanische Saatkartoffeln nach Europa verschleppt wurde, hat er sich glücklicherweise bei uns nicht einbürgern können, da ihm offenbar das Klima hier nicht behagt.
Es ist völlig unmöglich, dem geneigten Leser auch nur einen annähernden Begriff von der Zahl der tierischen Schmarotzer zu geben, die neben den pflanzlichen Krankheitserregern unsere verschiedenen Kulturpflanzen bedrohen. Es genüge, hier als Beispiel nur die Baumwollstaude anzuführen, an der die praktischen, für die Erkenntnis der Schädlinge der Kulturpflanzen äußerst verdienten Nordamerikaner außer 30 verschiedenen Pilzkrankheiten nicht weniger als 470 Tierarten gelegentlich oder ausschließlich schmarotzen. Unter diesen befinden sich drei Schädiger ersten Ranges, nämlich die Baumwollraupe, die Kapselraupe und der mexikanische Kapselkäfer. Sie alle vermehren sich in fabelhafter Weise und richten da, wo sie auftreten, großen Schaden an. Bedenkt man, daß eine einzige die Räupchen hervorbringende Motte wenigstens 500 Eier legt, die sich im Laufe eines Sommers in fünf Generationen zu unzählbaren Millionen fortpflanzen, so begreift man, daß der Mensch völlig außerstande wäre, seine verschiedenen Kulturpflanzen gegen ihre zahllosen Schädiger in erfolgreicher Weise zu schützen, wenn nicht jeder der letzteren wenigstens einen Spezialfeind in der niederen Tierwelt besäße, der ihm das Leben sauer macht. Im Bunde mit diesen seinen Freunden und Bundesgenossen führt der Herr der Schöpfung einen unausgesetzten Kampf gegen das große Heer der Schädlinge und bedient sich dabei der verschiedensten Hilfsmittel, unter denen das Spritzen mit ätzenden, giftigen Stoffen und die Fangkulturen in erster Linie stehen. Unter den letzteren versteht man gewisse zwischen den Hauptkulturen gesetzte Pflanzungen, die sich früher entwickeln als diese und die nur zum Zwecke angelegt werden, um die tierischen Schädlinge anzulocken und dann mit diesen zusammen vertilgt zu werden. So benutzt man beispielsweise bei der Baumwolle dazu eine frühreifende Maisart, die auf schmalen Beeten zwischen den Baumwollfeldern angepflanzt wird.
Endlich werden auch manche tierische Schmarotzer durch ihre natürlichen Feinde zu bekämpfen gesucht. So wird seit einigen Jahren der Kapselkäfer der Baumwolle in Amerika durch eine rote Ameise bekämpft, die man in Massen züchtet und auf den Baumwollfeldern ansiedelt. In neuester Zeit hat man auf Java die sogenannte Kakaowanze, die die Kakaobäume vernichtet und den Ertrag der betreffenden Plantagen auf Jahre hinaus zerstört, in ähnlicher Weise und mit gutem Erfolg mit Hilfe einer schwarzen Ameise zu bekämpfen gesucht, die sich als Vernichterin jener Schmarotzerin vorzüglich bewährt hat. Die Nester dieser Ameise werden in Kisten aus Blech gefaßt und in den Kakaobäumen aufgehängt. Von hier aus beginnen die Ameisen alsbald ihr Vernichtungswerk und töten rasch die gefürchteten Wanzen.
Sehr leistungsfähige staatliche Insektenzuchtinstitute besitzen besonders die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Unter ihnen ist dasjenige von Sakramento in Kalifornien das bekannteste, das alljährlich große Lieferungen an Private besorgt. So hat dieses Institut beispielsweise im vergangenen Monat April nach den Zeitungsberichten 52 Millionen Marienkäfer in Gewicht von 1000 kg in besonderen Eisenbahnwagen nach den Melonenfeldern von Imperial Valley in Kalifornien spediert, wo ihnen die Aufgabe zufällt, Blattläuse und Insekten aller Art zu vertilgen, die die Melonenpflanzungen verheeren.
Der beste Schutz gegen die Schädlinge ist und bleibt aber die peinlich sorgfältige Pflege der Kulturpflanzen und ein tadellos gesundes Saatgut, soweit die Vermehrung durch Aussäen des Samens bewerkstelligt wird. Auch müssen bei der Einführung von Setzlingen nicht nur der Stamm und die Zweige, sondern vor allem auch die Wurzeln mit allen ihren Ausläufern genau auf die Anwesenheit von Schmarotzern untersucht werden. Hätte man dies getan, so wäre beispielsweise auch die in Amerika bei den viel kräftigeren einheimischen Reben nur geringen Schaden anrichtende Reblaus nicht nach Europa eingeschleppt worden und hätten die gewaltigen Verluste, die hier die Rebbau treibenden Länder erleiden mußten, vermieden werden können.
Die weitaus wichtigsten Gehilfen des Menschen sind aber die Vögel, die infolge ihres beinahe unersättlichen Hungers — die Folge ihres äußerst raschen Stoffwechsels und ihrer maximalen Lebensintensität — die größten Feinde der meisten Schädlinge unserer Nutzpflanzen sind. Haben wir mit der einseitigen Anpflanzung weiter Gebiete mit denselben zu unserem Nutzen gezogenen Pflanzenarten auch die Schädlinge derselben in einer Weise, wie dies in der freien Natur, wo aber auch keine solche Anhäufung derselben Pflanzenart vorkommt, sondern überall gemischte Bestände vorhanden sind, unmöglich ist, sich vermehren lassen, so liegt es in unserem eigenen Interesse, auch die Zahl ihrer Feinde, der Vögel, möglichst zu vermehren. Statt daß man dies tat und diesen unseren größten Wohltätern durch Vogelschutzmaßregeln und Bieten von Nistgelegenheiten zu ungestörtem Brüten die Möglichkeit einer Existenz und der ausgiebigsten Vermehrung verschaffte, hat man sie in der grausamsten und kurzsichtigsten Weise aus Roheit, aus Leckerei und Modetorheit verfolgt und in der unglaublichsten Weise dezimiert. Damit hat sich die Kulturmenschheit leider nur ins eigene Fleisch geschnitten. Erst dann, wenn sie dies eingesehen hat und danach handelt, wird dieser Übelstand sich bessern und statt Fluch Segen hervorgehen. Wenn der Mensch durch seine Kultur das Gleichgewicht in der Natur gestört hat, so ist es seine absolute Pflicht, diese Störung nach Möglichkeit wieder auszugleichen. Hat er die einseitige Verbreitung der Kulturpflanzen bewirkt, so muß er auch vor allem die Feinde der künstlich heraufgeschraubten Kulturpflanzenvernichter künstlich heraufschrauben, d. h. so viel er kann die Vögel vermehren. Dies soll nicht nur durch möglichst weitgehenden Vogelschutz, sondern vor allem auch durch Darbieten von künstlichen Nistgelegenheiten zum ungestörten Brüten geschehen. Was wir in unseren Kulturländereien nötig haben, das sind dazwischen errichtete dornige „Nistgehölze“, durch die das Raubzeug und zugleich das größte Raubtier, der unkultivierte Mensch, am Beunruhigen der brütenden Wohltäter und dem Ausnehmen ihrer Nester verhindert werden.
Überall, wo solches bisher geschehen ist, hat es die reichsten Früchte getragen und der Land- und Forstwirtschaft den größten Nutzen gebracht. Dafür sei nur ein Beispiel unter vielen angeführt. So schreibt der verdiente deutsche Vorkämpfer des Vogelschutzes, Freiherr B. von Berlepsch: „Als im Frühjahr 1905 der gesamte, mehrere Quadratmeilen große, südlich von Eisenach gelegene Hainichwald gänzlich vom Eichenwickler (Tortrix viridana) kahlgefressen war, blieb mein Wald, der durch über 2000 daselbst aufgehängte Nistkästen einen reichen Meisenbestand aufweist, völlig davon verschont. Er hob sich von den umliegenden Waldungen tatsächlich wie eine grüne Oase ab. Erst etwa einen halben Kilometer jenseits der Grenze machten sich die ersten Spuren des Fraßes bemerkbar, nach weiterem halben Kilometer war er aber bereits in vollem Umfange eingetreten. Ein deutliches Zeichen, wie weit die Meisen und Genossen während des Winters, überhaupt außerhalb der Brutzeit, gestrichen waren.“ Gleiche Beobachtungen bei den Verwüstungen der Raupe desselben Schmetterlings wurden auch in großherzoglich hessischen Forsten gemacht, in denen ebenfalls der Vogelschutz seit einiger Zeit betrieben wird.
Aber nicht nur von Insekten, die unseren Kulturen schädlich sind und sie zugrunde richten, auch von solchen, die uns selbst lästig fallen, befreien uns die Vögel. Ungezählte Massen von Stubenfliegen, die Verbreiter verschiedener menschlicher Krankheiten, fangen die Schwalben ab, die unermüdlich gerade ihre Hauptbrutstätten, die Ställe und Düngerhaufen, nach ihnen abfliegen. Sie dezimieren auch die lästigen Stechmücken, in Süddeutschland Schnaken genannt, wie die im Wasser lebenden oder darin, wie die Enten, ihre Nahrung suchenden Tiere ihrer Brut nachstellen und uns so nützen.
Welchen Nutzen beispielsweise die verschiedenen Wildhühner ihren Standorten erweisen, daß können wir aus Beobachtungen von ihren gezähmten Verwandten, den Haushühnern, schließen. So wurden in einem Versuche von Professor Eckstein (Prometheus, 1908) Hühner in einen vom Kiefernspanner (Bupalus piniarius) befallenen Wald getrieben, damit sie die unter dem Moos auf dem Boden überwinternden Puppen auffräßen. Da zeigte es sich, daß jedes Huhn täglich etwa 4500 Puppen dieses schlimmen Forstschädlings verzehrte, und die Nachsuche ergab, daß auf dem Geviertmeter, der vorher 25–140 Puppen enthalten hatte, nach dem Absuchen durch die Hühner nur noch 2–3 dieser schädlichen Schmetterlingspuppen vorhanden waren.
Sehr groß ist auch der Nutzen der mäusefressenden Vögel, vor allem des Turmfalken, der verschiedenen Bussarde und Eulen, die sich, wie ausgedehnte Untersuchungen des Mageninhaltes geschossener Tiere bewiesen, zu 90 Prozent von diesen den Kornfrüchten und zahlreichen andern Kulturpflanzen des Menschen so überaus schädlichen Nagern ernähren. Jedenfalls sollte noch mehr als bisher von jedem Menschen der Ausspruch beherzigt werden:
„Die Tiere schützen
Heißt, dem Menschen nützen!“